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Demonstrationsrecht - Versammlungsgesetz
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Stand: 30. Oktober 2016
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Ausland
Begriffe des Demonstrationsrechts
Gefahrengebiete - grundrechts- und menschenrechtsfreie Zonen (Wikipedia)
Grundgesetz - Art. 8 GG
Leitsatzkommentierung
Literatur zum Demonstrationssrecht
Pfefferspray (Der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten durch Polizeikräfte)
Versammlungsgesetz
Mindestens zwei Personen können eine durch Art. 8 GG geschützte Versammlung bilden! |
Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366)
Leitsatzkommentierung
Art. 8 GG
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Versammlungsgesetz
§ 1 VersammlG
§ 2 VersammlG
§ 3 VersammlG
§ 4 VersammlG
§ 5 VersammlG
§ 6 VersammlG
§ 7 VersammlG
§ 8 VersammlG
§ 9 VersammlG
§ 10 VersammlG
§ 11 VersammlG
§ 12 VersammlG
§ 12a VersammlG
§ 13 VersammlG
§ 14 VersammlG
§ 15 VersammlG
§ 16 VersammlG
§ 17 VersammlG
§ 17a VersammlG
§ 18 VersammlG
§ 19 VersammlG
§ 19a VersammlG
§ 20 VersammlG
§ 21 VersammlG
§ 22 VersammlG
§ 23 VersammlG
§ 24 VersammlG
§ 25 VersammlG
§ 26 VersammlG
§ 27 VersammlG
§ 28 VersammlG
§ 29 VersammlG
§ 29a VersammlG
§ 30 VersammlG
§ 31 VersammlG
§ 32 VersammlG
§ 33 VersammlG
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Art. 8 GG Versammlungsfreiheit
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
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Geschichte und Demonstrationsrecht - Blockupy 2012/2013
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Leitsätze/Entscheidungen:
Gewahrsamsorgien beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten (EGMR, Urteil vom 01.12.2011 - 8080/08, 8577/08 - juris):
„... VERFAHREN
1. Der Rechtssache lagen zwei Individualbeschwerden (Nrn. 8080/08 und 8577/08) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die zwei deutsche Staatsangehörige, S. („der erste Beschwerdeführer") und G. („der zweite
Beschwerdeführer"), am 8. bzw. 11. Februar 2008 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention") beim Gerichtshof eingereicht hatten. Der Kammerpräsident gab dem Antrag
des zweiten Beschwerdeführers vom 7. Juli 2010, seine Identität nicht offen zu legen, am 23. August 2010 statt (Artikel 47 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
2. Der erste Beschwerdeführer wurde vor dem Gerichtshof zunächst von Frau U., Rechtsanwältin in Hamburg, und anschließend von Frau L., Rechtsanwältin in Berlin, vertreten. Der zweite Beschwerdeführer wurde vor dem
Gerichtshof auch von Frau L. vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung") wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau Ministerialdirigentin A. Wittling-Vogel vom Bundesministerium der Justiz, und den ständigen
Vertreter ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Ministerialrat H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.
3. Die Beschwerdeführer brachten insbesondere vor, ihre Präventivhaft während eines G8-Gipfels, durch die sie daran gehindert worden seien, an Demonstrationen teilzunehmen, habe gegen Artikel 5 Abs. 1 sowie Artikel 10 und 11
der Konvention verstoßen.
4. Am 30. November 2009 entschied der Präsident der Fünften Sektion, die Regierung von der Beschwerde in Kenntnis zu setzen. Es wurde auch beschlossen, über die Zulässigkeit und die Begründetheit der Beschwerden gleichzeitig
zu entscheiden (Artikel 29 Abs. 1).
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE
5. Die Beschwerdeführer wurden beide 19.. geboren und sind in B. bzw. X. wohnhaft.
A. Hintergrund der Rechtssache
1. Die Einschätzung der Sicherheitslage durch die Behörden und die Sicherheitsmaßnahmen während des G8-Gipfels
6. Vom 6. bis 8. Juni 2007 fand in Heiligendamm in der Nähe von Rostock ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten statt.
7. Nach Auffassung der Polizei bestand während des Gipfels die Gefahr terroristischer Anschläge, insbesondere durch islamistische Gruppen. Darüber hinaus ging die Polizei unter Berücksichtigung der bei früheren G8-Gipfeln
gewonnenen Erfahrungen von einer Gefahr objektbezogener Anschläge durch militante Linksextreme aus. Diese hätten geplant, gegen den Gipfel zu protestieren, ihn zu blockieren und zu sabotieren.
8. Die Polizei nahm an, dass etwa 25.000 Personen, von denen 2.500 gewaltbereit seien, an einer internationalen Demonstration am 2. Juni 2007 in Rostock teilnehmen würden, und dass während des Gipfels etwa 15.000
Demonstranten anwesend sein würden, von denen 1.500 gewaltbereit seien.
9. Am 2. Juni 2007 kam es im Stadtzentrum von Rostock zu schweren Ausschreitungen, an denen gut organisierte gewalttätige Demonstranten, die einem sogenannten „schwarzen Block" zuzurechnen waren, beteiligt waren; diese
griffen die Polizei mit Steinen und Baseballschlägern an. 400 Polizisten wurden verletzt.
10. Nach einer Presseveröffentlichung des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Juni 2007 waren 17.000 Polizisten im Einsatz, um den störungsfreien Ablauf des G8-Gipfels sicherzustellen und die
Gipfelteilnehmer vor Anschlägen durch Terroristen oder gewaltbereite Globalisierungsgegner zu schützen. Während des Gipfels seien 1.112 Freiheitsentziehungen in Gefangenensammelstellen erfasst worden. In 628 Fällen sei bei
Gericht die Bestätigung des Gewahrsams beantragt worden; in 113 Fällen sei diese Bestätigung erfolgt.
2. Die Festnahme der Beschwerdeführer
11. Im Juni 2007 fuhren die Beschwerdeführer nach Rostock, um an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teilzunehmen.
12. Am 3. Juni 2007 gegen 22.15 Uhr wurde die Identität der Beschwerdeführer auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck von der Polizei überprüft; dort standen sie mit sieben anderen Personen neben einem
Transporter. Auf dem Parkplatz befanden sich keine weiteren Personen. Die Polizei brachte vor, dass der erste Beschwerdeführer Widerstand gegen die Identitätsfeststellung geleistet habe. Er habe einem Polizeibeamten, der versucht
habe, die Identität des zweiten Beschwerdeführers festzustellen, auf die Arme geschlagen. Er habe auch einem anderen Polizeibeamten gegen das Schienbein getreten, um die eigene Identitätsfeststellung zu verhindern. Die
Beschwerdeführer brachten vor, der zweite Beschwerdeführer sei von der Polizei geschlagen worden, obwohl er seinen Personalausweis vorzeigebereit in der Hand gehalten habe. Die Polizei durchsuchte das Fahrzeug und fand
eingerollte Transparente mit den Aufschriften „freedom for all prisoners" sowie „free all now". Die Beschwerdeführer wurden festgenommen. Die Transparente wurden anscheinend beschlagnahmt.
B. Das in Rede stehende Verfahren
1. Das Verfahren vor dem Amtsgericht
13. Mit zwei gesonderten Beschlüssen, die am 4. Juni 2007 um 4.20 bzw. 4.00 Uhr ergingen, ordnete das Amtsgericht Rostock nach persönlicher Vernehmung der beiden Beschwerdeführer deren amtlichen Gewahrsam bis längstens 9.
Juni 2007, 12.00 Uhr, an.
14. Gestützt auf §§ 55 Abs. 1 Nr. 2a und 56 Abs. 5 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern - SOG M-V - (siehe Rdnrn. 37-38) befand das Amtsgericht, dass die Ingewahrsamnahme der
Beschwerdeführer rechtmäßig gewesen sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Da die Beschwerdeführer vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck in einem Transporter aufgegriffen
worden seien, in dem Gegenstände entdeckt worden seien, mit denen zur Gefangenbefreiung aufgerufen worden sei, sei anzunehmen gewesen, dass sie eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen würden.
15. Das Amtsgericht befand ferner, dass die Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer unerlässlich und verhältnismäßig sei. In der Anhörung hätten die beiden Beschwerdeführer den Eindruck vermittelt, dass sie
beabsichtigten hätten, die Straftat fortzusetzen. Da sie keine Angaben zur Sache gemacht hätten, hätten sie ihr Verhalten auch nicht rechtfertigen können.
2. Das Verfahren vor dem Landgericht
16. Am 4. Juni 2007 wies das Landgericht Rostock die sofortigen Beschwerden des ersten und zweiten Beschwerdeführers mit zwei gesonderten Beschlüssen zurück.
17. Das Landgericht bestätigte die Feststellung des Amtsgerichts, die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei nach § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V rechtmäßig gewesen. Indem die Beschwerdeführer im unmittelbaren Umfeld der
JVA Waldeck nachweislich Transparente mit einer imperativen Aufschrift („free" - „befreien") mit sich geführt hätten, hätten sie zur Gefangenenbefreiung, die eine Straftat darstelle, auffordern wollen. Darüber hinaus habe der erste
Beschwerdeführer dem Akteninhalt zufolge gegen Vollstreckungsbeamte Widerstand geleistet. Dem zweiten Beschwerdeführer sei seinerseits 2002 im Zusammenhang mit einem „Castor1-Transport" ein gefährlicher Eingriff in den
Bahnverkehr zur Last gelegt worden. Das Landgericht schloss sich überdies der Begründung des Amtsgerichts an, wonach die Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer unerlässlich und angemessen sei.
3. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht
18. Am 7. Juni 2007 wies das Oberlandesgericht Rostock die von den Beschwerdeführern anschließend erhobenen sofortigen weiteren Beschwerden zurück. In ihren Beschwerden hatten die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer
vorgebracht, dass die Transparente sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die zahlreichen Festnahmen und Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden. Die
Transparente hätten nicht darauf abgezielt, andere dazu aufzufordern, Gefängnisse zu stürmen und Gefangene gewaltsam zu befreien. Eine solche Auslegung müsse als lebensfremd angesehen werden, denn gewalttätige
Gefangenenbefreiungen aus Gefängnissen habe es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nicht gegeben.
19. Das Oberlandesgericht bestätigte die Feststellung der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gegeben seien. Die Festnahme und Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei zur
Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich gewesen. Das Transparent „free all now" könne zusammen mit dem Transparent „freedom for all prisoners" so gedeutet werden, dass zur
Gefangenenbefreiung, die nach § 120 StGB (siehe Rdnr. 41) einen Straftatbestand erfülle, aufgerufen werde. Für die Polizei habe der begründete Verdacht bestanden, dass die Beschwerdeführer sich nach Rostock begeben und die
Transparente bei den dort stattfindenden, teilweise gewalttätigen Demonstrationen zeigen würden. Damit hätte eine gewaltbereite Menge dazu bewogen werden können, in Gewahrsam genommene Personen zu befreien.
20. In Bezug auf den zweiten Beschwerdeführer seien die Voraussetzungen des §§ 55 Abs. 1 Nr. 2c SOG M-V (siehe Rdnr. 37) ebenfalls erfüllt gewesen. Der zweite Beschwerdeführer sei 2002 unter vergleichbaren Umständen wegen
Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit dem Transport von Castor-Behältern festgenommen worden. Ob er anschließend verurteilt worden sei, sei unerheblich.
21. Die Beschwerdeführer seien den Schlussfolgerungen der Gerichte nicht entgegengetreten und hätten sich nicht zur Sache eingelassen. Die Polizei habe die am 2. und 3. Juni 2007 in Rostock bestehende allgemeine Gefahrenlage
berücksichtigen müssen. An diesen Tagen sei es in der Innenstadt zu äußerst gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei gekommen. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer sich durch
Angriffe gegen Polizeibeamte selbst gewaltbereit gezeigt.
22. Das Oberlandesgericht war ferner der Auffassung, dass das Grundrecht der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung keine andere Schlussfolgerung rechtfertige. Es räumte ein, dass die Losungen auf den Transparenten
mehrdeutig seien. Jedoch habe die Polizei in der in und um Rostock bestehenden angespannten Situation missverständliche Meinungskundgebungen, die zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hätten führen
können, unterbinden dürfen.
23. Darüber hinaus sei die Dauer der Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer verhältnismäßig gewesen. Aus einem Bericht der Rostocker Polizei vom 6. Juni 2007 gehe hervor, dass sechs- bis zehntausend Globalisierungsgegner
mit zum Teil hoher Gewaltbereitschaft sich in Richtung Heiligendamm bewegt und zur „Stürmung des Dammes" aufgerufen hätten. Es habe nicht ausgeschlossen werden können, dass sich die Beschwerdeführer mit den Transparenten
an diesen Demonstrationen beteiligen und damit andere Teilnehmer zur Gefangenenbefreiung aufstacheln würden.
4. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
24. Am 6. Juni 2007 erhoben die beiden Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht und beantragten den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel ihrer sofortigen Freilassung.
25. Die Beschwerdeführer rügten, dass ihre Ingewahrsamnahme insbesondere ihr Recht auf Freiheit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt habe. Der zweite Beschwerdeführer machte ferner geltend, dass seine
Ingewahrsamnahme gegen sein Recht auf Versammlungsfreiheit verstoßen habe. Die beiden Beschwerdeführer trugen vor, dass die Wertung, die Transparentaufschriften riefen andere Demonstranten auf, die Gefängnisse zu stürmen
und die Gefangenen zu befreien, lebensfremd sei. Die Transparente hätten sich an die Polizei, die bereits viele Globalisierungsgegner festgenommen gehabt habe, an die Teilnehmer des G8-Gipfels und an die Allgemeinheit gerichtet
und nicht zu gewalttätigen Handlungen aufgefordert. Die Beschwerdeführer hoben überdies hervor, dass sie nicht vorbestraft seien. Der zweite Beschwerdeführer trug insbesondere vor, dass das gegen ihn wegen gefährlichen Eingriffs
in den Bahnverkehr eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.
26. Diese Beschwerden wurden anfangs unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1195/07 bzw. 2 BvR 1196/07 geführt. Am 8. Juni 2007 teilte der Bericht erstattende Richter des Bundesverfassungsgerichts den Bevollmächtigten der
Beschwerdeführer telefonisch mit, dass das Bundesverfassungsgericht keine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung treffen werde.
27. Die Beschwerdeführer wurden am 9. Juni 2007 um 12.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.
28. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer vom 6. Juni 2007 wurden nach ihrer Freilassung als erledigt betrachtet.
29. Obwohl sie mittlerweile freigelassen worden waren, beantragten die Beschwerdeführer am 6. Juli 2007 beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung, dass ihre Ingewahrsamnahme verfassungswidrig gewesen sei. Daraufhin
wurden ihre Verfassungsbeschwerden neu registriert (2 BvR 1521/07 bzw. 2 BvR 1520/07).
30. Am 6. August 2007 lehnte es das Bundesverfassungsgericht mit zwei gesonderten Beschlüssen ohne Begründung ab, die Verfassungsbeschwerden des ersten und zweiten Beschwerdeführers zur Entscheidung
anzunehmen (Az.: 2 BvR 1521/07 bzw. 2 BvR 1520/07).
31. Die Entscheidung wurde der Bevollmächtigten des ersten Beschwerdeführers am 14. August 2007 und der Bevollmächtigten des zweiten Beschwerdeführers am 13. August 2007 zugestellt.
C. Weitere Entwicklungen
32. Das gegen den ersten Beschwerdeführer wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bei der Feststellung seiner Personalien am 3. Juni 2007 eingeleitete Strafverfahren wurde gegen Zahlung eines Betrags von 200 Euro
eingestellt. Das wegen derselben Straftat gegen den zweiten Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.
33. Die Beschwerdeführer brachten vor, einer der an ihrer Ingewahrsamnahme beteiligten Polizeibeamten sei später in einer anderen Angelegenheit der Körperverletzung im Amt schuldig befunden worden. Das Verfahren sei in der
Berufungsinstanz noch anhängig. Die Regierung hat zu diesem Punkt nicht Stellung genommen.
34. Ein Strafverfahren wegen Aufforderung zur Gefangenenbefreiung wurde gegen die Beschwerdeführer nicht eingeleitet.
35. Am 20. Dezember 2007 verwarf das Oberlandesgericht Rostock die Anhörungsrügen der Beschwerdeführer.
36. Am 1. bzw. 3. Mai 2008 beschloss das BVG, die erneuten Verfassungsbeschwerden des ersten (2 BvR 538/08) und des zweiten Beschwerdeführers (2 BvR 164/08) nicht zur Entscheidung anzunehmen. In ihren Beschwerden hatten
sich die Beschwerdeführer insbesondere auf ihr Recht auf Freiheit, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit berufen.
II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT
A. Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern („das SOG M-V")
37. § 55 Absatz 1 SOG M-V, soweit maßgeblich, lautet:
„Eine Person kann nur in Gewahrsam genommen werden, wenn dies
1. ... ;
2. unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern; die Annahme, dass eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere
darauf stützen, dass
a) sie die Begehung der Tat ankündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung sich führt;
...
c) sie bereits in der Vergangenheit aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von Straftaten […] angetroffen worden ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist […]"
38. Nach § 56 Abs. 5 SOG M-V hat die Polizei, wenn sie eine Person in Gewahrsam nimmt, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen. In der richterlichen
Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer des Gewahrsams zu bestimmen; sie darf in den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 zehn Tage nicht überschreiten. Für die Entscheidung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person
in Gewahrsam genommen worden ist.
39. Nach § 52 SOG M-V können die Behörden zur Abwehr einer konkreten Gefahr eine Person von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten (Platzverweisung). Rechtfertigen Tatsachen die
Annahme, dass diese Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr bis zu einer Dauer von zehn Wochen untersagt werden, diesen Bereich zu betreten.
40. Nach § 61 Abs. 1 SOG M-V kann eine Sache nur sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Nr. 1) oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme
rechtfertigen, dass sie zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verwendet werden soll (Nr. 4).
B. Das Strafgesetzbuch (StGB)
41. Nach § 120 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert. Nach § 120 Abs. 3 ist der Versuch strafbar.
C. Die Strafprozessordnung
42. §§ 112 ff. StPO behandeln die Untersuchungshaft. Nach § 112 Abs. 1 StPO darf die Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf
nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
I. VERBINDUNG DER BESCHWERDEN
43. Da sich die beiden in Rede stehenden Individualbeschwerden auf zwei Verfahren beziehen, die denselben Gegenstand hatten, nämlich die Präventivhaft der Beschwerdeführer während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm,
beschließt der Gerichtshof, die Individualbeschwerden zu verbinden (Artikel 42 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABSATZ 1 DER KONVENTION
44. Die Beschwerdeführer rügten, dass ihre Präventivhaft während des G8-Gipfels Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung wegen Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu
der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; ..."
45. Die Regierung bestritt dieses Vorbringen.
A. Zulässigkeit
46. Die Regierung war der Auffassung, dass die Beschwerdeführer die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht dem Erfordernis aus Artikel 35 Abs. 1 der Konvention entsprechend erschöpft hätten. Sie hätten vor Erhebung der
Individualbeschwerden keine Klage auf Entschädigung für ihre angeblich unrechtmäßige Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 5 der Konvention erhoben. Die Regierung räumte ein, dass die Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer
Ingewahrsamnahme von allen verfügbaren Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hätten. Ihr primäres Ziel - die Freilassung aus dem Gewahrsam - hätte sich nach ihrer Entlassung am 9. Juni 2007 erledigt. Danach hätten sie nur noch eine
Ersatzleistung durch den Staat erlangen können.
47. Die Beschwerdeführer bestritten diese Auffassung. Sie hätten sowohl in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme vor den Rostocker Gerichten als auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht
vorgebracht, dass ihre Ingewahrsamnahme gegen ihre Grundrechte verstoßen habe. Ein zivilgerichtliches Entschädigungsverfahren wäre nicht umfassend genug gewesen und es wäre auch kein wirksames Rechtsmittel gewesen, um
eine zügige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme zu erwirken und im Falle der Unrechtmäßigkeit dieser Freiheitsentziehung ihre Freilassung durchzusetzen. Darüber hinaus hätte eine
Entschädigungsforderung keine Erfolgsaussichten gehabt, nachdem die Ingewahrsamnahme von den Rostocker Gerichten in dem in Rede stehenden Verfahren für rechtmäßig erachtet worden sei. Es sei kein einziger Fall bekannt, in
dem die Zivilgerichte in einem Entschädigungsverfahren einer früheren Entscheidung der Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung einer Person nicht gefolgt wären. Unter diesen Umständen seien die
Beschwerdeführer nicht verpflichtet gewesen, zusätzlich zu dem Verfahren, mit dem sie die Rechtmäßigkeit ihrer Ingewahrsamnahme angefochten hätten, von einem weiteren Rechtsbehelf Gebrauch zu machen.
48. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Regel der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs nach Artikel 35 Abs. 1 der Konvention die Beschwerdeführer verpflichtet, zunächst von den ihnen nach ihrer
innerstaatlichen Rechtsordnung normalerweise zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, die solcher Art sind, dass den behaupteten Verletzungen abgeholfen werden kann (siehe u. a. Akdivar u . a. ./. Türkei, 16.
September 1996, Rdnr. 66, Urteils- und Entscheidungssammlung 1996-IV; und Aksoy ./. Türkei, 18. Dezember 1996, Rdnr. 62, Sammlung 1996-VI).
49. Nach der ständigen Rechtsprechung der Konventionsorgane ist eine Entschädigungsklage in einem Fall, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung geht, kein Rechtsbehelf, der erschöpft werden müsste, denn das
Recht auf gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung und das Recht auf Erhalt einer Entschädigung für eine mit Artikel 5 nicht vereinbare Freiheitsentziehung sind zwei getrennte Rechte (siehe u. a. W?och v.
Poland, Individualbeschwerde Nr. 27785/95, Rdnr. 90, ECHR 2000-XI; Belchev ./. Bulgarien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 39270/98, 6. Februar 2003; und Khadisov und Tsechoyev ./. Russland, Individualbeschwerde Nr.
21519/02, Rdnr. 151, 5. Februar 2009, mit weiteren Verweisen). In Artikel 5 Abs. 1 der Konvention geht es um das erstgenannte, und in Artikel 5 Abs. 5 um das letztgenannte Recht (Khadisov und Tsechoyev, a.a.O. Rndr. 151).
50. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof gerügt haben, dass ihre Präventivhaft während des G8-Gipfels Artikel 5 Abs. 1 verletzt habe, und dass sie die Rechtmäßigkeit der Anordnung der
Ingewahrsamnahme zuvor vor allen zuständigen innerstaatlichen Gerichten gerügt hatten. Nach seiner Rechtsprechung haben sie im Hinblick auf ihre Rüge nach Artikel 5 Abs. 1 den innerstaatlichen Rechtsweg daher erschöpft. Die
Einrede der Regierung wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs ist daher zurückzuweisen.
51. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass diese Beschwerde nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für
zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
a) Die Beschwerdeführer
52. Die Beschwerdeführer brachten vor, dass ihre Freiheitsentziehung im Zeitraum vom 3. bis 9. Juni 2007 gegen Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verstoßen habe. Sie sei nach keinem der Buchstaben dieser Bestimmung gerechtfertigt gewesen.
53. Die Beschwerdeführer brachten insbesondere vor, dass ihre Freiheitsentziehung nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt gewesen sei, weil dieser eine rein präventive Freiheitsentziehung nicht zulasse. Ihre
Freiheitsentziehung sei nicht im Zusammenhang mit einem Strafverfahren erfolgt, wie dies gemäß der Auslegung dieser Bestimmung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich sei (sie bezogen sich u. a. auf Jec(ius ./.
Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnr. 50, ECHR 2000-IX). Dies werde dadurch belegt, dass ihre Freiheitsentziehung sich nicht auf § 112 StPO gestützt habe, der die Untersuchungshaft betreffe (siehe Rdnr. 42).
Vielmehr hätten die Gerichte ihre Freiheitsentziehung auf §§ 55 und 56 SOG M-V gestützt; diese regelten die Präventivhaft, die nicht mit einem Strafverfahren in Verbindung stehe.
54. Darüber hinaus brachten die Beschwerdeführer vor, ihre Freiheitsentziehung habe nicht darauf abgezielt, sie unverzüglich einem Richter vorzuführen und wegen potentieller künftiger Straftaten vor Gericht zu stellen, wie dies nach
Artikel 5 Abs. 3 i. V. m. Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c erforderlich sei. Auch habe nicht gemäß der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c begründeter Anlass zu der Annahme bestanden, dass die Freiheitsentziehung
notwendig sei, um sie an der Begehung einer Straftat zu hindern. Ihre potentiellen Straftaten seien nicht, wie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich, mit einem angemessenen Maß an Spezifität insbesondere
hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung und ihrer Opfer beschrieben worden (sie beriefen sich u. a. auf M. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnr. 102, 17. Dezember 2009).
55. Die Beschwerdeführer brachten ferner vor, dass ihre Freiheitsentziehung auch nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b gerechtfertigt gewesen sei. Es habe keine gerichtliche Anordnung gegeben, die die Beschwerdeführer nicht
erfüllt hätten. Sie hätten auch keiner Verpflichtung unterlegen, die sie nicht erfüllt hätten. Selbst wenn sie die in dem Lieferwagen beschlagnahmten Transparente gezeigt hätten, hätten sie keine Straftat begangen.
56. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer erfüllte ihre Freiheitsentziehung mangels „Verurteilung" auch nicht die Anforderungen von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a.
57. Darüber hinaus sei ihre Freiheitsentziehung nicht „rechtmäßig" gewesen, wie nach Artikel 5 Abs. 1 erforderlich. § 55 Abs. 1 SOG M-V, auf den ihre Freiheitsentziehung gestützt worden sei, sei nicht so konkret gewesen, dass sie
hätten vorhersehen können, dass sie wegen ihres Verhaltens mit einer Freiheitsentziehung zu rechnen hätten. Darüber hinaus sei die Bestimmung nicht korrekt angewandt worden. Es habe nichts darauf hingedeutet, dass die
Beschwerdeführer im Begriff gewesen seien, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort eine bestimmte Straftat zu begehen. Selbst wenn man, obwohl die Beschwerdeführer selbst von den Polizisten geschlagen worden seien,
annehme, dass der erste Beschwerde einem Polizeibeamten auf den Arm geschlagen und ihm ans Schienbein getreten habe, rechtfertige dies nicht die Schlussfolgerung, dass beide Beschwerdeführer dabei gewesen seien, eine weitere,
ganz andere Straftat, nämlich die gewaltsame Befreiung von Gefangenen, zu begehen. Aber selbst wenn die Beschwerdeführer die Transparente gezeigt hätten, wäre dies in jedem Fall nicht unrechtmäßig gewesen. Die Aufschriften
hätten nicht dazu aufgefordert, Gewalttaten zu begehen oder jemandem zu schaden. In diesem Zusammenhang betonten die Beschwerdeführer, ihre Rechtsanwältinnen hätten die verschiedenen möglichen Bedeutungen der Losungen
auf den Transparenten sowohl in der Anhörung vor dem Landgericht als auch in der Begründung ihrer sofortigen weiteren Beschwerde erläutert.
58. Darüber hinaus sei die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer auch nicht unerlässlich gewesen, um eine unmittelbar bevorstehende gewaltsame Gefangenenbefreiung oder einen Aufruf zur Gefangenenbefreiung zu verhindern.
Es habe nichts darauf hingedeutet, dass die Beschwerdeführer, die keine Werkzeuge bei sich gehabt hätten, die zur Befreiung von Gefangenen hätten dienen können, im Begriff gewesen seien, die Justizvollzugsanstalt Waldeck, eine
Hochsicherungseinrichtung, anzugreifen. Auf dem Parkplatz habe es keine Menschenmenge gegeben, die man hätte dazu anstiften können, gewaltsam Gefangene dieser Justizvollzugsanstalt zu befreien. Die Annahme, die
Beschwerdeführer könnten die Transparente bei einer nicht näher bestimmten Demonstration verwenden, an der eventuell gewaltbereite Personen teilnähmen, reiche für die nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V erforderliche
Schlussfolgerung, die Begehung einer Straftat stehe unmittelbar bevor, nicht aus. Die Beschwerdeführer brachten weiter vor, dass entgegen dem Vorbringen der Regierung keines der innerstaatlichen Gerichte die Ansicht geäußert
habe, die Beschwerdeführer selbst hätten beabsichtigt, gewaltsam Gefangene zu befreien. Die Gerichte hätten nur vorgebracht, es gebe Grund zu der Annahme, die Beschwerdeführer hätten beabsichtigt, andere dazu anzustiften.
59. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei auch willkürlich gewesen, denn sie sei zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht notwendig gewesen. Die Polizei hätte den Beschwerdeführern einfach nach § 52 SOG M-V
verbieten können, das Gebiet zu betreten, in dem die G8-Demonstrationen stattgefunden hätten (siehe Rdnr. 39). Alternativ hätten sie auch nach § 61 SOG M-V die Transparente beschlagnahmen können (siehe Rdnr. 40). Den
Beschwerdeführern wäre dann bewusst gewesen, dass die Polizei die Losungen für unrechtmäßig halte. In Anbetracht der abschreckenden Wirkung einer solchen polizeilichen Maßnahme hätte entgegen dem Vorbringen der Regierung
nicht davon ausgegangen werden dürfen, dass die Beschwerdeführer ähnliche Transparente neu hergestellt und benutzt hätten. Da es während der gesamten Woche des G8-Gipfels zu keinen weiteren gewalttätigen Demonstrationen
gekommen sei, sei die sechstägige Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer unverhältnismäßig gewesen. Sie wiesen in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, dass die sieben Weißrussen, die sich ebenfalls in dem Transporter
befunden hätten, als die Beschwerdeführer festgenommen worden seien, und denen die Transparente ebenfalls hätten gehören können, nicht in Gewahrsam genommen worden seien.
b) Die Regierung
60. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer mit Artikel 5 Abs. 1 der Konvention vereinbar gewesen sei. Sie sei nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c als
Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig sei, die Beschwerdeführer an der Begehung einer Straftat zu hindern, gerechtfertigt gewesen.
61. Die Regierung widersprach dem Vorbringen der Beschwerdeführer, die Präventivhaft sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention nur im Zusammenhang mit einem Strafverfahren zulässig, ihre Freiheitsentziehung sei
jedoch außerhalb eines Strafverfahrens erfolgt und die bis dahin begangenen Handlungen zur Vorbereitung der gewaltsamen Gefangenenbefreiung oder des Aufrufs dazu seien straffrei gewesen. Die Regierung brachte vor, dass die
Präventivhaft nach dem Wortlaut der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt sei, wenn sie notwendig sei, um eine Personen an der Begehung einer konkreten und spezifischen Straftat zu hindern, die, wenn
sie begangen würde, zu einem Strafverfahren führen würde. Es sei nicht erforderlich, dass die betreffende Person bereits eine Straftat begangen habe; andernfalls wäre es überflüssig, neben der ersten Alternative von Artikel 5 Abs. 1
Buchstabe c noch eine zweite Alternative aufzuführen. Artikel 5 Abs. 3 der Konvention sei im Lichte von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c dahingehend auszulegen, dass eine unverzügliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Freiheitsentziehung erforderlich sei: Ein Strafverfahren sei nicht notwendig, da der Person keine Straftat zur Last gelegt werde.
62. Die Regierung brachte weiter vor, dass eine solche Präventivhaft in Deutschland erforderlich sei, da Vorbereitungshandlungen entgegen dem in anderen Vertragsstaaten der Konvention anwendbaren Strafrecht in Deutschland in
der Regel nicht strafbar seien. Dies diene dazu, potentielle Straftäter von ihren Plänen, eine Straftat zu begehen, abzubringen. Ohne die Möglichkeit, Personen präventiv in Gewahrsam zu nehmen, könnte der Staat daher seine positive
Verpflichtung, seine Bürger vor bevorstehenden Straftaten zu schützen - zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Transport von Castorbehältern oder bei Hooligans, die Vorbereitungen für eine geplante Schlägerei treffen - nicht erfüllen.
63. Unter Bezugnahme auf die Rechtssache Guzzardi ./. Italien (6. November 1980, Rdnr. 102, Band A Nr. 39) brachte die Regierung vor, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c
gerechtfertigt gewesen sei. Bestimmte Tatsachen hätten die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass es notwendig gewesen sei, sie daran zu hindern, in der unmittelbaren Zukunft eine Straftat zu begehen. Die Beschwerdeführer seien
einen Tag nach gewalttätigen Ausschreitungen in der Innenstadt von Rostock gemeinsam mit sieben anderen Personen auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Waldeck bei einem Transporter stehend angetroffen worden. Der
erste Beschwerdeführer habe bei der Identitätsfeststellung durch Polizeibeamte gewaltsam Widerstand geleistet. Die Polizei habe Transparente mit der Aufschrift „freedom for all prisoners" und „free all now" in dem Transporter
gefunden. Unter diesen Umständen hätten die Polizeibeamten davon ausgehen dürfen, dass die Beschwerdeführer im Begriff seien, sich den in Rostock stattfindenden Demonstrationen anzuschließen und die Transparente den
Demonstrationsteilnehmern, von denen einige gewalttätig gewesen seien, zu zeigen. Dies wäre einem Aufruf zur nach § 120 StGB strafbaren Gefangenenbefreiung gleichgekommen.
64. Die Regierung brachte vor, es könne als naheliegend angesehen werden, den Wortlaut des Transparents mit der Aufschrift „free all now" eher als an andere Demonstranten gerichteter Aufruf zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung
zu verstehen als im Sinne eines Appells an die staatlichen Stellen, ihre Freilassung anzuordnen. Der erste Beschwerdeführer habe gewaltsam Widerstand gegen die Identitätsfeststellung geleistet und gegen den zweiten
Beschwerdeführer sei bereits wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit dem Transport von Castor-Behältern ermittelt worden. Daher sei anzunehmen gewesen, dass die Beschwerdeführer beabsichtigt
hätten, den Gipfel mit gewaltsamen Mitteln zu stören und andere in Rostock anwesende gewalttätige Demonstranten dazu anzustiften, Personen, die in den in der Innenstadt errichteten Gefangenensammelstellen festgehalten oder
während einer Demonstration festgenommen worden seien, gewaltsam zu befreien. Die Beschwerdeführer hätten in dem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten auch nicht dargelegt, dass die Aufschriften auf ihren Transparenten
eine andere Bedeutung gehabt hätten.
65. Die Regierung brachte ferner vor, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b gerechtfertigt gewesen sei. Sie sei notwendig gewesen, um die Erfüllung einer gesetzlich
vorgeschriebenen Verpflichtung sicherzustellen. Im Hinblick auf die Umstände der Rechtssache sei es sicher, dass die Beschwerdeführer einer Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei
einem Polizeirevier an ihrem Wohnort zu melden, oder einem Platzverweis, der es ihnen untersagt hätte, ein bestimmtes Gebiet zu betreten, nicht nachgekommen wären. Die Beschwerdeführer seien mehrere Hundert Kilometer
gefahren, um zum Ort des G8-Gipfels zu kommen, und hätten bei der Identitätsfeststellung Widerstand geleistet. Somit hätten sie belegt, dass sie polizeiliche Aufforderungen nicht befolgen würden. Unter Berücksichtigung der
vorliegenden Ausnahmesituation sei es nicht erforderlich gewesen, zu warten, bis die Beschwerdeführer tatsächlich gegen eine solche Anordnung verstoßen hätten. Angesichts der Masse der anwesenden Demonstranten hätten die
Beschwerdeführer dann nicht mehr von der Begehung von Straftaten abgehalten werden können. Daher konnten die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtung zur Befolgung einer solchen Anordnung und das Verhindern von
konkreten Straftaten nur durch ihre sofortige Ingewahrsamnahme sichergestellt werden.
66. Nach dem Vorbringen der Regierung war die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nach der Anordnung des Gewahrsams durch das Amtsgericht auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a gerechtfertigt. Die Regierung brachte
vor, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „Verurteilung" entgegen der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur strafrechtliche Verurteilungen, sondern auch richterliche Entscheidungen umfasse, mit denen Präventivhaft
angeordnet werde.
67. Die Regierung brachte weiter vor, die Freiheitsentziehung sei rechtmäßig gewesen und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erfolgt. Sie habe sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gestützt. Die Freiheitsentziehung des zweiten
Beschwerdeführers, der 2002 wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr festgenommen worden sei, habe sich zusätzlich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2c SOG M-V gestützt.
68. Nach Auffassung der Regierung war der Gewahrsam der Beschwerdeführer auch verhältnismäßig und nicht willkürlich. Es hätten keine milderen Mittel zur Verfügung gestanden, um sie während der gesamten Dauer des
G8-Gipfels an der Gefangenenbefreiung bzw. der Anstiftung dazu zu hindern. Wie bereits dargelegt worden sei (siehe Rdnr. 65), wäre eine Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in regelmäßigen Abständen bei einem
Polizeirevier außerhalb des G8-Bereichs zu melden, nicht ausreichend gewesen, um sie an der Begehung einer Straftat zu hindern. Aus denselben zuvor dargelegten Gründen wäre ein Platzverweis, mit dem es ihnen verboten worden
wäre, ein bestimmtes Gebiet - das des G8-Gipfels - zu betreten, zur Abwehr der Straftat nicht geeignet gewesen. Dasselbe gelte für die Beschlagnahme der Transparente, die die Beschwerdeführer neu hätten herstellen können.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze
69. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung in Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a bis f enthalten ist und eine Freiheitsentziehung nur rechtmäßig sein kann, wenn
sie von einem dieser Gründe erfasst wird (siehe u. a. Guzzardi ./. Italien, 6. November 1980, Rdnr. 96, Serie A Band 39; Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 49, ECHR 2000-III; und Saadi ./. Vereinigtes
Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 13229/03, Rdnr. 43, ECHR 2008-…).
70. Nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c kann die Freiheitsentziehung einer Person gerechtfertigt sein, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat zu hindern". Dieser
Grund für die Freiheitsentziehung bietet den Vertragsstaaten lediglich ein Mittel zur Verhütung einer, insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung und ihres Opfers bzw. ihrer Opfer (siehe M. ./. Germany,
Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 89 und 102, 17. Dezember 2009), konkreten und spezifischen Straftat (siehe Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 102; Ciulla ./. Italien, 22. Februar 1989, Rdnr. 40, Serie A Band 148; und Shimovolos ./.
Russland, Individualbeschwerde Nr. 30194/09, Rdnr. 54, 21. June 2011 (noch nicht endgültig)). Dies ergibt sich sowohl aus dem Gebrauch des Singulars („einer Straftat") als auch aus dem Ziel von Artikel 5, nämlich sicherzustellen,
dass niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird (siehe Guzzardi, a.a.O.; und M. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 89).
71. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Freiheitsentziehung, mit der eine Person an der Begehung einer Straftat gehindert werden soll, zusätzlich „zum Zweck der Vorführung vor die zuständige
Gerichtsbehörde" erfolgen; diese Anforderung bezieht sich auf jede Kategorie der Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c (siehe Lawless ./. Irland (Nr. 3), 1. Juli 1961, S. 51-53, Rdnr. 14, Serie A Band 3, und,
sinngemäß, Jec(ius ./. Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnrn. 50-51, ECHR 2000-IX, und Engel u. a. ./. die Niederlande, 8. Juni 1976, Rdnr. 69, Serie A Band 22).
72. Daher ist die Freiheitsentziehung nach Buchstabe c nur in Verbindung mit einem Strafverfahren zulässig (siehe Jec(ius, a.a.O., Rdnr. 50). Die Untersuchungshaft fällt unter diese Bestimmung (siehe Ciualla, a.a.O., Rdnrn. 38-40).
Dies ergibt sich aus Wortlaut, der zusammen mit Buchstabe a sowie mit Absatz 3 zu betrachten ist und mit diesen zusammen ein Ganzes bildet (siehe u.a. Ciualla, a.a.O., Rdnr. 38; und E. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr.
77909/01, Rdnr. 35, 24. März 2005). Nach Artikel 5 Abs. 32 muss jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentzug betroffen ist, unverzüglich einem Richter vorgeführt werden - unter allen in Absatz 1
Buchstabe c erfassten Umständen - und hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (siehe auch Lawless, a.a.O., S. 51-53; Rdnr. 14).
73. Darüber hinaus ist die Freiheitsentziehung nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b zulässig zur „Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung". Diese Bestimmung erfasst die Fälle, in denen es
gesetzlich zulässig ist, einer Person die Freiheit zu entziehen, um sie dazu zu zwingen, eine ihr bereits obliegende tatsächliche und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der sie bisher noch nicht nachgekommen ist (Engel und andere,
a.a.O., Rdnr. 69; Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 101; Ciulla, a.a.O., Rdnr. 36; und E., a.a.O., Rdnr. 37). Festnahme und Freiheitsentzug müssen erfolgen, um die Erfüllung der Verpflichtung zu erzwingen, und dürfen keinen Strafcharakter
aufweisen (siehe Gatt ./. Malta, Individualbeschwerde Nr. 28221/08, Rdnr. 46, ECHR 2010-…). Sobald die entsprechende Verpflichtung erfüllt wurde, entfällt die Grundlage für die Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 1
Buchstabe b (Vasileva ./. Dänemark, Individualbeschwerde Nr. 52792/99, Rdnr. 36, 25. September 2003; und E., a.a.O., Rdnr. 37). Diese Bestimmung rechtfertigt beispielsweise nicht die administrative Freiheitsentziehung, mit der
eine Person gezwungen werden soll, ihre allgemeine Verpflichtung zur Befolgung der Gesetze zu erfüllen (Engel u. a., a.a.O, Rdnr. 69). Schließlich muss zwischen der Bedeutung, die der Sicherstellung der sofortigen Erfüllung der
fraglichen Verpflichtung in einer demokratischen Gesellschaft zukommt, und der Bedeutung des Rechts auf Freiheit ein Ausgleich herbeigeführt werden (Vasileva, a.a.O, Rdnr. 37; und E., a.a.O., Rdnr.37).
74. Im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a ist der Begriff „Verurteilung" (englisch: „conviction") unter Berücksichtigung des französischen Textes („condamnation") so zu verstehen, dass er sowohl eine Schuldfeststellung
bezeichnet, nachdem das Vorliegen einer Straftat in der gesetzlich vorgesehenen Weise festgestellt wurde (s. Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 100), als auch die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme
(siehe Van Droogenbroeck ./. Belgien, 24. Juni 1982, Rdnr. 35, Serie A Band 50; und M. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 87).
b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache
75. Der Gerichtshof hat zunächst darüber zu entscheiden, ob die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer nach § 55 Abs.1 Nr. 2 SOG M-V, mit der diese an der Begehung einer Straftat gehindert werden sollten, von einem der in
Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a bis f aufgeführten Gründe für die Freiheitsentziehung erfasst wird.
76. Der Gerichtshof weist auf das Vorbringen der Regierung hin, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei zunächst nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt gewesen. Darüber hinaus stellt er fest, dass die
Beschwerdeführer dadurch, dass sie im Besitz zusammengerollter Transparente mit den Aufschriften „freedom for all prisoners" und „free all now" waren, noch keine Straftat begangen hatten und ihnen danach niemals eine Straftat
des Aufrufs zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung zur Last gelegt wurde. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Ihre Freiheitsentziehung ist daher nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c -
Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig sei, die Beschwerdeführer an der Begehung einer Straftat zu hindern - zu prüfen.
77. Bei der Entscheidung darüber, ob die Straftat, an deren Begehung die Behörden die Beschwerdeführer zu hindern versuchten, als hinreichend konkret und spezifisch angesehen werden kann, wie dies nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung sowie ihres Opfers bzw. ihrer Opfer erforderlich ist (siehe Rdnr. 70), stellt der Gerichthof fest, dass die innerstaatlichen Gerichte hinsichtlich der
spezifischen Straftat, die zu begehen die Beschwerdeführer im Begriff waren, anscheinend unterschiedlicher Auffassung waren. Das Amtsgericht Rostock und die Landgerichte waren anscheinend der Ansicht, dass die
Beschwerdeführer mit Hilfe der beschlagnahmten Transparente beabsichtigt hatten, andere dazu anstiften, Gefangene der Justizvollzugsanstalt Waldeck gewaltsam zu befreien (siehe Rdnrn. 14 und 17). Dies wurde daraus geschlossen,
dass sich die Beschwerdeführer auf dem Parkplatz vor dieser Justizvollzugsanstalt aufhielten, wo sich jedoch außer den sieben Insassen des Transporters sonst niemand aufhielt (siehe Rdnr. 12). Im Gegensatz dazu war das
Oberlandesgericht Rostock der Auffassung, die Beschwerdeführer hätten nach Rostock fahren, die Transparente bei den dort stattfindenden teilweise gewalttätigen Demonstrationen zeigen und somit die in Rostock anwesende Menge
zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung anstiften wollen (siehe Rdnr. 19).
78. Zusätzlich kommt der Gerichtshof bei der Entscheidung darüber, ob die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer „wegen begründete[n] Anlasses zu der Annahme, dass es notwendig" sei, sie daran zu hindern, andere zur
gewaltsamen Gefangenenbefreiung anzustiften, nicht umhin, festzustellen, dass den Beschwerdeführern fünfeinhalb Tage lang, also für einen beträchtlichen Zeitraum, zu präventiven Zwecken die Freiheit entzogen war. Darüber hinaus
konnten, wie das Oberlandesgericht ebenfalls eingeräumt hat (siehe Rdnr. 22), die Aufschriften auf den Transparenten unterschiedlich interpretiert werden. Die Beschwerdeführer, die in dem Verfahren anwaltlich vertreten waren,
hatten erläutert, dass die Losungen sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die zahlreichen Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden, und nicht dazu dienen sollten,
andere zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung aufzufordern. Es ist auch unstreitig, dass die Beschwerdeführer selbst keine Werkzeuge mit sich führten, die zu einer gewaltsamen Gefangenenbefreiung hätten dienen können. Unter
diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht überzeugt, dass ihre fortdauernde Freiheitsentziehung wegen begründeten Anlasses zu der Annahme, es sei notwendig, die Beschwerdeführer an der Begehung einer hinreichend konkreten
und spezifischen Straftat zu hindern, als notwendig angesehen werden kann. Der Gerichtshof ist auch deswegen nicht davon überzeugt, dass es notwendig war, den Beschwerdeführern die Freiheit zu entziehen, da es in jedem Fall
ausgereicht hätte, die fraglichen Transparente zu beschlagnahmen, um die Beschwerdeführer auf mögliche negative Folgen hinzuweisen und sie daran zu hindern, andere - fahrlässig - zur Gefangenenbefreiung anzustiften.
79. Der Gerichtshof nimmt darüber hinaus auf seine ständige Rechtsprechung Bezug, nach der die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nur dann nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c zu rechtfertigen wäre, wenn sie den Zweck
verfolgt hätte, sie im Verlauf ihrer Untersuchungshaft der zuständigen Gerichtsbehörde vorzuführen, und darauf ausgerichtet gewesen wäre, sie einem Strafverfahren zuzuführen (siehe Rdnrn. 71 - 72). In Anbetracht seiner bereits
getroffenen Feststellung, dass die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache begründeterweise nicht als notwendig angesehen werden konnte, hält der Gerichtshof es jedoch nicht für
erforderlich, auf die detaillierten Vorbringen der Parteien zu diesem Punkt, insbesondere die Argumente der Regierung, mit denen für eine Überprüfung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs plädiert wird, einzugehen.
80. Demnach war die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe c gerechtfertigt.
81. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die Regierung vorgebracht hat, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b „zur Erzwingung einer gesetzlichen Verpflichtung" gerechtfertigt
gewesen. Die Beschwerdeführer wären weder eine Meldeauflage, die sie verpflichtet hätte, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei einem Polizeirevier an ihrem jeweiligen Wohnort, noch einem Platzverweis, der ihnen verboten
hätte, das Gebiet zu betreten, an dem die Demonstrationen anlässlich des G8-Gipfel stattgefunden hätten, nachgekommen. Es sei daher gerechtfertigt gewesen, durch ihre Ingewahrsamnahme sicherzustellen, dass sie eine derartige
Anordnung einhielten. Diesbezüglich kommt der Gerichtshof nicht umhin, festzustellen, dass die Polizei den Beschwerdeführern tatsächlich weder die Anordnung erteilte, sich in regelmäßigen Abständen bei einem Polizeirevier an
ihrem Wohnort zu melden, noch ihnen verbot, das Gebiet zu betreten, in dem die G8-Demonstrationen stattfanden. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b
der „gesetzlichen Verpflichtung" unterlegen hätten, sich bei einem Polizeirevier zu melden oder das Gebiet der G8-Demonstrationen nicht zu betreten, und diese Verpflichtung nicht erfüllt hätten.
82. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Regierung weiter vorbrachte, den Beschwerdeführer sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b die Freiheit entzogen worden, um sicherzustellen, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen würden,
eine bestimmte Straftat - die Anstiftung anderer Personen zur Gefangenenbefreiung - nicht zu begehen. Diesbezüglich nimmt der Gerichtshof auf seine bereits erwähnte Rechtsprechung Bezug, die besagt, dass die „gesetzliche
Verpflichtung" im Sinne der genannten Bestimmung real und spezifisch und der betreffenden Person bereits auferlegt sein muss und dass diese Person die Verpflichtung zum Zeitpunkt des Freiheitsentzugs noch nicht erfüllt haben darf
(siehe Rdnr. 73). Er stellt fest, dass die Beschwerdeführer nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V in Gewahrsam genommen wurden, der die Ingewahrsamnahme erlaubt, wenn „dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende
Begehung […] einer Straftat", wie beispielsweise einer Straftat nach § 120 StGB, „zu verhindern" (siehe Rdnr. 37). Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Verpflichtung, in unmittelbarer Zukunft keine Straftat zu begehen, im
Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht als hinreichend konkret und spezifisch angesehen werden kann, um unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b zu fallen, zumindest nicht, solange keine Anordnung spezifischer Maßnahmen
erging und dieser nicht Folge geleistet wurde. Er stellt in diesem Zusammenhang erneut fest, dass eine weite Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b Auswirkungen hätte, die mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit nicht
vereinbar wären, der die gesamte Konvention geprägt hat (siehe Engel u. a., a.a. O., Rdnr. 69). Darüber hinaus kann nicht vorgebracht werden, dass die Beschwerdeführer ihrer Verpflichtung, keine derartige Straftat zu begehen, zu
einem früheren Zeitpunkt nicht nachgekommen wären. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer war daher auch nicht von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe b erfasst.
83. Der Gerichtshof nimmt weiter zur Kenntnis, dass die Regierung vorbrachte, die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer sei nach dem Beschluss des Amtsgerichts, mit dem es den Gewahrsam der Beschwerdeführer nach § 55
Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V anordnete, auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a gerechtfertigt gewesen. Sie brachte vor, dass diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach auch gerichtliche Entscheidungen, mit denen Präventivhaft angeordnet
werde, umfasse. Der Gerichtshof nimmt jedoch auf seine ständige Rechtsprechung Bezug, nach der eine „Verurteilung" unter Berücksichtigung des französischen Textes („condamnation") so zu verstehen ist, dass sie die Feststellung
einer Schuld für eine Straftat beinhaltet (siehe Rdnr. 74). Er stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte die Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Verfahren keiner Straftat schuldig gesprochen haben. Vielmehr ordneten sie
ihre Freiheitsentziehung an, um sie daran zu hindern, in der Zukunft eine Straftat zu begehen. Somit fiel ihre Freiheitsentziehung nicht unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a.
84. Der Gerichtshof ist der Auffassung - und dies wird von den Parteien nicht bestritten - dass die Präventivhaft der Beschwerdeführer auch nach keinem anderen der Buchstaben von Artikel 5 Abs. 1 gerechtfertigt war.
85. Der Gerichtshof nimmt weiter zur Kenntnis, dass die Regierung vorbrachte, ohne die Möglichkeit, Personen präventiv in Gewahrsam zu nehmen, könnte der Staat seine positive Verpflichtung, seine Bürger vor bevorstehenden
Straftaten zu schützen, nicht erfüllen. In der vorliegen Rechtssache ist jedoch, auch wenn man die allgemeine Situation im Vorfeld und während des G8-Gipfels berücksichtigt, nicht hinreichend dargelegt worden, dass eine
Gefangenenbefreiung unmittelbar bevorgestanden habe. Daher konnte die Begehung dieser Straftat einen Eingriff in das Freiheitsrecht nicht rechtfertigten, zumal weniger einschneidende Maßnahmen hätten ergriffen werden können
(siehe Rdnr. 78). Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Konvention die staatlichen Behörden in jedem Fall verpflichtet, im Rahmen ihrer Befugnisse angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Straftaten vorzubeugen, von
denen sie Kenntnis haben oder haben sollten. Sie erlaubt es einem Staat jedoch nicht, Einzelpersonen vor Straftaten einer Person durch Maßnahmen zu schützen, die gegen die Konventionsrechte dieser Person, insbesondere gegen das
in Artikel 5 Abs. 1 garantierte Recht auf Freiheit, verstoßen, um das es im Fall der Beschwerdeführer geht (siehe J. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 30060/04, Rdnrn. 37-38, 14. April 2011 mit weiteren Verweisen).
86. Folglich ist Artikel 5 Abs.1 der Konvention verletzt worden.
III. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 5 DER KONVENTION
87. Gestützt auf Artikel 5 Abs. 5 der Konvention trug der erste Beschwerdeführer ferner vor, dass eine Klage auf Entschädigung für seine rechtswidrige Freiheitsentziehung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
88. Der Gerichtshof hat die von dem ersten Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge geprüft. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass die Rüge, selbst unter der
Annahme, dass der innerstaatliche Rechtsweg vollständig erschöpft wurde, keine Verletzung von Artikel 5 Abs. 5 erkennen lässt.
89. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.
IV. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 10 UND 11 DER KONVENTION
90. Die Beschwerdeführer brachten darüber hinaus vor, dass ihre Freiheitsentziehung in ihr nach Artikel 10 der Konvention garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung sowie in ihr nach Artikel 11 der Konvention gewährleistetes
Recht auf Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig eingegriffen habe, weil sie sie daran gehindert habe, an den Demonstrationen während des G8-Gipfels teilzunehmen und dort ihre Meinung zu äußern.
91. Artikel 10 und Artikel 11 der Konvention, soweit maßgeblich, lauten:
Artikel 10
„1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und
weiterzugeben. ...
2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer
demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der
Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung."
Artikel 11
„1. Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; …
2. Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung
der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer." ..."
92. Die Regierung bestritt dieses Vorbringen.
A. Zulässigkeit
93. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention ist. Unter Hinweis auf seine vorherigen Feststellungen (siehe Rdnrn. 48-50), stellt er darüber
hinaus fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
a) Die Beschwerdeführer
94. Die Beschwerdeführer brachten vor, dass ihre Ingewahrsamnahme sowohl ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention als auch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 11 der Konvention
verletzt habe. Der mit ihrer Freiheitsentziehung verbundene Eingriff in diese Rechte sei nicht gerechtfertigt gewesen. Er sei nicht „gesetzlich vorgesehen" gewesen und habe aus den in Bezug auf Artikel 5 Abs. 1 dargelegten Gründen
kein rechtmäßiges Ziel verfolgt (siehe Rdnr. 57). Insbesondere sei unklar gewesen, ob, wann und wo die Beschwerdeführer die Transparente „freedom for prisoners" und „free all now" zeigen würden. Darüber hinaus wäre die
Zurschaustellung der Transparente nach dem Strafgesetzbuch auch nicht strafbar gewesen. Die Losungen hätten nicht als Anstiftung zu einer sehr ungewöhnlichen Straftat verstanden werden dürfen, sondern hätten eine andere,
näherliegende Bedeutung gehabt. Da mehr als 1000 Demonstranten im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Gewahrsam genommen worden seien, aber nur 100 Ingewahrsamnahmen gerichtlich gebilligt worden seien, habe es mehr
als genug Grund gegeben, die Freiheitsentziehungen zu kritisieren, die im Zusammenhang mit dem Gipfel stattgefunden hätten.
95. Die Beschwerdeführer brachten weiter vor, ihre Ingewahrsamnahme sei unverhältnismäßig und daher im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 und Artikel 11 Abs. 2 nicht „notwendig" gewesen. Das öffentliche Interesse an der
Verhinderung der ungewissen Begehung einer Straftat zu einer unbestimmten Zeit und an einem unbestimmten Ort habe gegenüber ihrem Interesse an der Bekundung ihres Protests gegen die zahlreichen unrechtmäßigen
Freiheitsentziehungen im Verlauf des G8-Gipfels und an der Teilnahme an Protesten gegen diesen Gipfel nicht überwogen. Bei den Losungen „freedom for all prisoners" und „free all now" handele es sich um bekannte und übliche,
von linksgerichteten Personen in Bezug auf derartige Freiheitsentziehungen verwendete Schlagwörter, die nicht als Aufruf zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung hätten interpretiert werden dürfen. Unter den gegebenen Umständen
habe ihre Freiheitsentziehung eine offene Diskussion über Belange des öffentlichen Interesses verhindert.
b) Die Regierung
96. Die Regierung brachte vor, dass weder Artikel 10 noch Artikel 11 der Konvention verletzt worden sei. Der Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sei gerechtfertigt
gewesen. Er habe sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2a SOG M-V gestützt, eine Bestimmung, die hinreichend konkret gewesen und folglich im Hinblick auf ihre Anwendung auf die Beschwerdeführer vorhersehbar gewesen sei. Er habe
rechtmäßige Ziele verfolgt, da die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer im Interesse der öffentlichen Sicherheit und zur Verhütung von Straftaten erfolgt sei.
97. Die Regierung brachte weiter vor, der Eingriff sei im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 und Artikel 11 Abs. 2 „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" gewesen. Sie betonte, dass zur Erreichung der genannten rechtmäßigen
Ziele keine weniger einschneidenden Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten. Insbesondere hätte es nicht ausgereicht, die fraglichen Transparente zu beschlagnahmen, da die Beschwerdeführer jederzeit neue, vergleichbare
Transparente hätten herstellen und diese während der Demonstrationen in Rostock sofort hätten verwenden können. Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei auch verhältnismäßig gewesen. Am Tag zuvor habe es in Rostock
gewalttätige Ausschreitungen gegeben. Die Beschwerdeführer, die sich gewaltbereit gezeigt hätten, seien auf dem Weg nach Rostock gewesen, um an den Demonstrationen teilzunehmen. Die Befürchtung, die Transparente der
Beschwerdeführer hätten andere gewalttätige Demonstranten dazu anstiften können, in den Gefangenensammelstellen in Rostock festgehaltene Gefangene gewaltsam zu befreien, sei begründet gewesen. Unter diesen Umständen habe
das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführer an der Teilnahme an den Demonstrationen überwogen.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
a) Anwendbarer Konventionsartikel
98. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass der Schutz persönlicher Meinungen, der durch Artikel 10 gewährleistet wird, eines der Ziele des in Artikel 11 der Konvention verankerten Rechts auf Versammlungsfreiheit ist (siehe
Ezelin ./. Frankreich, 26. April 1991, Rdnr. 37, Serie A Band 202; Djavit An ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 20652/92, Rdnr. 39, ECHR 2003-III; Women On Waves u. a. ./. Portugal, Individualbeschwerde Nr. 31276/05, Rdnr.
28, ECHR 2009-. (Auszüge); Barraco ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 31684/05, Rdnr. 27, ECHR 2009-...; und Palomo Sánchez u. a. ./. Spanien [GK], Individualbeschwerden Nrn. 28955/06, 28957/06, 28959/06 und
28964/06, Rdnr. 52, 12. September 2011).
99. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass er in Fällen, in denen die Beschwerdeführer rügten, dass sie daran gehindert worden seien, an Versammlungen teilzunehmen oder bei Versammlungen ihre Ansichten zu äußern, oder dass sie
wegen eines solchen Verhaltens bestraft worden seien, bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht auf Versammlungsfreiheit mehrere Faktoren berücksichtigt hat. In Abhängigkeit
von den Umständen der Rechtssache ist Artikel 11 oft als das lex specialis angesehen worden, das bei Versammlungen Vorrang gegenüber Artikel 10 hat (siehe beispielsweise Ezelin, a.a.O., Rdnr. 35, betreffend eine dem
Beschwerdeführer, einem Juristen, nach der Teilnahme an einer Demonstration gegen zwei Gerichtsentscheidungen auferlegte disziplinarische Sanktion; Osmani u. a. ./. „die frühere jugoslawische Republik Mazedonien" (Entsch.),
Individualbeschwerde Nr. 50841/99, ECHR 2001-X, betreffend die Verurteilung des Beschwerdeführers, eines gewählten Amtsträgers, wegen Aufstachelung zu nationalem Hass durch eine Rede, die er bei einer von ihm organisierten
Versammlung gehalten hatte; Djavit An, a.a.O., Rdnr. 39, betreffend die Weigerung der türkischen und türkisch-zypriotischen Behörden, dem Beschwerdeführer die Überquerung der „Grünen Linie" zu erlauben, um im südlichen Teil
Zyperns an bikommunalen Treffen teilzunehmen; Galystan ./. Armenien, Individualbeschwerde Nr. 26986/03, Rdnr. 95, 15. November 2007, betreffend eine dreitägige Freiheitsentziehung wegen der Teilnahme an einer
Demonstration; und Barraco, a.a.O., Rdnr. 26, betreffend die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Teilnahme an einer verkehrsbehindernden Aktion, die im Rahmen eines gewerkschaftlichen Protesttages durchgeführt wurde).
100. In anderen Fällen ist der Gerichtshof in Anbetracht der jeweiligen besonderen Umstände und der Art und Weise der Formulierung der Rügen zu der Auffassung gelangt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung im Mittelpunkt
der Rügen der jeweiligen Beschwerdeführer lag, und hat deswegen den Fall nur nach Artikel 10 geprüft (siehe z. B. Karademirci u. a. ./. Türkei, Individualbeschwerden Nrn. 37096 und 37101/97, Rdnr. 26, ECHR 2005-I, betreffend
eine strafrechtliche Sanktion wegen des Verlesens einer Erklärung während einer Versammlung vor einer Schule, und Y?lmaz and K?l?ç ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 68514/01, Rdnr. 33, 17. Juli 2008, betreffend die
strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführer wegen der Teilnahme an Demonstrationen zur Unterstützung von Abdullah Öcalan).
101. Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die Vorbringen der Parteien vor dem Gerichtshof in dem vorliegenden Fall zugleich auf Artikel 10 und Artikel 11 bezogen. Er stellt fest, dass die Beschwerdeführer im Wesentlichen rügten,
dass sie wegen ihrer Freiheitsentziehung während der gesamten Dauer des G8-Gipfels nicht in der Lage gewesen seien, ihre Ansichten zusammen mit den anderen Demonstranten zu äußern, die zusammengekommen seien, um gegen
den Gipfel zu demonstrieren. Sie protestierten auch gegen das Verbot, ihre Meinung zur Verhaftung von Demonstranten, wie sie auf ihren Transparenten zum Ausdruck gekommen sei, zu äußern. Der Schwerpunkt ihrer Rügen liegt
jedoch auf dem Recht auf Versammlungsfreiheit, da sie daran gehindert wurden, an den Demonstrationen teilzunehmen und ihre Ansichten zu äußern. Der Gerichtshof wird diesen Teil der Beschwerde daher nur nach Artikel 11
prüfen. Er stellt jedoch fest, dass sich die Frage der freien Meinungsäußerung in dem vorliegenden Fall nicht ganz von der Frage der Versammlungsfreiheit trennen lässt. Ungeachtet seiner autonomen Rolle und seines besonderen
Anwendungsbereichs muss Artikel 11 also auch im Lichte von Artikel 10 betrachtet werden (siehe, sinngemäß, Ezelin, a.a.O. Rdnr. 37).
b) Gab es einen Eingriff in das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln?
102. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer durch die innerstaatlichen Gerichte für die gesamte Dauer des G8-Gipfels angeordneten Ingewahrsamnahme daran gehindert waren, an
Demonstrationen gegen diesen Gipfel teilzunehmen.
103. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 11 der Konvention nur das Recht auf „friedliche Versammlung" schützt. Dieser Begriff deckt keine Demonstration ab, bei der die Organisatoren und Teilnehmer
gewalttätige Absichten haben (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden ./. Bulgarien, Individualbeschwerden Nrn. 29211/95 und 29225/95, Rdnr. 77, ECHR 2001-IX; und Galstyan, a.a.O., Rdnr.
101). Jedoch kann die Möglichkeit, dass gewalttätige Extremisten, die nicht zu den Organisatoren der Demonstration gehören, sich einer Demonstration anschließen, für sich genommen nicht zur Versagung dieses Rechts
führen. Auch wenn die konkrete Gefahr besteht, dass eine öffentliche Demonstration aufgrund von Entwicklungen, die außerhalb der Kontrolle der Organisatoren dieser Demonstration liegen, zu Ausschreitungen führt,
liegt eine solche Demonstration für sich genommen nicht außerhalb des Anwendungsbereichs von Artikel 11 Abs. 1; vielmehr muss jede Einschränkung, der eine solche Versammlung unterworfen wird, mit den
Bestimmungen nach Absatz 2 dieser Bestimmung im Einklang stehen (siehe Christians against Racism and Fascism ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 8440/78, Kommissionsentscheidung vom 16. Juli 1980,
Decisions and Reports (DR) 21, S. 148-149; und, sinngemäß, Ezelin, a.a.O., Rdnr. 41).
104. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführer zur Zeit ihrer Festnahme die Absicht hatten, an künftigen Demonstrationen gegen den G8-Gipfel teilzunehmen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Organisatoren der
Demonstrationen, an denen die Beschwerdeführer teilnehmen wollten, gewalttätige Absichten hatten. Wie oben dargelegt worden ist (Rdnrn. 8 und 103), führt die Tatsache, dass die Polizei damit rechnete, dass sich auch Extremisten
mit gewalttätigen Absichten den ansonsten friedlichen Demonstrationen anschließen würden, nicht dazu, dass diese Demonstration den Schutz von Artikel 11 Abs. 1 verlieren würde.
105. Hinsichtlich der Frage, mit welchen Absichten sich die Beschwerdeführer den Demonstrationen anschließen wollten, ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass aufgezeigt worden ist, dass die Beschwerdeführer mit
gewalttätigen Absichten an den G8-Demonstrationen teilnehmen wollten. In diesem Zusammenhang stellt er zunächst fest, dass die innerstaatlichen Gerichte nicht der Auffassung waren, dass die Beschwerdeführer deswegen, weil sie
Transparente mit den Aufschriften „freedom for all prisoners" und „free all now" mit sich führten, die Absicht hatten, selbst Gefangene gewaltsam zu befreien. Er stellt auch fest, dass bei den Beschwerdeführern keine Waffen
gefunden wurden. Darüber hinaus nimmt er zur Kenntnis, dass das Oberlandesgericht festgestellt hat, dass eine gewaltbereite Menge durch die Transparente zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung angestiftet werden könnte, stellt aber
außerdem fest, dass dasselbe Gericht einräumte, dass die Losungen auf den in Rede stehenden Transparenten unterschiedlich interpretiert werden könnten (siehe Rdrn. 19, 21 und 22). Er berücksichtigt auch die von den anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführern vor den innerstaatlichen Gerichten abgegebene Erklärung. Sie hatten erläutert, dass die Losungen sich an die Polizei und die Behörden gerichtet hätten, die dadurch aufgefordert werden sollten, die
zahlreichen Ingewahrsamnahmen von Demonstranten zu beenden, und nicht dazu dienen sollten, andere zur gewaltsamen Gefangenenbefreiung aufzufordern (siehe Rdnrn. 18 und 25). Nach Auffassung des Gerichts ist die Aussage der
Beschwerdeführer zur Bedeutung der Aufschriften auf den Transparenten, die selbst eindeutig nicht offen zu Gewalt aufriefen, glaubhaft. Daher ist der Gerichtshof auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das innerstaatliche
Gericht feststellte, die Aufschriften seien mehrdeutig und könnten unterschiedlich ausgelegt werden, der Auffassung, das nicht erwiesen worden ist, dass die Beschwerdeführer andere absichtlich zu Gewalt auffordern wollten. Nach
Ansicht des Gerichtshofs war eine derartige Schlussfolgerung auch nicht deshalb zulässig, weil davon ausgegangen wurde, dass einer der Beschwerdeführer bei der Feststellung seiner Personalien durch die Polizei gewaltsam
Widerstand leistete und daher selbst als gewalttätig angesehen wurde - unter anderen Umständen und in einer anderen Weise als durch das Zurschaustellen von Transparenten bei einer Demonstration. Darüber hinaus stellt er in diesem
Zusammenhang fest, dass nicht aufgezeigt worden ist, dass einer der Beschwerdeführer wegen gewalttätigen Verhaltens bei Demonstrationen oder in vergleichbaren Situationen vorbestraft wäre.
106. Die Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer stellte daher nach Artikel 11 Abs. 1 einen Eingriff in ihr Recht dar, sich frei und friedlich zu versammeln. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
c) War der Eingriff gerechtfertigt?
107. Ein solcher Eingriff führt zu einer Verletzung von Artikel 11, es sei denn, es kann dargelegt werden, dass er „gesetzlich vorgeschrieben" war, ein oder mehrere legitime Ziele nach Absatz 2 verfolgte und „in einer demokratischen
Gesellschaft notwendig" war.
(i) „Gesetzlich vorgeschrieben" und legitimes Ziel
108. Hinsichtlich der Entscheidung darüber, ob der Eingriff „gesetzlich vorgeschrieben" war, weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass eine Vorschrift nicht als „Gesetz" angesehen werden kann, wenn sie nicht so präzise formuliert
ist, dass der Einzelne - erforderlichenfalls mit entsprechende Rechtsberatung - in einem Maß, das unter den jeweiligen Umständen angemessen ist, voraussehen kann, welche Folgen eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann
(siehe Ezelin, a.a.O., Rdnr. 45). Er stellt fest, dass zwischen den Parteien strittig ist, ob die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers durch ein Gesetz - § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V - vorgeschrieben war, das so präzise war, dass
seine Anwendung unter den im Falle des Beschwerdeführers gegebenen Umständen vorhersehbar war. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass er diese Frage offen lassen und die Rechtssache unter der Annahme prüfen kann, dass der
Eingriff aus den nachfolgend aufgeführten Gründen „gesetzlich vorgeschrieben" war.
109. Der Gerichtshof ist davon überzeugt, dass die Behörden mit der Anordnung der Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer das Ziel verfolgten, diese an der Begehung einer Straftat, nämlich der Anstiftung zur gewaltsamen
Gefangenenbefreiung, zu hindern. Dieses Ziel ist als solches nach Artikel 11 Abs. 2 rechtmäßig.
(ii) „Notwendig in einer demokratischen Gesellschaft"
110. Hinsichtlich der Entscheidung darüber, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war, stellt der Gerichtshof erneut fest, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft ein
Grundrecht ist und, ebenso wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, einer der Grundpfeiler einer solchen Gesellschaft ist. Daher sollte es nicht restriktiv ausgelegt werden (siehe Djavit An, a.a.O., Rdnr. 56; und Barraco, a.a.O.,
Rdnr. 41).
111. Der Ausdruck „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" impliziert, dass der Eingriff einem „dringenden sozialen Bedürfnis" entspricht und insbesondere in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig ist.
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Bezug auf das verfolgte Ziel sind Art und Schwere der verhängten Sanktion zu berücksichtigen (siehe Osmani u. a., a.a.O., mit weiteren Verweisen).
112. Der Gerichtshof muss darüber hinaus entscheiden, ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung des Eingriffs angeführten Gründe „stichhaltig und ausreichend" sind. . Dabei muss sich der Gerichtshof davon
überzeugen, dass die nationalen Behörden Regeln anwandten, die mit den in Artikel 11 enthaltenen Grundsätzen vereinbar sind, und dass sie ihre Entscheidung auf eine nachvollziehbare Bewertung der erheblichen Tatsachen stützten
(siehe Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u. a. ./. Türkei, 30. Januar 1998, Rdnr. 47, Reports 1998-I); und Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 87).
113. Die Vertragsstaaten genießen bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" ist, einen gewissen Ermessensspielraum; dieser geht jedoch Hand in Hand mit einer europäischen
Überwachung, die sich sowohl auf die Gesetzgebung bezieht als auch auf die Entscheidungen, die sie anwenden (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 87; und Barraco, a.a.O., Rdnr. 42).
Nach Artikel 10 der Konvention - in dessen Licht Artikel 11 auszulegen ist (siehe Rdnrn. 98 und 101) - gibt es wenig Raum für Einschränkungen der politischen Redefreiheit oder der Debatte über Angelegenheiten des öffentlichen
Interesses (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 88, mit weiteren Verweisen). Jedoch genießen die staatlichen Behörden bei der Prüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs in die freie
Meinungsäußerung einen größeren Ermessensspielraum, wenn eine Anstiftung zur Gewalt gegen einen Einzelnen, einen Amtsträger oder eine Bevölkerungsgruppe vorliegt (siehe Stankov und die Vereinigte Mazedonische
Organisation Ilinden, a.a.O., Rdnr. 90; und, sinngemäß, Galstyan, a.a.O., Rdnr. 115, und Osmani u. a., a.a.O.).
114. In der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführer für fast sechs Tage in Gewahrsam genommen wurden, um sie daran zu hindern, andere während der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel
dazu anstiften, Gefangene gewaltsam zu befreien. Er hat bereits festgestellt (siehe Rdnrn. 75-86), dass die Präventivhaft der Beschwerdeführer von keinem der in Artikel 5 Abs. 1 aufgeführten Gründe für die Freiheitsentziehung erfasst
wird und diese Bestimmung daher verletzt hat. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass man davon ausging, dass anlässlich des Gipfels eine große Zahl von Demonstranten (etwa 25.000) anreisen würden, von denen die weitaus meisten
als friedlich, eine beträchtliche Zahl aber als gewaltbereit anzusehen seien. Über einen Zeitraum von mehreren Tagen sollte eine Reihe von Massendemonstrationen stattfinden, von denen einige vor der Festnahme der
Beschwerdeführer in Krawalle ausgeartet waren. Der Gerichtshof erkennt an, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in dieser Situation eine beträchtliche
Herausforderung für die innerstaatlichen Behörden darstellte und Entscheidungen oft schnell getroffen werden mussten.
115. Jedoch kann der Gerichtshof, wie er bereits dargelegt hat (siehe Rdnr. 105), es nicht als erwiesen ansehen, dass die Beschwerdeführer die Transparente mit den beanstandeten Aufschriften deshalb bei den Demonstrationen zeigen
wollten, weil sie andere, gewalttätige Demonstranten dazu anstiften wollten, Personen, die während des G8-Gipfels in Haft genommen worden seien, gewaltsam zu befreien. Eine Bewertung der erheblichen Tatsachen durch die
innerstaatlichen Behörden, nach der die Losungen als mehrdeutig angesehen werden konnten und die Beschwerdeführer somit andere fahrlässig zu Gewalt hätten anstacheln können, wenn sie sie bei gewissen Demonstrationen gezeigt
hätten, erscheint unter Berücksichtigung ihres Ermessensspielraums dagegen nachvollziehbar (siehe, als Beispiel für einen Fall, bei dem es um die Verwendung vieldeutiger Symbole ging, Vajnai ./. Ungarn, Individualbeschwerde Nr.
33639/06, Rdnrn. 51 ff., 8. Juli 2008).
116. Der Gerichtshof stellt darüber hinaus fest, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Teilnahme an den G8-Demonstrationen beabsichtigten, sich an einer Debatte des öffentliches Interesses - die Auswirkungen der Globalisierung auf
das Leben der Menschen - zu beteiligen. Außerdem verfolgten sie mit den Losungen auf ihren Transparenten die Absicht, das Vorgehen der Polizei bei der Sicherung des Gipfels, insbesondere die zahlreichen Festnahmen von
Demonstranten, zu kritisieren. Angesichts der Tatsache, dass eine beträchtliche Zahl von Demonstranten (mehr als 1000 der erwarteten 25000 Demonstranten) im Verlauf des Gipfels vorübergehend in Haft genommen wurde, ist der
Gerichtshof der Auffassung, dass die Losungen einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse darstellten. Darüber hinaus ist klar, dass die mehrtägige Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer wegen der Absicht, die
beanstandeten Losungen zur Schau zu stellen, hinsichtlich dieser Meinungsäußerung eine abschreckende Wirkung hatte und die öffentliche Diskussion dieser Frage einschränkte.
117. Zusammengefasst ist festzustellen, dass der beabsichtigte Protest der Beschwerdeführer während des G8-Gipfels als Wille zur Beteiligung an einer Debatte von öffentlichem Interesse, bezüglich derer es wenig Raum für
Einschränkungen gibt, zu werten ist (siehe Rdnr. 113). Darüber hinaus ist nicht aufgezeigt worden, dass die Beschwerdeführer die Absicht gehabt hätten, andere zu Gewalt anzustacheln. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der
Auffassung, dass die fast sechstägige Freiheitsentziehung, eine beträchtliche Sanktion, im Hinblick auf die Absicht, die Beschwerdeführer daran zu hindern, möglicherweise andere fahrlässig zu einer gewaltsamen Befreiung von
während des G8-Gipfels festgenommenen Demonstranten anzustiften, keine verhältnismäßige Maßnahme darstellt. In einer solchen Situation kann zwischen dem Ziel der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der
Verhinderung von Straftaten und dem Recht der Beschwerdeführer auf Versammlungsfreiheit nicht dadurch ein fairer Ausgleich geschaffen werden, dass die Beschwerdeführer sofort für mehrere Tage in Gewahrsam genommen werden.
118. Insbesondere ist der Gerichtshof nicht überzeugt, dass es keine anderen wirksamen, weniger einschneidenden Maßnahmen zur Erreichung der genannten Ziele gegeben hätte. Insbesondere ist er der Auffassung, dass es in der
gegebenen Situation, hinsichtlich derer nicht dargelegt worden ist, dass den Beschwerdeführern bewusst war, dass die Polizei die Losungen auf ihren Transparenten für illegal hielten, ausgereicht hätte, die fraglichen Transparente zu
beschlagnahmen. Man hätte davon ausgehen können, dass dies eine abschreckende Wirkung auf die Beschwerdeführer haben würde und sie daher davon abgehalten hätte, sofort neue, vergleichbare Transparente herzustellen. Auch
wenn dadurch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in einem gewissen Maß eingeschränkt worden wäre, hätte es sie nicht von vornherein daran gehindert, an den Demonstrationen teilzunehmen.
119. Angesichts der vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass der Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Versammlungsfreiheit nicht „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war.
Folglich ist Artikel 11 der Konvention verletzt worden.
V. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION
120. Artikel 41 der Konvention lautet:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser
Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist."
A. Schaden
121. Die Beschwerdeführer forderten jeweils 10.000 Euro (EUR) für den infolge ihrer konventionswidrigen Freiheitsentziehung erlittenen immateriellen Schaden. Zur Stützung ihrer Auffassung, die geforderte Summe sei angemessen,
beriefen sie sich auf die Zubilligung gerechter Entschädigung durch den Gerichtshof in den Rechtssachen Brega ./. Moldau (Individualbeschwerde Nr. 52100/08, Rdnr. 52, 20. April 2010) und Vasileva ./. Dänemark
(Individualbeschwerde Nr. 52792/99, Rdnr. 47, 25. September 2003). Sie baten darum, alle Beträge auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen.
122. Die Regierung hielt die geforderten Beträge für unverhältnismäßig. Sie brachte vor, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den Gerichtshof eine hinreichende gerechte Entschädigung darstellen würde. Die von
den Beschwerdeführern zur Stützung ihrer Auffassung angeführten Tatsachen seien mit denen in den angeführten Beschwerdeverfahren nicht vergleichbar.
123. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass ihre etwa sechstägige, gegen Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 11 der Konvention verstoßende Freiheitsentziehung bei den Beschwerdeführern Leid ausgelöst haben muss, das durch die
Feststellung einer Konventionsverletzung allein nicht angemessen wieder gut gemacht würde. Daher spricht der Gerichtshof, der die Summe nach Billigkeit festsetzt, den Beschwerdeführern unter dieser Rubrik jeweils 3.000 EUR
zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern zu. Im Hinblick auf die von der Rechtsanwältin der Beschwerdeführer vorgelegte Vollmacht, die sie zur Entgegennahme von Zahlungen befugt, die seitens der anderen
Verfahrenspartei zu leisten sind, ordnet er an, dass diese den Beschwerdeführern zugesprochenen Summen auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen sind.
B. Kosten und Auslagen
124. Der erste Beschwerdeführer forderte außerdem 2.340,85 EUR für Kosten und Auslagen vor den innerstaatlichen Gerichten (68 EUR für Gerichtskosten und 2.272,85 EUR für Anwaltsgebühren, einschließlich der darauf
anfallenden Mehrwertsteuer) sowie 1.892,50 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) für Kosten und Auslagen vor dem Gerichtshof. Der zweite Beschwerdeführer forderte 2.370,65 EUR für Kosten und Auslagen vor den
innerstaatlichen Gerichten (68 EUR für Gerichtskosten und 2.302,65 EUR für Anwaltsgebühren, einschließlich der darauf anfallenden Mehrwertsteuer) sowie 2.082,50 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) für Kosten und Auslagen
vor dem Gerichtshof. Sie begründeten ihre Ansprüche durch Belege.
125. Die Regierung, die generell die Auffassung vertrat, dass nach Artikel 41 der Konvention keine Entschädigung zu zahlen sei, nahm zu diesen Forderungen nicht Stellung.
126. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Beschwerdeführer nur insoweit Anspruch auf Ersatz von Kosten und Auslagen, als nachgewiesen wurde, dass diese tatsächlich und notwendigerweise entstanden und der Höhe
nach angemessen sind. In der vorliegenden Rechtssache ist der Gerichtshof unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der oben genannten Kriterien überzeugt, dass das Verfahren vor den
innerstaatlichen Gerichten und vor dem Gerichtshof zunächst auf die Verhinderung und später auf die Beseitigung der festgestellten Verletzungen von Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 11 der Konvention abzielte. Darüber hinaus stellt er
fest, dass die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Kosten und Auslagen notwendigerweise entstanden und der Höhe nach angemessen waren.
127. Der Gerichtshof spricht dem ersten Beschwerdeführer daher 4.233,35 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) zur Deckung der unter allen Rubriken entstandenen Kosten, zuzüglich der ihm gegebenenfalls zu berechnenden Steuern
zu. Der Gerichtshof spricht ferner dem zweiten Beschwerdeführer 4.453,15 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) zur Deckung der unter allen Rubriken entstandenen Kosten zuzüglich der ihm gegebenenfalls zu berechnenden Steuern
zu. Er ordnet an, dass diese ihnen zugesprochenen Summen auf das Treuhandkonto ihrer Rechtsanwältin einzuzahlen sind.
C. Verzugszinsen
128. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde zu legen.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Die Individualbeschwerden werden verbunden;
2. die Rüge des ersten Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 5 der Konvention wird für unzulässig und die Individualbeschwerden werden im Übrigen für zulässig erklärt;
3. Artikel 5 Absatz 1 der Konvention ist verletzt worden;
4. Artikel 11 der Konvention ist verletzt worden;
5. a) der beschwerdegegnerische Staat hat binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem das Urteil nach Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, folgende Beträge auf das Treuhandkonto der Rechtsanwältin der
Beschwerdeführer einzuzahlen:
(i) für jeden Beschwerdeführer 3.000 EUR (dreitausend Euro) für den immateriellen Schaden, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
(ii) für den ersten Beschwerdeführer 4.233,35 EUR (viertausendzweihundertdreiunddreißig Euro und fünfunddreißig Cent) einschließlich Mehrwertsteuer für Kosten und Auslagen, zuzüglich ihm gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
(iii) für den zweiten Beschwerdeführer 4.453,15 EUR (viertausendvierhundertdreiundfünfzig Euro und fünfzehn Cent) einschließlich Mehrwertsteuer für Kosten und Auslagen, zuzüglich ihm gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
b) Nach Ablauf der vorgenannten Frist von drei Monaten fallen für die obengenannten Beträge bis zur Auszahlung einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der
Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;
6. Im Übrigen wird die Forderung der Beschwerdeführer nach gerechter Entschädigung zurückgewiesen.
Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 1. Dezember 2011 nach Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. ..."
*** (BVerfG)
„... Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG liegen nicht vor.
Danach kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl
dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 66, 39 <56>; stRspr). Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, bleiben dabei grundsätzlich außer Betracht; eine materielle Überprüfung der
angegriffenen Entscheidung ist nicht Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens.
Hier ist nicht ersichtlich, dass die vom Verwaltungsgerichtshof im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes bestätigte Auflage, wonach der Antragstellerin untersagt wurde, bei dem von ihr angemeldeten Aufzug Gegenstände
jeglicher Art mit Ausnahme handelsüblicher Tabakwaren, aber insbesondere Fackeln abzubrennen, einen hinreichend schweren Nachteil für die Antragstellerin darstellt, der zu einem Einschreiten des
Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zwingen würde. Die angemeldete Versammlung kann unter dem beabsichtigten Motto und im Wesentlichen in der beabsichtigten Form stattfinden. Es ist jedenfalls
nicht erkennbar, dass allein die hier in Rede stehende Auflage den Demonstrationserfolg in einer einen schweren Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG bewirkenden Weise gefährdet. ..." (BVerfG, Ablehnung einstweilige
Anordnung vom 29.01.2016 - 1 BvQ 6/16)
***
„... 1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Pressemitteilung 151/2015 ‚Rote Karte für die AfD' von der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung einstweilen zu entfernen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten. ...
Die Antragstellerin sieht sich durch eine auf der Homepage der Antragsgegnerin veröffentlichte Pressemitteilung in ihren Rechten auf Versammlungsfreiheit und auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt.
I. 1. Die Antragstellerin ist Veranstalterin einer in Berlin für den 7. November 2015 um 13:00 Uhr angemeldeten Versammlung unter dem Motto: ‚Rote Karte für Merkel! - Asyl braucht Grenzen!'.
Die Antragsgegnerin hat am 4. November 2015 auf der Homepage des von ihr geführten Bundesministeriums für Bildung und Forschung (www.bmbf.de) folgende Pressemitteilung 151/2015 veröffentlicht:
Rote Karte für die AfD
Johanna Wanka zur geplanten Demonstration der AfD in Berlin am 07.11.2015
‚Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung
betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.'
2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möchte die Antragstellerin erreichen, dass der Antragsgegnerin aufgegeben wird, die angegriffene Pressemitteilung einstweilen von der Homepage zu entfernen.
Die Antragstellerin sieht darin eine Verletzung der Chancengleichheit der Parteien im politischen Meinungskampf (Art. 21 Abs. 1 GG) sowie ihrer Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Die Antragsgegnerin hält den Antrag für
jedenfalls unbegründet. Sie macht geltend, es handele sich um eine Äußerung, bei der sie nicht die Autorität ihres Amtes eingesetzt habe, denn sie habe diese ausdrücklich ohne den Zusatz Bundesministerin getätigt.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Organhandelns vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben,
es sei denn, der Antrag erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; 118, 111 <122>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht
die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde,
dem Antrag aber der Erfolg zu versagen wäre. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet dabei einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei
der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 108, 34 <41> m.w.N.).
2. Ein Organstreitverfahren erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
a) Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei
oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; 136, 323 <333>). Das gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im
Allgemeinen. Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt.
Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats
vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Leitsatz 2, Rn. 53). Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes im politischen Meinungskampf
Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -,
juris, Rn. 55).
Vorliegend erfolgte die Veröffentlichung der Presseerklärung der Antragsgegnerin auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums, ohne dass ein Bezug zu den mit dem Ministeramt verbundenen Aufgaben erkennbar wäre.
Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass im Text der Presseerklärung eine Bezugnahme auf ihr Ministeramt unterbleibt. Gleichwohl nimmt sie mit der Verbreitung der Erklärung über die Homepage des von ihr geführten
Ministeriums Ressourcen in Anspruch, die ihr aufgrund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen und politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Daher kann eine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf
Chancengleichheit im politischen Wettbewerb nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
b) Durch die angegriffene Pressemitteilung erscheint darüber hinaus auch eine Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) nicht ausgeschlossen. Art. 8 Abs. 1 GG ist auch auf juristische Personen
anwendbar (vgl. BVerfGE 122, 342 <355>) und umfasst von seinem Schutzbereich her den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>). Das Grundrecht kann auch durch faktische Maßnahmen
beeinträchtigt werden, wenn sie in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>).
Die Antragsgegnerin hat sich mit ihrer angegriffenen Pressemitteilung explizit gegen die von der Antragstellerin geplante Demonstration am 7. November 2015 ausgesprochen. Dass dadurch das Grundrecht der Antragstellerin auf
Versammlungsfreiheit beeinträchtigt wurde, erscheint denkbar, weil die Pressemitteilung als Boykottaufruf verstanden werden könnte.
3. Vor diesem Hintergrund führt die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr)
zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht und verbliebe die angegriffene Pressemitteilung auf der Homepage der Antragsgegnerin, hätte ein Organstreit aber später Erfolg, wären die Rechte der Antragstellerin nachhaltig verletzt.
Mögliche Auswirkungen der Presseerklärung der Antragsgegnerin auf die von der Antragstellerin am 7. November 2015 vorgesehene Demonstration wären nicht mehr korrigierbar. Die Antragstellerin müsste dauerhaft eine Verletzung
ihrer Rechte auf Versammlungsfreiheit und gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb hinnehmen.
Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung entsprechend dem Begehren der Antragstellerin und erwiese sich ein Organstreitverfahren später als unbegründet, so wäre die Antragsgegnerin an einer Wiederholung
diesbezüglicher Meinungsbeiträge nicht gehindert. Die von der Antragsgegnerin geäußerte Kritik an der Antragstellerin geht über den konkreten Anlass der geplanten Demonstration hinaus und verliert daher ihre Bedeutung nicht,
wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt in der gewählten Form wiederholt werden könnte. ..." (BVerfG, Beschluss vom 07.11.2015 - 2 BvQ 39/15)
***
„... 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur
Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig
oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die
begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).
2. Danach fehlt es hier an den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
a) Wenn sich - wie dies nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts der Fall ist, von denen auch das Bundesverfassungsgericht ausgeht - der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer überwiegend friedlich verhalten
und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend auf Grund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung jedoch nach Art. 8 Abs. 1 GG
grundsätzlich zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen,
eng auszulegenden Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Beschwerdeführer angemeldeten
Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ
2013, S. 570 <571>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt bei der Behörde (BVerfGK 17, 303 <308>).
Mit Art. 8 GG wäre es nicht zu vereinbaren, dass bereits mit dem Bevorstehen einer Gegendemonstration, deren Durchführung den Einsatz von Polizeikräften erfordern könnte, erreicht werden kann, dass dem
Veranstalter der angemeldeten Versammlung die Möglichkeit genommen wird, sein Demonstrationsanliegen zu verwirklichen. Deshalb muss vorrangig versucht werden, den Schutz der Versammlung auf andere Weise
durchzusetzen. Der Staat darf insbesondere nicht dulden, dass friedliche Demonstrationen einer bestimmten politischen Richtung durch gewalttätige Gegendemonstrationen verhindert werden. Drohen Gewalttaten als
Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für alle
Grundrechtsträger hinzuwirken und die polizeilichen Mittel und Kräfte bereitzustellen beziehungsweise erforderlichenfalls im Wege der Amtshilfe zu organisieren, um dieses Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGK 8, 79 <81>).
Der Bund und die Länder sind gegebenenfalls zur Amtshilfe verpflichtet. Im Regelfall muss und wird es deshalb möglich sein, eine Versammlung, die - wie im vorliegenden Verfahren - frühzeitig angemeldet wurde, vor Angriffen
Dritter zu schützen und so deren Durchführung sicherzustellen. Lassen sich angesichts nicht vorhersehbarer Entwicklungen oder außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit
benötigten Polizeikräfte am Veranstaltungstag auch unter Hinzuziehung externer Kräfte nicht rechtzeitig bereitstellen, verlangt eine verhältnismäßige Beschränkung des Art. 8 Abs. 1 GG auch die Prüfung einer zeitlichen Verschiebung
der Versammlung anstelle eines Verbots als milderes Mittel.
b) Das Oberverwaltungsgericht stellt unter Zugrundelegung dieser Grundsätze mit guten Gründen darauf ab, dass vorliegend zweifelhaft ist, ob die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens die erforderlichen Anstrengungen zum
Schutz der Versammlung unternommen hat und das Verbot der Versammlung zu Recht auf einen polizeilichen Notstand gestützt werden konnte. Vertretbar hält es diese Frage im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter dem
besonderen Zeitdruck des Falls nicht für aufklärbar. Die im Rahmen der Folgenabwägung erstellte Gefahrenprognose, dass die geplante Durchführung der Versammlung angesichts der jedenfalls im Ergebnis nicht hinreichend
verfügbaren Einsatzkräfte mit Sicherheit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einem erheblichen Teil der Teilnehmer und Gegendemonstranten führen wird, die unter diesen Bedingungen nicht verhindert werden können,
war nicht auf bloße Vermutungen, sondern auf umfangreiche Tatsachenfeststellungen gestützt. Sie hält sich unter den besonderen Bedingungen des vorliegenden Falls noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Sie nimmt die
Anforderungen an den polizeilichen Notstand ernst und behält sich dessen Prüfung im Hauptsacheverfahren vor. Es ist weder ersichtlich, dass das Gericht damit den Sicherheitsbehörden einen Weg öffnen will, durch schlichte
Verweigerung der gebotenen Anstrengungen Versammlungen zu verhindern, noch dass die Antragsgegnerin sich an die insoweit maßgeblichen Maßstäbe nicht halten und diesen Weg als ein Mittel zur Verhinderung von unliebsamen
Versammlungen wählen wird.
Eine hiervon abweichende eigene Folgenabwägung ist auch dem Bundesverfassungsgericht angesichts der Kürze der Zeit nicht möglich. Im Rahmen der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ist
eine verantwortliche Abwägung nur in voller Kenntnis der hierfür maßgeblichen Umstände möglich. Fehlt es an einer realistischen Möglichkeit, sich diese zu verschaffen, und ist insbesondere in der zur Verfügung stehenden Zeit
feststellbar, dass die Ausgangsentscheidungen die verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht verkannt haben, die für eine solche Abwägung gelten, sieht sich das Bundesverfassungsgericht zu einer abweichenden Beurteilung
außerstande (vgl. BVerfGE 56, 244 <246>; 72, 299 <301>; 83, 158 <161>). So liegt es hier. Insbesondere hat das Oberverwaltungsgericht die einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht verkannt. ..." (BVerfG, Ablehnung
einstweilige Anordnung vom 11.09.2015 - 1 BvR 2211/15)
***
„... 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>;
88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Das Bundesverfassungsgericht legt der Prüfung des Eilantrags insoweit die
Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Etwas anderes wäre nur geboten, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter
Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, 77 <87 f.>; 111, 147 <153>; BVerfGK 3, 97 <99>). Das ist hier nicht zu erkennen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Eine Verfassungsbeschwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der
angegriffenen Entscheidung und hierbei auch der Frage, ob das Oberverwaltungsgericht im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG das Begehren des Antragstellers ohne gerichtlichen Hinweis oder Rückfrage dahingehend auslegen durfte, dass
dieser nur am gestrigen Freitag an einer Versammlung in Heidenau hat teilnehmen wollen, ist im Eilverfahren nicht möglich. Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Diese fällt zugunsten des Antragstellers aus.
3. Ergeht eine einstweilige Anordnung nicht und bleibt das durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts fortbestehende Versammlungsverbot in Kraft, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so wäre das
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in einem zeitlich wie örtlich eng durch aktuelle Ereignisse gebundenen Kontext zu Unrecht außer Kraft gesetzt. Ergeht demgegenüber eine einstweilige Anordnung und wird die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts vorläufig außer Kraft gesetzt, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, könnten die in Heidenau geplanten Versammlungen des gesamten Wochenendes auf der Grundlage der
erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stattfinden, obwohl der Antragsteller im Verfahren vor den Fachgerichten nur die Teilnahme an einer Veranstaltung am gestrigen Freitag konkret geltend gemacht hat; der
Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wäre aufgrund einer prozessual fehlerhaften Entscheidung gehalten gewesen, entgegen dem von ihm erlassenen, anderweitig nicht angegriffenen Versammlungsverbot die Ausübung der
Versammlungsfreiheit zu gewährleisten.
Vorliegend wöge das Verbot von Versammlungen im gesamten Gebiet der Stadt Heidenau für das anstehende Wochenende schwer. Die Möglichkeit, an Versammlungen teilzunehmen und hierdurch an der öffentlichen
Meinungsbildung mitzuwirken, wäre durch das Verbot in einem zeitlich wie örtlich eng durch aktuelle Ereignisse gebundenen Kontext außer Kraft gesetzt. Aufgrund der Geschehnisse der jüngeren Zeit und der aktuellen
Medienberichterstattung kommt der Stadt Heidenau für das derzeit politisch intensiv diskutierte Thema des Umgangs mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa besondere Bedeutung zu. Das für viele Bürgerinnen und Bürger
von Erwerbstätigkeit freie Wochenende ist oftmals die einzige Möglichkeit, sich am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch ein ‚Sich-Versammeln' zu beteiligen und im Wortsinne ‚Stellung zu beziehen'. Insoweit
gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG das Recht, selbst zu bestimmen, wann und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll und ob man an dieser teilzunehmen gedenkt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen selbst
entscheiden können, ob, wann und wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls, aber nicht notwendig auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - zur Geltung bringen wollen (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>; 128, 226
<250 f.>).
Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen im Fall einer nach späterer Erkenntnis zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung nicht ersichtlich. Die
Aufhebung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts führt dazu, dass der Antragsteller von seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen kann, obgleich das Gericht eine diesbezügliche
Antragsbefugnis mangels entsprechenden Vortrags nicht hat erkennen können. Hinsichtlich der staatlich zu gewährleistenden Ausübung der Versammlungsfreiheit hat das Verwaltungsgericht einen polizeilichen Notstand nicht
feststellen können. Gleiches gilt für das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf die Veranstaltung des gestrigen Tages unter dem Motto ‚Dresden Nazifrei'. Dafür, dass auch unter Berücksichtigung von polizeilicher Unterstützung durch
die anderen Länder und den Bund, deren Bereitstellung soweit ersichtlich nicht in Frage gestellt wird, jede Durchführung von Versammlungen in Heidenau für das ganz Wochenende zu einem nicht beherrschbaren Notstand führt, ist
auch sonst substantiiert nichts erkennbar.
Durch den Erlass der einstweiligen Anordnung bleibt die Befugnis der zuständigen Behörden unberührt, nach Maßgabe der versammlungsrechtlichen Maßgaben begrenzende Anordnungen im Einzelfall zu treffen. ..." (BVerfG,
Einstweilige Anordnung vom 29.08.2015 - 1 BvQ 32/15)
***
„... 1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Passau vom 13. Juli 2015 - 17 C 1163/15 - und vom 17. Juli 2015 - 13 C 1219/15 - und des Landgerichts Passau vom 16. Juli 2015 - 2 T 127/15 - werden aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der Antragsteller den Bereich des Nibelungenplatzes in Passau am 20. Juli 2015 für die Dauer der Versammlung ‚Bierdosen-Flashmob für die Freiheit' (ca. 18:15 Uhr bis ca. 18:30 Uhr) betreten und zum
Zwecke der Durchführung der von ihm geleiteten Versammlung nutzen darf. Dies umfasst den Konsum von einer Dose Bier je Versammlungsteilnehmer.
3. Die Vollstreckung des Beschlusses des Amtsgerichts Passau vom 14. Juli 2015 - 13 C 1219/15 wird bis zum 21. Juli 2015 ausgesetzt.
4. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
5. Der Freistaat Bayern hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten. ...
I. Der Antragsteller beabsichtigt, am 20. Juli 2015 für die Zeit von 18:15 Uhr bis 18:30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung auf dem Nibelungenplatz in Passau durchzuführen. Der Platz ist zentral in der Stadt am südlichen
Ende der Fußgängerzone gelegen und von Arztpraxen, Cafés, Geschäften, einem Supermarkt und einem Kino umrandet und ist für den Publikumsverkehr geöffnet. Der Platz steht im Eigentum einer GmbH & Co. KG, ohne dass eine
staatliche Beteiligung ersichtlich wäre. Die geplante Versammlung steht unter dem Motto ‚Bierdosen-Flashmob für die Freiheit'. Auf Kommando ‚Für die Freiheit - trinkt AUS!' sollen die Versammlungsteilnehmer jeweils eine
Dose Bier öffnen und diese schnellstmöglich leer trinken. Anschließend sollen ein Redebeitrag des Antragstellers und eine Diskussion der Versammlungsteilnehmer folgen. Mit der Versammlung soll auf den zunehmenden Verlust des
staatlichen Gewaltmonopols durch den zunehmenden Einsatz privater Sicherheitsdienste sowie auf eine zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten hingewiesen werden.
Anträge des Antragstellers, ein gegen ihn von der Platzeigentümerin ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben sowie die Videoüberwachung des Platzes für die Dauer der Versammlung auszusetzen,
lehnten das Amts- und das Landgericht ab. Aufgrund einer mit der geplanten Versammlung einhergehenden Vermüllung und Verschmutzung des Platzes sowie der Gefahr einer Vielzahl betrunkener Versammlungsteilnehmer
überwiege das Eigentumsgrundrecht der Grundstückseigentümerin das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Aus dem gleichen Grund untersagte das Amtsgericht dem Antragsteller auf Antrag der Grundstückseigentümerin, für die
geplante Veranstaltung auf Facebook zu werben.
II. 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende
Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Das Bundesverfassungsgericht
legt der Prüfung des Eilantrags insoweit die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Etwas anderes gilt nur, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind
oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, 77 <87 f.>; 111, 147 <153>; BVerfGK 3, 97 <99>).
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Eine Verfassungsbeschwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Allerdings ist die Eigentümerin des Nibelungenplatzes als juristische Person des Privatrechts Grundrechtsträgerin und kann nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG für das von ihr ausgesprochene Hausverbot eigene Grundrechte,
insbesondere ihr Eigentumsrecht aus Art. 14 GG, geltend machen. Dies hindert jedoch nicht, dass sich der Antragsteller in einem diesbezüglichen zivilgerichtlichen Verfahren auf die Versammlungsfreiheit berufen kann. Die
Versammlungsfreiheit verschafft zwar kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren
Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (BVerfGE 128,
226 <251>). Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder durch private Investoren geschaffene und
betriebene Plätze als Orte des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht
ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können (BVerfGE 128, 226 <252>). Letzteres ist hier
der Fall. Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des
Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht (vgl. hierzu BVerfGE 128, 226 <253 f.>).
Als private Grundstückseigentümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien Wirkung, und die
Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Die Reichweite dieser Bindung bestimmt sich dabei nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich der
sich gegenüberstehenden Grundrechte. Wie das Bundesverfassungsgericht insoweit festgestellt hat, können Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten freilich unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte auch ähnlich
oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der
Staat (vgl. BVerfGE 128, 226 <248>). Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der
Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher
in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226 <249 f.>).
Was hieraus heute in Bezug auf das Verhältnis der Versammlungsfreiheit oder des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu Grundrechten privater Unternehmen, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte
der allgemeinen Kommunikation schaffen, näher folgt, hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht entschieden (vgl. BVerfGE 128, 226 <250>). Nach welchen konkreten Grundsätzen diese Grundrechtskollision der
Privaten, die die Fachgerichte vom Grundsatz her zutreffend erfasst haben, untereinander aufzulösen ist, kann folglich auch im Wege des Eilverfahrens nicht entschieden werden. Bei der Entscheidung über den Antrag auf
einstweilige Anordnung ist vielmehr lediglich eine Folgenabwägung für den konkreten Einzelfall vorzunehmen. Unter den spezifischen Bedingungen des hier zu entscheidenden Falles haben die Anträge danach in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg.
3. Bliebe das von den Fachgerichten bestätigte, durch die Eigentümerin des Platzes ausgesprochene Hausverbot gegen den Antragsteller bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so wäre der Antragsteller um die
Möglichkeit gebracht worden, von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte der Antragsteller den Platz betreten und in der gewünschten Weise nutzen und die
Versammlung mithin wie geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl dies - in einem allerdings eng begrenzten zeitlichen
Rahmen - die Rechte der privaten Eigentümerin des in Rede stehenden Grundstücks beeinträchtigt.
Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende, faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Diesem wäre es unmöglich, die von ihm beabsichtigte Versammlung an dem ausgewählten Ort und
zu der ausgewählten Zeit durchzuführen. Aufgrund der Überwachung des Platzes durch private Sicherheitsdienste und das dort durch die Eigentümerin ausgesprochene Alkoholverbot kommt dem vom Antragsteller ausgewählten
Versammlungsort angesichts des inhaltlichen Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Zwar vermittelt das
Grundrecht der Versammlungsfreiheit kein Recht darauf, ein auf private Rechte gestütztes Hausverbot umgehen zu können. Das ist aber auch nicht das Ziel des Antragstellers, der sich auf dem Platz lediglich für kurze Zeit und
ausschließlich zur Durchführung einer auf Kommunikation angelegten Versammlung aufhalten will. Ihm kann daher auch nicht entgegengehalten werden, die Versammlung könne ebenso gut an anderer Stelle stattfinden.
Hervorzuheben ist insoweit, dass Art. 8 Abs. 1 GG das Recht gewährleistet, selbst zu bestimmen, wann und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Damit beinhaltet die Versammlungsfreiheit auch ein
Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung. Die Bürgerinnen und Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls, aber nicht notwendig auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten
Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>; 128, 226 <250 f.>).
Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll
stationär abgehalten werden. Der Antragsteller hat zugesichert, selbst sowie mittels Ordnern einer ‚Vermüllung' des Platzes und dem Auftreten alkoholisierter Versammlungsteilnehmer entgegenzuwirken. Er wirbt für die
Veranstaltung nicht allgemein, sondern mit Hilfe von Facebook und trägt plausibel vor, dass an der Versammlung eine überschaubare Zahl von - derzeit 140 - angemeldeten Personen teilnehmen wird. Er kooperiert von Anfang an mit
der örtlichen Versammlungsbehörde und hat den in den gerichtlichen Entscheidungen formulierten Einwänden durch entsprechende Verhaltensanweisungen an die Teilnehmenden umgehend durch Aufrufe über das Internet Rechnung
getragen. Versammlungsrechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen. Sollte Gegenteiliges ersichtlich sein, kann dem im Wege beschränkender Verfügungen entgegengewirkt
werden, die im Vergleich mit dem hier angegriffenen Totalverbot die milderen Mittel wären, um den Grundrechten aller Beteiligten hinreichend Rechnung tragen zu können.
4. Aus den vorgenannten Gründen sind auch die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben, wonach es dem Antragsteller untersagt ist, für die von ihm geplante Veranstaltung auf Facebook zu werben. Ebenso wenig wie das faktische
Verbot der geplanten Versammlung selbst lässt sich unter den spezifischen Umständen des vorliegenden Falles das Verbot einer Werbung für diese mit vorrangigen Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin begründen.
Ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit seine Wirkung bereits im Vorfeld einer Versammlung entfaltet. Es umfasst daher auch Organisationsakte wie die Planung und das Versenden
von Einladungen oder Versammlungsaufrufe über das Internet. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>).
5. Sofern der Antragsteller darüber hinaus begehrt, die Videoüberwachung des Versammlungsortes für die Zeit der Versammlung auszusetzen, ist dies mangels hinreichender Substantiierung zurückzuweisen. Es fehlt bereits an jedem
Vorbringen, um welche Art und welchen Umfang von Videoanlagen es sich handelt, wie die Aufnahmen gesteuert und wofür sie verwendet werden, ob mit einer zeitnahen Löschung der Aufnahmen zu rechnen wäre und ob es
überhaupt zu einer Videoüberwachung, die über eine bloße Beobachtung hinausgeht, kommen würde.
6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 BverfGG. ..." (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 - 1 BvQ 25/15)
***
„... Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. April 2009 - 1125 OWi 111 Js 10211/09 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht München zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. August 2009 - 2 Ss
OWi 811/2009 - gegenstandslos.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt. ...
I. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Verurteilung zu einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
1. Die Beschwerdeführerin nahm am 1. Mai 2008 an einer Versammlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München mit dem Thema ‚01. Mai. Tag der Arbeit' teil. Angemeldet waren eine stationäre Auftaktkundgebung, ein
Versammlungszug und eine stationäre Abschlusskundgebung. Für die Versammlung hatte das Kreisverwaltungsreferat München als zuständige Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 28. April 2008 unter dem Unterpunkt
‚Kundgebungsmittel / Versammlungshilfsmittel' unter anderem die Auflage erlassen, dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen, sowie für
Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen. Während des Versammlungszuges benutzte die Beschwerdeführerin an zwei Orten einen Lautsprecher, welcher auf einem Handwagen mitgeführt wurde, für folgende Durchsagen:
‚Bullen raus aus der Versammlung!' und ‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!'.
2. Gegen die Beschwerdeführerin wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführerin mit angegriffenem Urteil wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtbeachtung
beschränkender Auflagen) gemäß § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG zu einer Geldbuße von 250 Euro.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Auflage bestünden keine Bedenken. Zwar sei ein gänzliches Verbot des Einsatzes von Lautsprecheranlagen bei einer Versammlung nicht zulässig, die Versammlungsbehörde könne jedoch insoweit
Beschränkungen anordnen, als beispielsweise die Sicherheit des Straßenverkehrs oder der Schutz unbeteiligter Dritter vor schädlichen Umwelteinwirkungen dies erforderten und die Verwendung von Lautsprechern nicht funktional zur
Verwirklichung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit notwendig seien. Der Zweck einer kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe entfalle, wenn der Einsatz elektronischer Verstärker allein oder hauptsächlich anderen
Zwecken als der Meinungskundgabe zu versammlungsbezogenen Themen diene. In diesem Falle sei der Einsatz des Verstärkers nicht anders zu bewerten, als wenn eine Einzelperson oder die Veranstalter eines Informationsstandes
sich eines Verstärkers bedienten, um ihr Anliegen zu verbreiten. Die Beschränkung von Lautsprecherdurchsagen auf versammlungsthemenbezogene Meinungsäußerungen und auf Ordnungsdurchsagen sei vor diesem Hintergrund im
Lichte der Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Die Beschränkung auf Ordnungsdurchsagen sei auch nicht wegen mangelnder Bestimmtheit unzulässig. Es handele sich dabei zwar um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei
vernünftiger Betrachtung sei jedoch offensichtlich, was damit gemeint sei: Durchsagen, welche Störungen des Versammlungszuges von außen oder innen vermeiden sollen.
Vorliegend habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Aussage aber weder eine eventuelle Störung der Versammlung beseitigen wollen noch habe sie eine versammlungsthemenbezogene Aussage getätigt. Sie habe vielmehr allein ihre
Meinung und ihr Missfallen zur beziehungsweise über die Teilnahme von Zivilpolizisten an dem Zug Ausdruck verleihen wollen und insoweit eher zur Hervorrufung von Störungen beigetragen als solche verhindern wollen. Auch eine
weitergehende Verknüpfung mit einem besonderen Thema oder mit dem spezifischen Versammlungsthema sei bei der getätigten Aussage nicht erkennbar. Insbesondere werde aus der Art der getätigten Äußerung deutlich, dass die
Beschwerdeführerin durch ihre Äußerung auch keinen politischen Diskurs und Meinungsaustausch über ein zu viel an Polizeipräsenz bei bayerischen Versammlungen beabsichtigt habe. Der Beschwerdeführerin sei die gegenständliche
Auflage auch bekannt gewesen und bewusst gewesen, dass die beiden von ihr getroffenen Aussagen weder in direktem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema standen noch einen geordneten Versammlungsablauf bezweckten.
3. Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag der Beschwerdeführerin, gemäß § 80 Abs. 1 OWiG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, als unbegründet.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere eine Verletzung in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
5. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. In einer dem Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis gegebenen
Stellungnahme der Landeshauptstadt München gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium des Innern hat die Landeshauptstadt München die Auffassung vertreten, dass die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen
Anforderungen entsprechen. Insbesondere fielen die fraglichen Äußerungen bereits nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, jedenfalls wäre der Eingriff aber gerechtfertigt. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern haben von einer weiteren Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG rügt, liegen die
Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz der Versammlungsfreiheit sind geklärt (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>;
84, 203 <209 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 f.>). Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
1. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet. Die Beschwerdeführerin war unstreitig Teilnehmerin einer auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung und damit einer Versammlung im
Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>). Vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit grundsätzlich umfasst war damit auch die Verwendung von Lautsprechern oder Megaphonen als Hilfsmittel (vgl. BVerfGK
11, 102 <108>). Die als bußgeldbewehrt erachteten Lautsprecherdurchsagen standen auch inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Durchführung der Versammlung. Mögen sie auch
keinen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen haben und nicht auf die Einhaltung der Ordnung gerichtet gewesen sein, so gaben sie jedenfalls das versammlungsbezogene Anliegen kund, dass sich in dem auf den
Willensbildungsprozess gerichteten Aufzug selbst nur solche Personen befinden sollen, die am Willensbildungsprozess auch teilnehmen, nicht aber auch am Meinungsbildungsprozess unbeteiligte Polizisten, die als solche nicht
erkennbar sind. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>). Wer an einer solchen Versammlung teilnimmt, ist
grundsätzlich auch dazu berechtigt, während der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen. Insoweit
ist die entsprechende Lautsprecheraussage nicht - wie das Amtsgericht annimmt - dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entzogen.
b) Durch die Sanktionierung der Lautsprecherdurchsagen mit einem Bußgeld greift die amtsgerichtliche Entscheidung in diesen Schutzbereich ein. Dieser Eingriff ist auf der Grundlage der gerichtlichen Feststellungen nicht gerechtfertigt.
(1) Zwar ist die Versammlungsfreiheit nicht unbeschränkt gewährleistet. Bei Versammlungen unter freiem Himmel sind zur Wahrung kollidierender Interessen Dritter Eingriffe in das Grundrecht gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz
oder aufgrund eines Gesetzes zulässig (vgl. BVerfGE 87, 399 <406>). Es handelt sich bei der zur Anwendung gelangten Bußgeldvorschrift des § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 VersG um ein solches Gesetz, dessen Auslegung und
Anwendung grundsätzlich Sache der Strafgerichte ist (vgl. BVerfGK 10, 493 <495>). Allerdings haben die staatlichen Organe und damit auch die Strafgerichte die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der
grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutze gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>).
(2) Diesem Maßstab wird die amtsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld nicht gerecht.
Indem die amtsgerichtliche Entscheidung die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße in der Sache allein darauf stützte, dass sie die Lautsprecheranlage zu einem anderen Zweck als zu einer im engen Sinne
themenbezogenen Durchsage oder Ordnungsmaßnahme nutzte, verkennt sie den Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG, der - wie dargelegt - jedenfalls grundsätzlich auch Äußerungen zu anderen versammlungsbezogenen Fragen erlaubt.
Insoweit konnte sich das Gericht auch nicht uneingeschränkt auf die entsprechende Auflage berufen. Vielmehr durfte es die Auflage nur dann als verfassungsgemäß ansehen, wenn es sie einer Auslegung für zugänglich hielt, nach der
andere als strikt themenbezogene Äußerungen mit Versammlungsbezug von ihr nicht ausgeschlossen sind. An einer solchen Berücksichtigung des Schutzgehaltes der Versammlungsfreiheit fehlt es indes. Vielmehr belegt die
angegriffene Entscheidung die in Frage stehenden versammlungsbezogenen Äußerungen unabhängig von jeder Störung mit einer Geldbuße. Für eine Störung durch den Gebrauch der Lautsprecheranlage im konkreten Fall ist weder
etwas dargetan noch ist sie sonst ersichtlich. Die Lautsprecherdurchsagen der Beschwerdeführerin waren erkennbar nicht geeignet, mehr als allenfalls unerhebliche Unruhe innerhalb der Versammlung zu stiften. Der bloße Aufruf
‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!' mag bei lebensnaher Betrachtung kurzfristige Irritationen von Versammlungsteilnehmern hervorrufen, war aber ersichtlich nicht zur Störung des ordnungsgemäßen Verlaufs
der Versammlung geeignet. Insbesondere wurden Zivilpolizisten nicht konkret und in denunzierender Weise benannt und so etwa in die Gefahr gewalttätiger Übergriffe aus der Versammlung gebracht. Auch eine mögliche
Beeinträchtigung der Gesundheit von Dritten durch übermäßigen Lärm erscheint durch die bloß kurzzeitige zweimalige Benutzung des Lautsprechers ausgeschlossen. Insgesamt ist damit nicht erkennbar, dass Gefährdungen vorlagen,
die die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld rechtfertigten.
2. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auch auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei einer erneuten Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen
des Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Das angegriffene Urteil ist daher aufzuheben, die Sache ist an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2
BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde vom 5. August 2009 ist damit gegenstandslos.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). ..."
(BVerfG, Beschluss vom 26.06. 2014 - 1 BvR 2135/09)
***
„... Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. April 2009 - 1125 OWi 111 Js 10211/09 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht München zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. August 2009 - 2 Ss
OWi 811/2009 - gegenstandslos.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt. ...
I. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Verurteilung zu einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
1. Die Beschwerdeführerin nahm am 1. Mai 2008 an einer Versammlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München mit dem Thema ‚01. Mai. Tag der Arbeit' teil. Angemeldet waren eine stationäre Auftaktkundgebung, ein
Versammlungszug und eine stationäre Abschlusskundgebung. Für die Versammlung hatte das Kreisverwaltungsreferat München als zuständige Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 28. April 2008 unter dem Unterpunkt
‚Kundgebungsmittel / Versammlungshilfsmittel' unter anderem die Auflage erlassen, dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen,
sowie für Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen. Während des Versammlungszuges benutzte die Beschwerdeführerin an zwei Orten einen Lautsprecher, welcher auf einem Handwagen mitgeführt wurde, für folgende
Durchsagen:
‚Bullen raus aus der Versammlung!' und ‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!'.
2. Gegen die Beschwerdeführerin wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführerin mit angegriffenem Urteil wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtbeachtung
beschränkender Auflagen) gemäß § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG zu einer Geldbuße von 250 Euro.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Auflage bestünden keine Bedenken. Zwar sei ein gänzliches Verbot des Einsatzes von Lautsprecheranlagen bei einer Versammlung nicht zulässig, die Versammlungsbehörde könne jedoch insoweit
Beschränkungen anordnen, als beispielsweise die Sicherheit des Straßenverkehrs oder der Schutz unbeteiligter Dritter vor schädlichen Umwelteinwirkungen dies erforderten und die Verwendung von Lautsprechern nicht funktional zur
Verwirklichung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit notwendig seien. Der Zweck einer kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe entfalle, wenn der Einsatz elektronischer Verstärker allein oder hauptsächlich anderen
Zwecken als der Meinungskundgabe zu versammlungsbezogenen Themen diene. In diesem Falle sei der Einsatz des Verstärkers nicht anders zu bewerten, als wenn eine Einzelperson oder die Veranstalter eines Informationsstandes
sich eines Verstärkers bedienten, um ihr Anliegen zu verbreiten. Die Beschränkung von Lautsprecherdurchsagen auf versammlungsthemenbezogene Meinungsäußerungen und auf Ordnungsdurchsagen sei vor diesem Hintergrund im
Lichte der Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Die Beschränkung auf Ordnungsdurchsagen sei auch nicht wegen mangelnder Bestimmtheit unzulässig. Es handele sich dabei zwar um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei
vernünftiger Betrachtung sei jedoch offensichtlich, was damit gemeint sei: Durchsagen, welche Störungen des Versammlungszuges von außen oder innen vermeiden sollen.
Vorliegend habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Aussage aber weder eine eventuelle Störung der Versammlung beseitigen wollen noch habe sie eine versammlungsthemenbezogene Aussage getätigt. Sie habe vielmehr allein ihre
Meinung und ihr Missfallen zur beziehungsweise über die Teilnahme von Zivilpolizisten an dem Zug Ausdruck verleihen wollen und insoweit eher zur Hervorrufung von Störungen beigetragen als solche verhindern wollen. Auch eine
weitergehende Verknüpfung mit einem besonderen Thema oder mit dem spezifischen Versammlungsthema sei bei der getätigten Aussage nicht erkennbar. Insbesondere werde aus der Art der getätigten Äußerung deutlich, dass die
Beschwerdeführerin durch ihre Äußerung auch keinen politischen Diskurs und Meinungsaustausch über ein zu viel an Polizeipräsenz bei bayerischen Versammlungen beabsichtigt habe. Der Beschwerdeführerin sei die gegenständliche
Auflage auch bekannt gewesen und bewusst gewesen, dass die beiden von ihr getroffenen Aussagen weder in direktem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema standen noch einen geordneten Versammlungsablauf bezweckten.
3. Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag der Beschwerdeführerin, gemäß § 80 Abs. 1 OWiG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, als unbegründet.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere eine Verletzung in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
5. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. In einer dem Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis gegebenen
Stellungnahme der Landeshauptstadt München gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium des Innern hat die Landeshauptstadt München die Auffassung vertreten, dass die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen
Anforderungen entsprechen. Insbesondere fielen die fraglichen Äußerungen bereits nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, jedenfalls wäre der Eingriff aber gerechtfertigt. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern haben von einer weiteren Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG rügt, liegen die
Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz der Versammlungsfreiheit sind geklärt (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>;
84, 203 <209 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 f.>). Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
1. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet. Die Beschwerdeführerin war unstreitig Teilnehmerin einer auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung und damit einer Versammlung im
Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>). Vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit grundsätzlich umfasst war damit auch die Verwendung von Lautsprechern oder Megaphonen als Hilfsmittel (vgl. BVerfGK
11, 102 <108>). Die als bußgeldbewehrt erachteten Lautsprecherdurchsagen standen auch inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Durchführung der Versammlung. Mögen sie auch
keinen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen haben und nicht auf die Einhaltung der Ordnung gerichtet gewesen sein, so gaben sie jedenfalls das versammlungsbezogene Anliegen kund, dass sich in dem auf den
Willensbildungsprozess gerichteten Aufzug selbst nur solche Personen befinden sollen, die am Willensbildungsprozess auch teilnehmen, nicht aber auch am Meinungsbildungsprozess unbeteiligte Polizisten, die als solche nicht
erkennbar sind. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>). Wer an einer solchen Versammlung teilnimmt, ist
grundsätzlich auch dazu berechtigt, während der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen. Insoweit
ist die entsprechende Lautsprecheraussage nicht - wie das Amtsgericht annimmt - dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entzogen.
b) Durch die Sanktionierung der Lautsprecherdurchsagen mit einem Bußgeld greift die amtsgerichtliche Entscheidung in diesen Schutzbereich ein. Dieser Eingriff ist auf der Grundlage der gerichtlichen Feststellungen nicht gerechtfertigt.
(1) Zwar ist die Versammlungsfreiheit nicht unbeschränkt gewährleistet. Bei Versammlungen unter freiem Himmel sind zur Wahrung kollidierender Interessen Dritter Eingriffe in das Grundrecht gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz
oder aufgrund eines Gesetzes zulässig (vgl. BVerfGE 87, 399 <406>). Es handelt sich bei der zur Anwendung gelangten Bußgeldvorschrift des § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 VersG um ein solches Gesetz, dessen Auslegung und
Anwendung grundsätzlich Sache der Strafgerichte ist (vgl. BVerfGK 10, 493 <495>). Allerdings haben die staatlichen Organe und damit auch die Strafgerichte die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der
grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutze gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>).
(2) Diesem Maßstab wird die amtsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld nicht gerecht.
Indem die amtsgerichtliche Entscheidung die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße in der Sache allein darauf stützte, dass sie die Lautsprecheranlage zu einem anderen Zweck als zu einer im engen Sinne
themenbezogenen Durchsage oder Ordnungsmaßnahme nutzte, verkennt sie den Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG, der - wie dargelegt - jedenfalls grundsätzlich auch Äußerungen zu anderen versammlungsbezogenen Fragen erlaubt.
Insoweit konnte sich das Gericht auch nicht uneingeschränkt auf die entsprechende Auflage berufen. Vielmehr durfte es die Auflage nur dann als verfassungsgemäß ansehen, wenn es sie einer Auslegung für zugänglich hielt, nach der
andere als strikt themenbezogene Äußerungen mit Versammlungsbezug von ihr nicht ausgeschlossen sind. An einer solchen Berücksichtigung des Schutzgehaltes der Versammlungsfreiheit fehlt es indes. Vielmehr belegt die
angegriffene Entscheidung die in Frage stehenden versammlungsbezogenen Äußerungen unabhängig von jeder Störung mit einer Geldbuße. Für eine Störung durch den Gebrauch der Lautsprecheranlage im konkreten Fall ist weder
etwas dargetan noch ist sie sonst ersichtlich. Die Lautsprecherdurchsagen der Beschwerdeführerin waren erkennbar nicht geeignet, mehr als allenfalls unerhebliche Unruhe innerhalb der Versammlung zu stiften. Der bloße Aufruf
‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!' mag bei lebensnaher Betrachtung kurzfristige Irritationen von Versammlungsteilnehmern hervorrufen, war aber ersichtlich nicht zur Störung des ordnungsgemäßen Verlaufs
der Versammlung geeignet. Insbesondere wurden Zivilpolizisten nicht konkret und in denunzierender Weise benannt und so etwa in die Gefahr gewalttätiger Übergriffe aus der Versammlung gebracht. Auch eine mögliche
Beeinträchtigung der Gesundheit von Dritten durch übermäßigen Lärm erscheint durch die bloß kurzzeitige zweimalige Benutzung des Lautsprechers ausgeschlossen. Insgesamt ist damit nicht erkennbar, dass Gefährdungen vorlagen,
die die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld rechtfertigten.
2. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auch auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei einer erneuten Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen
des Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Das angegriffene Urteil ist daher aufzuheben, die Sache ist an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2
BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde vom 5. August 2009 ist damit gegenstandslos.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). ..."
(BVerfG, Beschluss vom 26.06.2014 - 1 BvR 2135/09)
***
„... 1. Das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. November 2012 - 219 OWi 205 Js 43628/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache
wird an das Amtsgericht Dresden zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. Februar 2013 - Ss 72/13 (Z) - gegenstandslos.
2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt. ...
I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung des Beschwerdeführers in einem Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Friedhofsordnung der Stadt Dresden sowie einer Zuwiderhandlung gegen § 118
Abs. 1 OWiG durch Entrollen eines Transparents zum Protest gegen eine Gedenkveranstaltung.
1. Am 13. Februar 2012 veranstaltete die Stadt Dresden eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Dresdner Heidefriedhofs. Bei diesem handelt es sich um einen kommunalen Friedhof der Stadt, dessen Verwaltung dem
Städtischen Friedhofs- und Bestattungswesen obliegt und zum damaligen Zeitpunkt durch Satzung der Landeshauptstadt Dresden für die Friedhöfe des Eigenbetriebes Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen Dresden vom 29.
Juni 2006 (Friedhofssatzung) geregelt war. Der von der ‚Arbeitsgruppe 13. Februar' organisierte Gedenkgang diente der Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie der Opfer des Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am
13. Februar 1945, die zu einem Großteil in Massengräbern auf dem Heidefriedhof beerdigt sind. Geplant war nach dem öffentlichen Aufruf hierbei, dass sich der Gedenkzug über die zentrale Opferschale des Rondells zu einer
Gedenkmauer für die Bombenangriffe bewegen sollte, um - symbolisiert durch die Niederlegung von weißen Rosen - ‚ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen'. Die Beteiligung an dem Gedenkzug
stand der gesamten Bevölkerung offen. Es waren Ansprachen und eine musikalische Umrahmung vorgesehen.
2. Der Beschwerdeführer erhob - mit drei weiteren Personen etwa fünfzig Meter vor der Gedenkmauer postiert - entlang des Hauptweges des Gedenkzuges ein Transparent mit dem Schriftzug:
‚Es gibt nichts zu trauern - nur zu verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion'.
Mit dem Transparent wollte der Beschwerdeführer bekunden, dass er mit der Zielrichtung des Gedenkganges nicht einverstanden sei und gegen diesen ein Zeichen setzen. Das Transparent war für den vorbeiziehenden Trauerzug
wenige Minuten sichtbar, bevor anwesende Polizeibeamte den Beschwerdeführer dazu bewegten, das Transparent wieder einzurollen. Die Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof konnte anschließend wie geplant durchgeführt werden.
3. Mit Bußgeldbescheid vom 5. April 2012 setzte die Stadt Dresden eine Geldbuße in Höhe von 150 € gegen den Beschwerdeführer fest. Ihm wurde zur Last gelegt, durch das Zeigen des Transparents gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung
mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Friedhofssatzung verstoßen zu haben, wonach sich auf Friedhöfen jeder der Würde des Ortes entsprechend zu verhalten habe. Ferner habe der Beschwerdeführer eine grob ungehörige Handlung im
Sinne des § 118 Abs. 1 OWiG vorgenommen, die geeignet sei, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer fristgemäß Einspruch ein.
4. Mit angegriffenem Urteil vom 9. November 2012 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Störung der Ruhe und Ordnung auf einem Friedhof in Tateinheit mit vorsätzlicher Belästigung der
Allgemeinheit zu einer Geldbuße von 150 €.
Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten die Friedhofsordnung im Sinne des § 5 Abs. 1 Friedhofssatzung gestört, da Trauergäste sich zumindest mit Blickkontakt dem Transparent zugewandt und von dessen Inhalt Kenntnis
genommen hätten. Eine über die Bestattung oder Totenfeier hinausgehende Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen habe zu unterbleiben. Die Hinterbliebenen und Gedenkenden hätten ein Recht darauf, dass sie ohne
Einwirkung von Dritten auf dem Friedhof trauern und gedenken können. Auseinandersetzungen, egal in welcher Form, gehörten nicht auf einen Friedhof.
Auch habe der Beschwerdeführer durch das Entrollen des Transparents eine grob ungehörige Handlung gemäß § 118 Abs. 1 OWiG begangen, da er objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzt habe, welches unabdingbar
notwendig sei, um innerhalb einer offenen Gesellschaft ein Zusammenleben vieler Menschen zu ermöglichen. Ein Friedhof stelle einen Rückzugsort für all diejenigen dar, die um Verstorbene trauern wollten. Damit sei es nicht
vereinbar, wenn ein Friedhof zum Gegenstand von Auseinandersetzungen gemacht werde. Ohne ein Recht auf Bestattung und Erinnerung sei ein friedvolles Zusammenleben auch innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsordnung
nicht möglich. Wer diesen Verhaltenskodex in Frage stelle, greife dadurch nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesamtgemeinschaft an. Mit dem Entrollen des Transparents werde schließlich die Menschenwürde, welche über
den Tod hinausreiche, angegriffen.
Das Handeln des Beschwerdeführers sei weder durch das Versammlungsgesetz noch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Bei dem Gedenkgang habe es sich um eine nach § 5 Abs. 4 Friedhofssatzung genehmigte
Veranstaltung gehandelt. Auf eine solche Genehmigung für eine nicht mit einer Bestattung zusammenhängende Veranstaltung könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Im Rahmen der anzustellenden Güterabwägung habe das
Recht auf freie Meinungsäußerung gegenüber dem Recht auf freie Religionsausübung und dem Schutz der Menschenwürde, die das Recht jedes Einzelnen auf ungehinderte Bestattung seiner Verstorbenen und Erinnerung an diese
Verstorbenen umfasse, zurückzustehen.
5. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Februar 2013 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet.
6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Mit nachfolgendem Schreiben beantragte der
Beschwerdeführer die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
7. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, dass die Strafsenate des Bundesgerichtshofs bisher nicht mit den sich in
diesem Verfahren stellenden Rechtsfragen befasst gewesen seien, weswegen von einer Stellungnahme abgesehen werde. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der
Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>; 73, 206 <230 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die
Entscheidung des Amtsgerichts zulässig und offensichtlich begründet.
1. Die Zusammenkunft auf dem Heidefriedhof und das Entrollen des Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
a) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative
Äußerungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen
gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße
Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).
Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind
oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführungen von Versammlungen jedoch dort, wo ein
kommunikativer Verkehr eröffnet ist; ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist (vgl. BVerfGE 128, 226 <251 ff.>).
Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der
rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).
b) Nach diesen Kriterien handelte es sich bei der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das
Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.
Allerdings handelt es sich bei einem Friedhof jedenfalls in der Regel um einen Ort, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen
öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Der Widmungszweck des Friedhofes allein kann den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht begrenzen; insofern kommt es vielmehr darauf an,
inwieweit tatsächlich allgemeine Kommunikation eröffnet ist oder nicht (vgl. BVerfGE 128, 226 <252>). Danach war in der vorliegenden Situation auf dem Friedhof ein kommunikativer Verkehr eröffnet. Durch den Gedenkzug, zu
welchem öffentlich aufgerufen und der im Einverständnis mit den verantwortlichen Stellen durchgeführt worden war, wurde der Heidefriedhof jedenfalls am 13. Februar 2012 zu einem Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation.
Der Gedenkzug diente nach der Ankündigung - über ein privates Gedenken hinaus - auch dazu ‚ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen' und nutzte so den Heidefriedhof an diesem Tage zu einer
Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher kann sich der Beschwerdeführer jedenfalls an diesem Tage für seine Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal sein Protest konkret
auf das Anliegen des Gedenkzuges bezogen ist.
2. Die Verurteilung des Beschwerdeführers greift in die Versammlungsfreiheit ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.
a) Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist die Verurteilung nach § 118 Abs. 1 OWiG. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; weiter fehlt es an einer
verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung in der Sache.
aa) Das Amtsgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint. Das Amtsgericht geht davon aus, dass es deswegen an einer Versammlung fehle, weil diese nicht
nach § 5 Abs. 4 der Friedhofssatzung angemeldet worden war. Diese Auffassung ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und verkennt den Schutzbereich dieses Grundrechts
grundlegend. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hängt nicht von einer Genehmigung oder Anmeldung ab; auch die Einschlägigkeit des Versammlungsgesetzes hat keine Auswirkung darauf, ob der sachliche
Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts eröffnet ist. Verfassungsrechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammenkunft des Schutzes des Art. 8 Abs. 1 GG wieder verlustig gegangen ist, sind der Entscheidung des
Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Auch der Umstand, dass mit der rechtmäßigen Auflösung einer Versammlung das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG unanwendbar wird, führt hier nicht dazu, dass der Beschwerdeführer sich nicht auf
den Schutz dieses Grundrechts berufen kann. Selbst wenn man in der Aufforderung durch die Polizisten, das Transparent einzurollen, eine Versammlungsauflösung sehen möchte, knüpft die Verurteilung des Beschwerdeführers doch
an sein vorheriges Verhalten an. Der Schutz durch die Versammlungsfreiheit entfällt nur ab dem Zeitpunkt der Auflösung, wirkt aber nicht zurück (vgl. BVerfGE 104, 92 <106>).
bb) Es fehlt auch an einer hinreichenden Abwägung, ob die Verurteilung des Beschwerdeführers mit Blick auf die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist.
(1) Die Normen des Straf- wie auch des Ordnungswidrigkeitenrechts sind unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>; 104, 92 <103>). Die staatlichen
Organe haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter
notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Demnach ist bei der Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit bei Rechtsverstößen der Versammlungsteilnehmer deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit
zu beachten und in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>).
(2) Diesen Vorgaben wird die Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht. Für den in § 118 Abs. 1 OWiG verwendeten Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren
Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens
innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; 111, 147 <155 f.>). Daher hätte das Amtsgericht bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes der öffentlichen Ordnung jedenfalls die
Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen müssen und konkret die vorgenommene Auslegung unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG überprüfen müssen. Es hätte einer
Auseinandersetzung damit bedurft, warum die Ausübung des Versammlungsgrundrechts der öffentlichen Ordnung widerspricht, während auf dem Heidefriedhof zur gleichen Zeit eine große Gedenkveranstaltung, zu der öffentlich
aufgerufen wurde und die über das Gedenken hinaus ein ‚Zeichen' setzen wollte, stattfindet und sich der Beschwerdeführer gezielt im Wege stillen Protests gegen diese wendet.
Auf die Frage, ob § 118 OWiG von Verfassung wegen überhaupt ein Verhalten sanktionieren kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt oder ob die Vorschrift sonst verfassungsrechtlichen Bedenken
unterliegt, kommt es damit nicht an.
b) Soweit die Verurteilung auf einen Verstoß gegen die Friedhofssatzung gestützt wird, gilt Entsprechendes. Für eine Verurteilung genügt es nicht, dass die Entscheidung begründet, warum das Verhalten des Beschwerdeführers unter
den Tatbestand zu subsumieren ist. Auch hier hätte das Amtsgericht von einem Schutz durch die Versammlungsfreiheit ausgehen müssen und bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Würde des Friedhofes dieses
Grundrecht in die Abwägung einstellen müssen.
3. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auf diesen verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben
bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird. Ob die Entscheidung auch mit dem ebenfalls gerügten Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Einklang steht, kann deswegen dahinstehen.
4. Der den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwerfende Beschluss des Oberlandesgerichts vom 25. Februar 2013 wird damit gegenstandslos.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14
Abs. 1 Satz 1 RVG. Da der Freistaat Sachsen dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten hat, erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. ..." (BVerfG, Beschluss vom 20.06.2014 - 1 BvR 980/13).
***
„... 1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den versammlungsrechtlichen Bescheid des Polizeipräsidiums Duisburg vom 30. Oktober 2013 - ZA 11 - 57.02.01 (181, 182/13) - hinsichtlich der Auflage unter
Ziffer 1., wonach die angemeldeten Versammlungen nicht am 9. November 2013 durchgeführt werden dürfen, wird wiederhergestellt. ...
Die einstweilige Anordnung hat zu ergehen, da eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>). Zu Recht sehen die angegriffenen Entscheidungen in dem 9. November einen Tag mit
wichtiger Symbolkraft, der sich mit dem Gedenken an die menschenverachtenden nationalsozialistischen Pogrome des 9. November 1938 verbindet. Demgegenüber stützen sich die angegriffenen Entscheidungen in
konkret-tatsächlicher Hinsicht jedoch letztlich im Wesentlichen nur auf die Tatsache, dass die Antragstellerin zu 2) als eine dem rechten Spektrum zugerechnete Gruppierung in der Nähe zu umstrittenen Asylbewerberunterkünften
Versammlungen unter dem Motto ‚Kein Asyl in N. - Kein Asylantenheim ins St. B. Hospital' beziehungsweise ‚R. darf nicht Klein-Bukarest werden - Recht und Ordnung wieder herstellen' abhalten will. Damit ist eine Art und Weise,
die die Beurteilung einer Versammlung als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung tragen könnte, nicht hinreichend dargetan. ..." (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 08.11.2013 - 1 BvQ 52/13 - Nazi-Aufmarsch).
***
„... 1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante
Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der
geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD),
veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.
Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den
Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung
erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge
mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug
stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des
Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als
gewaltbereit einzustufen seien. ...
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen
(vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich
demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt
(vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht
nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des
Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über
Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen
abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch
die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der
Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die
Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die
Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten
Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl.
BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des
Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl.
BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine
Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).
b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist
der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>;
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts
der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom
23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre
Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei
zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher
müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der
umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in
rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834
<835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen
Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.
3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt.
Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende
behördliche Maßnahmen nicht gerecht.
a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die
Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr
für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner
Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem
gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.
Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere
Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010.
Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für
sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere
Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen
Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es
dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr
zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen
Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren
vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.
b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische
Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt,
dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010
so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch
erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen
Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit
zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische
Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur
ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.
4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus
Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der
Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33). ..." (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - Nazi-Aufmarsch)
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Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt (BVerfG, Einstweilige Anordnung
vom 16.05.2012 - 1 BvQ 17/12 - „Blockupy I"):
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der versammlungsrechtliche Verfügungen der Stadt Frankfurt am Main betrifft, mit denen den Antragstellern insbesondere verboten wurde, vom 17. Mai 2012 bis zum 19. Mai
2012 mehrere Plätze in der Frankfurter Innenstadt mit jeweils erwarteten 1.000 Teilnehmern zu Blockadezwecken zu besetzen, einen Infostand sowie eine Auftaktkundgebung am 16. Mai 2012 zu errichten beziehungsweise zu
veranstalten sowie eine Veranstaltung am 18. Mai 2012 vor der Deutschen Bank durchzuführen, hat unbeachtet der Frage der Zulässigkeit des Antrags keinen Erfolg. Im Rahmen der bei der Prüfung von Anträgen auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; 111, 147 <152 f.>; stRspr) ist vorliegend ausgehend vom
Vorbringen der Antragsteller und den vorläufigen Rechtsschutzentscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht erkennbar, dass die Nachteile der Antragsteller im Verhältnis zu den drohenden Nachteilen dritter Grundrechtsberechtigter
so schwer wiegen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht dringend geboten wäre. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..." (Anm der Redaktion: Diese Rechtmittelbelehrung ist falsch!)
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Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt wegen Anordnung: Tanzverbot
am Karfreitag (BVerfG, Einstweilige Anordnung, 06.04.2012 - 1 BvQ 12/12):
„... I. 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft eine für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Stadt Frankfurt am Main, mit der der Antragstellerin verboten wurde, am 6. April 2012, Karfreitag, 18:30 Uhr bis
21:30 Uhr eine Versammlung mit dem Veranstaltungsthema "Demonstration/Mahnwache gegen das Tanzverbot" auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main durchzuführen.
Ihre Verbotsverfügung begründete die Stadt Frankfurt am Main mit einem zu erwartenden Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 3 Hessisches Feiertagsgesetz als einfachgesetzliche Ausprägung des Sonn- und Feiertagsschutzes aus Art. 140
GG in Verbindung mit Art. 139 WRV, nachdem die Antragstellerin zu einem Tanzen gegen das Tanzverbot unter Abspielen und gemeinsamem Hören von Tanzmusik aufgerufen habe und in einem vorhergehenden
Kooperationsgespräch am 3. April 2012 die Durchführung der Veranstaltung in Form einer stillen Mahnwache ohne Tanz und Musik abgelehnt habe.
Den hierauf beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Verbotsverfügung eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht im Ergebnis
mit der Begründung ab, dass an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung keine Zweifel bestünden. Dieser Beschluss ist der Antragstellerin gemäß ihrem eigenen Sachvortrag am Donnerstag, den 5. April 2012 um 16:57 Uhr
zugegangen.
2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Aufhebung der Verbotsverfügung und hilfsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Sie beruft sich
insofern auf ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Zur Frage der Eilbedürftigkeit trägt sie, ohne dies näher zu begründen, vor, dass aufgrund des Zeitablaufes eine rechtskräftige Entscheidung im
Verwaltungsrechtsweg vor Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich sei, so dass die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG vorlägen.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war abzulehnen, da er bereits unzulässig ist. Er wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht.
Von diesem Grundsatz ist insbesondere das sich aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unmittelbar ergebende Gebot der Rechtswegerschöpfung in Verfassungsbeschwerdeverfahren umfasst, er kommt jedoch in bestimmten
Fallkonstellationen auch als allgemeiner Gesichtspunkt der Subsidiarität verfassungsrechtlicher Rechtsbehelfe zur Anwendung, wenn eine angemessene vorläufige Regelung in der Fachgerichtsbarkeit noch erreichbar erscheint (vgl.
BVerfGE 86, 46 <49>).
Vorliegend stand der Antragstellerin vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch das Rechtsmittel der Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof zur
Verfügung. Von diesem Rechtsmittel hat sie keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie über dieses Rechtsmittel ordnungsgemäß belehrt wurde und nach dem Beschwerdevortrag keine Gründe dafür ersichtlich sind, weshalb ihr die
Einlegung dieses Rechtsmittels nicht mehr möglich und zumutbar gewesen wäre.
Auch der Rechtsgedanke des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG rechtfertigt eine sofortige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht, da der Antragstellerin kein besonders schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift entsteht (vgl.
BVerfGE 9, 120 <121>). Denn vorliegend geht es in der Sache um die schwierige, noch ungeklärte Rechtsfrage, inwieweit die Versammlungsfreiheit an einem Feiertag aufgrund dessen religiös geprägten Charakters eingeschränkt
werden kann. Die Klärung dieser Frage wäre aber ohnehin nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglich, sondern müsste gegebenenfalls einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wendet sich die
Antragstellerin im Ergebnis gegen die Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Parlamentsgesetzes. Insoweit aber sind die Anforderungen an den besonders schweren Nachteil für die Begründung vorläufigen Rechtsschutzes besonders
hoch (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 2009 - 1 BvQ 34/09 -, juris, Rn. 7). Danach ist vorliegend von einem besonders schweren Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht
auszugehen. Auch wenn ein triftiger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem beabsichtigen Versammlungszeitpunkt und dem Versammlungsthema besteht, kann der mit der Versammlung verfolgte Kommunikationszweck
vorliegend grundsätzlich auch an einem anderen Tag erreicht werden. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..." (Anm der Redaktion: Diese Rechtmittelbelehrung ist falsch!)
***
„... I. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Nötigung gemäß § 240 StGB aufgrund der Teilnahme an einer Sitzblockade auf einer öffentlichen
Straße.
1. Am 15. März 2004 gegen 15.25 Uhr ließ sich der Beschwerdeführer zusammen mit circa 40 anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention der USA im Irak auf der zu der Rhein Main Military
Air Base, dem Luftwaffenstützpunkt der US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main, führenden Ellis Road nieder.
2. Mit Urteil vom 30. August 2004 verurteilte das Amtsgericht - unter anderem - den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlicher Nötigung gemäß § 240, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 €.
Der Beschwerdeführer und seine Mitangeklagten hätten die Fahrzeugführer, die auf der Ellis Road zu der US-Wohnsiedlung Gateway Gardens unterwegs gewesen seien, für eine nicht unerhebliche Wartezeit an der Weiterfahrt
gehindert. Die Fahrzeuge hätten sich in mehreren Reihen hintereinander gestaut. Auf die nach Auflösungsverfügung hin ergangene Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen, hätten die Demonstranten nicht reagiert, so dass sie von
Polizeikräften zwangsweise hätten weggetragen werden müssen.
Damit hätten sich der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten der gemeinschaftlichen vorsätzlichen Nötigung strafbar gemacht.
Das Verhalten des Beschwerdeführers und der Mitangeklagten sei als Gewalt zu qualifizieren. Zwar hätten sie auf die Fahrzeugführer in der ersten Reihe rein psychischen Zwang ausgeübt. Jedoch seien die Fahrzeugführer ab der
zweiten Reihe physisch an der Weiterfahrt gehindert worden, da ihnen die Kraftfahrzeuge der ersten Reihe den Weg versperrt hätten.
Das Verhalten der Demonstranten sei auch rechtswidrig gewesen. Zwar seien die Motive für die Sitzblockade von Friedenswillen geprägt und in der Sache nachvollziehbar gewesen, doch könnten politische Fernziele bei der Prüfung
der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB nicht berücksichtigt werden. Niemand habe das Recht auf gezielte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden. Ferner sei die Verkehrsbehinderung keineswegs notwendig
gewesen, um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten hätten ihre Versammlungsfreiheit auch neben der Fahrbahn ausüben können. Die gezielte Provokation zur
Schaffung von Stimmungslagen oder zur Erregung von Aufmerksamkeit werde von der Rechtsordnung nicht geschützt, so dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten sozial inadäquat und verwerflich im Sinne von § 240 Abs.
2 StGB gehandelt hätten. Dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten aus achtenswerten Motiven gehandelt hätten, sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 18. November 2004 verwarf das Landgericht - unter anderem - die Berufung des Beschwerdeführers nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig.
Die Demonstranten hätten durch die Sitzblockade gegenüber denjenigen Fahrzeugführern Gewalt ausgeübt, die durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Dass die durch die Sitzblockaden
ausgelöste Verkehrsbehinderung sich möglicherweise über einen nur kurzen Zeitraum erstreckt habe, beseitige nicht die Tatbestandsmäßigkeit der Nötigung. Auch die Anzahl der durch die Blockade an der Weiterfahrt gehinderten
Fahrzeuge sei im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit unerheblich. Dass der Polizeieinsatz unter Umständen zur Verkehrsbehinderung beigetragen habe, sei ebenfalls nicht maßgeblich, weil dieser durch die Sitzblockade ausgelöst
worden sei.
Ferner hätten die Demonstranten rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB gehandelt. Die Ausübung der Gewalt habe sich nicht im schlichten Blockieren des Straßenverkehrs erschöpft, sondern sei Mittel zum Zweck der Erregung
von Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke gewesen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erlaube Behinderungen Dritter nur als sozialadäquate Nebenwirkungen rechtmäßiger Demonstrationen.
Zwangseinwirkungen, die darüber hinausgingen und allein darauf abzielten, durch gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, seien durch Art. 5 und Art. 8 GG nicht gedeckt.
Demonstrative Blockaden seien daher in der Regel im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB verwerflich. Dies gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als die Beeinträchtigung fremder Freiheit ein völlig ungeeignetes Mittel zur Erreichung des
angestrebten Zweckes gewesen sei: Die blockierten Fahrzeugführer, auch soweit es sich dabei um US-amerikanische Staatsbürger und Soldaten der US-Streitkräfte gehandelt habe, hätten die Irakpolitik der US-amerikanischen
Regierung nicht beeinflussen können. Die gesellschaftspolitischen Motive beseitigten nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in Rechte Dritter, sondern seien in der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies habe das Amtsgericht mit
der Verhängung einer am denkbar untersten Rand liegenden Geldstrafe getan.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer bei sachgerechter Auslegung allein gegen die Entscheidung des Landgerichts. Er rügt - unter anderem - eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden
Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.
Die von dem Landgericht herangezogene sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gewaltbegriff in § 240 Abs. 1 StGB sei mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Außerdem habe das Landgericht im
Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 8 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Schutzbereich des Art. 8 GG werde nicht schon dadurch verlassen, dass es zu Behinderungen Dritter
komme, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Maßgebend sei das mit der Sitzblockade verfolgte Anliegen, für den Protest gegen den deutschen Beitrag zur US-amerikanischen Kriegsführung öffentliche
Aufmerksamkeit zu erregen. Das Landgericht habe die Erwägungen des Amtsgerichts zum örtlichen Selbstbestimmungsrecht der Demonstranten nicht korrigiert, obwohl das Betreten der Fahrbahn wesentliches Kennzeichen einer
Sitzblockade sei und grundsätzlich auch Sitzblockaden von der Versammlungsfreiheit geschützt seien. Das Landgericht habe überdies den Sachbezug der Aktion verkannt. Die Aktion selbst sei zudem nicht besonders belastend
gewesen. Sie sei im Voraus bekannt gegeben worden und habe nur wenige Minuten gedauert. Feststellungen zu der Dauer der Aktion, der Verantwortlichkeit der Polizeikräfte und zu den Ausweich- und Umleitungsmöglichkeiten der
Fahrzeugführer fehlten.
5. Die Hessische Staatskanzlei hat in ihrer Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass die angegriffene Entscheidung des Landgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspreche. Der Hessische Landtag hat sich einer
Stellungnahme enthalten. Der Bundesgerichtshof hat von einer Stellungnahme unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts abgesehen, da er in den letzten Jahren mit den aufgeworfenen Rechtsfragen nicht erneut befasst worden sei.
Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers
angezeigt ist.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt,
insbesondere für den Einfluss des Grundrechts bei der strafrechtlichen Bewertung von Sitzblockaden anhand des Nötigungstatbestandes (vgl. BVerfGE 73, 206 <247 ff.>; 104, 92 <103 ff.>). Dies gilt gleichermaßen für die Reichweite
der Gewährleistung des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 206 <233 ff.>; 92, 1 <11 ff.>; 104, 92 <101 ff.>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots und eine Verletzung der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG rügt.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verstößt nicht gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Analogieverbot.
aa) Die Norm des § 240 StGB selbst ist hinsichtlich der hier allein einschlägigen Gewaltalternative mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar (vgl. BVerfGE 73, 206 <233 f.>; 92, 1 <12>; 104, 92 <101>).
bb) Auslegung und Anwendung der einschlägigen Strafvorschriften durch das Landgericht anhand der vom Bundesgerichtshof entwickelten sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 <185 f.>; 41, 231 <241>)
verstoßen nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.
(1) Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot
analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie" nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen. Ausgeschlossen ist jede Auslegung einer Strafbestimmung, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm
erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes zieht der richterlichen Auslegung eine
Grenze, die unübersteigbar ist (vgl. BVerfGE 85, 69 <73>; 92, 1 <12>; 105, 135 <157>). Da Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt, ist dieser Wortsinn aus der
Sicht des Bürgers zu bestimmen (vgl. BVerfGE 47, 109 <120>; 64, 389 <393>; 73, 206 <235 f.>; 92, 1 <12>).
Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, die Auslegung des in § 240 Abs. 1 StGB geregelten Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte anhand von Art. 103 Abs. 2 GG zu überprüfen.
Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge Stimmengleichheit den sogenannten „vergeistigten Gewaltbegriff" im Ergebnis noch unbeanstandet ließ (vgl. BVerfGE 73, 206 <206, 239
f.>), gelangte es nach erneuter Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung, dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG
unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <14 ff.>). Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite stellte es
fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher
Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <17>).
In der Folge entwickelte der Bundesgerichtshof anlässlich von Sitzblockaden auf öffentlichen Straßen mit Demonstranten auf der einen und einem ersten Fahrzeugführer sowie einer Mehrzahl von sukzessive hinzukommenden
Fahrzeugführern auf der anderen Seite die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 <187>; 41, 231 <241>; nachfolgend bestätigt durch: BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1995 - 1 StR 327/95 -, NJW 1995, S.
2862; vom 23. April 2002 - 1 StR 100/02 -, NStZ-RR 2002, S. 236). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von
psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer (vgl. BGHSt 41, 182 <187>). Diese vom
zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar (vgl. BGHSt 41, 182 <185>).
In seinem Beschluss vom 24. Oktober 2001 bekräftigte das Bundesverfassungsgericht seine in dem Beschluss vom 10. Januar 1995 angenommene Rechtsauffassung zu der Wortlautgrenze des Gewaltbegriffs (vgl. BVerfGE 104, 92
<101 f.>). Dabei erkannte es eine Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB als mit Art. 103 Abs. 2 GG für vereinbar an, derzufolge das Abstellen von Fahrzeugen auf einer Bundesautobahn als Gewalt zu
qualifizieren ist, weil dadurch aufgrund körperlicher Kraftentfaltung ein unüberwindliches Hindernis errichtet wird, das Zwangswirkung entfaltet. Auf die Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kam es in
jenem Verfahren nicht an (vgl. BVerfGE 104, 92 <102 f.>).
(2) Gemessen an diesen zu Art. 103 Abs. 2 GG entwickelten Maßstäben, hält sich die von dem Landgericht herangezogene Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere steht die Zweite-Reihe-Rechtsprechung nicht im Widerspruch zu den in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 aufgestellten Vorgaben. Dieser Beschluss und die nachfolgende
Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs basieren auf unterschiedlichen Sachverhalten, die jeweils eine differenzierende einfachrechtliche Betrachtung erlauben und dementsprechend auch eine spezifische
verfassungsrechtliche Beurteilung nach sich ziehen können. Während dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ein
- zweiseitiges Personenverhältnis (Demonstranten - Insassen eines einzigen Kraftfahrzeugs) zugrunde lag (vgl. BVerfGE 92, 1 <2, 17>), hatte der Bundesgerichtshof ein
- mehrseitiges Personenverhältnis (Demonstranten - Insassen des ersten Kraftfahrzeugs - Insassen der nachfolgenden Kraftfahrzeuge) zu beurteilen (vgl. BGHSt 41, 182 <182>). Dies macht rechtlich wie auch von den
tatsächlichen Folgen her einen Unterschied.
Die Zweite-Reihe-Rechtsprechung begegnet unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls mit Rücksicht auf § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB keinen Bedenken. Danach ergibt sich die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens der
Demonstranten gemäß § 240 Abs. 1 StGB im Ergebnis nicht aus deren unmittelbarer Täterschaft durch eigenhändige Gewaltanwendung, sondern aus mittelbarer Täterschaft durch die ihnen zurechenbare
Gewaltanwendung des ersten Fahrzeugführers als Tatmittler gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern (vgl. BGHSt 41, 182 <185, 186, 187>; vgl. ebenfalls in diesem Sinne: Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 240 Rn. 21;
Gropp/Sinn, in: Münchener Kommentar, StGB, 1. Aufl. 2003, § 240 Rn. 48; Hoyer, JuS 1996, S. 200 <202>; Hruschka, NJW 1996, S. 160 <161>; Priester, in: Festschrift für Günter Bemmann, 1997, S. 362 <383>; Rössner/Putz, in:
Döllling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2008, § 240 Rn. 11). Diese Auslegung der strafbarkeitsbegründenden Tatbestandsmerkmale „Gewalt durch einen anderen" sprengt nicht die Wortsinngrenze des Analogieverbots.
Die vom Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 10. Januar 1995 für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB geforderte physische Zwangswirkung liegt in dieser Konstellation vor. Dies gilt zwar nicht
für das Verhältnis von den Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer, wohl aber für das Verhältnis von dem ersten Fahrzeugführer zu den nachfolgenden Fahrzeugführern. Indem der erste Fahrzeugführer aus Rücksicht auf
die Rechtsgüter der Demonstranten abbremst, zwingt er den nachfolgenden Fahrzeugführer zur Vermeidung eines Aufpralls und damit zur Schonung eigener Rechtsgüter anzuhalten. Das erste Fahrzeug in der Reihe
bedeutet für den nachfolgenden Fahrzeugführer ein unüberwindbares physisches Hindernis im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 (vgl. BVerfGE 104, 92 <102>). Dass im Verhältnis von
Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer keine physische, sondern allein eine psychische Zwangswirkung vorliegt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da die Einflussnahme eines mittelbaren Täters auf den Tatmittler
durchaus allein psychischer Natur sein darf. Für die Fahrzeugführer der zweiten und nachfolgenden Reihen begründet es keinen Unterschied, ob die das Hindernis bildende erste Reihe dort von den Fahrzeugführern selbst abgestellt
wurde (so in BVerfGE 104, 92 <102 f.>) oder aufgrund von psychischer Einflussnahme Dritter entstand. Auch die der strafbarkeitsbegründenden Zurechnung zugrunde liegende Annahme, dass die Demonstranten über hinreichende
Tatherrschaft beziehungsweise Willen zur Tatherrschaft verfügen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Demonstranten versetzen den ersten Fahrzeugführer mit dem Betreten der Fahrbahn, ohne dass es weiterer
(Inter-)Aktion bedarf, gezielt in ein rechtliches Dilemma, das dieser aufgrund der von der Rechtsordnung auferlegten strafbewehrten Pflichten etwa nach §§ 212, 224, 226 StGB zum Schutz von Leib und Leben nicht anders als nach
dem Willen der Demonstranten durch einen Eingriff in die Willensbetätigungsfreiheit der nachfolgenden Fahrzeugführer auflösen kann. Sie sind damit unmittelbar für das Strafbarkeitsdefizit des ersten Fahrzeugführers im Verhältnis
zu den nachfolgenden Fahrzeugführern in Form des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB verantwortlich. Die Figur der mittelbaren Täterschaft durch einen gerechtfertigt handelnden Tatmittler ist in Rechtsprechung (vgl.
BGHSt 3, 4 <5 f.>; 10, 306 <307>) und Schrifttum allgemein anerkannt (vgl. nur Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 25 Rn. 26; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 25 Rn. 5a; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl.
2011, § 25 Rn. 4; Randt, Mittelbare Täterschaft durch Schaffung von Rechtfertigungslagen, 1997, S. 47 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2000, S. 163 ff.). Dass die Auslegung, wonach derjenige, der eine Situation herbeiführt,
die ein gerechtfertigtes Verhalten ermöglicht, auch für dieses Verhalten als mittelbarer Täter haftet (vgl. Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 21. Abschnitt Rn. 81; Kindhäuser, StGB, LPK, 4. Aufl. 2010, § 25 Rn. 27),
die Grenze des Wortsinns überschreitet, ist nicht ersichtlich. Auch nach der Parallelwertung in der Laiensphäre ist es durchaus nachvollziehbar, dass ein Verhalten wie das der Demonstranten, welches dazu führt, dass sich
Fahrzeuginsassen zwischen den Fahrzeugen von Vorder-, Hinter- und Nebenmann sowie unter Umständen Leitplanke, Seitenstreifen (vgl. § 18 Abs. 7 bis 9, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO) oder anderen parkenden Fahrzeugen eingekeilt
wiederfinden, wegen des durch die physische Zwangswirkung herbeigeführten Nötigungserfolgs im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB tatbestandsmäßig sein kann. Sofern sich Bedenken gegen
die Auslegung und Anwendung der Verwerflichkeitsklausel in § 240 Abs. 2 StGB durch die Fachgerichte ergeben, ist diese anhand des materiellen Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu überprüfen (vgl. BVerfGE 104, 92 <103>).
b) Dagegen ist die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 GG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
aa) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet.
(1) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92
<104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE
69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen
Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die
Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).
Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen
gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden,
- nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <106>).
- Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>).
- Er endet mit der r e c h t m ä ß i g e n Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).
(2) Das Landgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint.
Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die Demonstranten sich nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen könnten, weil ihre Aktion der Erregung von Aufmerksamkeit gedient habe, hat es den Schutzbereich der
Versammlungsfreiheit verkannt. Der Umstand, dass die gemeinsame Sitzblockade der öffentlichen Meinungsbildung galt - hier: dem Protest gegen die militärische Intervention der US-amerikanischen Streitkräfte im Irak und deren
Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland -, macht diese erst zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Versteht man die Ausführungen des Landgerichts dahin, dass es zum Ausdruck habe bringen wollen, die
Demonstranten hätten mithilfe der Aktion zu einer selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener konkreter Forderungen angesetzt, erweisen sich diese Erwägungen ebenfalls verfassungsrechtlich als nicht tragfähig. Den der
Entscheidung des Landgerichts zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts sowie den eigenen rechtlichen Erwägungen des Landgerichts lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf das Vorliegen einer
solchen konkreten, vor Ort durchsetzbaren Forderung auf Seiten der Demonstranten deuten. Begreift man die Ausführungen des Landgerichts dahin, dass der Aktion der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG deshalb abzusprechen sei, weil die
Demonstranten sich unfriedlicher Mittel im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG bedient hätten, halten sie einer verfassungsrechtlichen Prüfung ebenfalls nicht stand. Der Entscheidung des Landgerichts sowie den zugrunde liegenden
tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es bei der Aktion zu Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen gekommen ist und die Versammlung hierüber insgesamt einen durch Aggressionen
geprägten unfriedlichen Charakter gewonnen hat. Dass die Aktion von Einsatzkräften der Polizei aufgelöst wurde, schadet nicht, da das Landgericht seine Entscheidung jedenfalls auch auf ein Verhalten des Beschwerdeführers gestützt
hat, das in dem Zeitraum vor der Auflösung lag (vgl. BVerfGE 104, 92 <106>).
bb) In dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts liegt ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers.
cc) Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.
(1) Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften sind grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Allerdings haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8
Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Das Bundesverfassungsgericht hat zum
Schutz der Versammlungsfreiheit vor übermäßigen Sanktionen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB besondere Anforderungen aufgestellt (vgl. BVerfGE 104, 92 <109 ff.>).
Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige
Abwägungselemente sind hierbei
- die Dauer und
- die Intensität der Aktion,
- deren vorherige Bekanntgabe,
- Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten,
- die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch
- der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und
wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der
Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn
dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen
Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92 <112>). Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Abwägungsvorgang der Fachgerichte
Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts beruhen und auch im konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 104, 92 <113>).
(2) Diesen sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht. Zum einen hat es nicht sämtliche zu berücksichtigenden Gesichtspunkte in die
Abwägung eingestellt, zum anderen die zugunsten des Beschwerdeführers streitenden Umstände unter Überschreitung des den Fachgerichten zukommenden Abwägungsspielraums fehlerhaft gewichtet.
Die Ausführungen des Landgerichts unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat bei der Abwägung den Zweck der Sitzblockade, Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur
öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, als einen für die Verwerflichkeit der Tat sprechenden Gesichtspunkt zulasten des Beschwerdeführers gewertet, obwohl dieses sogar den sachlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet
und damit eine Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und den hierdurch betroffenen Rechtsgütern Dritter überhaupt erst erforderlich macht. Des Weiteren hat das Landgericht verkannt, dass der Kommunikationszweck nicht
erst bei der Strafzumessung, sondern im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel gemäß § 240 Abs. 2 StGB, mithin bereits bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit, zu berücksichtigen ist.
Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist des Weiteren, dass das Landgericht bei der Abwägung die Dauer der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, die Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten
Transports sowie die Anzahl der von ihr betroffenen Fahrzeugführer gänzlich außer Betracht gelassen hat.
Schließlich hat das Landgericht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Begründung den Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen verneint. Der Argumentation
des Landgerichts, dass die unter Umständen betroffenen US-amerikanischen Staatsbürger und Soldaten die Irakpolitik der US-amerikanischen Regierung nicht beeinflussen könnten, so dass die Aktion von ihrem
Kommunikationszweck her betrachtet ungeeignet gewesen sei, scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass ein derartiger Sachbezug nur dann besteht, wenn die Versammlung an Orten abgehalten wird, an denen sich die
verantwortlichen Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände oder Ereignisse aktuell aufhalten oder zumindest institutionell ihren Sitz haben. Eine derartige Begrenzung auf Versammlungen im
näheren Umfeld von Entscheidungsträgern und Repräsentanten würde jedoch die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit mit unzumutbar hohen Hürden versehen und dem Recht der Veranstalter, grundsätzlich
selbst über die ihm als symbolträchtig geeignet erscheinenden Orte zu bestimmen, nicht hinreichend Rechnung tragen. Überdies besteht vorliegend umso weniger Anlass an dem Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand der Aktion
und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen zu zweifeln, als sich unter den betroffenen Fahrzeugführern nicht nur US-amerikanische Staatsbürger, sondern auch Mitglieder der US-amerikanischen Streitkräfte
befanden, die, wenn nicht in die unmittelbare Durchführung, so doch jedenfalls in die Organisation der kritisierten militärischen Intervention im Irak eingebunden waren.
dd) Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei der erforderlichen erneuten Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen
Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommt. So wird bei der Entscheidung über die Annahme der Berufung des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein, dass die von dem Amtsgericht getroffenen
tatsächlichen Feststellungen zu den für die Abwägung bedeutsamen Faktoren der Dauer der Aktion („nicht unerhebliche Wartezeit", „möglicherweise über einen nur kurzen Zeitraum") und der Anzahl („in mehreren Reihen
hintereinander aufgestaut") der von ihr betroffenen Fahrzeugführer nicht hinreichend aussagekräftig sind und dass tatsächliche Feststellungen zu den übrigen Faktoren der Abwägung gänzlich fehlen.
4. Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. ..." (BVerfG, 1 BvR 388/05 vom 07.03.2011, Absatz-Nr. (1 - 46), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20110307_1bvr038805.html)
***
Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts
organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens rechtfertigt nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit weitergehende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit,
als sie im öffentlichen Straßenraum zulässig sind (BVerfG, 1 BvR 699/06 vom 22.02.2011, Absatz-Nr. (1 - 128), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110222_1bvr069906.html):
„... A. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, die ein Verbot der als Aktiengesellschaft organisierten, mehrheitlich in öffentlicher Hand befindlichen Betreiberin
des Flughafens Frankfurt bestätigen, das der Beschwerdeführerin auf Dauer untersagt, den Flughafen ohne deren Erlaubnis für Meinungskundgaben und Demonstrationen zu nutzen.
I. 1. Der Flughafen Frankfurt wird von der Fraport Aktiengesellschaft, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) betrieben, in deren Eigentum auch das Flughafengelände steht. Zum Zeitpunkt des den Anlass für
den Zivilrechtsstreit bildenden ‚Flughafenverbots' gegenüber der Beschwerdeführerin im Jahr 2003 besaßen das Land Hessen‚ die Stadt Frankfurt am Main und die Bundesrepublik Deutschland zusammen circa 70 % der Aktien,
während sich der Rest in privater Hand befand. Seit dem Verkauf der Bundesanteile halten das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main, letztere über eine hundertprozentige Tochter, zusammen nunmehr rund 52 % der Aktien.
Die übrigen Anteile befinden sich in privatem Streubesitz.
2. Bei Verhängung des Meinungskundgabe- und Demonstrationsverbots befanden sich auf dem Flughafen Frankfurt sowohl auf der ‚Luftseite', dem nur mit Bordkarte zugänglichen Bereich hinter den Sicherheitskontrollen, als auch
auf der ‚Landseite', dem ohne Bordkarte zugänglichen Bereich vor den Sicherheitskontrollen, eine Vielzahl von Läden und Serviceeinrichtungen sowie eine Reihe von Restaurants, Bars und Cafés. Dieses Konsum- und Freizeitangebot
wurde von der Beklagten im Laufe der Zeit kontinuierlich ausgeweitet. So bietet der Flughafen seinen Besuchern auf der Landseite ausgedehnte Einkaufsmöglichkeiten mit Läden in den Kategorien ‚Bücher und Zeitschriften',
‚Schönheit und Wellness', ‚Tabakwaren und Spirituosen', ‚Fashion und Accessoires', ‚Schuhe und Lederwaren', ‚Blumen und Souvenirs', ‚Foto und Elektronik', ‚Uhren und Schmuck', ‚Optiker und Apotheke'. Auch befinden sich
zahlreiche Gastronomiebetriebe im Flughafen, die vom gehobenen Restaurant über Cafés und Bars bis hin zum Schnellimbiss reichen. Daneben offerieren verschiedene Dienstleister ihre Angebote wie zum Beispiel ein Friseursalon,
ein Wellness-Studio, eine Bank, eine Postfiliale mit Internetzugang, zwei Textilreinigungen und eine Vielzahl von Reiseanbietern. Schließlich gibt es eine christliche Kapelle sowie Gebetsräume für Angehörige anderer
Glaubensrichtungen. Die Beklagte bewirbt dies mit dem Slogan: ‚Airport Shopping für alle!', ‚Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Markplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!'.
3. Die Benutzung des Flughafengeländes durch Flugpassagiere und andere Kunden regelte die Beklagte durch die von dem Land Hessen genehmigte Flughafenbenutzungsordnung in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen
Fassung vom 1. Januar 1998. Diese enthielt in Teil II (Benutzungsvorschriften) - unter anderem - folgende Bestimmung:
4.2 Sammlungen, Werbungen, Verteilen von Druckschriften
Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften bedürfen der Einwilligung des Flughafenunternehmers.
In der derzeit geltenden Fassung vom 1. Dezember 2008 erklärt die Flughafenbenutzungsordnung Versammlungen in den Gebäuden des Flughafens ausdrücklich für unzulässig.
4. Auf dem Gelände des Flughafens wurden in der Vergangenheit wiederholt Versammlungen durchgeführt. Für die Jahre 2000 bis 2007 gibt die Beklagte an, dass an verschiedenen Stellen, darunter auch in den Terminals 1 und 2,
insgesamt fünfundvierzig Demonstrationen und Kundgebungen stattfanden. Bei den Versammlungen handelte es sich um Aktionen verschiedener Veranstalter unterschiedlicher Größe mit diversen Anliegen, teils bei der
Versammlungsbehörde angemeldet, teils nicht, teils mit der Beklagten abgestimmt, teils nicht. Die kleinste Versammlung umfasste drei Personen, die größte circa 2.000 Personen. Auch die Beklagte selbst führte auf der Landseite im
öffentlich zugänglichen Bereich des Flughafens wiederholt Aktionen und Werbeveranstaltungen zur Unterhaltung des Publikums durch, wie beispielsweise Public Viewing anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2010.
5. Die Beschwerdeführerin betrat gemeinsam mit fünf weiteren Aktivisten der ‚Initiative gegen Abschiebungen' am 11. März 2003 den Terminal 1 des Flughafens, sprach an einem Abfertigungsschalter Mitarbeiter der Deutschen
Lufthansa an und verteilte Flugblätter zu einer bevorstehenden Abschiebung. Mitarbeiter der Beklagten und Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes beendeten die Aktion.
6. Mit Schreiben vom 12. März 2003 erteilte die Beklagte der Beschwerdeführerin ein ‚Flughafenverbot' und wies sie darauf hin, gegen sie werde Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt, sobald sie ‚erneut hier unberechtigt
angetroffen' werde. Mit einem erläuternden Schreiben vom 7. November 2003 wies die Beklagte die Beschwerdeführerin unter Verweis auf ihre Flughafenbenutzungsordnung darauf hin, sie dulde ‚mit uns nicht abgestimmte
Demonstrationen im Terminal aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufes und der Sicherheit grundsätzlich nicht'.
7. Das Amtsgericht wies die auf die Aufhebung des Meinungskundgabe- und Demonstrationsverbots zielende und gegen die Fraport AG gerichtete Klage der Beschwerdeführerin ab. Die Beklagte könne sich als Eigentümerin auf ihr
Hausrecht berufen. Einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliege sie nicht. Eine solche Grundrechtsbindung folge auch nicht aus dem Umstand, dass die öffentliche Hand mehrheitlich an der Beklagten beteiligt sei, da sich die
Beteiligung nicht auf 100 % belaufe. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu dem Zweck gegründet worden sei, Grundrechtsbindungen zu unterlaufen, bestünden nicht. Auch übe die Beklagte im Zusammenhang mit den
Abschiebungen keine hoheitlichen Befugnisse aus. Sie unterliege wie sämtliche Privatrechtssubjekte nur einer mittelbaren Grundrechtsbindung, wonach die anzuwendenden Gesetze, aus denen sich ihre Rechte und Pflichten ergäben,
unter Berücksichtigung der Grundrechte auszulegen seien. Nach Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht der Beklagten und dem Recht der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ergebe sich, dass die
Beklagte es nicht hinnehmen müsse, dass auf ihrem Gelände Meinungskundgaben und Demonstrationen stattfänden. Meinungs- und Versammlungsfreiheit seien Abwehrrechte gegenüber dem Staat, verliehen aber keine Rechte
gegenüber einem Eigentümer, der auf seinem Gelände eine Versammlung nicht dulden wolle. Im Rahmen des § 903 BGB komme es nicht darauf an, ob die konkrete Grundrechtsbetätigung den Betriebsablauf auf dem Gelände der
Beklagten tatsächlich beeinträchtige. Das Flughafenverbot sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig, da es nur den Aufenthalt im Flughafen betreffe, der nach Nr. 4.2 der Flughafenbenutzungsordnung unrechtmäßig sei.
8. Das Landgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin unter Verweis auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils als unbegründet zurück. Ergänzend führte es aus: Entscheidend sei, dass die Beklagte im konkreten Fall keine
öffentlichrechtlichen Aufgaben wahrgenommen habe. Die von der Beklagten als Beliehene im Bereich der Luftverkehrsverwaltung wahrgenommenen öffentlichen Aufgaben beschränkten sich auf die Gewährleistung der Sicherheit
und Leichtigkeit des Luftverkehrs. Demgegenüber gehöre die Zurverfügungstellung der Infrastruktur bei der Abschiebung nicht zu der öffentlichen Aufgabe der Luftverkehrsverwaltung. Im Rahmen der mittelbaren
Grundrechtsbindung sei die Beklagte nur verpflichtet, den Zutritt zu Reisezwecken zu gewähren. Das Verbot selbst verstoße weder gegen Gesetze noch sei es sittenwidrig oder diskriminierend.
9. Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Beschwerdeführerin als unbegründet zurück (vgl. NJW 2006, S. 1054 ff.).
Die Befugnis der Beklagten, das Verbot auszusprechen, stütze sich auf das aus §§ 858 ff., 903, 1004 BGB folgende Hausrecht, das es seinem Inhaber ermögliche, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der
Örtlichkeit gestatte und wem er ihn verwehre. Das schließe das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben und die Einhaltung dieser Zwecke mittels eines Verbots durchzusetzen.
Einschränkungen des Hausrechts ergäben sich aus dem Kontrahierungszwang für Flugpassagiere, die die öffentlichrechtlichen Voraussetzungen zur Benutzung des Luftraums erfüllten, sowie aus der Öffnung des Flughafens für
Begleitpersonen von Flugpassagieren und sonstige Besucher und Kunden der auf dem Flughafengelände angesiedelten Restaurants und Geschäfte. Die Beklagte gestatte hierdurch generell und unter Verzicht auf eine Prüfung im
Einzelfall allen Personen den Zutritt zum Flughafen, die sich im Rahmen des üblichen Verhaltens bewegten und den Betriebsablauf nicht störten. Daraus folge indes kein Anspruch der Beschwerdeführerin, den Flughafen auch für
Aktionen wie die am 11. März 2003 zu benutzen. Mit solchem Verhalten würden die Nutzungszwecke überschritten. Die Beklagte stelle den Flughafen weder allgemein zur Verteilung von Flugblättern noch zur Durchführung von
Protestaktionen und sonstigen Versammlungen zur Verfügung. Eine solche Nutzung sei auch mit der Funktion eines Flughafens unvereinbar.
Die Beklagte sei auch nicht mit Rücksicht auf die Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG verpflichtet, das Hausverbot aufzuheben. Dabei könne offenbleiben, ob eine unmittelbare
Grundrechtsbindung der Beklagten die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben voraussetze oder ob eine solche Bindung unabhängig davon bestehe. Das Verbot verletze nämlich auch dann keine Rechte der Beschwerdeführerin, wenn
eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten unterstellt werde.
Art. 8 Abs. 1 GG begründe kein Nutzungsrecht, das nicht schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bestehe, sondern setze die rechtliche Verfügungsbefugnis über den Versammlungsort voraus (unter Verweis auf BVerwGE 91, 135
<138>). Die Beschwerdeführerin könne auch nichts daraus herleiten, dass es der Beklagten möglicherweise nicht völlig freistehe, über Anträge auf Nutzung des Flughafengeländes jenseits seines Nutzungszwecks nach Belieben zu
entscheiden, sondern dass sie gehalten sein könnte, hierbei auch das Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. Eine Duldungspflicht
könne auch insoweit nur in Betracht kommen, wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Flughafens durch die Demonstration nicht oder allenfalls ganz geringfügig beeinträchtigt werde. Versammlungen, die geeignet seien, den
Flughafenbetrieb zu stören, müsse die Beklagte jedenfalls auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG nicht hinnehmen. Solche die Abwicklung des Flugverkehrs störende Versammlungen strebe die Beschwerdeführerin indes an.
Die Beklagte sei auch nicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet, das Verbot aufzuheben. Das Hausrecht eines Flughafenbetreibers schütze die Funktionsfähigkeit des Flughafens und gewährleiste so die Erfüllung des
gesetzlichen Auftrags, die dem Flugverkehr dienenden Anlagen gebrauchsfähig zu erhalten und vor Störungen zu schützen. Diene die Ausübung des Hausrechts - wie hier - der Verhinderung konkret drohender Betriebsstörungen, sei
die damit verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit hinzunehmen. Das Verbot sei im Lichte von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG verhältnismäßig. Der Beklagten habe kein milderes Mittel als das Verbot zu Gebote
gestanden, um die Beschwerdeführerin auch künftig zur Beachtung der zulässigen Nutzungszwecke anzuhalten. Außerdem beziehe sich das Verbot nur auf mit der Beklagten nicht abgestimmte Aktionen. Die Beklagte habe damit zu
erkennen gegeben, wie sich auch aus Nr. 4.2 der Flughafenbenutzungsordnung ergebe, dass sie grundsätzlich bereit sei, im Einzelfall über eine Erlaubnis zu entscheiden.
10. Mit Schreiben vom 10. März 2006 informierte die Beschwerdeführerin die Beklagte, dass sie am nächsten Tag im Terminal 2 des Flughafens für einige Minuten ihre Meinung zu den derzeit stattfindenden Abschiebungen nach
Afghanistan kundgeben werde, ohne den Flugbetrieb in irgendeiner Weise stören zu wollen. Außerdem teilte sie mit, dass sie beim zuständigen Ordnungsamt für den gleichen Tag eine halbstündige kleine Versammlung im Terminal 1
des Flughafens angemeldet habe. Für beide Aktionen bat die Beschwerdeführerin die Beklagte um Erlaubnis. Unter Verweis auf das ausgesprochene Verbot versagte die Beklagte die Erlaubnis für beide Aktionen. Sollte die
Beschwerdeführerin trotz des Verbots die Aktionen durchführen, werde man sie sofort aus den Terminals verweisen lassen und Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen.
II. Mit ihrer am 15. März 2006 eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG.
Die Beklagte müsse sich die Grundrechte der Beschwerdeführerin unmittelbar entgegenhalten lassen. Dies ergebe sich daraus, dass die öffentliche Hand die Mehrheit ihrer Gesellschaftsanteile halte. Der Staat könne sich seiner
Grundrechtsbindung durch eine ‚Flucht ins Privatrecht' nicht entziehen. Hinzu komme, dass die Beklagte als Betreiberin eines Verkehrsflughafens im Sinne von § 38 Abs. 2 Nr. 1 Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (im Folgenden:
LuftVZO) öffentliche Infrastrukturleistungen anbiete und als Beliehene im Bereich der Luftverkehrsverwaltung öffentliche Aufgaben wahrnehme. Der von ihr betriebene Flughafen sei Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Unabhängig
davon seien auch materiell private Rechtssubjekte unmittelbar an die Grundrechte gebunden, wenn sie Gefährdungslagen für grundrechtlich geschützte Autonomiebereiche herbeiführten, die den Freiheitsgefährdungen im
Staat-Bürger-Verhältnis glichen.
Doch selbst wenn man nur eine mittelbare Grundrechtsbindung annehme, genügten die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG nicht.
Das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot verletze die Beschwerdeführerin in ihrer Versammlungsfreiheit. Stellten private Eigentümer wie hier die Beklagte der Öffentlichkeit eine Fläche als Flanier- und Konsummeile zur
Verfügung, verpflichte Art. 8 Abs. 1 GG sie zur Überlassung dieser Fläche auch zu Versammlungszwecken. Aus der Öffnung eines kommunikativen Raums ergäben sich Duldungspflichten, denen sich die Beklagte aufgrund ihrer
Aktionärsstruktur, der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, der Sozialadäquanz des in Streit stehenden Verhaltens der Beschwerdeführerin sowie aus dem unmittelbaren örtlichen Bezug zwischen dem Flughafen und dem
Protestgegenstand nicht mit dem pauschalen Hinweis auf eine Betriebsstörung entziehen könne. Außerdem stehe das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen nicht unter dem Vorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG
und könne insoweit nur im Hinblick auf kollidierende Verfassungsgüter eingeschränkt werden. Das zeitlich unbefristete, strafbewehrte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auf dem gesamten Flughafengelände schränke die
Beschwerdeführerin in ihrer Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig ein, weil mildere Maßnahmen wie Anzeigepflichten, Differenzierungen nach der Größe der Versammlung oder die Festlegung bestimmter örtlicher Verbotszonen
zu Gebote stünden. Außerdem mache es Spontanversammlungen unmöglich.
Daneben sei auch die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin verletzt. Die Zivilgerichte hätten die Bedeutung des allgemein zugänglichen Raums für die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin verkannt. Die Beklagte habe mit
dem Flughafen ein Areal geschaffen, das in großem Umfang Einkaufs-, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe vorhalte. Das Verteilen von Flugblättern in diesem öffentlich zugänglichen Raum überschreite nicht den Rahmen des
von der Beklagten eröffneten Allgemeinverkehrs. Die Beklagte müsse es hinnehmen, wenn Besucher ihrer ‚Flug- und Erlebniswelt' auch kritische Kommunikationsinhalte austauschten, und könne dies ebenso wenig verbieten, wie sie
etwa auf den Inhalt von Tageszeitungen Einfluss nehmen könne, die in den Zeitungsläden auf dem Flughafengelände verkauft würden. Gesteigert werde die Duldungspflicht durch den engen Zusammenhang zwischen der geäußerten
Kritik und der Örtlichkeit des Flughafens. Denn vom Flughafen aus werde ein Großteil der aus Deutschland durchgeführten Abschiebungen abgewickelt, gegen die sich der Protest richte. Schließlich sei der Eingriff in die
Meinungsfreiheit auch deshalb unverhältnismäßig, weil das Verbot die Meinungsfreiheit zeitlich unbefristet unter einen strafbewehrten Erlaubnisvorbehalt stelle.
III. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesverwaltungsgericht, die Hessische Staatskanzlei sowie die im Ausgangsverfahren beklagte Fraport AG Stellung genommen.
1. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, dass nach seiner Rechtsprechung (vgl. BVerwGE 113, 208 <211>) ein privatrechtliches Unternehmen, das vom Staat beherrscht werde, der unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliege.
Allerdings folgten nach seiner Rechtsprechung aus dem Abwehrrecht des Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich keine Leistungsansprüche gegen den Staat und damit auch nicht gegen einen Träger einer öffentlichen Einrichtung auf
Überlassung eines Grundstücks zu Demonstrationszwecken (vgl. BVerwGE 91, 135 <138 ff.>). Art. 8 Abs. 1 GG begründe kein Benutzungsrecht, das nicht schon nach allgemeinen Grundsätzen bestehe. Der Träger einer öffentlichen
Einrichtung sei allerdings nicht davon entbunden, bei der aus Anlass eines Antrags auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zu treffenden Ermessensentscheidung das Gewicht des Interesses des Antragstellers an der
Wahrnehmung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gebührend zu berücksichtigen.
2. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde nur im Hinblick auf die Rüge der Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für zulässig. Im Übrigen sei sie teils mangels hinreichender
Substantiierung, teils mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Die Beklagte sei nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Sie falle als Gesellschaft des Privatrechts nicht unter Art. 1 Abs. 3 GG. Der Umstand, dass die Anteile an der Beklagten mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen
Hand stünden, mache sie selbst nicht zu einer Hoheitsträgerin. Die Beklagte sei vielmehr als Betreiberin eines Verkehrsflughafens Adressatin zahlreicher luftverkehrsrechtlicher Pflichten (§ 19a, § 27d Abs. 2, § 29a Luftverkehrsgesetz
und § 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO). Eine behördenähnliche Eingliederung in den staatlichen Verwaltungsaufbau, die die Beklagte als ‚verlängerten Arm' des Staates erscheinen lasse, sei hieraus nicht abzuleiten. Auch die im
Luftverkehrsgesetz vorgesehene Möglichkeit, hoheitliche Befugnisse auf Privatpersonen zu übertragen, ändere hieran nichts. Bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wie der Beklagten seien allein die öffentlichen Anteilseigner
grundrechtsgebunden. Die Beteiligung der öffentlichen Hand dürfe nicht zur Folge haben, dass die ihrerseits grundrechtlich geschützte Beteiligung der privaten Anteilseigner wegen Grundrechten Dritter Begrenzungen über das übliche
Maß hinaus erfahre. Außerdem seien öffentliche Anteilseigner nach dem Aktienrecht nicht imstande, einen bestimmenden Einfluss auf Einzelfallentscheidungen des Vorstandes auszuüben. Auch die von der Beklagten erbrachten
öffentlichen Infrastrukturleistungen bewirkten eine unmittelbare Grundrechtsbindung nicht. Aus der Aufgabenwahrnehmung könne nicht geschlossen werden, dass sie auch dort an die Grundrechte gebunden sei, wo es gerade um die
Verhinderung einer bestimmungswidrigen Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen gehe.
b) Auch eine mittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten begründe nicht die Verpflichtung, privates Eigentum für die Ausübung von Grundrechten Dritter zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte sei nur verpflichtet, jedem Nutzer
diskriminierungsfrei die Teilnahme am Luftverkehr zu ermöglichen. Soweit in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall aus einer Drittwirkung der Grundrechte Kontrahierungszwänge hergeleitet worden seien, könne daraus
für den hier vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden, denn dort sei es anders als hier stets um eine begehrte Nutzung im Rahmen des jeweiligen Widmungszwecks gegangen. Auch die Werbung der Beklagten führe zu keiner
Ausdehnung des Widmungszwecks hin zu einem unspezifischen Allgemeinverkehr. Bei einem Großflughafen wie dem Flughafen Frankfurt entsprächen Einkaufsmöglichkeiten jedenfalls mittelbar dem Widmungszweck. Ungeachtet
dessen folge aus der Einrichtung von Geschäften kein allgemeines, durch das Hausrecht unbeschränkbares Zutrittsrecht für jedermann. Vielmehr seien die Flächen zu Konsumzwecken nicht anders zu beurteilen als Flächen im
Eigentum eines sonstigen Privaten, also wie Kaufhäuser oder Einkaufszentren. Sie seien nicht mit Fußgängerzonen oder öffentlichen Plätzen vergleichbar, die straßenrechtlich dem öffentlichen Verkehr gewidmet seien.
c) Selbst wenn man eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Beklagten unterstelle, seien die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte müsse Versammlungen, die - wie die Aktionen der
Beschwerdeführerin - geeignet seien, den Flughafenbetrieb zu stören, nicht hinnehmen. Abgesehen davon laufe eine allgemeine Öffnung der Terminalflächen für die von der Beschwerdeführerin verfolgten Zwecke der
öffentlichrechtlichen Betriebssicherungspflicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO zuwider. Diese könne die Beklagte nur gewährleisten, wenn sie Personen, die nicht am Flugverkehr teilnehmen wollten, den Zugang verwehren könne.
Der Flughafen stelle für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen ein attraktives Kommunikationsforum dar. Hätte die Beklagte daher die Aktionen der Beschwerdeführerin zu dulden, so wäre sie im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG
auch gegenüber anderen Gruppen gehalten, derartige Aktionen hinzunehmen, was zu einer konfliktträchtigen, kaum mehr kontrollierbaren Politisierung des sicherheitssensiblen Bereichs der Terminals führen würde.
3. Die Beklagte hält die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rügen der Verletzung der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit für unbegründet.
a) Sie selbst sei nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Auf die Aktionärsstruktur könne nicht abgestellt werden, weil die Frage der Grundrechtsbindung sonst von Zufälligkeiten des Börsenhandels abhängig gemacht und der
Verkauf einer geringen Beteiligung eine völlige Änderung des grundrechtlichen Status bewirken würde. Der Annahme einer umfassenden Grundrechtsbindung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens wie der Beklagten stehe das
Grundrecht auf Eigentum der privaten Anteilseigner entgegen, die nicht zugleich Grundrechtsberechtigte und Grundrechtsadressaten sein könnten.
Aus der öffentlichen Aufgabe der Beklagten, die Sicherheit und Leichtigkeit des Luftverkehrs zu garantieren, könne nicht geschlossen werden, dass sie auch dort grundrechtsgebunden sei, wo es gerade nicht um den Zweck der
Beförderung von Passagieren, sondern um eine darüber hinausgehende Nutzung gehe. Der öffentliche Charakter der Aufgabe führe schließlich auch nicht dazu, dass die Rechtsverhältnisse der Beklagten zu den Passagieren und
Kunden des Flughafens öffentlichrechtlicher Natur seien. Ebenso wenig könne sich die Beschwerdeführerin auf die thematische Nähe des Versammlungsortes ‚Flughafen' zu dem Protestgegenstand berufen. Für diesen rein örtlichen
Bezug sei die Beklagte nicht verantwortlich. Die Beförderung zum Zweck der Abschiebung werde durch die dafür zuständigen Behörden veranlasst, die hierfür einen regulären Passagierplatz bei einer Fluggesellschaft buchten. Dabei
sei die Beklagte verpflichtet, den zuständigen Behörden die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Sie sei insoweit selbst Adressatin, nicht Akteurin hoheitlicher Maßnahmen. Gebunden sei die Beklagte mithin nur nach den
für den gesamten Privatrechtsverkehr geltenden Grundsätzen der mittelbaren Grundrechtsbindung. Hieraus ergebe sich kein Anspruch eines Dritten auf Nutzung des in ihrem Eigentum stehenden Geländes.
b) Auch die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin sei nicht verletzt. Meinungsäußerungen in Form des Verteilens von Flugblättern im Flughafen seien nicht von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Zwar umfasse die
Meinungsfreiheit grundsätzlich auch die Wahl der Mittel und des Ortes einer Äußerung. Vorausgesetzt sei aber, dass der gewählte Ort für den Grundrechtsträger grundsätzlich frei verfügbar sei. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG enthalte
dagegen kein Teilhaberecht auf Zurverfügungstellung eines ansonsten nicht verfügbaren Ortes. Die grundrechtlich geschützte freie kommunikative Entfaltung gelte für den Bereich öffentlicher Straßen und Plätze, nicht aber
uneingeschränkt für private oder öffentliche Einrichtungen über deren jeweilige Aufgabe und Widmung hinaus. Auch der öffentliche Eigentumsanteil und die Eröffnung des Verkehrs machten das Flughafengebäude nicht zum
öffentlichen Raum, der jeder Ausübung kommunikativer Grundrechte offen zu stehen habe.
Wäre der von der Beklagten betriebene Flughafen ein Eigenbetrieb der öffentlichen Hand, so stünde er nicht im Gemein-, sondern lediglich im Anstaltsgebrauch. Das erlaubte Verhalten wäre von vornherein auf den der Widmung
entsprechenden Anstaltszweck des Flughafens begrenzt. Selbst wenn man einen Flughafen als öffentliche Einrichtung im Gemeingebrauch qualifizieren wollte, wäre der zulässige Gebrauch auf den Widmungszweck begrenzt. Eine
darüber hinausgehende Sondernutzung wäre in jedem Fall erlaubnispflichtig. Dies müsse erst recht für private Einrichtungen mit nur partiellen öffentlichen Aufgaben gelten. Auch auf öffentlichen Straßen sei das Verbreiten von
Meinungen nicht als Gemeingebrauch, sondern als Sondernutzung zu bewerten, wenn es den Gemeingebrauch anderer beeinträchtigen könne. Hierbei komme es auf die örtlichen Verhältnisse an. Was auf Straßen noch
Gemeingebrauch sei, könne unter den beengten Verhältnissen und angesichts der vielfältigen Nutzungsansprüche im Fall eines großen Flughafens schon Sondernutzung sein. Hier könnten schon kleinere Gruppen und eine an den
Warteschlangen Flugblätter verteilende Person die Aufmerksamkeit für Durchsagen beeinträchtigen oder Flugpassagieren den Zugang versperren. Dem Ermessen des Trägers einer öffentlichen Einrichtung bei der Erlaubnis von
Sondernutzungen entspreche bei einem privaten Träger der Erlaubnisvorbehalt für alle nicht der Widmung entsprechenden Nutzungen.
Auch das Angebot von ‚Kauflandschaften' und ‚Erlebniswelten' führe zu keiner Erweiterung des Widmungszwecks. Hierbei handele es sich um Einrichtungen, die lediglich den Zweck hätten, den Flugpassagieren die Zeit vor und nach
dem Flug unterhaltsam zu gestalten. Faktisch sei hiermit keine entscheidende Widmungserweiterung verbunden. So stünden den rund 52 Millionen Passagieren und 6 Millionen Begleitpersonen im Jahr 2006 nur circa 4 Millionen
Kunden gegenüber, die den Flughafen allein zu Einkaufs- oder Besichtigungszwecken aufgesucht hätten. Eine Erweiterung des Widmungszwecks und damit des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit ergebe sich auch nicht durch die
räumliche Beziehung zwischen dem Flughafen und der kritisierten Abschiebungspraxis.
Selbst wenn das Verteilen von Flugblättern in dem Flughafengebäude grundsätzlich unter die Meinungsfreiheit falle, sei hiervon eine Anstiftung zu Straftaten, wie bei einer Aktion der Beschwerdeführerin im Juni 2004, bei der sie die
Fluggäste dazu aufgefordert habe, zur Verhinderung einer Abschiebung das Handy im Flugzeug nicht abzuschalten, nicht umfasst. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit sei insoweit jedenfalls gerechtfertigt. Der Betreiber eines
Flughafens müsse bestimmte Formen von Meinungsäußerungen, insbesondere Flugblattaktionen, kontrollieren dürfen, wenn diese geeignet seien, Betriebsstörungen herbeizuführen. Ebendies sei der Sinn der Erlaubnispflicht.
Gesetzliche Grundlage und allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sei das Hausrecht aus §§ 858, 903 BGB. Mindestens für die privaten Anteilseigner sei dieses Recht durch Art. 14 GG auch verfassungsrechtlich
abgesichert. Dieses Hausrecht habe die Beklagte im Einklang mit Art. 5 GG ausgeübt. Selbst wenn das Eigentum durch die öffentliche Aufgabe und eine erweiterte Grundrechtsbindung im Sinne eines öffentlichen
Kommunikationsraums überlagert sei, sei die durch das Verbot vorgenommene Beschränkung der Meinungsfreiheit als Zuordnung unterschiedlicher Grundrechte im Sinne einer Konfliktlösung zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt.
Das Verbot des Flugblattverteilens ohne ausdrückliche Erlaubnis sei auch verhältnismäßig. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführerin die Möglichkeit bleibe, im öffentlichen Raum im unmittelbaren Umfeld des
Flughafens, wie etwa am Charterbusbahnhof vor Terminal 1, auf ihre Meinung aufmerksam zu machen. Demgegenüber würde die Öffnung des Flughafens für vielfältige Meinungskundgaben zu einer Politisierung von
Verkehrseinrichtungen führen. Konflikte wären vorprogrammiert und tendenziell unkontrollierbar. Flugpassagiere könnten sich für bestimmte Meinungen vereinnahmt fühlen, ohne - wie im öffentlichen Verkehrsraum - ausweichen zu
können. All dies sei mit den Sicherheitspflichten für Flughafenbetreiber nicht vereinbar.
c) Ebenso wenig sei das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Weder die öffentliche Aufgabe noch die öffentliche Zugänglichkeit verschafften der Beschwerdeführerin einen Anspruch auf die Abhaltung
einer Demonstration auf einem dafür nicht zur Verfügung gestellten Gelände. Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützte örtliche Selbstbestimmungsrecht beziehe sich nicht auf in fremdem Eigentum stehende
Grundstücke und Einrichtungen. Wie die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit allein auf den öffentlichen Straßenraum zugeschnitten. Etwas anderes gelte nur für Versammlungen in
geschlossenen Räumen, um die es aber wegen der freien Zugänglichkeit der Terminals nicht gehe.
Würde man die Terminals dem öffentlichen Straßenraum gleichstellen, hätte dies schwere Folgen für die Funktionsfähigkeit des Flughafens. Nach allgemeinem Versammlungsrecht müsste zunächst jede angemeldete Versammlung
und jede Spontanversammlung hingenommen werden. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung könnten einen Eingriff nicht rechtfertigen. Behinderungen Dritter müssten bis zur Grenze der Unfriedlichkeit hingenommen werden.
Einzelne Straftaten würden die ganze Versammlung nicht unfriedlich werden lassen. Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und Empfindlichkeiten von Staatsgästen dürften keine Rolle spielen. Die Versammlungsfreiheit
würde sich grundsätzlich auch auf die Verwendung von Megafonen und Transparenten erstrecken. Die Kosten der Reinigung müssten von dem Träger der Baulast übernommen werden. Bei einem solchen Szenario müssten die
Zuständigkeiten zwischen der Beklagten, der Stadt Frankfurt am Main und der Landespolizei neu verteilt werden. Eine solche Zuständigkeitsverteilung könne allein der Gesetzgeber regeln. Jedenfalls aber sei eine drastisch erhöhte
Präsenz der Landespolizei vonnöten.
Selbst wenn die Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch Demonstrationen in den Terminals umfasse, sei das hier in Rede stehende Verbot zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Der Flughafen sei eine besonders störungssensible
Einrichtung, die nur bei hoher Disziplin aller Beteiligter funktioniere: Der Lärm der Versammlungsteilnehmer, insbesondere durch Trillerpfeifen, könne die Vernehmbarkeit und Verständlichkeit von Lautsprecherdurchsagen
erschweren. Durch herumstehende Gruppen könnten Fluchtwege und Notausgänge verstellt, der Brandschutz erschwert und Rettungseinsätze behindert werden. Bei unübersichtlichen Menschenmengen könne der Raum nicht mehr auf
stehengelassene Gepäckstücke kontrolliert werden. Aus der Menschenmenge heraus könnten leichter Terroranschläge verübt werden. Es bestehe kaum die Möglichkeit, Flugpassagiere von einem Terminalbereich in einen anderen
umzuleiten. Außerdem sei mit Konfrontationen zwischen Versammlungsteilnehmern und Flugpassagieren zu rechnen, die befürchteten, ihren Flug zu verpassen. Der Flughafen sei insoweit mit einer städtischen Fußgängerzone nicht
zu vergleichen.
Ein generelles Demonstrationsverbot im Flughafen sei auch verhältnismäßig. Mildere Mittel wie etwa die Verweisung auf den Außenbereich des Flughafens würden bereits regelmäßig ergriffen. Die Folgen des Verbots für die
Beschwerdeführerin seien im Hinblick auf die räumlichen Alternativen gering. Wären Versammlungen in den Terminals des Flughafens zulässig, stünde zu befürchten, dass sich diese zu einer der ‚Haupt-Demonstrationsarenen' der
Republik entwickeln würden. Sicherheit und die ordnungsgemäße Abwicklung des Verkehrs wären nicht mehr oder nur noch unter Inkaufnahme einer unzumutbaren Aufrüstung und eines Umbaus des gesamten Terminalbereichs zu
gewährleisten. So habe die Beklagte in Absprache mit der Polizei für den Fall von Demonstrationen, die unbeherrschbar zu werden drohten, entschieden, den betreffenden Terminal zu schließen und nur noch Passagiere mit Flugtickets
hineinzulassen. Ein solches Vorgehen ziehe indes regelmäßig eine Flut von Beschwerden und Schadensersatzforderungen nach sich und bedeute letztlich, dass die Beklagte ihre betrieblichen Prozesse selbst blockiere.
IV. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Beschwerdeführerin und die Beklagte als Äußerungsberechtigte sowie als sachkundige Auskunftspersonen Vertreter von Amnesty International - Sektion der Bundesrepublik
Deutschland e.V. -, des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen - Deutsche Sektion des CEEP e.V. -, des Deutschen Gewerkschaftsbundes - Bezirk Hessen-Thüringen - sowie der Bundespolizeidirektion Flughafen
Frankfurt/Main und der Polizeidirektion Flughafen des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main geäußert.
B. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
I. Die Beklagte ist gegenüber der Beschwerdeführerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Entsprechend kann sie sich zur Rechtfertigung des von ihr ausgesprochenen Flughafenverbots nicht ihrerseits auf eigene Grundrechte berufen.
1. Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den
Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche
Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.
a) Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher
Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist dabei weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen. Entscheidungen,
Äußerungen und Handlungen, die - auf den jeweiligen staatlichen Entscheidungsebenen - den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung erfasst.
Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt.
Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der
Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich
rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und - insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in
treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität,
sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung steht nicht unter einem
Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt. Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für
seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre,
ist ihm verstellt.
b) Die unmittelbare Grundrechtsbindung betrifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen
Hand beherrscht werden.
aa) Für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den oder die Träger des jeweiligen Unternehmens trifft, sondern
das Unternehmen selbst (vgl. BVerwGE 113, 208 <211>; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 117 Rn. 49; Ehlers, Gutachten E für den 64. DJT <2002>, S. E 39; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1
Abs. 3 Rn. 69 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Aufl. 2009, Rn. 187; Höfling, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 104). Dies entspricht dem Charakter eines solchen Unternehmens als verselbständigter
Handlungseinheit und stellt eine effektive Grundrechtsbindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesellschaftsrechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie
- bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern - eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten wäre. Aktivitäten öffentlicher Unternehmen bleiben unabhängig von der
Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Einflussrechte eine Form staatlicher Aufgabenwahrnehmung, bei der die Unternehmen selbst unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind.
bb) Nichts anderes hat für gemischtwirtschaftliche Unternehmen, an denen sowohl private wie öffentliche Anteilseigner beteiligt sind, zu gelten, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden.
(1) Auch bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen erfasst die Frage der Grundrechtsbindung das jeweilige Unternehmen insgesamt und kann nur einheitlich beantwortet werden. Sie sind gleichfalls als verselbständigte
Handlungseinheiten tätig. Die Grundrechtsbindung der hinter den Unternehmen stehenden öffentlichen Eigentümer und ihre gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsbefugnisse allein sind ungeeignet, die Grundrechtsbindung solcher
Unternehmen zu ersetzen und machen sie insbesondere nicht überflüssig. Schon grundsätzlich kann eine Grundrechtsbindung nicht quotenweise realisiert werden. Auch sind die Einwirkungsrechte der Anteilseigner auf die laufende
Geschäftsführung gesellschaftsrechtlich vielfach beschränkt, so dass - insbesondere im Aktienrecht (vgl. etwa § 119 Abs. 2 AktG), und unter Berücksichtigung des Mitbestimmungsrechts - eine Grundrechtsbindung selbst durch die
Mehrheit der Eigentümer vielfach nicht durchsetzbar ist. Überdies wäre die Geltendmachung von Grundrechten über den Umweg der Einwirkungsrechte, zumal wenn an einem Unternehmen mehrere öffentliche Anteilseigner beteiligt
sind, vom Verfahren und Zeitaufwand her zu schwerfällig, um einen effektiven Grundrechtsschutz sicherzustellen.
(2) Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt dann der unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn es von den öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile
im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Insoweit kann grundsätzlich an entsprechende zivilrechtliche Wertungen angeknüpft werden (vgl. §§ 16, 17 AktG, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe f Richtlinie 2004/109/EG). Ob in besonderen
Fällen dieses Kriterium zu ergänzen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
Das Kriterium der Beherrschung mit seiner Anknüpfung an die eigentumsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse stellt danach nicht auf konkrete Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Geschäftsführung ab, sondern auf die
Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen: Anders als in Fällen, in denen die öffentliche Hand nur einen untergeordneten Anteil an einem privaten Unternehmen hält, handelt es sich dann grundsätzlich nicht um private
Aktivitäten unter Beteiligung des Staates, sondern um staatliche Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten. Für sie gelten unabhängig von ihrem Zweck oder Inhalt die allgemeinen Bindungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Bei
der Entfaltung dieser Aktivitäten sind die öffentlich beherrschten Unternehmen unmittelbar durch die Grundrechte gebunden und können sich umgekehrt gegenüber Bürgern nicht auf eigene Grundrechte stützen.
(3) Die Rechte der privaten Anteilseigner erfahren hierdurch keine ungerechtfertigte Einbuße: Ob diese sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich
die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen - wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst - frei, hierauf zu reagieren. Sofern sich Private indes an solchen Unternehmen beteiligen, haben sie an den
Chancen und Risiken, die sich aus den Handlungsbedingungen der öffentlichen Hand ergeben, gleichermaßen teil. Ohnehin unberührt bleibt ihre Rechtsstellung als Grundrechtsträger insbesondere des Eigentumsgrundrechts
unmittelbar gegenüber den öffentlichen Anteilseignern oder sonst gegenüber der öffentlichen Gewalt.
c) Mit der unmittelbaren Grundrechtsbindung und der damit fehlenden Berechtigung, sich in einem Zivilrechtsstreit gegenüber Privaten auf eigene Grundrechte zu berufen, unterliegen öffentlich beherrschte Unternehmen spezifischen
Beschränkungen, denen materiell private beziehungsweise privat beherrschte Unternehmen nicht unterliegen. Die Auswirkungen dieser Grundrechtsbindung sind, da im Rahmen des Zivilrechts verbleibend, jedoch begrenzt.
Insbesondere wird die öffentliche Hand hierdurch nicht grundsätzlich daran gehindert, in adäquater und weithin gleichberechtigter Weise wie Private die Handlungsinstrumente des Zivilrechts für ihre Aufgabenwahrnehmung zu
nutzen und auch sonst am privaten Wirtschaftsverkehr teilzunehmen. Dies schließt umgekehrt allerdings nicht aus, dass möglicherweise Private - etwa im Wege der mittelbaren Drittwirkung - unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte
ähnlich oder auch genauso weit durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat.
aa) Viele typische Gefährdungslagen für den Grundrechtsschutz entstehen im Privatrecht von vornherein nicht, da dort dem Staat keine spezifischen Eingriffsbefugnisse zu Gebote stehen. Einseitig verbindliches Handeln ist ihm im
Privatrecht nur sehr begrenzt - etwa wie vorliegend unter Rückgriff auf die zivilrechtlichen Eigentümerbefugnisse, insbesondere das Hausrecht - eröffnet. Sofern hingegen Grundrechte im Rahmen von Vertragsbeziehungen in Frage
stehen, ist es möglich, dass mangels einseitiger Entscheidungsgewalt der öffentlichen Hand schon kein Eingriff in Grundrechte stattfindet oder bei einer Grundrechtsbeschränkung die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses seitens des
Bürgers im konkreten Fall mit in Rechnung zu stellen ist. Auch hindert die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschte Unternehmen nicht, sich erwerbswirtschaftlich am Wirtschaftsverkehr zu beteiligen. Insbesondere
verbietet auch Art. 3 Abs. 1 GG Differenzierungen nicht, die an marktrelevante Kriterien wie Produktqualität, Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit anknüpfen, um ein wettbewerbliches Wirtschaften des Unternehmens zu ermöglichen.
bb) Allerdings sind die Grundrechtsbindung und die ihr entsprechende fehlende Grundrechtsberechtigung nicht ohne Bedeutung. Sie verwehren öffentlich beherrschten Unternehmen insbesondere, sich auf die Subjektivität
gewillkürter Freiheit zu berufen. So kann die öffentliche Hand zwar die zivilrechtlichen Eigentümerbefugnisse - wie vorliegend das Hausrecht - nutzen, jedoch entheben diese nicht davon, insbesondere einseitig verbindliche
Entscheidungen durch legitime Gemeinwohlzwecke am Maßstab der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen. Praktische Bedeutung erlangt die Grundrechtsbindung vor allem als Verpflichtung zu
rechtsstaatlicher Neutralität bei der Gestaltung ihrer Vertragsbeziehungen. Öffentliche einschließlich der öffentlich beherrschten Unternehmen können zwar ihre Kundenbeziehungen nach der Logik des Marktes gestalten, jedoch steht
es ihnen nicht frei, ihre wirtschaftliche Tätigkeit nach Belieben mit subjektiv weltanschaulichen Präferenzen oder Zielsetzungen und hierauf beruhenden Differenzierungen zu verbinden.
cc) Die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschter Unternehmen unterscheidet sich somit grundsätzlich von der in der Regel nur mittelbaren Grundrechtsbindung, der auch Private und Privatunternehmen - insbesondere
nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung und auf der Grundlage von staatlichen Schutzpflichten - unterworfen sind. Während diese auf einer prinzipiellen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Bürger beruht, dient jene dem
Ausgleich bürgerlicher Freiheitssphären untereinander und ist damit von vornherein relativ. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Wirkung der Grundrechte und damit die - sei es mittelbare, sei es unmittelbare - Inpflichtnahme Privater
in jedem Fall weniger weit reicht. Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates vielmehr nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der
Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die - wie
die Sicherstellung der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen - früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren. Wieweit dieses heute in Bezug auf die Versammlungsfreiheit oder die Freiheit der
Meinungsäußerung auch für materiell private Unternehmen gilt, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
2. Die Beklagte ist als Aktiengesellschaft, deren Anteile zu mehr als 50 % von öffentlichen Anteilseignern gehalten werden, folglich unmittelbar an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden.
II. Die angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG.
1. Das durch die angegriffenen Entscheidungen bestätigte Verbot, im Frankfurter Flughafen ohne Erlaubnis der Beklagten Versammlungen durchzuführen, greift in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1
GG ein.
a) aa) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen
(vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 111, 147 <154 f.>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>). In
ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren
und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).
bb) Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden
Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein
Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch in Blick auf
Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können.
(1) Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen
schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist
durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.
(2) Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.
Dies betrifft - unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts - zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen
besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege
menschlicher Kontakte angesehen. In verstärktem Maß gilt dies für Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche; die Ermöglichung des kommunikativen Verkehrs ist ein wesentliches Anliegen, das mit solchen Einrichtungen
verfolgt wird (vgl. Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 730). Das Versammlungsrecht knüpft an diese Funktion an. Dabei beachtet es die allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, die es
jedoch partiell überlagert, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen und Aufzüge finden hier die Bedingungen, um Forderungen einem allgemeinen Publikum
zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich ‚auf die Straße zu tragen'.
Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die
Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die
Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt
unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher
Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Ein Verbot von Versammlungen kann auch nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße
Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo
öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der
Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen.
(3) Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der
Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine
individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen - die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten - Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner
Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden.
Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums (vgl. zu
ähnlichen Kriterien: Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, <1991> 1 S. C. R. 139; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness <ISKCON> v.
Lee, 505 U.S. 672 <1992>). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht
entsteht. Abzugrenzen ist dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind. Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht
ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen - außerhalb privater Nutzungsrechte - die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies
indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden
Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von
kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen,
gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein
konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung.
b) Hiervon ausgehend greift die Bestätigung des von der Beklagten ausgesprochenen Flughafenverbots durch die angegriffenen Entscheidungen in die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.
Das Begehren der Beschwerdeführerin, im Frankfurter Flughafen Versammlungen durchzuführen, fällt nicht schon aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit heraus. Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen
als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen. So ist eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit für die Sicherheitsbereiche, die nicht allgemein zugänglich sind, ebenso
ausgeschlossen wie für solche Bereiche, die nur bestimmten Funktionen (zum Beispiel der Gepäckausgabe) dienen. Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum
Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. Unter der Rubrik ‚Einkaufen und Erleben' wirbt die Beklagte, die sich als ‚City in the City' versteht, im Internet: ‚Airport
Shopping für alle!', ‚Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!'. Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren
Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offenstehen.
Die Beklagte untersagt der Beschwerdeführerin demgegenüber für die Zukunft zeitlich unbegrenzt - und damit ohne Ansehung der durch eine bestimmte Versammlung konkret drohenden Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs - die
Durchführung von Versammlungen ohne ihre Erlaubnis für den gesamten Bereich des Flughafens. Indem die angegriffenen Entscheidungen dieses Verbot bestätigen, greifen sie in die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.
2. Der Eingriff unterliegt im Hinblick auf die formelle Verfassungsmäßigkeit der das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einschränkenden Ermächtigungsgrundlage keinen Bedenken. Die Beklagte kann sich für die Beschränkung
von Versammlungen im Frankfurter Flughafen grundsätzlich auf die Eigentümerbefugnisse des Bürgerlichen Gesetzesbuches stützen. Sie hat deren Ausübung allerdings am Grundrecht der Versammlungsfreiheit auszurichten.
a) Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr können Versammlungen unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Diesem
Gesetzesvorbehalt unterfallen auch Versammlungen im Innern des Frankfurter Flughafens.
aa) Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG und unterliegen dem Gesetzesvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob die der
Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen
Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.
Der Begriff der ‚Versammlung unter freiem Himmel' des Art. 8 Abs. 2 GG darf nicht in einem engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden. Sein Sinn erschließt sich vielmehr
zutreffend erst in der Gegenüberstellung der ihm unterliegenden versammlungsrechtlichen Leitbilder: Während ‚Versammlungen unter freiem Himmel' idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als
Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit
abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen ‚unter freiem Himmel' in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit
statt (vgl. Arbeitskreis Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz <Hrsg.>, 2011, Begründung zu § 10, S. 34). Hier besteht im Aufeinandertreffen der
Versammlungsteilnehmer mit Dritten ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential: Emotionalisierungen der durch eine Versammlung herausgeforderten Auseinandersetzung können sich im Gegenüber zu einem
allgemeinen Publikum schneller zuspitzen und eventuell Gegenreaktionen provozieren. Die Versammlung kann hier leichter Zulauf finden, sie bewegt sich als Kollektiv im öffentlichen Raum. Art. 8 Abs. 2 GG ermöglicht es dem
Gesetzgeber, solche Konflikte abzufangen und auszugleichen. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass in solcher Berührung mit der Außenwelt ein besonderer, namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf
besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Versammlungsrechts zu schaffen, anderseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren (vgl. BVerfGE 69, 315 <348>).
bb) Hiervon ausgehend unterliegen die von der Beschwerdeführerin erstrebten Versammlungen im Frankfurter Flughafen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Zwar liegen die Orte, für die die Beschwerdeführerin die
Versammlungsfreiheit in Anspruch nimmt, hauptsächlich im Innern des Flughafens und sind damit überdacht und seitlich begrenzt. Die beabsichtigten Versammlungen sollen jedoch nicht in eigenen, von den anderen
Flughafengästen abgeschirmten Räumlichkeiten durchgeführt werden, sondern inmitten des allgemeinen Flughafenpublikums, an das sich die kollektiven Meinungskundgaben richten. Im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gelten deshalb
Versammlungen in derartigen Räumlichkeiten als ‚Versammlungen unter freiem Himmel', die nach allgemeinen Grundsätzen gesetzlich beschränkt werden können.
b) Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches können als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG herangezogen werden. Das zivilrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004
BGB ist dementsprechend grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen. Unberührt bleiben hiervon die Versammlungsgesetze als maßgebliche Rechtsgrundlage der Befugnisse der
Versammlungsbehörden für alle Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs.
aa) Der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG erlaubt es dem Gesetzgeber, Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit beschränkt werden kann. Der Gesetzgeber kann staatlichen Behörden
die Befugnis einräumen, Versammlungen unter bestimmten Bedingungen mit beschränkenden Verfügungen zu versehen oder sie erforderlichenfalls auch zu untersagen. Soweit in dieser Weise spezifische hoheitliche
Entscheidungsbefugnisse geschaffen werden und entsprechende Entscheidungen einseitig durchsetzbar sind, verlangt Art. 8 Abs. 2 GG eine bewusste und ausdrücklich auf die Versammlungsfreiheit der Bürger bezogene Regelung
durch den Gesetzgeber. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen in hinreichend bestimmter und normenklarer Weise zumindest in den Grundzügen vom Gesetzgeber selbst festgelegt werden. Dem entspricht, dass für entsprechende
Regelungen auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt und die in ihm liegende Warnfunktion entfaltet.
Durch das Versammlungsgesetz des Bundes, das im Land Hessen gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG bis zur Ablösung durch ein Versammlungsgesetz des Landes fortgilt, hat der Gesetzgeber von diesem Gesetzesvorbehalt Gebrauch
gemacht. Das Versammlungsgesetz ist dabei nicht auf Versammlungen im öffentlichen Straßenraum beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle öffentlichen Versammlungen, unabhängig davon, ob sie auf privatem oder öffentlichem
Grund stattfinden. Es findet damit auf Versammlungen im Frankfurter Flughafen Anwendung.
bb) Dies lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, §
1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art. 8 Abs. 2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für
Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse
eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2
GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung. Grundrechtseingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts
stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf.
cc) Versammlungsbeschränkende Entscheidungen, die ein öffentliches beziehungsweise öffentlich beherrschtes Unternehmen allein auf das Privatrecht stützt, vermögen die Eingriffsbefugnisse staatlicher Behörden gegenüber
Versammlungen allerdings nicht zu erweitern oder gar zu begründen. Soweit die Versammlungsbehörde in Bezug auf eine Versammlung im Flughafenbereich Entscheidungen trifft oder die Vollzugspolizei zur Rechtsdurchsetzung
einschreitet, haben diese zwar die Flughafenbetreiberin als Betroffene grundsätzlich einzubeziehen und gegebenenfalls deren Einschätzungen - wie sie insbesondere in der Flughafenbenutzungsordnung zum Ausdruck kommen - zu
berücksichtigen, sind aber sachlich allein an die Vorgaben der für sie selbst geltenden Ermächtigungsgrundlagen - und damit vorrangig an das Versammlungsgesetz - gebunden.
3. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin jedoch in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG, weil sie ein unverhältnismäßiges Versammlungsverbot bestätigen.
Wenn die staatlichen Organe versammlungsbeschränkende Gesetze gemäß Art. 8 Abs. 2 GG auslegen und anwenden, haben sie diese stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich
demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hierbei
strikt zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen halten diesen Anforderungen nicht stand.
a) Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bedürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eines legitimen Zwecks. Ein Verbot, sich auf dem Flughafengelände zu versammeln, kann nicht schlichtweg auf ein dem Belieben
der Beklagten unterliegendes privatautonomes Bestimmungsrecht über die Nutzung ihres Privateigentums gestützt werden. Die Grundrechtsbindung der Beklagten und die ihr fehlende Befugnis, sich im Verhältnis zu anderen
Privaten auf ihr Eigentumsgrundrecht zu berufen, bedingen, dass § 903 Satz 1 BGB hier nicht wie zwischen Privaten als Ausdruck einer privatautonomen, grundsätzlich im Gutdünken stehenden Entscheidungsfreiheit des Eigentümers
Anwendung findet, sondern als Ermächtigungsnorm zur Verfolgung legitimer Zwecke des gemeinen Wohls in Ausfüllung der Schranken der Versammlungsfreiheit. Der Rückgriff auf § 903 Satz 1 BGB bedarf deshalb einer auf solche
Aufgaben bezogenen funktionalen Einbindung und ist nur dann gerechtfertigt, wenn er zum Schutz individueller Rechtsgüter oder zur Verfolgung legitimer, hinreichend gewichtiger öffentlicher Zwecke des gemeinen Wohls dient.
Bei Versammlungen, die im Bereich eines Flughafens durchgeführt werden, gehören hierzu vor allem die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs. Ein Flughafen ist ein Verkehrsknotenpunkt für Güter- und
Personenströme, er ist in ein komplexes System globaler Netzwerke eingebunden und baut auf die einwandfreie Funktionstüchtigkeit sensibler technischer Vorrichtungen und den reibungslosen Ablauf logistischer Prozesse, die im
Falle der Störung oder gar des Versagens zum Verlust von unter Umständen elementaren Rechtsgütern führen können. Beeinträchtigungen im Betriebsablauf können daher eine unbestimmte Zahl von Menschen empfindlich treffen.
Angesichts der hieraus folgenden spezifischen Gefährdungslage, die sich gegebenenfalls aus der unmittelbaren Verbindung von als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestalteten Bereichen des Flughafens mit den der
Verkehrsfunktion dienenden Einrichtungen noch verstärken kann, gewinnen die Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs erhebliches Gewicht und können Einschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen.
Maßnahmen, die der Sicherheit und Leichtigkeit der Betriebsabläufe sowie dem Schutz der Fluggäste, der Besucher oder der Einrichtungen des Flughafens dienen, können folglich grundsätzlich auf das Hausrecht gestützt werden.
b) Versammlungsbeschränkungen müssen zur Erreichung dieser Zwecke nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei haben die auf der Grundlage des Hausrechts
ergehenden Maßnahmen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat Rechnung zu tragen. Es gelten grundsätzlich die für die Schranken der Versammlungsfreiheit auch sonst geltenden
verfassungsrechtlichen Maßgaben. Diese ermöglichen es, der besonderen Gefährdungslage eines Flughafens wirksam Rechnung zu tragen. Versammlungsbeschränkende Maßnahmen können zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit
des komplexen logistischen Systems eines Flughafens im Einzelfall unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden, als dies für entsprechende Versammlungen im öffentlichen Straßenraum möglich wäre.
aa) Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG ist die Durchführung von Versammlungen grundsätzlich ohne Anmeldung oder Erlaubnis gewährleistet. Versammlungen können danach nicht unter einen generellen Erlaubnisvorbehalt gestellt
werden. Jedenfalls gegenüber einem unmittelbar grundrechtsgebundenen Rechtsträger scheidet damit eine allgemeine Erlaubnispflicht von Versammlungen für die dem allgemeinen kommunikativen Verkehr eröffneten Flächen in
einem Flughafen auch auf der Grundlage des Hausrechts aus. Demgegenüber unterliegt eine Anzeigepflicht - auch bei dem Flughafenbetreiber - grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal sie hier auch kurzfristig
vor Ort erfolgen kann. Verhältnismäßig ist diese jedoch nur, sofern sie nicht ausnahmslos gilt, sondern Spontan- oder Eilversammlungen zulässt, und ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht nicht automatisch das Verbot der
Versammlung zur Folge hat (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; 85, 69 <74 f.>).
Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das
Vorliegen der ‚unmittelbaren' Gefährdung bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den
Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden. Sind unmittelbare Gefährdungen von Rechtsgütern zu befürchten, ist diesen primär durch Auflagen
entgegenzuwirken. Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (vgl. BVerfGE 69, 315 <353>).
Diese Grundsätze hindern nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential von Versammlungen in einem Flughafen in spezifischer Weise begegnet und die Rechte anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden können. Insbesondere
erlaubt es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ohne Weiteres, etwa die räumliche Beengtheit der Terminals auf den jeweiligen Stufen der Abwägung in Rechnung zu stellen. Deshalb kann in einem Flughafen eine die dortigen
räumlichen Verhältnisse sprengende Großdemonstration untersagt beziehungsweise auf andere Stätten verwiesen werden - ebenso wie das etwa in einer engen Fußgängerzone oder einer dicht bebauten historischen Altstadt
möglich wäre; dabei kann die Teilnehmerzahl in einer den örtlichen Gegebenheiten gerecht werdenden Weise begrenzt werden. Auch liegt auf der Hand, dass in einem Flughafen bestimmte Formen, Mittel oder Geräuschpegel von
Versammlungen eher Gefährdungen auslösen und damit leichter begrenzt werden können als bei entsprechenden Versammlungen auf einem Marktplatz oder einer öffentlichen Festwiese. Ebenso rechtfertigt die besondere
Störanfälligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden
müssten. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die die Beachtung der besonderen Sicherheitsanforderungen des Flughafens sicherstellen. Außerdem können Blockadewirkungen zur Gewährleistung der Sicherheit und
Funktionsfähigkeit des Flughafens in weitergehendem Umfang verhindert werden als auf öffentlichen Straßen. So können zum Beispiel unüberschaubare, über eine begrenzte Zahl hinausgehende Spontanversammlungen unterbunden
werden, wenn sie mangels hinreichender Möglichkeit zu sachgerechten Vorkehrungen des Flughafenbetreibers unbeherrschbar zu werden drohen. Freilich sind demgegenüber auch in einem Flughafen Belästigungen des Publikums
durch Versammlungen in gewissem Umfang grundsätzlich hinzunehmen.
bb) Inhaltlich nähern sich damit die Handlungsmöglichkeiten, die der Beklagten als unmittelbar an die Grundrechte gebundenem Rechtsträger auf der Grundlage des Hausrechts zur Verfügung stehen, der Reichweite der Befugnisse der
Versammlungsbehörden. Jedenfalls können ihre zivilrechtlichen Befugnisse grundsätzlich nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versammlungsbehörden verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen. Dies hindert
die Beklagte allerdings nicht, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, die den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßgaben entsprechen, für den Flughafen näher zu konkretisieren und generalisierend auf der Grundlage ihres
Hausrechts in einer Flughafenbenutzungsordnung niederzulegen. Sie kann so für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an
die spezifischen Funktionsbedingungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. In Betracht kommen etwa an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfende, klarstellende Abgrenzungen zwischen multifunktionalen Verkehrsflächen und
speziellen Funktionsbereichen, die Bezeichnung von Zonen, in denen Versammlungen grundsätzlich die Sicherheit des Flugbetriebs unmittelbar gefährden, oder auch ein Verbot des Mitführens von Gegenständen wie etwa
Trillerpfeifen, Trommeln oder Megafonen, sofern diese erhebliche Beeinträchtigungen der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs besorgen lassen. Auch kann sie etwa eine - die Anmeldepflicht bei den
Versammlungsbehörden ergänzende - Anzeigepflicht beim Flughafenbetreiber vorsehen.
Solche allein auf dem Hausrecht beruhenden Regeln bleiben freilich auf privatrechtliche Wirkungen beschränkt. Sie lassen die hoheitlichen Befugnisse der Versammlungsbehörden und der Einsatzkräfte der Vollzugspolizei vor Ort
ebenso unberührt wie deren Verantwortung für die Auslegung dieser Befugnisse. Allerdings können die Behörden die Bestimmungen einer solchen Benutzungsordnung im Rahmen ihrer versammlungsrechtlichen Befugnisse als
Regelvermutungen für die Erfordernisse der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafens typisierend zugrunde legen; sie müssen hierbei jedoch prüfen, ob diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen oder ob im
Einzelfall eine Situation vorliegt, die eine Abweichung hiervon erfordert.
c) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die umfassende Bestätigung des der Beschwerdeführerin erteilten Flughafenverbots durch die Zivilgerichte ist - jedenfalls angesichts der unmittelbaren
Grundrechtsbindung der Beklagten - mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.
Das von der Beklagten ausgesprochene Flughafenverbot untersagt der Beschwerdeführerin die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich
freien Entscheidung von der Beklagten erlaubt werden. Es beschränkt sich folglich nicht auf die Abwehr konkret drohender Gefahren für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter, sondern versteht sich als
generelles Demonstrationsverbot gegenüber der Beschwerdeführerin. Ein solches Verständnis legt auch der Bundesgerichtshof dem Flughafenverbot zugrunde. Zwar bezieht er sich zur Begründung seiner Entscheidung auch auf
konkrete, früher von der Beschwerdeführerin durchgeführte Versammlungen und stellt darauf ab, dass die Beklagte als Flughafenbetreiberin ‚vergleichbare Aktionen' (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006 - V ZR 134/05 -, NJW
2006, S. 1054 <1056>) nicht dulden müsse. Er leitet hieraus jedoch das berechtigte Interesse der Flughafenbetreiberin her, das Verbot insgesamt und ohne weitere Begrenzungen zu erlassen. Dieses erstreckt sich generell auf jede Art
von Versammlung, auf alle Bereiche des Flughafens und auf unbegrenzte Zeit. Die Beschwerdeführerin muss danach für künftige Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens um eine Erlaubnis nachsuchen. Dabei ist nicht
erkennbar, unter welchen Bedingungen diese erteilt würde; vielmehr wird hierbei der Beklagten ein im Grundsatz freies Entscheidungsrecht zuerkannt. Die gerichtliche Bestätigung eines solch generellen Versammlungsverbots in
dem zu weiten Teilen als öffentliches Forum ausgestalteten Flughafen genügt den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht.
III. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin zudem in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. a) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 60, 234 <241>; 76, 171 <192>). Hierzu
gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine
Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>).
Allerdings verschafft auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Orten. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist dem Bürger nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang
findet. Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungskundgabe aber nicht schon ihrem Schutzbereich nach auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten
Versammlungsfreiheit impliziert die Ausübung der Meinungsfreiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf und eröffnet auch nicht einen eigenen Verkehr, der typischerweise mit Belästigungen
verbunden ist. Vielmehr haben die Meinungsäußerungsfreiheit und das aus ihr folgende Recht der Verbreitung von Meinungen keinen spezifischen Raumbezug. Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort
zu, wo er sich jeweils befindet.
b) Die angegriffenen Entscheidungen bestätigen das von der Beklagten erteilte Flughafenverbot und legen dieses dahingehend aus, dass der Beschwerdeführerin ein Betreten und eine Nutzung des Flughafens nur nach Maßgabe der
Flughafenbenutzungsordnung erlaubt sind, die ihrerseits das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften von einer vorab einzuholenden Erlaubnis abhängig macht. Der Beschwerdeführerin wird damit der Zutritt zu dem -
der Öffentlichkeit sonst allgemein zugänglichen - Flughafen dann verwehrt, wenn sie dort Flugblätter verteilen will. Hierin liegt seitens der - unmittelbar grundrechtsgebundenen - Beklagten ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gemäß
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
2. Die Meinungsfreiheit ist - wie die Versammlungsfreiheit - nicht unbeschränkt gewährleistet. Vielmehr findet sie ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen zählen insbesondere auch die Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuches einschließlich des aus § 903 Satz 1 und § 1004 BGB abzuleitenden Hausrechts. Grundsätzlich kann damit die Beklagte Beschränkungen der Meinungskundgabe im Bereich des Flughafens auf ihr Hausrecht stützen.
3. Gesetze, auf deren Grundlage die Meinungsfreiheit beschränkt wird, sind jedoch - wie für die Versammlungsfreiheit dargelegt - ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen. Hierbei ist der für eine freiheitlich
demokratische Ordnung konstituierenden Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 101, 361 <388>; stRspr). Insbesondere sind die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
zu beachten.
a) aa) Eingriffe in die Freiheit der Meinungskundgabe bedürfen zunächst eines legitimen Zwecks. Es gilt Entsprechendes wie zur Versammlungsfreiheit: Auch für die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist die Beklagte angesichts
ihrer unmittelbaren Grundrechtsbindung und der damit korrelierenden fehlenden Möglichkeit, sich im Verhältnis zur Beschwerdeführerin auf eigene Grundrechte zu berufen, in der Ausübung ihres Hausrechts grundsätzlich begrenzt.
Sie darf dieses nicht wie private Bürger prinzipiell nach Gutdünken zur Durchsetzung ihrer Interessen verwenden. Vielmehr darf sie es nur insofern zur Unterbindung von Meinungskundgaben ausüben, als dieses öffentlichen
Interessen dient.
Deshalb kann das Verbot des Verteilens von Flugblättern insbesondere auch nicht auf den Wunsch gestützt werden, eine ‚Wohlfühlatmosphäre' in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf (vgl. BVerfGE 102, 347 <364>).
Unerheblich sind folglich Belästigungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden. Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen allein deshalb
zu unterbinden, weil sie von der Beklagten nicht geteilt, inhaltlich missbilligt oder wegen kritischer Aussagen gegenüber dem betreffenden Unternehmen als geschäftsschädigend beurteilt werden.
Nicht verwehrt ist es der Beklagten demgegenüber, kraft ihres Hausrechts das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Formen von Meinungsäußerungen insoweit einzuschränken, als dies zur Gewährleistung der Sicherheit und
Funktionsfähigkeit des Flugbetriebs erforderlich ist. Wie für die Versammlungsfreiheit liegt hierin auch im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit ein gewichtiges Gemeingut, das Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann.
bb) Die Einschränkungen der Meinungskundgabe müssen zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dies schließt es jedenfalls aus, das Verteilen von Flugblättern im Flughafen generell zu verbieten oder
von einer Erlaubnis abhängig zu machen. Demgegenüber sind Beschränkungen, die sich auf bestimmte Orte, Arten oder Zeitpunkte der Meinungskundgabe beziehen, zur Verhinderung von Störungen nicht grundsätzlich
ausgeschlossen (vgl. Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, <1991> 1 S. C. R. 139, S. 86 ff.; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness
<ISKCON> v. Lee, 505 U.S. 672 <1992>, S. 699 ff.). Wie im öffentlichen Straßenrecht kann die Nutzung der Flughafenflächen zur Verbreitung von Meinungen nach Maßgabe funktionaler Gesichtspunkte begrenzt und geordnet
werden. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet insoweit nicht, dass die Verbreitung von Meinungen partiell oder für bestimmte Formen untersagt oder beschränkt wird. Es kommt hierbei nicht anders als im öffentlichen Straßenraum auf die
räumlichen Verhältnisse und die Beeinträchtigung der verschiedenen Nutzungszwecke, insbesondere auf die Abläufe in Bezug auf die Luftverkehrsfunktion des Flughafens, an.
Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht generell daran gehindert, zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs in bestimmten Bereichen wie beispielsweise auf der Luftseite hinter den Sicherheitskontrollen
oder im Bereich von Rollbändern das Verteilen von Flugblättern erlaubnispflichtig zu machen oder gegebenenfalls auch ganz zu untersagen. Demgegenüber ist ein Verbot von Meinungskundgaben überhaupt oder auch eine
umfassende Erlaubnispflicht, die das bloße Verteilen von Flugblättern einschließt, jedenfalls in den Bereichen, die als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestaltet sind, unverhältnismäßig. Hier gelten für die unmittelbar an die
Grundrechte gebundene Beklagte dieselben Grundsätze wie in Fußgängerzonen im öffentlichen Straßenraum. Das Grundgesetz gewährleistet die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung prinzipiell an allen Orten allgemeinen
kommunikativen Verkehrs. Werden solche Räume dem allgemeinen Zugang eröffnet, muss in ihnen auch den Kommunikationsgrundrechten Rechnung getragen werden. Im Übrigen kommt es darauf an, wieweit die
Meinungskundgabe die Funktionsabläufe nachhaltig zu stören geeignet ist. Untersagt werden kann das Verteilen von Flugblättern im Einzelfall im Übrigen etwa auch dann, wenn diese ihrem Inhalt nach darauf ausgerichtet sind, den
Flughafenbetrieb zu behindern, und hierdurch ernsthafte Störungen konkret zu befürchten sind; in Betracht kommt dieses etwa bei Aufrufen und Appellen zu Verstößen gegen die Sicherheitsbestimmungen des Flughafens oder des Luftverkehrsrechts.
b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Sie bestätigen das Flughafenverbot auch mit Blick auf das in ihm enthaltene generelle und unbegrenzte Verbot gegenüber der Beschwerdeführerin, künftig
ohne vorherige Erlaubnis im Frankfurter Flughafen Flugblätter zu verteilen. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit der von der Beschwerdeführerin früher durchgeführten Flugblattaktionen, die nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens sind, ist ein in dieser Art allgemeines und von konkreten Störungen des Flughafenbetriebs unabhängiges Verbot unverhältnismäßig.
IV. Ob die angegriffenen Entscheidungen darüber hinaus weitere Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzen, kann dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zur Aufhebung der
angegriffenen Entscheidungen führt.
V. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen. ..."
***
„... Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 16. September 2008 - 16 U 36/08 - und das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 19. März 2008 - 2 O 230/04 - verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern die
notwendigen Auslagen zu erstatten. ...
I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Abweisung eines Geldentschädigungsanspruchs wegen einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch Polizeieinsatzkräfte am Rande einer Großdemonstration.
1. a) Die Beschwerdeführer hielten sich am 13. November 2001 im Wendland auf, weil sie als Mitglieder des ‚Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V.' die Demonstrationen anlässlich des für denselben Tag vorgesehenen
Castortransports in das Zwischenlager Gorleben beobachten wollten. Für einen Korridor von 50 Metern beiderseits der Bahnstrecke war ein Demonstrationsverbot verhängt. Die Beschwerdeführer wurden um 7:10 Uhr von
Bundespolizeibeamten angetroffen, während sie in einer Entfernung von circa 3 km von den Bahnschienen in ihrem Auto saßen. Die Polizeibeamten nahmen beide Beschwerdeführer zusammen mit circa 70 anderen Bürgern in
Gewahrsam. Die Gruppe wurde zunächst auf einem Feld festgehalten. Sanitäre Anlagen waren dort nicht vorhanden. Jedenfalls die weiblichen Festgehaltenen wurden im Bedarfsfall in ein Waldstück geführt, wo sie ihre Notdurft
verrichten konnten. Um 9:30 Uhr wurden die Personalien festgestellt, außerdem wurden mitgeführte Gegenstände durch die Polizei sichergestellt. Um circa 11:00 Uhr wurden die Beschwerdeführer und die anderen festgehaltenen
Personen in einen Gefangenenbus verbracht; dabei musste sich der Beschwerdeführer in eine Einzelzelle begeben, während die Beschwerdeführerin zusammen mit anderen Frauen in einer 4-Personen-Zelle untergebracht wurde. Gegen
13:15 Uhr - nachdem der Castortransport den fraglichen Streckenabschnitt bereits passiert hatte - erreichte der Gefangenenbus eine als so genannte Gefangenensammelstelle eingerichtete Halle, wo die Gefangenen jeweils eine
Isomatte und eine Decke erhielten und sich so ausgestattet auf dem nackten Betonfußboden aufhalten mussten. Der Beschwerdeführerin wurden ein Mobiltelefon und mehrere Stifte abgenommen. Sie wurde mehrfach durch
Polizeibeamte fotografiert und mit einer Videokamera aufgenommen. Frühestens um 17:20 Uhr wurden die Beschwerdeführer entlassen.
Nach den im hier zugrunde liegenden Ausgangsverfahren streitig gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers habe er nach Ankunft in der Gefangenensammelstelle noch bis circa 15:00 Uhr in dem Bus verweilen müssen. Während
seines Aufenthalts in der Zelle habe er vergeblich versucht, durch Klopfen und Rufen auf sich aufmerksam zu machen, um die in dem Bus vorhandene Toilette benutzen zu können. Da hierauf nicht reagiert worden sei, habe er sich
gezwungen gesehen, seine Notdurft in seiner Zelle zu verrichten. Zuvor, während des Aufenthalts auf dem Feld, habe ebenfalls keine Möglichkeit bestanden, eine Toilette aufzusuchen. Vielmehr hätten sich die männlichen
Festgehaltenen in aller Öffentlichkeit am Zaun eines Privatgrundstücks erleichtern müssen. Ebenso wenig seien in der Gefangenensammelstelle Toiletten vorhanden gewesen. Verpflegung sei erstmals in der Sammelstelle, also nach
15:00 Uhr gereicht worden.
Die Beschwerdeführerin trägt - ebenfalls im Ausgangsverfahren streitig geblieben - vor, dass sie darum gebeten habe, mit dem Einsatzleiter zu sprechen, was ihr verweigert worden sei. Außerdem habe sie mehrfach erfolglos gefordert,
einem Richter vorgeführt zu werden.
b) Die Beschwerdeführer beantragten zunächst bei dem Amtsgericht Uelzen, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2004 erhoben sie außerdem die hier zugrunde liegende
Amtshaftungsklage gegen das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik Deutschland bei dem Landgericht Lüneburg. Sie begehrten unter anderem die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von
2.000 € (Beschwerdeführer) beziehungsweise 500 € (Beschwerdeführerin) wegen der erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentziehung. Das Landgericht setzte das Verfahren zunächst bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung aus.
c) Mit - hier nicht angegriffenen - Beschlüssen vom 4. März und vom 11. März 2007 stellte das Amtsgericht Uelzen fest, dass die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung führte das
Gericht jeweils weitgehend gleichlautend aus, gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes in seiner damaligen Fassung (NGefAG a.F.) könnten Personen von der Polizei in Gewahrsam genommen werden,
sofern dieses unerlässlich sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern; gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG
a.F. sei zudem ein Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises zulässig. Erkenntnisse darüber, dass von den Beschwerdeführern am fraglichen Tag eine Gefahr ausgegangen sei, lägen nicht vor. Auch im Rahmen einer
Gefahrenprognose habe die Polizei nicht wie geschehen vorgehen dürfen, denn insoweit wäre als milderes Mittel ein Platzverweis in Betracht gekommen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschwerdeführer einer solchen
Anordnung widersetzt hätten, hätten nicht vorgelegen. Unabhängig hiervon wäre gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nach der Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen gewesen, was ebenfalls
unterblieben sei. Schließlich sei die Maßnahme auch deshalb unverhältnismäßig gewesen, weil die Beschwerdeführer erheblich über den Zeitpunkt hinaus, in dem der Castortransport den fraglichen Streckenabschnitt passiert habe,
festgehalten worden seien.
Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus beantragt hätten festzustellen, dass auch ihre Behandlung durch die Polizei während des Gewahrsams aus den näher bezeichneten Gründen rechtswidrig gewesen sei, habe es einer
Entscheidung hierüber nicht bedurft, denn ein weitergehendes Feststellungsinteresse als an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Gewahrsams als solchen sei in dem Verfahren nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F., in dem es
nicht um Schadensersatzansprüche gehe, nicht gegeben.
d) Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 19. März 2008 wies das Landgericht Lüneburg die Klage sodann als unbegründet ab. Selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beschwerdeführer über die Bedingungen des Gewahrsams
sei die gemäß § 847 BGB a.F. (§ 253 Abs. 2 BGB n.F.) maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des begehrten Schmerzensgeldes bereits durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme in den
Beschlüssen des Amtsgerichts Uelzen erfüllt. Die Umstände des Falles rechtfertigten - selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beschwerdeführer - auch keine darüber hinausgehende Entschädigung aus Billigkeitsgründen.
Verletzungen der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts müssten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall die Zubilligung einer Geldentschädigung nach sich ziehen. Eine
Entschädigung in Geld komme vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Rechtsbeeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden könne. Vorliegend ergebe sich aus der vom Amtsgericht rechtskräftig
festgestellten Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zugleich die Rechtswidrigkeit der Art und Weise ihrer Durchführung. Darüber hinaus bedürfe es keiner Geldentschädigung. Die Behandlung der Beschwerdeführer während des
Gewahrsams stelle keinen Menschenwürdeverstoß, sondern allenfalls eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Die Einschränkungen hinsichtlich der Toilettenbenutzung seien auf die bei Großereignissen wie dem
Castortransport üblichen organisatorischen Unwägbarkeiten zurückzuführen und daher entschädigungslos hinzunehmen. Der Beschwerdeführer hätte während der Einkesselung in dem Waldstück von der dort bestehenden Möglichkeit,
seine Notdurft im Freien zu verrichten, Gebrauch machen können. Soweit er behaupte, dass ihm während des Aufenthalts in dem Gefangenenbus trotz Klopfens und Rufens nicht geöffnet worden sei, führe dies zu keiner anderen
Beurteilung. Denn nach seinem eigenen Vortrag hätten auch andere Gefangene versucht, lautstark auf sich aufmerksam zu machen, so dass nicht auszuschließen sei, dass die Einsatzkräfte den Beschwerdeführer lediglich überhört
hätten. Eine Herabwürdigung könne hierin daher nicht gesehen werden. Der weiteren Behauptung, in der Gefangenensammelstelle seien überhaupt keine Toiletten vorhanden gewesen, stehe der Vortrag der Beschwerdeführerin
entgegen, wonach dunkle Toilettenhäuschen ohne Spülung zur Verfügung gestanden hätten.
e) Die Beschwerdeführer wandten sich gegen das Urteil des Landgerichts mit der Berufung. Mit Urteil vom 16. September 2008 wies das Oberlandesgericht Celle das Rechtsmittel als unbegründet zurück. In der Sache habe das
Landgericht den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch zu Recht verneint. Dabei habe es nicht verkannt, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei und den Beschwerdeführern dem Grunde nach ein Ausgleich für
das erlittene Unrecht zustehe, wie sich unmittelbar aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ergebe. Allerdings müsse dieser Ausgleich nicht zwingend durch eine Geldentschädigung erfolgen. Dies sei auch unter dem Gesichtspunkt möglicher
Verletzungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zwingend. Vielmehr könne unter Umständen bereits ein Urteil, welches die Rechtswidrigkeit der Schädigung feststelle, dem
Geschädigten eine Genugtuung verschaffen, neben der eine Geldentschädigung nicht mehr geboten sei.
So liege es hier. Zwar hätten außer der Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch die Umstände der Unterbringung die Beschwerdeführer merklich belastet. Jedoch müsse bei der nach Billigkeit zu treffenden Entscheidung, ob und in
welcher Höhe den Beschwerdeführern ein zusätzlicher Ausgleich in Geld zuzusprechen sei, auch die schwierige Lage der Sicherheitsbehörden berücksichtigt werden, die sich einer nur schwer zu bewältigenden Aufgabe zu stellen
gehabt hätten. Dabei hätten sie nicht für jede Eventualität Vorsorge treffen können. So sei die Behandlung der Eingeschlossenen vorliegend nicht erwünscht gewesen, sondern Folge äußerer Zwänge und begrenzter Möglichkeiten. In
ihr habe daher keine Missachtung der betroffenen Personen und ihrer Rechte gelegen. Da sich die Freiheitsentziehung hier nur über wenige Stunden hingezogen habe und keine nachhaltigen Beeinträchtigungen verursacht habe, reiche
unter Berücksichtigung der Situation der Sicherheitsbehörden aus, dass die Beschwerdeführer durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme einen Ausgleich ihres immateriellen Schadens erlangt hätten.
2. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die Abweisung des geltend gemachten Geldentschädigungsanspruchs in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 sowie Art. 1 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Die angegriffenen Entscheidungen hätten Bedeutung und Tragweite dieser Grundrechte grundlegend verkannt.
Soweit die Gerichte in der die Rechtswidrigkeit feststellenden Entscheidung des Amtsgerichts eine ausreichende Genugtuung sähen, verkennten sie, dass der Geldentschädigungsanspruch stets die Feststellung der Rechtswidrigkeit
voraussetze. Daher hätte die Rechtsauffassung der angegriffenen Entscheidungen zur Konsequenz, dass eine Entschädigungsklage regelmäßig scheitern müsste. Außerdem hätten die Gerichte die durch die Beschwerdeführer erlittene
Freiheitsentziehung zu Unrecht als bloß geringfügig eingestuft.
Hinsichtlich der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hätten sich die Gerichte rechtsfehlerhaft nicht mit den Fragen befasst, ob über eine Ausweiskontrolle hinausgehende Maßnahmen
zur Identitätsfeststellung mit Hilfe von Foto- und Videoaufnahmen und - bei der Beschwerdeführerin - eine Leibesvisitation erforderlich waren und ob die weitergehenden Eingriffe durch Verweigerung des Toilettengangs und
mehrstündiges Einsperren in engen Zellen angemessen waren. Auch der Hinweis auf die Schwierigkeiten der Polizei bei Großereignissen könne dies nicht ersetzen. Derartige Einsätze kämen immer wieder vor und könnten auch
entsprechend vorbereitet werden.
Zudem sei auch das Grundrecht der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Diese hätten fünf Jahre lang die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung erstreiten müssen und hätten hinsichtlich der
erschwerenden Umstände des Gewahrsams überhaupt keinen Rechtsschutz erhalten.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich die Polizeidirektion Lüneburg und der Präsident des Bundesgerichtshofs geäußert. Die Bundesregierung, die niedersächsische Landesregierung, die Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt
hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine
stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt insbesondere für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über einen Geldentschädigungsanspruch wegen der
Verletzung immaterieller Rechtsgüter, namentlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Menschenwürde (vgl. BVerfGE 34, 269 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2005 - 1
BvR 1359/05 -, NJW 2006, S. 1580).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.
a) Die Rüge der Beschwerdeführer, die Gerichte hätten zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch in Geld wegen der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme und deren Bedingungen verneint, betrifft in erster Linie die Auslegung und
Anwendung der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften. Diese Aufgaben obliegen primär den Fachgerichten, deren Entscheidungen insoweit vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft
werden können, ob ihnen eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte zugrunde liegt. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im
Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 85, 248 <257 f.>).
b) Nach diesem Maßstab können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben, denn die Erwägungen, aufgrund deren die Gerichte einen Anspruch der Beschwerdeführer auf Geldentschädigung für den erlittenen
rechtswidrigen Freiheitsentzug verneint haben, werden der Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerecht.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des
Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2000 - 1 BvR 1127/96 -, NJW 2000, S. 2187 f. und vom 4. März 2004 - 1 BvR 2098/01 -, NJW 2004, S.
2371 <2372>). Dies gilt nicht weniger, wenn wie vorliegend zusätzlich das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, weil es bereits an einer Rechtsgrundlage für die freiheitsentziehende Maßnahme als solche fehlte. Zwar
muss der hiernach gebotene Ausgleich, wie die hier angegriffenen Entscheidungen im Ausgangspunkt zutreffend erkannt haben, nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen (vgl. BVerfG, NJW 2004, S. 2371
<2372 f.>; NJW 2006, S. 1580 <1581>). Daher begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der
zivilgerichtlichen Rechtsprechung nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann (vgl. BGHZ 39, 124 <133>; 161, 33 <36 f.>).
bb) Diese Bedingungen haben die Gerichte vorliegend aber in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint.
(1) So haben sie ihre Auffassung, dass die von den Beschwerdeführern erlittene Rechtseinbuße durch die vom Amtsgericht festgestellte Rechtswidrigkeit des Gewahrsams hinreichend ausgeglichen sei, allein auf eine Würdigung der -
unstreitigen oder als wahr unterstellten - Umstände der Durchführung des Gewahrsams gestützt. Demgegenüber wird die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, die bereits in der rechtswidrigen Freiheitsentziehung
selbst, unabhängig von den Bedingungen ihres Vollzuges, lag, in den angegriffenen Entscheidungen zwar erwähnt, aber nicht sachhaltig gewichtend in die gebotene Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles einbezogen. Die
Tatsache, dass gegen die Beschwerdeführer der so genannte Unterbindungsgewahrsam (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 NGefAG a.F.) angeordnet wurde, ohne dass nach den Feststellungen der Gerichte die Voraussetzungen dieser Maßnahme auch
nur ansatzweise erfüllt gewesen wären, gibt dem vorliegenden Fall aber gerade sein wesentliches Gepräge und unterscheidet ihn von den durch die Gerichte zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen es allein um die
Bedingungen beim Vollzug einer an sich gerechtfertigten Freiheitsentziehung ging.
(2) Im Übrigen genügen auch die Erwägungen der Gerichte zur rechtlichen Würdigung der Umstände des Gewahrsamsvollzugs ihrerseits nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. So hat das Oberlandesgericht seine
Rechtsauffassung maßgeblich auf die Schwierigkeiten gestützt, denen sich die Sicherheitsbehörden bei Großeinsatzlagen ausgesetzt sähen, ohne aber konkret zu erörtern, welche der vom Landgericht festgestellten zusätzlichen
Rechtseinbußen hierauf tatsächlich beruht haben und inwieweit sie auch bei sorgfältiger Planung und Durchführung des Polizeieinsatzes nicht vermeidbar waren.
Zu beanstanden ist weiter, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer
derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten - namentlich die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Teilnahme an Demonstrationen oder deren von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Beobachtung -
zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>; 99, 185 <197>). Schließlich haben die angegriffenen Entscheidungen bei der Ausgleichs- und
Genugtuungsfunktion, die sie den amtsgerichtlichen Beschlüssen zugemessen haben, auch nicht erkennbar berücksichtigt, dass diese erst mehrere Jahre nach dem Vollzug der angegriffenen Maßnahme ergangen sind und sich
außerdem nicht ausdrücklich zu den zusätzlichen Beeinträchtigungen bei dem Vollzug des Gewahrsams verhalten haben.
c) Die angegriffenen Urteile beruhen auch auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung unter angemessener Berücksichtigung der erfolgten
Grundrechtsbeeinträchtigungen zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden. ..." (BVerfG, 1 BvR 2853/08 vom 11.11.2009, Absatz-Nr. (1 - 27), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20091111_1bvr285308.html)
***
„... 1. Artikel 21 Nummer 1, 2, 7, 13 und 14 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421) wird einstweilen außer Kraft gesetzt.
2. Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes ist einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass zugleich die Voraussetzungen des Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vorliegen
müssen. Eine Auswertung der Übersichtsaufzeichnungen ist nur unverzüglich nach Beendigung der Versammlung zulässig. Soweit danach die Daten nicht in Bezug auf einzelne Personen zur Verfolgung von Straftaten im
Zusammenhang mit der aufgezeichneten Versammlung oder zur Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren gemäß Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes benötigt werden, müssen sie
innerhalb von zwei Monaten gelöscht oder irreversibel anonymisiert werden. Soweit Artikel 9 Absatz 2 und 4 des Bayerischen Versammlungsgesetzes weitergehende Nutzungen zulässt, wird die Vorschrift einstweilen außer Kraft gesetzt.
3. Artikel 9 Absatz 2 Satz 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes ist einstweilen mit der Maßgabe anzuwenden, dass Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nur zulässig sind, wenn sie wegen der Größe
oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.
4. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
5. ...
A. Die Beschwerdeführer begehren mit ihrem Eilantrag, das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421) als Ganzes, mit Ausnahme von Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 sowie - bezogen hierauf - Abs. 3
BayVersG, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen außer Kraft zu setzen.
I. Im Zuge der Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder über (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034). Mit dem am
1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Bayerischen Versammlungsgesetz hat der Freistaat Bayern von dieser Kompetenz als erstes Bundesland Gebrauch gemacht. Dessen Vorschriften lauten auszugsweise:
Art. 2 Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich
(1) Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
(2) Eine Versammlung ist öffentlich, wenn die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist.
(3) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt dieses Gesetz nur für öffentliche Versammlungen.
Art. 3 Versammlungsleitung und Einladung
(1)1 Jede Versammlung muss eine natürliche Person als Leiter haben.2 Dies gilt nicht für Spontanversammlungen nach Art. 13 Abs. 4.
(2)1 Der Veranstalter leitet die Versammlung.2 Veranstaltet eine Vereinigung die Versammlung, ist Leiter die Person, die den Vorsitz der Vereinigung führt.3 Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.
(3) Die Bekanntgabe oder Einladung zu einer Versammlung muss Ort, Zeit, Thema sowie den Namen des Veranstalters enthalten.
Art. 4 Veranstalterpflichten, Leitungsrechte und -pflichten
(1) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nehmen kann, hat der Veranstalter im Vorfeld der Versammlung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu verhindern.
(2) Der Leiter
1. bestimmt den Ablauf der Versammlung, insbesondere durch Erteilung und Entziehung des Worts,
2. hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen,
3. kann die Versammlung jederzeit schließen und
4. muss während der Versammlung ständig anwesend und für die zuständige Behörde erreichbar sein.
(3)1 Der Leiter hat geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden.2 Geeignete Maßnahmen können insbesondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und
Distanzierungen gegenüber gewaltbereiten Anhängern sein.3 Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, ist er verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.
(4)1 Der Leiter kann sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der Hilfe einer angemessenen Anzahl volljähriger Ordner bedienen.2 Die Ordner müssen weiße Armbinden mit der Aufschrift "Ordner" oder "Ordnerin" tragen; zusätzliche
Kennzeichnungen sind nicht zulässig.3 Der Leiter darf keine Ordner einsetzen, die Waffen oder sonstige Gegenstände mit sich führen, die ihrer Art nach geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Personen zu verletzen
oder Sachen zu beschädigen.
(5)1 Werden Polizeibeamte in eine Versammlung entsandt, haben sie oder hat sich die polizeiliche Einsatzleitung vor Ort dem Leiter zu erkennen zu geben.2 Ihnen muss ein angemessener Platz eingeräumt werden.
Art. 7 Uniformierungsverbot, Militanzverbot
(1) Es ist verboten, in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern damit eine
einschüchternde Wirkung verbunden ist.
(2) Es ist verboten, an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild
1. paramilitärisch geprägt wird oder
2. sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt
und dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht.
Art. 9 Datenerhebung, Bild- und Tonaufzeichnungen, Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen
(1)1 Die Polizei darf bei oder im Zusammenhang mit Versammlungen personenbezogene Daten von Teilnehmern erheben und Bild- und Tonaufzeichnungen anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen,
dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen.2 Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
(2)1 Die Polizei darf Übersichtsaufnahmen von der Versammlung und ihrem Umfeld zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes anfertigen.2 Sofern es zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens erforderlich ist, darf die
Polizei auch Übersichtsaufzeichnungen anfertigen.3 Diese dürfen auch zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung genutzt werden.4 Die Identifizierung einer auf den Aufnahmen oder Aufzeichnungen abgebildeten Person ist
nur zulässig, soweit die Voraussetzungen nach Abs. 1 vorliegen.
(3) Für Maßnahmen nach Abs. 1 und 2 gilt Art. 30 Abs. 3 des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) entsprechend.
(4)1 Die nach Abs. 1 oder 2 erhobenen Daten und Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen sind nach Beendigung der Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich
zu löschen oder zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden
1. zur Verfolgung von Straftaten oder
2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtig ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von dieser Person
erhebliche Gefahren für künftige Versammlungen ausgehen.
2 Nach Abs. 2 Satz 2 angefertigte Übersichtsaufzeichnungen dürfen darüber hinaus aufbewahrt werden, soweit sie zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens benötigt werden.3 Erhobene Daten sowie Bild-, Ton- und
Übersichtsaufzeichnungen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 oder in Satz 2 genannten Gründen nicht gelöscht oder vernichtet wurden, sind spätestens nach Ablauf von einem Jahr seit ihrer Entstehung zu löschen oder zu vernichten, es sei
denn, sie werden inzwischen zur Verfolgung von Straftaten benötigt.4 Eine Pflicht zur Löschung oder Vernichtung besteht nicht für nach Abs. 2 Satz 2 gefertigte Übersichtsaufzeichnungen, soweit diese zu Zwecken der polizeilichen
Aus- und Fortbildung verwendet werden; die Identifizierung einer auf diesen Übersichtsaufzeichnungen abgebildeten Person ist nach Ablauf von einem Jahr seit Entstehung der Aufzeichnungen abweichend von Abs. 2 Satz 4 nicht
mehr zulässig.
(5) ...
Art. 10 Veranstalterrechte und -pflichten
(1) - (2) ...
(3)1 Der Veranstalter hat der zuständigen Behörde auf Anforderung Familiennamen, Vornamen, Geburtsnamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift (persönliche Daten) des Leiters mitzuteilen.2 Die zuständige Behörde kann den
Leiter als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.
(4)1 Die zuständige Behörde kann Ordner als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die Friedlichkeit der Versammlung gefährden.2 Die zuständige Behörde kann die Anzahl der Ordner
beschränken oder dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen.3 Die zuständige Behörde kann im Rahmen ihrer Befugnisse nach Sätzen 1 und 2 verlangen, dass der Veranstalter ihr die Zahl der Ordner und deren
persönliche Daten im Sinn des Abs. 3 Satz 1 mitteilt.
Art. 13 Anzeige- und Mitteilungspflicht
(1)1 Wer eine Versammlung unter freiem Himmel veranstalten will, hat dies der zuständigen Behörde spätestens 72 Stunden, bei überörtlichen Versammlungen im Sinn des Art. 24 Abs. 3 Satz 1 spätestens 96 Stunden vor ihrer
Bekanntgabe anzuzeigen.2 Eine wirksame Anzeige kann nur schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift erfolgen; sie ist frühestens zwei Jahre vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn möglich.3 Entspricht die Anzeige nicht
den Anforderungen nach Abs. 2, weist die zuständige Behörde den Veranstalter darauf hin und fordert ihn auf, die Anzeige unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen.4 Bekanntgabe einer Versammlung ist die Mitteilung des
Veranstalters von Ort, Zeit und Thema der Versammlung an einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis.
(2)1 In der Anzeige sind anzugeben
1. der Ort der Versammlung,
2. der Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Versammlung,
3. das Versammlungsthema,
4. der Veranstalter und der Leiter mit ihren persönlichen Daten im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 und telefonischer Erreichbarkeit,
5. die erwartete Anzahl der teilnehmenden Personen,
6. der beabsichtigte Ablauf der Versammlung,
7. die zur Durchführung der Versammlung mitgeführten Gegenstände oder die verwendeten technischen Hilfsmittel und
8. die vorgesehene Anzahl von Ordnern.
2 Bei sich fortbewegenden Versammlungen ist auch der beabsichtigte Streckenverlauf mitzuteilen.3 Der Veranstalter hat Änderungen der Angaben nach den Sätzen 1 und 2 der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(3) Entsteht der Anlass für eine geplante Versammlung kurzfristig (Eilversammlung), ist die Versammlung spätestens mit der Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde
oder bei der Polizei anzuzeigen.
(4) Die Anzeigepflicht entfällt, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung).
(5) Die zuständige Behörde kann den Leiter ablehnen, wenn er unzuverlässig ist oder ungeeignet ist, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch seinen
Einsatz Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können.
(6)1 Die zuständige Behörde kann Ordner ablehnen, wenn
1. sie ungeeignet sind, den Leiter darin zu unterstützen, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder
2. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch den Einsatz dieser Personen als Ordner Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können.
2 Die zuständige Behörde kann die Anzahl der Ordner beschränken oder dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen.3 Die zuständige Behörde kann im Rahmen ihrer Befugnisse nach Sätzen 1 und 2 verlangen, dass
der Veranstalter ihr die Zahl der Ordner und deren persönliche Daten im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 mitteilt.
Art. 21 Bußgeldvorschriften
Mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro kann belegt werden, wer
1. entgegen Art. 3 Abs. 3 Ort, Zeit, Thema oder den Namen des Veranstalters einer Versammlung nicht angibt,
2. entgegen Art. 4 Abs. 3 Satz 1 oder 3 keine geeigneten Maßnahmen ergreift oder die Versammlung nicht oder nicht rechtzeitig für beendet erklärt,
3. als Leiter Ordner einsetzt, die anders gekennzeichnet sind, als es nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 zulässig ist,
4. als Leiter entgegen Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Polizeibeamten keinen oder keinen angemessenen Platz einräumt,
5. - 6. ...
7. entgegen Art. 7 Abs. 2 an einer Versammlung teilnimmt,
8. - 9. ...
10. als Veranstalter
a) entgegen Art. 10 Abs. 3 Satz 1 persönliche Daten nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig mitteilt oder
b) Personen als Leiter der Versammlung einsetzt, die von der zuständigen Behörde nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 oder Art. 13 Abs. 5 abgelehnt wurden,
11. als Veranstalter
a) Ordner einsetzt, die von der zuständigen Behörde nach Art. 10 Abs. 4 Satz 1 oder nach Art. 13 Abs. 6 Satz 1 abgelehnt wurden,
b) einer vollziehbaren Anordnung nach Art. 10 Abs. 4 Satz 2 oder Art. 13 Abs. 6 Satz 2 zuwiderhandelt, oder
c) entgegen Art. 10 Abs. 4 Satz 3 oder Art. 13 Abs. 6 Satz 3 persönliche Daten nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig mitteilt,
12. ...
13. entgegen Art. 13 Abs. 1 Satz 1 eine Anzeige nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet,
14. entgegen Art. 13 Abs. 2 Satz 3 eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
15. als Veranstalter oder als Leiter eine Versammlung unter freiem Himmel ohne Anzeige nach Art. 13 Abs. 3 durchführt,
16. entgegen Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 einen Gegenstand mit sich führt oder
17. ...
II.
Die Beschwerdeführer sind Landesverbände von Gewerkschaften, Parteien und anderen nichtstaatlichen Organisationen, die regelmäßig Versammlungen veranstalten. Sie rügen eine Verletzung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8
Abs. 1 GG sowie - bezogen auf Art. 9, Art. 10 und Art. 13 Abs. 5 und 6 BayVersG - des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Sie seien unmittelbar durch das Gesetz als Ganzes betroffen. Dieses entfalte in der Gesamtheit der belastenden Neuregelung einschüchternde Wirkung, da nicht mehr abschätzbar sei, welche Belastungen und Risiken sich mit der
Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit verbänden. Auch seien sie durch die Vorschriften selbst und gegenwärtig betroffen, ohne dass es darauf ankäme, ob diese sich an den Veranstalter, den Leiter oder den Teilnehmer einer
Versammlung richteten. Ihre Rechte als Veranstalter hingen von der Rechtsstellung der Leiter und Teilnehmer an einer Versammlung maßgeblich ab. Der Verfassungsbeschwerde stehe auch der Grundsatz der Subsidiarität nicht
entgegen, da im fachgerichtlichen Verfahren nicht die einschüchternde Wirkung des Gesetzes als Ganzes angegriffen werden könne.
In der Sache machen die Beschwerdeführer einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes geltend. Im Zusammenwirken der Vorschriften sei das Gesetz insgesamt gesehen nicht versammlungsfreundlich, sondern
behördenfreundlich. Es führe zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten.
Die Vorschriften seien auch im Einzelnen verfassungswidrig. Dies gelte schon für die dem bisherigen Recht entsprechende, aber in der Literatur zu Recht in Frage gestellte nahezu ausnahmslose Pflicht, für jede Versammlung einen
Leiter zu bestimmen (Art. 3 Abs. 1 BayVersG), sowie erst recht für die neu geschaffenen, gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoßenden weitreichenden Vorfeldpflichten des Veranstalters gemäß Art. 4 Abs. 1 BayVersG.
Weiterhin verpflichte der nun bußgeldbewehrte Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 2 BayVersG den Leiter, die Versammlung für beendet zu erklären, wenn er sich nicht durchzusetzen vermöge, auch wenn es sich unter
Umständen nur um einzelne Gewalttätigkeiten handele, die im Rahmen der Versammlung drohten. Dabei lege das Gesetz keine Pflicht der anwesenden Polizei fest, ihn bei der Wiederherstellung der Ordnung zu unterstützen. Seine
Möglichkeiten, mit der Polizei zu kooperieren und diese um Hilfe zu bitten, würden vielmehr erschwert, weil sich nach Art. 4 Abs. 5 BayVersG im Gegensatz zur alten Rechtslage unter Umständen nur noch die Einsatzleitung der
Polizei dem Versammlungsleiter gegenüber zu erkennen geben müsse. Der Leiter wisse dann nicht mehr, wie viele Polizisten anwesend seien. Gemäß Art. 4 Abs. 5 BayVersG könnten überdies in jede Versammlung, sogar wenn sie in
geschlossenen Räumen stattfinde, unbeschränkt Polizeibeamte entsendet werden, ohne dass hierbei eine Gefahrenprognose erforderlich sei.
Das Militanzverbot des nun gleichfalls bußgeldbewehrten Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG in Verbindung mit Art. 21 Nr. 7 BayVersG verstoße gegen das Prinzip der Normenklarheit. Da es weder auf den Inhalt noch auf die Form,
sondern auf den Gesamteindruck eines bedrohlichen militanten Charakters der Versammlung oder Teile von ihr ankomme, könne der Bürger nicht wissen, welches Verhalten vom Gesetzgeber als illegal angesehen werde.
Art. 9 BayVersG, der offene und verdeckte Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen für alle Arten von Versammlungen erlaube, sei unverhältnismäßig. Auch die Bestimmungen zur Nutzung und Löschung der gewonnenen
Daten genügten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen und hätten abschreckende Wirkung. Für Versammlungen in geschlossenen Räumen werde bereits die bisher in § 12a des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge
(Versammlungsgesetz - VersG) geregelte polizeiliche Datenerhebung von einem beträchtlichen Teil der Literatur für verfassungswidrig gehalten, da Art. 8 GG für derartige Versammlungen keinen Gesetzesvorbehalt vorsehe.
Die Pflicht des Veranstalters, auf Anforderung die persönlichen Daten des Leiters gemäß Art. 10 Abs. 3 Satz 1 BayVersG und der Ordner nach Art. 10 Abs. 4 Satz 3 BayVersG mitzuteilen, wobei die Behörde jeweils nach Art. 10 Abs.
3 Satz 2 beziehungsweise Art. 10 Abs. 4 Satz 1 BayVersG die Möglichkeit habe, den Leiter oder die Ordner abzulehnen, entfalte gleichfalls abschreckende Wirkung. Die Anforderung sei nicht von einer auf Fakten gestützten
Gefahrenprognose abhängig. Die Behörde sei an keinerlei gesetzliche Vorgaben gebunden. Auch auf die Größe der geplanten Veranstaltung komme es nicht an. Das Abfragen der persönlichen Daten des Leiters diene erkennbar dazu,
diese Daten mit Erkenntnissen über die Person aus allen der Behörde zur Verfügung stehenden Quellen abzugleichen. Es drohe die Gefahr politischer Persönlichkeitsprofile.
Die in Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 sowie Art. 13 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 Satz 3 BayVersG niedergelegten Pflichten bedeuteten insbesondere für kleine Versammlungen eine große bürokratische Hürde. Die Sanktionsbewehrung entfalte eine
abschreckende Wirkung speziell für kleinere, lokale Gruppierungen der Beschwerdeführer, die sich professionellen Rechtsrat nicht leisten könnten. Die übermäßig bürokratische Ausgestaltung der Anzeigeformalitäten sei jedenfalls
dann verfassungswidrig, wenn sie umstandslos für alle Arten von Versammlungen gelte, ohne dass Gefahren zu besorgen seien. Obwohl ein Zwang zur Mitteilung personenbezogener Daten festgesetzt werde, habe der Gesetzgeber den
Verwendungszweck nicht bereichsspezifisch und präzise bestimmt sowie nicht sichergestellt, dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich seien. Die Datenverarbeitung stelle nicht nur einen erheblichen Eingriff in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, sondern halte interessierte Staatsbürger von der Übernahme verantwortlicher Aufgaben bei Versammlungen ab. Art. 13 Abs. 5 BayVersG sei nicht zu entnehmen, wann eine Behörde
einen Bürger für unzuverlässig oder für ungeeignet halte, als Leiter einer Versammlung für Ordnung zu sorgen. Die Überprüfung des Bürgers komme damit einem Gesinnungs-TÜV gleich. Dies verkehre die Vorgabe des
Bundesverfassungsgerichts in ihr Gegenteil, wonach der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht der Rechtfertigung bedürfe, nicht aber die Ausübung des Grundrechts. Die Beurteilung eines Bürgers als ungeeignet oder unzuverlässig
stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar, der eine zumindest teilweise Aberkennung des Grundrechts bedeute. Für eine solche Entscheidung sei aber nach dem Grundgesetz nicht die
Ordnungsbehörde, sondern ausschließlich das Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 GG zuständig. Auch die Ausdehnung der Anzeigefrist von 48 auf 72 Stunden vor der Bekanntgabe nach Art. 13 Abs. 1 BayVersG sei
verfassungswidrig, weil sie nicht notwendig sei. Die amtliche Begründung nenne keine konkreten Fälle, in denen die 48-Stundenfrist bei kleineren lokalen Versammlungen nicht ausgereicht hätte. Die Ausdehnung der Anzeigefrist für
überörtliche Versammlungen von 48 auf 96 Stunden vor der Bekanntgabe sei ebenfalls verfassungswidrig, weil sie nicht notwendig sei. Auch hier könne die amtliche Begründung keinen einzigen Fall in der Vergangenheit nennen, bei
dem die Behörden nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, sich vorzubereiten. Anders als bisher könne die Anzeige nunmehr allein bei Eilversammlungen fernmündlich erfolgen; auch hierin liege eine unverhältnismäßige Erschwerung
der Versammlungsfreiheit.
Art. 16 BayVersG verschärfe die bisherige Vorschrift des § 17a VersG, obwohl schon gegen diese von Anfang an erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden seien. Denn ein zwingender Zusammenhang
zwischen Vermummung oder Schutzkleidung und der Unfriedlichkeit der Versammlung bestehe nicht. Art. 16 BayVersG sei im Vergleich zu dem bisherigen § 17a VersG auch insoweit unverhältnismäßig, als er nun auch
Demonstranten beim Abmarsch von einer Versammlung betreffe. Wenn eine Versammlung beendet sei, könne es nicht mehr darum gehen, die Friedlichkeit der Versammlung zu gewährleisten.
III. Zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen.
Der Antrag könne keinen Erfolg haben, weil die Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig sei. Als Personenverbände könnten sich die Beschwerdeführer allenfalls gegen solche Vorschriften wenden, die sie als Veranstalter
beträfen. Auch insoweit aber fehle es an einer unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit und der Erschöpfung des Rechtswegs. Darüber hinaus sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil im Rahmen der Verfassungsbeschwerde
nicht das Bayerische Versammlungsgesetz als Ganzes angegriffen werden könne.
Im Übrigen könne der Antrag aber auch nach Maßgabe einer Interessenabwägung keinen Erfolg haben. Das Bayerische Versammlungsgesetz beruhe auf einem eigenen rechts- und ordnungspolitischen Konzept, das sich als eine den
tatsächlichen und rechtlichen Entwicklungen angepasste Konkretisierung der bisherigen Rechtslage verstehe und hierbei zum Teil strengere, zum Teil aber auch geringere Anforderungen stelle. Die Außerkraftsetzung eines solchen
Gesetzes sei nur unter besonders strengen Voraussetzungen zulässig, die vorliegend nicht gegeben seien.
So schränke Art. 9 Abs. 2 BayVersG die Zulässigkeit von Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen gegenüber der bisherigen Rechtslage nach §§ 12a, 19a VersG deutlich ein. Die bayerische Polizei dürfe Übersichtsaufnahmen nur
zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes in die Einsatzzentrale senden, wobei diese Bilder insoweit nicht gespeichert werden dürften. Eine Speicherung dürfe nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG
erfolgen. Weiter dürften sowohl Individualaufzeichnungen als auch Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 3 BayVersG in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 BayPAG grundsätzlich nur offen und nur unter
besonderen Bedingungen verdeckt erfolgen, während §§ 12a, 19a VersG diese Einschränkung nicht vorsähen. Auch reduziere Art. 9 Abs. 4 Satz 3 BayVersG die Höchstspeicherfrist für Aufzeichnungen auf ein Jahr, während § 12a
Abs. 2 Satz 2 VersG hierfür noch drei Jahre vorsehe.
Die in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVersG genannten Angaben entsprächen denjenigen, die nach der Rechtspraxis bereits gemäß § 14 VersG erforderlich gewesen seien. Sie beschränkten sich auf die Informationen, die notwendig
seien, um einschätzen zu können, ob Maßnahmen zum Schutz der Versammlung selbst oder von Dritten vorbereitet oder getroffen werden müssten.
Art. 4 BayVersG sei eine Reaktion auf die Entwicklung, dass Veranstalter gewaltbereite Gruppierungen ausdrücklich zur Teilnahme einlüden und dass Versammlungsleiter im Rahmen von Versammlungen zu Gewalttätigkeiten
aufriefen oder die Teilnehmer aufforderten, gewaltbereite Gruppierungen gegen den Zugriff der Polizei zu schützen. Da von einem Versammlungsveranstalter und -leiter weder tatsächlich noch rechtlich Unmögliches verlangt werden
könne, erschöpften sich deren Pflichten regelmäßig in bloßen Appellen, wie aus den Regelbeispielen des Art. 4 Abs. 3 Satz 2 BayVersG ersichtlich sei. Diese Inpflichtnahme, die letztlich aus dem Friedlichkeitsgebot des Art. 8 GG
folge, schränke die Versammlungsfreiheit des Veranstalters und des Leiters nicht unverhältnismäßig ein. Die Voraussetzungen für deren Inpflichtnahme nach Art. 4 Abs. 1 und 3 BayVersG seien so hoch, dass sie nur selten erfüllt sein
dürften. Denn aufgrund der Schutzpflicht des Staates gegenüber Versammlungen könnten Veranstalter und Leiter zu Maßnahmen nach Art. 4 Abs. 1 und 3 BayVersG nur und erst dann verpflichtet sein, wenn auch ein - stets
vorrangiges - polizeiliches Einschreiten gegen einzelne Störer die Friedlichkeit der Versammlung nicht wiederherzustellen vermöge. Hinzu komme, dass selbst in einem solchen Fall den Veranstaltern und Leitern nur das abverlangt
werden dürfe, was ihnen nach den Umständen des Einzelfalls tatsächlich und rechtlich möglich sei.
Nach den bisherigen Erfahrungen der bayerischen Versammlungsbehörden habe sich die von den Beschwerdeführern befürchtete abschreckende Wirkung nicht eingestellt. Die Gesamtabwägung ergebe daher, dass das Bayerische
Versammlungsgesetz für die von ihm Betroffenen keine schweren und irreparablen Nachteile zur Folge habe.
B. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist teilweise stattzugeben.
I. 1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder
aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben,
es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein insgesamt unzulässig.
a) Die Beschwerdeführer können sich als Personenvereinigungen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Grundrecht seinem Wesen nach auf Personenvereinigungen
anwendbar ist, ist in erster Linie darauf abzustellen, ob es nur individuell oder auch korporativ betätigt werden kann (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>). Kennzeichnend für die in Art. 8 GG gewährleistete Versammlungsfreiheit ist das
kollektive Element der Grundrechtsausübung, da sie Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>). Daher treten häufig Personenvereinigungen als Veranstalter von
Versammlungen auf und sind insoweit hinsichtlich des Art. 8 Abs. 1 GG beschwerdefähig. Das gilt auch für Personenvereinigungen, die keine juristischen Personen sind, sofern sie eine festgefügte Struktur haben und auf gewisse
Dauer angelegt sind (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 11. Januar 1984 - 21 B 28 A 2250 -, NJW 1984, S. 2116; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 8 Rn. 56). Bei den Beschwerdeführern ist dies der Fall.
b) Die Beschwerdeführer sind zumindest hinsichtlich eines Teils der angegriffenen Vorschriften auch beschwerdebefugt.
aa) Den Beschwerdeführern fehlt es nicht insgesamt an der unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit.
Grundsätzlich muss ein Beschwerdeführer, der sich gegen Rechtsvorschriften wendet, welche rechtsnotwendig oder auch nur der tatsächlichen Verwaltungspraxis nach einen besonderen Vollzugsakt voraussetzen, zunächst diesen Akt
angreifen und den hiergegen eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er Verfassungsbeschwerde erheben kann (vgl. BVerfGE 1, 97 <102 f.>; stRspr, zuletzt 101, 54 <74>; 109, 279 <306>). Nicht verlangt werden kann das jedoch
dann, wenn die angegriffenen Rechtsvorschriften den Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, das heißt, wenn sie ohne das Dazwischentreten eines weiteren Vollzugsakts bereits in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirken
und es ihm nicht möglich oder zuzumuten ist, hiergegen zunächst Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Beschwerdeführer von der Maßnahme keine Kenntnis erlangt, weil sie heimlich
erfolgt (vgl. BVerfGE 30, 1 <16 f.>; 67, 157 <169 f.>; 100, 313 <355>; 109, 279 <306 f.>), oder wenn Vorschriften eine Verpflichtung begründen, die unmittelbar als solche mit einer Geldbuße oder Strafe bewehrt ist (vgl. BVerfGE
20, 283 <290>; 46, 246 <256>; 81, 70 <82 f.>; 97, 157 <165>).
(1) Danach unterliegen jedenfalls die Rügen bezüglich Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 3) BayVersG unter dem Gesichtspunkt der
Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit keinen Bedenken. Die Vorschriften begründen unmittelbare Rechtspflichten, die ohne das Erfordernis eines dazwischen tretenden Verwaltungsakts nach Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14
BayVersG bußgeldbewehrt sind. Nach § 30 OWiG können dabei auch Personenvereinigungen mit einer Geldbuße belegt werden. Dies gilt gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG jedenfalls für die Beschwerdeführer zu 1) bis 11), die
als juristische Personen beziehungsweise nicht eingetragene Vereine organisiert sind. Ob das auch auf die über untypische Organisationsstrukturen verfügenden Beschwerdeführer zu 12) und 13) zutrifft oder ob diese von dem
Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nicht mehr erfasst sind und damit das Analogieverbot greift, ist nicht eindeutig, braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden. Denn zumindest ist nicht ausgeschlossen, dass auch ihnen
gegenüber in der Praxis entsprechende Sanktionen verhängt werden. Die Begründung zum Gesetzesentwurf für das Bayerische Versammlungsgesetz jedenfalls geht ganz generell davon aus, dass Personenverbände Veranstalter sein
können, ohne zwischen verschiedenen Typen von Personenmehrheiten zu differenzieren (vgl. LTDrucks 15/10181, S. 13). Daher müssen auch die Beschwerdeführer zu 12) und 13) damit rechnen, sich bei Nichtbefolgung der
Vorschriften unter Umständen gegen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit zur Wehr setzen zu müssen.
Auch die Rüge bezüglich des Art. 9 Abs. 1 bis 4 BayVersG ist nicht wegen fehlender Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit unzulässig. Die dort geregelten Maßnahmen können gemäß Art. 9 Abs. 3 BayVersG in
Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 Satz 2 BayPAG unter Umständen heimlich erfolgen, so dass fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht in allen Fällen gewährleistet ist.
(2) Von vornherein unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde hingegen in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 BayVersG, da die betreffenden Pflichten nicht bußgeldbewehrt sind. Den Beschwerdeführern ist insoweit
zuzumuten, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch hinsichtlich Art. 4 Abs. 5 BayVersG. Die Beschwerdeführer können sich gegen die konkrete Entsendung von
Polizeibeamten, die nach Art. 4 Abs. 5 BayVersG dem Versammlungsleiter gegenüber zu offenbaren ist, zur Wehr setzen. Hierbei kann auch geklärt werden, ob, wie die Beschwerdeführer meinen, die Vorschrift tatsächlich auch einen
teilweise verdeckten Einsatz von Polizeibeamten erlaubt und ob sie - entgegen der herrschenden Auffassung zur entsprechenden Vorläufervorschrift des § 12 VersG (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 10 BV 07.2143
-, DÖV 2008, S. 1006 f.; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 385) - so verstanden werden muss, dass sie der Polizei ein anlassloses Zutrittsrecht verschafft. Für das Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes offen gelassen werden kann hingegen, ob - auch unter Berücksichtigung von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG - hinsichtlich Art. 10 Abs. 3 und 4, Art. 13 Abs. 5 und 6 BayVersG auf den Vorrang
fachgerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen ist. Da auch diese Vorschriften zunächst einen konkretisierenden Verwaltungsakt voraussetzen, der fachgerichtlich angegriffen werden kann, fehlt es jedenfalls an einer hinreichenden
Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
bb) Die Beschwerdeführer sind auch selbst grundrechtsbetroffen.
Selbst betroffen sind die Beschwerdeführer ohne weiteres, soweit sie sich gegen veranstalterbezogene Vorschriften wenden, das heißt gegen Art. 3 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch gegen Art. 2 Abs. 1 und Art.
10 Abs. 3) BayVersG. Die Beschwerdeführer sind weiterhin aber auch durch die hier in Frage stehenden leiter- und teilnehmerbezogenen Vorschriften als selbst grundrechtsbetroffen anzusehen. Allerdings ist im Hinblick auf die Frage
der Selbstbetroffenheit grundsätzlich zwischen den Rechten einer Vereinigung und den Rechten ihrer Mitglieder zu trennen. Die Rechte ihrer Mitglieder wachsen einer Vereinigung in der Regel nicht auch als eigene zu. Für das
Versammlungsrecht sind hier indes Besonderheiten anzuerkennen. Die Rechte von Veranstalter, Leiter und Teilnehmern einer Versammlung sind in spezifischer Weise miteinander verschränkt. So ist einerseits die Wahrnehmung der
Versammlungsfreiheit seitens der einzelnen Bürger von vornherein nur mit anderen zusammen möglich und dabei regelmäßig auf eine Koordination angewiesen. Hierbei kommt dem Veranstalter der Versammlung eine
hervorgehobene Bedeutung zu, weil dieser die Versammlung initiiert, ihren Rahmen absteckt und die personellen (Leiter, Ordner, Redner) sowie sachlichen (etwa Bühne, Mikrofon) Voraussetzungen für ihre Durchführung schafft.
Umgekehrt sind die Rechte des Veranstalters durch die Rechte und Pflichten des Versammlungsleiters und der Teilnehmer bestimmt. Für das Verhältnis von Veranstalter und Leiter wird dieser enge Zusammenhang schon darin
deutlich, dass der Gesetzgeber für den Regelfall den Veranstalter selbst oder, sofern es sich um eine Vereinigung handelt, dessen Vorsitzenden als Versammlungsleiter bestimmt (Art. 3 Abs. 2 BayVersG). Wechselseitige Einflüsse
bestehen auch zwischen den Rechten und Pflichten von Veranstalter und Teilnehmern, etwa wenn das an die Teilnehmer gerichtete Militanz- oder Vermummungsverbot (Art. 7 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 BayVersG) dazu führt und
führen soll, dass hierdurch bestimmte Ausgestaltungen von Versammlungen wegen ihrer einschüchternden Wirkung verhindert werden, oder wenn Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen in Form von
Übersichtsaufzeichnungen die Gesamtveranstaltung in den Blick nehmen und hierbei Teilnehmer an einer unbefangenen Mitwirkung in der vom Veranstalter vorgesehenen Weise hindern. Von daher ist den Beschwerdeführern als
Veranstaltern nicht versagt, sich auch gegen die an den Leiter und die Versammlungsteilnehmer gerichteten Vorschriften zu wenden (vgl. ebenso Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 8 Rn. 10). Durch die in Frage
stehenden Vorschriften des Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 bis 4 und Art. 16 BayVersG sind die Beschwerdeführer damit selbst in ihrer Versammlungsfreiheit betroffen.
cc) Die Beschwerdeführer haben auch sachlich eine mögliche Grundrechtsverletzung hinreichend substantiiert geltend gemacht. Sie legen eingehend dar, durch Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 1, Art. 4 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 21 Nr. 2, Art. 7 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 21 Nr. 7, Art. 13 Abs. 1 und 2 (hierüber mittelbar auch durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3) in Verbindung mit Art. 21 Nr. 13 und 14 BayVersG sowie Art. 9 Abs.
2 bis 4 BayVersG in ihrer Versammlungsfreiheit verletzt zu sein.
Dahinstehen kann, ob sich die Beschwerdeführer hier auch auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG berufen können (vgl. BVerfGE 118, 168 <202 ff.>). Die insoweit erhobenen Rügen betreffen
sämtlich die spezifischen Auswirkungen der angegriffenen Vorschriften auf die Versammlungsfreiheit. In dieser Hinsicht ergeben sich vorliegend aus Art. 2 Abs. 1 GG keine weitergehenden Anforderungen als aus Art. 8 Abs. 1 GG.
c) Hinsichtlich der übrigen Vorschriften ist die Verfassungsbeschwerde demgegenüber unzulässig. Zwar erstreckt sich der Antrag der Beschwerdeführer auf grundsätzlich das gesamte Bayerische Versammlungsgesetz, jedoch fehlt es
hinsichtlich weiterer Vorschriften an einem substantiierten Vorbringen. Nicht Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens sind weiterhin Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 sowie - hierauf bezogen - Art. 15 Abs. 3 BayVersG, die die
Beschwerdeführer in ihrem Antrag ausdrücklich von ihren Angriffen ausnehmen.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften werfen Rechtsfragen auf, die sich aus der bisherigen Rechtsprechung nicht ohne weiteres beantworten lassen.
Das Bayerische Versammlungsgesetz versteht sich als Verwirklichung eines eigenständigen rechts- und ordnungspolitischen Konzepts, das gezielt dem Versammlungsrecht eigene Akzente verleihen will. Es knüpft zwar vielfach an
bestehende Regelungen an, sucht hierbei aber mit den im vorliegenden Verfahren angegriffenen Normen bewusst, diese weiterbildend zu konkretisieren und bisher offene Streitfragen zu klären. Dabei stellt es in verschiedenen
Regelungen erhöhte Anforderungen an die Veranstaltung von Versammlungen. So sind die Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten ausführlicher und formalisierter gestaltet als nach bisher geltendem Recht, die Anforderungen an
die Versammlungsleitung erhöht, ein allgemeines Militanzverbot eingeführt, der Katalog für polizeiliche Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen erweitert sowie daran anknüpfend zahlreiche neue
Ordnungswidrigkeitentatbestände unmittelbar für Verstöße gegen gesetzliche Ge- und Verbote in das Versammlungsrecht aufgenommen worden. All diese Regelungen betreffen unmittelbar die Ausübung des durch Art. 8 Abs. 1 GG
gewährleisteten Versammlungsrechts und werfen verfassungsrechtliche Fragen auf, die noch nicht abschließend geklärt sind. Für die Erfolgsaussichten wird es darauf ankommen, ob und gegebenenfalls mit welchen Maßgaben diese
Begrenzungen, in denen die Beschwerdeführer einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu einem Präventionskonzept sehen, mit der Versammlungsfreiheit vereinbar sind. Es wird hierbei auf die Bedeutung der
verfassungsrechtlich gewährleisteten Anmelde- und Erlaubnisfreiheit von Versammlungen einzugehen sein und auf die Frage, ob derartige Pflichten für alle Arten von Versammlungen, unabhängig von ihrem Gefahrenpotential und
ihrer Größe, gleich zu beurteilen sind. Zu klären ist weiter, welche Bestimmtheitsanforderungen an versammlungsbezogene Pflichten zu stellen sind und welche Bedeutung hierbei deren Konkretisierung durch Verwaltungsakt
beziehungsweise deren Sanktionierung durch Bußgeldvorschriften zukommt. Auch werfen die angegriffenen Vorschriften ungeklärte Fragen zu den Anforderungen an die Erhebung und Nutzung von Daten im Zusammenhang mit
Versammlungen auf wie insbesondere die Anfertigung, Speicherung und Nutzung von Übersichtsaufzeichnungen, mit welchen insbesondere auch nichtstörende Versammlungsteilnehmer erfasst werden, sowie die Heimlichkeit von
Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen. All diese Fragen bedürfen näherer Prüfung und sind dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
II. 1. Kann, wie hier, nicht festgestellt werden, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist und muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens folglich als offen
angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich
außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerfGE 117, 126 <135>).
Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 104, 51 <55>; 112, 284 <292>; 117, 126 <135>). Das
Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verzögern oder ein in Kraft getretenes Gesetz wieder außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer
solchen einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist. Ein Gesetz darf deshalb nur dann vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seiner Geltung nach
späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, ganz besonderes Gewicht haben und in Ausmaß und Schwere deutlich die Nachteile überwiegen, die im Falle der vorläufigen Außerkraftsetzung eines sich als
verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>; 112, 284 <292>; 117, 126 <135>). Bei dieser Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht
nur Folgen, die sich für die Beschwerdeführer ergeben (vgl. BVerfGE 112, 284 <292>).
2. Nach diesen Maßstäben ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise stattzugeben. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Bußgeldvorschriften des Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG einstweilen außer
Kraft zu setzen sind (a). Demgegenüber ist eine einstweilige Außerkraftsetzung der mit diesen Vorschriften korrespondierenden verwaltungsrechtlichen Pflichten gemäß Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1
und 2 BayVersG nicht geboten (b). Mit einschränkenden Maßgaben zu versehen ist hingegen weiterhin die Anwendung des Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG (c), nicht aber des Art. 9 Abs. 3 BayVersG (d).
a) Von besonderem Gewicht sind die Nachteile, die sich aus einer vorläufigen Anwendung der Bußgeldvorschriften des Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG ergeben. Sie sind so erheblich, dass sie auch die strengen
Voraussetzungen für eine vorläufige Außerkraftsetzung eines Gesetzes erfüllen.
Die genannten Vorschriften erheben den Verstoß gegen weitreichende versammlungsrechtliche Mitwirkungspflichten und Verbote zu einer Ordnungswidrigkeit. Erfasst sind hiervon die Anforderungen an die Bekanntgabe
und Einladung zu Versammlungen nach Art. 3 Abs. 3 BayVersG und an die Anzeige von Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG einschließlich ihrer gesetzlichen Detaillierungen, die Pflichten des
Versammlungsleiters nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG und die Verhaltenspflichten von Teilnehmern nach Art. 7 Abs. 2 BayVersG. Durch die Sanktionierung ihrer Verletzung als Ordnungswidrigkeiten werden diese Pflichten zu einer
unmittelbar aus sich heraus bewehrten Rechtspflicht. Unabhängig von der Bedeutung des jeweiligen Verstoßes für die Durchführung der konkreten Versammlung kann jeder Verstoß gegen diese Pflichten staatliche Sanktionen
auslösen. Zwar setzt die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 10 OWiG grundsätzlich Vorsatz voraus. Dies lässt jedoch unberührt, dass die sanktionsbewehrten Rechtspflichten nach strafrechtlichen Grundsätzen als solche
grundsätzlich von jedermann erkannt werden müssen und ein Verbotsirrtum in der Regel als vermeidbar und damit unbeachtlich gilt. Damit liegt die Verantwortung für die vollständige Kenntnis dieser Pflichten, die Erfassung ihrer
Bedeutung im Einzelfall und die Ableitung der sich aus ihnen ergebenden Folgen ohne jeden Vorbehalt bei dem Bürger. Fehlentscheidungen werden ohne weitere Mahnung oder Warnung unmittelbar sanktioniert. Mit der
Veranstaltung, Leitung oder Teilnahme an einer Versammlung verbindet sich so das Risiko, wegen Fehler und Fehleinschätzungen ex post mit einer Geldbuße belegt zu werden.
Die Verhängung einer Geldbuße bedeutet dabei die Verhängung einer repressiven Sanktion, verbunden mit dem staatlichen Tadel rechtswidrigen vorwerfbaren Fehlverhaltens (vgl. § 1 Abs. 1 OWiG). Zwar bleibt der mit einer
Ordnungswidrigkeit erhobene Schuldvorwurf gegenüber Sanktionen, die als Strafe ausgestaltet sind, deutlich zurück (vgl. BVerfGE 27, 18 <33>). Jedoch liegt auch in der Belegung mit einer Geldbuße eine nachdrückliche
Pflichtenmahnung und eine förmliche Missbilligung des Betroffenen als der Rechtsgemeinschaft verantwortlicher Person, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Ahndung grundsätzlich nur im Rahmen der
verfahrensrechtlichen Garantien des Strafrechts und unter Beachtung der damit gewährleisteten rechtsstaatlichen Verbürgungen erlaubt ist. Dabei kann eine Geldbuße in Höhe von bis zu 3.000 € gemäß Art. 21 BayVersG eine
empfindliche Belastung darstellen. Überdies wird die Belegung mit einer Geldbuße für ein Verhalten bei einer früheren Versammlung in der Praxis zur Stützung verwaltungsrechtlicher Gefahrenprognosen herangezogen, so dass sich
hieraus auch für die künftige Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit weitreichende Folgen ergeben können.
Die Wirkung der Bußgeldbewehrung unterscheidet sich damit grundlegend von der Statuierung allein verwaltungsrechtlicher Pflichten und Verbote. Diese werden gegenüber dem Bürger grundsätzlich auf der Grundlage eines
Verwaltungsakts durchgesetzt. Was in der jeweiligen Situation für den Einzelnen verbindlich ist, wird damit zunächst einzelfallbezogen festgestellt und dem Bürger, Rechtsklarheit schaffend und mit Rechtsmitteln überprüfbar, vor
Augen gehalten. Die jeweiligen Rechtspflichten werden so durch die Verwaltung für den Einzelnen konkretisiert, ohne dass ein Schuldvorwurf erhoben wird. Das Risiko der Unkenntnis oder der Fehleinschätzung von Rechtspflichten
angesichts der jeweiligen Umstände wird dem Bürger damit weitgehend genommen.
Diese rechtsstaatliche Funktion des Verwaltungsakts ist gerade in Bezug auf die hier in Rede stehenden Pflichten - unbeschadet der erst im Hauptsacheverfahren zu entscheidenden Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit - von Bedeutung.
Denn diese sind vom Gesetzgeber teils detailgenau ausdifferenziert, teils konkretisierungsbedürftig offen ausgestaltet und setzen damit fachliche Kenntnisse oder adäquate Situationseinschätzungen voraus. Dass sich darüber
Unsicherheiten und Fehleinschätzungen hinsichtlich der im Einzelfall geltenden Anforderungen auch für Bürger ergeben können, die sich rechtstreu verhalten wollen, liegt nicht fern. So bezieht sich die Pflicht zur Angabe von Ort,
Zeit, Thema sowie Namen des Veranstalters bei einer Einladung oder Bekanntgabe auf jede öffentliche Versammlung ab zwei Personen, unabhängig davon, ob sie klein oder groß ist, im Freien oder in geschlossenen Räumen
stattfindet, spontan oder geplant abgehalten wird (Art. 3 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 BayVersG). Jede offene Einladung zu einem politischen Stammtisch seitens einer Studentengruppe oder zu einer öffentlichen Diskussion in
arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen kann hiervon betroffen sein. Auch wenn die erforderlichen Angaben für sich gesehen einfach sind, kann die Frage, was als Einladung oder Bekanntmachung zu qualifizieren ist, welche
Genauigkeit erforderlich ist oder wie die Angaben bei zeitgemäßen Formen der elektronischen Kommunikation - wie SMS - zu gewährleisten sind, ernsthaft fraglich sein. Vielfach werden sich Veranstalter - bei denen keine
Verwaltungsrechtskenntnisse vorausgesetzt werden können - solche Fragen überhaupt nicht stellen. Entsprechendes gilt für die Anzeigepflichten des Art. 13 Abs. 1 BayVersG und die in Bezug genommenen Anforderungen des
Absatzes 2. Wann Angaben etwa zum beabsichtigten Ablauf der Versammlung vollständig sind (Abs. 2 Satz 1 Nr. 6) oder wann unverzüglich mitzuteilende Änderungen rechtzeitig übermittelt werden (Abs. 2 Satz 3), ist
wertungsabhängig und konkretisierungsbedürftig. Erst recht beruhen die Pflichten des Versammlungsleiters nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG auf unsicheren Einschätzungen. Was "geeignete Maßnahmen" sind, um "Gewalttätigkeiten"
"aus der Versammlung heraus" zu "verhindern", und wann eine Versammlung mangels Durchsetzungsfähigkeit aufzulösen ist, ist von schwierigen Bewertungen in oftmals unübersichtlichen, volatilen und emotionsgeladenen
Situationen abhängig. Nichts anderes gilt für die an den einzelnen Teilnehmer adressierte Pflicht, an Versammlungen nicht in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung ein bestimmtes
Erscheinungsbild mit einschüchternder Wirkung erhält. Dabei wird die Konkretisierungsbedürftigkeit dieser Pflichten nicht dadurch gemindert, dass das Gesetz seiner Begründung nach vor allem auf die extremistischen Spektren
abzielt (vgl. Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung, LTDrucks 15/10181, S. 1 f.). Eine Anknüpfung daran, ob Versammlungen links- oder rechtsradikales Gedankengut verbreiten, ist sowohl für die Schaffung als auch für die
Auslegung von die Versammlungsfreiheit einschränkenden Vorschriften verfassungsrechtlich ausgeschlossen.
Die Anwendbarkeit von Bußgeldvorschriften, die den Verstoß gegen diese Pflichten zur Ordnungswidrigkeit erheben, wäre ein Nachteil von ganz besonderem Gewicht. Verbindet sich die Wahrnehmung des Versammlungsrechts in
dieser Weise mit einem schwer kalkulierbaren Risiko persönlicher Sanktionen, drohte dies der Inanspruchnahme eines elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts die Unbefangenheit zu nehmen. Damit verbundene
Einschüchterungseffekte wiegen auch für die Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung schwer.
Demgegenüber sind die Nachteile einer vorläufigen Außerkraftsetzung der fraglichen Bußgeldbestimmungen nicht von vergleichbarem Gewicht. Zwar entfällt mit ihrer Nichtanwendbarkeit für die Übergangszeit ihre abschreckende
Funktion. Die versammlungsrechtlichen Pflichten selbst bleiben durch die Außerkraftsetzung allein der Bußgeldbewehrung jedoch unberührt. Ebenso wenig wie nach alter Rechtslage drohen diese deshalb in faktischer Hinsicht
leerzulaufen. Falls erforderlich sind sie vielmehr weiterhin nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchsetzbar. Im Übrigen kann ihre Verletzung vor allem Bedeutung im Rahmen von Entscheidungen nach Art. 15 Abs.
1 BayVersG, gegebenenfalls in Verbindung auch mit Art. 14 Abs. 1 und 2 BayVersG gewinnen. Die versammlungsrechtliche Grundkonzeption des Gesetzgebers zur Gewährleistung eines den Sicherheitsanforderungen genügenden
Versammlungsrechts wird durch eine Außerkraftsetzung allein der Bußgeldnormen nicht berührt.
b) Eine vorläufige Außerkraftsetzung auch der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden verwaltungsrechtlichen Ge- und Verbote selbst ist demgegenüber nicht geboten. Die strengen Voraussetzungen einer einstweiligen
Anordnung unmittelbar gegen Gesetze liegen insoweit nicht vor.
Allerdings sind die Nachteile, die eine vorläufige Anwendbarkeit zur Folge hat, auch insoweit noch erheblich: So wird den Veranstaltern die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit durch die Erweiterung und Formalisierung der
Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten, die nicht nach Größe und Gefahrenpotential der Versammlung unterscheiden, erheblich erschwert. Das gilt insbesondere für den Katalog des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG. Den Bürger
trifft danach nicht nur eine Anzeigepflicht hinsichtlich der äußeren Kerninformationen der Versammlung, sondern auch eine Pflicht zur Mitteilung ihres genauen Ablaufs und möglicherweise auch ihres Inhalts. Der Veranstalter kann
damit auch inhaltlich hinsichtlich seiner Freiheitswahrnehmung detailliert erklärungspflichtig werden. Weiterhin steht er in der Pflicht, sich zum Zwecke einer behördlichen Geeignetheitsprüfung bereits frühzeitig auf den genauen
Ablauf und den organisatorischen Rahmen festzulegen und hierbei zahlreiche personenbezogene Daten der Ordner und des Versammlungsleiters mitzuteilen. Auch sind an die von situationsbezogenen Einschätzungen abhängigen
Pflichten nach Art. 4 Abs. 3 BayVersG, der für den Leiter nicht nur Obliegenheiten, sondern eine echte Ordnungsverantwortung begründet, und nach Art. 7 Abs. 2 BayVersG Nachteile geknüpft, die auch unabhängig von der
Bußgeldbewehrung erheblich sind. Sollten sich diese Pflichten ganz oder zum Teil als verfassungswidrig erweisen, wäre deren vorläufige Anwendung ein Nachteil, der die persönliche Wahrnehmung des Grundrechts der
Versammlungsfreiheit erheblich behinderte und auch eine Beeinträchtigung der demokratischen Funktion des Versammlungsrechts zur Folge hätte.
Diese Nachteile haben jedoch nicht ein solches Gewicht, dass sie gegenüber den Nachteilen, die mit einer Außerkraftsetzung dieser Vorschriften verbunden wären, überwiegen. Denn mit einer Außerkraftsetzung dieser Normen wäre
nicht nur ein vorläufiger Verlust an routinemäßiger Vereinfachung und Effizienzsteigerung durch frühzeitige wie vollständige Vorabinformation der Verwaltungsbehörden verbunden, sondern würden zentrale Grundlagen zur
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Friedlichkeit von Versammlungen betroffen. Da das Versammlungsgesetz des Bundes durch eine vorläufige Aussetzung nicht wieder aufleben würde, fehlte es dem
Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest
erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen. Das aber kann allenfalls in Sonderkonstellationen gerechtfertigt sein, die hier
nicht gegeben sind. Durch die vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldbewehrung sind die Nachteile der angegriffenen Vorschriften vielmehr so weit aufgefangen, dass in Respekt vor der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eine
weitergehende einstweilige Anordnung in Bezug auf Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 BayVersG nicht geboten ist.
c) Teilweise Erfolg muss der Antrag hingegen haben, soweit er sich auf Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG erstreckt. Eine Folgenabwägung ergibt hier, dass die Nachteile einer vorläufigen Anwendbarkeit die Nachteile einer - sachlich
beschränkten - vorläufigen Außerkraftsetzung überwiegen.
aa) Die Nachteile der uneingeschränkten vorläufigen Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG sind gravierend: Bei jeder Versammlung muss jeder Teilnehmer damit rechnen, dass das gesamte Geschehen an eine Leitstelle
übermittelt und zugleich aufgezeichnet wird. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG erlaubt zunächst Übersichtsaufnahmen (Kamera-Monitor-Übertragungen) von jeder Versammlung unabhängig von deren Größe und
Gefahrenpotential, auch in geschlossenen Räumen, soweit dies nur dem Ziel der "Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes" dient. Dass aus dieser Zielsetzung irgendeine tatbestandliche Begrenzung folgt oder folgen
soll, ist nicht ersichtlich. Auch die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG ist der Polizei praktisch immer erlaubt. Die gesetzliche Maßgabe, nach der die Übersichtsaufzeichnung zur
"Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens" erforderlich sein muss, begrenzt diese Befugnis nicht, da eine Auswertung des Polizeieinsatzes als solche rechtlich immer zulässig und auf eine Fixierung der Aufnahmen
notwendigerweise auch angewiesen ist. Der Sache nach ermächtigt Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG zu einer anlasslosen Bildaufzeichnung des gesamten Versammlungsgeschehens.
Dabei ist die Anfertigung solcher Übersichtsaufzeichnungen nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, da auch in Übersichtsaufzeichnungen die Einzelpersonen in
der Regel individualisierbar mit erfasst sind (vgl. Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 3. Aufl. 2007, S. 236; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, S. 245 f., 252; Kniesel/Poscher, in:
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 372; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 12a Rn. 3, 8). Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte
erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen
besteht diesbezüglich, jedenfalls nach dem Stand der heutigen Technik, nicht.
Eine so weite Befugnis zur Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge
unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage
stehen Aufzeichnungen, die die gesamte - möglicherweise emotionsbehaftete - Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das
Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer
damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde
nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und
Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>).
Die Schwere des Grundrechtseingriffs einer anlasslosen Datenerhebung nimmt dabei mit der Möglichkeit der Nutzung der Daten für Folgeeingriffe in Grundrechte der Betroffenen zu (vgl. BVerfGE 120, 378 <403>). Art. 9 Abs. 2
und 4 BayVersG hegen die sich insoweit ergebenden Nachteile nur begrenzt ein. Zwar ist eine Identifikation einzelner Personen nur zulässig, wenn die strengeren Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 BayVersG vorliegen (Art. 9 Abs. 2
Satz 4 BayVersG), so dass, soweit es um die Auswertung der Aufzeichnungen zu Zwecken des polizeitaktischen Vorgehens im direkten Zusammenhang mit der aufgenommenen Versammlung geht, die Nutzung der Daten und damit
der Nachteil für den Einzelnen begrenzt gehalten wird. Die maßgebliche Belastung der Übersichtsaufzeichnungen liegt jedoch darin, dass die gesamten Versammlungsdaten gemäß Art. 9 Abs. 4 BayVersG auch über die
konkrete Versammlung hinaus verfügbar gehalten werden, unter Umständen sogar zeitlich unbegrenzt. Die Übersichtsaufzeichnungen werden damit zu einem Datenvorratsspeicher, auf den über die Aufarbeitung des
aufgezeichneten Versammlungsgeschehens hinaus allgemein zur Verfolgung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr bei künftigen Versammlungen zurückgegriffen werden kann. Auch nachträglich kann damit eine zunächst
unauffällige Teilnahme an einer Versammlung aufgegriffen, neu interpretiert und zum Anknüpfungspunkt weiterer Maßnahmen gemacht werden, ohne dass dieses gesetzlich klar und sachhaltig begrenzt würde. Sachlich werden die
Nutzungsmöglichkeiten der Daten in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 BayVersG nur indirekt im Rahmen der Löschungspflicht bezüglich dieser Daten aufgeführt, nicht aber eigens näher geregelt. Sie erstrecken sich dabei insbesondere auf die
Strafverfolgung ganz allgemein. Zeitlich erlaubt das Gesetz die Speicherung und den Rückgriff auf Übersichtsaufzeichnungen zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens und zu Zwecken der Abwehr künftiger
versammlungsspezifischer Gefahren bis zu einem Jahr ab Entstehung, zu Zwecken der Strafverfolgung sogar noch darüber hinaus (Art. 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BayVersG; siehe auch §§ 483 ff. StPO). Unbegrenzt gespeichert werden
können Übersichtsaufzeichnungen überdies zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung und damit nach freiem Ermessen der Behörde. Die Identifizierung einer abgebildeten Person ist insoweit zwar auf ein Jahr beschränkt.
Eine solche allein auf die Datennutzung bezogene Befristung hebt die durch die unbefristete Speicherung begründete Beeinträchtigung des Betroffenen jedoch nicht auf. Denn technisch bleiben die Daten verfügbar, und trotz der
hindernisfreien Identifizierbarkeit von Einzelpersonen in Übersichtsaufzeichnungen sieht das Gesetz hiergegen eine nachvollziehbare und strukturelle Sicherung nicht vor. Angesichts der Streubreite der erhobenen Daten trägt dies
dazu bei, dass sich hierdurch das Risiko des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens verfestigen kann (vgl. BVerfGE 107, 299 <328>; 115, 320 <354 f.>; 120, 378 <402>).
Eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht
anknüpft, führt zu durchgreifenden Nachteilen. Die vorläufige Hinnahme hierdurch begründeter Einschüchterungseffekte hat im Rahmen der Folgenabwägung auch bei Anlegung besonders strenger Maßstäbe höheres Gewicht als
die Nachteile einer einstweiligen Außerkraftsetzung dieser Vorschriften. So sind die Nachteile eines teilweisen Verzichts auf Übersichtsaufzeichnungen für die Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens jedenfalls dann von
geringerem Gewicht, wenn von einer Versammlung keine erheblichen Gefahren ausgegangen sind. Auch der vorläufige Verlust der Nutzungsmöglichkeit der Aufzeichnungen für die polizeiliche Aus- und Fortbildung, für die auch auf
viele andere Mittel zurückgegriffen werden kann, wiegt die Nachteile der anlasslosen Datenbevorratung nicht auf. Dasselbe gilt aber auch für den - vom Gesetzgeber selbst nicht als Ziel, sondern nur als Anschlussnutzungseffekt
vorgesehenen - Rückgriff auf die Übersichtsaufzeichnungen für die Strafverfolgung und die Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren. Diese Aufgaben haben nicht schon allgemein ein solches Gewicht, dass deshalb über
Art. 9 Abs. 1 BayVersG hinaus mit Hilfe von Übersichtsaufzeichnungen vorsorglich alle Versammlungen aufgezeichnet werden können und damit die Daten auch all derer vorrätig gehalten werden dürfen, deren Verhalten hierzu
keinerlei Anlass gegeben hat. Im Übrigen lässt ein Verzicht auf anlasslose Übersichtsaufzeichnungen die allgemeinen Befugnisse der zuständigen Behörden unberührt.
bb) Angesichts der besonders strengen Anforderungen an die vorläufige Außerkraftsetzung von Gesetzen ist allerdings nicht eine vollständige Außerkraftsetzung des Art. 9 Abs. 2 und 4 BayVersG geboten. Für eine vorläufige
Regelung reicht es - in Anknüpfung an die herrschende Auffassung zu § 12a VersG (vgl. Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 3. Aufl. 2007, S. 237; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, S. 246;
Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 12a Rn. 3, 8; Hase, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, § 12a Rn. 21; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch
des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, J Rn. 372) - aus, die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG unter die Bedingungen des Art. 9 Abs. 1 BayVersG zu stellen. Übersichtsaufzeichnungen sind
danach nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Im Ergebnis können bei Versammlungen, von
denen nach diesen Maßstäben eine Gefahr ausgeht, mittels Übersichtsaufzeichnungen auch die Bilddaten von rechtstreuen Versammlungsteilnehmern erhoben werden. Dies bleibt ein gewichtiger Nachteil, ist im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes jedoch im Respekt vor dem Gesetzgeber hinzunehmen. Durch die einstweilige Anordnung ist jedoch sicherzustellen, dass Teilnehmer nicht fürchten müssen, ihre Teilnahme werde über die konkrete
Versammlung hinaus anlasslos festgehalten, und dass die Daten nicht für Zwecke genutzt werden, die mit der Versammlung in keinem Zusammenhang stehen. Es ist deshalb anzuordnen, dass eine Auswertung der Daten unverzüglich
zu erfolgen hat. Soweit die Daten nach dieser Auswertung nicht in Bezug auf einzelne Personen zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der aufgezeichneten Versammlung oder zur Abwehr künftiger
versammlungsspezifischer Gefahren nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BayVersG benötigt werden, müssen sie spätestens innerhalb von zwei Monaten gelöscht oder zumindest irreversibel anonymisiert werden.
Von deutlich geringerem Gewicht sind demgegenüber die Nachteile von Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung, die nicht gespeichert werden und damit nur flüchtiger Natur sind. Möglichen Einschüchterungseffekten durch die
Präsenz einer Kamera, die das Geschehen an eine andere, nicht übersehbare Stelle überträgt, kommt hier nur dann Durchschlagskraft zu, wenn eine durch Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes
den jeweiligen Umständen nach von vornherein nicht erforderlich ist wie in der Regel in geschlossenen Räumen. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG ist deshalb auf Fälle zu beschränken, in denen Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und
Leitung des Polizeieinsatzes wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.
d) Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht außer Kraft zu setzen ist schließlich Art. 9 Abs. 3 BayVersG. Zwar erlaubt dieser, wie der Verweis auf Art. 30 Abs. 3 BayPAG zeigt, unter Umständen auch verdeckte Beobachtungs-
und Dokumentationsmaßnahmen, wodurch die Einschüchterungswirkung solcher Befugnisse nochmals verstärkt wird. Denn wenn der Staat verdeckte Maßnahmen gerade dann einsetzt, wenn Bürger von ihrem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit Gebrauch machen und sich mit eigenen Überzeugungen in die demokratische Öffentlichkeit begeben - zugleich unter der Verpflichtung, sich nicht zu vermummen -, ist dies in besonderer Weise geeignet, vom
Gebrauch dieses Grundrechts abzuschrecken. Das gilt umso mehr, wenn mangels Benachrichtigungspflichten oder Einsichtsmöglichkeiten Rechtsschutz hiergegen praktisch ausgeschlossen ist. Im Hauptsacheverfahren wird diese
Frage materiell verfassungsrechtlich näherer Prüfung bedürfen. Nach den besonders strengen Anforderungen an die Aussetzung eines Gesetzes ist eine vorläufige Außerkraftsetzung dieser Vorschrift jedoch nicht geboten. Der durch
Art. 9 Abs. 3 BayVersG in Bezug genommene Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BayPAG verpflichtet die Behörden, Datenerhebungen grundsätzlich offen zu gestalten. Die Möglichkeit verdeckter Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen
ist damit gesetzlich als enge Ausnahme gefasst. Ihre Handhabung muss dabei der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung tragen und auf eng begrenzte Sondersituationen beschränkt bleiben. Für den Zeitraum bis zur
Entscheidung in der Hauptsache ist diese Rechtslage, nicht zuletzt angesichts der insoweit unklaren bisherigen Rechtspraxis unter Geltung des Bundesversammlungsgesetzes, hinzunehmen. ..." ( BVerfG, Einstweilige Anordnung vom
17.02.2009 - 1 BvR 2492/08)
***
„... Der Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 24. Januar 2005 - 10 T 21/04 - und der Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 17. Mai 2004 - 12 XIV 660/01 L - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus
Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes und in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Landgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Landgericht zurückverwiesen. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten. ...
A. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen freiheitsentziehende Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Sitzblockade.
I. 1. Am 13. November 2001 fand ein so genannter Castor-Transport nach Gorleben statt. Im Verlauf des 13. November 2001 sollten die Behälter in Dannenberg vom Zug auf Lastkraftwagen umgeladen und am frühen Morgen des
14. November 2001 der Straßentransport nach Gorleben durchgeführt werden.
Die Beschwerdeführerin hielt sich am Vormittag des 13. November 2001 in einer Gruppe von rund 200 Personen auf, die auf der L 256 in Splietau eine Sitzblockade durchführte. Für diesen Bereich bestand auf der Grundlage einer am
27. Oktober 2001 veröffentlichten Allgemeinverfügung der Bezirksregierung Lüneburg ein Versammlungsverbot.
Die Sitzblockade hatte gegen 7.50 Uhr begonnen. Ausweislich eines von der Polizei erstellten so genannten Mantelbogens wurde sie durch Lautsprecherdurchsagen um 8.23 Uhr, 8.41 Uhr und 8.53 Uhr aufgelöst. Mit weiteren
Durchsagen um 9.06 Uhr, 9.17 Uhr und 9.36 Uhr wurde für die weiterhin anwesenden Personen ein Platzverweis ausgesprochen und zu dessen Durchsetzung die Ingewahrsamnahme angekündigt.
Die Beschwerdeführerin wurde um 10.20 Uhr in Gewahrsam genommen, nachdem sie entgegen den polizeilichen Aufforderungen die Straße nicht verlassen hatte. Zusammen mit weiteren 30 Personen wurde sie in einem
Gefangenentransportfahrzeug in die Gefangenensammelstelle nach Neu Tramm verbracht.
Nach Durchlaufen des Aufnahmeverfahrens wurde die Beschwerdeführerin dem Gewahrsamsbereich für Frauen zugeführt. Dort verblieb sie bis zu ihrer Entlassung am 14. November 2001 um 8.23 Uhr.
Zu einer Entscheidung über den Antrag der Bezirksregierung Lüneburg auf richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der freiheitsbeschränkenden Maßnahme kam es nicht mehr.
2. Unter dem 22. November 2001 beantragte die Beschwerdeführerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen, der übermäßigen Dauer und der rechtswidrigen
Behandlung während des Gewahrsams.
Mit Beschluss vom 6. Juni 2003 wies das Amtsgericht Dannenberg die Anträge der Beschwerdeführerin zurück. Auf ihre Beschwerde hob das Landgericht Lüneburg diesen Beschluss am 25. September 2003 auf und verwies die Sache
zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück.
3. Mit Beschluss vom 17. Mai 2004 wies das Amtsgericht Dannenberg die Anträge der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung sowie der Art und Weise ihrer Durchführung als unbegründet
zurück. Die Anordnung der Ingewahrsamnahme sei zulässig gewesen. Sie sei nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 NGefAG unerlässlich gewesen, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Ordnungswidrigkeiten von
erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern und die Durchsetzung des Platzverweises zu gewährleisten. Die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung und das Sichnichtentfernen nach Auflösung derselben stellten
Ordnungswidrigkeiten dar. Vor allem sei anzunehmen, dass eine Auflösung der Versammlung ohne Platzverweis und ohne eine sich an dessen Nichtbefolgung anschließende Ingewahrsamnahme zu einer sofortigen Versammlung an
gleicher oder anderer Stelle geführt hätte.
Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Herbeiführung einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung liege nicht vor. Die Ingewahrsamnahme mit der anschließenden Personalienerhebung, die Zuteilung der Betroffenen zu den
Transportbussen und der Transport zur Gefangenensammelstelle habe bei dem Großeinsatz mit 200 bis 300 Ingewahrsamnahmen einen erheblichen zeitlichen Aufwand in Anspruch genommen, zumal die Transporte der Begleitung
bedurft hätten und wegen der äußeren Umstände nicht zügig hätten erfolgen können. Bis zur Erstellung eines entscheidungsreifen Antrages auf Fortdauer der Ingewahrsamnahme in der Nacht vom 13. auf den 14. November 2001 seien
weitere Stunden vergangen, ohne dass eine schuldhafte Verzögerung durch die Polizei feststellbar sei. Bevor das Gericht in den frühen Morgenstunden des 14. November 2001 seine Arbeit wieder aufgenommen habe, habe die Polizei
um 6.55 Uhr - der Castor-Transport sei um 7.09 Uhr in Gorleben eingetroffen - die Entlassung der Gefangenen angeordnet.
Der Antrag betreffend die Umstände und die Durchführung der Freiheitsentziehungen sei ebenfalls unbegründet. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass es im Einzelfall und vorübergehend Engpässe in der Ausstattung der
Gewahrsamsräumlichkeiten und der Versorgung gegeben habe. Die Organisation der Toilettengänge sei unbefriedigend und verbesserungsbedürftig gewesen. Ebenso sei das Telefonieren nur unter Mühen möglich gewesen. Insoweit
stehe außer Zweifel, dass die Rahmenbedingungen der Unterbringung der eigenen Gewahrsamsordnung der Polizei nur bei wohlwollender Auslegung entsprochen hätten. Der Gewahrsam habe jedoch insgesamt nur eine Nacht
gedauert. Inwieweit der Polizei vorzuwerfen sei, dass sie sich besser auf eine derartige Masseningewahrsamnahme hätte vorbereiten können und müssen, könne aus der Rückschau für den Castor-Transport im Herbst 2001 nur
bedingt beantwortet werden. Tatsache sei, dass die Polizei aus den Erfahrungen der letzten Jahre Konsequenzen gezogen habe und sich darum bemühe, die Rahmenbedingungen erträglicher zu gestalten.
4. Das Landgericht Lüneburg verwarf mit Beschluss vom 24. Januar 2005 die sofortige Beschwerde. Das Amtsgericht habe den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zu Recht abgewiesen. Die
Straßenblockade sei als verbotene Versammlung aufzulösen gewesen. Dies sei durch die Polizei erfolgt. Die Teilnehmer der Straßenblockade seien auch zu Recht in Gewahrsam genommen worden, da sie eine erhebliche
Ordnungswidrigkeit begangen hätten. Ihnen sei es um die Verhinderung oder Verzögerung eines radioaktiven Gefahrguttransportes gegangen. Dieses Verhalten sei weder im Hinblick auf die Gefahren, die potentiell mit erheblichen
Behinderungen eines gefährlichen Transports radioaktiver Materialien verbunden seien, noch aus Gründen des Schutzes der Rechtsordnung tolerabel. Vor diesem Hintergrund könne es keinem Zweifel unterliegen, dass die in dem
Verstoß gegen das Versammlungsverbot liegende Ordnungswidrigkeit einer Sitzblockade eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit begründe.
Auch gegen die Dauer der Ingewahrsamnahme bis in die frühen Morgenstunden des Folgetages bestünden keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Im Hinblick auf die Struktur der Widerstandsaktionen habe die Polizei davon
ausgehen dürfen, dass auch bei der Beschwerdeführerin die hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Teilnahme an weiteren Aktionen bestanden habe. Die zeitlichen Abläufe seien ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei
Großdemonstrationen mit mehreren zehntausend Teilnehmern und einer entsprechenden Anzahl von Polizeibeamten könne die Einsatzleitung nicht von vornherein wissen, an welcher Stelle, um welche Uhrzeit und vor allen Dingen
mit welcher Anzahl von Teilnehmern Blockaden durchgeführt würden. Insofern sei mit dem Vorwurf, die Polizei hätte bessere Abwehrstrategien entwickeln oder die Transporte besser organisieren können, Zurückhaltung geboten.
Schließlich seien die von der Beschwerdeführerin dargestellten Unannehmlichkeiten nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zu begründen. Es sei darauf hinzuweisen, dass diese für die Teilnehmer vorhersehbar
gewesen seien, so dass sie sich hierauf mit entsprechender Kleidung, der Mitnahme heißer Getränke, entsprechender Lebensmittel sowie einer Isoliermatte hätten einstellen können.
II. 1. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1, 2 und 4 GG.
Die Fachgerichte seien ihrer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen. In dieser Hinsicht sei vor allem zu bemängeln, dass keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob und gegebenenfalls mit welchem
Wortlaut die Versammlung aufgelöst worden sei. Auch fehlten Feststellungen zur Unerlässlichkeit einer nicht nur kurzfristigen Freiheitsentziehung und ihrer Dauer bis zum Morgen des folgenden Tages sowie zur Verhältnismäßigkeit
der Mittel unter Beachtung der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts und des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Es werde lediglich in abstrakter Weise an die Struktur der Widerstandsaktionen angeknüpft, während auf ihren
Vortrag, dass sie wegen der Betreuung ihrer Kinder und im Hinblick auf gesundheitliche Probleme nur für eine bestimmte Zeit ihrem Protest Ausdruck habe verleihen wollen, nicht eingegangen werde. Ferner unterbleibe eine
Auseinandersetzung mit dem Wechsel in der Begründung der freiheitsentziehenden Maßnahmen durch die Polizei und der daraus resultierenden Ermessensproblematik. In dem Antrag der Bezirksregierung auf richterliche
Entscheidung werde der Gewahrsam mit dem Verdacht der Begehung von Straftaten sowie Ordnungswidrigkeiten nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) und dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) begründet. Die
Fachgerichte hätten stattdessen ohne Sachverhaltsaufklärung zur Begründung des Gewahrsams auf Ordnungswidrigkeiten nach dem Versammlungsgesetz abgestellt.
Zudem enthielten die angefochtenen Beschlüsse keine Feststellungen zum Richtervorbehalt und zu den gerügten Organisationsmängeln bei den Abläufen in der Gefangenensammelstelle Neu Tramm. Der Ablauf habe sich nach ihrer
Ingewahrsamnahme konkret so dargestellt, dass sie um 16.35 Uhr erstmals im Computer der Gefangenensammelstelle erfasst worden sei. Zuvor seien Nachfragen von Angehörigen und Rechtsanwälten nach ihrem Verbleib von der
Polizei dahingehend beschieden worden, sie sei nicht im Computer ausgewiesen und man wisse daher nicht, ob und wo sie sich in Polizeigewahrsam befinde. Erst gegen 17.00 Uhr habe ihre Rechtsanwältin davon Kenntnis erhalten,
dass sie sich in der Gefangenensammelstelle Neu Tramm befunden habe. Sie selbst habe dann telefonisch beim anwaltlichen Notdienst nachgefragt, ob für sie ein Antrag auf richterliche Entscheidung gestellt worden sei. Dies sei ihr
dort noch vor 18.00 Uhr bestätigt worden. Erstmals gegen 20.00 Uhr hätten Rechtsanwältinnen die Gefangenen besuchen dürfen. Sie hätten ihnen nur mitteilen können, dass der richterliche Bereitschaftsdienst angekündigt habe, in
Kürze Feierabend zu machen. Zwischen 21.00 Uhr und 22.00 Uhr hätten die Rechtsanwälte des anwaltlichen Notdienstes den Amtsgerichtsdirektor, der bereits seit Mittag Bereitschaftsdienst gehabt habe, veranlasst, sich über die
Zustände in der Frauenzelle zu informieren. Dieser habe die Zelle jedoch nicht betreten, sondern unter Ausschluss der Rechtsanwälte ein Gespräch mit dem für die Gefangenensammelstelle verantwortlichen Einsatzleiter geführt.
Dieser habe behauptet, dass alle Gefangenen, die sich jetzt noch in den Zellen befänden, "qualifiziert in Gewahrsam genommen" worden seien, die Aktenvorgänge seien jedoch noch nicht gefertigt. Aus diesem Grunde habe sich der
Richter geweigert, von Amts wegen oder auf Antrag der von Angehörigen beauftragten Rechtsanwälte tätig zu werden. Auch sei er nicht gegen die Verzögerungsstrategien der Polizei eingeschritten, indem er etwa jedenfalls in den
Fällen von Anträgen auf Richteranhörung eine Frist zur Begründung der Freiheitsentziehung oder auf Aktenvorlage gesetzt habe.
Während der gesamten Dauer der Freiheitsentziehung sei somit keine Richtervorführung erfolgt und auch keine richterliche Entscheidung herbeigeführt worden. Vielmehr seien durch die mangelhafte Organisation der polizeilichen
Abläufe die Anforderungen des Art. 104 GG umgangen worden. Soweit die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen die eingetretenen Verzögerungen mit dem Geschehen vor Ort und polizeilichen und gerichtlichen
Personalengpässen bei den Massenfestnahmen rechtfertigten, fehlten ebenfalls konkrete Feststellungen. So sei nicht geprüft worden, ob durch eine verbesserte Gestaltung der Abläufe, etwa eine frühzeitige telefonische
Benachrichtigung des Gerichts, mündliche Anhörungen statt der zeitraubenden Erstellung von Akten, die noch nicht einmal auf die konkreten tat- und personenbezogenen Umstände eingingen, oder etwa Gruppenvorstellungen, eine
grundrechtskonforme Gestaltung möglich gewesen sei. Zudem falle auf, dass bei einer Aufnahmekapazität von mehreren hundert Gefangenen in der Sammelstelle lediglich fünf mit Computern ausgestattete Arbeitsplätze eingerichtet
gewesen seien. Auch habe in den polizeilichen Abläufen und Organigrammen eine Aufgabenzuweisung für die Richterbenachrichtigung gefehlt.
Ferner sei auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil der Beschwerdeführerin keine ausreichende Begründung der Eingriffsmaßnahmen und keine zutreffende Rechtsmittelbelehrung erteilt worden seien. Hinzu komme, dass ihr weder
Zugang zu ihren Anwälten noch Zugang zum zuständigen Gericht ermöglicht worden sei.
Im Übrigen liege auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die richterliche Geschäftsverteilung für die Ausübung des Richtervorbehalts bei präventiv-polizeilichen Freiheitsentziehungen und für
das nachträgliche Feststellungsverfahren sei 2001 bei dem Amtsgericht nur unzureichend und unvollständig geregelt gewesen. Hinzu komme, dass der schon am 13. November 2001 tätige Amtsrichter im Hinblick auf eine Besorgnis
der Befangenheit nicht auch über die Feststellungsanträge habe entscheiden dürfen. Überdies sei die Rechtswegzuweisung in § 19 NGefAG an die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht sachgerecht.
Schließlich sei durch die Art und Weise der Freiheitsentziehung auch Art. 104 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 1 Abs. 1 GG verletzt worden. Es sei nicht erforderlich gewesen, den Gefangenen die Mobiltelefone, das Schreibzeug und
die mitgebrachte Verpflegung abzunehmen. Auch der weitere Verlauf der Gewahrsamnahme sei nicht hinnehmbar gewesen. Die Beschwerdeführerin sei zunächst etwa zwei Stunden auf einem Feld in einem Polizeikessel festgehalten
worden. Danach - etwa gegen 13.00 Uhr - sei sie mit 30 Mitgefangenen auf einen Gefangenentransporter verladen und dort in einer Viererzelle mit einer Größe von etwa 2 qm untergebracht worden. Der Transporter habe noch
geraume Zeit auf dem Feld gestanden, ehe er auf Umwegen nach Neu Tramm bei Dannenberg gefahren worden sei. Dort sei er zunächst auf dem Hof einer ehemaligen Kaserne, die als Gefangenensammelstelle gedient habe, abgestellt
worden, ohne dass etwas geschehen sei. Erst nachdem sich die gefangenen Insassen mit Klopfen und Rufen bemerkbar gemacht hätten, seien die Türen des Gefangenentransporters geöffnet worden. Danach sei ihnen erstmals die
Toilettenbenutzung erlaubt worden, wobei es keine Gelegenheit zum Händewaschen gegeben habe. Im Anschluss - mittlerweile sei es nach 15.00 Uhr gewesen - hätten die Beamten ihnen erstmals Getränke sowie einige Äpfel und
Schokoriegel gebracht, die jedoch nicht für alle Gefangenen ausgereicht hätten. Nach langen Diskussionen seien sie und die weiteren Insassen des Gefangenentransporters bei der Abarbeitung in der Gefangenensammelstelle
vorgezogen worden, so dass um 16.35 Uhr ihre erstmalige Erfassung erfolgt sei. In der Gefangenensammelstelle sei sie dann nochmals erkennungsdienstlich behandelt worden. Sie sei erneut fotografiert und körperlich durchsucht
worden. Ihre Daten seien in ein vorgefertigtes Formular einer allgemeinen Gefahrenprognose aus Anlass des bevorstehenden Castor-Transportes eingefügt worden. Danach habe sie erstmals eine richtige Toilette mit Wasseranschluss
aufsuchen dürfen. Sodann sei sie in eine Massenzelle in einer Fahrzeughalle der ehemaligen Kaserne verbracht worden, in der über hundert Personen gefangen gehalten worden seien. Sie habe dort nur eine sehr dünne Isomatte und
eine einzige Wolldecke bekommen. Die Luft in der Zelle sei staubig gewesen. Außerdem sei die Zelle nur sporadisch mit einem Gebläse beheizt worden, so dass es abwechselnd zu heiß oder zu kalt gewesen sei. Sie habe wegen ihres
Asthmaleidens Probleme mit der Atmung gehabt. Gegen 23.00 Uhr sei Essen ausgeteilt worden, das jedoch bereits vergoren und deshalb ungenießbar gewesen sei. Erst nach 23.00 Uhr sei ihr dann ein weiteres Telefonat ermöglicht
worden, um ihrer Familie mitzuteilen, dass sie über Nacht bleiben und daher die Kinderbetreuung anderweitig organisiert werden müsse. Schließlich sei die Nachtruhe durch ständige polizeiliche Beobachtungen, Lärm und Aufrufe
von Gefangenen nachhaltig gestört worden. Nachdem sie am Morgen nach 9.00 Uhr das Kasernengelände verlassen habe, habe sie ihren Heimweg selbst organisieren müssen. Öffentliche Verkehrsmittel hätten dort nicht verkehrt. Die
gesamte Behandlung habe den Eindruck einer Ersatzbestrafung gemacht.
2. Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Land Niedersachsen sieht eine Grundrechtsverletzung nicht als gegeben an. Das von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG für eine
Freiheitsbeschränkung geforderte Gesetz sei in § 18 NGefAG zu sehen. Die Feststellung der Gerichte, die Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung seien für den gesamten Zeitraum der Ingewahrsamnahme erfüllt gewesen, sei nicht
zu beanstanden. Die Eindeutigkeit der Auflösungsverfügung ergebe sich schon daraus, dass nach dem Ergehen der polizeilichen Verfügung von den rund 200 Teilnehmern der Sitzblockade insgesamt nur 39 - darunter die
Beschwerdeführerin - die Straße nicht freiwillig geräumt hätten. Die Unerlässlichkeit der Freiheitsentziehung ergebe sich aus der Gesamtsituation, die in der Allgemeinverfügung vom 27. Oktober 2001 ausführlich dargestellt worden
sei. Der sich daraus ergebenden Gefahrenprognose entspreche auch, dass in den frühen Morgenstunden des 13. November 2001 in Splietau eine größere Sitzblockade unter Anwendung unmittelbaren Zwangs habe beendet werden
müssen, wobei Menschen, die nicht in Gewahrsam genommen worden seien, immer wieder versucht hätten, auf die Straße zu gelangen.
Auch Art. 104 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG seien nicht verletzt. Organisationsmängel von verfassungsrechtlicher Relevanz lägen nicht vor. Die Beschwerdeführerin überspanne die von Verfassungs wegen an die Organisationsabläufe zu
stellenden Anforderungen. Dies gelte auch hinsichtlich der Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungs- und Begründungsdichte. Die tragenden Erwägungen der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen ergäben keinen
Anlass zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen. Die Organisation bei der rechtlichen Behandlung der Festnahmen möge zwar noch nicht optimal gewesen sein, habe jedoch keine verfassungsrechtlich bedeutsamen Mängel
aufgewiesen. Dies zeige sich schon daran, dass für 269 der weniger als 500 Inhaftierten ein Antrag auf richterliche Bestätigung gestellt worden sei. Hinzu trete die am 13. November 2001 um 15.30 Uhr getroffene
Dominanzentscheidung, wonach wegen der hohen Anzahl von Gewahrsamnahmen die strafrechtliche Abarbeitung der Ermittlungsvorgänge gerade zu Gunsten der zügigeren Bewältigung der Freiheitsentziehungsanträge zurückgestellt
worden sei.
Die Aktenerstellung sei gerade auch Folge des Bemühens der Sicherheitskräfte, rechtsstaatlichen Darlegungsanforderungen uneingeschränkt gerecht zu werden. Die zuständigen Behörden hätten vor dem Castor-Transport im
November 2001 zahlreiche Besprechungen abgehalten, um die Verfahrensabläufe in der Gefangenensammelstelle zu optimieren und sich nach den Erfahrungen mit dem Transport, der im Frühjahr 2001 stattgefunden habe, auch
ablauforganisatorisch auf entsprechend hohe Belastungszeiten vorzubereiten. Der Umstand, dass diese Planungen dem Demonstrationsgeschehen im Herbst 2001 letztlich nicht in jeder Phase der Massendemonstration mit etwa 4.000
Teilnehmern voll entsprochen hätten, könne die Anstrengungen und Ergebnisse nicht entwerten. Eine Umgehung des Richtervorbehalts durch taktisches Zuwarten oder unsachgemäße Verzögerungen habe es nicht gegeben. Die
Verzögerungen seien vielmehr eingetreten, weil am 13. November 2001 zahlreiche Ingewahrsamnahmen auf Grund der massiven und auf mehrere Örtlichkeiten verteilten Aktionen der Demonstranten erforderlich geworden seien. Die
Zeitabläufe seien bei einer derartigen Massendemonstration nicht im Einzelnen vorhersehbar. Unter Berücksichtigung der Größe des Einsatzraumes, der aktuellen Verfügbarkeit von Einsatzkräften und des besonderen, für die
Sicherheitsbehörden in ihren Ausmaßen nur begrenzt kalkulierbaren Störerverhaltens sowie der von Seiten der Polizei nicht zu vertretenden Widrigkeiten, wie etwa verstopfte Straßen oder Wetterbedingungen, sei es durchaus als
unverzüglich anzusehen, dass die Polizei noch am Abend des 13. November 2004 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung formuliert habe. Wann die Beschwerdeführerin ihrerseits einen Antrag auf richterliche Entscheidung
gestellt habe, bleibe vage.
Die richterliche Tätigkeit habe zudem dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprochen. Unzutreffend sei in diesem Zusammenhang, dass das Gericht überhaupt nur auf anwaltlichen Druck hin tätig geworden sei. Der
Amtsgerichtsdirektor habe berichtet, Hauptproblem der Abarbeitung sei gewesen, dass die Polizei die in Gewahrsam genommenen Personen nur schleppend vorgeführt habe. Zwischen der Ankündigung von Ingewahrsamnahmen und
der Zuführung der Personen hätten oft Stunden gelegen. Eine zeitnahe Bearbeitung habe die Polizei nicht zu gewährleisten vermocht. Ungeachtet anwaltlicher Hinweise auf einzelne Ingewahrsamnahmen seien die Richter auch aus
eigenem Antrieb fortlaufend bei der Polizei vorstellig geworden und hätten das Herbeischaffen von Vorgängen und/oder Personen angemahnt. Die Polizei sei jedoch wegen der hohen Anzahl von in Gewahrsam genommenen Personen
daran gehindert gewesen, dem nachzukommen. Als gegen 22.00 Uhr eine längere Pause in der Vorlage entscheidungsreifer Akten eingetreten und auf Nachfrage durch die Leitung der Gefangenensammelstelle mitgeteilt worden sei,
dass zur Zeit keine entscheidungsreifen Akten zu erwarten seien, sei die richterliche Tätigkeit bis zum nächsten Morgen eingestellt worden. Das Gericht sei auch hier durchaus tätig geworden. Das Absehen von einer Entscheidung
wegen des Fehlens vollständiger Akten sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Vielmehr sei das Bemühen des Gerichts, auf der Grundlage vollständiger Erkenntnismittel zu entscheiden, sachgerecht gewesen. Außerdem sei
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine richterliche Entscheidung zur Nachtzeit nicht zwingend geboten. Im Übrigen sei zu bedenken, dass es in mindestens 125 Fällen zu einer richterlichen Entscheidung
gekommen sei. Zudem seien ganze Gruppen von der Polizei aus dem Gewahrsam entlassen worden, ohne dass es einer richterlichen Entscheidung bedurft habe.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz effektiver Rechtschutzgewährleistung sei ebenfalls nicht festzustellen. Eine Verletzung der nur einfach-rechtlich bestehenden Belehrungs- und Benachrichtigungspflicht nach § 20 Abs. 1 und 2
NGefAG sei nicht zu erkennen. Auch hier müsse der Begriff der Unverzüglichkeit im Lichte der tatsächlichen Sachzwänge ausgelegt werden, die durch die administrative und logistische Bewältigung einer Großdemonstration gesetzt
würden. Außerdem habe die Beschwerdeführerin ihre Familie gegen 16.35 Uhr über ihren Aufenthalt informiert und habe hierzu um 23.00 Uhr erneut Gelegenheit erhalten. Ferner sei ihr Zugang zu Rechtsanwälten gewährt worden.
Deren Erscheinen in der Sammelzelle erst gegen 20.00 Uhr habe daran gelegen, dass diese vorher hauptsächlich bei den Vorführungen des Amtsgerichts anwesend gewesen seien.
Auch ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG oder gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2 GG liege nicht vor. In Bezug auf die Unterbringungsbedingungen könne die individuelle Befindlichkeit der Beschwerdeführerin nicht
als verfassungsrechtlicher Maßstab dienen. Die Platzsituation in der voll belegten Sammelzelle sei zwar beengt und nicht optimal gewesen. Zu einer dauerhaften Überbelegung sei es jedoch nicht gekommen, weil ständig wieder
Personen entlassen worden seien. Bei individuellen Beschwerden oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen hätten die Aufsichtspersonen uneingeschränkt angesprochen werden können. Auch sei die ärztliche Versorgung jederzeit
gewährleistet gewesen. Es spreche zudem vieles dafür, dass die Verpflegung über den verfassungsrechtlichen Mindeststandard hinausgegangen sei. Ferner seien der Beschwerdeführerin nach ihrer eigenen Beschreibung
Toilettenbesuche möglich gewesen.
Soweit das Landgericht davon ausgegangen sei, dass es den Versammlungsteilnehmern möglich gewesen wäre, sich selbst durch heiße Getränke oder Lebensmittel einen komfortableren Unterbringungszustand zu schaffen, sei diese
möglicherweise unzutreffende Aussage nicht entscheidungserheblich, weil für die Beurteilung angemessener Gewahrsamsbedingungen Umstände zu Grunde zu legen seien, wie sie sich tatsächlich dargestellt hätten und nicht, wie sie
sich hätten darstellen können.
Des Weiteren sei auch der Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht verletzt worden. Mögliche Mängel der richterlichen Zuständigkeitsregelungen hätten sich nicht ausgewirkt, weil es zu keiner Entscheidung über den Antrag auf
gerichtliche Entscheidung gekommen sei. In Bezug auf den gestellten Feststellungsantrag bestehe kein allgemeiner verfassungsrechtlicher Grundsatz, wonach ein Richter mit demselben Lebenssachverhalt nicht noch einmal befasst
sein dürfe.
Selbst wenn jedoch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungen bestehen sollten, sei die Annahme der Verfassungsbeschwerde mangels einer Grundrechtsverletzung von besonderem Gewicht nicht angezeigt. Es seien
kontinuierlich Optimierungen sowohl hinsichtlich der Abläufe bei Gewahrsamnahmen als auch hinsichtlich der Unterbringungsbedingungen vorgenommen worden. Daher könne eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten
weder durch niedersächsische Gerichte noch durch niedersächsische Sicherheitsbehörden festgestellt werden.
B. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die
Verfassungsbeschwerde ist zulässig und - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Weise - auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
I. Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG.
1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen
Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 65, 317 <322>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor
staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>; 96, 10 <21>), also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>).
Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die
formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den
schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden
Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195>; 58, 208 <220>).
Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen
Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind
verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (BVerfGE 105, 239 <248>; vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG: BVerfGE 103, 142 <151 ff.>). Für den Staat folgt daraus die
verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 103,
142 <156>; 105, 239 <248>). Die Erreichbarkeit des zuständigen Richters ist dabei zur Tageszeit (vgl. § 188 Abs. 1 ZPO a.F., § 104 Abs. 3 StPO) stets zu gewährleisten. Ein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Nachtzeit ist
demgegenüber von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10.
Dezember 2003 - 2 BvR 1481/02 -, NJW 2004, S. 1442).
Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG
voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311
<317>). Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 10, 302 <321>). "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne
jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 <249>). Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges,
Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>; 105, 239 <249>).
Das Gebot der Unverzüglichkeit des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG entfaltet in zweierlei Hinsicht Wirkungen. Zum einen verpflichtet es die Polizei, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Hat sie eine Person in
Gewahrsam genommen, so hat sie alle unter den Umständen des Einzelfalls gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um die nachträgliche richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme unverzüglich nachzuholen. Zum anderen
muss auch die weitere Sachbehandlung durch den Richter dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprechen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 - 1 S 2206/03 -, DÖV 2005, S. 165 <167 ff.>).
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem ausgeführt, dass das Verfahren bei Entscheidungen über die Zulässigkeit oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung in besonderer Weise dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprechen
muss. In Bezug auf das gerichtliche Verfahren hat es ausgeführt, dass dieses darauf angelegt sein muss, den Betroffenen vor dem Freiheitsentzug alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen
Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung könne eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, dürfe aber die unabhängige, auf Grund der Justizförmigkeit des
Verfahrens besonders verlässliche Entscheidungsfindung nicht gefährden (vgl. BVerfGE 83, 24 <32>). Der Gesichtspunkt der auf die Effektivität des Grundrechtsschutzes gerichteten Flexibilität des Verfahrens gilt jedoch in gleichem
Maße für das Verwaltungsverfahren im Vorfeld der Anrufung des Gerichts. Demgemäß ist in der fachgerichtlichen Judikatur etwa anerkannt, dass das Anhängigmachen der freiheitsentziehenden Maßnahme bei Gericht im Falle einer
besonderen Eilbedürftigkeit eines formellen schriftlichen Antrages nicht bedarf, sofern das Begehren in den Akten in verlässlicher Weise dokumentiert ist und die Identität der in Gewahrsam Genommenen jedenfalls anhand der Akten
festgestellt werden kann, zumal unter der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes das Gericht die für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen zu ermitteln hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 - 1 S
2206/03 -, DÖV 2005, S. 165 <168>).
Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt weiterhin Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist
unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende
Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96 -, NJW 1998, S.
1774 <1775>). Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht.
2. Den sich aus diesen Maßstäben ergebenden Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts nicht gerecht. Aus den von den Fachgerichten getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, dass dem
aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Verfassungsgebot genügt worden ist.
a) Dies betrifft zunächst die Frage des polizeilichen Vorgehens. Hier fehlt es an einer Analyse des zeitlichen Ablaufs der Ingewahrsamnahme und der hierfür ursächlichen Gründe.
Aus einer im Verfahren vor dem Amtsgericht vorgelegten so genannten Zeitschiene für den Gefangenentransport (Anlage 1 zum Schriftsatz der Bezirksregierung Lüneburg vom 2. Dezember 2003), mit dem die Beschwerdeführerin in
die Gefangenensammelstelle verbracht wurde, ergibt sich, dass die Ingewahrsamnahme vor Ort um 10.20 Uhr begann, das Verbringen der in Gewahrsam genommenen Personen in das Transportfahrzeug zwischen 12.07 Uhr und 13.05
Uhr sowie die Ankunft in der Gefangenensammelstelle um 13.19 Uhr erfolgte. Während die Dauer dieser Maßnahmen als den unabänderlichen konkreten Umständen am Versammlungsort geschuldet angesehen werden kann - auch die
Beschwerdeführerin setzt hier nicht mit konkreten Rügen an -, fällt bei dem weiteren Ablauf in der Gefangenensammelstelle auf, dass ein Datenerfassungsbogen als Aufnahmezeit betreffend die Beschwerdeführerin den Zeitpunkt
16.25 Uhr nennt. Der Datenerfassungsbogen weist ferner aus, dass dieser selbst erst um 21.01 Uhr erstellt wurde. Die Abverfügung des Antrages auf richterliche Entscheidung erfolgte zwar noch unter dem 13. November 2001. Aus
einer Mitteilung des Amtsgerichts Dannenberg ergibt sich aber, dass dieser erst am 14. November 2001 bei Gericht eingegangen ist, ohne dass die genaue Uhrzeit ermittelt werden konnte.
Die Ausführungen der Fachgerichte zu diesem zeitlichen Ablauf innerhalb der Gefangenensammelstelle beschränken sich auf blankettartige Begründungen, die allgemeiner Natur sind und nicht auf den konkreten Fall eingehen. Es ist
zwar im Ausgangspunkt durchaus zutreffend, dass Masseningewahrsamnahmen im Rahmen von Großdemonstrationen eine spezifische Problematik aufweisen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die personelle und sachliche
Ausstattung von Behörden und Gerichten begrenzt und das Ausmaß des notwendigen außergewöhnlichen Einsatzes nur begrenzt planbar ist und es demzufolge zu Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung der
Ingewahrsamnahmen kommen kann. Diese allgemeine Erkenntnis ersetzt jedoch nicht die Aufklärung des konkret in Rede stehenden Sachverhalts. Der Richtervorbehalt hat als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen
hohe Bedeutung. Er erfordert daher besondere Bemühungen und Vorkehrungen (vgl. BVerfGE 105, 239 <251>). Die Beantwortung der Frage, ob dieser Verpflichtung genügt wurde, bedingt die Aufklärung der konkreten Ursachen
von eingetretenen Verzögerungen bei der Stellung von Anträgen auf richterliche Entscheidung.
Von Belang ist hier die konkrete Situation bei Zuführung der in Gewahrsam genommenen Person. Das Amtsgericht hat zwar diesbezüglich ausgeführt, dass es zu rund 200 bis 300 Gewahrsamnahmen im Zeitpunkt der Zuführung der
Beschwerdeführerin gekommen sei. Auf welche Grundlage es diese Aussage stützt, bleibt indessen ebenso unklar wie die näheren Einzelheiten. So ist die Anzahl der Gefangenentransporte und der mit ihnen zugeführten Personen
ebenso ungeklärt wie die jeweiligen Zuführungszeitpunkte. Überdies stellt dies nur eine Facette bei der Beurteilung der Gesamtsituation dar. In den Blick zu nehmen sind ferner die Anzahl der in der Gefangenensammelstelle zur
weiteren Behandlung der in Gewahrsam genommenen Personen eingesetzten Beamten wie auch die Gestaltung der Arbeitsabläufe als solche. In diesem Zusammenhang wäre auch auf den Vortrag der Beschwerdeführerin einzugehen
gewesen, dass es organisatorische Mängel gewesen seien, die das unverzügliche Anhängigmachen des Antrages auf Zulässigkeit und Fortdauer der Gewahrsamnahme verhindert haben.
Nähere Aufklärung dazu ist seitens der Fachgerichte unterblieben. Demgemäß fehlt es auch an einer sachgerechten Würdigung der Geschehensabläufe, bei der eine ex-ante Sicht unter Einbeziehung behördlicher Prognose- und
Ermessensspielräume anzulegen ist. Im Rahmen einer solchen Würdigung werden sich die Fachgerichte auch mit Gesichtspunkten der Koordination und Flexibilität des polizeilichen Handelns auseinanderzusetzen haben. Dies betrifft
vor allem die Frage, ob nicht ausgehend von der damaligen Situation jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt von der Erstellung förmlicher schriftlicher Anträge hätte abgesehen werden können. In diesem Zusammenhang wäre die
Frage zu klären, ob sich - stets bei einer ex-ante-Bewertung - alternative Vorgehensweisen aufdrängten, die ein zügigeres Anhängigmachen bei Gericht erwarten ließen. Auch dies setzt die Analyse der konkreten Arbeitsabläufe und der
hierfür maßgeblichen polizeilichen Erwägungen voraus.
b) Ferner gibt die Art und Weise der Durchführung des richterlichen Bereitschaftsdienstes Anlass zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein nächtlicher
richterlicher Bereitschaftsdienst erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10.
Dezember 2003 - 2 BvR 1481/02 -, NJW 2004, S. 1442). Im vorliegenden Fall war, bedingt durch die Kenntnis des bevorstehenden Castor-Transports und die zu erwartenden Massendemonstrationen, ein Bedürfnis für die besondere
Regelung des richterlichen Eildienstes auch zur Nachtzeit an diesen Tagen sehr naheliegend. Unter Berücksichtigung der Vorkommnisse anlässlich des Castor-Transportes im März 2001 - die in der Allgemeinverfügung vom 27.
Oktober 2001 enthaltene Gefahrenprognose nennt diverse Blockaden, die erst am Abend stattfanden - musste gerade im nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem Transport mit Masseningewahrsamnahmen gerechnet werden, die nicht
sämtlich zur Tageszeit sachgerecht bewältigt werden konnten. Daher konnte sich der richterliche Bereitschaftsdienst nicht auf die Tageszeit beschränken, sondern musste im Hinblick auf die Möglichkeit von
Masseningewahrsamnahmen und den damit verbundenen Zeitaufwand auch eine Regelung für die Nachtzeit beinhalten.
Unabhängig von diesem Gesichtspunkt hätten die Fachgerichte den Vortrag der Beschwerdeführerin berücksichtigen müssen, dass dem Amtsgericht bereits vor 22.00 Uhr ein von ihr gestellter Antrag mit dem Ziel der Aufhebung des
Gewahrsams vorlag. Mithin wäre zu erörtern gewesen, ob bereits aus diesem Grunde eine Anhörung der Beschwerdeführerin geboten war. Die nicht erfolgte Vorlage von Akten durch die Polizeibehörden ist als solche noch kein
sachlich gerechtfertigter Grund für ein Absehen von einem richterlichen Tätigwerden. Vielmehr ist zu prüfen, ob nicht auf andere Weise die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen hätten in sachgerechter Weise ermittelt werden
können. Denkbar ist hier die Beiziehung schon vorliegender schriftlicher Berichte bezüglich des konkreten Anlasses der Ingewahrsamnahme oder die mündliche Anhörung eines Einsatzbeamten - sofern der Richter nicht ohnehin durch
seinen bisherigen Dienst von dem jeweiligen Anlass Kenntnis hat -, die mit einer Anhörung des Betroffenen einhergehen können. Aus den Feststellungen der Fachgerichte ist weder ersichtlich, dass diese Möglichkeit in Betracht
gezogen wurde, noch dass sachlich gerechtfertigte Gründe eine derartige Verfahrensgestaltung nicht zugelassen hätten. Ebenso gibt die dienstliche Erklärung des Amtsgerichtsdirektors nichts für den Schluss her, dass Richter des
Bereitschaftsdienstes im Hinblick auf die zurückliegende Länge der Dienstzeit physisch nicht mehr zu einer sachgerechten Verfahrensabwicklung in der Lage gewesen wären.
c) Indem die Fachgerichte den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und geprüft haben, fehlt es auch an der dem Einzelfall gerecht werdenden Würdigung der Geschehensabläufe. Damit aber haben
sowohl das Amtsgericht wie auch das Landgericht die Bedeutung von Tragweite des Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und seiner formellen Gewährleistung in Gestalt des Richtervorbehalts nach Art. 104 Abs. 2 GG
verkannt. Die Fachgerichte werden daher im Rahmen einer erneuten Befassung mit der Sache die gebotene Sachverhaltsaufklärung vorzunehmen und auf ihrer Grundlage zu bewerten haben, ob dem Gebot der Unverzüglichkeit des
Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG genügt wurde.
3. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass es möglich gewesen sei, schon vor der Ingewahrsamnahme eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, geht weder aus der Verfassungsbeschwerde noch aus den Gerichtsakten hervor,
dass sie entsprechend schon vor den Fachgerichten vorgetragen hat. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde in diesem Punkt auch nicht hinreichend begründet. Insoweit fehlt es an der Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich
auch in diesem Fall der Zweck der polizeilichen Maßnahmen hätte verwirklichen lassen.
II. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin ferner in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, soweit sie den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise des
Vollzuges des Gewahrsams zurückgewiesen haben.
1. Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231>).
Die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen
kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>; 96, 27 <39>).
a) Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muss das Ziel der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG - den wirkungsvollen Rechtsschutz - verfolgen. Sie muss im Hinblick darauf geeignet und
angemessen sowie für den Rechtssuchenden zumutbar sein (vgl. BVerfGE 60, 253 <268 f.>; 77, 275 <284>). Das muss auch der Richter bei der Auslegung dieser Normen beachten. Er darf den Beteiligten den Zugang zu den in den
Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 88, 118 <125>).
b) Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es grundsätzlich auch vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 96,
27 <39>; 104, 220 <232>). Ein solches Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, solange der Rechtsschutzsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann. Trotz Erledigung
des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann jedoch ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Dies ist der
Fall bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr oder einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>). Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes
Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen vornehmlich solche, die schon das Grundgesetz - wie etwa in dem Fall des Art. 104 Abs. 2 und 3 GG - unter Richtervorbehalt gestellt
hat. Bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse unter anderem in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den
angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz kaum erlangen kann (vgl.
BVerfGE 104, 220 <233 ff.> m.w.N.).
2. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang rügt, dass die gesetzlich begründete Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Ausübung des Richtervorbehalts und zur Kontrolle beendeter Ingewahrsamnahmen nicht
sachgerecht sei, ist die Verletzung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht ersichtlich.
a) Die Zuweisung der Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams (§ 19 Abs. 1 NGefAG) und des nachträglichen Feststellungsverfahrens (§ 19 Abs. 2 NGefAG) an das nach § 19 Abs. 3 NGefAG zuständige
Amtsgericht, das ohnehin in anderen Zusammenhängen, wie etwa im Rahmen der Strafverfolgung und in Unterbringungssachen, mit freiheitsentziehenden Maßnahmen befasst ist, verstößt nicht gegen Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, Art. 72 Abs.
1 GG. Der Bund hat zwar von der ihm in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG übertragenen konkurrierenden Kompetenz, Organisation und Verfahren der Verwaltungsgerichte zu regeln, abschließend und erschöpfend Gebrauch gemacht. § 40
Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnet jedoch dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit, öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art auf dem Gebiet des Landesrechts einem anderen Gericht als dem Verwaltungsgericht
zuzuweisen. Ein derartiger Vorbehalt des Bundesrechts zu Gunsten der Landesgesetzgebung ist auch bei einer erschöpfenden Regelung eines Gegenstandes der konkurrierenden Gesetzgebung zulässig (vgl. BVerfGE 83, 24 <30> m.w.N.).
b) § 19 Abs. 4 NGefAG begegnet auch unter dem Gesichtspunkt, dass er das Verfahren, in dem der Richter über die Zulässigkeit des Gewahrsams entscheidet, nicht näher regelt, sondern auf die Vorschriften des Niedersächsischen
Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit verweist, das in seinem Art. 7 wiederum die Vorschriften der §§ 2 bis 34 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) für entsprechend anwendbar erklärt,
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Art. 104 GG steht einer solchen Ausgestaltung des Verfahrensrechts nicht entgegen, sofern die Gewährleistung richterlicher Kontrolle sichergestellt ist. Das gerichtliche Verfahren bei
Entscheidungen über die Zulässigkeit oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung muss darauf angelegt sein, dem Betroffenen vor dem Freiheitsentzug alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem
justizförmigen Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung kann eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, darf aber die unabhängige, auf Grund der
Justizförmigkeit des Verfahrens besonders verlässliche Entscheidung nicht gefährden (vgl. BVerfGE 83, 24 <32>). Die entsprechende Anwendung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat zur Folge,
dass für die nach § 19 NGefAG zu treffende Entscheidung vor allem der in § 12 FGG niedergelegte Grundsatz der Amtsermittlung gilt, der dem Schutzzweck des Art. 104 GG gemäß auszulegen ist. Damit ist dem Verfassungsgebot
der förmlichen Regelung des gerichtlichen Verfahrens genügt. Für die kurzfristig zu treffende richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines polizeilichen Gewahrsams in zeitlich eng begrenzter Dauer von höchstens 48 Stunden
(§ 21 Satz 1 Nr. 3 NGefAG) ist ein gesetzlich eingehend ausgestaltetes Verfahren von Verfassungs wegen nicht gefordert. Das gerichtliche Verfahren muss vielmehr hinreichend flexibel ausgelegt sein, um den Anforderungen
verschiedener Gefahrenlagen gerecht zu werden. Aus Art. 104 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG selbst folgt zudem die Eilbedürftigkeit des Verfahrens, weil jede richterliche Sachaufklärung zeitlich durch das Erfordernis der unverzüglichen
Entscheidung beschränkt und der Inhaftierung ohne richtliche Entscheidung mit dem Ende des dem Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze gesetzt ist (vgl. BVerfGE 83, 24 <32 f.>). Auch in Bezug auf den Antrag eines
Betrofffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des vollzogenen Gewahrsams ist vor dem Hintergrund der Geltung des im Lichte des Freiheitsgrundrechts auszulegenden Amtsermittlungsgrundsatzes die Regelung weitergehender
Einzelheiten des Verfahrens nicht geboten.
3. Allerdings werden die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Maßstäben nicht gerecht.
a) Zunächst fehlt es an einer sachgerechten Auseinandersetzung der Fachgerichte mit dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerin. Diese hat vor dem Amtsgericht mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz die Feststellung
beantragt, dass die erlittene Freiheitsentziehung dem Grunde nach, der Dauer nach und wegen der Behandlung während der Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei. Die Beschwerdeführerin hat damit nicht nur die Zulässigkeit
und Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahmen, sondern auch die Art und Weise des Vollzuges des Gewahrsams zum Streitgegenstand erhoben. Das Amts- und Landgericht haben den letzteren Antrag für zulässig erachtet, ihn aber -
ohne dass die konkreten Maßstäbe hinreichend deutlich werden - als unbegründet angesehen. Das Amtsgericht hat diesbezüglich ausgeführt, dass die Rahmenbedingungen der Unterbringung im Polizeigewahrsam nur bei
wohlwollender Auslegung den gesetzlichen Anforderungen genügt hätten. Eine Unzulässigkeit der Freiheitsentziehung als solcher wegen der nur bedingt vertretbaren Rahmenbedingungen könne jedoch gleichwohl nicht festgestellt
werden. Das Amtsgericht wie auch das Landgericht, das eine hiervon abweichende Einschätzung nicht vorgenommen hat, stellen mit dieser Argumentation eine Verknüpfung zwischen Vollzug des Gewahrsams und der Zulässigkeit
der Freiheitsentziehung als solcher her. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des übergeordneten Oberlandesgerichts Celle.
Ihr zufolge sind die Behandlung während des polizeilichen Gewahrsams sowie die Art und Weise der Unterbringung für die Frage der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme nach § 18 NGefAG grundsätzlich unbeachtlich. Es könne
nicht Aufgabe der ordentlichen Gerichte sein, jeden Einzelnen mit der Freiheitsentziehung im Zusammenhang stehenden Umstand auf seine Rechtmäßigkeit oder gar auf seine Vereinbarkeit mit Verwaltungsvorschriften wie der
Polizeigewahrsamordnung hin zu überprüfen. § 19 NGefAG sei eine Ausnahmevorschrift und beschränke die nachträgliche Überprüfung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung
als solcher. Die Umstände der Unterbringung könnten allerdings dann Bedeutung für die Frage der Rechtmäßigkeit gewinnen, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände so schwerwiegende Verstöße gegen
verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte vorlägen, dass die Freiheitsentziehung trotz Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen des § 18 NGefAG unverhältnismäßig erscheine. Bloße Beschwernisse und Unbequemlichkeiten
stellten die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme indes nicht in Frage (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23. Juni 2005 - 22 W 32/05 -; Beschluss vom 25. Oktober 2004 - 16 W 145/04 -, Nds.Rpfl 2004, S. 348).
Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind indes grundsätzlich voneinander zu scheiden. So kann die Anordnung einer Ingewahrsamnahme durchaus rechtmäßig sein, während etwa eine einzelne
Maßnahme während des Vollzuges, die zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme nicht notwendigerweise vorhersehbar ist, sich als rechtswidrig erweisen kann, ohne dass von einem Durchschlagen dieses Mangels auf die
Freiheitsentziehung als solche ausgegangen werden muss. Das Anlegen des dargestellten verengten Prüfungsmaßstabes auf der Begründetheitsebene verschließt den Blick auf das weitergehende Rechtsschutzziel der
Beschwerdeführerin. Demgemäß bleibt in den angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen auch offen, aus welchen konkreten Gründen der weitergehende Antrag der Beschwerdeführerin keinen Erfolg hat.
b) Soweit der verengte Prüfungsmaßstab der Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen zum Ausdruck bringen will, dass eine erweiterte Prüfung im Hinblick auf die Rechtswegzuweisung in § 19 NGefAG nicht möglich
sei, fehlt es an der erforderlichen eingehenden Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm ebenso wie mit der Frage, ob eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs in Betracht kommt. Der Wortlaut des §
19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG ist weit formuliert. Er ermöglicht die gerichtliche Feststellung, dass die Freiheitsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist. Bedenkt man, dass diese Norm anders als § 19 Abs. 1 NGefAG die Beendigung der
freiheitsbeschränkenden Maßnahme voraussetzt, so ist die Entscheidungsgrundlage eine breitere. Sie eröffnet schon auf Grund des zeitlichen Ablaufs auch eine Prüfung, ob den §§ 20 f. NGefAG, die die Behandlung festgehaltener
Personen und die Dauer der Freiheitsbeschränkung regeln, Beachtung geschenkt wurde.
Selbst wenn man aber einer solchen weiten Auslegung nicht folgen wollte, wäre zu prüfen, ob nicht im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte kraft Sachzusammenhangs auch für die Überprüfung
des Vollzuges des Gewahrsams anzunehmen ist. In der fachgerichtlichen Judikatur wird dies in ähnlichen Zusammenhängen angenommen. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage der dem § 19 Abs. 2
NGefAG vergleichbaren Rechtswegregelung des Art. 17 Abs. 2 BayPAG ausgesprochen, dass das nach dessen Absatz 3 zuständige Amtsgericht wegen des engen Sachzusammenhangs auch für die Kontrolle freiheitsbeschränkender
Maßnahmen, wie etwa einer persönlichen Durchsuchung, während einer Ingewahrsamnahme des Betroffenen zuständig ist, wenn diese zur Gewährleistung der Ordnung im Gewahrsam erforderlich sind (BayVGH, Urteil vom 25.
Oktober 1988 - 21 B 88.01491 -, NJW 1989, S. 1754 f.). Ferner hat der Bundesgerichtshof gerade im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG entschieden, dass für die Überprüfung der Art
und Weise des Vollzuges einer nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO nichtrichterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung der Betroffene entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die richterliche Entscheidung beantragen kann (BGH,
Beschluss vom 7. Dezember 1998 - 5 AR (VS) 2/98 -, NStZ 1999, S. 200 <201 f.>; Beschluss vom 5. August 1998, - 5 ARs (VS) 2/98 -, NStZ 1999, S. 151 f.; Beschluss vom 25. August 1999 - 5 AR (VS) 1/99 -, NJW 1999, S. 3499
f.). Schließlich hat auch das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit einer behördlich angeordneten Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Durchführung einer Abschiebung entschieden, es entspreche im Hinblick auf Art. 19
Abs. 4 GG einer sinnvollen Ordnung der Rechtswege, dass über einen einheitlichen Lebenssachverhalt möglichst nur in einem Rechtsweg entschieden werde (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1981 - 1 C 93/76 -, NJW 1982, S. 536 f.).
c) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes haben Amtsgericht und Landgericht - unabhängig von den Einwänden gegen den angewendeten Prüfungsmaßstab - durch die Art und Weise ihrer Befassung mit dem Rechtsschutzbegehren
der Beschwerdeführerin verletzt.
Das Amtsgericht hat sich einer konkreten Rechtsanwendung entzogen, indem es - gestützt auf eine "wohlwollende Auslegung" der Gewahrsamsordnung der Polizei - eine allgemeine Würdigung der polizeilichen Bemühungen
vorgenommen hat. Das Landgericht hat das von seinem eigenen rechtlichen Ansatz aus erforderliche Prüfprogramm nicht eingehalten und das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht ernsthaft geprüft, sondern seine Entscheidung
lediglich auf eine pauschalierende, in tatsächlicher Hinsicht nicht tragfähige Würdigung gestützt. Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass die Art und Weise des Vollzuges des Gewahrsams einer Ersatzbestrafung gleichgekommen sei.
Diesem Vorbringen ist immanent, dass bessere Bedingungen des Vollzuges durch eine sachgerechte Planung, eine bessere Organisation und Koordinierung wie auch durch eine anderweitige Unterbringung möglich gewesen seien. Den
damit von der Beschwerdeführerin in tatsächlicher Hinsicht aufgeworfenen Fragen sind die Gerichte nicht nachgegangen. Ihnen hätte es oblegen, die Gründe für die Auswahl des Standorts der Gefangenensammelstelle, deren
Kapazitätsgestaltung und die Frage einer zureichenden Ausstattung ausgehend von einer ex-ante Sicht zu ermitteln und unter Berücksichtigung der behördlicherseits geltend gemachten Belange sowie behördlicher Prognose- und
Ermessensspielräume zu würdigen. Hierbei ist auch erheblich, ob bei sich andeutenden Überlastungen alternative Unterbringungsmöglichkeiten bestanden und solche in Betracht gezogen wurden. Im Übrigen wäre eine konkrete
Analyse der von der Beschwerdeführerin angeführten Beanstandungen unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit und Vermeidbarkeit vorzunehmen gewesen. Dies bedingt eine Aufklärung der konkreten Verhältnisse des
Gewahrsamsvollzuges, woran es vorliegend ebenfalls fehlt. Hinzu kommt, dass das Landgericht sich bei seinem Hinweis, die Teilnehmer der Sitzblockade hätten sich auf die Unannehmlichkeiten durch sachgerechte Kleidung sowie
die Mitnahme von Isoliermatten und entsprechender Verpflegung einstellen können, nicht auf unbestrittene oder festgestellte Tatsachen stützen kann. Die Beschwerdeführerin hat gerade vorgetragen, dass die in Gewahrsam
genommenen Personen die eigene Verpflegung wie auch mitgeführte Gegenstände nicht mit in die Gewahrsamzelle nehmen durften. Eine Grundlage für gegenteilige Feststellungen ist nicht ersichtlich.
III. Auf die weiteren von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Rügen kommt es nach alledem nicht an.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 2 GG sowie von Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts ist unter Zurückverweisung der Sache
an das Landgericht aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BverfGG). ..." (BVerfG, Urteil vom 13.12.2005 - 2 BvR 447/05, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20051213_2bvr044705.html - Sitzblockade und Kessel)
***
§ 1
(1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.
(2) Dieses Recht hat nicht,
1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,
2. wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder
Ersatzorganisation einer Partei fördern will,
3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder
4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist.
Leitsätze/Entscheidungen:
Soll nach der Konzeption einer geplanten Veranstaltung diese einen Rahmen bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen, handelt es sich um
eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes auch dann, wenn die Veranstaltung informative Elemente enthält (BVerwG, Urteil vom 22.08.2007 - 6 C 22/06):
„... Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März 2006 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für die Zeit vom 8. bis zum 26. Mai 2003 angemeldete Veranstaltung zu dem Thema ‚Gegen die
Militärintervention im Irak und anderswo' eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. ...
I Der Kläger meldete am 6. Mai 2003 für die Zeit vom 8. bis 26. Mai 2003 eine Veranstaltung mit dem Thema ‚Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo' an. Die Veranstaltung sollte in Berlin stattfinden. Ihr Ziel sollte darin
bestehen, Menschen zu einer Äußerung über ihre Haltung zur Militärintervention im Irak zu bewegen. Bei der Durchführung der Veranstaltung sollten unterschiedliche Hilfsmittel Verwendung finden. Es war vorgesehen, dass auf
bereitliegenden Karten schriftliche Meinungsäußerungen zu dem Veranstaltungsthema abgegeben und diese Karten an einer bereitgestellten Lattenkonstruktion öffentlich angebracht wurden.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2003 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die geplante Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes angesehen werden könne. Die Veranstaltung sei dadurch geprägt, dass
Außenstehenden ein einseitiges Informationsangebot unterbreitet werde. Sie gleiche deshalb einem Informationsstand, der nicht die Voraussetzungen einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes erfülle. Dagegen erhob
der Kläger Widerspruch, der nicht beschieden wurde.
Der Kläger hat am 13. Mai 2003 Klage erhoben, mit der er - im Wege des Klageantrags zu 1 - die Feststellung begehrt hat, die angemeldete Veranstaltung sei als Versammlung anzusehen gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. März 2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass die angemeldete Veranstaltung keine
Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen sei. Eine solche Versammlung setze voraus, dass die Veranstaltung auf Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet sei. Diese Voraussetzung sei bei einem
Informationsstand, der auf die einseitige Vermittlung von Informationen gerichtet sei, nicht gegeben. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehle die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung
ausmache und dazu führe, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes fühlten. Bei der streitigen Veranstaltung stehe nach ihrem Gesamtgepräge die einseitige Information von Passanten im Vordergrund. Dies ergebe sich
aus einer Reihe von Indizien. So habe die Veranstaltung einen Bezug zu dem im Veranstaltungszeitraum stattfindenden Kirchentag aufgewiesen. Stände auf einem Kirchentag dienten typischerweise der Information und der
gemeinsamen Aktion von interessierten Besuchern, nicht dagegen der öffentlichen Meinungskundgabe und Meinungsbildung in Gruppenform. Die anlässlich der Veranstaltung aufgestellten Fototafeln hätten eher informativen
Charakter gehabt. Soweit Außenstehende dazu hätten angehalten werden sollen, ihre Meinung zu dem Veranstaltungsthema auf bereitgehaltene Karten schriftlich festzuhalten und an einer Lattenkonstruktion anzubringen, begründe
dies ebenfalls nicht den Versammlungscharakter. Letztlich sei es wie bei einer Unterschriftenliste um die Sammlung individueller Meinungsäußerungen gegangen, die gemeinsam hätten präsentiert werden sollen.
Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt ergänzt: Das Verwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen an der
Phänomenologie tradierter Versammlungen orientiert. Damit werde nicht ausreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versammlungsbegriff offen sei für neue Formen von Veranstaltungen. Die Veranstaltung sei auf
Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet gewesen. Vorbeikommende Menschen, die aufgrund der vorhandenen Hilfsmittel Interesse gezeigt hätten, hätten angesprochen und in Diskussionsrunden integriert werden
sollen. Es habe sich um eine neue Form der Versammlung gehandelt, die einen festen Bestand von Personen mit hinzukommenden Menschen verbinde und sich von herkömmlichen ‚Demonstrationen' unterscheide. Bei der hier in
Rede stehenden Art der Versammlung würden die Elemente der Information, der Meinungsbildung und der Meinungsäußerung wechselseitig miteinander verklammert.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu 1 zu erkennen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.
II Die allein gegen die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtete Revision ist begründet. Das Urteil beruht insoweit auf
der Verletzung von Bundesrecht ( § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache entscheiden. Der Antrag auf Feststellung, dass die von dem Kläger
angemeldete Veranstaltung ‚Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo' eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) -VersG - in der Fassung der Bekanntmachung
vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), war, ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Das Begehren ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der
Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Dadurch, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 7. Mai 2003 die Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den
Beteiligten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl.
Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7).
Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch den
Bescheid vom 7. Mai 2003 nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 6 C 23.06 - juris Rn. 12).
Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den Antrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Feststellung der Rechtswidrigkeit
des wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 7. Mai 2003 verwiesen werden (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 13).
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war.
Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte
Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch
einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8
Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr
zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte
mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen,
auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen
Verhaltens. Die rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund
stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um
den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15 ff.).
Die Aufstellung eines Informationsstandes als solche genießt nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63 <69> [BVerwG 07.06.1978 - 7 C 5/78] ; BVerfG -
Vorprüfungsausschuss -, Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 - NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den
Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation
vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass
die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. Urteil
vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das
Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der
Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. Urteil vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 <39> [BVerwG 21.04.1989 - 7 C 50/88] ). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil
einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).
Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die streitige Veranstaltung entspreche mit Blick auf ihr Gesamtgepräge dem Betrieb eines Informationsstandes und stelle deshalb keine Versammlung dar, hat es den Inhalt des
bundesrechtlichen Begriffs der Versammlung verkannt. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Veranstaltung, wie die von dem Kläger angemeldete, wegen ihrer informativen Elemente keine Versammlung, sondern
eine Ansammlung ist. Dies steht nicht mit dem Versammlungsgesetz und der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Versammlungsfreiheit im Einklang. Die streitige Veranstaltung erfüllte nämlich die Voraussetzungen einer Versammlung.
Der Kläger hat die Konzeption der angemeldeten Veranstaltung im Einzelnen beschrieben. Diese Darlegungen sind schlüssig und auch im Übrigen nachvollziehbar. Sie sind nicht als vorgeschoben anzusehen, um den Schutz der
Versammlungsfreiheit zu erlangen. Deshalb sind sie der Beurteilung, ob die streitige Veranstaltung eine Versammlung darstellt, zugrunde zu legen.
Das Thema der Veranstaltung (‚Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo') betraf eine die Öffentlichkeit berührende politische Fragestellung und zielte insoweit auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Dem
Veranstaltungsthema wurde auch durch Hilfsmittel, die in der Veranstaltung Verwendung finden sollten, Ausdruck verliehen. So war beabsichtigt, Schriftbänder und -tafeln, Fotos, Transparente und Flugblätter zu verwenden. In
Holzrahmen sollten Fotografien von zivilen Kriegsopfern zur Schau gestellt werden. An dem Ort der Veranstaltung sollten ständig etwa drei Personen aus dem Bereich der Initiatoren anwesend sein.
Es kann hier dahinstehen, ob bereits die anwesenden Personen aus dem Kreis der Initiatoren eine Versammlung gebildet hätten. Dafür könnte sprechen, dass angesichts des Themas der Veranstaltung und der darauf bezogenen
Hilfsmittel wohl deutlich erkennbar gewesen wäre, dass die anwesenden Initiatoren nicht nur ein einseitiges Informationsangebot im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsthema unterbreiten, sondern ihrer kritischen Haltung zu
Militärinterventionen Ausdruck verleihen wollten, was als kollektive Meinungsäußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung angesehen werden könnte. Der (Haupt-)Zweck der Veranstaltung bestand indes
nicht darin, den Initiatoren eine Möglichkeit zu eröffnen, ihre Meinung zu äußern. Die Veranstaltung zielte vielmehr darauf, zufällig des Weges kommende Personen und solche, die gezielt den Veranstaltungsort aufsuchten, zu einer
Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform im Zusammenhang mit dem Thema der Veranstaltung zu veranlassen. In diesen Prozess der Meinungsbildung und -äußerung wollten sich auch die am Veranstaltungsort
anwesenden Initiatoren einbringen.
Die streitige Veranstaltung war nicht als Betrieb eines Informationsstandes anzusehen. Die informativen Elemente, die die angemeldete Veranstaltung nach deren Konzeption aufgewiesen hätte, unterscheiden sich grundlegend von
Informationsangeboten, wie sie bei einem auf einseitige Informationsvermittlung angelegten Informationsstand unterbreitet werden. Soweit die Hilfsmittel einen Informationsgehalt enthalten hätten, wie etwa die Fotografien von
Kriegsopfern, die Flugblätter und die Zeitungen, sollte dieser nicht einseitig gegenüber Außenstehenden vermittelt werden. Die Informationen sollten vielmehr Mittel zum Zweck sein, bei den Außenstehenden den angestrebten
Vorgang der Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform einzuleiten oder zu fördern. Die Informationsvermittlung sollte also Bestandteil einer Veranstaltung sein, die der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung, wie sie
einer Versammlung eigen ist, dient. Anders als dies bei einem Informationsstand der Fall ist, war die streitige Veranstaltung auf die Einbeziehung Außenstehender angelegt. Die Einbeziehung sollte auch dadurch geschehen, dass die in
dem angestrebten Meinungsbildungsprozess herausgebildeten Meinungen auf bereitgehaltenen Karten schriftlich niedergelegt und die so beschrifteten Karten an eine vorhandene Lattenkonstruktion angebracht werden sollten. Dadurch
sollte nicht nur das Ergebnis der Meinungsbildung in Gestalt einer schriftlichen Meinungsäußerung dokumentiert werden. Es sollte auch auf den Meinungsbildungsprozess der am Ort der Veranstaltung sich befindenden Personen
Einfluss genommen werden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die beschrifteten und an der Lattenkonstruktion zur Schau gestellten Karten nicht Unterschriften auf einer entsprechenden Liste gleichzusetzen. Auf
einer Unterschriftenliste werden Unterschriften unter einen vorgegebenen Text geleistet. Die Meinungsäußerungen auf den an der Lattenkonstruktion angebrachten Karten sollten hingegen Ergebnis eines vor Ort stattfindenden
Meinungsbildungsprozesses sein und sie sollten - anders als bei einer Unterschriftenliste - den Vorgang der Meinungsbildung am Veranstaltungsort beeinflussen. Dass die beschrifteten Karten für sich betrachtet individuelle
Meinungsäußerungen darstellen, ändert nichts daran, dass sie ihre Grundlage in einem am Veranstaltungsort stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess finden und dass sie auf den dort stattfindenden kollektiven
Meinungsbildungsprozess zurückwirken sollten. Sie sind deshalb als integraler Bestandteil eines komplexen Vorgangs anzusehen, bei dem Außenstehende untereinander und mit den anwesenden Initiatoren in einen Vorgang der
kollektiven Meinungsbildung und -äußerung eintreten sollten. Dieser Vorgang ist als Einheit zu betrachten, sodass auch die beschrifteten Karten als Teil jenes Vorgangs anzusehen sind.
Da die angemeldete Veranstaltung in der soeben dargelegten Weise auf die Einbeziehung einer möglichst großen Zahl dritter Personen in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung angelegt war, wären diese,
soweit sie dem Diskussionsangebot gefolgt wären, untereinander und mit den Initiatoren durch einen gemeinsamen kommunikativen Zweck, nämlich die gemeinschaftliche Beteiligung an dem genannten Prozess, innerlich verbunden
gewesen. Im Gegensatz zu dem gemeinsamen kommunikativen Zweck ist die Übereinstimmung der Meinungen für eine Versammlung nicht konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 1995 - 1 BvR 1564/92 - BVerfGE 92,
191 <203> [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] ; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39). Zwar ist davon auszugehen, dass sich der am Veranstaltungsort anwesende Personenkreis dadurch verändert hätte, dass Personen
den Ort verlassen hätten und andere hinzugekommen wären. Der konzeptionelle Rahmen wäre jedoch trotz dieser Fluktuation bestehen geblieben. In personeller Hinsicht wäre Kontinuität jedenfalls durch die ständig am
Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren gewahrt gewesen. Die sächliche Ausgestaltung der Veranstaltung wäre von der Veränderung des Personenkreises nicht betroffen gewesen.
Aus den dargestellten Gründen hätte sich die Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge aus Sicht eines sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindenden durchschnittlichen Betrachters als Versammlung im Sinne des
Versammlungsgesetzes und des Art. 8 Abs. 1 GG dargestellt. Dem steht nicht entgegen, dass die Veranstaltung mit Blick auf ihre Konzeption nicht den traditionellen Arten von Zusammenkünften mit Versammlungscharakter
entsprochen hätte. Deshalb streitet gegen die Annahme einer Versammlung auch nicht der Umstand, dass die Veranstaltung über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen stattfinden sollte und sich auch insoweit von typischen
Versammlungen unterschieden hätte. Die zeitliche und örtliche Nähe der streitigen Veranstaltung zum Kirchentag erweist sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht als ein Gesichtspunkt, der gegen das
Vorliegen einer Versammlung ins Feld geführt werden kann. ..."
*** (BVerwG)
Enthält eine geplante Zusammenkunft von Personen Elemente, die sowohl auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die anderen Zwecken dienen, ist sie als Versammlung i.S. des
Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes zu behandeln, wenn die anderen Zwecke nicht aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters erkennbar im Vordergrund stehen (BVerwG, Urteil vom 16.05.2007 - 6 C 23/06):
„... Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2004 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Mai 2006 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für den 14. Juli 2001 angemeldete ‚Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war. Der Beklagte trägt die Kosten
des Verfahrens. ...
I Der Kläger meldete mit Schreiben vom 19. März 2001 für den 14. Juli 2001 die Veranstaltung ‚Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' als ‚Gegendemonstration zur Berliner Love Parade' an. Die Veranstaltung sollte in Berlin in
Gestalt eines Sternmarsches auf drei näher bezeichneten Routen zum Alexanderplatz führen. Gerechnet wurde mit etwa 10 000 Teilnehmern, die von 40 bis 50 Lautsprecherwagen begleitet werden sollten.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2001, das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Anmeldung nicht als Anmeldung einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes
entgegengenommen und bestätigt werden könne, weil es an einem kollektiven Meinungs- und Willensbildungsprozess fehle und die Rolle der Teilnehmer auf das Zuhören und Tanzen bei musikalischen Darbietungen beschränkt sei.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2001 Widerspruch.
Der Kläger hat am 13. August 2001 Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, die angemeldete Veranstaltung sei als Versammlung anzusehen gewesen und der Bescheid vom 14. Mai 2001 sei auch deshalb fehlerhaft, weil es sich
um einen feststellenden Verwaltungsakt handele, für den es an einer Ermächtigungsgrundlage fehle.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. November 2004 festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 14. Mai 2001 rechtswidrig war. Den Antrag auf Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung
war, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen dargelegt: Die angemeldete Veranstaltung erfülle nicht die Voraussetzungen einer Versammlung. Der angefochtene Bescheid sei deshalb
fehlerhaft, weil es sich um einen feststellenden und belastenden Verwaltungsakt handele, für den eine Ermächtigungsgrundlage nicht ersichtlich sei.
Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
dargelegt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung. Nach ihrem Gesamtgepräge sei die ‚Fuckparade' nicht als Versammlung einzuordnen. Für die Anwendung
der vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Regel, dass eine Veranstaltung wegen des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit im Zweifel wie eine Versammlung zu behandeln sei, bleibe kein Raum. Die Veranstaltung hätte
sich für den Außenstehenden vielmehr als Musik-, Tanz- und Unterhaltungsveranstaltung dargestellt, mit der die Teilnehmer eine ihrem Musikgeschmack entsprechende Lebensart hätten zelebrieren wollen. Die Elemente der
Meinungskundgabe wären dem durchschnittlichen Betrachter verborgen geblieben. Entscheidend für die Beurteilung des Gesamtgepräges einer Veranstaltung sei, wie diese am Ort der Zusammenkunft erscheine. Fehlende oder nicht
hinreichend wahrnehmbare Elemente der Meinungskundgabe könnten durch Darstellung der Versammlungsziele auf einer Internetseite oder in Presseberichten nicht ersetzt werden. Auch die Wahl der Wegstrecke und die auf den
Handzetteln formulierten Forderungen hätten der Veranstaltung kein anderes Gepräge gegeben. Die ablehnenden Auffassungen etwa zu einzelnen Aspekten der Stadtentwicklung, zur Verdrängung so genannter Subkulturen aus
bestimmten Stadtbezirken und die Gegenposition zur ‚Love Parade' seien von untergeordneter, beiläufiger Bedeutung gewesen, zumal sie sehr allgemein gehalten und daher wenig aussagekräftig gewesen seien.
Der Kläger hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung ergänzt er sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt: Das Oberverwaltungsgericht habe im Zusammenhang mit der
Prüfung des Gesamtgepräges der angemeldeten Veranstaltung wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. So seien die flankierenden Maßnahmen der Anmelder im Vorfeld und während der Veranstaltung unberücksichtigt
geblieben. Hierzu zähle insbesondere die Internetseite der ‚Fuckparade', auf der zur Demonstration aufgerufen und über Hintergründe der Veranstaltung sowie über weitere Ziele gleicher Thematik im Umfeld und Vorfeld der
Demonstration informiert worden sei. Zu Unrecht vernachlässigt worden seien auch die von ihm, dem Kläger, initiierte Podiumsveranstaltung mit Vertretern aus der Politik zu den Forderungen der ‚Fuckparade 2001' und die
Reaktionen der Presse auf die geplante Veranstaltung. Soweit das Oberverwaltungsgericht annehme, für die Beurteilung der Versammlungseigenschaft komme es darauf an, wie die Veranstaltung am Ort der Zusammenkunft erscheine,
sei dies nicht verfassungsgemäß.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2004 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Mai 2006 abzuändern und festzustellen, dass die vom Kläger für den
14. Juli 2001 angemeldete ‚Fuckparade 2001 - 5 Jahre Hateparade' wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war; hilfsweise, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
zurückzuweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.
II Die zulässige Revision ist begründet. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, beruht das Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht ( § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Sachverhalt
geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in der Sache entscheiden. Der Hauptantrag, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass die von ihm angemeldete Veranstaltung ‚Fuckparade 2001 - 5 Jahre
Hateparade' eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) - VersG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zum hier maßgeblichen
Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), war, ist zulässig (1.) und hat in der Sache Erfolg (2.). Über den in erster Instanz erfolgreichen und auf die Berufung des Beklagten vom
Oberverwaltungsgericht abgewiesenen Hilfsantrag des Klägers ist nicht mehr zu entscheiden.
1. Der Hauptantrag ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der
Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Dadurch, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 14. Mai 2001 die Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den Beteiligten eine
Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. Urteil vom 29. April 1997 -
BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7).
Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO an der begehrten Feststellung. Die Voraussetzungen des berechtigten Interesses decken sich weitgehend mit denjenigen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses
nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. Urteil vom 29. April 1997 a.a.O. S. 7). Ein solches schützenswertes ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts kann sich aus der Art des
Eingriffs, insbesondere in grundrechtlich geschützte Bereiche, verbunden mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ergeben (vgl. Beschluss vom 30. April 1999 - BVerwG 1 B 36.99 - Buchholz
310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 6 S. 13 m.w.N.). Der Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG verbürgten besonders bedeutsamen Versammlungsfreiheit stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar (vgl. Urteil vom
23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 4). Ist angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen, ist ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen. Entsprechendes gilt für das Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO . Daran gemessen hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.
Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den hilfsweise gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gestellten Antrag auf Feststellung
der Rechtswidrigkeit des wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 14. Mai 2001 verwiesen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf § 43 Abs. 2 VwGO einer einschränkenden Auslegung
(vgl. Urteil vom 29. April 1997 a.a.O. S. 9 f.) Die Bestimmung steht der Feststellungsklage nicht entgegen, wenn eine Umgehung der für Verpflichtungs- und Anfechtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und
Vorverfahren nicht droht und die Feststellungsklage wirkungsvolleren Rechtsschutz bietet. Das ist hier der Fall. Der Bescheid vom 14. Mai 2001 ist vom Kläger vor seiner Erledigung fristgerecht mit dem Widerspruch angegriffen
worden, und die Klage auf Feststellung der Versammlungseigenschaft erweist sich im Vergleich zu dem hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag als effektiver. Zwar käme die Feststellung der Rechtswidrigkeit des
Bescheids vom 14. Mai 2001 wegen unzutreffender Verneinung der Versammlungseigenschaft in der Sache einer positiven Feststellung der Versammlungseigenschaft nahe. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist aber mit der
Unsicherheit behaftet, ob die Rechtswidrigkeit der Feststellung des Fehlens der Versammlungseigenschaft überhaupt entscheidungserheblich ist. Es ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Bescheid vom 14. Juli
2001 bereits wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig ist, wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, sodass es bei diesem Ansatz auf die den Kläger in erster Linie interessierende Frage der
Versammlungseigenschaft nicht ankommen würde. Hinzu kommt, dass es der Gewährung effektiven Rechtsschutzes eher entspricht, die erstrebte Feststellung des Bestehens der Versammlungseigenschaft in der Urteilsformel zum
Ausdruck zu bringen, als sie in den Gründen eines Fortsetzungsfeststellungsurteils ‚zu verstecken'.
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung wie eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu behandeln war.
Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 <38> [BVerwG 21.04.1989 - 7 C 50/88] ;
Laubinger/Repkewitz, VerwArch 2001, 585 <613>). Die Gleichsetzung beider Versammlungsbegriffe erweist sich als verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - NJW 2001, 2459
<2460> [BVerfG 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01] ). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung
und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen (vgl. Urteile vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63 <69> [BVerwG 07.06.1978 - 7 C 5/78] und vom 21. April 1989 a.a.O. S. 38 f.). Eine Versammlung wird
dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 38). Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck
gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen
Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen
Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG
und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl.
BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 <104> und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 <342 f.>; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26. März 2001 - 1 BvQ
16/01 - NVwZ-RR 2001, 442 <443> [BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 16/01] , vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460 und vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 - BVerfGK 4, 154 <157>). Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und
-äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken (vgl. Enders, JURA 2003, 34 <38>). Die Erörterung und Kundgebung muss in Angelegenheiten erfolgen, die zur öffentlichen Meinungsbildung
bestimmt und geeignet sind (vgl. Hoffmann-Riem, in: Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 8 Rn. 15). Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch
die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O. S. 111; BVerfG, Kammerbeschluss vom 5.
September 2003 - 1 BvQ 32/03 - BVerfGK 2, 1 <6>). Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen
Verhaltens (vgl. Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 334). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie
Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von
so genannten Subkulturen ausdrückt oder dem Massengeschmack entspricht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460). Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche
Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche
Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht
werden. Geschützt durch Art. 8 GG ist in solchen Fällen die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, um auf die zukünftige Durchführung solcher Veranstaltungen hinzuwirken, nicht aber das Abhalten der Musik-
und Tanzveranstaltungen selbst. Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird jedoch nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne von Art. 8 GG , dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen (vgl. BVerfG,
Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2460 f.).
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom
12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461).
Die Beurteilung, ob eine ‚gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die
Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die
Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen,
die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten
Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung
einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen
Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer
bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die
nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht
wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen
werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In
diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss
an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind.
Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden
Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach
eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine
Versammlung zu behandeln. An den vorstehenden Grundsätzen gemessen beruht das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht.
Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass sich die streitige Veranstaltung nach der Gesamtheit ihres Erscheinungsbildes bei einem Außenstehenden primär als eine Musik-, Tanz- und Unterhaltungsveranstaltung
dargestellt hätte, hat es nicht ausreichend dem aus Art. 8 Abs. 1 GG folgenden Gebot Rechnung getragen, alle auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten und als solche zu berücksichtigenden Elemente in die
Betrachtung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb hat es das Berufungsgericht auch versäumt, die einschlägigen Elemente in ihrer Gesamtheit zu gewichten und einen Vergleich mit dem Gesamtgewicht der
nicht die Meinungsbildung betreffenden Modalitäten der Veranstaltung vorzunehmen.
Das Oberverwaltungsgericht hat außer Acht gelassen, dass nach der Konzeption der Veranstaltung unstreitig beabsichtigt war, die in der Anmeldung aufgeführten Forderungen der Veranstaltung auf Spruchbändern wiederzugeben, die
an Lastkraftwagen, von denen 40 bis 50 mitgeführt werden sollten, angebracht werden sollten und von Außenstehenden wahrgenommen worden wären. In der Anmeldung waren als Themen der Veranstaltung angegeben ‚Keine Zensur
durch Kommerz', ‚Love Parade raus aus dem Tiergarten', ‚Leben statt Hauptstadtwahn' und ‚Keine Party ist illegal'. Diese Forderungen waren auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet. Zwar waren sie nicht in
jeder Hinsicht aus sich heraus verständlich. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass die Forderungen u.a. auf den Handzetteln, die anlässlich der Veranstaltung hätten verteilt werden, näher begründet worden wären. Ein Exemplar
dieser Handzettel befindet sich in der Akte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, die vom Oberverwaltungsgericht ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist und dessen Inhalt deshalb vom Senat
berücksichtigt werden kann. Auf den Handzetteln, die vom Oberverwaltungsgericht zu Recht als Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung berücksichtigt worden sind, wird u.a. dargelegt, dass sich die Veranstaltung
insbesondere gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus den angestammten Stadtgebieten, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Partys sowie gegen die kommerzialisierte ‚Love
Parade' als ‚Pseudo-Demo' richte. Durch diese Erwägungen hätten auch die Parolen auf den Spruchbändern an den Fahrzeugen ihre Konkretisierung erfahren. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Forderungen nur
deshalb erhoben wurden, um die Versammlungseigenschaft zu begründen. Ihnen kann die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden, wofür auch der Umstand spricht, dass die ‚Fuckparade' in den Vorjahren bei im Wesentlichen
gleicher Konzeption als Versammlung angesehen wurde.
Vernachlässigt hat das Oberverwaltungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - auch den Internetauftritt des Klägers, in dem bereits im Vorfeld der Veranstaltung deren Ziele und Forderungen eingehend dargestellt
und begründet wurden. Ein Ausdruck dieser auch auf die öffentliche Meinungsbildung zielenden Darlegungen befindet sich in der Gerichtsakte des Verfahrens auf Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Ausführungen in dem
Internetauftritt erweisen sich als Indiz dafür, dass die Veranstaltung auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gerichtet gewesen wäre. Sie waren jedermann zugänglich, und die Veranstaltung hätte - wie aufgezeigt - Elemente
der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aufgewiesen. Entsprechendes gilt für die von dem Kläger initiierte Podiumsveranstaltung am 23. Juni 2001 u.a. mit Politikern zu dem Thema ‚Wie wichtig sind Sub- und Clubkultur
für eine lebenswerte Stadt'. Auf dem sich in der Gerichtsakte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens befindenden Aufruf zu der Podiumsdiskussion war der Bezug zu der streitigen Veranstaltung deutlich erkennbar durch den Hinweis
‚Fuckparade presents' hergestellt. Nach alledem hat das Oberverwaltungsgericht nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot entsprochen, alle für die Versammlungseigenschaft sprechenden tatsächlichen Umstände in die Betrachtung
einzubeziehen und zu gewichten. Darin liegt eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht.
Der Senat sieht in Ausübung des ihm von § 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingeräumten Ermessens im Interesse der Verfahrensbeschleunigung davon ab, die Sache an das Oberverwaltungsgericht nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO
zurückzuverweisen. Die Frage nach dem Gesamtgepräge der streitigen Veranstaltung kann vom Senat beantwortet werden, ohne dass eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist. Eine Gesamtschau in Anwendung der aufgezeigten
Grundsätze führt zu dem Ergebnis, dass die Veranstaltung als Versammlung zu behandeln war.
Als auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Elemente der Veranstaltung sind jedenfalls zu berücksichtigen die Handzettel, die anlässlich der Veranstaltung hätten verteilt werden sollen, die Spruchbänder an
den Lastkraftwagen, die Darlegungen in dem Internetauftritt des Klägers zu den Forderungen und Zielen der Veranstaltung und die genannte Podiumsdiskussion. Diese Elemente wären aussagekräftig gewesen und hätten die Absicht,
einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, deutlich erkennen lassen. Ein durchschnittlicher Betrachter hätte ihr Gesamtgewicht als bedeutsam eingeschätzt.
Die Veranstaltung wäre auch auf das Spielen bestimmter Musik, auf Tanz und auf Unterhaltung ausgerichtet gewesen. Es ist nicht zweifelhaft, dass diese Elemente einen breiten Raum eingenommen hätten und hinsichtlich ihres
Gesamtgewichts von einem Außenstehenden ebenfalls als bedeutsam eingestuft worden wären.
Ein Vergleich der ermittelten Gesamtgewichte rechtfertigt nicht die Annahme, die auf Musik, Tanz und Unterhaltung gerichteten Elemente hätten aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters im Vordergrund gestanden. Angesichts
des dargestellten Gewichts der auf jeden Fall dem Meinungsbildungsbereich zuzuordnenden Elemente ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die Veranstaltung, hätte sie stattgefunden, ihrem Gesamtgepräge nach als auf die Teilhabe
an der Meinungsbildung gerichtet angesehen worden wäre. Es ist möglich, dass insbesondere die Forderung nach dem Erhalt der angestammten Spielstätten bestimmter Techno-Musik und die Kritik an der Kommerzialisierung dieser
Musik im Rahmen der ‚Love Parade' als die Veranstaltung prägend wahrgenommen worden wären und die Musik-, Tanz- und Unterhaltungsanteile als Mittel zum Zweck angesehen worden wären, den inhaltlichen Forderungen Gehör
zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist auch in Rechnung zu stellen, dass die Musik, die bei der Veranstaltung gespielt worden wäre, wesentlicher Bezugspunkt der aufgestellten Forderungen war, was einem Außenstehenden
nicht verborgen geblieben wäre. Da sich nach alledem das Gesamtgepräge der ‚Fuckparade 2001' nicht zweifelsfrei feststellen ließ, war es von Verfassungs wegen geboten, sie als Versammlung zu behandeln. ..."
*** (OVG)
„... Das Verwaltungsgericht hat die von dem Antragsteller begehrte Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse, da die
angefochtene Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig sei; insbesondere handele es sich bei dem Zeltlager um keine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG.
Ob dieser mit der Beschwerdebegründung angegriffenen Würdigung zu folgen ist, muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Frage, ob es sich bei dem Protestcamp (noch) um
eine dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallende Versammlung handelt, was nach dem Akteninhalt zumindest als möglich erscheint. Bejahendenfalls wird zu prüfen sein, ob die Bauaufsichtsbehörde überhaupt einschreiten darf.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juli 2012 - 5 B 853/12 -, juris, vom 25. Juli 2012 - 5 B 853/12 -, vom 23. September 1991 - 5 B 2541/91 -, NVwZ-RR 1992, 360; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 16. August 2012 - OVG 1 S
108.12 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 12. April 2012 - 10 CS 12.767 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. August 1991 - 18 L 2745/91 -, NVwZ-RR 1992, 185; Dietlein, Zeltlager der Roma als Versammlung i. S. d. § 1
VersG, NVwZ 1992, 1066.
Unabhängig davon wird zu berücksichtigen sein, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 GG besondere Anforderungen an die Ermessensbetätigung der Bauaufsichtsbehörde zu stellen sein dürften.
Die damit gebotene allgemeine - von der Prognose der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO unabhängige - folgenorientierte Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragsgegners aus. Ausweislich der
Begründung im angefochtenen Bescheid dient die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Wahrung der Autorität der Baugenehmigungsbehörde und der Verhinderung weiterer "Schwarzbauten". Dieses allgemeine Interesse an der
Verhinderung bzw. Beseitigung illegaler baulicher Anlagen tritt im Hinblick auf das Gewicht der möglicherweise betroffenen Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) zurück. Dass weitere besondere Umstände für den sofortigen Vollzug
der angefochtenen Ordnungsverfügung streiten, ist nicht vorgetragen und auch nach der Aktenlage nicht erkennbar. Insbesondere fehlt es an einer hinreichend konkreten Zuordnung der behaupteten Straftaten im Umfeld des
Protestcamps zu dessen Bewohnern oder dem Antragsteller. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 11.10.2013 - 7 B 858/13)
***
Eine aus Gründen präventiv-polizeilicher Gefahrenabwehr erfolgende Einkesselung einer öffentlichen Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersG ist rechtswidrig, wenn die Versammlung nicht zuvor nach dem
Versammlungsgesetz aufgelöst worden ist (OVG Münster, Beschluss vom 02.03.2001 - 5 B 273/01, NVwZ 2001, 1315).
Eine aus Gründen präventiv-polizeilicher Gefahrenabwehr erfolgende Einkesselung einer öffentlichen Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersG ist rechtswidrig, wenn die Versammlung nicht zuvor nach dem
Versammlungsgesetz aufgelöst worden ist (OVG Münster, Beschluss vom 02.03.2001 - 5 B 273/01, DVBl 2001, 839).
Zur Frage, ob unverzichtbares Element für die Einstufung einer Veranstaltung als Versammlung die Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform ist. Eine Versammlung i.S. des Art. 8 GG liegt nur dann vor, wenn die
Veranstaltungsteilnehmer sich zu einem gemeinsamen Zweck verbunden haben und dies auch für den Außenstehenden erkennbar zum Ausdruck bringen wollen. Wird eine angemeldete Veranstaltung nach dem Gesamteindruck von
kommerziellen Zwecken beherrscht, so dass die vorhandenen caritativen Elemente und das von der Antragstellerin vorgegebene Motto nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen, so unterfällt sie nicht dem Versammlungsbegriff
(OVG Berlin, Beschluss vom 30.11.2000 - 1 SN 101/00, NJW 2001, 1740).
***
Von einer Versammlung kann erst gesprochen werden, wenn mindestens drei Personen zusammengekommen sind (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss (Z) 225/98 (106/98), NStZ-RR 1999, 119):
„... Durch Bescheid der Stadt S. vom 21. 10. 1997 war dem Betr. auf seinen Antrag die Durchführung einer „Mahnwache„ für den 23. 10. 1997 unter Auflage genehmigt worden. Am Vormittag, dem 22. 10. 1997, fand sich der Betr.
zusammen mit einerweiteren Person vor der Beratungsstelle „Pro Familia„ in S. ein. Sie gingen auf dem Gehweg des betreffenden Anwesens auf und ab, wobei sie Plakate trugen, auf denen die Ablehnung von Abtreibungen
zumAusdruck gebracht und die Beratungsstelle „Pro Familia„ als „Tötungsambulanz„ bezeichnet wurde. Sie verteilten Handzettel ähnlichen Inhalts und sprachen Passanten an. Auf eine entsprechende Anzeige der Beratungsstelle „Pro
Familia„ erschienen ein Polizeibeamter und eine Verwaltungsinspektorin der Stadt an der Örtlichkeit. Sie wiesen den Betr. darauf hin, daß es sich um keine genehmigte Versammlung handele, erklärten sodann die Versammlung für
aufgelöst und forderten den Betr. mehrfach auf, sich zu entfernen, was dieser hartnäckig verweigerte, so daß er schließlich in Gewahrsam genommenwurde. Das AG setzte gegen den Betr. wegen vorsätzlicher Verletzung der Pflicht,
sich nach Auflösung einer öffentlichen Versammlung unverzüglich zu entfernen, eine Geldbuße in Höhe von 200 DM fest. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zum Freispruch. ...
II. Der Betr. hat keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 29 I Nr. 2, 15 II VersG begangen. Nach diesen Bestimmungen handelt ordnungswidrig, wer sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugsdurch die
zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt. Der Betr. und sein Begleiter bildeten jedoch keine Versammlung im Sinne dieser Vorschriften. Wie viele Teilnehmer zusammengekommen sein müssen, damit von einer Versammlung
gesprochen werden kann, ist streitig (vgl. Wache, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 1 VersG Rdnr. 23 m.w. Nachw.). Dieheute herrschende Rechtsprechung geht davon aus, daß mindestens 3 Personen erforderlich sind
(BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226; OLG Hamburg, MDR 1965, 319; OLG Köln, MDR 1980,1040; AG Tiergarten, JR 1979, 207). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Schon der Wortsinn spricht gegen die Annahme, bereits 2 Menschen könnten eine Versammlung bilden. „Sich-Versammeln„ setzt begrifflich eine Zusammenkunft mehrerer voraus.Auch die historische Entwicklung der
Versammlungsfreiheit, die das Zusammentreffen mehrerer Personen sichern wollte, legt dies nahe und schließlich sprechen sachliche Gründe dafür, eine Mindestteilnehmerzahl von 3 Personen zur Erfüllungdes Merkmals
Versammlung zu verlangen. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes schränken das Grundrecht des Art. 8 GG ein mit dem Ziel, sowohl die Interessen anderer alsauch die Versammlung selbst zu schützen. Vor allem soll es den
zuständigen Behörden ermöglicht werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewahrt bleiben. Solche behördlichen Maßnahmen kommen aber nur in Betracht bei
Zusammenkünften einer „größeren„ oder „nicht allzu kleinen„ Anzahl von Personen (OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226). Eine Zusammenkunft von 2 Personen erfordert solche Sicherungsmaßnahmenin aller Regel nicht.
Da somit nach den getroffenen Feststellungen die Beschuldigung nicht erwiesen ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, war das Urteil des AG Saarbrücken aufzuheben und der Betr. freizusprechen. ..." (OLG
Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss Z 225-98 - 106-98 -).
***
Eine Versammlung i. S. des VersG liegt dann vor, wenn eine Mehrheit natürlicher Personen zusammenkommt, um gemeinsam Diskussionen zu führen oder/und eine Meinung kundzutun; entscheidend ist, daß die Veranstaltung auf
Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform ausgerichtet ist. Bei Veranstaltungen mit unterhaltendem oder kulturellem Charakter liegt keine Versammlung i. S. des VersG vor (hier: Kameradschaftsabend). Die
Öffentlichkeit einer Versammlung bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder eine individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfaßt. Einladungen nur an einen bestimmten Personenkreis führen zur Nichtöffentlichkeit
der Versammlung. Stellt der Veranstalter hingegen nicht sicher, daß nur die eingeladenen Personen Zutritt zu der Versammlung haben - man also ‚unter sich' bleibt -, liegt eine öffentliche Versammlung vor. Ein geselliges
Beisammensein von Parteitagsdelegierten und geladenen Gästen in engem Zusammenhang mit einem Parteitag ist eine Versammlung i. S. des VersG. Ob diese Versammlung öffentlich oder nichtöffentlich ist, bestimmt sich danach,
ob gewährleistet ist, daß man ‚unter sich' bleibt. Dürfen Einladungen frei kopiert und weitergeben werden , ist die Versammlung öffentlich. Die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde
im Rahmen des § 5 Nr. 4 VersG für ein Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räumen sind jedenfalls nicht geringer als diejenigen gemäß § 15 I VersG für ein Verbot einer Versammlung im Freien. Ein zum Einschreiten
berechtigender Sachverhalt liegt demzufolge erst dann vor, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist (OVG Weimar, Beschluss vom 29.08.1997 - 2 ZEO 1037/97 u.a. , NVwZ-RR 1998, 497).
Eine Versammlung i. S. des Versammlungsgesetzes ist eine Mehrheit von natürlichen Personen, die an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen verbindenden Zweck zusammenkommen, um unter Einwirkung auf die
Öffentlichkeit in einer öffentlichen Angelegenheit eine Diskussion zu führen und/oder eine kollektive Aussage zu artikulieren. Kulturelle und wissenschaftliche öffentliche Veranstaltungen erfüllen regelmäßig nicht den gesetzlichen
Versammlungsbegriff. In eine öffentliche Versammlung eingebundene Darbietungen (hier: musikalische und tänzerische Darbietungen sowie Straßentheater), die dem verbindenden Zweck dienen, in einer öffentlichen Angelegenheit
Stellung zu beziehen, werden vom Grundrechtsschutz des Art. 8 I GG erfaßt (VGH Mannheim, Entscheidung vom 27.05.1994 - 1 S 1397/94, NVwZ-RR 1995, 271).
Die Veranstaltung eines Straßenfestes mit Informationsständen politischer Organisationen und gelegentlichen, zeitlich nicht festgelegten politischen Ansprachen sowie musikalischen und theatralischen Darbietungen mit politischer
Aussage stellt keine Versammlung dar (VGH München, Entscheidung vom 13.05.1994 - 21 CE 94.1563, NVwZ-RR 1994, 581).
Das am Düsseldorfer Rheinufer in unmittelbarer Nähe des Landtags und der Regierungsgebäude errichtete Zeltlager demonstrierender Roma fällt unter den Versammlungsbegriff des § 1 VersG (OVG Münster, Entscheidung vom
23.09.1991 - 5 B 2541/91, NVwZ-RR 1992, 360).
Gegen externe Störungen einer öffentlichen Versammlung, die bezwecken, ihre ordnungsmäßige Durchführung zu verhindern, darf die Polizei aufgrund der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG BaWü) einschreiten; dem steht
die Spezialität des Versammlungsgesetzes nicht entgegen. Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, wenn in
absehbarer Zeit mit im wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu rechnen ist, für welche die Entscheidung von ‚richtungsweisender' Bedeutung ist. Wer durch sein Verhalten im Vorfeld oder Umfeld einer
Versammlung erkennen läßt, daß er auf deren Verhinderung aus ist, hat als (Anscheins-)Störer kein Zutrittsrecht, sondern darf durch die Polizei von der Versammlung ferngehalten werden (VGH Mannheim, Entscheidung vom
12.02.1990 - 1 S 1646/89, NVwZ-RR 1990, 602).
Das Versammlungsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage dafür, die Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen (LG
Hamburg, Entscheidung vom 06.03.1987 - 3 O 229/86, NVwZ 1987, 833).
Politische Straßentheater sind Versammlungen, soweit bei ihnen die künstlerischen Elemente offensichtlich hinter der politischen Meinungsäußerung zurücktreten (Versammlungsrechtliche Auflage setzen genügend detaillierte
Darlegung der von einem Aufzug unmittelbar für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohenden Gefahren an Hand von Tatsachen voraus (VGH München, Entscheidung vom 12.09.1980 - 21 CE/CS 80 A 1618, NJW 1981, 2428).
Bei der Errichtung und dem Betrieb eines Informationsstandes, an dem politische Schriften verteilt und Passanten in Gespräche verwickelt werden sollen, handelt es sich nicht um eine Versammlung, weil eine solche Veranstaltung auf
Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen, nicht aber auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform abzielt. Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne
weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Beschluss vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).
*** (VG)
Verdeckte Ermittler, die an Versammlungen teilnehmen, müssen sich zu erkennen geben (VG Göttingen, Urteil vom 06.11.2013 - 1 A 98/12):
"... Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivil bei ihren Versammlungen vom 05.09. und 10.10.2011 rechtswidrig war. ...
Sie trägt vor, die Polizeibeamten in Zivil hätten sich ihr gegenüber als Versammlungsleiterin nicht zu erkennen gegeben, obwohl sie hierzu nach § 11 Satz 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz verpflichtet gewesen seien. Bei
keiner der streitgegenständlichen Versammlungen habe es im Vorfeld Kooperationsgespräche zwischen ihr und der Polizei gegeben. Sie sei lediglich jeweils vor Versammlungsbeginn von dem polizeilichen Einsatzleiter zu dem
geplanten Ablauf befragt und polizeilich belehrt worden. Bei dem Gespräch vom 05.09.2011 sei von zivilen Einsatzkräften der Polizei nicht die Rede gewesen. Erst nachdem sie während der Versammlung von einem Vertreter der
Organisation ‚BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz' auf die Anwesenheit ziviler Polizeibeamter hingewiesen worden sei und den Einsatzleiter hierauf angesprochen habe, habe dieser die Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivil
bestätigt. Am 10.10.2011 habe sie aufgrund ihrer Erfahrung vom 05.09.2011 kurz vor Versammlungsbeginn von sich aus den Polizeieinsatzleiter aufgefordert, zivile Einsatzkräfte zu erkennen zu geben. Der Einsatzleiter habe zwar
bestätigt, dass auch Polizeikräfte in Zivil im Einsatz seien, weitere Angaben hierzu habe er jedoch verweigert. Die Legitimationspflicht für Polizeibeamte nach § 11 Satz 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz bestehe für jeden
nach Satz 1 dieser Vorschrift bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesenden Polizeibeamten. Soweit Polizeibeamte durch das Tragen einer Uniform als solche erkennbar seien, sei die Legitimationspflicht hierdurch erfüllt.
Polizeibeamte in Zivil müssten sich dagegen von sich aus gegenüber dem Versammlungsleiter als Polizisten zu erkennen geben. Sie seien auch nicht dann als Polizeibeamte erkennbar, wenn sie mit uniformierten Polizisten in einer
Gruppe zusammenständen. Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach jede Zivilperson, die sich in der Nähe von Polizeibeamten aufhält, selbst Polizist sei. Durch die Anwesenheit ziviler Polizeibeamter bei Versammlungen, die sich
nicht als Polizisten zu erkennen gäben, werde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz verletzt. Durch die heimliche Observation werde von der Teilnahme an Demonstrationen abgeschreckt und die
Versammlungsteilnehmer würden darin beeinträchtigt, ihre Meinungsfreiheit unbeschwert auszuüben. ...
Die Klage ist begründet. Die Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivil bei den Versammlungen der Klägerin vom 05.09. und 10.10.2011 war rechtswidrig, weil die Zivilbeamten ihrer Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG
nicht nachgekommen sind. Hierdurch wurde die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt.
Bei den Veranstaltungen der Klägerin in E. handelte es sich um öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel. Sie standen damit unter dem Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG, der das Recht aller Deutschen anerkennt, sich ohne
Anmeldung oder Erlaubnispflicht und ohne Waffen zu versammeln. Das Versammlungsrecht unter freiem Himmel kann nach Art. 8 Abs. 2 GG nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Es darf
Beschränkungen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG nur unterworfen werden, wenn diese dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Einschränkungen müssen zum Schutz eines mit der Versammlungsfreiheit kollidierenden
Rechtsguts geeignet, erforderlich und angemessen sein, weil der Schutz des anderen Rechtsguts gegenüber der Versammlungsfreiheit im konkreten Fall vorrangig ist (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007 - 1 BvR 943/02 - unter
Hinweis auf weitere Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen, juris). Diese allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen sind auch für die Auslegung und Anwendung des in § 11 NVersG geregelten Anwesenheitsrechts der
Polizei maßgebend, das eine Beschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch ein Gesetz unterhalb der Verfassungsebene darstellt. Das Anwesenheitsrecht der Polizei wirkt sich mittelbar einschränkend auf die
Ausübung der Versammlungsfreiheit aus und unterliegt deshalb eigenständig zu bestimmenden Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007, a.a.O., Rn. 39).
Nach § 11 Satz 1 NVersG kann die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesend sein, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. Die polizeilichen Aufgaben nach dem
Niedersächsischen Versammlungsgesetz sind der Schutz der Versammlung (§§ 4, 8 Abs. 3 NVersG) und die Abwehr von Gefahren, die von einer Versammlung ausgehen (§ 8 Absätze 1, 2 und 4 und § 10 NVersG). Die Anwesenheit
der Polizei bei Versammlungen dient der Erfüllung dieser Aufgaben (vgl. Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, Komm., § 11 Rn. 1). Das Anwesenheitsrecht der Polizei bei öffentlichen Versammlungen ist deshalb ein
erforderliches, geeignetes und angemessenes Mittel, damit die Polizei ihre Aufgaben nach dem Versammlungsgesetz erfüllen kann.
Nach § 11 Satz 2 NVersG haben sich nach Satz 1 anwesende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte der Leiterin oder dem Leiter zu erkennen zu geben. Diese Legitimationspflicht dient dazu, die Kooperation von Versammlungsleiter
und Polizei als zuständiger Behörde während der Versammlung zu erleichtern, indem dem Leiter eindeutig erkennbare Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden (Wefelmeier/Miller, Niedersächsisches Versammlungsgesetz,
Komm., § 11 Rn. 4). Mit dem Erkennengeben soll erreicht werden, dass der Versammlungsleiter die Polizei gegebenenfalls um Hilfe angehen kann, wenn es ihm nicht gelingt, mit eigenen Mitteln die Ordnung in der Versammlung
sicherzustellen (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, Komm., 15. Auflage, § 12 Rn. 19). Die Legitimationspflicht ist darüber hinaus unter dem Blickwinkel von Art. 8 Abs. 1 GG zu betrachten. Sie soll einer Unsicherheit der
Versammlungsteilnehmer darüber vorbeugen, ob sie während der Versammlung unwissentlich der Beobachtung durch die Polizei ausgesetzt sind; sie dient damit der Versammlungsfreiheit. Es ist nicht zu beanstanden, dass die
Legitimationspflicht der Polizei nur gegenüber dem Leiter der Versammlung besteht. Eine Legitimationspflicht gegenüber jedem einzelnen Versammlungsteilnehmer wäre praktisch kaum durchführbar und deshalb unverhältnismäßig.
Insofern ist es ausreichend, wenn der Versammlungsleiter umfassend über die Anwesenheit von Polizisten in der Versammlung informiert wird und er die erhaltenen Informationen an die Versammlungsteilnehmer weitergeben kann.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift besteht die Pflicht, sich zu erkennen zu geben, für jeden einzelnen Polizeibeamten. Es genügt nicht, wenn der Einsatzleiter dem Versammlungsleiter lediglich die Anzahl der anwesenden
Beamten mitteilt (vgl. Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11 Rn. 5; Ullrich, a.a.O., § 11 Rn. 6; a. A. wohl Dietel/Ginzel/Kniesel, a.a.O., § 12 Rn. 16). Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Pflicht, sich zu erkennen zu
geben, insbesondere bei Großveranstaltungen, auch dadurch genüge getan wird, dass die Einsatzkräfte durch Tragen einer Uniform als Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte erkennbar sind (LT-Drs. 16/2075, S. 23; so auch Ullrich,
a.a.O., § 11 Rn. 6; Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11 Rn. 4). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen in Zivil, die nicht bereits anhand ihrer Uniform als Polizisten zu erkennen sind, sich individuell
gegenüber dem Versammlungsleiter bzw. der Versammlungsleiterin zu erkennen geben müssen. Entscheidend bleibt die jederzeitige Unterscheidbarkeit von Versammlungsteilnehmern und Polizeibeamten (Ridder/Breitbach/ Rühl/
Steinmeier, Versammlungsrecht, Komm., 1. Auflage, § 12 Rn. 23).
Die Legitimationspflicht besteht nur für die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, die nach Satz 1 zur Erfüllung versammlungsgesetzlicher Aufgaben anwesend sind. Die Offenbarungspflicht gilt somit nicht für Beamte, die aus
sonstigen Gründen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung zugegen sind (vgl. LT-Drs. 16/2913, S. 13); bei diesen könnte die Offenbarung im Einzelfall die erfolgreiche Wahrnehmung ihrer Aufgaben gefährden
(Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11 Rn. 5; Ullrich, a.a.O., § 11 Rn. 7). Nach diesem Maßstab war die Anwesenheit von Polizeibeamten bei den Versammlungen der Klägerin vom 05.09. und 10.10.2011 rechtswidrig, da einzelne
Zivilbeamte ihrer Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG nicht nachgekommen sind.
Der Polizeieinsatz bei der Versammlung vom 05.09.2011 wurde von KOK O. geleitet, der laut schriftlicher Aussage von EPHK K., Leiter Einsatz und Streifendienst 1, in seiner Eigenschaft und Funktion als Kriminalbeamter im
Einsatz gewesen sei und deshalb Zivil getragen habe. Laut schriftlicher Stellungnahme von KOK O. vom 25.09.2013 hat dieser kurz vor Beginn der Mahnwache mit der Klägerin ein Kooperationsgespräch geführt, an welchem auch
POK Ka., der uniformiert gewesen sei, teilgenommen habe. Demnach war der Klägerin aufgrund dieses Gesprächs - dass überhaupt ein Gespräch vor Versammlungsbeginn stattgefunden hat, hat die Klägerin nicht bestritten - zwar
bekannt, dass ein Polizist in Zivil, nämlich KOK O., bei der Versammlung anwesend war. Lt. Aussage von KOK O. wurde der Klägerin jedoch nicht mitgeteilt, dass bei der Versammlung noch zwei weitere Polizeibeamte in Zivil
anwesend waren. KOK O. hat nach seinen eigenen Angaben die Klägerin lediglich allgemein auf die Anwesenheit von Polizeieinsatzkräften hingewiesen. Als die Klägerin ihn zehn Minuten nach Versammlungsbeginn aufgesucht und
sich darüber beschwert habe, dass sie nicht über die Anwesenheit weiterer Polizeibeamten in Zivil informiert worden sei, habe er der Klägerin entgegnet, dass die Anwesenheit von Zivilbeamten dadurch konkludent angezeigt worden
sei, dass er als Einsatzleiter Zivilkleidung trage. Er habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr kein Auskunftsrecht über die Anwesenheit jedes einzelnen Zivilbeamten zustehe. Demnach hat KOK O. selbst eingeräumt, dass die
weiteren zwei anwesenden Polizeibeamten in Zivil sich nicht im Sinne des § 11 Satz 2 NVersG gegenüber der Klägerin zu erkennen gegeben haben. Diese Polizeibeamten waren auch gemäß Satz 1 zur Erfüllung von Aufgaben nach
dem Versammlungsgesetz anwesend, wie sich ebenfalls aus den Stellungnahmen von EPHK K. und KOK O. ergibt. Danach hatten die Zivilbeamten die Aufgabe, Informationen über die Versammlung zu gewinnen und im Vorfeld
aufzuklären, ob Lageänderungen (z.B. spontane oder geplante Änderungen des angemeldeten Versammlungsverlaufs) zu erwarten seien, auf die polizeilich zu reagieren sei, um einen reibungslosen Versammlungsverlauf auch in
solchen Fällen zu gewährleisten. Gegebenenfalls sollten sie dann erforderliche Beweissicherungs- und Dokumentationsmaßnahmen vornehmen, z.B. ggfs. nach § 12 NVersG Video- und Fotoaufnahmen fertigen. Demnach war es ihre
Aufgabe, für einen störungsfreien Verlauf der Versammlung zu sorgen.
Der Verstoß gegen die Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG hat die Rechtswidrigkeit der Anwesenheit dieser beiden Polizeibeamten in Zivil zur Folge. Soweit der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass es sich bei der
Anwesenheit der Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel um einen verhältnismäßig geringfügigen Grundrechtseingriff handele (LT-Drs. 16/2913, S. 13), begründet dies lediglich die niedrige Eingriffsschwelle nach § 11 Satz
1 NVersG (vgl. Wefelmeier/Miller, a.a.O. § 11 Rn. 2). Die Legitimationspflicht ist wesentliche Ausgestaltung der Art und Weise des Zutrittsrechts. Ein Verstoß hiergegen macht den Zutritt der Polizei ebenfalls rechtswidrig (so
Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., § 12 Rn. 16). Der Auffassung der Beklagten, die Missachtung der Legitimationspflicht sei ein bloßer Ordnungsverstoß und mache die Anwesenheit der betroffenen Polizeibeamten nicht
rechtswidrig (so auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 12 Rn. 20), wird nicht gefolgt.
Der Polizeieinsatz bei der Versammlung vom 10.10.2011 wurde von PHK P. geleitet. Bei dieser Versammlung waren laut schriftlicher Aussage von PHK P. vom 10.10.2013 vier Polizeibeamte in Zivil und eine
Fachoberschulpraktikantin, Fachrichtung Polizei (wohl auch in Zivil), eingesetzt. Die Fachoberschulpraktikantin R. und zwei Polizeibeamte der Tatortgruppe in Zivil hätten sich bei ihm am und im Funkstreifenwagen befunden. Die
Beamten der Tatortgruppe seien für die Beweissicherung und Dokumentation bei entsprechender Lageänderung vorgesehen gewesen. Zwei weitere Polizeibeamte in Zivil des Fachkommissariats 4 seien mit dem Auftrag Aufklärung
unterwegs gewesen. Bei seinem Kooperationsgespräch mit der Klägerin habe diese verlangt, dass sich Polizisten in Zivil ihr gegenüber zu erkennen geben. Dem habe er nicht entsprochen, da er bereits allgemein auf die Anwesenheit
von Zivilbeamten hingewiesen gehabt habe (s. Verlaufsbericht zur Mahnwache vom 10.10.2011, Bl. 53 Gerichtsakte). Diese Angaben hat Fachoberschulpraktikantin R., die bei dem Kooperationsgespräch dabei war (Stellungnahme P.
vom 24.06.2012), in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 23.06.2012 bestätigt. Demnach waren für die Klägerin PHK P. und Fachoberschulpraktikantin R. als Polizeibeamte in Zivil erkennbar. Das Gleiche gilt für denjenigen
Zivilbeamten der Tatortgruppe, der mit einer Filmkamera im Funkstreifenwagen saß, und den die Klägerin gebeten hatte, nicht zu filmen, denn für die Klägerin dürfte aufgrund dessen erkennbar gewesen sein, dass es sich bei dieser
Person um einen Polizisten in Zivil handelte. Anders verhält es sich bei dem Zivilbeamten der Tatortgruppe, der beim Funkstreifenwagen in der Nähe von KHK P. stand. Entgegen der Auffassung der Beklagten musste die Klägerin
nicht davon ausgehen, dass es sich auch bei ihm um einen Polizeibeamten handelte. Nicht jeder Mensch in Zivil, der sich in der Nähe von Polzisten aufhält, ist auch selbst ein Polizist. Die Zivilbeamten der Tatortgruppe waren auch im
Sinne des § 11 Satz 1 NVersG zur Erfüllung von Aufgaben nach dem Versammlungsgesetz anwesend. Ihr Auftrag ‚Beweissicherung und Dokumentation' beinhaltete, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Beweissicherung und
Dokumentation in Ton, Bild und Schrift auszuschöpfen (s. Stellungnahme EPHK K. vom 28.10.2013, Bl. 98 f. Gerichtsakte); er diente sowohl dem Schutz der Versammlung als auch dazu, Gefahren, die von der Versammlung selbst
ausgehen, zu unterbinden, und setzte eine Beobachtung der Versammlung voraus. Die beiden weiteren Polizeibeamten in Zivil mit dem Auftrag ‚Aufklärung', der eine anlassbezogene, offene Aufklärung im Stadtgebiet, insbesondere
am Veranstaltungsort bzgl. Anzahl und Absicht der Teilnehmer beinhaltete (s. Stellungnahme EPHK K. vom 28.10.2013, Bl. 98 f. Gerichtsakte), waren ebenfalls zur Erfüllung versammlungsspezifischer Aufgaben nach § 11 Satz 1
NVersG anwesend. Da sie sich der Klägerin gegenüber nicht zu erkennen gegeben haben, war ihre Anwesenheit bei der Versammlung ebenfalls rechtswidrig. ..."
***
„... 1. Bei der geplanten ‚Hanfparade 2011' handelte es sich um eine Versammlung i. S. d. § 1 Abs. 1 VersammlG. Dies gilt auch für die geplante Abschlussveranstaltung. Dagegen handelte es sich nicht um eine Versammlung, soweit
der ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' bereits in der Zeit von 13 Uhr bis zum Eintreffen des Umzuges am Ort der Abschlussveranstaltung geöffnet sein sollte.
Die auf §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung des Beklagten, dass es sich bei der Abschlussveranstaltung der ‚Hanfparade 2011' insgesamt nicht um eine Versammlung handele, geht von einer zu engen Auslegung
des Versammlungsbegriffs aus (vgl. zur Rechtsgrundlage derartiger Bescheide OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4/05 -, juris). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das
ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen
gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23/06 -, juris, Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu begrenzen
ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris, Rn. 19, und vom 7. März 2011
- 1 BvR 388/05 -, juris, Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Es ist
deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf Zusammenkünfte
traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 60).
Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen
allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik oder auch Tanz
verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23/06 -, juris, Rn. 15).
Enthält eine Veranstaltung - wie vorliegend die ‚Hanfparade 2011' - sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist
entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung
behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 -, juris, Rn. 29).
Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch ‚gemischten' Veranstaltung erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht Folgendes ausgeführt (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23/06 -, juris, Rn. 17 f.):
‚Die Beurteilung, ob eine ‚gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die
Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die
Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen,
die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten
Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung
einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen
Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer
bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die
nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht
wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen
werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In
diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss
an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind.
Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden
Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach
eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine
Versammlung zu behandeln.'
2. Gegenstand der somit erforderlichen Würdigung der einerseits auf öffentliche Meinungsbildung gerichteten und andererseits nicht darauf gerichteten Elemente ist vorliegend auf der einen Seite die Auftaktveranstaltung am
Alexanderplatz, der Umzug durch die Innenstadt Berlins und die sich daran anschließende Abschlussveranstaltung und auf der anderen Seite der ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' in der Zeit ab der geplanten Eröffnung des Marktes um
13 Uhr bis zum Eintreffen des Umzuges gegen 16 Uhr. Insoweit ist eine getrennte Beurteilung erforderlich, weil es an einem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen beiden Veranstaltungsteilen - wäre die
Abschlussveranstaltung wie geplant durchgeführt worden - gefehlt hätte.
Für die räumlich-zeitliche Abgrenzung einer Versammlung ist entscheidend, ob die einzelnen Aktionen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen; eine enge zeitliche Begrenzung ist dabei allerdings ebenso wenig
Wesensmerkmal der Versammlung wie eine enge räumliche Begrenzung (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 1, Rn. 211). Daran gemessen waren die Auftaktveranstaltung am Alexanderplatz, der Umzug
durch die Innenstadt Berlins und die sich daran anschließende Abschlussveranstaltung unmittelbar verbunden. Dieser Veranstaltungsteil begann und endete jeweils mit einer Rede des Versammlungsleiters und stand unter dem
einheitlichen Motto ‚40 Jahre sind genug - BtmG ade'. Die Paradewagen sollten nach ihrem Eintreffen am Ort der Abschlussveranstaltung teilweise in die Abschlussveranstaltung integriert werden. In personeller Hinsicht wäre
Kontinuität jedenfalls durch die ständig am ‚sich bewegenden' Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren gewahrt gewesen.
Zu diesem Geschehen hätte der geplante ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' in der Zeit von 13 bis 16 Uhr nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang gestanden. In diesem Zeitraum wäre der ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' von der
übrigen Veranstaltung räumlich vollständig getrennt gewesen. Eine personelle Überschneidung hätte es bis zum Eintreffen des Umzuges ebenfalls nicht gegeben. Es liegen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass für
einen Außenstehenden, der den ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' in der Zeit zwischen 13 und 16 Uhr besucht hätte, die behauptete inhaltliche Verbindung zwischen den parallel geplanten Veranstaltungsteilen erkennbar gewesen wäre.
Dem Flyer der ‚Hanfparade 2011' lässt sich eine solche Verbindung nicht entnehmen. Darin wird als Ausgangspunkt allein die Auftaktveranstaltung am Alexanderplatz beschrieben, indem es dort heißt (vgl. Bl. 20 des
Verwaltungsvorgangs): ‚Berlin, 6. August 2011, Start 13 Uhr Alexanderplatz, […] Umzug mit vielen Paradewagen, ab 16 Uhr Kundgebung am Brandenburger Tor mit Forum für Hanfmedizin, Nutzhanfareal und Hanfmarkt'. Im
Übrigen wird der in der Zeit von 13 bis 16 Uhr fehlende unmittelbare Bezug des ‚Hanfmarktes der Möglichkeiten' zu den übrigen Veranstaltungsteilen auch daran deutlich, dass das ‚Forum für Hanfmedizin' und das ‚Nutzhanfareal',
die mit ihrem rein informierenden Angebot noch am ehesten eine Verbindung zu der sich am Alexanderplatz in Bewegung setzenden Veranstaltung hätten herstellen können, erst ab 16 Uhr zugänglich gewesen wären.
3. Bei der somit getrennt - zunächst hinsichtlich der im Flyer beschriebenen Veranstaltungsteile (Auftakt am Alexanderplatz, Parade, Abschlussveranstaltung ab 16 Uhr) - vorzunehmenden Erfassung derjenigen Modalitäten, die auf die
Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind insbesondere die Themen der Gesamtveranstaltung: Entstigmatisierung der Hanfpflanze als Drogenpflanze, Förderung von Hanf als Nutzpflanze, Zugang von Patienten zu
Cannabismedizin, Abschaffung des Hanfverbots im Betäubungsmittelgesetz und Legalisierung des Cannabiskonsums, zu berücksichtigen. Diese Forderungen waren auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung und
-kundgabe gerichtet. Sie waren auf den Paradewagen, auf den bei der Parade mitgeführten Plakaten und auf T-Shirts der Veranstaltungsteilnehmer zu sehen (vgl. die Fotodokumentation auf der Internetseite
http://www.hanfparade.de/archiv/2011/#fotos - Stand: 11. Dezember 2012) und wurden in Redebeiträgen artikuliert. Darüber hinaus sprechen im vorliegenden Fall auch solche Umstände für das Vorliegen einer Versammlung, die
nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort' wahrgenommen werden konnten, wie die Ausführungen im Internetauftritt des Klägers im Vorfeld der ‚Hanfparade 2011' (vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit solcher Umstände BVerwG,
Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23/06 -, juris, Rn. 17). Auch diese Ausführungen zeigen, dass die Veranstaltung auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gerichtet war. Dort heißt es (vgl. Bl. 20 des Verwaltungsvorgangs):
‚Das Betäubungsmittelgesetz hat seit seiner Einführung im Dezember 1971 millionenfaches Leid verursacht. Allein im Jahr 2009 gab es in Deutschland mehr als 134.000 Verfahren gegen Cannabisnutzer. In knapp 80 Prozent der Fälle
ging es dabei nur um Konsumentendelikte. Mehr als 18.000 Menschen sind derzeit wegen des risikoarmen Genussmittels Cannabis im Gefängnis. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben! Wir fordern: Weg mit dem BtMG! Denn das
Cannabisverbot verursacht längst mehr Elend, als es ein legaler Hanfmarkt je könnte. […] Hilf uns, Cannabis zu legalisieren!'
Mit diesen auf öffentliche Meinungsbildung gerichteten Elementen hätten Stände und -foren der Abschlussveranstaltung mit einem reinen Informationsangebot in einem inneren Zusammenhang gestanden. Denn das
Informationsangebot zur Hanfpflanze und ihren legalen Verwendungsmöglichkeiten hätte dazu gedient, das politische Motto der Veranstaltung zu vermitteln und bei den Außenstehenden den angestrebten Vorgang der
Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform einzuleiten und zu fördern (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. August 2007 - 6 C 22/06 -, juris, Rn. 20). Die reinen Informationsstände gehören daher entgegen der Auffassung des
Beklagten zu den auf öffentliche Meinungsbildung gerichteten Elementen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 11. Mai 2011 - 1 L 148/11 -, juris, Rn. 12).
Ebenfalls in einem inneren Zusammenhang mit dem Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und -äußerung hätten Verkaufsstände auf der Abschlussveranstaltung der ‚Hanfparade 2011' gestanden, an denen Trinkwasser zum
Selbstkostenpreis angeboten worden wäre. Zwar gehört das Aufstellen von Imbiss- und Verkaufsständen in der Regel nicht zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Tätigkeiten (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 9. August 2012 - VG
1 L 188/12 -, juris, Rn. 5; VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 1 S 1957/93 -, NVwZ-RR 1994, 370). Wird jedoch ausschließlich Trinkwasser zum Selbstkostenpreis verkauft, erscheint es ausgeschlossen, dass damit
andere Zwecke verfolgt werden, als die Teilnahme an der Veranstaltung zum Zwecke der Meinungsbildung und -kundgabe physisch zu gewährleisten. Insoweit ist die Annahme des erforderlichen inneren Zusammenhangs mit der
Versammlung ausnahmsweise gerechtfertigt. Dies gilt im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb, weil - nach dem insoweit glaubhaften Vorbringen des Veranstaltungsleiters in der mündlichen Verhandlung - die Selbstversorgung durch
mitgebrachte Getränke auf Veranstaltungen wie der ‚Hanfparade 2011' regelmäßig durch polizeiliche Kontrollen, die sich gegen Flaschen als mögliche Wurfgeschosse richten, erschwert wird. Die Veranstaltungsteilnehmer auf
Eigenversorgung zu verweisen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 9. August 2012 - VG 1 L 188/12 -, juris, Rn. 5), ist insoweit nicht ohne Weiteres möglich.
Zu den im zweiten Schritt zu erfassenden, nicht auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Elementen der ‚Hanfparade 2011' gehören die nach dem Veranstaltungskonzept auf den Bühnen vorgesehen Musikdarbietungen, da
keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese thematisch auf das Veranstaltungsmotto Bezug nehmen (vgl. das vorläufige Bühnenprogramm, Bl. 13 des Verwaltungsvorgangs). Ebenso zu den nicht auf öffentliche Meinungsbildung
gerichteten Elementen zählen die Verkaufsstände des ‚Hanfmarktes der Möglichkeiten'. Auch den Verkaufsständen fehlt - soweit nicht Trinkwasser zum Selbstkostenpreis verkauft werden sollte (siehe oben) - der notwendige innere
Zusammenhang zu dem durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Art. 8 GG soll das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen
zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung - kollektive Aussage - schützen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, NJW 1985, S. 2395 [2396]). Die Imbiss- und sonstigen Verkaufsstände, die
der Kläger anlässlich der ‚Hanfparade 2011' am Ort der Abschlussveranstaltung aufstellen lassen wollte, dienen nicht unmittelbar diesem Zweck. Dies gilt auch, soweit an ihnen Hanfprodukte oder Produkte mit Bezug zur Hanfpflanze
(z.B. Konsumzubehör) verkauft werden sollten. Denn nach dem Veranstaltungskonzept sollten diese Stände Herstellern und Händlern die Möglichkeit geben, ‚sich im Rahmen einer Open-Air-Hanfmesse zu präsentieren' (vgl. Bl. 39
des Verwaltungsvorgangs). Eine solche ‚Präsentation' von Waren ist einseitig als Verkaufsangebot angelegt und verfolgt daher nicht den Zweck, auf die kollektive Meinungsbildung und -äußerung Einfluss zu nehmen. Auch die im
Veranstaltungskonzept vorgesehenen Verzehrstände weisen den erforderlichen inneren Zusammenhang zum Versammlungszweck nicht auf. Sie sind für die Durchführung der Veranstaltung nicht zwingend notwendig. Den
Veranstaltungsteilnehmern steht es frei, eigene Verpflegung von Anfang an mitzuführen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 9. August 2012 - VG 1 L 188/12 -, juris, Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. August 2012 -
OVG 1 S 111/12 -, unveröffentlicht, S. 3). Die Eigenverpflegung mit Essen (z.B. mit Broten) wird auch nicht - anders als die Selbstversorgung mit Trinkwasser durch mitgeführte Flaschen (siehe oben) - durch mögliche polizeiliche
Kontrollen beeinträchtigt.
Die im Veranstaltungskonzept als Überdachung vorgesehenen drei Zelte für das ‚Nutzhanfareal', das ‚Forum für Hanfmedizin' und das ‚Kinderland' mit einer Größe zwischen 9 x 24 Metern und 9 x 12 Metern gehören ebenfalls nicht
zu den auf öffentliche Meinungsbildung gerichteten Elementen. Sie dienen lediglich dem bei Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich nicht vom Versammlungszweck abgedeckten Schutz der Teilnehmer vor
witterungsbedingten Einflüssen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2012 - OVG 1 S 108/12 -, juris, Rn. 9). Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2007 (6
C 22/06, juris), wonach eine Veranstaltung, die auch informative Elemente enthält, eine Versammlung darstellt, wenn sie nach der Konzeption einen Rahmen bieten soll, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an
der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen (siehe oben). Der Gestaltungsspielraum des Veranstalters einer Versammlung unter freiem Himmel geht nicht so weit, dass das Grundrecht aus Art. 8 GG allgemein eine
Überdachung der Versammlungsfläche umfassen würde (Vgl. VG Berlin, Beschluss vom 25. August 2011 - 1 L 282/11 -, juris, Rn. 10). Auch aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.
November 2012 - 3 M 743/12; VG Halle, Beschluss vom 11. November 2012 - 3 B 652/12 HAL) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der in diesen Entscheidungen angenommene funktionale Zusammenhang der Zelte mit dem
Versammlungsanliegen ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Eine andere Beurteilung ergibt sich allenfalls für das Zelt des ‚Forums für Hanfmedizin'. Sofern es - wovon nach dem Beteiligtenvorbringen in der mündlichen
Verhandlung auszugehen ist - zutrifft, dass der Beklagte dieses Zelt selbst für notwendig erachtet hat, um einen aus medizinischen Gründen legalen öffentlichen Konsum von Cannabis unter freiem Himmel zu unterbinden, bestehen
aus Sicht der Kammer keine Bedenken gegen eine Zulassung durch den Beklagten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Das ‚Kinderland' stellt auch im Übrigen kein auf öffentliche Meinungsbildung gerichtetes Element der ‚Hanfparade 2011' dar. Nach den Angaben des Klägers sollten die kleinsten Paradebesucher im ‚Kinderland' Zuflucht vor der
Hektik der Abschlusskundgebung suchen. Als Ort der Abschirmung sollte es damit gerade nicht Bestandteil der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung sein (vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 28. August 1998 - 1 A 383/98 -,
unveröffentlicht, S. 3).
Eine andere Beurteilung der so erfassten, nicht auf öffentliche Meinungsbildung gerichteten Elemente der Veranstaltung ergibt sich darüber hinaus nicht aus Art. 11 EMRK bzw. aus Art. 12 EU-GR-Charta. Die Gewährleistungen der
EMRK in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beeinflussen die Auslegung der Grundrechte und sind bei der Auslegung des innerstaatlichen Rechts von den Fachgerichten zu berücksichtigen
(vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - juris, Rn. 30). Es ist aber nicht erkennbar, dass aus der Rechtsprechung des EGMR ein Gebot folgt, Verzehrstände, Zelte und Schutzorte für Kinder allgemein als
Versammlungsbestandteile anzusehen. Die EU-GR-Charta gilt darüber hinaus gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Mit der Klage wird jedoch weder dargelegt, inwieweit
vorliegend der Anwendungsbereich der Verträge eröffnet sein soll, noch dass hier die Durchführung des Rechts der Union in Rede steht.
Die im dritten Schritt vorzunehmende Gesamtschau führt zu einem Überwiegen der auf Meinungskundgabe und -äußerung gerichteten Elemente. Prägend für die ‚Hanfparade 2011', einschließlich der Abschlussveranstaltung, war die
kollektive Meinungsbildung und -äußerung, insbesondere durch die Parade, Paradewagen, Redebeiträge und Informationsangebote. Die Zelte auf der Abschlussveranstaltung wären von Außenstehenden nicht als versammlungsfremd
wahrgenommen worden. Auch die Verkaufsstände wären nicht derart bestimmend gewesen, dass die Annahme eines Überwiegens der versammlungsfremden Elemente gerechtfertigt ist. Sie wären zwischen die
veranstaltungsprägenden Paradewagen und Informationsangebote platziert worden und hätten - da ausschließlich hanfbezogene Produkte verkauft werden sollten - zumindest einen thematischen Bezug zum Versammlungsanliegen
erkennen lassen. Die Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis, wie sie insbesondere auf den Bühnen und Paradewagen und an den Informationsständen artikuliert werden sollte, wäre als dominierend angesehen worden und
die Musik- und Unterhaltungsanteile lediglich als Mittel zum Zweck, den inhaltlichen Forderungen Gehör zu verschaffen. Dieses Ergebnis der Gesamtschau hat grundsätzlich auch der Beklagte anerkannt, indem er wesentliche Teile
der ‚Hanfparade 2011' als Versammlung behandelt hat. Zu dem Ergebnis, die Abschlussveranstaltung nicht als Versammlung anzusehen, konnte der Beklagte nur deshalb kommen, weil er die Abschlussveranstaltung unzulässig
vollständig (nicht nur hinsichtlich des ‚Hanfmarktes der Möglichkeiten' in der Zeit zwischen 13 und 16 Uhr) getrennt, mit einem entsprechend stärkeren Gewicht der aus seiner Sicht versammlungsfremden Informationsangebote,
gewürdigt hat. Nach alledem ist die ‚Hanfparade 2011', einschließlich der Abschlussveranstaltung ab Eintreffen des Umzuges, als Versammlung anzusehen.
4. Dagegen wäre der ‚Hanfmarkt der Möglichkeiten' in der Zeit von 13 Uhr bis zum Eintreffen des Umzuges keine Versammlung gewesen. Insoweit treten versammlungsrechtliche Elemente hinter den reinen Informationsanliegen so
stark zurück, dass das Gesamtgepräge nicht als Versammlung gewertet werden kann. Als versammlungsrechtliche Elemente des ‚Hanfmarktes der Möglichkeiten' kommen nur die im Veranstaltungskonzept beschriebenen, etwa 33
Informationsstände in Betracht. Deren Zahl unterschreitet die der übrigen (Verkaufs-)Stände erheblich. Zudem vermögen Informationsstände für sich genommen die Versammlungseigenschaft nicht begründen. Informationsangebote
können lediglich Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung sein, die hier nicht vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. August 2007 - 6 C 22/06 - juris, Rn. 15). ..." (VG Berlin, Urteil vom 11.12.2012 - 1 K 354.11)
***
Die zu verdachtsunabhängigen Identitätskontrollen in sog. Gefahrengebieten ermächtigende Norm des § 4 Abs. 2 PolDVG (juris: PolDVG HA) begegnet bei verfassungskonformer Auslegung keinen durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken. Unter einer Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen i.S.d. § 4 Abs. 2 PolDVG (juris: PolDVG HA) ist eine genauere Betrachtung der durch den Betroffenen mitgeführten Gegenstände zu verstehen,
die in ihrer Tiefe und Gründlichkeit hinter einer Durchsuchung zurückbleibt und bei der ein tieferes Eindringen in die Privatsphäre des Betroffenen vermieden wird.§ 12b Abs. 2 SOG (juris: SOG HA) setzt zwar nicht das Vorliegen
einer Gefahr, aber neben einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Straftatbegehung eine einzelfallbezogene möglichst umfassende Ermittlung der zur Verfügung stehenden Indiztatsachen voraus. Die Eintragung in den polizeilichen
Datenbanken als "Straftäterin links motiviert" lässt für sich genommen den Schluss auf eine Straftatbegehung durch den Betroffenen nicht mit der gem. § 12b Abs. 2 SOG (juris: SOG HA) erforderlichen hinreichenden
Wahrscheinlichkeit zu. Eine zur Durchsetzung eines rechtswidrigen Aufenthaltsverbots verfügte Ingewahrsamnahme gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4 SOG (juris: SOG HA) ist selbst rechtswidrig (VG Hamburg, Urteil vom 02.10.2012 - 5 K 1236/11):
***
„... (ee) Es bestehen zudem durchgreifende Zweifel, ob gegen Verhaltensstörer gerichtete Maßnahmen am Spieltag geeignet sind, die bestehende Gefahr wirksam abzuwehren.
In Betracht kommen insoweit zunächst Platzverweisungen nach § 12a SOG oder Aufenthaltsverbote nach § 12b Abs. 2 SOG sowie Ingewahrsamnahmen nach § 13 SOG. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, solche Maßnahmen
seien nicht geeignet, die zu befürchtenden Auseinandersetzungen wirksam abzuwehren, erscheint nachvollziehbar. Denn es ist davon auszugehen, dass die für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Maßnahmen
erforderlichen konkreten Anhaltspunkte in der Regel bereits in gewalttätigen Verhaltensweisen bestehen werden. Es würde somit zur Verwirklichung der Gefahr kommen, um deren Abwehr es im vorliegenden Fall gerade geht. Wegen
der besonderen gruppendynamischen Prozesse bei Ausschreitungen dieser Art besteht außerdem die Gefahr, dass Maßnahmen gegen einzelne Personen nach bereits begangenen Rechtsgutsverletzungen zu weiteren Angriffen auf die
einschreitenden Polizeikräfte durch Unterstützer führt.
Nicht hinreichend geeignet zur wirksamen Gefahrenabwehr dürfte auch die Einrichtung eines sog. Gefahrengebietes nach § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (HmbGVBl. 1991, S.
187) - PolDVG - sein. Nach dieser Vorschrift darf die Polizei im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen,
soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur vorbeugenden Bekämpfung der Straftaten erforderlich ist.
Zum einen ist bereits sehr zweifelhaft, ob mit der Ausweisung von Gefahrengebieten angesichts der Zahl erwarteter Problemfans alle möglichen Orte gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Fangruppen
erfasst würden. Die in der Vergangenheit geschehenen Ausschreitungen belegen nach den vorgelegten Berichten, dass Verfolgungen und Angriffe über weite Strecken, von der Ankunfts- bis zu Abreisephase der Gästefans, versucht
werden, und sich nicht auf das nähere Umfeld des Fußballstadions beschränken. Außerdem verhindert die Ausweisung eines Gefahrengebiets nicht, dass sich größere Gruppen der gegnerischen Fanlager in diesem Gebiet begegnen. Die
nach § 4 Abs. 2 PolDVG erweiterten Kontrollbefugnisse der Polizei erscheinen nicht geeignet, gewalttätige Ausschreitungen größerer Problemfangruppen wirksam in den Griff zu bekommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Übergriffe anlässlich der Begegnungen in der Vergangenheit von einer erheblichen Gewaltbereitschaft auch gegenüber den Polizeikräften geprägt waren.
(ff) Die Ausschreitungen anlässlich der früheren Begegnungen legen zudem nahe, dass auch die Bündelung der genannten Maßnahmen nicht geeignet wäre, die bevorstehenden Gefahren wirksam abzuwehren. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die von der Antragsgegnerin genannten Zahlen, welche Personen als Adressaten für diese Präventivmaßnahmen unter Berücksichtigung der rechtlichen Voraussetzungen in Betracht kommen, nicht einfach addiert
werden können und die Summe von der Anzahl der erwarteten Problemfans abgezogen werden kann. Denn der mögliche Adressatenkreis der verschiedenen Maßnahmen wird sich häufig überschneiden, so dass sie kumuliert
gegenüber denselben Personen angewendet werden können. Selbst wenn im Übrigen eine maximale Zahl von Problemfans von den genannten Einzelmaßnahmen erfasst werden könnte, würden unter Berücksichtigung der von der
Antragsgegnerin vorgelegten Zahlen immer noch viele hundert Problemfans am Spieltag in Hamburg präsent sein. ..." (VG Hamburg, Beschluss vom 02.04.2012 - 15 E 756/12)
***
„... I. 1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß
§ 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der
Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu.
Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffer 1., 2.9 und 2.11 des angegriffenen Bescheids mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Insoweit erweist er sich aller Voraussicht
nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Bei rechtsbeschränkenden Eingriffen bei Versammlungen gelten folgende Voraussetzungen: Erstens muss jede einzelne Anordnung eine Rechtsgrundlage haben, zweitens steht die Anordnung der Behörde, falls sie nicht schon
zwingend von Gesetzes wegen zu treffen ist, im Ermessen der Behörde, drittens ist diese Ermessensentscheidung - wie jede Ermessensentscheidung - fehlerfrei zu treffen, aber auch zu begründen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. März 2011 betreffend die Kürzung der beantragten Wegstrecke als rechtswidrig.
Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient die
Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten. Lässt ein angefochtener Bescheid entgegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG nicht erkennen, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung maßgeblich waren, ist von einem
materiellen Ermessensmangel auszugehen, denn Ermessen ist nicht zu ‚beachten', sondern im Einzelfall auszuüben (BayVGH, B.v. 26.02.2009, Az: 4 CS 08.3123). Ausnahmen vom Begründungserfordernis, die sich nur aus dem
Gesetz ergeben können, sind vorliegend nicht ersichtlich. Angesichts der hohen Bedeutung der Begründung einer Ermessensentscheidung ist erforderlich, dass jede einzelne konkrete Anordnung begründet wird, eine pauschale
Begründung für die Gesamtheit der Beschränkungen reicht nicht aus.
Aufgrund dessen ist es bereits sehr fraglich, ob die angeordnete Routenänderung allein durch den Hinweis auf die erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Personennahverkehrs als ausreichend begründet angesehen
werden kann. Jedenfalls genügt sie in der Sache nicht, um die Auflage gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu begründen. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des
Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Wegen der grundlegenden
Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der ‚erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis setzt
- tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus,
- bloße Verdachtsmomente und
- Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001, NJW 2001, 1404).
Der Prognosemaßstab der ‚unmittelbaren Gefährdung' erfordert, dass der
- Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Notwendig ist dabei immer
- ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnis oder Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung.
- Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001, NJW 2001, 2078).
Vorliegend fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zwar zählt die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit.
Inwieweit hier aber, wie von Art. 15 Abs. 1 BayVersG gefordert, eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, ist nicht konkret dargelegt. Auch in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2011 beruft sich die Antragsgegnerin lediglich pauschal
auf die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere angesichts der beabsichtigten Zeitschiene, die mit dem Berufsverkehr kollidiert. Es wird allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt,
worin diese Beeinträchtigungen im Einzelnen bestehen sollen (z.B. welche Linien betroffen sind oder mit welchen Verspätungen zu rechnen ist). Auch aus der E-Mail der ... ergibt sich hierzu nichts, die sich ebenfalls lediglich
pauschal auf massive Beeinträchtigungen beruft.
Bei der Wahl ihres Vorgehens ist von der Versammlungsbehörde zudem zu beachten, dass dem Veranstalter durch Art. 8 Abs. 1 GG die grundsätzliche Befugnis eingeräumt ist, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung
selbst zu entscheiden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.01.2006, Az: 1 BvQ 4/06, NVwZ, 2006, 586). Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt zwar nicht uneingeschränkt. Bei der Beeinträchtigung öffentlicher Straßen und Flächen durch eine
Versammlung ist allerdings auch maßgeblich auf den Widmungszweck derselben abzustellen. Bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt,
kommen Einschränkungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Vorsaussetzungen in Betracht (vgl. VGH Kassel, B.v. 31.07.2008, Az: 6 B 1629/08). Dies gilt hier umso mehr, als hier wohl vornehmlich nicht die
Sicherheit, sondern lediglich die Leichtigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Verkehrsbeeinträchtigungen, die sich zwangsläufig aus der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke ergeben, sind
grundsätzlich hinzunehmen. Derartige Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, werden Dritte
grundsätzlich zu ertragen haben. Die zuständige Behörde hat im Sinne praktischer Konkordanz für einen möglichst schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen.
Soweit die Antragsgegnerin auf Erfahrungen aufgrund der ‚Montagsspaziergänge' abstellt, so ist bereits nicht dargelegt, ob es sich hierbei um eine mit der vorliegenden vergleichbare Versammlung handelt. So ist insbesondere nicht
dargelegt, welche Teilnehmerzahlen bei den ‚Montagsspaziergängen' vorherrschen und für welche Dauer die Straßenbahnstrecke in Anspruch genommen wird.
3. Auch die Ziffer 2.9 des angegriffenen Bescheids erweist sich als voraussichtlich rechtswidrig. Unabhängig davon, dass die geforderte Ordnerzahl von sieben Ordnern bis zu einer Teilnehmerzahl von 100 Personen sowie ein weiterer
Ordner pro zusätzlich angefangener 20 Teilnehmer vom Üblichen deutlich nach oben abweicht (vgl. z.B. Urteil der erkennenden Kammer vom 12.03.2009, Az: W 5 K 08.1758; BayVGH, B.v. 23.10.2008, Az: 10 ZB 07.2665) enthält
der Bescheid bezüglich dieser Anordnung keinerlei Begründung. Weder ist dargelegt, warum überhaupt Ordner erforderlich sein sollen, noch warum sie in einer derart hohen Zahl notwendig sein sollen. Damit liegt in formeller
Hinsicht ein Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG vor, wobei wohl zudem von einem Ermessensausfall auszugehen ist.
4. Gleiches gilt für die Anordnung in Ziffer 2.11 des Bescheids der Antragsgegnerin.
Darüber hinaus ist hier bereits problematisch, ob für diese Anordnung die Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 6 BayVersG herangezogen werden kann. Denn danach hat der Veranstalter der zuständigen Behörde auf Anforderung die
persönlichen Daten eines Ordners nur dann mitzuteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Zudem besteht im Hinblick auf
die bundesrechtliche Lage, bei der die Nennung von Name und Anschrift grundsätzlich als zulässig angesehen wird, keine Vergleichbarkeit. Denn auf Bundesebene verlangt § 18 Abs. 2 VersG eine Genehmigung für die Ordner. Eine
vergleichbare Regelung gibt es im Bayerischen Versammlungsgesetz nicht. Unabhängig davon ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fraglich, ob die Versammlungsbehörde auch das Geburtsdatum der Ordner
verlangen kann. ..." (VG Würzburg Beschluss vom 21.03.2011 - W 5 S 11.219)
***
Zur Verhältnismäßigkeit der Verlegung eines Versammlungsortes im Wege einer behördlichen Auflage bei erhöhten Sicherheitsrisiken am angemeldeten Versammlungsort. Zum Rechtsbegriff der Versammlung im
Versammlungsrecht; Abgrenzung zu anderweitigen Veranstaltungen (VG Weimar, Beschluss vom 26.05.2005 - 4 E 642/05, ThürVBl 2006, 17).
Eine öffentliche Versammlung i.S. des Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes setzt voraus, dass eine Mehrheit von Menschen im Rahmen des demokratischen Prozesses der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung
zusammenkommt. Diese Voraussetzungen erfüllt eine zum Ferienbeginn geplante "Fete mit Musik" für die örtliche Schülerschaft auch dann nicht, wenn sie von einer Untergliederung einer politischen Partei veranstaltet wird und
dabei auch ein "Infotisch" dieser Partei aufgestellt wird. Bei der Ermessensentscheidung über die erforderliche straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis für eine Veranstaltung einer Schülerfete sind primär straßenrechtliche
Gesichtspunkte zu berücksichtigen (z.B. Schutz des Straßenkörpers, Aufrechterhaltung eines störungsfreien Gemeingebrauchs, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, auch des Fußgängerverkehrs). Andere Gesichtspunkte - z.B.
Gefahr von Ausschreitungen - können berücksichtigt werden, soweit ein Zusammenhang mit dem Widmungszweck des Straßenraums besteht (VG Braunschweig, Urteil vom 27.07.1999 - 6 A 74/99, NZV 2000, 142).
Wer in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung nicht gem. § 6 I VersG wirksam ausgeschlossen worden ist, darf am Zutritt zur Versammlung nicht schon deshalb gehindert werden, weil er in der Versammlung Kritik üben
will, selbst wenn er dadurch die Versammlung stört (VG Karlsruhe, Entscheidung vom 07.04.1989 - 8 K 198/88, NVwZ-RR 1990, 192).
Zu den Voraussetzungen und Grenzen polizeilichen Einschreitens (Bewaffnungs- und Vermummungsverbot) beim Aufeinandertreffen zweier Versammlungen. - Zur Frage einer analogen Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes
auf nichtöffentliche, aber in die Öffentlichkeit wirkende Versammlungen (VG Minden, Entscheidung vom 06.08.1987 - 2 K 807/87, NVwZ 1988, 663).
***
Das Versammlungsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage dafür, die Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen. Zu
den Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs wegen rechtswidriger und schuldhafter polizeilicher Freiheitsentziehung und Gewahrsamnahme bei einer unangemeldeten Demonstration (LG Hamburg, Urteil vom 06.03.1987 -
3 O 229/86 - Hamburger Kessel - Schmerzensgeld für polizeiliche Freiheitsentziehung - Kessel 1):
„... Die Kl. begehrten aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Amtspflichtverletzung ein Schmerzensgeld für eine Freiheitsentziehung. Die Kl. fanden sich am 8. 6. 1986 gegen 12.00 Uhr zu einer nicht angemeldeten
Demonstration auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg ein. Insgesamt hatten sich gegen 12.15 Uhr dort ca. 800 Personen versammelt, um demonstrativ ihrem Protest dagegen Ausdruck zu geben, daß am Vortag für einen Großteil der
Teilnehmer einer angemeldeten Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Brokdorf durch weiträumige Absperrungen und Kontrollmaßnahmen seitens der Polizei eine Teilnahme nicht möglich gewesen sei. Die
Bekl. war über das geplante Treffen am 8. 6. 1986 informiert. Zunächst wurden um das Heiligengeistfeld in Bereitstellungsräumen insgesamt drei Hundertschaften zusammengezogen. Um 12.22 Uhr wurde vom örtlichen Leiter des
Polizeieinsatzes an die bereitstehenden Polizeikräfte der Befehl zur Einschließung der Versammlung gegeben. Daraufhin rückten die Einheiten in Kettenformation vor. Innerhalb weniger Minuten war die Versammlung, in der sich
auch die Kl. aufhielten, von einer Polizeikette eingeschlossen. Eine Auflösungsverfügung erfolgte dann nicht mehr, da sich die Polizeiführung dazu außerstande sah wegen in der Zwischenzeit begonnener Gewalttätigkeiten hinter
ihrem Rücken in der F.-Straße.
Die Einschließung führte dazu, daß die sich im Kreis befindlichen Personen auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, wo sie über Stunden ausharren mußten. Später wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Toilette im
U-Bahnhof F.-Straße zu benutzen, wobei die betreffenden Personen einzeln jeweils von einem Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin dorthin geleitet wurden. Gegen 14.30 Uhr bot die Bekl. über Lautsprecher den
Eingeschlossenen an, den Kreis einzeln und nach Überprüfung der Personalien zu verlassen. Gleichzeitig wurde seitens der Beklagten angeordnet, jeden Eingeschlossenen nach einer etwaigen Entlassung aus dem Kreis in
anschließende polizeiliche Gewahrsam zu nehmen. Die Kl. machten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Ab ca. 16 Uhr begann die Bekl. mit dem Abtransport der Eingeschlossenen, unter ihnen die Kl., zu verschiedenen, im
ganzen Stadtgebiet verteilten Revierwachen bzw. eigens eingerichteten Sammelstellen, wo sie in polizeilichem Gewahrsam verblieben. Diese Maßnahme zog sich über Stunden hin. Bei den Versammlungsteilnehmer wurden dabei
zwei körperliche Durchsuchungen durchgeführt. Auf den Revierwachen wurden mangels weiterer Kapazitäten jeweils mehrere Personen in einer Einzelzelle untergebracht. Auch die Verpflegung der Ingewahrsamgenommenen war nur
vereinzelt sichergestellt. Dem Wunsch der Betroffenen, Verwandte, Anwälte etc. zu informieren, wurde lediglich insoweit entsprochen, als es nach Auffassung der Bekl. die Aufrechterhaltung des Amtsbetriebes zugelassen hat. Die
Kl. wurden im Laufe der Nacht und der frühen Morgenstunden (bis ca. 4.00 Uhr) aus dem Gewahrsam entlassen. Die Klage hatte Erfolg. ...
Der von den Kl. geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG, § 847 BGB ist… begründet, denn die über Stunden andauernde Einschließung auf dem Heiligengeistfeld und
die sich anschließende Ingewahrsamnahme der Kl. stellen nach Auffassung der Kammer eine rechtswidrige (I.) und schuldhafte (II.) Amtspflichtverletzung dar.
I. Bei der Zusammenkunft auf dem Heiligengeistfeld am 8. 6. 1986 handelt es sich um eine Versammlung im Rechtssinne.
Eine Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersammlG liegt vor, wenn mehrere Personen an einem bestimmten Ort zusammenkommen, um politische oder sonstige öffentliche Angelegenheiten untereinander zu erörtern bzw. eine
bestimmte Einstellung dazu kundzutun (vgl. Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 8 Rdnr. 41). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Selbst die Bekl. ist nach ihrem eigenen Vortrag von dem Bestehen einer - wenn auch
unangemeldeten - Versammlung ausgegangen, die grundsätzlich den Schutz von Art. 8 GG genoß. Maßnahmen gegen eine solche Versammlung können, auch wenn diese unfriedlich verläuft, somit nur nach Maßgabe des
Versammlungsgesetzes ergriffen werden (BVerfG 69, 315 (361) = NJW 1985, 2395). In diesem Sinne ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit polizeifest (vgl. Ott, VersammlG, 4. Aufl (1983), Einf. Rdnr. 10).
Dies räumt auch die Bekl. ein, indem sie vom Erfordernis einer Auflösung gem. § 15 I VersammlG ausgeht.
Das Vorgehen der Bekl. war jedoch nicht von den versammlungsrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten gedeckt. Das Versammlungsgesetz enthält keine Befugnisse, die es gestatten, alle Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung
am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen. Nach § 15 II VersammlG ist eine Versammlung, bei deren Durchführung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung zu besorgen ist, aufzulösen. Die Kammer geht hierbei zugunsten der Bekl. davon aus, daß die Einschätzung ihrer Bediensteten von einem zu erwartenden unfriedlichen Verlauf aufgrund der Ereignisse der vorausgegangenen
Tage nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen war und aus der Sicht der Bekl. berechtigt erschien.
Die Auflösung einer Versammlung muß jedoch gegenüber den Teilnehmern erklärt werden, damit diese Gelegenheit haben, ihrer Entfernungspflicht zu genügen (§ 13 II VersammlG). Das Vorgehen der Bekl., die Teilnehmer durch
Einschließung an den Versammlungsort zu binden, stellt entgegen der Ansicht der Bekl. keine Auflösung i. S. der §§ 13, 15 VersammlG dar. Auch eine konkludente Auflösung kann hierin nicht gesehen werden. Denn mit der
Maßnahme der Einschließung wurde vielmehr verhindert, daß die Teilnehmer sich entfernen konnten. Dies lag auch im Sinne der Bekl., da nach ihrem eigenen Vortrag die Eingeschlossenen an den Ort gebunden werden sollten.
Demzufolge konnte die Maßnahme der Einschließung auch von den Teilnehmern der Versammlung nicht als Auflösungsverfügung, d. h. als Befehl, den Versammlungsort zu verlassen verstanden werden.
Im übrigen ging die Einsatzleitung selbst am 8. 6. 1986 ausweislich des Abteilungsbefehls erkennbar davon aus, daß die nach Versammlungsrecht erforderliche Auflösungsverfügung nicht bereits in der Einschließung lag, vielmehr
einer gesonderten Verfügung bedurfte.
Die Maßnahmen der Bekl. waren aber auch im weiteren Verlauf aus anderen Gründen rechtswidrig. Selbst wenn zum Zeitpunkt des Vorgehens um 12.22 Uhr die Bekl. in der Einschließung das einzige Mittel gesehen hätte, um
eventuelle Gewalttätigkeiten zu verhindern, hätte sie die Maßnahme spätestens dann beenden müssen, als für sie erkennbar war, daß die Einschließung ein für den verfolgten Zweck, Isolierung des Gewaltpotentials, ungeeignetes
Mittel war, denn unstreitig gingen die erfolgten Gewalttätigkeiten nicht von den Eingeschlossenen aus, sondern von Personen, die sich außerhalb des Heiligengeistfeldes befanden. Aufgrund der weiter vorgetragenen Tatsachen konnte
die Bekl. nicht davon ausgehen, daß die im bisherigen Verlauf friedlichen Versammlungsteilnehmer innerhalb der Einschließung nach einer Aufhebung der polizeilichen Maßnahme das Gewaltpotential auf der Feldstraße nennenswert
verstärkt hätten, zumal sie ihre Bereitschaft gezeigt hatten, solche Gegenstände abzulegen, die als Aktiv-Bewaffnung in Betracht gezogen werden konnte. Von daher drängt sich die Annahme auf, daß es gerade nicht gelungen war, die
potentiellen Gewalttäter zu isolieren, sondern daß diese entweder der Einschließung sich rechtzeitig entziehen konnten oder erst im späteren Verlauf von außen hinzugekommen sind. Nach Auffassung der Kammer wäre dies auch von
der Bekl. erkennbar gewesen, denn durch ihre speziellen Einsatzkommandos, die sie am Heiligengeistfeld eingesetzt hatte, wäre es ihr möglich gewesen, den tatsächlichen Verlauf der Geschehnisse zu registrieren und daran die
Tauglichkeit der von ihr ergriffenen Maßnahme zu messen. Dies hat die Bekl. jedoch versäumt. Die Aufrechterhaltung der Einschließung über Stunden war auch aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.
Dies scheint auch der Einschätzung der Einsatzleitung der Polizei entsprochen zu haben, als sie schließlich damit begann, die Teilnehmer aus der Einschließung heraus auf auswärtige, im gesamten Stadtgebiet verstreute Sammelstellen
zu verbringen.
Aber auch dieses aus der Sicht der Einsatzleitung zur Entschärfung der Situation vor Ort getroffenen Maßnahme der Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer erweist sich aus verschiedenen Gründen als rechtswidrig. Das
Versammlungsgesetz sieht eine derartige Maßnahme gegen Versammlungsteilnehmer nicht vor. Aber auch auf der Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes war diese konkrete Maßnahme nicht zulässig. Nach § 13 I Nr. 1
HbgSOG darf eine Person gegen ihren Willen nur dann in Gewahrsam genommen werden, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht abgewehrt oder eine Störung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht beseitigt werden kann. Die Eingeschlossenen stellten selbst eine derartige Gefahr oder Störung nicht dar, denn die Gewalttätigkeiten gingen nicht von diesem Kreis aus, sondern von
außerhalb Stehenden. Die von der Bekl. zur Begründung ihrer Maßnahme gegebenen Darlegungen, es sei zu erwarten gewesen, daß einzelne Teilnehmer nach ihrer Entlassung sich innerhalb des Stadtgebietes unfriedlich verhalten
würden, vermag die Ingewahrsamnahme nicht zu rechtfertigen. Bereits aus diesem Grunde erweist sich die andauernde Ingewahrsamnahme als unverhältnismäßig.
Hinzu kommt, daß bei Anordnung einer polizeilichen Maßnahme auch deren ordnungsgemäße Durchführung gewährleistet, insbesondere die Abwicklung in angemessener Zeit möglich sein muß. Tatsächlich zog sich aber die
Ingewahrsamnahme der Teilnehmer, unter ihnen die Kl., vom späten Nachmittag bis zum frühen Morgen des 9. 6. 1986 hin. Dies beruhte unter anderem auf einer offensichtlichen Fehleinschätzung der Anzahl der Eingeschlossenen.
Wegen einer im Verhältnis zu der tatsächlichen Anzahl völlig unzureichenden Kapazität an Transportmitteln einschließlich Sicherheitspersonal und wegen des Fehlens geeigneter Sammelstellen konnte die Maßnahme nicht in
angemessener Zeit abgeschlossen werden.
Nach Auffassung der Kammer waren sowohl das stundenlange Eingeschlossensein als auch die weiteren sich ebenfalls über Stunden hinziehenden Ingewahrsamnahme auf den verschiedenen Polizeirevierstellen in der Stadt für die Kl.
nicht mehr zumutbar und unverhältnismäßig. Bei einem Vorgehen nach HbgSOG werden bestimmte Mindestanforderungen an die tatsächliche Durchführung gestellt, die im Falle der Kl. nicht eingehalten worden sind. Dies gilt auch
im Hinblick auf die unzureichenden Unterbringungsmöglichkeiten auf den Polizeirevieren.
Darüber hinaus stellen die unzulängliche Versorgung der Eingeschlossenen sowie die ungenügenden hygienischen Verhältnisse, denen die Kl. ausgesetzt waren, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Kl. dar, die nicht mehr durch
den Zweck der Maßnahme gerechtfertigt werden kann. Ähnliches gilt auch für die meist unzureichenden Möglichkeiten auf den Revierstellen für die Ingewahrsamgenommenen, Personen ihres Vertrauens bzw. Anwälte und Verwandte
zu informieren. Die Führung der Bekl. hätte, nachdem erkennbar war, daß die Ingewahrsamnahme nur unter diesen unzureichenden Bedingungen durchgeführt werden konnte, diese beenden müssen.
Hatte die Polizei keine Möglichkeit, die Ingewahrsamnahme gem. § 13 HbgSOG ordnungsgemäß durchzuführen, mußte sie von einer derartigen Maßnahme gänzlich absehen. Denn einer in Gewahrsam genommenen Person dürfen nur
solche Beschränkungen auferlegt werden, die den Zweck des Gewahrsams sichern sollen oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung während des Gewahrsams erforderlich sind (§ 13 IV HbgSOG). Die den Klägern zugemuteten
Beeinträchtigungen (Mehrbelegung von Einzelzellen, unzureichende Versorgung, eingeschränkte Möglichkeit, Verwandte oder Anwälte zu informieren) übersteigen die gesetzlich zugelassenen.
Die Bekl. handelte bei ihrem Vorgehen auch schuldhaft. ...
III. Auch ein Mitverschulden der Kl. gem. § 254 BGB dadurch, daß sie es abgelehnt haben, auf das Angebot der Bekl. gegen 14.30 Uhr, den Kreis der Versammlungsteilnehmer nach Feststellung ihrer Personalien zu verlassen,
einzugehen, liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. ...
IV. Durch das Vorgehen der Bekl. wurde in die persönliche Freiheit der Kl. und in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht erheblich eingegriffen. Gem. § 847 BGB steht ihnen hierfür ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld zu.
Bei der Bemessung der Höhe war zu berücksichtigen, daß die Kl. auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, sie über Stunden hinweg im Ungewissen darüber blieben, was mit ihnen geschehen würde, Durchsuchungen über sich
hatten ergehen lassen müssen sowie die unzulängliche Unterbringung auf den Polizeirevieren bzw. den sonstigen eingerichteten Sammelstellen haben erdulden müssen. Hingegen darf bei der Bemessung nicht außer acht bleiben, daß
die Kl. sich freiwillig zu einer unangemeldeten Demonstration, die nach der Vorgeschichte einige Brisanz in sich barg, zusammengefunden haben. Von daher haben sie solche Beeinträchtigungen, die gemeinhin mit solchen
Veranstaltungen einhergehen, bewußt und gewollt in Kauf genommen. Als Folge des rechtswidrigen Handelns der Bekl. und damit als für die Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen sind daher nur die darüber hinausgehenden
Beeinträchtigungen anzusehen.
Zwar hat der Senat in dem in seiner Sitzung vom 30. 6. 1986 gefaßten Beschluß sein Bedauern über das Vorgehen der Beklagten ausgedrückt (Anlage 5 zur Drucks. 11/6556), andererseits hat die Bekl. dem vorprozessualen Begehren
der Kl. auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages von 100 DM nicht entsprochen und auch in der Klageerwiderung ihr Vorgehen als rechtsmäßig angesehen. Durch dieses in sich widersprüchliche Verhalten relativiert sich die vom Senat
ausgesprochene „Entschuldigung" und wird den an eine Genugtuung zu stellenden Voraussetzungen nicht gerecht. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für angemessen, den Klägern als Ausgleich für die erlittenen
Rechtsbeeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von je 200 DM zuzusprechen. ..."
***
Zur Verhinderung einer Versammlung ohne Verbot oder Auflösungsverfügung (VG Hamburg, Entscheidung vom 30.10.1986 - 12 VG 2442/Sb, NVwZ 1987, 829).
***
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von versammlungsrechtlichen Anordnungen kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich bei der Veranstaltung um Ausübung von Kunst handelt und (bejahendenfalls), welche Auswirkungen
dieser Umstand auf die versammlungsrechtlichen Momente der Veranstaltung hat. Die öffentliche Sicherheit ist nur dann gefährdet, wenn die verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit im Einzelfall überschritten ist. Dies ist
insbesondere dann der Fall, wenn durch Ausübung der Kunst Grundrechte anderer wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit und Ehre des einzelnen gefährdet werden. Der Gesichtspunkt der Gefährdung der öffentlichen Ordnung
vermag die Freiheit der Kunstausübung nicht wirksam einzuschränken, da es sich insoweit um ein gegenüber der Kunstfreiheit "unterwertiges Schutzgut" handelt. . Auch politisch engagierte Kunst, in der sich der Künstler mit
aktuellen Geschehnissen auseinandersetzt, ist Kunst (VG Köln, Entscheidung vom 10.12.1981 - 6 (13) K 3721/79, NJW 1983, 1212).
§ 2
(1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben.
(2) Bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen hat jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.
(3) Niemand darf bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen,
ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein. Ebenso ist es verboten, ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder die in Satz 1 genannten Gegenstände auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich zu führen, zu
derartigen Veranstaltungen hinzuschaffen oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereitzuhalten oder zu verteilen.
Leitsätze/Entscheidungen:
Der Schutz des Art. 8 GG erstreckt sich nicht auf Personen, die nicht die Absicht haben, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern diese verhindern wollen. Die Beurteilung eines festgestellten Verhaltens als Teilnahme - oder
Verhinderungsabsicht kann vom BVerfG im Lichte des Art. 8 GG überprüft werden (BVerfG, Entscheidung vom 11.06.1991 - 1 BvR 772/90, NJW 1991, 2694):
„... Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dagegen, daß dem Beschwerdeführer der Zutritt zu einer öffentlichen Versammlung von der Polizei verwehrt worden ist.
I. 1. Am 25. November 1987 fand in einer Gaststätte in Freiburg eine öffentliche Veranstaltung der Partei der ‚Republikaner' statt. Der Schutz der Veranstaltung sollte durch vorsorglich am Versammlungsort eingesetzte Beamte des
Polizeivollzugsdienstes gewährleistet werden. Zum vorgesehenen Beginn der Veranstaltung um 19.30 Uhr befanden sich zehn Personen im Versammlungsraum. Die Teilnehmerzahl erhöhte sich bis gegen 20.00 Uhr auf 24 Personen.
Vor dem Versammlungsraum hielten sich zunächst acht Personen - unter ihnen auch der Beschwerdeführer - auf. Diese Gruppe vergrößerte sich laufend und umfaßte gegen 20.00 Uhr 30 bis 40 Personen. In der Zeit zwischen 19.30
Uhr und 20.00 Uhr verteilte eine dieser Personen ein Flugblatt, in dem unter anderem gefordert wurde, ‚den Auftritt des als 'Republikaner' getarnten Altnazis Schönhuber ... zu unterbinden'. Auch versuchten einzelne Personen mit
Rufen wie ‚Die Nazis gehören rausgeworfen!'‚'So etwas hatten wir in der Geschichte schon einmal, das hier muß verhindert werden!', ‚Laßt uns da rein, die Versammlung wäre gleich beendet!' und ‚Wenn wir da reinkommen, hat sich
diese Versammlung gleich erledigt!', in den Versammlungsraum zu gelangen. Dies scheiterte jedoch an den Beamten des Polizeivollzugsdienstes, die den Mitgliedern der Gruppe im Vorraum auf Ersuchen des Versammlungsleiters
den Zugang zu der Versammlung verwehrten. Der Beschwerdeführer selbst wurde gegen 20.00 Uhr durch eine mündliche Polizeiverfügung an dem Zutritt zu dem Versammlungsraum gehindert. Auf Ersuchen des Versammlungsleiters
forderte der Einsatzleiter schließlich die im Vorraum befindlichen Personen auf, sich zu entfernen, und drohte die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Diejenigen, die - wie der Beschwerdeführer - dieser Aufforderung nicht
nachkamen, wurden sodann in den Eingangsbereich der Gaststätte zurückgedrängt. Um 20.07 Uhr war die Räumungsaktion beendet.
Mit seiner Klage beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, daß die ihm gegenüber ergangene mündliche Polizeiverfügung rechtswidrig gewesen sei.
2. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Ein berechtigtes Interesse des Beschwerdeführers an der begehrten Feststellung bestehe weder unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation noch unter dem der Wiederholungsgefahr. Die
Polizeimaßnahme habe ihn nicht diskriminiert. Eine hinreichend konkrete Möglichkeit, daß sich in Zukunft ein vergleichbarer Sachverhalt ergebe, sei nicht anzunehmen.
Die Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zwar sei der Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig, denn das erforderliche Feststellungsinteresse müsse unter dem Gesichtspunkt der
Wiederholungsgefahr bejaht werden. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die polizeiliche Verfügung, die dem Beschwerdeführer den Zutritt zu der Versammlung verwehrt habe, sei rechtmäßig gewesen. Sie finde ihre
Rechtsgrundlage in der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 des baden-württembergischen Polizeigesetzes). Der wegen Gefahr im Verzug zuständige Polizeivollzugsdienst habe einschreiten dürfen, weil eine Störung gedroht habe,
deren Ziel es gewesen sei, die ordnungsmäßige Durchführung der öffentlichen Versammlung zu verhindern. Ein drohender Verstoß gegen die jedermann obliegende Pflicht, solche Störungen zu unterlassen ( § 2 Abs. 2 VersG ), stelle
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Mangels einer speziellen Ermächtigung zur Abwehr externer Störungen durch Nichtteilnehmer, welche die ordnungsmäßige Durchführung einer öffentlichen Versammlung zu verhindern
suchten, sei die polizeiliche Generalklausel anwendbar.
Zu Recht sei die Polizei davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer die ordnungsmäßige Durchführung der Versammlung zu verhindern gesucht habe. Aus ihrer Sicht hätten im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Einschreitens (‚ex
ante') bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs alle Anzeichen darauf hingedeutet, daß der Beschwerdeführer an der Versammlung nicht habe teilnehmen, sondern sich in Störungsabsicht habe Zutritt verschaffen wollen, um die
Versammlung zu verhindern. Wer jedoch durch sein Verhalten im Vorfeld einer Versammlung erkennen lasse, daß er deren Verhinderung beabsichtige, sei nicht Teilnehmer dieser Versammlung, sondern potentieller Störer. Er habe
folglich kein Zutrittsrecht, sondern dürfe durch die Polizei von der Versammlung ferngehalten und des Platzes verwiesen werden. Ob etwas anderes dann gelte, wenn der potentielle Störer seinerseits Teilnehmer einer
(Gegen-)Versammlung sei, bedürfe im vorliegenden Fall keiner Klärung. Eine Versammlung hätten die im Vorraum befindlichen Personen nicht gebildet, da sie, wie der Beschwerdeführer selbst vortrage, nicht zu dem Zweck der
gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung zusammen gekommen seien.
Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundesverwaltungsgericht. Das Beschwerdevorbringen gründe sich auf
einen von dem Berufungsgericht so nicht festgestellten Sachverhalt und führe deswegen nicht zu einer rechtlichen Problematik, die im Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein und einer Klärung zugeführt werden könnte.
II. 1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 1 GG .
Das Verwaltungsgericht habe ihm das rechtliche Gehör versagt und sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verkannt, indem es ein Feststellungsinteresse verneint habe.
Der Verwaltungsgerichtshof habe die Anforderungen an die polizeiliche Gefahrenprognose lediglich am allgemeinen Polizeirecht gemessen und nicht die besonderen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG berücksichtigt. Nach seiner
Ansicht sei der Beschwerdeführer aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Ein derartiges Verständnis führe jedoch dazu, daß schon im Bereich der Prognoseentscheidung die erhöhten Anforderungen, die der
Grundrechtsschutz erfordere, nicht erfüllt würden. Vor allem habe der Verwaltungsgerichtshof aber den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG verkannt. Seine rechtliche Argumentation laufe nämlich darauf hinaus, daß bereits scharf
ablehnende Meinungsäußerungen einzelner Personen sowie Aufforderungen zur behördlichen Unterbindung einer Versammlung die Verhinderungsabsicht eines Zutritt begehrenden Besuchers indizierten. Potentielle Teilnehmer
dürften jedoch nur dann zurückgewiesen werden, wenn sie bewaffnet seien oder eindeutig erkennbar in unfriedlicher Absicht erschienen; unfriedliche Absicht bedeute hierbei ein Abzielen auf gewaltsame Auseinandersetzungen in der Versammlung.
Außerdem habe der Verwaltungsgerichtshof unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wesentliches Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers übergangen, sich hierzu in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert und die von dem
Beschwerdeführer beantragte Beweiserhebung unterlassen. ...
B. I. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts wendet. Dafür fehlt es am Rechtsschutzinteresse. Der Beschwerdeführer ist durch diese
Entscheidung nicht mehr beschwert, nachdem der Verwaltungsgerichtshof ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführers an der begehrten Feststellung aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr anerkannt und seine
Klage daher als zulässig betrachtet hat. Auf den Umstand, daß das Verwaltungsgericht ein derartiges Feststellungsinteresse auch unter Rehabilitationsgesichtspunkten verneint hatte und der Verwaltungsgerichtshof darauf nicht
eingegangen ist, kommt es nicht an, weil der Beschwerdeführer sein Ziel einer gerichtlichen Prüfung in der Sache erreicht hat.
2. Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. Der Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, steht allerdings der aus § 90 Abs. 2 BVerfGG folgende
Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Dieser fordert, daß der Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden
prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken (vgl. BVerfGE 73, 322 (325) [BVerfG 08.07.1986 - 2 BvR 152/83] ). Das bedeutet auch, daß die behauptete
Grundrechtswidrigkeit im jeweils mit dieser Beeinträchtigung zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend zu machen ist (vgl. BVerfGE 31, 364 (368) [BVerfG 27.07.1971 - 2 BvR 443/70] ). Danach wäre es erforderlich
gewesen, die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gemäß § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO als Verfahrensmangel bereits in der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen. Das hat der Beschwerdeführer versäumt.
II. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 GG ist nicht verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen berühren den Schutzbereich dieses
Grundrechts nicht.
1. Art. 8 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dabei beschränkt sich der Schutz dieses Grundrechts nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern
umfaßt auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Dazu zählt namentlich der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche
Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (vgl. BVerfGE 69, 315 (349)). Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der
Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.
Der Schutz des Art. 8 GG endet jedoch dort, wo es nicht um die - wenn auch kritische - Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht. Das Recht, sich friedlich und waffenlos zu versammeln, wird vom
Grundgesetz im Interesse einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungskundgabe gewährleistet. Es soll die vom Staat unbehinderte, geplante oder spontane, Kommunikation unter Anwesenden sowie die demonstrative
Mitteilung der Kommunikationsergebnisse ermöglichen. Das Grundrecht schützt jeden Deutschen, der sich daran beteiligen will. Beteiligung setzt zwar keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus, sondern erlaubt auch
Widerspruch und Protest. Wohl aber verlangt sie die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer dagegen eine Versammlung in der
Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt. Der Umstand, daß mehrere Personen
zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuß der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht.
Ein staatlicher Akt, durch den jemandem der Zutritt zu einer Versammlung verweigert wird, weil er nicht an ihr teilnehmen, sondern sie sprengen will, greift daher nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Aus diesem Grund
lassen sich dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch keine Maßstäbe für staatliche Handlungen entnehmen, mit denen das aus § 2 Abs. 2 VersG folgende Verbot, Versammlungen in Verhinderungsabsicht zu stören,
durchgesetzt werden soll. Insoweit verbleibt es vielmehr bei dem Schutz, den die sonstigen Freiheitsrechte und das grundrechtliche Willkürverbot vermitteln.
2. Die Verwaltungsgerichte haben ohne Verfassungsverstoß angenommen, daß die Polizei hinreichenden Grund zu der Auffassung hatte, der Beschwerdeführer habe an der Versammlung nicht teilnehmen, sondern diese
gemeinschaftlich mit anderen verhindern wollen.
a) Die tatsächlichen Feststellungen, auf die sich diese Annahme gründet, und ihre rechtliche Bewertung am Maßstab des Versammlungsgesetzes und des Polizeigesetzes sind grundsätzlich Sache der Gerichte und entziehen sich einer
Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat aber zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluß der Grundrechte hinreichend beachtet worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 (92) [BVerfG
10.06.1964 - 1 BvR 37/63] ). Im vorliegenden Fall verlangt dies eine intensivierte Kontrolle, ob die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen den daraus gezogenen Schluß, daß der Beschwerdeführer die
Versammlung habe sprengen wollen, zu tragen vermögen. Da die Beurteilung eines festgestellten Verhaltens als Beteiligungs- oder Verhinderungsabsicht zugleich darüber entscheidet, ob es in den Schutzbereich der
Versammlungsfreiheit fällt oder nicht, ist der Grundrechtsschutz nur dann gewährleistet, wenn diese Zuordnung vom Bundesverfassungsgericht im Lichte des Grundrechts überprüft werden kann. Das ist für Bewertungen, die über den
Schutzumfang des Art. 5 GG entscheiden, seit langem anerkannt (vgl. zuletzt BVerfGE 81, 278 (289 f.); 82, 43 (50 ff.); 82, 272 (280 f.)) und muß entsprechend auch für Art. 8 GG gelten.
b) Die erweiterte Nachprüfung ergibt jedoch nicht, daß das Verhalten des Beschwerdeführers unberechtigterweise dem Schutz des Art. 8 GG entzogen worden wäre.
Anhaltspunkte dafür, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits den Inhalt der vor dem Versammlungsraum laut gewordenen Rufe, des dort verteilten Flugblatts und der Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber dem Einsatzleiter der
Polizei fehlerhaft ermittelt oder in den Urteilsgründen unzutreffend wiedergegeben haben könnte, sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Die festgestellten Bekundungen haben sich nicht in
einer bloßen, wenn auch scharfen und nachdrücklich vorgetragenen Kritik an der bereits begonnenen Veranstaltung erschöpft. In ihnen hat sich vielmehr erkennbar die über eine solche Kritik hinausgehende Absicht ausgedrückt, den
weiteren Fortgang der Veranstaltung durch störende Eingriffe von außen zu unterbinden. Die in der angegriffenen Entscheidung zitierten Meinungs- und Willensbekundungen derjenigen Personen, die sich vor dem Versammlungsraum
aufhielten, waren insbesondere geeignet, die Annahme auszuschließen, es könnte ihnen um eine argumentative Auseinandersetzung mit den Versammlungsteilnehmern gehen. Es ist daher weder im Blickwinkel des einfachen Rechts
noch von Verfassungs wegen zu beanstanden, daß der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt ist, die Polizei habe aus dem Verhalten des betreffenden
Personenkreises auf dessen alleinige Absicht schließen können, die Veranstaltung mit dem Ziel ihrer Verhinderung zu stören.
Zwar wendet der Beschwerdeführer hiergegen ein, die von der Polizei und dem Verwaltungsgerichtshof für erheblich angesehenen Rufe seien ausnahmslos erst erfolgt, nachdem die Polizei den Zugang zum Versammlungsraum bereits
versperrt gehabt habe; das polizeiliche Zutrittsverbot habe deshalb mit diesen Rufen nicht gerechtfertigt werden können. Dieser Einwand läßt jedoch die gerade gegenüber dem Beschwerdeführer ergangene mündliche
Verbotsverfügung unberührt, die allein Gegenstand des Ausgangsverfahrens war. Durch diese Verfügung ist der Beschwerdeführer gegen 20.00 Uhr an dem Besuch der Veranstaltung gehindert worden. Ausweislich des Tatbestands
des angegriffenen Berufungsurteils, das insoweit von dem Beschwerdeführer nicht beanstandet wird, waren die fraglichen Äußerungen zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Jedenfalls die den Beschwerdeführer betreffende und von ihm
allein angefochtene Verbotsverfügung ist erst nach diesen Rufen ergangen.
Für die Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen ist deshalb davon auszugehen, daß das Handeln des Beschwerdeführers nicht im Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG lag. Sie können daher nicht gegen dieses Grundrecht
verstoßen haben. ..."
*** (VG)
Klagegegenstand ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit mehrerer Auflagen eines Auflagenbescheids, durch den im Wesentlichen einem Veranstalterbündnis untersagt worden
ist, im Rahmen eines so genannten Blockadetrainings den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, die sie
befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge des politischen Gegners zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln. Die Klage hat keinen Erfolg, weil während des
Blockadetrainings mit hoher Wahrscheinlichkeit in nach § 111 StGB strafbarer Weise - unter anderem durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - dazu aufgerufen werden sollte, durch
massenhafte Sitzblockaden bestimmte bereits angemeldete und nicht verbotene Demonstrationen politischer Gegner zu verhindern. Zur Berechtigung der Versammlungsbehörde, dem Veranstalter die Einsetzung von Ordnern und die
Übermittlung der Personalien der Ordner, so genannter Trainer und zu erwartender Redner durch Auflage aufzugeben (VG Aachen, Urteil vom 01.06.2011 - 6 K 363/11 zu Art 8 GG, Art 5 Abs 3 GG, Art 5 Abs 1 GG, §§ 21, 2 Abs 2
VersammlG u.a.).
§ 3
(1) Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen.
(2) Jugendverbänden, die sich vorwiegend der Jugendpflege widmen, ist auf Antrag für ihre Mitglieder eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot des Absatzes 1 zu erteilen. Zuständig ist bei Jugendverbänden, deren erkennbare
Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, der Bundesminister des Innern, sonst die oberste Landesbehörde. Die Entscheidung des Bundesministers des Innern ist im Bundesanzeiger und im
Gemeinsamen Ministerialblatt, die der obersten Landesbehörden in ihren amtlichen Mitteilungsblättern bekanntzumachen.
Leitsätze/Entscheidungen:
Zum Verbot öffentlich oder in Versammlungen "gleichartige" Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. Eine verfassungskonform einschränkende Auslegung dieses Verbots auf erkennbare
Umgehungen des Uniformverbots ist möglich und könnte geboten sein. Art. 5 I und Art. 8 GG schützen auch bildhafte und suggestive kollektive Meinungsbekundungen (BVerfG, Entscheidung vom 27.04.1982 - 1 BvR 1138/81, NJW
1982, 1803).
*** (BGH)
Tragen die Teilnehmer einer Geländeübung grüne Bundeswehr- oder Bundesgrenzschutzhosen, Bundeswehr-Tarnjacken und Stiefel und ist für Außenstehende erkennbar, daß die Teilnehmer durch die Gleichartigkeit ihrer Kleidung
eine sie verbindende Gemeinsamkeit in der politischen Grundhaltung zum Ausdruck bringen, so greift das Uniformverbot des § 3 VersG ein (BGH, Urteil vom 29.11.1983 - 5 StR 811/83, NStZ 1984, 123).
*** (OVG, OLG)
Bereits das öffentliche Üben der Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung stellt einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG (heute: § 4 NVersG (juris: VersammlG ND)) dar, der die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1
VersG (heute: § 8 Abs. 1 NVersG (juris: VersammlG ND)) zum Erlass einer diese Übung untersagenden Auflage ermächtigt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.07.2011 - 11 LA 101/11):
„... Der Kläger meldete für den 18. April 2009 eine öffentliche Kundgebung unter dem Motto "Antifaschistisches Straßentheater" in Hannover an. Nach den Feststellungen der Beklagten, in die Zeitungsberichte, Internetaufrufe u. a.
auf der Seite "block-it-org", Flugblätter, Erfahrungen mit einer ähnlichen, bereits zuvor am 14. März 2009 durchgeführten Veranstaltung sowie das Kooperationsgespräch mit dem Kläger eingeflossen sind, sollte dabei geprobt werden,
eine für den 1. Mai ebenfalls in Hannover angemeldete "rechtsextremistische" Versammlung (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 27.4.2009 - 11 ME 225/09 -, juris) zu verhindern und diese ggf. einzukreisen. Die Beklagte erließ deshalb am 16.
April 2009 folgende Auflage:
‚Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern ist, die zu "Übungszwecken" eine Blockadeaktion simulieren, sowie sonstige schauspielerische Aktionen, die
Blockadeaktionen darstellen, sind … untersagt.' ...
Unabhängig hiervon ergeben sich jedenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der das Urteil tragenden Annahme, das vom Kläger am 18. April 2009 vorgesehene Üben einer Blockade (= Probeblockade") der für den 1. Mai 2009
geplanten "rechtsextremistischen" Versammlung habe eine unmittelbare Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG dargestellt.
Zur öffentlichen Sicherheit gehört jedenfalls die Unversehrtheit der Rechtsordnung (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 21.4.1989 - 7 C 50/88 -, juris, Rn. 15; Senatsurt. v. 7.4.2009 - 11 LB 278/08 -, jeweils m. w. N.). Die "Rechtsordnung" i. d.
S. umfasst wiederum nicht nur straf- oder bußgeldbewehrte, sondern auch sonstige, insbesondere öffentlich-rechtliche Normen. Dazu gehört auch § 2 Abs. 2 VersG. Danach hat bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen
jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Soweit der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrages vom 21. April 2011 sinngemäß geltend macht, eine Störung der
öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG liege bei einem Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG nur dann vor, wenn zugleich der Straftatbestand des § 21 VersG erfüllt werde, oder es sei gar nur eine Störung der öffentlichen
Ordnung gegeben, wenn zugleich der Ordnungswidrigentatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 4 VersG verwirklicht werde, kann ihm daher nicht gefolgt werden.
Soweit er mit dem nachfolgenden Schriftsatz vom 29. Juni 2011 erstmals auch einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG durch die Probeblockade in Abrede stellt, kann dieses Vorbringen schon aus formellen Gründen nicht mehr
berücksichtigt werden. Denn es ist erst nach Ablauf der zweimonatigen Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgt und vertieft vorhergehendes, fristgerechtes Vorbringen auch nicht lediglich. Im Übrigen überzeugt der
Einwand auch sachlich weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 VersG. Diese Norm richtet sich ausdrücklich an "jedermann" und nicht lediglich an Teilnehmer der zu störenden Versammlung. Eine
entsprechende Eingrenzung lässt sich auch nicht aus der Wortfolge " bei einer Versammlung" entnehmen. Andernfalls hätte sich die Formulierung "aus einer Versammlung heraus" oder "in einer Versammlung" aufgedrängt, die aber
gerade nicht verwandt wird. Der vom Kläger dazu zitierte Kommentar von Dietzel/Gintzel/Kniesel (VersG, 15. Aufl., § 2, Rn. 8 und 39) ist insoweit nicht eindeutig, wenn das Verbot des § 2 Abs. 2 VersG danach einerseits (nur?) für
alle, die sich in der Versammlung befinden, andererseits aber (auch?) für alle Anwesenden gelten soll und bei Versammlungen unter freien Himmel neben den Teilnehmern alle Anwesenden verpflichtet seien, Störungen zu unterlassen
(vgl. auch Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., H 359, wonach das Störungsverbot nach § 2 Abs. 2 VersG auch für Teilnehmer einer Gegendemonstration gelte). Dem vom Kläger vorgetragenen engen
Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG steht zudem der Sinn und Zweck der dadurch geschützten Versammlungsfreiheit entgegen. Damit ist jegliche Störung einer nicht verbotenen Versammlung mit dem Ziel der Verhinderung ihrer
ordnungsgemäßen Durchführung unvereinbar. Bei dem vom Kläger vorgetragenen engen Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG gilt also nicht der Umkehrschluss, dass von außen kommende Verhinderungsstörungen einer nicht verbotenen
Versammlung zulässig sind; vielmehr wird das (dann ungeschriebene) Verbot entsprechender Störungen als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann besteht aber erst recht kein Grund, § 2 Abs. 2 VersG eng auszulegen. Dagegen spricht
schließlich auch der in Niedersachen an seine Stelle getretene § 4 NVersG. Danach ist es verboten, eine nicht verbotene Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. § 4 NVersG richtet
sich somit nicht nur an Versammlungsteilnehmer, sondern auch an Nicht-Teilnehmer (vgl. nur Ullrich, NVersG, Kommentar, § 4, Rn. 2), ohne dass der Gesetzgeber insoweit eine Erweiterung des Störungsverbots nach § 2 Abs. 2
VersG beabsichtigte. Vielmehr sollten die "bestehenden Regelungen des § 2 Abs. 2 und des § 21 VersG zusammengefasst werden" (so die Begründung des Gesetzentwurfes, Nds. LT- Drs. 16/2075, S. 27, die im weiteren Verlauf des
Gesetzgebungsverfahrens nicht in Zweifel gezogen worden ist, Nds. LT- Drs. 16/2867 (Beschlussempfehlung) und 2913 (Bericht)).
Das Verbot des § 4 NVersG erfasst zudem bereits Störungen im Vorfeld der Versammlung, sofern diese Handlungen bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu verhindern (Nds. LT- Drs. 16/2075, S. 27).
Dass für § 2 Abs. 2 VersG ein engeres Verständnis gelten soll, er sich also nicht auf Störungen im Vorfeld einer nicht verbotenen Versammlung beziehe, hat der Kläger im Zulassungsverfahren nicht vorgetragen und drängt sich auch
dem Senat nicht auf; andernfalls wäre § 2 Abs. 2 VersG auf solche Störungen zumindest entsprechend anwendbar.
Nach diesem übereinstimmenden weiten Verständnis schließt das Störungsverbot nach § 2 Abs. 2 VersG (analog) und § 4 NVersG also auch Verhinderungsmaßnahmen im Vorfeld einer nicht verbotenen Versammlung ein, zu denen
das gezielte Üben einer hierauf gerichteten Probeblockade gehört. Teilnehmer an einer nicht verbotenen Versammlung sollen nämlich bereits zeitlich vor Beginn der Versammlung vor Maßnahmen geschützt werden, die sie von der
Teilnahme abhalten könnten. Dazu gehören nicht nur potentiell abschreckende hoheitliche Vorfeldmaßnahmen, wie etwa Durchsuchungen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 15) oder Behinderungen
der Anfahrt, sondern auch gezielte Verhinderungsmaßnahmen durch Dritte unter Inanspruchnahme öffentlichen Verkehrsraums.
Das vorgenannte Verständnis des § 2 Abs. 2 VersG steht im Einklang mit der nach Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit. Denn die gezielte "selbsthilfeähnliche" Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung wird vom
Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (der "Gegendemonstranten") gerade nicht mehr umfasst, wie der Senat wiederholt (vgl. zuletzt etwa mit Beschl. v. 7.6.2011 - 11 LA 48/10 - unter Bezugnahme auf das Senatsurt. v. 29.5.2008 -
11 LC 138/06 -, juris, Rn. 53, m. w. N.) in Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 ff:, v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, u. a. -, juris,
Rn. 44, und v. 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 -, juris, Rn. 35) entschieden hat.
Dass es entgegen den vom Verwaltungsgericht nach § 117 Abs. 5 VwGO ausdrücklich in Bezug genommenen Feststellungen der Beklagten nicht Ziel der für den 18. April 2009 vom Kläger angemeldeten Kundgebung gewesen ist,
dort gerade auch zu proben, die für den 1. Mai 2009 geplante "rechtsextremistische" Demonstration zu verhindern, oder dass sich die Probe nur auf den Fall beziehen sollte, dass die zu verhindernde Demonstration trotz Verbots
durchgeführt werde, trägt der Kläger im Zulassungsverfahren nicht substantiiert vor und ist auch sonst nicht zu erkennen; die bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aufrufe sprechen vielmehr eindeutig dagegen. Denn das am 18.
April 2009 beabsichtigte sog. "Aktionstraining" sollte danach der Vorbereitung "einer großen, kollektiven Aktion des zivilen Ungehorsams" zur Verhinderung des "Nazimarsches am 1. Mai 2009" in Hannover dienen. Um rein
"schauspielerische Situationen", das "Üben einer Meinungskundgabe in Blockadesituationen" oder das Üben - nach der zuvor zitierten Rechtsprechung noch von der Versammlungsfreiheit umfasster - kurzfristiger, symbolischer
Blockaden sollte es sich also gerade nicht handeln. Diese Bewertung wird schließlich noch dadurch unterstrichen, dass bei Durchführung der für den 1. Mai 2009 geplanten "rechtsextremistischen" Demonstration erhebliche
gewalttätige Übergriffe (auch) aus dem linksextremen Spektrum konkret zu befürchten waren, die die Beklagte nach den anderweitigen Feststellungen des Senats (vgl. Beschl. v. 27.4.2009, a. a. O., Rn. 33 f.) selbst unter Heranziehung
der verfügbaren externen Polizeikräfte aus anderen Bundesländern zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend hätte beherrschen können.
Ob durch die untersagte Probeblockade zugleich der Straftatbestand des § 111 StGB verwirklicht worden wäre (vgl. VG Aachen, Urt. v. 1.6.2011 - 6 K 363/11 -, juris), kann deshalb offen bleiben.
Ist somit der Erlass der umstrittenen Auflage zur Verhinderung einer Probeblockade dem Grunde nach gemäß § 15 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 VersG rechtmäßig, so entspricht auch der Wortlaut dieser - erkennbar in Anlehnung an die
Verfügung, die dem des Beschluss des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 2000 (- 1 S 414/00 -, NVwZ 2000, 1201) zu Grunde lag, erlassenen - Auflage den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG
(i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG).
Dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG wird die Behörde gerecht, wenn der Adressat einer Verfügung erkennen kann, was von ihm gefordert wird und entsprechend sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. zum
Folgenden Senatsbeschl. v. 10.11.2010 - 11 LA 298/10 -, juris, Rn. 13; Senatsurt. v. 7.4.2009 - 11 LB 278/08 -, a. a. O., m. w. N.). Daher darf der Verwaltungsakt nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein. Die
Konkretisierung dessen, was ge- und verboten ist, muss sich aus der Verfügung selbst ergeben und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nichtbeachtung des Verwaltungsaktes bußgeld-
oder strafbewehrt ist. Hieran gemessen ist die umstrittene Auflage hinreichend bestimmt.
Denn sie war für den Kläger und (andere) potentielle Teilnehmer an der für den 18. April 2009 geplanten Kundgebung erkennbar darauf gerichtet, alle Handlungen zu verbieten, mit denen die für den 1. Mai 2009 von ihnen geplante
Blockade bzw. ihr Verhalten bei deshalb zu erwartenden polizeilichen Gegenmaßnahmen probiert oder simuliert werden sollte. Eine weitergehende Konkretisierung war nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Dass damit von der
Auflage auch Tätigkeiten umfasst waren, die ggf. isoliert in anderem Zusammenhang rechtmäßig sein können, wie etwa das Einüben, sich unterzuhaken, ist nicht zu beanstanden. Denn die für das "Aktionstraining" am 18. April 2009
untersagten Tätigkeiten sollten nach den hier zu Grunde zu legenden Feststellungen der Beklagten gerade Teil eines einheitlichen Konzepts zur Verhinderung der "rechtsextremistischen" Demonstration am 1. Mai 2009 und nicht
Bestandteil einer schauspielerischen Aktion oder des Übens von symbolischem Widerstand sein. Im Übrigen ist die Versammlung am 18. April 2009 nicht verboten, den (potentiellen) Teilnehmern also insbesondere nicht die
grundrechtlich geschützte Möglichkeit genommen worden, ihre ablehnende Haltung gegenüber der für den 1. Mai 2009 geplanten "rechtsextremistischen" Demonstration bereits im Vorfeld öffentlich kund zu tun, dabei zur Teilnahme
an rechtmäßigen Gegenmaßnahmen aufzurufen und hierauf potentielle Teilnehmer vorzubereiten. ..."
***
Das Uniformverbot gilt der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen substituieren, symbolisieren die quasi-militärische Organisation einer Menge als "institutionelles Gehäuse" für
Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung und sind in der Regel geeignet, bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen. Das gilt insbesondere dann, wenn
der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 11.01.2011 - 2 Ss 156/10).
***
Durch das in § 3 I VersG angesprochene Uniformverbot soll verhindert werden, dass durch derartige Kleidungsstücke Gewaltbereitschaft signalisiert wird. Bomberjacken und Springerstiefel sind Symbole, durch die eine
Zurschaustellung von organisierter Gewaltbereitschaft und Herbeiführung von Einschüchterung erfolgt, wenn diese von Versammlungsteilnehmern auf einer Versammlung getragen werden, die durch eine rechtsextremistische Partei
durchgeführt wird. Von der aus §§ 14, 15 VersG folgenden Konzentrationswirkung werden Erlaubnisverfahren nach sonstigen Regelungen nicht umfasst, durch die der Zugang zu einer in Aussicht genommenen Versammlungsfläche
erst vermittelt wird (OVG Bautzen, Beschluss vom 09.11.2001 - 3 BS 257/01, NVwZ-RR 2002, 435).
Gleichartige Kleidungsstücke i. S. von § 3 VersG sind Kleidung und Bekleidungsbestandteile jeder Art, sofern sie Uniformen oder Uniformteilen gleichartig sind. Gleichartige Kleidungsstücke i. S. von § 3 VersG sind Kleidung und
Bekleidungsbestandteile jeder Art, sofern sie Uniformen oder Uniformteilen gleichartig sind (BayObLG, Entscheidung vom 20.01.1987 - 4 St 209/86, NStZ 1987, 234).
*** (StA)
Das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di verstößt nicht gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersG (StA Osnabrück, Entscheidung vom 28.04.2006 - 730 UJs 12661/06, NStZ 2007, 183):
„... Wie Ls. Die aus dünnem Plastikmaterial bestehenden Streikwesten sind keine Uniformen oder Uniformteile, weil die Streikenden Zivil- oder Arbeitskleidung tragen, die unter den Westen deutlich sichtbar bleibt.
Die Streikwesten sind auch keine ‚gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.v. § 3 VersammlG, weil sie als dünne Plastikgebilde mit Einweg-Charakter schon keinen Bekleidungscharakter aufweisen, aber zumindest nicht Uniformen ähnlich sind.
Die Auslegung des Merkmals ‚gleichartige Kleidungsstücke' anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt, dass hierunter nicht sämtliche gleichartigen zivilen Kleidungsstücke zu verstehen sind, sondern nur solche, die eine
uniformähnliche Wirkung entfalten, also suggestiv-militante Effekte erzielen.
Das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft bei einem Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung ist Ausdruck der grundrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit und nicht ‚Ausdruck einer gemeinsamen
politischen Gesinnung' i.S.v. § 3 VersammlG. ...
Die StA stellte das aufgrund einer Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren ein. ...
Es ist bei der StA Osnabrück eine Strafanzeige eines privaten Anzeigeerstatters vom 3. 3. 2006 gegen namentlich unbekannte Streikende, die in der Zeitung abgebildet waren, eingegangen mit dem Tatvorwurf, durch das Tragen von
Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersammlG verstoßen zu haben.
Gemäß § 3 I VersammlG ist es verboten, ‚in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' zu tragen. Ein Verstoß ist nach § 28 VersammlG strafbar.
Da davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den in der Strafanzeige bezeichneten gewerkschaftlichen Aktionen mit zahlreichen auf Zeitungsfotos abgebildeten Teilnehmern um Versammlungen im Sinne des
Versammlungsgesetzes handelte, ist zur Prüfung einer Strafbarkeit nach den §§ 3, 28 VersammlG festzustellen, ob es sich bei den Plastikwesten mit aufgedrucktem Gewerkschafts-Logo, die von den Teilnehmern getragen werden, um
Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke i.S.d. § 3 VersammlG handelt und ob diese als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden.
Bei den aus einem dünnen Plastikmaterial (ähnlich wie bei Müllsäcken) bestehenden Streikwesten handelt es sich offensichtlich nicht um Uniformen oder Uniformteile. Im Gegensatz zur Zivilkleidung handelt es sich bei einer
Uniform um eine einheitliche Dienstkleidung z.B. von Soldaten, von Polizeibeamten oder früher von Eisenbahn- oder Postbeamten. Uniformen können sein einheitliche Hemden, Jacken, Hosen, Röcke, Kopfbedeckungen oder Gürtel
(BayObLG v. 20. 1. 1987 - RReg. 4 St 209/86, NJW 1987, 1778 mwN). Stets muss die Kleidung nach Form, Farbe, Schnitt und sonstiger Aufmachung von der allgemein üblichen Bekleidung abweichen (KG v. 19. 3. 2001 - [3] 1 Ss
344/00 [105/00], juris). Die Streikenden tragen Zivil- oder Arbeitskleidung, über die sie die Plastikwesten gezogen haben. Die darunter getragene zivile Bekleidung bleibt weitgehend sichtbar und unterscheidet die einzelnen Personen deutlich.
Die Plastikwesten stellen auch kein Uniformteil dar. Uniformteile sind z.B. Waffenröcke, Mützen, Schulterstücke, Hemden mit aufgesetzten Brusttaschen und Schulterklappen oder Stiefel (BayObLG aaO). Uniformteile müssen
unschwer von einem objektiven Betrachter wegen ihrer Gleichartigkeit als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können, sie müssen ihrem Charakter nach Unformen oder Uniformteilen entsprechen (KG aaO). Das KG weiter:
‚Das Verbot erfasst danach nur einen sehr engen Kreis gleichartiger Kleidungsstücke. Jede Form gleicher Kleidung darf gewählt werden, mit Ausnahme solcher, die den Eindruck von Uniformen oder Uniformteilen hervorrufen.' Die
Streikwesten vermitteln optisch und vom Material her alles andere als den Eindruck eines Uniformteiles.
Es bleibt zu prüfen, ob diese Westen als ‚gleichartige Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG anzusehen sind. Gleichartige Kleidungsstücke sind (nach dem Kommentar zu § 3 des VersammlG Dietel/Gintzel) Kleidung und
Kleidungsbestandteile jeder Art, die sich durch Uniformität auszeichnen und damit ihrem Charakter nach Uniformen oder Uniformteilen entsprechen, beispielsweise die Roben von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und
Geistlichen, die Bekleidung von Krankenschwestern und Nonnen, Sportbekleidung, Trachten, Kluften u.ä. Auch bestimmte Teile der Bekleidung (Krawatten, Kopfbedeckungen, u.U. auch gleichartige Masken oder Schutzhelme,
eventuell auch Stiefel und Koppel) kommen in Betracht.
Die Plastikwesten können zwar bei reiner Wortauslegung das Merkmal des gleichartigen Kleidungsstücks noch erfüllen, wobei man jedoch auch die Auffassung vertreten kann, dass ein dünnes Plastikgebilde mit Einweg-Charakter
kein Kleidungsstück sei, da sich niemand im Alltagsleben damit bekleiden würde und die Westen nicht einmal als Regenüberzug brauchbar sind. Danach würden die Streikwesten wegen der darauf befindlichen Aufdrucke (‚Ver.di'
und ‚Streik') eher den Charakter eines vom Träger umgehängten Plakates haben, was keinen Verstoß gegen § 3 VersammlG darstellen würde.
Selbst wenn man eine Kleidungseigenschaft bejahen würde, sind die Westen keine ‚gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG. Sie weisen nicht die gleiche Art wie eine Uniform auf. Sie zeigen keine Bezüge zu Uniformen
oder zur Bekleidung historisch bekannter militanter Gruppen (vgl. dazu BVerfG v. 27. 4. 1982 - 1 BvR 1138/81, NJW 1982, 1803; KG aaO). Sie substituieren keine Uniform (KG aaO). Weiterhin ist im Hinblick auf die
Entstehungsgeschichte des Versammlungsgesetzes und den mit dem Uniformverbot verfolgten Gesetzeszweck, den freien politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde
militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (vgl. BT-Dr 1/4387), eine verfassungskonform eingeschränkte Auslegung des Merkmals der ‚gleichartigen Kleidungsstücke' geboten (BVerfG NJW 1982,
1803; LG Hamburg NStZ 1983, 419).
Gleichartige Kleidungsstücke im Sinne dieser Vorschrift sind danach nicht alle zivilen Kleidungsstücke von gleichem Aussehen, sie müssen eine uniformartige Wirkung entfalten. ‚Das Tragen speziell von Uniformen als Ausdruck
politischer Gesinnung ist aber - wie historische Erfahrungen bestätigen - geeignet, nicht nur die Außenwirkungen kollektiver Äußerungen zu verstärken, sondern darüber hinaus suggestiv-militante Effekte in Richtung auf
einschüchternde uniforme Militanz auszulösen' (BVerfG NJW 1982, 1803).
Die Plastikwesten der Streikenden erfüllen diese Voraussetzungen nicht, da sie weder den Effekt einer einschüchternden Militanz (wie z.B. braune oder schwarze Hemden, insbesondere bei Stiefelträgern) haben noch kann ihnen eine
Massensuggestivwirkung beigemessen werden. Hinzu kommt, dass es den Streikteilnehmern an einem militärischen Gebaren fehlte. Sie bewegten sich z.B. nicht als eine militärische Formation.
Weitere Voraussetzung für einen Verstoß gegen § 3 I VersammlG wäre außerdem, dass das gemeinsame Tragen eines einheitlichen Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung
bewertet wird und dies auch von den Trägern dieser Kleidungsstücke erkannt wird.
Von politischen Veranstaltungen sind solche abzugrenzen, die nur der Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen dienen und den besonderen Schutz des Art. 9 III GG genießen. Zum verfassungsrechtlich geschützten Bereich
der koalitionsmäßigen Betätigung einer Gewerkschaft gehört neben dem Recht auf Abschluss von Tarifverträgen u.a. das Recht, über Lohn und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung und ohne staatliche
Einflussnahme zu verhandeln (BVerfGE 44, 322, 340f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Ein gewerkschaftl. geführter Streik ist nur rechtmäßig, wenn es um Ziele geht, die tarifvertraglich regelbar sind, die tauglicher Inhalt eines
Tarifvertrages sein können (zuletzt BAG Urt. v. 27. 6. 1989, BAGE 62, 171 = AP Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 1989, 2229 unter Bezugnahme auf BAG Urt. v. 7. 6. 1988, BAGE 58, 343 = AP Nr. 106 zu Art. 9 GG,
Arbeitskampf = DB 1988, 2102).
Im vorliegenden Fall handelte es sich eindeutig um einen Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung um längere Arbeitszeiten. Es handelt sich damit nicht um einen politischen Streik. Daher wird man bei den
Streikteilnehmern das Tatbestandsmerkmal ‚Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.d. § 3 VersammlG im vorliegenden Fall nicht annehmen können.
Der Tatbestand des § 3 VersammlG wird durch das Tragen der Plastik-Streikwesten nicht erfüllt, eine Strafbarkeit nach § 28 VersammlG ist dementsprechend nicht gegeben. ..."
***
Das öffentliche Tragen blau-gelb gefärbter Anoraks durch Abgeordnete der FDP verstößt nicht gegen das Uniformverbot des § 3 I VersG (StA Konstanz, Entscheidung vom 23.02.1984 - 11 Js 16/84, NStZ 1984, 322).
§ 4
(weggefallen)
§ 5
Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn
1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,
2. der Veranstalter oder Leiter der Versammlung Teilnehmern Zutritt gewährt, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen,
3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben,
4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum
Gegenstand haben.
Leitsätze/Entscheidungen:
Zur Frage, ob die Anwendung von § 5 Nr. 4 VersG auf Versammlungen, in denen eine Leugnung der Judenverfolgung zu erwarten ist, gegen Art. 5 I 1 GG verstößt (BVerfG, Entscheidung vom 13.04.1994 - 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779):
„.. A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit von Auflagen für eine Versammlung, in der die Leugnung der Judenverfolgung im ‚Dritten Reich' zu erwarten ist.
I. 1. Die Beschwerdeführerin, ein Bezirksverband der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), lud in ihrem parteiinternen Mitteilungsblatt und in der bundesweit publizierten ‚Deutschen Stimme' für Sonntag, den 12. Mai
1991, zu einer Veranstaltung mit dem Thema ‚Deutschlands Zukunft im Schatten politischer Erpressung?' in München ein. Die Einladung trug die Überschrift: ‚David Irving kommt nach München!' Es hieß darin, der bekannte
‚revisionistische' Historiker werde erstmalig zu der Frage Stellung nehmen, ob es sich die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn leisten könnten, die ‚Zeitgeschichte als politisches Erpressungsinstrument' zu dulden.
2. Die Landeshauptstadt München legte der Beschwerdeführerin als Veranstalterin auf, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, daß in der Versammlung über die Verfolgung der Juden im Dritten Reich insoweit nicht
gesprochen wird, als diese Verfolgung geleugnet oder bezweifelt wird. Sie hat insbesondere zu Beginn der Veranstaltung auf die Strafbarkeit derartiger Redebeiträge ( §§ 130 , 185 , 189 , 194 StGB ) hinzuweisen, eventuelle
einschlägige Redebeiträge sofort zu unterbinden und gegebenenfalls die Versammlung zu unterbrechen oder aufzulösen bzw. von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen.
Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß es auf der geplanten Versammlung zu Straftaten nach den §§ 130 , 185 , 189 und 194 StGB (sogenannte Auschwitzlüge) kommen werde. Dies ergebe sich aus dem Text der
Einladung und aus der Person des Redners David Irving, der zu den führenden Köpfen des Revisionismus gehöre. Kristallisationspunkt revisionistisch-rechtsextremistischer Geschichtsbetrachter sei die Ablehnung der deutschen
Nachkriegsentwicklung, die angeblich geprägt sei von antideutscher Umerziehungsagitation und kollektiver Demütigung durch die Oktroyierung eines permanenten Schuldbewußtseins. Das rechtsextreme Lager und seine
Interessenvertreter - so auch David Irving - glaubten, daß das deutsche Volk von der Alleinschuld Hitlers am Zweiten Weltkrieg und von dem Vorwurf der Massenvernichtung von Juden in deutschen Vernichtungslagern rehabilitiert
werden müsse. Auf diesem Hintergrund sei die Prognose gerechtfertigt, daß es auf der Versammlung zu Straftaten kommen werde.
Die Auflage finde ihre Rechtsgrundlage in § 5 Nr. 4 des Versammlungsgesetzes (VersG). Auch wenn in der Norm nur von einem Verbot die Rede sei, dürfe stattdessen als mildere Maßnahme eine Auflage angeordnet werden. Diese
sei aber auch erforderlich, um Straftaten zu verhüten oder zu unterbinden.
Im Widerspruchsbescheid stellte die Regierung von Oberbayern die Erledigung des Widerspruchs fest, weil die Versammlung inzwischen stattgefunden hatte.
3. Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen:
Nach § 5 Nr. 4 VersG könne eine Versammlung verboten werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehe, daß dort vom Veranstalter oder seinem Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen geduldet würden, die als
Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgende Vergehen stafbar seien. Anstelle eines Verbots könnten als milderes Mittel Auflagen verhängt werden, die geeignet seien, die strafbaren Handlungen zu verhindern. Die hier
festgestellten Tatsachen deuteten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß der Veranstalter oder sein Anhang die These von der sogenannten Auschwitzlüge vertreten oder dulden würden. Wer diese Ansicht öffentlich äußere und
damit sowohl die Existenz von Gaskammern in Auschwitz als auch die gezielte Massenvernichtung von Juden im Dritten Reich bestreite, begehe nach der Rechtsprechung der Strafgerichte Straftaten der Beleidigung ( §§ 185 , 194
Abs. 1 Satz 2 StGB ), der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ( § 189 StGB ) und der Volksverhetzung ( § 130 StGB ).
Es treffe zwar zu, daß der Landesverband der NPD in seinem Schreiben vom 30. März 1991 David Irving gebeten habe, die Erwähnung des Wortes ‚Auschwitz' zu vermeiden, und der Redner hierzu sein Einverständnis erklärt habe.
Dies rechtfertige jedoch keine andere Beurteilung, da sowohl die Existenz von Gaskammern in Auschwitz als auch die gezielte Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich geleugnet werden könne, ohne daß das Wort ‚Auschwitz'
fiele. In dem Schreiben sei außerdem ausgeführt worden, daß der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der moralischen Abwertung Deutschlands und den politischen und materiellen Zugeständnissen der Deutschen
‚weitgehend' losgelöst von der Frage der Authentizität bestimmter Ereignisse in der Vergangenheit betrachtet werden könne. ‚Weitgehend' bedeute etwas anderes als ‚vollständig' und schließe zumindest teilweise die Erörterung der
Frage ein, wie sich die geschichtlichen Ereignisse aus der Sicht des Revisionismus abgespielt hätten.
Schließlich gehe aus dem Verfassungsschutzbericht Bayern für 1991 hervor, daß sich die NPD gegen die ‚Dogmen von der deutschen Alleinkriegsschuld und von der Einzigartigkeit der NS-Verbrechen' gewandt habe. Die angeführten
Umstände ließen jedenfalls in ihrer Gesamtheit den Schluß zu, daß es auf der geplanten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu strafbaren Redebeiträgen in Gestalt der Leugnung der gezielten Massenvernichtung der Juden im
Dritten Reich durch den Hauptredner, einen seiner beiden Vorredner oder einen oder mehrere Diskussionsteilnehmer kommen werde. Dies sei bei dem vorgesehenen Thema ‚Deutschlands Zukunft im Schatten politischer Erpressung?'
ausgesprochen wahrscheinlich.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen:
Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bestehe kein Anlaß, da die Verfassungsmäßigkeit des § 5 Nr. 4 VersG und des § 185 StGB nicht zweifelhaft sei. Soweit die Beschwerdeführerin es für verfassungswidrig halte, das
Leugnen oder Bezweifeln der Judenverfolgung im Dritten Reich als strafbar im Sinne dieser Vorschriften anzusehen, handele es sich um die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung im Einzelfall.
Im übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. In seinen ergänzenden Ausführungen hat er dargelegt, daß die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im
Rahmen der Gefahrenprognose um so geringer seien, je weniger die behördliche Maßnahme in die Rechte des Betroffenen eingreife. Im vorliegenden Fall genüge eine geringe Wahrscheinlichkeit, da die Beschwerdeführerin durch die
Auflage rechtlich nicht beeinträchtigt werde. Die Auflage untersage nur, was ohnehin verboten sei. Die Verpflichtung, auf die Strafbarkeit entsprechender Redebeiträge hinzuweisen und während der Veranstaltung über die Einhaltung
zu wachen, stelle keine schwerwiegende Beeinträchtigung dar.
Das Gericht folge der herrschenden Meinung, daß das Leugnen oder Bezweifeln der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Diktatur eine Verletzung der Ehre der unter der nationalsozialistischen Diktatur verfolgten
Juden darstelle. Da die Judenverfolgung nicht zu bestreiten sei, müsse es jeden Betroffenen zutiefst kränken und demütigen, wenn dieses Geschehen bestritten, bezweifelt und verharmlost werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat die
Revision nicht zugelassen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen, weil die Beschwerdeführerin insbesondere den Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt habe.
II. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG . Die versammlungsrechtliche Auflage habe in die freie Meinungsbildung auf der
Versammlung vom 12. Mai 1991 eingegriffen.
Die angegriffenen Entscheidungen und die in ihnen vorgenommene Anwendung des § 5 Nr. 4 VersG beruhten auf der Rechtsauffassung, daß das öffentliche Äußern von Zweifeln am Wahrheitsgehalt von Behauptungen über deutsche
Greueltaten gegen Juden als Beleidigung der Juden strafbar sei (BGHZ 75, 160). Dadurch sei ein rechtliches Instrumentarium zur Unterbindung einer politisch unerwünschten zeitgeschichtlichen Diskussion geschaffen worden. Diese
Rechtspraxis sei verfassungswidrig; sie werde auch in der Literatur als Überdehnung des Straftatbestandes der Beleidigung angesehen.
In vollem Umfang werde die Verfassungswidrigkeit dieser Rechtspraxis bei Betrachtung des (gescheiterten) Entwurfs eines 21. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 11. April 1984 - BTDrucks. 10/1286 - deutlich. Mit diesem sei der
Zweck verfolgt worden, die bestehende Strafbarkeitslücke für das ‚Leugnen behaupteter deutscher Greueltaten' zu schließen. Bereits damals habe der Bundesrat in seiner Äußerung zum Gesetzentwurf verfassungsrechtliche Bedenken
geltend gemacht. Die heutige Rechtspraxis sei ohne Einschränkung so beschaffen, als wäre dieser Gesetzentwurf tatsächlich verabschiedet und beschlossen worden. Gesetz geworden sei jedoch die ‚verfahrensrechtliche Lösung' in §
194 Abs. 1 Satz 2 StGB . Damit seien die für die ‚Einfädelung' der heutigen Rechtspraxis verantwortlichen Politiker den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten bewußt aus dem Weg gegangen. Durch die heutige Rechtsprechung zur
Unterdrückung der zeitgeschichtlichen Forschung über die jüngere Geschichte Deutschlands werde Art. 5 GG ad absurdum geführt, ja dieses Grundrecht im Grunde aufgehoben und für nichtig erklärt.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sei dem Art. 5 GG unterzuordnen. Da der Bundesgerichtshof in der ‚Auschwitzlüge' eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Juden sehe,
verstoße diese Rechtsprechung gegen Art. 5 GG .
B. I. Ob die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, bedarf keiner Entscheidung, denn sie ist jedenfalls offensichtlich unbegründet (§ 24 BVerfGG).
II. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG .
1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten.
a) An diesem Grundrecht sind die Entscheidungen vorrangig zu messen. Zwar bezieht sich die Auflage, die die Beschwerdeführerin bekämpft, auf eine Versammlung. Ihr Gegenstand sind aber bestimmte Äußerungen, die von der
Beschwerdeführerin als Veranstalterin der Versammlung weder abgegeben noch geduldet werden durften. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Auflage hängt vor allem davon ab, ob derartige Äußerungen erlaubt sind oder nicht.
Eine Äußerung, die von Verfassungs wegen nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht Anlaß für eine versammlungsbeschränkende Maßnahme nach § 5 Nr. 4 VersG sein. Für die Beantwortung dieser Frage ergeben sich die
Maßstäbe aber nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ( Art. 8 GG ), sondern aus dem der Meinungsfreiheit.
b) Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen. Auf sie bezieht sich die Freiheit der Äußerung und Verbreitung. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt
seiner Aussage geprägt (vgl. BVerfGE 33, 1 (14) [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvR 41/71] ). Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl. BVerfGE 7, 198 (210) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR
400/51] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne daß es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder
grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 33, 1 (14 f.) [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvR 41/71] ). Der Schutz des Grundrechts erstreckt sich auch auf die Form
der Aussage. Eine Meinungsäußerung verliert den grundrechtlichen Schutz nicht dadurch, daß sie scharf oder verletzend formuliert ist (vgl. BVerfGE 54, 129 (136 ff.) [BVerfG 13.05.1980 - 1 BvR 103/77] ; 61, 1 (7) [BVerfG
22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). In dieser Hinsicht kann die Frage nur sein, ob und inwieweit sich nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 2 GG Grenzen der Meinungsfreiheit ergeben.
Tatsachenbehauptungen sind dagegen im strengen Sinn keine Meinungsäußerungen. Im Unterschied zu diesen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie auch
einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Da sich Meinungen in der Regel auf
tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, sind sie durch das Grundrecht jedenfalls insoweit geschützt, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, welche Art. 5 Abs. 1 GG
in seiner Gesamtheit gewährleistet (vgl. BVerfGE 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ).
Infolgedessen endet der Schutz von Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein
schützenswertes Gut. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt wird (vgl.
BVerfGE 54, 208 (219) [BVerfG 03.06.1980 - 1 BvR 797/78] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der
Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden (vgl. BVerfGE 54, 208 (219 f.) [BVerfG 03.06.1980 - 1 BvR 797/78] ; 61, 1 (8) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1
(22) [BVerfG 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] ).
Die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen kann freilich schwierig sein, weil beide häufig miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In diesem Fall ist eine
Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muß die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes
insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 (9) [BVerfG
22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1 (15 f. [BVerfG 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] )).
c) Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt sie den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und
der persönlichen Ehre ergeben. Doch ist bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, die sich beschränkend für die Meinungsfreiheit auswirken, der Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 7, 198
(208 f.) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] ). Das erfordert in der Regel eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Normen vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht
und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient.
Für diese Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht einige Regeln entwickelt. Danach beansprucht die Meinungsfreiheit keineswegs stets den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz, wie die Beschwerdeführerin meint. Vielmehr
geht bei Meinungsäußerungen, die als Formalbeleidigung oder Schmähung anzusehen sind, der Persönlichkeitsschutz der Meinungsfreiheit regelmäßig vor (vgl. BVerfGE 66, 116 (151) [BVerfG 25.01.1984 - 1 BvR 272/81] ; 82, 272
(281, 283 ff. [BVerfG 26.06.1990 - 1 BvR 1165/89] )). Bei Meinungsäußerungen, die mit Tatsachenbehauptungen verbunden sind, kann die Schutzwürdigkeit vom Wahrheitsgehalt der ihnen zugrundeliegenden tatsächlichen
Annahmen abhängen. Sind diese erwiesen unwahr, tritt die Meinungsfreiheit ebenfalls regelmäßig hinter den Persönlichkeitsschutz zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 (8 f.) [BVerfG 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79] ; 85, 1 (17) [BVerfG
09.10.1991 - 1 BvR 1555/88] ). Im übrigen kommt es darauf an, welches Rechtsgut im Einzelfall den Vorzug verdient. Dabei ist aber zu beachten, daß in Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, eine Vermutung zugunsten
der freien Rede spricht (vgl. BVerfGE 7, 198 (212) [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] ). Dies ist daher bei der Abwägung zwischen den Rechtspositionen der beteiligten Personen stets mitzuberücksichtigen.
2. Gemessen daran liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG offensichtlich nicht vor. Die an die Beschwerdeführerin als Veranstalterin der Versammlung gerichtete Auflage, dafür zu sorgen, daß in der Versammlung die
Verfolgung der Juden im Dritten Reich nicht geleugnet oder bezweifelt wird, ist mit diesem Grundrecht vereinbar.
a) Die von der Versammlungsbehörde aufgestellte und von den Verwaltungsgerichten bestätigte Gefahrenprognose, es werde im Verlauf der Versammlung zu derartigen Äußerungen kommen, hat die Beschwerdeführerin nicht
angegriffen. Sie streitet vielmehr dafür, solche Behauptungen aufstellen zu dürfen.
b) Bei der untersagten Äußerung, daß es im Dritten Reich keine Judenverfolgung gegeben habe, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, die nach ungezählten Augenzeugenberichten und Dokumenten, den
Feststellungen der Gerichte in zahlreichen Strafverfahren und den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft erwiesen unwahr ist. Für sich genommen genießt eine Behauptung dieses Inhalts daher nicht den Schutz der
Meinungsfreiheit. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen der Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich und der Leugnung der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, um die es in der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1994 - 1 BvR 434/871 - ging. Bei Aussagen zur Schuld und Verantwortlichkeit für historische Ereignisse handelt es sich stets um komplexe Beurteilungen, die nicht auf eine
Tatsachenbehauptung reduziert werden können, während die Leugnung eines Ereignisses selbst regelmäßig den Charakter einer Tatsachenbehauptung haben wird.
c) Aber auch wenn man die Äußerung, auf die sich die Auflage bezieht, nicht für sich nimmt, sondern im Zusammenhang mit dem Thema der Versammlung betrachtet und sie insoweit als Voraussetzung für die Meinungsbildung zur
‚Erpreßbarkeit' der deutschen Politik ansieht, halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung stand. Die untersagte Äußerung genießt dann zwar den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG . Doch ist
ihre Einschränkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Die Einschränkung hat eine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage.
Behörden und Verwaltungsgerichte haben die meinungsbeschränkende Auflage auf § 5 Nr. 4 VersG gestützt. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung in geschlossenen Räumen verboten werden, wenn Tatsachen festgestellt
sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. Diese Regelung
ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 8 Abs. 1 GG . Zwar ist das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen vorbehaltlos gewährleistet. Das bedeutet aber nicht, daß Meinungsäußerungen in Versammlungen über Art. 5 Abs. 1
und 2 GG hinaus geschützt sind. Meinungsäußerungen, die durch eine nach Art. 5 Abs. 2 GG zulässige Norm mit Strafe bedroht sind, bleiben auch in einer Versammlung verboten. Es ist im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG auch nicht
grundsätzlich zu beanstanden, daß der Gesetzgeber Straftaten, die bei einer Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, schon im Vorfeld ihrer Begehung zu unterbinden sucht. Vor einer übermäßigen Beschränkung
der Versammlungsfreiheit schützen die Eingrenzung der Verbotsgründe auf Verbrechen und von Amts wegen zu verfolgende Vergehen sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei allen Maßnahmen zu beachten ist, mit
denen die Versammlungsfreiheit beschränkt wird.
Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. § 5 Nr. 4 VersG enthält keine selbständige Beschränkung der Meinungsfreiheit, sondern knüpft an die Beschränkungen an, die im Strafgesetzbuch enthalten sind.
Versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach § 5 Nr. 4 VersG dürfen also nur ergriffen werden, wenn in einer Versammlung Äußerungen drohen, die ohnehin unter Strafe gestellt sind und von Amts wegen verfolgt werden.
Allerdings bewegt sich die Vorschrift nicht im Bereich nachträglicher Sanktionen durch die Gerichte, sondern im Bereich präventiver Verbote durch die Behörden. Den damit verbundenen Gefahren für die Meinungsfreiheit läßt sich
aber dadurch begegnen, daß an die Gefahrenprognose strenge Anforderungen gestellt werden und die Strafbarkeit der Äußerungen nach dem Stand der Rechtsprechung nicht zweifelhaft sein darf.
An der Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften, auf die hier die Auflage gestützt worden ist, bestehen keine Zweifel. Die Beleidigungstatbestände schützen die persönliche Ehre, die in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich als Rechtsgut
genannt ist, das die Beschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigt. Bei § 130 StGB handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinn des Art. 5 Abs. 2 GG , das dem Schutz der Menschlichkeit dient (vgl. BTDrucks. III/1746, S. 3)
und seinen verfassungsrechtlichen Rückhalt letztlich in Art. 1 Abs. 1 GG findet.
bb) Auslegung und Anwendung von § 5 Nr. 4 VersG in Verbindung mit § 185 StGB durch die angegriffenen Entscheidungen sind ebenfalls mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar.
(1) Die Verwaltungsbehörden und -gerichte haben ihren Entscheidungen die Strafnorm in der Auslegung zugrunde gelegt, welche die ordentlichen Gerichte ihr gegeben haben. Danach bilden die in Deutschland lebenden Juden
aufgrund des Schicksals, dem die jüdische Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ausgesetzt war, eine beleidigungsfähige Gruppe; die Leugnung der Judenverfolgung wird als eine dieser Gruppe zugefügte
Beleidigung beurteilt. Der Bundesgerichthof hat dazu ausgeführt:
Die historische Tatsache selbst, daß Menschen nach den Abstammungskriterien der sog. Nürnberger Gesetze ausgesondert und mit dem Ziel der Ausrottung ihrer Individualität beraubt wurden, weist den in der Bundesrepublik
lebenden Juden ein besonderes personales Verhältnis zu ihren Mitbürgern zu; in diesem Verhältnis ist das Geschehene auch heute gegenwärtig. Es gehört zu ihrem personalen Selbstverständnis, als zugehörig zu einer durch das
Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen besteht, und das Teil ihrer Würde ist. Die Achtung dieses Selbstverständnisses ist für jeden von
ihnen geradezu eine der Garantien gegen eine Wiederholung solcher Diskriminierung und eine Grundbedingung für ihr Leben in der Bundesrepublik. Wer jene Vorgänge zu leugnen versucht, spricht jedem einzelnen von ihnen diese
persönliche Geltung ab, auf die sie Anspruch haben. Für den Betroffenen bedeutet das die Fortsetzung der Diskriminierung der Menschengruppe, der er zugehört und mit ihr seiner eigenen Person (BGHZ 75, 160 (162 f.) [BGH
18.09.1979 - VI ZR 140/78] ).
An diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber angeknüpft und für solche Beleidigungen in § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Ausnahme vom Antragserfordernis eingefügt (vgl. BTDrucks. 10/3242, S. 9).
Die Auffassung des Bundesgerichtshofs hat zwar in der strafrechtlichen Literatur Widerspruch erfahren. Sie wird zum Teil als Überdehnung des Beleidigungstatbestands angesehen (Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, 24. Aufl., § 185
Rdnr. 3; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 194 Rdnr. 1; Köhler, NJW 1985, S. 2390 Fn. 11). Indessen prüft das Bundesverfassungsgericht nicht nach, ob eine Auslegung des Strafgesetzbuchs einfachrechtlich richtig ist oder ob auch
andere Auffassungen vertretbar wären. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist vielmehr allein ausschlaggebend, ob sie auf der Verkennung von Grundrechten beruht. Das ist hier nicht der Fall.
Es begegnet keinen Bedenken, daß die angegriffenen Entscheidungen im Gefolge dieser Rechtsprechung in der Leugnung der Judenverfolgung eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung erblickt haben. Der vom Bundesgerichtshof
hergestellte Begründungszusammenhang zwischen der Leugnung der rassisch motivierten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich und dem Angriff auf den Achtungsanspruch und die Menschenwürde der heute
lebenden Juden ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit unterscheidet sich die Leugnung der Judenverfolgung von der Leugnung der deutschen Kriegsschuld (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1994 - 1 BvR
434/87 ). Die letztgenannte Auffassung beeinträchtigt, unabhängig von ihrer historischen Anfechtbarkeit, jedenfalls keine Rechtsgüter Dritter.
Der Einwand der Beschwerdeführerin, daß die Auflagen auf ein Verständnis von § 185 StGB gestützt worden sind, das dem Entwurf des § 140 StGB im 21. Strafrechtsänderungsgesetz (BTDrucks. 10/1286, S. 4) zugrunde lag, der
vom Deutschen Bundestag nicht verabschiedet wurde, macht diese Auslegung ebenfalls nicht verfassungswidrig. Daß der Gesetzgeber davon Abstand genommen hat, für die Leugnung der Judenverfolgung einen speziellen Tatbestand
mit höherer Strafdrohung einzuführen, erlaubt nicht den Schluß auf die Straflosigkeit der Tathandlung unter der allgemeineren Norm des § 185 StGB , zumal er - wie dargelegt - an die Rechtsprechung angeknüpft hat, die in der
Leugnung des Verfolgungsschicksals eine Beleidigung sieht.
(2) Auch die Abwägung zwischen der Ehrverletzung einerseits und der Beschränkung der Meinungsfreiheit andererseits läßt keine verfassungsrechtlich erheblichen Fehler erkennen. Für diese Abwägung spielt die Schwere der
jeweiligen Beeinträchtigung eine ausschlaggebende Rolle. Bei ehrverletzenden Meinungsäußerungen, die eine Tatsachenbehauptung enthalten, fällt dabei ins Gewicht, ob die Tatsachenbehauptung zutrifft oder nicht. Erwiesen
unrichtige Tatsachenbehauptungen sind kein schützenswertes Gut. Verbinden sie sich untrennbar mit Meinungen, so kommt ihnen zwar der Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zugute, doch wiegt ein Eingriff von vornherein weniger
schwer als im Fall nicht erwiesen unwahrer Tatsachenangaben.
So verhält es sich hier. Auch wenn man die Äußerung, die der Beschwerdeführerin auf ihrer Versammlung untersagt worden ist, im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema als Meinungsäußerung betrachtet, ändert das nichts an
der erwiesenen Unrichtigkeit ihres tatsächlichen Gehalts. Der Eingriff, der sich hierauf bezieht, wiegt daher nicht besonders schwer. Angesichts des Gewichts, das der Ehrverletzung zukommt, ist es nicht zu beanstanden, daß die
angegriffenen Entscheidungen dem Persönlichkeitsschutz den Vorrang vor der Meinungsfreiheit eingeräumt haben.
Daran ändert sich auch nichts, wenn man berücksichtigt, daß die Einstellung Deutschlands zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und deren politischen Folgen, um die es bei der Versammlung ging, eine die Öffentlichkeit
wesentlich berührende Frage ist. In diesem Fall spricht zwar eine Vermutung für die freie Rede. Doch greift diese weder ein, wenn es sich bei der Äußerung um Formalbeleidigungen oder Schmähungen handelt, noch wenn die
kränkende Äußerung auf erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen beruht.
Auch eine mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare Überdehnung der Anforderungen an die Wahrheitspflicht hinsichtlich des Tatsachenkerns der Äußerung ist von diesem Abwägungsergebnis nicht zu besorgen. Die Begrenzung der
Sorgfaltspflicht, von der das Bundesverfassungsgericht im Interesse der freien Kommunikation sowie der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien ausgeht, bezieht sich auf Tatsachenbehauptungen, deren Richtigkeit im Zeitpunkt der
Äußerung noch ungewiß ist und sich nicht binnen kürzester Frist aufklären läßt. Sie kommt aber nicht dort zur Geltung, wo die Unwahrheit einer Aussage bereits feststeht, wie das hier der Fall ist.
(3) Da die angegriffene Auflage schon im Hinblick auf § 185 in Verbindung mit § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu beanstanden ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob dies auch für die Beurteilung der Strafbarkeit nach §§ 130 , 189
StGB gilt. ..."
*** (BVerwG)
„... Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf
den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, ob und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran gemessen führen die von den Klägern
aufgeworfenen und von ihnen als rechtsgrundsätzlich angesehenen Fragen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Kläger möchten die Frage beantwortet wissen: ‚Können, entgegen Art. 8 I GG über die Spezialnormen der §§ 5 und 13 Versammlungsgesetz hinaus, insbesondere des § 13 Abs. 1 Nr. 2 3. Alt., das allgemeine oder das besondere
Polizeirecht zur Auflösung von nach Art. 8 I GG geschützten Versammlungen (hier speziell solche, die nicht unter freiem Himmel stattfinden) als Ermächtigungsnorm für Eingriffe, insbesondere eine Auflösung, herangezogen
werden?' Mit dieser Frage begehren die Kläger im Kern eine Antwort dazu, ob in die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden kann oder ob
Eingriffe auch auf das (allgemeine) Polizeirecht gestützt werden können. Diese Frage führt nicht zur Revisionszulassung.
Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts
einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung einer Klärung gerade durch höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und
mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. Oktober 2000 - BVerwG 6 B 47.00 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr.
10 S. 6 m.w.N.). So liegt es hier. Die in Rede stehende Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts geklärt.
Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich in erster Linie nach dem Versammlungsgesetz. Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind
Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der polizeilichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es daher als Spezialgesetz dem allgemeinen
Polizeirecht vor (vgl. Urteile vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 <38> und vom 25. Juli 2007 - BVerwG 6 C 39.06 - BVerwGE 129, 142 Rn. 30 m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26. Oktober 2004 -
1 BvR 1726/01 - BVerfGK 4, 154 <158> m.w.N. und vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 - BVerfGK 11, 102 <114 f.> m.w.N.). Diese sogenannte Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit bedeutet freilich nicht, dass in die
Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden könnte; denn das Versammlungsgesetz enthält keine abschließende Regelung für die Abwehr von Gefahren, die im Zusammenhang mit
Versammlungen auftreten können. Vielmehr ist das Versammlungswesen im Versammlungsgesetz nicht umfassend und vollständig, sondern nur teilweise und lückenhaft geregelt, so dass in Ermangelung einer speziellen Regelung auf
das der allgemeinen Gefahrenabwehr dienende Polizeirecht der Länder zurückgegriffen werden muss (vgl. Urteile vom 8. September 1981 - BVerwG 1 C 88.77 - BVerwGE 64, 55 <58>, vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 -
Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 6 und vom 25. Juli 2007 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass auf das allgemeine Polizeirecht auch insoweit zurückgegriffen werden kann, als es um die Verhütung von
Gefahren geht, die allein aus der Ansammlung einer Vielzahl von Menschen an einem dafür ungeeigneten Ort entstehen, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Ansammlung um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts
handelt.
b) Die Kläger werfen weiter die Frage auf, ‚ob eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes i.S.d. § 41 I VwVfG BW, der inhaltsgleich dem § 41 I VwVfG und damit revisibel ist, der in den Zuständigkeitsbereich einer Ordnungsbehörde
fällt, durch einen Polizeivollzugsbediensteten, der für eine andere Gebietskörperschaft tätig ist, im Ausnahmefall der Eilbedürftigkeit bekanntgegeben werden kann'. Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Durchführung eines
Revisionsverfahrens. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 41 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht notwendig
durch die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständige Behörde selbst erfolgen muss (vgl. Beschluss vom 5. Mai 1997 - BVerwG 1 B 129.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 11 S. 20 m.w.N.). Da es für die
Rechtmäßigkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes durch einen Dritten nicht darauf ankommt, ob die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständige Behörde im Einzelfall nicht in der Lage ist, den Verwaltungsakt bekannt zu
geben, kann auch die von den Klägern in diesem Zusammenhang aufgeworfene weitere Frage nach den Voraussetzungen einer ‚Eilkompetenz' die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
c) Soweit es die Kläger für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung halten, ‚ob eine Behörde den grundgesetzlich verbürgten Anspruch auf Rechtsschutz dadurch unterminieren kann, dass sie bei einer existenten oder vorgeblichen
Gefährdungslage durch schlichte Untätigkeit über Monate im Wege einer 'last-minute-Verbescheidung' die Voraussetzungen für einen Entfall der Begründungspflicht wegen einer Notstandsmaßnahme nach § 80 III S. 2 VwGO selbst
schaffen kann und damit letztlich die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers dagegen ins Leere laufen lässt', kann dies schon deshalb nicht zum Erfolg der Beschwerde führen, weil diese Frage auf den Einzelfall bezogen ist und
deshalb einer grundsätzlichen Bedeutung entbehrt.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidungen beruhen. Die Kläger rügen in diesem Zusammenhang allein einen Verstoß
gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO. Sie sind der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof hätte den Sachverhalt mit Blick auf die Voraussetzungen der Auflösung einer Versammlung nach § 13 Abs. 1
Nr. 2 des Versammlungsgesetzes und hinsichtlich einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung näher aufklären müssen. Diese Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf den
angeblichen Verstößen gegen § 86 Abs. 1 VwGO beruhen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, ob das Versammlungsgesetz Anwendung findet. Da er angenommen hat, dass Verstöße gegen
bauordnungsrechtliche Bestimmungen einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit von vornherein nicht legitimieren können, kam es auf die Voraussetzungen einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung nicht an. ..."
(BVerwG, Beschluss vom 16.11.2010 - 6 B 58/10)
*** (OVG/OLG)
Versammlungsverbot bei G8-Gipfel in Heiligendamm war rechtswidrig (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 08.08.2012 - Quelle: http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=2407).
***
„... Schließlich wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer zu prüfen haben, ob dem Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO der rechtliche Hinweis zu erteilen ist, dass auch eine Verurteilung wegen unbefugten Tragens
einer Uniform nach den §§ 28 , 3 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) in Betracht kommt. Danach macht sich strafbar, wer öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Umformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als
Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung trägt.
Hier kann durchaus erwogen werden, in dem auf dem Ärmel der von dem Angeklagten getragenen Jacke angebrachten Abzeichen ein Uniformteil oder jedenfalls ein Uniformen oder Uniformteilen gleichartiges Kleidungsstück im
Sinne des § 3 VersG zu sehen. Die Vorschrift erfasst alle Kleidungsstücke, die wegen ihrer Gleichartigkeit unschwer als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können und als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung
getragen werden (vgl. Erbs/Kohlhaas-Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juni 2000, V 55, § 3, Rdnrn. 5 u. 7 m. w. N. ). Auf Grund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen über den Charakter der Veranstaltung und
in Anbetracht der vom Landgericht in Bezug genommenen Lichtbilder kann kaum zweifelhaft sein, dass der Angeklagte und andere Veranstaltungsteilnehmer das auf den Ärmeln ihrer sog. Bomberjacken angebrachte Abzeichen
trugen, um dadurch einer gemeinsamen politischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. ..." (OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.02.2001, 1 Ss 87/00).
***
Ein Versammlungsverbot kann wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig sein, wenn die Gefahr, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten oder Äußerungen dulden werden, die ein
Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, auch dadurch ausgeräumt werden kann, daß dem Veranstalter lediglich verboten wird, den Redner, von dem diese Gefahr ausgeht, in der
Veranstaltung auftreten zu lassen (VGH Mannheim, Beschluss vom 25.04.1998 - 1 S 1143/98).
Die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde im Rahmen des § 5 Nr. 4 VersG für ein Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räumen sind jedenfalls nicht geringer als diejenigen
gemäß § 15 I VersG für ein Verbot einer Versammlung im Freien. Ein zum Einschreiten berechtigender Sachverhalt liegt demzufolge erst dann vor, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist (OVG Weimar,
Beschluss vom 29.08.1997 - 2 ZEO 1037/97 u.a., NVwZ-RR 1998, 497).
Unfriedliche Versammlungen fallen nicht in den Schutzbereich von Art. 8 GG. Zum Begriff der unfriedlichen Versammlung (VGH München, Beschluss vom 29.05.1996 - 24 B 94.521, BayVerwBl 1997, 248).
Zum Verbot eines Bundesparteitages der NPD (OVG Münster, Entscheidung vom 10.02.1989 - 4 B 504/89, NVwZ 1989, 885).
*** (VG)
Die Durchführung einer Versammlung kann nach § 15 VersG (juris: VersammlG) verboten werden, wenn sie als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, so dass bei ihrer Durchführung Straftatbestände des § 20
Abs. 1 VereinsG erfüllt würden. Einem Versammlungsverbot, das rechtmäßig darauf gestützt wird, dass die angemeldete Versammlung als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, steht nicht entgegen, dass die
Versammlung bei der Versammlungsbehörde von Ortsgliederungen einer Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG angemeldet worden ist. Denn die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte sogenannte "Parteienfreiheit"
berechtigt niemanden - auch keine Partei , Versammlungen durchzuführen, die aus dem Blickwinkel eines objektiven Betrachters einer vollziehbar verbotenen Vereinigung zuzurechnen sind. Ein noch nicht bestandskräftiges, aber
vollziehbares Vereinsverbot ist eine ausreichende Grundlage für das Verbot einer Versammlung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 VersG (juris: VersammlG; VG Aachen, Beschluss vom 02. April 2013 - 6 L 123/13).
***
Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz kann in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse an der Feststellung begründen, dass der
Grundrechtseingriff rechtswidrig war. Dass einzelne Besucher einer Veranstaltung den Hitlergruß zeigen oder andere Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwenden könnten, vermag ein Veranstaltungsverbot unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, ohne dass im Einzelfall besondere Gründen vorliegen, nicht zu rechtfertigen (VG Magdeburg, Urteil vom 30.01.2012 - 1 A 79/10):
„... Der Kläger wendet sich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen das Verbot einer Musikveranstaltung. Im Dezember 2009 informierte der Landkreis H. die Beklagte über einen am 06.02.2010 in der Gaststätte „L."
geplanten Liederabend. Auftreten würde die Band „F." mit dem Liedermacher D. . Über Herrn D. lägen keine polizeilichen Erkenntnisse vor. Veranstalter sei der „N.-Ortsbereich A-Stadt" mit dem Kläger als „Verantwortlichen".
Bereits am 14.11.2009 sei in der Gaststätte „L." eine gleichgelagerte Veranstaltung mit „F." durchgeführt worden, an der ca. 30 Personen der örtlichen rechten Szene unter Beteiligung des Landesvorsitzenden der N. teilgenommen
hätten. Die Veranstaltung sei störungsfrei verlaufen. Am 03.02.2010 teilte der Landkreis H. der Beklagten mit, dass Innenministerium bitte aufgrund eines zwischenzeitlich aufgetauchten Videos vom 14.11.2011 und des Verdachtes,
bei der Veranstaltung am 06.02.2010 könnten Straftaten begangen werden, den Ansatz einer Gefahrenprognose zu prüfen. Der Landkreis bat die Beklagte deshalb darum, zusammen mit der Polizei an den Veranstalter heranzutreten
und zu erfragen, was bei der Veranstaltung geplant sei. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 04.02.2010 nahm die Beklagte zunächst Kontakt mit dem örtlichen Polizeirevier auf. Nach der Einschätzung des örtlichen
Polizeireviers seien „die bisherigen Veranstaltungen der N. in der ehemaligen Gaststätte „L." störungsfrei verlaufen. Zu den Sachverhalten auf dem Video vom 14.11.2011 seien zwar Ermittlungen wegen des Verdachts auf
Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgenommen worden. Abschließende Entscheidungen lägen hierzu aber noch nicht vor. Zu „F.", Liedermacher D. lägen zwar Erkenntnisse vor. Diese böten derzeit
aber noch keinen Anlass für eine Gefahrenanalyse. Weiter geht aus dem Vermerk hervor, dass die Beklagte mit dem Kläger schriftlich und telefonisch Kontakt aufgenommen habe. Der Kläger habe angegeben, bei dem am 06.02.2010
geplanten Liederabend handele es sich - wie schon bei den vorangegangenen Liederabenden um eine interne und nicht um öffentliche Veranstaltung. Hierfür spräche, dass der Liederabend in privaten Räumen stattfinde und auch nur
N.-Mitglieder des Landesverbandes eingeladen seien. Das Eintrittsgeld stelle lediglich einen Unkostenbeitrag dar. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass ein ordnungsrechtliches Vorgehen der Stadt nicht erforderlich sei. Dem
Vermerk vom 04.02.2010 zufolge solle auf den Wunsch des Klägers am 05.02.2010 um 9.30 Uhr zwischen der N., der Polizei und der Beklagten ein Kooperationsgespräch stattfinden, in dem der genaue Ablauf der internen
Veranstaltung abgesprochen werde. Weiterhin befindet sich in der Behördenakte ein Vermerk des PD G., wonach sich aus dem bei „you tube" eingestellten Video über den am 14.11.2011 durchgeführten Liederabend ergebe, dass dort
mindestens drei verschiedene Teilnehmer den Hitlergruß gezeigt hätten. Bei dem Liederabend am 06.02.2010 sollten auch alkoholische Getränke zur Verfügung gestellt werden. Weil es sich bei dem am 06.02.2010 geplanten
Liederabend um eine gleichartige Veranstaltung handele, sei zu erwarten, dass bei zunehmender Alkoholisierung gleichartige Straftaten (Hitlergruß) begangen werden. Mit Bescheid vom 05.02.2010 verbot die Beklagte unter
Anordnung des Sofortvollzuges die für den 06.02.2010 in der ehemaligen Gaststätte „L." in der O-Straße 65 in A-Stadt geplante interne Veranstaltung - „4. Liederabend" der N.. Das Verbot erstreckte sich auf jede Form von
Ersatzveranstaltungen im Land Sachsen-Anhalt. Die Beklagte begründete das Verbot im Wesentlichen damit, es sei zu erwarten, dass bei der geplanten Veranstaltung mit zunehmender Alkoholisierung der Hitlergruß gezeigt werde.
Bei dem Liederabend handele es sich um eine gleichartige Veranstaltung wie bei derjenigen vom 14.11.2009, bei der mindestens drei verschiedene Personen den Hitlergruß gezeigt hätten. Am 05.02.2010 gab die Beklagte dem Kläger
den Bescheid durch persönliche Übergabe um 15.55 Uhr bekannt. Am 03.03.2010 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben. Zur Begründung der Klage trägt er u. a. vor: Das erforderliche
Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich aufgrund des tiefgreifenden und fortwirkenden Eingriffs in das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit durch die Verbotsverfügung. Die verbotene Veranstaltung sei eine nicht
öffentliche Versammlung, die unter dem Schutz der grundgesetzlich gewährten Versammlungsfreiheit stehe. Die Verfügung verletze den Kläger in seinem Grundrecht. Am 14.11.2009 hätten weder der Kläger noch die beim
Liederabend anwesende Gäste den Hitlergruß gezeigt. Selbst wenn einzelne Personen den Hitlergruß gezeigt hätten, rechtfertige das nicht eine Versammlung aufzulösen oder gar zu verbieten. Der Kläger hätte als Inhaber des
Hausrechts einzelne Personen, die den Hitlergruß gezeigt hätten von der weiteren Veranstaltung ausgeschlossen. Die Beklagte habe die Möglichkeit der Selbstregulierung durch den Kläger nicht erkannt. Bereits deshalb liege ein
Ermessensausfall vor. Auch sei die Verbotsverfügung auf eine unzureichende Gefahrenprognose gestützt.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Verbotsverfügung der Beklagten vom 05.02.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Klageerwiderung trägt sie im Wesentlichen vor: Für die Klage
bestünde kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Die vom Kläger geplante Musikveranstaltung stelle keine Versammlung dar. Das Veranstaltungsverbot sei auf eine hinreichende Gefahrenprognose gestützt worden. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und der Entscheidungsfindung. ...
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO zulässig. Nach dieser Vorschrift spricht das Gericht dann, wenn sich ein Verwaltungsakt erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der
Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Ein Feststellungsinteresse seitens des Klägers besteht bereits unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Grundrechtsbetroffenheit, auf den er sich ausdrücklich beruft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet
das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich
klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann
(vgl. BVerfG, B. v. 05.12.2001 - 2 BvR 527/99 -, zitiert nach: juris, u. BVerwG, B. v. 30.04.1999 - 1 B 36/99 -, zitiert nach: juris).
Indessen begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht allerdings dann, wenn die angegriffene Maßnahme das Grundrecht schwer beeinträchtigt (1),
wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (2) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (3) - (BVerfG, B. v. 03.03.2004 - 1
BvR 461/03 -, zitiert nach juris, Rdnr. 36).
Das gegenüber dem Kläger ausgesprochene Veranstaltungsverbot ist eine schwere Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Die Bedeutung des Rechts auf Durchführung einer Veranstaltung als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein
Veranstaltungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Veranstaltung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Veranstaltungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen
Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Veranstaltung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im
grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Auch spielt es keine Rolle, ob vergleichbare Veranstaltungen noch in Zukunft stattfinden sollen (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 37).
Darüber hinaus besteht Wiederholungsgefahr. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Veranstaltung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass
die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der Veranstalter nicht auf die Alternative zukünftig möglichen Eilrechtsschutzes verwiesen werden - (vgl.
zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 41).
Auf Seiten des Klägers reicht es aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Veranstaltungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können.
Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Veranstaltung selbst zu bestimmen (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfGE 104, 92 <111>),
darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Veranstaltungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden (vgl. zur
Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 41).
Ferner sind Anhaltspunkte zu fordern, dass die betroffene Behörde das Verbot solcher weiterer Veranstaltungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird. Insofern
darf vom Kläger, der regelmäßig keinen Zugang zum Willensbildungsprozess der Verwaltung hat, nicht mehr als die Darlegung verlangt werden, es gebe Anlass für die Annahme, dass beschränkende Verfügungen künftig auf die
gleichen Gründe wie bei der im Streit befindlichen Versammlung gestützt werden (vgl. zur Versammlungsfreiheit: BVerfG, B. v. 03.03.2004 - a. a. O. -, Rdnr. 42).
Gemessen an den Vorgaben der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung besteht die Gefahr, dass die Beklagte erneut gegenüber dem Kläger Veranstaltungsverbote erlassen wird. Denn es ist der Wille des Klägers erkennbar, er werde
auch künftig Liederabende oder ähnliche Veranstaltungen abhalten und es ist zu erwarten, dass die Beklagte derartige Veranstaltungen mit den gleichen oder zumindest ähnlichen Gründen untersagen wird. Hierfür spricht
insbesondere, dass sie im gerichtlichen Verfahren ihren Bescheid vom 05.02.2010 verteidigt und an den dort genannten Gründen festhält.
Das Verbot der Musikveranstaltung gegenüber dem Kläger als Veranstalter stellt jedenfalls einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, sodass dahinstehen kann, ob nicht auch
ein Eingriff in die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG vorliegt (vgl. VG Lüneburg, U. v. 27.06.2006 - 3 A 413/05 -, zitiert nach: juris und VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - 1 A 216/09 MD -, S. 4 d. U. A. - n. V.) oder in die
Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, U. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 -, zitiert nach juris, Rdnr. 14 - 18; VGH Baden-Württemberg, U. v. 12.07.2010 - 1 S 349/10 -, zitiert nach juris, Rdnr. 25 - 36).
Die Klage ist auch begründet. Es ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO festzustellen, dass das Verbot der für den 06.02.2010 geplanten Musikveranstaltung des rechtswidrig gewesen ist.
Die Rechtmäßigkeit der streitigen Verbotsverfügung vom 05.02.2010 beurteilt sich nach § 13 SOG LSA. § 4 VersammlG LSA, wonach öffentliche Versammlungen verboten werden können, kommt als Rechtsgrundlage für das von
der Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochene Veranstaltungsverbot nicht in Betracht. Denn bei dem geplanten Liederabend handelt es sich um keine öffentliche Versammlung. Zu der geplanten Veranstaltung waren nur
N.-Mitglieder eingeladen und der Liederabend sollte in privaten Räumen stattfinden.
Nach § 13 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden und die Polizei die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit - hier nicht einschlägig - die folgenden Vorschriften des zweiten Teils die Befugnisse
der Sicherheitsbehörden und der Polizei besonders regeln. Eine Gefahr i. S. d. § 13 SOG LSA ist stets eine konkrete Gefahr, d. h. eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer
Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 3 Nr. 3 a SOG LSA). Diese konkrete Gefahr ist zu unterscheiden von seiner abstrakten Gefahr, d. h. einer Sachlage, die (erst) im Falle ihres Eintritts eine
(konkrete) Gefahr darstellt. Eine konkrete Gefahr liegt demzufolge vor, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte
Gefahr ist gegeben, wenn bei generell-abstrakter Betrachtung bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen ein Schaden im Einzelfall droht. Weiter sind Eingriffe der Sicherheitsbehörden und der Polizei nur zuzulassen,
wenn zur Gefahrenprognose
- ‚Tatsachen' vorliegen und
- diese Tatsachen einen konkreten Bezug zum jeweiligen Sachverhalt aufweisen.
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensablauf, wobei
- die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind.
Eine konkrete Gefahr muss zudem Vorliegen
- im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme; es ist also beim polizeilichen Eingriff die gegenwärtige und
- nicht eine spätere Sicht entscheidend.
Mithin kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht durch später bekanntwerdende Tatsachen - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - im Anschluss an das polizeiliche Handeln begründet werden. Kommt es mithin auf den
Entscheidungspunkt einer Verbotsverfügung an, reicht es nach allem nicht aus, dass
- eine Gefahr für den Fall des Eintritts eines noch ungewissen Ereignisses befürchtet wird (VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 5 f. d. U. A. - n. V.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die streitige Verbotsverfügung vom 06.02.2010 bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte sie nicht auf eine ausreichende Gefahrenprognose gestützt hat. Unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 5 SOG LSA) ist bei einem Veranstaltungsverbot zu verlangen, dass
- konkrete Erkenntnisse der Behörde darüber vorliegen, dass mit der Veranstaltung Ziele verfolgt werden sollten, die eine konkrete polizeiliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten wird
(vgl. VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 6 . d. U. A. - n. V.). Dafür, dass die vom Kläger für den 06.02.2010 geplante Veranstaltung darauf abzielte, die Besucher zur Begehung von Straftaten nach § 86 a StGB,
insbesondere durch Zeigen des Hitlergrußes zu verleiten, fehlen sowohl unter Berücksichtigung der Begründung der Verbotsverfügung als auch des Inhaltes des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs und ihrer
Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren greifbare Anhaltspunkte. Dass einzelne Besucher der am 06.02.2010 geplanten Veranstaltung den Hitlergruß zeigen können, vermag das Verbot der Veranstaltung unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (§ 5 Abs. 1 SOG LSA) nicht zu rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, U. v. 31.05.2010 - a. a. O. -, S. 7 d. U. A. - n. V.). Denn es kommen zahlreiche weniger belastende Mittel in Betracht um einer
solchen Gefahr zu begegnen, ohne dass ersichtlich ist, aus welchen Gründen sie nicht genauso effektiv wie das von der Beklagten ausgesprochene Veranstaltungsverbot wären. Beispielsweise könnte die Behörde auf eine
Selbstregulierung durch den das Hausrecht ausübenden Veranstalter setzten und gegebenenfalls dieser Strategie durch den Erlass eines entsprechenden Auflagenbescheides Nachdruck verleihen. Sofern eine Selbstregulierung scheitern
sollte, kann vor Ort die Veranstaltung unterbrochen werden, um einzelne die öffentliche Sicherheit störende Teilnehmer von der Veranstaltung ausgeschlossen werden. Sollte auch diese Maßnahme nicht greifen, kann die
Veranstaltung auf behördliche Anordnung abgebrochen werden. Dafür dass diese gegenüber der Verbotsverfügung weniger belastenden Maßnahmen aufgrund einer besonderen Gefahrenlage zum Scheitern verurteilt gewesen wären,
bestehen unter Berücksichtigung der streitigen Verfügung, des vorgelegten Verwaltungsvorganges und des Vorbringens der Beklagten im gerichtlichen Verfahren keine Anhaltspunkte.
Fehlt es aber an einer solchen Prüfung und Begründung im Einzelfall, kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht angenommen werden und lässt sich damit eine Verbotsverfügung auf der Grundlage des § 13 SOG LSA nicht
rechtfertigen. Hierbei kann dahinstehen, ob die vom Kläger geplante Veranstaltung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG steht. Denn die die streitige Verbotsverfügung stellt sich zumindest als ein
unverhältnismäßiger und damit rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Die Verbotsverfügung vom 06.02.2010 wäre auch dann rechtswidrig gewesen, wenn der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1
GG eröffnet gewesen wäre. Denn dann würde sie eben in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit eingreifen.
Selbst wenn entgegen der Auffassung des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 06.02.2010 nicht an § 13 SOG LSA, sondern an § 4 VersammlG LSA zu messen wäre, wäre sie
rechtswidrig gewesen, weil sie in unverhältnismäßiger Weise in die Rechte des Klägers eingreift.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 709 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz, 52 Abs. 2 GKG. Mangels genügender Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwertes bemisst das Gericht das Interesse des Klägers an der Verfolgung seines
Begehrens in der Höhe des Auffangstreitwertes. ..."
***
Zu den Voraussetzungen eines Versammlungsverbots unter Berufung auf einen polizeilichen Notstand. Zur Verfügbarkeit von Polizeikräften für besondere Lagen (Versammlungen) in Niedersachsen (VG Hannover, Urteil vom
21.12.2011 - 10 A 3507/10):
„... Der Kläger wendet sich gegen ein Versammlungsverbot. Der Kläger, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) tätig ist, hatte am 10.02.2010 für den 14.08.2010 eine Versammlung in Bad Nenndorf angemeldet, welche sich
gegen einen am selben Tag stattfindenden und von dem Anmelder A. - dem Beigeladenen - so bezeichneten ‚Trauermarsch' unter dem Motto ‚Gefangen, Gefoltert, Gemordet - Damals wie heute - Besatzer raus' richten sollte. Die
Anmeldungen dieser beiden Versammlungen hatte der Beklagte zunächst mit Bescheiden vom 26.07.2010 (Aufzug Schultz) und 29.07.2010 (Aufzug des Klägers) unter Verfügung von Auflagen und einer jeweils verkürzten
Aufzugsstrecke bestätigt. Mit Bescheiden vom 11.08.2010 verbot der Beklagte unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26.07. und 29.07.2010 die Versammlungen des Klägers sowie des Beigeladenen. Zur Begründung führte er in dem
an den Kläger gerichteten Bescheid im Wesentlichen aus, die aktuelle Lageentwicklung seit Erlass der Versammlungsbestätigung habe zu einer Neubewertung der bisherigen Gefahrenprognose geführt. Danach lägen die
Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vor, denn der Polizei stünden am 14.08.2010 nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Einsatzlage zu bewältigen. Eine neue Kräftebedarfseinschätzung ergebe einen zusätzlichen
Bedarf von fünf Einsatzhundertschaften, welcher vom Ministerium für Inneres und Sport (nachfolgend: Innenministerium) auch nach einer Bund-Länder-Abfrage nicht gedeckt werden könne. Die Mobilisierungen im rechts- und
linksextremistischen Spektrum hätten deutlich zugenommen, so dass nicht nur von einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmern insgesamt, sondern auch von einem erheblich größeren Anteil gewaltbereiter Teilnehmer auszugehen
sei. Nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen seien bei der Durchführung der Versammlung des Klägers schwere Ausschreitungen und damit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Gegen diesen Bescheid hat
der Kläger am 12.08.2010 Klage erhoben.
Seinen zugleich gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (10 B 3508/10) hat das Gericht mit Beschluss vom 12.08.2010 abgelehnt. Auf den entsprechenden Antrag des Beigeladenen hat es die aufschiebende Wirkung von
dessen Klage gegen die Verbotsverfügung des Beklagten wiederhergestellt (10 B 3503/10). Auf die Beschwerde des Klägers hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht alsdann mit Beschluss vom 13.08.2010 die
aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers insoweit wiederhergestellt, als eine stationäre Versammlung des DGB in Bad Nenndorf möglich sein sollte. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht außerdem die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Gerichts in dem Verfahren des Beigeladenen zurückgewiesen.
Die stationäre Versammlung des Klägers sowie der Aufzug des Beigeladenen fanden am 14.08.2010 ohne größere Zwischenfälle statt. Ausweislich eines Berichts der Polizeidirektion Göttingen vom 17.08.2010 an das
Innenministerium zur Beantwortung einer dringlichen Anfrage im Niedersächsischen Landtag waren in Bad Nenndorf an diesem Tag 1.183 Polizeikräfte aus Niedersachsen und 806 Polizeikräfte aus anderen Bundesländern und von
der Bundespolizei im Einsatz. Die Kundgebung des Klägers fand mit etwa 900 Teilnehmern statt, der Aufzug des Beigeladenen umfasste etwa 1.000 Teilnehmer, von denen 60 bis 100 Personen von der Polizei den Autonomen
Nationalisten zugeordnet wurden. Außerdem wurden etwa 300 Linksautonome in Bad Nenndorf festgestellt, welche wiederholt versuchten, die polizeilichen Sperrstellen entlang der Route des sogenannten ‚Trauermarsches' zu durchbrechen.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage geführten Klage vor, sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Wiederholungsgefahr, bei entsprechenden Anlässen erneut mit einem
Versammlungsverbot belegt zu werden. Darüber hinaus ergebe sich das Feststellungsinteresse aus der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit. Die Tatsachengrundlage, die der Beklagte seiner Verbotsverfügung zugrunde
gelegt gehabt habe, sei nicht ausreichend festgestellt gewesen. Die kurzfristig geänderte Gefahrenprognose habe nicht überzeugen können, denn sie habe ausschließlich auf abstrakten Erwägungen beruht, die einer
Tatsachenüberprüfung nicht standhielten. Die als neu angeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes seien allesamt nicht neu gewesen. So seien die vom Beklagten zitierten Aufrufe im Internet älteren Datums gewesen und hätten
bereits Grundlage der ursprünglichen Gefahrenprognose sein müssen. Belege für seine Behauptungen habe der Beklagte nicht vorgelegt. Bloße Vermutungen reichten aber als Grundlage für eine Gefahrenprognose nicht aus.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Versammlungsverbot vom 11.08.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seiner Verbotsverfügung, die Feststellungsklage abzuweisen.
Ergänzend führt er aus, die Verfügung habe sich entgegen der Einschätzung des Klägers auf die Entwicklung der Teilnehmer- und Störerprognose ab dem 05.08.2010 gestützt. ...
Mit Beschluss vom 16.11.2010 hat das Gericht den Beklagten, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium aufgefordert, sämtliche die Versammlungen in Bad Nenndorf am 14.08.2010 betreffenden Vorgänge vorzulegen.
Daraufhin haben der Beklagte, die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium zahlreiche Unterlagen übersandt. Die Abteilung 6 des Innenministeriums - der Verfassungsschutz,
seit 01.12.2011 Abteilung 5 - hat allerdings nicht sämtliche bei ihr angefallenen Vorgänge vorgelegt und hinsichtlich der nicht vorgelegten Unterlagen unter dem 18.01.2011 eine Sperrerklärung abgegeben. Das Gericht hat mit
Beschluss vom 04.04.2011 die Aufforderung an den Verfassungsschutz erneuert. Unter dem 29.04.2011 hat der Verfassungsschutz an seiner Sperrerklärung festgehalten. Auf Antrag des Beklagten hat das Gericht mit Beschlüssen vom
01.06.2011 die Akten des vorliegenden sowie die des parallelen Verfahrens des Beigeladenen (10 A 3502/10) dem zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt, ob die
Verweigerung der Vorlage der vom Gericht angeforderten Vorgänge rechtmäßig sei. Mit Beschlüssen vom 15.08.2011 hat der zuständige Fachsenat die Weigerung des Innenministeriums als rechtmäßig festgestellt (14 PS 1 und 2/11).
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 16.12. und 21.12.2011 Beweis erhoben über die Ermittlung der Zahl von Links- und Rechtsextremisten, die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf erwartet worden waren und die
Ermittlung der Zahl der Polizeikräfte, die für den Einsatz erforderlich gewesen waren und die für den Einsatz zur Verfügung gestanden hatten, durch Vernehmung des Verfassungsschutzvizepräsidenten B. } vom Innenministerium -
Abteilung 5, Verfassungsschutz -, des Polizeidirektors C. von der Polizeidirektion Göttingen, des Leitenden Polizeidirektors D. } von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, des Polizeidirektors E. } vom Innenministerium -
Abteilung 2, Landespräsidium für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz - und des Regierungsdirektors F. vom Innenministerium als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschriften
Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der in diesem und den Verfahren 10 A 3502/10, 10 A 3427/10 und 10 A 3410/10 vorgelegten Verwaltungsvorgänge des
Beklagten, der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, der Polizeidirektion Göttingen und des Innenministeriums verwiesen. Sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. ...
Zulässig ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Zwar ist mit dem Ablauf des 14.08.2010 - an dem der Kläger eine stationäre Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführt hatte - eine
Erledigung des ursprünglich angefochtenen Versammlungsverbots eingetreten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, wenn auch in
tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren nicht erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort insbesondere Rdnr. 27f; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, dort Rdnr. 21).
Das für die Zulässigkeit insoweit erforderliche Feststellungsinteresse liegt im Falle des Klägers zunächst darin begründet, dass das Versammlungsverbot seine Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat.
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden wurde, denn ein
derartiger Eingriff ist die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort Rdnr. 37f). Gleiches gilt, wenn eine Versammlung
zwar durchgeführt werden konnte, aber nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert und dabei insbesondere die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (BVerfG, wie eben).
Dementsprechend ist auch für den Kläger eine schwerwiegende Beeinträchtigung seines Grundrechts anzuerkennen, da er mit der von ihm nach dem gerichtlichen Eilrechtsschutz durchgeführten stationären Versammlung nicht in
gleicher Weise wie in einem Aufzug seinem Anliegen Ausdruck verleihen konnte.
Darüber hinaus lässt sich ein Feststellungsinteresse des Klägers auch mit der Gefahr einer Wiederholung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit begründen, da der Kläger in Zukunft weiterhin gegen die bis zum Jahr 2030
angemeldeten sogenannten ‚Trauermärsche' demonstrieren will und dabei - aufgrund der seit Jahren steigenden Störerzahlen - unter vergleichbaren Voraussetzungen wie 2010 der Erlass eines erneuten Versammlungsverbots durch
den Beklagten nicht ausgeschlossen ist.
Begründet ist die Klage, da das von dem Beklagten gegenüber dem Kläger erlassene Versammlungsverbot für den 14.08.2010 rechtswidrig war.
Als Rechtsgrundlage für den Erlass des Verbotes kam nur die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Niedersachsen noch geltende Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Danach konnte die zuständige Behörde eine Versammlung
oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung
oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet war.
Adressat von Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG war regelmäßig der Veranstalter der Versammlung oder des Aufzugs. Dies ergab sich zwar nicht aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, wohl aber aus dem Kontext der
gesetzlichen Regelung, dass der Veranstalter die Versammlung oder den Aufzug anzumelden hat (§ 14 VersG) und dem Grundsatz des Polizeirechts, dass der Verursacher einer Gefahr polizeipflichtig ist.
Der Kläger wurde jedoch von dem Beklagten nicht als Verursacher einer Gefahr angesehen, sondern - zu Recht - vielmehr als sogenannter ‚Nichtstörer' eingeordnet. Das den Kläger betreffende Versammlungsverbot hatte der
Beklagte mit dem Vorliegen eines polizeilichen Notstands begründet.
Diese seinerzeitige Annahme des polizeilichen Notstands durch den Beklagten stellt sich nach der Auswertung sämtlicher im Laufe des Hauptsacheverfahrens vorgelegter Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das Gericht
jedoch als rechtswidrig dar.
Die Staatsgewalt ist durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gehalten, die Ausübung des Grundrechts möglichst vor Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen und behördliche Maßnahmen primär gegen
die Störer zu richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Gegen die Versammlung selbst darf in solchen Fällen nur ausnahmsweise, und zwar nur unter den besonderen Voraussetzungen des sogenannten
polizeilichen Notstands eingeschritten werden (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 - mit weiteren Hinweisen zu verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, juris). Vorausgesetzt ist, dass es der Versammlungsbehörde
nach durch Tatsachen gesicherten Erkenntnissen auf andere Weise nicht möglich erscheint, eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anders als durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers abzuwehren
(vgl. jetzt § 8 Abs. 3 NVersG). Davon kann sie nur dann ausgehen, wenn sie in der zur Verfügung stehenden Zeit die zur Gefahrenabwehr erforderlichen (Polizei-) Kräfte nicht bereitstellen kann (vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel,
Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, § 15 Rdnr. 42; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 27.04.2010 - W 5 S 10.345 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 05.05.2009 - 20 L
650/09 -, juris). Für einen polizeilichen Notstand muss mit anderen Worten eine Gefahrenprognose vorliegen, die Grundlage einer Berechnung des Bedarfs an polizeilichen Kräften ist, welche den verfügbaren Kräften
gegenübergestellt einen Fehlbedarf ergibt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen hat sich das Gericht auf der Grundlage einer ex-ante-Betrachtung eine Überzeugung zu bilden (vgl. VG Dresden, Urteil vom 19.01.2011 - 6 K 366/10
-, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 16.03.2006 - 3 A 143/04 -, juris). Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands liegt - weil sie ihre Verbotsverfügung darauf stützt - bei der
Versammlungsbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris; Bay VGH, Beschluss vom 29.04.2010 - 10 CS 10.1040 -, juris; vgl. auch Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, S. 257 (263)).
Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung gegenüber dem Kläger die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Bezug auf die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf
zu bewältigende Einsatzlage gegeben waren.
Ganz erhebliche Zweifel bestehen bereits in Bezug auf die Tragfähigkeit der Gefahrenprognose, die letztlich zur Annahme des polizeilichen Notstands geführt hatte.
Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Versammlungsbehörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Prognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen ist Aufgabe der
Gerichte; die Darlegungs- und (materielle) Beweislast liegt bei der beklagten Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung).
Davon ausgehend, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Auflagenbescheide an den Beigeladenen - am 26.07.2010 - und den Kläger - am 29.07.2010 - die Gefahrenlage offenbar noch als polizeilich beherrschbar galt, kann nur der
veränderte Kenntnisstand des Beklagten und der Polizei Anfang August 2010 Anlass für die Annahme des polizeilichen Notstands gewesen sein. Grundlage des Erlasses der Auflagenbescheide Ende Juli 2010 war eine für den
Beklagten verfasste Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vom 09.07.2010. Dieser Prognose zugrunde lag die Annahme sowohl der Staatsschutzstelle der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg als auch
deren Lage- und Führungszentrum, dass am 14.08.2010 mit 1.000 Teilnehmern einschließlich Autonomer Nationalisten an dem sogenannten ‚Trauermarsch', mit 1.500 Teilnehmern an dem Aufzug des Klägers und zusätzlich mit 200
Linksautonomen zu rechnen sein würde. Unter dem 09.08.2010 übermittelte die Polizeidirektion Göttingen dem Beklagten jedoch eine ‚ergänzende Gefahrenprognose' und regte aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung das
Verbot der Versammlungen des Klägers und des Beigeladenen an. Diese Anregung setzte der Beklagte mit den Verbotsverfügungen vom 11.08.2010 um.
Ob die maßgebliche Gefahrenprognose vom 09.08.2010 allerdings eine tragfähige Grundlage für die Verbotsverfügung bilden konnte, ist nach Auffassung des Gerichts in hohem Maße zweifelhaft. Die Gefahrenprognose fußte
maßgeblich auf Zahlen, welche der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem 04./05.08.2010 der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg zur Verfügung gestellt hatte. Danach erwartete der
Verfassungsschutz 250 Autonome Nationalisten und 400 bis 500 Linksautonome mit hohem Gewaltpotential. Diesen erheblichen Anstieg der Störerzahlen nachzuvollziehen, fällt dem Gericht auch nach Ausschöpfung aller
Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung schwer.
Ersichtlich waren es ausschließlich Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, welche zu der nachträglichen Korrektur der prognostizierten Zahlen geführt hatten. In den von der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion
Nienburg/Schaumburg vorgelegten Akten finden sich keinerlei Anhaltspunkte für eigene Erkenntnisse, die eine Änderung der Gefahrenprognose hätten stützen können. Dementsprechend hat sich auch der Zeuge G., der Leiter der
Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, in seiner Vernehmung dahingehend geäußert, dass die Zahlen ausschließlich vom Verfassungsschutz und nicht von der Staatsschutzstelle seiner Polizeiinspektion gemeldet worden seien.
Den schriftlichen Äußerungen des Verfassungsschutzes vom 05.08. und 06.08.2010 lassen sich jedoch kaum tatsächliche Anhaltspunkte entnehmen, die den gegenüber der Polizei angezeigten Anstieg der Störerzahlen erklären
könnten. Zu der Frage der potentiellen Störer aus dem rechten Spektrum heißt es in den Äußerungen sogar, es gebe ‚bisher … kaum konkrete Erkenntnisse über die Teilnehmerabsichten von Rechtsextremisten an dem Trauermarsch'
und ‚eine Teilnehmerzahl von 250' Autonomen Nationalisten sei zwar ‚realistisch', aber auch dazu lägen konkrete Erkenntnisse nicht vor. Bezüglich der Zahl der zu erwartenden linksautonomen Störer werden sodann zwar
Erkenntnisse im Einzelnen benannt. So werden die Unterzeichner des Blockadeaufrufs auf der Internetseite www.badnenndorf.blogsport.de aufgelistet und Vorbereitungs- und Informationsveranstaltungen aufgeführt, es wird auf zwei
weitere einschlägige Internetseiten verwiesen und das ins Internet eingestellte Mobilisierungsvideo ‚Antifa Sommerhits 2010 - 1000 mal blockiert' beschrieben. Diese Ausführungen werden dann in der Bewertung zusammengefasst,
dass nach der Einschätzung des Verfassungsschutzes etwa 400 bis 500 Angehörige der linksextremistischen Szene an der Demonstration - des Klägers - teilnehmen würden. Entnehmen lässt sich der Bewertung des
Verfassungsschutzes jedoch auch insoweit nicht, aus welchen konkreten Erkenntnissen für ihn welche Zahlen gefolgt waren, so dass der Schluss, die Prognose eines erhöhten Störerpotentials habe zu einem erheblichen Anteil auf
bloßen Vermutungen beruht, nicht fernliegt. Auch irritiert, dass der Verfassungsschutz in seinen Äußerungen von Anfang August 2010 ausschließlich Erkenntnisse anführt, die vor der von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg
unter dem 09.07.2010 erstellten ersten Gefahrenprognose angefallen waren.
Wie und warum der Verfassungsschutz Anfang August 2010 zu der Einschätzung gekommen war, die Zahlen der zu erwartenden Störer seien erheblich nach oben zu korrigieren, hat schließlich auch der Zeuge H. - Leiter des Referats
53 der Abteilung 5 des Innenministeriums (Rechtsextremismus/-terrorismus, Linksextremismus/ -terrorismus) - nicht in Gänze erhellen können. Aus dessen Ausführungen hat die Kammer zwar entnommen, dass der
Verfassungsschutz das Internet auswertet, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer erhält und auch über Informanten aus den Kreisen der Störer Informationen erlangt. In welchem Umfang und auf welchen
Wegen die Behörde allerdings für den 14.08.2010 an Anhaltspunkte gelangt war, die sie zu ihrer Einschätzung geführt hatten, und um welche Anhaltspunkte es sich dabei gehandelt hatte, ist weitestgehend ungeklärt geblieben. Allein
die Aussage, dass sich mit zunehmender zeitlicher Nähe zum Ereignis regelmäßig die Erkenntnisse über Mobilisierungsaufrufe und konkrete Teilnahmeplanungen verdichteten, dass also die Zahlen der zu erwartenden Störer konkreter
würden, je näher der Anlasstag rücke, vermag einen derartigen Anstieg der Zahlen nicht erschöpfend zu begründen. Eine Antwort auf die Frage nach konkreten Anhaltspunkten ist der Zeuge unter Hinweis auf die Einschränkung seiner
Aussagegenehmigung schuldig geblieben.
Weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht in diesem Verfahren nicht. Insbesondere ist ihm die Auswertung der vollständigen Akten des Verfassungsschutzes verwehrt. Die Weigerung des Innenministeriums,
die Akten vollständig vorzulegen und die aus diesem Grunde abgegebenen Sperrerklärungen des Innenministeriums vom 18.01.2011 und 29.04.2011 sind vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht als rechtmäßig festgestellt
worden und setzen vorliegend den Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts Grenzen (zur Amtsermittlung der Gerichte bei rechtmäßiger Verweigerung der Aktenvorlage und zu den Folgen der Unaufklärbarkeit des Vorliegens
wesentlicher Merkmale eines Eingriffstatbestandes vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 -, BVerwGE 131, 171).
Einer Entscheidung der Frage, ob die Gefahrenprognose hinsichtlich der Zahl der anreisenden Störer von genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten getragen wurde, bedarf es hier jedoch letztlich nicht, da die Beweisaufnahme
zumindest ergeben hat, dass die für die Verbotsverfügung maßgebliche Annahme eines polizeilichen Notstands in anderer Hinsicht einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält.
Ausgehend von den Zahlen, welche der Verfassungsschutz Anfang August 2010 mitgeteilt hatte, war die Polizei nach einer geänderten Bedarfsberechung zu dem Ergebnis gekommen, nicht genügend Polizeibeamte zur Verfügung zu
haben, um die Gefahrenlage beherrschen zu können. Nach der von der Polizeidirektion Göttingen unter dem 11.08.2010 erstellten und von Polizeivizepräsident I. gezeichneten ‚ Kräftekonzeption und Verfügbarkeit polizeilicher
Einsatzkräfte' (Bl. 136 ff. des von der Polizeidirektion Göttingen, Dezernat 12 - Leitlinien und Kräfte - übersandten Aktenordners, Beiakte N) waren von 2.500 benötigten Einsatzkräften nur 2.000 verfügbar, woraus sich ein Fehlbedarf
von 500 Beamten ergab.
Selbst unter Zugrundelegung der - vom Gericht angezweifelten - Gefahrenprognose vom 09.08.2010 und der hierauf fußenden Bedarfsberechnung hat die Annahme dieses Fehlbedarfs das Gericht nicht überzeugen können.
Zwar sind die Ordnungsbehörden nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme eines Nichtstörers eigene sowie
gegebenenfalls externe Polizeikräfte gegen die Störer einzusetzen, steht vielmehr unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Kräfte (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris). Das Verbot einer
Versammlung kann jedoch nur dann in Betracht kommen, wenn auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Polizei wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz Heranziehung externer
Polizeikräfte zum Schutz hoher Rechtsgüter nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dafür nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; vgl. auch die Einschätzung des
Vizepräsidenten der Polizeidirektion Göttingen in seinem Schreiben vom 13.10.2010 an das Innenministerium, dass ‚ohne eine ausführliche Darlegung der Hinderungsgründe für eine Zuweisung der nachgeforderten fünf
Einsatzhundertschaften' … ‚eine nachträgliche Bestätigung der Verbotsverfügung nahezu ausgeschlossen' ist.).
Unter Auswertung des Inhalts der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die zur Beherrschung der prognostizierten
Gefahrenlage nach der polizeilichen Bedarfsberechnung zusätzlich benötigten 500 Beamten tatsächlich nicht verfügbar waren.
Aus den vom Innenministerium vorgelegten Verwaltungsvorgängen zur Einsatzplanung lässt sich ersehen, dass von Seiten des Ministeriums an die Zentrale Polizeidirektion in Niedersachsen, an die übrigen Bundesländer, die
Bundespolizei und an die Polizeidirektionen Niedersachsens herangetreten worden war, um über die der zuständigen Polizeidirektion Göttingen verfügbaren eigenen Beamten hinaus weitere Polizeikräfte anzufordern. Die Reihenfolge
der Anforderungen, wie sie sich aus den Vorgängen ergibt, ist von dem Zeugen J. auch nachvollziehbar erläutert worden. Auch die Zu- und Absagen aus den übrigen Bundesländern lassen sich den Vorgängen entnehmen. Insoweit ist
auch nachvollziehbar, dass Niedersachsen nicht in der Lage war, die Absagen anderer Bundesländer zu hinterfragen und nach zweimaliger Bitte um Unterstützung über die angebotenen Kräfte der anderen Länder und des Bundes
hinaus nicht mit weiterer Hilfe rechnen konnte. Letzteres erscheint insbesondere deshalb plausibel, weil sich aus den Vorgängen ebenfalls ergibt, dass auch einer Bitte des Freistaates Sachsen um Unterstützung durch die übrigen
Länder am 14.08.2010 nicht im vollen Umfang hatte entsprochen werden können.
Das Innenministerium hat allerdings nicht schlüssig dargelegt, wie viele Polizeikräfte aus dem niedersächsischen Polizeidienst verfügbar waren und ob alle verfügbaren Kräfte auch tatsächlich eingesetzt wurden.
Der Zeuge J., der im Innenministerium in der Abteilung 2 zuständiger Referent für die polizeiliche Einsatzplanung ist, hat dazu ausgeführt, dass es in Niedersachsen zwar insgesamt 18.000 Polizeibeamte gebe, jedoch nicht alle Beamte
für besondere Lagen wie Versammlungen einsetzbar seien. Für die Bewältigung besonderer Lagen, beispielsweise bei Versammlungen, stünden Kräfte bei der Zentralen Polizeidirektion und in den territorialen Behörden, den
Polizeidirektionen, zur Verfügung. Bei der Zentralen Polizeidirektion werde für besondere Lagen die Bereitschaftspolizei vorgehalten. Diese sei besonders strukturiert für derartige Einsätze, umfasse 7 Einsatzhundertschaften und 1
technische Einsatzeinheit und verfüge über insgesamt 1.119 Beamte. Darüber hinaus gebe es bei jeder der sechs territorialen Behörden Aufrufeinheiten, die bei Bedarf aus den in der Fläche eingesetzten Beamten heraus gebildet
würden. Diese Beamten würden sonst für Alltagsaufgaben eingesetzt, seien aber darüber hinaus für besondere Einsätze aus- und fortgebildet und besonders ausgerüstet. Die Polizeidirektion Hannover verfüge über 4 solcher
Aufrufeinheiten, die übrigen Polizeidirektionen verfügten über jeweils 3 Aufrufeinheiten. Für die Polizeidirektion Hannover seien dies insgesamt 770 Beamte, für die übrigen Polizeidirektionen jeweils 630 Beamte. Insgesamt stünden
einschließlich Bereitschaftspolizei 26 Einsatzhundertschaften mit etwa 5.000 Beamten für besondere Lagen zur Verfügung.
Geplant war von Seiten des Innenministeriums jedoch für den 14.08.2010 nur der Einsatz von etwa 1.200 niedersächsischen Polizeikräften (tatsächlich im Einsatz waren am 14.08.2010 dann 1.183 niedersächsische und 806 Beamte
aus anderen Bundesländern bzw. von der Bundespolizei). Zu einem Einsatz weiterer Kräfte sah sich das Innenministerium trotz der vom Verfassungsschutz Anfang August korrigierten Prognose der zu erwartenden Störerzahlen nicht
in der Lage.
Zu der Frage der Verfügbarkeit weiterer der insgesamt vorhandenen 5.000 Einsatzkräfte für besondere Lagen hat der Zeuge J. ausgeführt, dass von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte zunächst etwa 20 bis 30 % abzuziehen seien wegen
Krankheit, Urlaub, Fortbildung und aus anderen Gründen. Dieser nur abstrakt referierte prozentuale Abzug von bis zu einem Drittel der gesamten Kräfte erscheint jedoch insbesondere angesichts der Tatsache, dass der 14.08.2010
außerhalb der niedersächsischen Schulferien lag, recht hoch gegriffen. Im Übrigen hätte die Verfügbarkeit von Kräften insoweit mit einer Urlaubssperre für die Bereitschaftspolizei und die Aufrufeinheiten verbessert werden können,
da die Versammlungen bereits ein halbes Jahr im Voraus angemeldet worden waren.
Doch selbst unter Berücksichtigung eines Abzugs von 30 % von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte für besondere Lagen kann nicht nachvollzogen werden, warum der Anfang August errechnete Bedarf von 500 zusätzlichen Kräften
nicht hatte gedeckt werden können.
Ausgehend von der Zahl von 5.000 Einsatzkräften für besondere Lagen ergibt ein Abzug von 1.500 Beamten (30 % pauschal) die Zahl von 3.500 Beamten. Von diesen Kräften sollten 1.200 in Bad Nenndorf eingesetzt werden, so dass
- rechnerisch - noch 2.300 Beamte für die Bewältigung besonderer Lagen am Wochenende 14./15.08.2010 zur Verfügung gestanden hatten. Dafür, dass von diesen nicht 500 Kräfte noch für einen Einsatz in Bad Nenndorf hätten
herangezogen werden können, ohne die Sicherheit im restlichen Niedersachsen zu gefährden, fehlt es zur Überzeugung des Gerichts an einem schlüssigen Nachweis. Darüber hinaus ergibt sich aus der ‚Kräftelage Niedersachsen' im
Vermerk des Leiters des Referats P 24 der Abteilung 2 des Innenministeriums vom 13.08.2010 (Blatt 244 des vom Innenministerium - Referat P 24.1, Einsatz und Verkehr - übersandten Aktenordners, Beiakte R), dass für die
Bewältigung sonstiger Einsatzlagen an dem Wochenende 14./15.08.2010 (lediglich) ca. 1.110 Beamte ‚verplant' waren. Mit anderen Worten: Auch unter Berücksichtigung aller bekannten Einsatzlagen in Niedersachsen und der
zusätzlichen 500 Kräfte für den Einsatz in Bad Nenndorf verblieb sogar noch eine Reserve von etwa 690 Beamten. Tatsächlich scheint es daher so gewesen zu sein, dass nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen worden
waren, sämtliche verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.
Um das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zu überzeugen, wäre es aber notwendig gewesen nachzuweisen, dass tatsächlich die Mobilisierung aller verfügbaren Polizeikräfte versucht worden war.
Der Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit von Polizeikräften kann in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem freiheitlichen demokratischen Staat (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (345)) einen polizeilichen Notstand nur begründen, wenn nachgewiesenermaßen zuvor alles versucht worden ist, um den Notstand zu vermeiden. Würde für die gerichtliche
Kontrolle ein Weniger genügen, liefe das Versammlungsgrundrecht Gefahr, in der polizeilicher Einsatzplanung in den Hintergrund zu treten.
Diesen Nachweis der Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Mobilisierung ist das Innenministerium insbesondere auch deshalb schuldig geblieben, weil aus den vorgelegten Akten ersichtlich ist, dass auf die ergänzende
Kräfteanforderung der Polizeidirektion Göttingen am 06.08.2010 per E-Mail überhaupt keine Versuche mehr unternommen worden waren, noch weitere Kräfte aus der Fläche zu mobilisieren. Vielmehr teilte die Abteilung 2 des
Ministeriums der Polizeidirektion Göttingen mit Schreiben noch vom selben Tag mit, dass ergänzende Kräfte nicht bereitgestellt werden könnten.
Mit einer derartigen Einsatzplanung lässt sich jedoch der Nachweis der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands im Versammlungsrecht nicht führen. Die Einlassung des Zeugen J., die einzelnen territorialen Polizeidirektionen
sowie die Zentrale Polizeidirektion entschieden grundsätzlich in eigener Verantwortung, wie viele Beamte sie für besondere Lagen zur Verfügung stellten und die dem Innenministerium obliegende Fachaufsicht lasse eine Kontrolle
der einzelnen Lagen in den territorialen Polizeidirektionen nur sehr eingeschränkt zu, auch die Zentrale Polizeidirektion koordiniere ihre Einsätze in aller Regel selbst, bedeutet in der Konsequenz, dass die Entscheidungsgewalt über
einen polizeilichen Notstand vom Innenministerium in die nachgeordneten Behörden verlagert wird. Wenn von Seiten des Innenministeriums nicht eine strenge Plausibilitätskontrolle der Einsätze der Bereitschaftspolizei und der
Aufrufeinheiten in den einzelnen Polizeidirektionen erfolgt, nicht mehrfach Kräfte nachgefordert werden und im Ergebnis für eine Einsatzlage wie die in Bad Nenndorf an einem nach den Worten des Zeugen J. ‚normalen
Wochenende' weniger als ein Viertel der für besondere Lagen vorhandenen Kräfte für einen Einsatz vorgesehen wird, ist die gerichtliche Überzeugung, es sei tatsächlich alles zur Vermeidung eines polizeilichen Notstands
unternommen worden, ausgeschlossen.
Dies geht hier zu Lasten des Beklagten, der zwar die Darlegungen der Polizei nicht hatte hinterfragen können, sich aber als Versammlungsbehörde deren Auffassung angeschlossen hatte. Er trägt in diesem Verfahren für das Vorliegen
des polizeilichen Notstands die materielle Beweislast.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen,
sind nicht ersichtlich. ..."
***
§ 6
(1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden.
(2) Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 7
(1) Jede öffentliche Versammlung muß einen Leiter haben.
(2) Leiter der Versammlung ist der Veranstalter. Wird die Versammlung von einer Vereinigung veranstaltet, so ist ihr Vorsitzender der Leiter.
(3) Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.
(4) Der Leiter übt das Hausrecht aus.
Leitsätze/Entscheidungen:
Die Versammlungsbehörde kann eine Streckenänderung eines Aufzugs vornehmen, wenn die angemeldete Route wegen einer Baustelle entweder tatsächlich nicht oder nur unter Gefahen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
begehbar wäre. Die Versammlungsbehörde hat sich bei Maßnahmen, die geeignet sind, auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung zu befinden,
Zurückhaltung aufzuerlegen. Zur Frage, ob § 15 I VersG Rechtsgrundlage für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs sein kann (OVG Bautzen, Beschluss vom 04.04.2002 - 3 BS 105/02):
„... Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 28. März 2002 - 3 K 532/02 - wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. ...
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 28.03.2002 ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz
1 und 4 VwGO gewährt, weil die Anordnungen (I Nrn. 1, 2, 3, 10 und 19) rechtswidrig sein dürften, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorliegen.
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die in dieser Regelung angesprochenen Auflagen, die keine Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG sondern eigenständige Regelungen sind,
dienen dazu, Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten. Demzufolge müssen durch eine Auflage Gründe der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit oder Ordnung abgewährt werden. Liegen solche Gründe nicht vor, dann findet eine Auflage in § 15 Abs. 1 VersG demzufolge keine Rechtsgrundlage (siehe dazu: SächsOVG, Beschl.v. 09.11.2001, 3 BS 257/01 ). Davon
ausgehend ist hier hinsichtlich der streitgegenständlichen Auflagen Folgendes festzustellen:
- Auflage I Nr. 1:
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht gegen die in dieser Auflage von der Antragsgegnerin getroffene sofort vollziehbare Begrenzung der Dauer des Aufzugs auf 16.00 Uhr dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Wie der
Senat in seinem Beschluss vom 04.04.2002 im Parallelverfahren 3 BS 103/02 bereits entschieden hat, ist aus Gründen der Abwehr eine unmittelbaren Gefahr der öffentlichen Sicherheit wegen Verkehrsbeeinträchtigungen durch den in
Rede stehenden Aufzug eine Begrenzung auf 19.30 Uhr ausreichend, woraus folgt, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Begrenzung auf 16.00 Uhr keine Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 1 VersG hat. Auf die Gründe der
genannten Entscheidung des Senats wird insoweit verwiesen.
- Auflage I Nr. 2:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit darin unter Maßgabe einer vom Verwaltungsgericht festgelegten Strecke des Aufzugs dem Antragsteller vorläufiger Rechtsschutz gewährt wurde, ist nicht
begründet. Ebenso wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass die von der Antragstellerin mit der Auflage I Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids festgelegte Strecke nicht aus Gründen der unmittelbaren
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gerechtfertigt werden kann.
Soweit die Antragsgegnerin hiergegen vorbringt, dass dem im Bereich Prager Straße/Höhe Philip-Rosenthal-Straße eine vom 05.04.2002 bis zum 08.04.2002 eingerichtete Baustelle wegen Fahrbahninstandsetzungsarbeiten
entgegenstehe, ergibt sich nichts anderes. Zwar kann die Versammlungsbehörde eine Streckenänderung vornehmen, wenn die angemeldete Route wegen einer Baustelle entweder tatsächlich nicht oder nur unter Gefahren für die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung begehbar wäre. Die Versammlungsbehörde darf jedoch bei einer solchen Entscheidung nicht aus dem Blick verlieren, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dem Veranstalter als
Grundrechtsträger das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet. Auch die Versammlungsbehörde ist zum Schutz und zur Optimierung der Wahrnehmung dieses Grundrechts durch
Grundrechtsträger verpflichtet. Demgemäß hat sie sich bei Maßnahmen, die geeignet sind, auf die Ausübung dieses Selbstbestimmungsrechts einschränkend einzuwirken, Zurückhaltung aufzuerlegen.
Von einer solchen Zurückhaltung kann hier nicht ausgegangen werden. Zunächst vermag - ebenso wie das Verwaltungsgericht - auch der Senat nicht zu erkennen, aus welchen Gründen die genannte und nur wenige Tage dauernde
Fahrbahnerneuerung gerade zu dem Zeitpunkt erfolgen muss, an dem der Antragsteller als Veranstalter die Wahrnehmung seines Grundrechts beabsichtigt. Des Weiteren fällt auf, dass die Einrichtung der Baustelle in den
Verwaltungsakten der Antragsgegnerin keine Erwähnung findet. Hinzuweisen ist etwa auf das Kooperationsgespräch vom 11.03.2002, das die Antragsgegnerin mit dem Motorradclub Ostpack geführt hat, der für den 06.04.2002 einen
Motorradkorso mit 1000 Motorradfahrern in Leipzig angemeldet hat. In dem erwähnten Kooperationsgespräch hat die Antragsgegnerin als Hinderungsgrund für die Nutzung der Prager Straße nicht auf die Baustelle, sondern auf den
Aufzug des Antragstellers verwiesen. Dies lässt es ernstlich zweifelhaft erscheinen, dass die Einrichtung der Baustelle noch vor dem 06.04.2002 sachlich gerechtfertigt ist.
- Auflage I Nr. 3:
Unbegründet ist die Beschwerde auch, soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Untersagung der Leitung des Aufzugs durch den
Antragsteller gewährt hat. Denn diese Untersagung dürfte rechtswidrig sein, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG nicht vorliegen.
Zu bemerken ist hierbei zunächst, dass sich insoweit die Frage erheben könnte, ob für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs durch eine Auflage § 15 Abs. 1 VersG überhaupt eine Rechtsgrundlage sein kann. § 19 Abs. 1 VersG ,
wonach der Leiter des Aufzugs für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat, verweist insoweit zunächst nicht auf § 7 Abs. 1 VersG , worin geregelt ist, dass jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben muss. Aus dem Sinn
der Regelung in § 19 Abs. 1 VersG dürfte jedoch folgen, dass ungeachtet dieser fehlenden Verweisung auch Aufzüge einen Leiter haben müssen. Insoweit könnte sich allerdings die Frage erheben, ob dieses Leitungsrecht nicht ebenso
wie das nach § 7 Abs. 1 VersG eine allein grundrechtssichernde Funktion zugunsten des Veranstalters hat und mit diesem Sinn eine nicht zwangsweise durchsetzbare Ordnungsvorschrift ist. Dies könnte zur Folge haben, dass eine
Durchsetzung sowohl dahingehend, dass eine bestimmte Person als Leiter eingesetzt wird wie auch umgekehrt, dass eine Person als Leiter ausgeschlossen wird, auch durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht durchgesetzt
werden kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller vorliegend nicht nur Leiter, sondern auch Veranstalter des Aufzugs ist. Wenn aber dem Leiter, der zugleich Veranstalter eines Aufzugs ist, von der Versammlungsbehörde
abgesprochen wird, die Leitung der Veranstaltung zu übernehmen, weil von ihm in dieser Funktion eine unmittelbare Gefährdung ausgehe, hätte die Antragsgegnerin - ausgehend von ihrer Sichtweise - ein Verbot nach § 15 Abs. 1
VersG verfügen müssen.
Auch wenn der Senat jedoch im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ungeachtet dessen davon ausgehen würde, dass gleichwohl die in Rede stehende Untersagung der Aufzugsleitung durch eine Auflage nach § 15 Abs.
1 VersG erfolgen könnte, lägen die Voraussetzungen dieser Norm jedenfalls nicht vor, weil die darin angesprochene Gefährdungslage nicht gegeben sein dürfte.
Die Antragsgegnerin hat insbesondere auf Vorfälle vom 01.09.2001 (dem Antragsteller wird zum Vorwurf gemacht, auf einer Versammlung ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS' gerufen zu haben), vom 03.11.2001 (dem Antragsteller
wird vorgeworfen, ein Uniformverbot zögerlich durchgesetzt zu haben) und vom 02.02.2002 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, entgegen einer versammlungsrechtlichen Auflage die Parole ‚Hier marschiert der nationale
Widerstand!' gerufen zu haben) abgestellt. Auf Grund dieser Erkenntnisse vermag der Senat eine konkrete Gefährdungslage noch nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat diese Vorfälle weder in den Gründen ihres
Auflagenbescheides vom 18.03.2002 noch in ihrer Beschwerdebegründung so substanziiert geschildert, dass dem Senat in der Kürze der Zeit eine hinreichende Prüfung der Vorwürfe - zu der die Antragsgegnerin als
Versammlungsbehörde verpflichtet gewesen wäre - möglich ist. Insbesondere ist es dem Senat - im Gegensatz zur Antragsgegnerin - nicht möglich gewesen, die Straf- und Ermittlungsakten beizuziehen. In Anbetracht der hohen
Bedeutung von Art. 8 GG kann dieses Versäumnis nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.
- Auflage I Nr. 10:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig, soweit dieses die aufschiebende Wirkung gegen die sofortvollziehbare Untersagung des Auftritts der Musikgruppe Oidoxie wieder hergestellt hat, ist nicht
begründet. Der Senat hat hierzu im Parallelverfahren vom 04.04.2002 - 3 BS 103/02 - ausgeführt, dass eine diese Untersagung rechtfertigende konkrete Gefährdungslage nicht vorliegt. Auf die Ausführungen dieses Beschlusses wird verwiesen.
- Auflage I Nr. 19:
Schließlich ist die Beschwerde auch nicht begründet, soweit sie sich gegen die sofort vollziehbare Anordnung über die Anzahl der zu meldenden Ordner bezieht. Der Hinweis der Antragsgegnerin, wonach mehr Ordner wegen
erwarteter militanter Auseinandersetzungen notwendig seien, gründet sich im Wesentlichen auf die Aussage einer anonymen Person anlässlich eines Zeitungsinterviews und beschränkt sich damit auf einen bloßen Verdacht, der nicht
geeignet ist, eine konkrete Gefährdungslage nach § 15 Abs. 1 VersG anzunehmen. ..."
§ 8
Der Leiter bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Er kann die Versammlung jederzeit unterbrechen oder schließen. Er bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung
fortgesetzt wird.
Leitsätze/Entscheidungen:
Auch eine unterbrochene Versammlung verliert nicht den Schutz des Art. 8 GG, solange ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie fortgesetzt werden und im genehmigten Umfang stattfinden soll (OVG Sachsen-Anhalt,
Beschluss vom 31.01.2013 - 3 O 79/12).
***
Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).
*** (VG/LG)
Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Anhaltens des Aufzugs >>Blockupy 2013<< ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das polizeiliche Anhalten des Aufzugs >>Blockupy 2013<< war als Minusmaßnahme zu
einer Auflösung versammlungsrechtlich gerechtfertigt (VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2014 - 5 K 2334/13.F).
***
Das Versammlungsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage dafür, die Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen. Zu
den Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs wegen rechtswidriger und schuldhafter polizeilicher Freiheitsentziehung und Gewahrsamnahme bei einer unangemeldeten Demonstration (LG Hamburg, Urteil vom 06.03.1987 -
3 O 229/86 - Hamburger Kessel - Schmerzensgeld für polizeiliche Freiheitsentziehung Kessel 1):
„... Die Kl. begehrten aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Amtspflichtverletzung ein Schmerzensgeld für eine Freiheitsentziehung. Die Kl. fanden sich am 8. 6. 1986 gegen 12.00 Uhr zu einer nicht angemeldeten
Demonstration auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg ein. Insgesamt hatten sich gegen 12.15 Uhr dort ca. 800 Personen versammelt, um demonstrativ ihrem Protest dagegen Ausdruck zu geben, daß am Vortag für einen Großteil der
Teilnehmer einer angemeldeten Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Brokdorf durch weiträumige Absperrungen und Kontrollmaßnahmen seitens der Polizei eine Teilnahme nicht möglich gewesen sei. Die
Bekl. war über das geplante Treffen am 8. 6. 1986 informiert. Zunächst wurden um das Heiligengeistfeld in Bereitstellungsräumen insgesamt drei Hundertschaften zusammengezogen. Um 12.22 Uhr wurde vom örtlichen Leiter des
Polizeieinsatzes an die bereitstehenden Polizeikräfte der Befehl zur Einschließung der Versammlung gegeben. Daraufhin rückten die Einheiten in Kettenformation vor. Innerhalb weniger Minuten war die Versammlung, in der sich
auch die Kl. aufhielten, von einer Polizeikette eingeschlossen. Eine Auflösungsverfügung erfolgte dann nicht mehr, da sich die Polizeiführung dazu außerstande sah wegen in der Zwischenzeit begonnener Gewalttätigkeiten hinter
ihrem Rücken in der F.-Straße.
Die Einschließung führte dazu, daß die sich im Kreis befindlichen Personen auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, wo sie über Stunden ausharren mußten. Später wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Toilette im
U-Bahnhof F.-Straße zu benutzen, wobei die betreffenden Personen einzeln jeweils von einem Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin dorthin geleitet wurden. Gegen 14.30 Uhr bot die Bekl. über Lautsprecher den
Eingeschlossenen an, den Kreis einzeln und nach Überprüfung der Personalien zu verlassen. Gleichzeitig wurde seitens der Beklagten angeordnet, jeden Eingeschlossenen nach einer etwaigen Entlassung aus dem Kreis in
anschließende polizeiliche Gewahrsam zu nehmen. Die Kl. machten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Ab ca. 16 Uhr begann die Bekl. mit dem Abtransport der Eingeschlossenen, unter ihnen die Kl., zu verschiedenen, im
ganzen Stadtgebiet verteilten Revierwachen bzw. eigens eingerichteten Sammelstellen, wo sie in polizeilichem Gewahrsam verblieben. Diese Maßnahme zog sich über Stunden hin. Bei den Versammlungsteilnehmer wurden dabei
zwei körperliche Durchsuchungen durchgeführt. Auf den Revierwachen wurden mangels weiterer Kapazitäten jeweils mehrere Personen in einer Einzelzelle untergebracht. Auch die Verpflegung der Ingewahrsamgenommenen war nur
vereinzelt sichergestellt. Dem Wunsch der Betroffenen, Verwandte, Anwälte etc. zu informieren, wurde lediglich insoweit entsprochen, als es nach Auffassung der Bekl. die Aufrechterhaltung des Amtsbetriebes zugelassen hat. Die
Kl. wurden im Laufe der Nacht und der frühen Morgenstunden (bis ca. 4.00 Uhr) aus dem Gewahrsam entlassen. Die Klage hatte Erfolg. ...
Der von den Kl. geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG, § 847 BGB ist… begründet, denn die über Stunden andauernde Einschließung auf dem Heiligengeistfeld und
die sich anschließende Ingewahrsamnahme der Kl. stellen nach Auffassung der Kammer eine rechtswidrige (I.) und schuldhafte (II.) Amtspflichtverletzung dar.
I. Bei der Zusammenkunft auf dem Heiligengeistfeld am 8. 6. 1986 handelt es sich um eine Versammlung im Rechtssinne.
Eine Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersammlG liegt vor, wenn mehrere Personen an einem bestimmten Ort zusammenkommen, um politische oder sonstige öffentliche Angelegenheiten untereinander zu erörtern bzw. eine
bestimmte Einstellung dazu kundzutun (vgl. Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 8 Rdnr. 41). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Selbst die Bekl. ist nach ihrem eigenen Vortrag von dem Bestehen einer - wenn auch
unangemeldeten - Versammlung ausgegangen, die grundsätzlich den Schutz von Art. 8 GG genoß. Maßnahmen gegen eine solche Versammlung können, auch wenn diese unfriedlich verläuft, somit nur nach Maßgabe des
Versammlungsgesetzes ergriffen werden (BVerfG 69, 315 (361) = NJW 1985, 2395). In diesem Sinne ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit polizeifest (vgl. Ott, VersammlG, 4. Aufl (1983), Einf. Rdnr. 10).
Dies räumt auch die Bekl. ein, indem sie vom Erfordernis einer Auflösung gem. § 15 I VersammlG ausgeht.
Das Vorgehen der Bekl. war jedoch nicht von den versammlungsrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten gedeckt. Das Versammlungsgesetz enthält keine Befugnisse, die es gestatten, alle Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung
am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen. Nach § 15 II VersammlG ist eine Versammlung, bei deren Durchführung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung zu besorgen ist, aufzulösen. Die Kammer geht hierbei zugunsten der Bekl. davon aus, daß die Einschätzung ihrer Bediensteten von einem zu erwartenden unfriedlichen Verlauf aufgrund der Ereignisse der vorausgegangenen
Tage nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen war und aus der Sicht der Bekl. berechtigt erschien.
Die Auflösung einer Versammlung muß jedoch gegenüber den Teilnehmern erklärt werden, damit diese Gelegenheit haben, ihrer Entfernungspflicht zu genügen (§ 13 II VersammlG). Das Vorgehen der Bekl., die Teilnehmer durch
Einschließung an den Versammlungsort zu binden, stellt entgegen der Ansicht der Bekl. keine Auflösung i. S. der §§ 13, 15 VersammlG dar. Auch eine konkludente Auflösung kann hierin nicht gesehen werden. Denn mit der
Maßnahme der Einschließung wurde vielmehr verhindert, daß die Teilnehmer sich entfernen konnten. Dies lag auch im Sinne der Bekl., da nach ihrem eigenen Vortrag die Eingeschlossenen an den Ort gebunden werden sollten.
Demzufolge konnte die Maßnahme der Einschließung auch von den Teilnehmern der Versammlung nicht als Auflösungsverfügung, d. h. als Befehl, den Versammlungsort zu verlassen verstanden werden.
Im übrigen ging die Einsatzleitung selbst am 8. 6. 1986 ausweislich des Abteilungsbefehls erkennbar davon aus, daß die nach Versammlungsrecht erforderliche Auflösungsverfügung nicht bereits in der Einschließung lag, vielmehr
einer gesonderten Verfügung bedurfte.
Die Maßnahmen der Bekl. waren aber auch im weiteren Verlauf aus anderen Gründen rechtswidrig. Selbst wenn zum Zeitpunkt des Vorgehens um 12.22 Uhr die Bekl. in der Einschließung das einzige Mittel gesehen hätte, um
eventuelle Gewalttätigkeiten zu verhindern, hätte sie die Maßnahme spätestens dann beenden müssen, als für sie erkennbar war, daß die Einschließung ein für den verfolgten Zweck, Isolierung des Gewaltpotentials, ungeeignetes
Mittel war, denn unstreitig gingen die erfolgten Gewalttätigkeiten nicht von den Eingeschlossenen aus, sondern von Personen, die sich außerhalb des Heiligengeistfeldes befanden. Aufgrund der weiter vorgetragenen Tatsachen konnte
die Bekl. nicht davon ausgehen, daß die im bisherigen Verlauf friedlichen Versammlungsteilnehmer innerhalb der Einschließung nach einer Aufhebung der polizeilichen Maßnahme das Gewaltpotential auf der Feldstraße nennenswert
verstärkt hätten, zumal sie ihre Bereitschaft gezeigt hatten, solche Gegenstände abzulegen, die als Aktiv-Bewaffnung in Betracht gezogen werden konnte. Von daher drängt sich die Annahme auf, daß es gerade nicht gelungen war, die
potentiellen Gewalttäter zu isolieren, sondern daß diese entweder der Einschließung sich rechtzeitig entziehen konnten oder erst im späteren Verlauf von außen hinzugekommen sind. Nach Auffassung der Kammer wäre dies auch von
der Bekl. erkennbar gewesen, denn durch ihre speziellen Einsatzkommandos, die sie am Heiligengeistfeld eingesetzt hatte, wäre es ihr möglich gewesen, den tatsächlichen Verlauf der Geschehnisse zu registrieren und daran die
Tauglichkeit der von ihr ergriffenen Maßnahme zu messen. Dies hat die Bekl. jedoch versäumt. Die Aufrechterhaltung der Einschließung über Stunden war auch aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.
Dies scheint auch der Einschätzung der Einsatzleitung der Polizei entsprochen zu haben, als sie schließlich damit begann, die Teilnehmer aus der Einschließung heraus auf auswärtige, im gesamten Stadtgebiet verstreute Sammelstellen
zu verbringen.
Aber auch dieses aus der Sicht der Einsatzleitung zur Entschärfung der Situation vor Ort getroffenen Maßnahme der Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer erweist sich aus verschiedenen Gründen als rechtswidrig. Das
Versammlungsgesetz sieht eine derartige Maßnahme gegen Versammlungsteilnehmer nicht vor. Aber auch auf der Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes war diese konkrete Maßnahme nicht zulässig. Nach § 13 I Nr. 1
HbgSOG darf eine Person gegen ihren Willen nur dann in Gewahrsam genommen werden, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht abgewehrt oder eine Störung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht beseitigt werden kann. Die Eingeschlossenen stellten selbst eine derartige Gefahr oder Störung nicht dar, denn die Gewalttätigkeiten gingen nicht von diesem Kreis aus, sondern von
außerhalb Stehenden. Die von der Bekl. zur Begründung ihrer Maßnahme gegebenen Darlegungen, es sei zu erwarten gewesen, daß einzelne Teilnehmer nach ihrer Entlassung sich innerhalb des Stadtgebietes unfriedlich verhalten
würden, vermag die Ingewahrsamnahme nicht zu rechtfertigen. Bereits aus diesem Grunde erweist sich die andauernde Ingewahrsamnahme als unverhältnismäßig.
Hinzu kommt, daß bei Anordnung einer polizeilichen Maßnahme auch deren ordnungsgemäße Durchführung gewährleistet, insbesondere die Abwicklung in angemessener Zeit möglich sein muß. Tatsächlich zog sich aber die
Ingewahrsamnahme der Teilnehmer, unter ihnen die Kl., vom späten Nachmittag bis zum frühen Morgen des 9. 6. 1986 hin. Dies beruhte unter anderem auf einer offensichtlichen Fehleinschätzung der Anzahl der Eingeschlossenen.
Wegen einer im Verhältnis zu der tatsächlichen Anzahl völlig unzureichenden Kapazität an Transportmitteln einschließlich Sicherheitspersonal und wegen des Fehlens geeigneter Sammelstellen konnte die Maßnahme nicht in
angemessener Zeit abgeschlossen werden.
Nach Auffassung der Kammer waren sowohl das stundenlange Eingeschlossensein als auch die weiteren sich ebenfalls über Stunden hinziehenden Ingewahrsamnahme auf den verschiedenen Polizeirevierstellen in der Stadt für die Kl.
nicht mehr zumutbar und unverhältnismäßig. Bei einem Vorgehen nach HbgSOG werden bestimmte Mindestanforderungen an die tatsächliche Durchführung gestellt, die im Falle der Kl. nicht eingehalten worden sind. Dies gilt auch
im Hinblick auf die unzureichenden Unterbringungsmöglichkeiten auf den Polizeirevieren.
Darüber hinaus stellen die unzulängliche Versorgung der Eingeschlossenen sowie die ungenügenden hygienischen Verhältnisse, denen die Kl. ausgesetzt waren, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Kl. dar, die nicht mehr durch
den Zweck der Maßnahme gerechtfertigt werden kann. Ähnliches gilt auch für die meist unzureichenden Möglichkeiten auf den Revierstellen für die Ingewahrsamgenommenen, Personen ihres Vertrauens bzw. Anwälte und Verwandte
zu informieren. Die Führung der Bekl. hätte, nachdem erkennbar war, daß die Ingewahrsamnahme nur unter diesen unzureichenden Bedingungen durchgeführt werden konnte, diese beenden müssen.
Hatte die Polizei keine Möglichkeit, die Ingewahrsamnahme gem. § 13 HbgSOG ordnungsgemäß durchzuführen, mußte sie von einer derartigen Maßnahme gänzlich absehen. Denn einer in Gewahrsam genommenen Person dürfen nur
solche Beschränkungen auferlegt werden, die den Zweck des Gewahrsams sichern sollen oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung während des Gewahrsams erforderlich sind (§ 13 IV HbgSOG). Die den Klägern zugemuteten
Beeinträchtigungen (Mehrbelegung von Einzelzellen, unzureichende Versorgung, eingeschränkte Möglichkeit, Verwandte oder Anwälte zu informieren) übersteigen die gesetzlich zugelassenen.
Die Bekl. handelte bei ihrem Vorgehen auch schuldhaft. ...
III. Auch ein Mitverschulden der Kl. gem. § 254 BGB dadurch, daß sie es abgelehnt haben, auf das Angebot der Bekl. gegen 14.30 Uhr, den Kreis der Versammlungsteilnehmer nach Feststellung ihrer Personalien zu verlassen,
einzugehen, liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. ...
IV. Durch das Vorgehen der Bekl. wurde in die persönliche Freiheit der Kl. und in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht erheblich eingegriffen. Gem. § 847 BGB steht ihnen hierfür ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld zu.
Bei der Bemessung der Höhe war zu berücksichtigen, daß die Kl. auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, sie über Stunden hinweg im Ungewissen darüber blieben, was mit ihnen geschehen würde, Durchsuchungen über sich
hatten ergehen lassen müssen sowie die unzulängliche Unterbringung auf den Polizeirevieren bzw. den sonstigen eingerichteten Sammelstellen haben erdulden müssen. Hingegen darf bei der Bemessung nicht außer acht bleiben, daß
die Kl. sich freiwillig zu einer unangemeldeten Demonstration, die nach der Vorgeschichte einige Brisanz in sich barg, zusammengefunden haben. Von daher haben sie solche Beeinträchtigungen, die gemeinhin mit solchen
Veranstaltungen einhergehen, bewußt und gewollt in Kauf genommen. Als Folge des rechtswidrigen Handelns der Bekl. und damit als für die Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen sind daher nur die darüber hinausgehenden
Beeinträchtigungen anzusehen.
Zwar hat der Senat in dem in seiner Sitzung vom 30. 6. 1986 gefaßten Beschluß sein Bedauern über das Vorgehen der Beklagten ausgedrückt (Anlage 5 zur Drucks. 11/6556), andererseits hat die Bekl. dem vorprozessualen Begehren
der Kl. auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages von 100 DM nicht entsprochen und auch in der Klageerwiderung ihr Vorgehen als rechtsmäßig angesehen. Durch dieses in sich widersprüchliche Verhalten relativiert sich die vom Senat
ausgesprochene „Entschuldigung" und wird den an eine Genugtuung zu stellenden Voraussetzungen nicht gerecht. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für angemessen, den Klägern als Ausgleich für die erlittenen
Rechtsbeeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von je 200 DM zuzusprechen. ..."
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§ 9
(1) Der Leiter kann sich bei der Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher Ordner bedienen. Diese dürfen keine Waffen oder sonstigen Gegenstände im Sinne vom § 2 Abs. 3 mit sich
führen, müssen volljährig und ausschließlich durch weiße Armbinden, die nur die Bezeichnung "Ordner" tragen dürfen, kenntlich sein.
(2) Der Leiter ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken.
Leitsätze/Entscheidungen:
Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt
werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG).
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§ 10
Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.
Leitsätze/Entscheidungen:
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§ 11
(1) Der Leiter kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.
(2) Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 12
Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muß ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden.
Leitsätze/Entscheidungen:
Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet
werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG,
sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der
Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege
verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei
vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).
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Ein allgemeines voraussetzungsloses Anwesenheitsrecht der Polizei bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ist von § 12 S. 1 VersG nicht gedeckt (VGH München, Urteil vom 15.07.2008 - 10 BV 07.2143, DÖV 2008, 1006):
„... Die Anwesenheit der beiden Polizeibeamten in der Versammlung am 19. Juli 2006 im EineWeltHaus in München war nicht von einer Befugnisnorm gedeckt und daher rechtswidrig.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft, da die angegriffene Maßnahme ein Realakt ist. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der Rechtswidrigkeit, da er einen
Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit durch die Anwesenheit der beiden Polizeibeamten in der Veranstaltung im Juli 2006 geltend machen kann (vgl. BVerwG vom 14.7.1999
BVerwGE 109, 203) und Wiederholungsgefahr besteht.
Rechtsgrundlage für das behauptete Zutrittsrecht der Polizei kann ausschließlich das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz des Bundes) - VersG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November
1978 (BGBl I S. 1789), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 2005 (BGBl I S. 969), sein, da das Bayerische Versammlungsgesetz vom 12. Juli 2008 (GVBl 2008, 421) erst mit seinem Inkrafttreten am 1. Oktober 2008 das
bundesrechtliche Versammlungsgesetz ersetzt (Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayVersG).
Die Veranstaltung des Klägers am 19. Juli 2006 in München war eine öffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen - insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch keine Meinungsverschiedenheit (mehr) - und stand damit
unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, der das Recht aller Deutschen anerkennt, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dabei kann offenbleiben, ob sich die beiden Polizeibeamten während
der bereits begonnenen eigentlichen Versammlung im EineWeltHaus am 19. Juli 2006 im Versammlungssaal aufhielten oder ob die Versammlung noch vorbereitet wurde. Denn der Schutzumfang des Art. 8 GG Abs. 1 betrifft
jedenfalls auch den Zugang zu einer Versammlung (vgl. BVerfG vom 14.5.1985 BVerfGE 69, 315; Ladeur in Ridder/Breitbach/ Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, RdNr. 18 zu Art. 8 GG; Dietel/Gintzel/ Kniesel,
Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Aufl. 2004, RdNr. 71 zu § 1).
§ 12 VersG, wonach sich Polizeibeamte, die in die Versammlung entsandt werden, dem Versammlungsleiter zu erkennen zu geben haben (Satz 1) und ihnen ein angemessener Platz in der Versammlung einzuräumen ist (Satz 2),
rechtfertigt die Anwesenheit der Polizeibeamten im vorliegenden Fall nicht. Die Vorschrift greift - wie Pawlita/Steinmeier in Ridder,/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 2 zu § 12 ausführen - ihrem Wortlaut nach weitgehend auf
die Formulierung des § 13 des Reichsvereinsgesetzes (RVG) aus dem Jahr 1908 zurück (‚Beauftragte, welche die Polizei in eine öffentliche Versammlung entsendet, haben sich unter Kundgebung ihrer Eigenschaft dem Leiter oder,
solange dieser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben. Den Beauftragten muß ein angemessener Platz eingeräumt werden.'), der stets so verstanden worden ist, dass er der Polizei ein eigenes
Zutrittsrecht gewährte. Das Zutrittsrecht der Polizei war früher in länderstaatlichen Regelungen enthalten und nach damaligem Verständnis nicht nur Voraussetzung für den jederzeit möglichen Eintritt des Verbotsfalles; es schien auch
unverzichtbar, ‚von der öffentlichen Meinung fortgesetzt unterrichtet zu bleiben' (so die Begründung zu § 13 RVG 1908, RT-Drs. 482, 12, zitiert nach dem Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 24.1.1911 PROVGE
58, 288). Zur Rechtfertigung dieses Übergriffs in dem Bereich der vom Staat getrennten Gesellschaft verpflichtete sich der Staat seinerseits, seine Beobachtungstätigkeit offenzulegen, wenn auch das Auftreten uniformierter
Polizeikräfte primär den Zweck der Repräsentation des allgegenwärtigen Staates und damit der Einschüchterung gehabt haben dürfte. Die im Entwurf zum RVG 1908 ursprünglich vorgesehene ausdrückliche Normierung einer
Befugnis zur Entsendung wurde aus der später verabschiedeten Fassung (nur Regelung der Entsendungsmodalitäten) mit der Begründung gestrichen, dass eine sachliche Änderung gegenüber der bisherigen Praxis nicht erstrebt werde.
Weil mit der Neuregelung die Entsendung von Polizeibeamten nicht zur Pflicht erhoben werden solle, sei es eindeutiger, die Befugnis der Polizei, Beauftragte zu entsenden, als selbstverständlich zu behandeln und nur Bestimmungen
zu treffen für den Fall, dass die Polizei von ihrer Befugnis Gebrauch mache (RT-Drs. Nr. 819 S. 12, zitiert nach PrOVGE 58, 288). In diesem Sinne hat auch das Preußische Oberverwaltungsgericht die Vorschrift des § 13 RVG 1908
verstanden. In der Zeit der Weimarer Republik war die Weitergeltung des § 13 RVG 1908 - als Beschränkung - zunächst umstritten. Das Reichsgericht erkannte in der Entscheidung vom 28. April 1932 (RGSt 66, 228) ein
Entsendungsrecht der Polizei nur nach den landesrechtlichen polizeilichen Generalklauseln und nur zur Verhütung unmittelbarer Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer an. Als Reaktion auf diese
Rechtsprechung wurde durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 16. Juni 1932 eine ausdrückliche Befugnis der Polizeibehörde zur Entsendung Beauftragter in öffentliche Versammlungen - mit der Auflösungsmöglichkeit bei
Verweigerung - eingeführt. § 12 VersG knüpft somit mit seinem Wortlaut an eine Vorläufervorschrift an, ohne allerdings die Frage zu beantworten, ob und unter welchen Voraussetzungen es unter der Geltung des Grundgesetzes noch
ein allgemeines und voraussetzungsloses Zutrittsrecht der Polizei geben kann.
Auf das tradierte Verständnis des Zutrittsrechts der Polizei kann unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zu Versammlungen unter freiem Himmel (s. Art. 8 Abs. 2 GG) steht das Recht
aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Das Recht, sich in geschlossenen Räumen zu versammeln, kann daher nur im Rahmen des staatlichen Schutzauftrags zur Entfaltung des Freiheitsrechts, zur
Konkretisierung der in Art. 8 Abs. 1 GG enthaltenen Schranke (‚friedlich und ohne Waffen') oder, sofern in das Freiheitsrecht eingegriffen wird, zum Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer Werte mit Verfassungsrang durch
einfaches Gesetz ausgestaltet werden. Der staatliche Schutzauftrag und die Abwehr unfriedlicher Versammlungen vermögen im vorliegenden Fall die Anwesenheit der Polizei nicht zu rechtfertigen. Weder wollte sich der
Versammlungsleiter, der mit der Anwesenheit der Polizeibeamten nicht einverstanden war, bei der Durchführung seiner Aufgaben (s. §§ 8, 10 und 11 VersG), insbesondere zur Entfernung ausgeschlossener Störer, der Unterstützung
durch die Polizeibeamten bedienen, noch lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nehmen würde, was die Auflösung der Versammlung nach § 13 VersG durch die Polizei erforderlich
gemacht hätte. Hätten konkrete Anhaltspunkte für eine Auflösungsverfügung nach § 13 VersG vorgelegen, so würde sich ohne weiteres aus dieser Bestimmung selbst das Zutrittsrecht der Polizei ergeben. Der Ansicht von
Pawlita/Steinmeier (in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 7 zu § 12), § 12 VersG könne nur im Hinblick auf § 13 VersG verstanden werden, ist deshalb nicht zu folgen.
Im vorliegenden Fall greift die Anwesenheit der Polizeibeamten vielmehr in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit des Klägers ein, ohne dass das Versammlungsgesetz dafür eine Befugnisnorm enthält. Auch eine
faktische Behinderung stellt einen Grundrechtseingriff dar, wenn sie nicht nur geringfügig ist und die Ausübung des Versammlungsrechts durch den geschützten Personenkreis beeinträchtigt. Ein Eingriff liegt z. B. vor, wenn die
Maßnahme Personen von der Teilnahme an Versammlungen abschreckt (vgl. BVerfG vom 14.5.1983 BVerfGE 65, 1/43; Depenheuer in Maunz/Dürig, GG, Stand November 2006, RdNr. 125 zu Art. 8; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 8.
Aufl., RdNr. 13 zu Art. 8). Von einer faktischen Beeinträchtigung ist auch dann auszugehen, wenn sich die Versammlungsteilnehmer durch die Polizeipräsenz veranlasst sehen, ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder
nicht in vollem Umfang auszuüben. Dass eine polizeiliche Präsenz eine Observierung der Versammlung und damit neben dem Informationseingriff zugleich einen Eingriff in das Versammlungsrecht darstellt, wird von
Dietel/Gintzel/Kniesel (a.a.O. RdNr. 11 zu § 12) nicht erörtert, obwohl die einschüchternde Wirkung einer polizeilichen Observation nicht zweifelhaft ist (vgl. Hoffmann-Riem, AK-GG, Stand August 2002, RdNr. 52 zu Art. 8;
Pawlita/Steinmeier in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 2 zu § 12). Die Beurteilung der Polizeipräsenz muss deshalb von deren Wirkung auf die Versammlungsteilnehmer ausgehen und nicht von dem von der Polizei
beabsichtigten Zweck des Einsatzes, selbst wenn es der Polizei allein um den Schutz der Versammlung oder ‚lediglich' um eine Beobachtung der Versammlung geht (a. A. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 11 zu § 12). Andernfalls
wäre der Schutz des Grundrechts von einer nach außen nicht ohne weiteres erkennbaren Willensrichtung der Polizei abhängig.
Der Eingriffscharakter der Anwesenheit von Polizeibeamten wird im vorliegenden Fall besonders deutlich, weil der Kläger als Veranstalter und Leiter der Versammlung mit der Anwesenheit der Polizeibeamten nicht einverstanden
war. Zudem hatten sich die Polizeibeamten entgegen § 12 Satz 1 VersG dem Versammlungsleiter nicht zu erkennen gegeben. Damit konnte bei dem Versammlungsleiter und den Versammlungsteilnehmern der Eindruck entstehen, die
Polizeibeamten seien verdeckt erschienen, um die Versammlung zur Gewinnung von Informationen über sie zu beobachten und zu überwachen. Eine unbefangene Atmosphäre zum Ausdruck und zur freien Bekundung von Meinungen
konnte so nicht entstehen.
Soweit die Auffassung vertreten wird, der Schutzbereich des Art. 8 GG sei von § 12 VersG nicht berührt, weil zu öffentlichen Versammlungen jedermann Zutritt habe (Friedrichs, Einsatz von ‚V-Leuten' durch die Ämter für
Verfassungsschutz, 1981 S. 96), ist dem nicht zu folgen, da die Polizei nicht als Teilnehmer der Versammlung anwesend ist, sondern hoheitlich handelt, wenn sie Zutritt verlangt. Teilnehmer an einer Versammlung üben ein
Grundrecht aus, während sich das Abwehrrecht des Art. 8 Abs. 1 GG gerade gegen die Polizei als Repräsentanten des Hoheitsträgers richtet.
Ist in der Anwesenheit der Polizei aber ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts zu sehen, so bedarf dieser einer versammlungsrechtlichen Befugnisnorm (vgl. Depenheuer in Maunz/Dürig, a.a.O., RdNr. 136 zu Art. 8), die,
weil die Freiheit von Versammlungen in geschlossenen Räumen keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, nur zum Schutze kollidierender Verfassungsgüter zulässig ist. Dieser Anforderung genügt § 12 VersG allerdings nicht, weil die
Vorschrift lediglich die Modalitäten der polizeilichen Anwesenheit, nicht aber die Voraussetzungen des Eingriffs regelt (vgl. Hoffmann-Riem, a.a.O., RdNr. 52 zu Art. 8; a.A. Dietel/Gintzel,Kniesel, a.a.O., RdNr. 11 zu § 12, die ein
Anwesenheitsrecht der Polizei aus § 12 und § 29 Abs. 1 Nr. 8 VersG ableiten, ohne zu berücksichtigen, dass eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 8 VersG eine - nach anderen Vorschriften - rechtmäßige Anwesenheit der
Polizei voraussetzt; widersprüchlich auch Pawlita/Steinmeier in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 7 zu § 12, die ein generelles Zutrittsrecht der Polizei ablehnen, gleichzeitig aber betonen, dass Polizeibeamten im
Unterschied zu anderen teilnahmewilligen Personen die Anwesenheit nicht verwehrt werden könne).
Auch auf die allgemeine polizeiliche Generalklausel in Art. 11 Abs. 1 PAG kann die Anwesenheit der Polizei nicht gestützt werden. Ob auf das allgemeine Polizeirecht polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur
gestützt werden können, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben, kann offenbleiben. Gegen den Rückgriff auf das allgemeine
Polizeirecht spricht, dass in § 12 a und § 13 VersG die Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten zur Gefahrenabwehr versammlungsrechtlich speziell und abschließend geregelt sind (vgl. VGH BW vom 26.1.1998 DÖV
1998, 650; OVG Bremen vom 4.11.1986 NVwZ 1987, 235; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 3 zu § 13). Aber auch die Auffassung, wonach die allgemeinen Polizeibefugnisse unter den Voraussetzungen von § 12 a und § 13
VersG anwendbar sind (vgl. BVerwG vom 8.9.1981 BVerwGE 64, 55 - zu § 15 VersG), vermag die Anwesenheit der Polizei nicht zu rechtfertigen. Denn die Einvernahme der beiden Zeugen in der mündlichen Verhandlung hat
ergeben, dass der Einsatz der beiden Polizeibeamten nicht der Abwehr von konkret drohenden erheblichen Gefahren diente. Nach der Aussage des Zeugen PD K., der den Entsendeauftrag erteilt hat, beruhte der Auftrag auf seiner
Einschätzung, dass bei dieser Art der Veranstaltungen eventuell mit Störungen durch Personen der rechten Szene zu rechnen gewesen sei. Die Einsatztaktik ziele generell darauf ab, öffentliche Versammlungen durch die Anwesenheit
von Kriminalbeamten zu schützen, wenn aufgrund der Thematik damit zu rechnen sei, dass in der Versammlung opponierende Meinungen auftauchten, die zu weiteren Störungen führen könnten. Es habe im Vorfeld der Versammlung
keine konkreten Anhaltspunkte für Störungen gegeben. Der Zeuge KOK S. gab an, ihm seien bei seinem Einsatz keine konkreten Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in dem Sinn bekannt gewesen, dass er auf ein
bestimmtes Ereignis hingewiesen worden wäre.
Die Anschlussberufung des Beklagten ist gemäß § 127 VwGO statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet.
Ihrer Zulässigkeit steht die zunächst selbstständig eingelegte Berufung (Verfahren 10 BV 07.2067) nicht entgegen, da über diese Berufung nicht entschieden wurde. Sie wurde für erledigt erklärt und ging mit der Prozesserklärung im
Schriftsatz vom 26. März 2008 in der Anschlussberufung auf (vgl. BVerwG vom 14.11.2007 NVwZ-RR 2008, 214 und vom 11.7.2007 BayVBl. 2008, 353). Die Anschließung ermöglicht dem an sich ‚friedfertigen' Berufungsführer
unter den Gesichtspunkten der Waffengleichheit und der Billigkeit auch dann noch selbst in den Prozess einzugreifen, wenn die Berufung des Gegners erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegt wird und er deshalb eine
eigene Berufung nicht mehr führen kann. Dasselbe gilt, wenn die zunächst selbstständig eingelegte Berufung wegen Überschreitung der Berufungsfrist - wie hier - unzulässig war und darüber nicht bereits rechtskräftig entschieden
wurde. Der Zulässigkeit der Anschlussberufung steht darüber hinaus nicht entgegen, dass sie einen anderen Teil des Streitgegenstandes der Berufung zum Gegenstand hat. Es handelt sich bei den Streitgegenständen der Berufung und
der Anschlussberufung um einen einheitlichen Lebenssachverhalt mit abtrennbaren Teilstreitgegenständen (vgl. BVerwG vom 19.1.2006 BVerwGE 125, 44; Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., RdNr. 8 zu § 127).
Die Anschlussberufung ist unbegründet. Wegen des unmittelbaren Zusammenhangs mit der Versammlung liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben
ist. Für die Bestimmung des Rechtswegs ist das schlüssig geltend gemacht Rechtsschutzbegehren des Klägers zugrundezulegen, dem gegenüber sich die Tonbandaufzeichnung durch die Polizei nicht als Maßnahme zur Verfolgung
einer Ordnungswidrigkeit (s. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG), sondern als Maßnahme im Zusammenhang mit der Durchsetzung des (vermeintlichen) Zutrittsrechts darstellte; auf die Erwiderung des Beklagten kommt es nicht an. Diese
Feststellungsklage ist ebenso wie die Klage, die der Berufung des Klägers zugrunde liegt, aus den oben dargelegten Gründen zulässig (vgl. Hase in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 51 zu § 12 a).
Die Anfertigung von Tonaufnahmen in der Versammlung des Klägers am 19. Juli 2006 in München war rechtswidrig. Die Aufnahme verletzte das geschützte Rechtsgut der Versammlungsfreiheit.
Der Vorraum, in dem die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und den Polizeibeamten stattfand, war, wie der durchgeführte Augenschein ergab, noch Teil des Versammlungsortes. Die beiden Räume sind durch eine Schiebetür
getrennt, die bei Bedarf geöffnet wird, um den Besuchern der Veranstaltung die Möglichkeit der Teilnahme zu geben, die im Hauptraum selbst keinen Platz mehr finden. Die Versammlung selbst war wegen des Streitgesprächs zwar
unterbrochen, aber vom Kläger noch nicht für beendet erklärt; sie stand daher auch zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG.
Die Informationserhebung durch die Tonaufnahme ohne Einverständnis der Betroffenen bedarf auch als tatsächlicher Vorgang einer Rechtsgrundlage, da sie in das Versammlungsrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) eingreift (vgl. BVerfG vom 15.12.1983 a.a.O.; Hase in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 1 zu § 12 a; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 11 zu § 12). Der
Eingriffscharakter von Tonaufnahmen während einer Versammlung ergibt sich tatbestandlich aus § 12 a Abs. 1 VersG, der die Voraussetzungen für Tonaufnahmen (‚… nur anfertigen …') eng fasst. Wegen des möglichen
Einschüchterungseffekts ist eine verdachtsunabhängige Versammlungsüberwachung durch Tonaufnahmen nicht erlaubt (vgl. Hoffmann-Riem, a.a.O., RdNr. 43 zu Art. 8; Depenheuer in Maunz/Dürig, a.a.O., RdNr. 126 zu Art. 8). Als
Befugnisnorm scheidet § 12 a Abs. 1 VersG im vorliegenden Fall aus, da keine Anhaltspunkte einer drohenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ersichtlich waren und die Aufnahme als
präventivpolizeiliche Maßnahme für den später angegebenen Zweck völlig ungeeignet war (hierzu und zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift Hase in Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., RdNr. 18 zu § 12 a). Für welchen
Zweck die Tonaufnahme gemacht wurde, erschließt sich aus der Maßnahme selbst nicht. Für Zwecke der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit war die Tonaufnahme jedenfalls nicht von vornherein bestimmt. Denn der Sachverhalt
stand im Zeitpunkt der Aufnahme bereits fest, und es war nicht zu erwarten, dass der Kläger bestreiten würde, den Beamten den Zutritt zu der Versammlung verweigert zu haben. Ein Verfahren nach dem Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten wurde zudem erst mehrere Wochen (Bl. 27 der Akte 113 Js 10897/07) nach dem Vorfall eingeleitet. Die beiden beteiligten Beamten, die sich später zum Einsatz des Tonaufnahmegeräts geäußert haben,
erwähnen keinen Zusammenhang mit Maßnahmen nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Der Zeuge KOK S. gab bei seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung an, es sei ihm bei der Tonaufnahme darum gegangen
festzuhalten, dass er den Versammlungsleiter über dessen Pflichten belehrt habe, und auf diese Weise seine eigene Sachbearbeitung zu erleichtern. Er habe in dem Gespräch zwar auf § 12 a VersG hingewiesen, habe er aber § 12
VersG und sein Anwesenheitsrecht gemeint. Obwohl auch der Zusammenhang mit einer (ungerechtfertigten) Maßnahme nach § 12 a VersG nicht fernliegend gewesen wäre, lässt die Einlassung des Zeugen den Schluss zu, dass sich
der Beamte auch nicht auf § 12 a Abs. 3 VersG berufen wollte. Der ebenfalls am Einsatz beteiligte Polizeibeamte KK L. gab im Ordnungswidrigkeitenverfahren an, er führe das Aufnahmegerät im Dienst immer mit sich. Die
Erfahrung lehre, dass bei bestimmten Veranstaltungen Äußerungen von Polizeibeamten verdreht und dem eigenen politischen Verständnis anzugleichen versucht werden (Bl. 15 der Akte 113 Js 100020/07). Dem ist zu entnehmen,
dass es ihm mehr um Selbstschutz im Hinblick auf künftige Auseinandersetzungen als um Beweismaterial für ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ging.
Bei dieser Sachlage fehlte der Tonaufnahme eine versammlungsrechtliche Rechtsgrundlage, so dass das Verwaltungsgericht zu Recht einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 VersG festgestellt hat. ..."
*** (VG)
Verdeckte Ermittler, die an Versammlungen teilnehmen, müssen sich zu erkennen geben (VG Göttingen, Urteil vom 06.11.2013 - 1 A 98/12).
***
Es wird festgestellt, dass die beiden Polizeibeamten gegen die Legitimationspflichten des § 12 Versammlungsgesetz verstoßen haben, indem sie sich nicht unverzüglich auswiesen und ihren Entsendeauftrag bekannt gaben. Es wird
festgestellt, dass die Anfertigung von Tonaufnahmen durch Polizeibeamte im Rahmen der Versammlung rechtswidrig war.(VG München, Urteil vom 13.06.2007 - M 7 K 06.3161):
„... Das für die erhobene Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse der Klägers liegt vor. Der Kläger war Leiter einer Versammlung in geschlossenen Räumen. Bei einer Versammlung in geschlossenen Räumen ergibt sich
im Wege des Umkehrschlusses aus Art. 8 Abs. 2 GG, dass das Versammlungsgrundrecht, soweit es in geschlossenen Räumen ausgeübt wird, nur den grundrechtsimmanenten Schranken unterliegt. Es besteht ein berechtigtes Interesse
des Klägers gerichtlich überprüfen zu lassen, ob der Polizeieinsatz bei der Versammlung das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit wahrte.
Die beiden Polizeibeamten haben bei der streitgegenständlichen Versammlung gegen die Legitimationspflichten des § 12 Versammlungsgesetz (VersG) verstoßen, indem sie sich nicht unverzüglich auswiesen und ihren
Entsendeauftrag bekannt gaben.
Das in § 12 VersG enthaltene Anwesenheitsrecht der Polizei in Versammlungen in geschlossenen Räumen stellt einen Eingriff in Art. 8 GG dar, nämlich eine Beschränkung eines Grundrechts durch ein Gesetz unterhalb der
Verfassungsebene. Art. 8 GG gewährleistet das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen uneingeschränkt. Das Recht, sich in geschlossenen Räumen zu versammeln, unterliegt ausschließlich grundrechtsimmanenten Schranken.
Das in § 12 VersG normierte Anwesenheitsrecht der Polizei in Versammlungen in geschlossenen Räumen ist nur und insoweit verfassungskonform als es eine grundrechtsimmanente Schranke zum Ausdruck bringt und diesen Rahmen
nicht überschreitet. Die Verfassungskonformität des Anwesenheitsrechts der Polizei nach § 12 VersG liegt nur dann vor, wenn dadurch die Ausübung des Versammlungsgrundrechts in seinem verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen,
mit den kollidierenden Grundrechten Dritter und anderer verfassungsrechtlich geschützter Güter als dessen Grenzen, gewährleistet wird. Das Anwesenheitsrecht besteht nur und insoweit, als es den Zweck erfüllt, die in der öffentlichen
Versammlung ausgeübte Versammlungsfreiheit zu schützen. Diese das Anwesenheitsrecht der Polizei ausschließlich legitimierende Schutzfunktion muss jedenfalls gegenüber dem Versammlungsleiter deutlich zu Tage treten. Das
Anwesenheitsrecht der Polizei hat eine den Versammlungsleiter und die Versammlungsteilnehmer unterstützende und kooperierende Funktion, nicht hingegen eine konfrontative, den Versammlungsleiter und die
Versammlungsteilnehmer kontrollierend-überwachende Funktion.
Zur Wahrung dieser funktionalen Begrenzung des Anwesenheitsrechts der Polizei und in Anbetracht dessen verfassungskonformer Ausübung muss dem Einsatz der Polizeibeamten ein den vorgenannten Anforderungen entsprechender
verfassungskonformer Entsendeauftrag zugrunde liegen. Ein solchermaßen zulässiger Entsendeauftrag liegt hier unstreitig vor. Polizeilichen Erkenntnissen zufolge werden Versammlungen in geschlossenen Räumen linker
Gruppierungen von Anhängern rechtsextremer Gruppierungen aufgesucht, um dort im Vorfeld, während und nach der Versammlung zu provozieren und zu stören.
Allein das Vorliegen eines zulässigen Entsendeauftrags begründet nicht das Anwesenheitsrecht der Polizei. Unabdingbar erfordert die Verfassungskonformität, dass sich alle entsendeten Polizeibeamte gegenüber dem
Versammlungsleiter spätestens bei ihrem Eintreffen am Versammlungsort sofort dem Versammlungsleiter gegenüber als entsendete Polizeibeamte namentlich und mit Dienstausweis zu erkennen geben und gleichzeitig ihren
Entsendeauftrag bekannt geben. Die Kooperationsfunktion steht auch einer Vorabmitteilung des Entsendeauftrags nicht entgegen. Jegliche andere Handhabung der Legitimationspflichten des § 12 VersG, beispielsweise Zuwarten mit
dem sich zu Erkennengeben und/oder Bekanntgeben des Entsendeauftrags, wahrt nicht die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Legitimation eines sich ausschließlich auf Verfassungsrecht gründenden Anwesenheitsrechts von
Polizeibeamten bei Versammlungen in geschlossenen Räumen. Vorliegend haben sich die Polizeibeamten bei ihrem Eintreffen am Versammlungsort nicht sofort gegenüber dem Versammlungsleiter namentlich unter Vorzeigens des
Dienstausweises und gleichzeitiger Bekanntgabe des Entsendeauftrags legitimiert, so dass ein Verstoß gegen die Legitimationspflichten des § 12 VersG vorlag, der gleichzeitig ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit des Klägers war.
Die Anfertigung von Tonaufnahmen durch Polizeibeamte im Rahmen der Versammlung stellt einen Verstoß gegen § 12 a VersG dar. Die spezielle Voraussetzung in § 12 a VersG für die Zulässigkeit der Anfertigung von
Tonaufnahmen in öffentlichen Versammlungen durch die Polizei, nämlich dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigten, dass von Teilnehmern der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung ausgehen, war vorliegend bei der streitgegenständlichen Versammlung in geschlossenen Räumen nicht erfüllt. Eine andere Rechtsgrundlage kommt nicht in Betracht. Die Tonaufnahmen hatten den Zweck, als Beweismittel
für die vermeintliche Rechtmäßigkeit eigenen polizeilichen Handels zu dienen.
Die weitere Anwesenheit der beiden Polizeibeamten in der streitgegenständlichen Versammlung war nicht rechtswidrig. Der ursprüngliche Mangel der fehlenden Erfüllung der Legitimationspflichten des § 12 VersG war geheilt,
nachdem dem Versammlungsleiter die beiden Polizeibeamten nach Namensnennung und der Entsendeauftrag bekannt waren. Das Anwesenheitsrecht der beiden Polizeibeamten zum Schutz der Versammlung lag vor. Die Klage war
insoweit abzuweisen. ..."
***
Klage gegen Kontrollen bei Versammlung und deren Auflösung (VG Köln, Urteil vom 07.12.2006 - 20 K 5272/04 - Einkesseln der Versammlungsteilnehmer für mehrere Stunden - Kessel 3):
„... Die Klägerin meldete zusammen mit einer weiteren Person mit Schreiben vom 12.03. und vom 23.04.2003, gerichtet an das Ordnungsamt der Stadt Köln, die Veranstaltung ‚6. Antirassistisches Grenzcamp' auf dem städtischen
Gelände ‚Poller Wiesen' für den Zeitraum vom 30.07.2003 bis zum 11.08.2003 an. Es würden ca. 1500 Teilnehmer während der gesamten 10 Tage erwartet und die Veranstaltung solle im Freien in Form eines Zeltlagers abgehalten
werden. In der Folgezeit nahm der Beklagte Kontakt zu den Organisatoren der Veranstaltung auf, die einen vierköpfigen Arbeitskreis bildeten, zu dem auch die Klägerin gehörte, und der mit dem Beklagten am 27.06. und 25.07.2003
Kooperationsgespräche führte. Daneben schlossen die vier Arbeitskreis-Teilnehmer mit der Stadt Köln einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Nutzung eines Teilstücks der Grünfläche ‚Poller Wiesen' als Zeltplatz im Rahmen
des ‚Antirassistischen Grenzcamps'.
Der Beklagte bestätigte mit an die vier Mitglieder des Arbeitskreises gerichteten Bescheiden vom 01.08.2003 gemäß § 14 des Versammlungsgesetzes die Anmeldung der Versammlung jeweils für diejenigen Tage, für die sich die
einzelnen Arbeitskreis-Teilnehmer als Versammlungsleiter erklärt hatten. Die Klägerin hatte die Versammlungsleitung am 03.08., 05.08. und am 09.08.2003 übernommen. Gleichzeitig erließ der Beklagte jeweils drei gleichlautende Auflagen.
Im Laufe der Veranstaltungstage kam es nach den Feststellungen des Beklagten zu mehreren strafrechtlich relevanten Vorfällen, während andere Veranstaltungsteile störungsfrei verliefen; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 111 - 115
des eingereichten Verwaltungsvorganges verwiesen. Am 08.08.2003 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Grenzcampteilnehmern und eingesetzten Polizeibeamten, nachdem ein Kradfahrer der Polizei an der Weiterfahrt
gehindert worden und einer Polizistin eine Videokamera entrissen worden war. Die Einzelheiten hierzu sind zwischen den Beteiligten streitig. Für den 09.08.2003 war in Köln-Poll eine der rechtsextremen Szene zuzurechnende
Demonstration angemeldet. Nach den Erkenntnissen der Polizei war dies den Teilnehmern des Grenzcamps bekannt geworden und es seien von diesen Vorbereitungen zur Störung bzw. Verhinderung dieser Demonstration getroffen
worden. Der Beklagte richtete daraufhin ab 10.30 Uhr im Umfeld des Grenzcampgeländes Kontrollstellen ein, was zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Versammlungsteilnehmern führte. Auch diesbezüglich sind die
Einzelheiten zwischen den Beteiligten streitig. Um 14.00 Uhr wurde vom Einsatzleiter des Beklagten des Beklagten eine Auflösungsverfügung formuliert, die aber zunächst nicht erlassen wurde. Stattdessen fanden über mehrere
Stunden hinweg Verhandlungen zwischen dem Beklagten und der Versammlungsleitung statt, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler. Um 18.18 Uhr verkündete der Einsatzleiter des Beklagten per
Lautsprecherdurchsage die Auflösung der Versammlung Grenzcamp. Des Weiteren wurde den auf dem Grenzcamp anwesenden Personen über Lautsprecher mitgeteilt, dass gemäß § 163 b Abs. 1 u. 2 StPO ihre Personalien festgestellt
und Lichtbilder gefertigt werden sollten; sie sollten sich zu diesem Zwecke an den fünf eingerichteten Durchlassstellen melden, durch die sie das Gelände dann verlassen könnten. Dieser Aufforderung folgte nur ein Teil der
anwesenden Personen, die verbliebenen 377 Personen wurden eingekesselt und zur Gefangenensammelstelle nach Brühl verbracht. Dort wurden sie nach Personalienfeststellung mit Lichtbildfertigung in den Morgenstunden des
10.08.2003 freigelassen. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 forderte die Klägerin den Beklagten auf, sich zur Rechtswidrigkeit seiner Maßnahmen zu erklären. Eine Reaktion hierauf sowie
auf eine entsprechende Erinnerung vom 16.12.2003 erfolgte nicht.
Die Klägerin hat am 16.07.2004 Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit von mehreren am 09.03.2003 vom Beklagten getroffenen Maßnahmen begehrt. Zur Begründung trägt sie vor: Die Klageerhebung sei
geboten, da der Beklagte auf die schriftlichen Aufforderungen ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 sowie die Erinnerung vom 16.12.2003 nicht reagiert habe. Das Vorgehen der eingesetzten Polizeikräfte des
Beklagten gegen die Versammlungsteilnehmer des Grenzcamps sei nicht nachvollziehbar. Es habe sich bis zur Auflösung um ca. 18.00 Uhr um eine angemeldete und bestätigte Versammlung gehandelt. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehöre es zu den originären demokratischen Rechten, nicht nur an einer Versammlung teilzunehmen, sondern dies auch anonym zu tun. Dieses grundlegende Recht sei durch die Polizei
durch Errichtung der Sperren massiv eingeschränkt worden. Was den Vorfall mit dem Kradfahrer der Polizei anbetreffe, so sei dieser am frühen Morgen des 08.08.2003 entgegen den getroffenen Absprachen auf das Gelände des
Grenzcamps gefahren und habe auf Nachfragen äußerst ungehalten reagiert, so dass sich eine lautstarke Diskussion entwickelt habe. Die Person, die die Videokamera der Polizei entwendet haben soll, sei ihr, der Klägerin, wie auch der
übrigen damaligen Versammlungsleitung nicht bekannt gewesen und auch bis heute unbekannt. Am 09.08.2003 habe die Polizei gegen 9.30 Uhr damit begonnen, nach und nach sämtliche Zu- und Abfahrtswege vom Camp
abzuriegeln. Gegen 10.30 Uhr sei es dann insgesamt nicht mehr möglich gewesen, das Camp zu verlassen; Polizeibeamte hätten eine mehrreihige Kette in 50 m Entfernung vom Eingang gebildet. Aus Protest gegen das polizeiliche
Verhalten hätten einige Grenzcampteilnehmer Menschenketten gebildet; in der Folge sei es dann zu zahllosen Provokationen seitens der Polizei gekommen. Die Gangart der Polizei sei immer härter geworden, gegen 13.00 Uhr sei sie
unangekündigt bis zum Eingang des Grenzcamps vorgerückt. Ab diesem Zeitpunkt sei das Verlassen des Geländes auf die Straße - ‚Alfred-Schütte-Allee' bzw. ‚Am Schnellert ‚ - nicht mehr möglich gewesen. Nach Gesprächen der
Versammlungsleiter mit Vertretern des Beklagten habe sich dann die Lage vorübergehend entspannt, dabei seien die Versammlungsteilnehmer davon ausgegangen, dass sie nur bis zum Ende der rechtsradikalen Demonstration um
17.00 Uhr festgehalten würden. Gegen 15.00 Uhr sei dann mitgeteilt worden, dass das Grenzcamp geräumt werden solle, weil die angemeldete rechtsradikale Demonstration geschützt werden müsste und 70 % aller Campteilnehmer
straffällig geworden seien. Außerdem habe die Stadt Köln den Mietvertrag über die Poller Wiesen telefonisch gekündigt. Ab 16.00 Uhr habe dann die Polizei das Camp umstellt und der Einsatzleiter gegen 17.30 Uhr erklärt, dass die
Versammlung aufgelöst werden solle, um die Personalien der Campteilnehmer festzustellen. Nach mehreren Aufforderungen der Polizei an die verbliebenen Campteilnehmer, sich zum Ausgang zu begeben und die Personalien
feststellen zu lassen, sei dann gegen 19.00 Uhr über Lautsprecher die Versammlung für aufgelöst erklärt worden. Der erneuten Aufforderung, sich im Eingangsbereich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, seien
nur wenige Grenzcampteilnehmer nachgekommen. Daraufhin sei das gesamte Gelände mit Absperrgittern und mehrreihigen Polizeiketten umstellt worden. Die verbliebenen Teilnehmer seien eingekesselt worden und hätten mehrere
Stunden in dem Kessel verbleiben müssen, bis dann der Abtransport in zwei Gelenkbussen sowie kleineren Gefangenentransportern zur Gefangenensammelstelle nach Brühl erfolgt sei. Dort habe sich die Durchführung der
erkennungsdienstlichen Behandlung bis zum Vormittag des 10.08.2003 hingezogen, erst danach seien sie freigelassen worden.
Das Gericht hat das Verfahren abgetrennt, soweit sich die Klägerin (auch) gegen die nach Auflösung der Versammlung ergangenen polizeilichen Maßnahmen wendet (und unter dem Aktenzeichen 20 K 1709/06 fortgeführt).
Soweit sich die Klägerin zunächst auch gegen das ‚gegen 11.00 Uhr ausgesprochene Betretungsverbot für das Grenzcamp' gewandt hat, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 den Rechtsstreit im
Anschluss an eine vom Beklagten hierzu abgegebene Erklärung insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Im vorliegenden Verfahren beantragt die Klägerin nunmehr,
1. festzustellen, dass die Einrichtung der Kontrollstellen nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG am 09.08.2003 - Alfred-Schütte-Allee und ‚Am Schnellert ‚ - bezüglich den Versammlungsteilnehmern der angemeldeten Versammlung
Grenzcamp rechtswidrig war, soweit sie sich ausweisen lassen mussten,
2. festzustellen, dass die Auflösungsverfügung des Beklagten vom 09.08.2003 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die noch streitgegenständlichen Maßnahmen für rechtmäßig. Bereits im Vorfeld der Versammlung habe er deutlich gemacht, dass die Polizei allen erkennbaren Absichten zur Ausübung von Gewalttätigkeiten und anderen
Straftaten konsequent entgegenwirken sowie Straftaten konsequent verfolgen werde. Für Samstag, den 09.08.2003, habe eine der rechtsextremen Szene zuzuordnende Person eine Versammlung (Aufzug mit Kundgebungen)
angemeldet, die in Köln-Poll, ca. 2 km vom Grenzcampgelände entfernt, stattfinden sollte. Die dem Veranstalter am 06.08.2003 ausgehändigte Anmeldebestätigung sei diesem von Unbekannten an einer U-Bahn-Haltestelle entwendet
worden. Dem Schriftstück sei der bestätigte Aufzugsweg zu entnehmen gewesen, den man bis dahin nicht veröffentlicht habe. In der Nacht zum Samstag seien immer wieder Einzelpersonen und kleinere Personengruppen aus dem
Grenzcamp im Stadtteil Poll beobachtet worden. In den Morgenstunden des Samstags hätten Polizeikräfte entlang des Aufzugsweges Depots mit Wurfmaterialien (Steine, Farb- und Fäkalienbeutel) entdeckt; an den bereit gestellten
polizeilichen Absperrgittern seien die Sicherungsschlösser beschädigt worden und die Gitter mit Fäkalien beschmiert worden. Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse sei zum Schutz der angemeldeten rechtsextremen Versammlung
am 09.08.2003 mit Zustimmung der Bezirksregierung Köln im Umfeld des Grenzcampgeländes ab ca. 10.30 Uhr je eine Kontrollstelle in der ‚Alfred- Schütte-Allee', der Straße ‚Am Schnellert ‚ sowie am linksrheinischen Aufgang zur
Südbrücke eingerichtet worden gem. § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW, um zu erwartende Straftaten nach § 27 VersG zu verhüten. Die Sperrstellen in der ‚Alfred- Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hätten sich nicht direkt
am Grenzcampgelände, sondern in einer Entfernung von etwa 400 - 500 m befunden, auch um die Teilnehmer des Grenzcamps nicht durch eine Polizeipräsenz in unmittelbarer Nähe zu provozieren. Die räumliche Distanz habe zur
Folge gehabt, dass jeder, der die Landzunge zu verlassen gedachte, die Sperrstellen passieren musste. Auch Anwohner, Spaziergänger und andere Personen seien unmittelbar von dieser Maßnahme betroffen gewesen. Es sei nicht
darum gegangen, die Teilnahme an oder das Verlassen der Versammlung ‚Grenzcamp' zu be- oder verhindern. Zweck der Einrichtung der Kontrollstellen sei ausschließlich der Schutz der Versammlung der rechtsextremen Szene
gewesen. Es sei zwingend davon auszugehen gewesen, dass eine gewaltsame Verhinderung bzw. Störung der Versammlung der rechtsextremen Szene konkret geplant gewesen sei. Ebenso habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich
Teilnehmer des Grenzcamps an diesen Aktionen zu beteiligen gedachten, zumal die rechtsextreme Szene ‚gegen das 6. Antirassistische Grenzcamp in Köln- Poll' (so wörtlich angemeldet) zu demonstrieren gedachte. Es sei von
Grenzcampteilnehmern versucht worden, die in der ‚Alfred-Schütte-Allee' eingerichtete Kontrollstelle zu umgehen und im Camp sei über Lautsprecher zum Verlassen des Geländes über die Südbrücke aufgerufen worden. Als eine
große Personengruppe auf die Südbrücke gedrängt sei, auf der sich eine Schienentrasse und teilweise in der Sanierung befindliche Gehwege befunden hätten, habe der rechtsrheinische Zugang zur Südbrücke von Einsatzkräften
gesperrt werden und die Südbrücke von Personen geräumt werden müssen. An diesem Zugang zur Südbrücke sei um 11.11 Uhr eine zusätzliche Kontrollstelle nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW eingerichtet worden. Diese habe sich
unmittelbar am Eingangsbereich des Grenzcampgeländes befunden, dort habe die Lage gegen 12.16 Uhr zu eskalieren begonnen. Die dort eingesetzten Polizeikräfte seien gewalttätigen Angriffen von Grenzcampteilnehmern ausgesetzt
gewesen. Aus einer dicht gedrängten Gruppe von etwa 100 bis 150 Personen seien die Beamten mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln und Steinen beworfen worden. Einige dieser Personen seien vermummt gewesen. Darüber hinaus sei
beobachtet worden, dass Personen unter der Südbrücke Steine und Holzlatten deponiert hätten. Zum Schutz der Einsatzkräfte an der Kontrollstelle sowie zur Festnahme erkannter Straftäter seien Einsatzkräfte von der Kontrollstelle
‚Am Schnellert ‚ in Richtung der Störer vorgerückt und hätten eine Polizeikette gebildet. Aus der Gruppe vor der Polizeikette seien die Polizeikräfte nochmals mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln, gefüllten Wasserflaschen und
vereinzelt mit Steinen beworfen worden, zudem seien die Einsatzkräfte mit Wasser bespritzt worden. Zwischen der Personengruppe unmittelbar vor der Polizeikette und den restlichen Personen auf dem Gelände des Grenzcamps sei es
auch während des Bewurfs der Polizeikräfte zu ständigen Bewegungen gekommen. Es seien auch Personen, die an den Ausschreitungen teilgenommen hätten, aus dem Grenzcamp heraus in Form von Anfeuerungsrufen und den Rufen
von Parolen gegen die Polizei unterstützt worden. Die Versammlung ‚Grenzcamp' sei um 18.18 Uhr in rechtmäßiger Weise aufgelöst worden, denn die Angriffe der Versammlungsteilnehmer gegen die Integrität der eingesetzten
Beamtinnen und Beamten sowie die nachhaltige Verletzung der Rechtsordnung (u.a. Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung) hätten eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dargestellt. Der Auflösung seien
stundenlange Vermittlungsversuche, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler, vorangegangen. Dabei habe die Polizei immer wieder herausgestellt, dass die eingerichteten Sperrstellen ausschließlich dem Schutz der
nicht verbotenen rechten Versammlung in Köln-Poll, die bis um 17.00 Uhr dauern sollte, gedient habe. Letztlich seien sämtliche Versuche, die Lage mittels Gesprächen mit den Verantwortlichen des Camps zu beruhigen, gescheitert.
Im Zeitpunkt der Auflösung der Versammlung sei davon auszugehen gewesen, dass es auch bei einer Beendigung des Polizeieinsatzes, verbunden mit der Entfernung der Sperrstellen und dem Abzug sämtlicher Polizeikräfte, nicht zu
einer ruhigen und ordnungsgemäßen Fortsetzung der Aktivitäten der Grenzcampteilnehmer gekommen wäre. Vielmehr habe befürchtet werden müssen, dass dem Ende des Polizeieinsatzes ein Entladen der aufgestauten Aggressionen
seitens der Campteilnehmer folgen würde. Die Auflösung sei damit Folge der gewaltsamen Auseinandersetzungen an diesem Tage gewesen, andererseits hätten aber auch die im Zeitraum vom 31.07. bis zum 08.08.2003 begangenen
Straftaten, die den Teilnehmern des Grenzcamps zuzurechnen gewesen seien, zu der Entscheidung beigetragen. So sei am 08.08.2003 ein Kradfahrer der Polizei auf der ‚Alfred-Schütte-Allee' von mehreren Grenzcampteilnehmern
gewaltsam an der Weiterfahrt gehindert worden. Mehrere Personen hätten auf das Krad eingeschlagen und dabei sei die Antenne abgebrochen. Als weitere Polizeikräfte eingetroffen seien, sei einer Beamtin aus der Gruppe heraus die
zu Beweiszwecken eingesetzte Videokamera geraubt worden. Der Täter sei unerkannt mit der Kamera auf das Grenzcampgelände geflüchtet. Auch in den Vortagen hätten Grenzcampteilnehmer an verschiedenen Orten mehrere
Straftaten begangen; wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten wird insoweit auf Bl. 60, 61 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten eingereichten Verwaltungsunterlagen und auf die von ihm vorgelegten zwei Videokassetten Bezug
genommen. ...
Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, wird es in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt. Im Übrigen hat die Klage teilweise - im Klageantrag zu 2. - Erfolg.
1. Der Klageantrag zu 1. ist unzulässig.
Dabei kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO handelt, da die Einrichtung einer polizeilichen Kontrollstelle als solche einen Realakt darstellt,
vgl. Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz NRW, 9. Auflage, § 12 Rdnr. 25,
oder aber um eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Hinblick darauf, dass die Klägerin geltend macht, mit den an den beiden Kontrollstellen durchgeführten
Ausweiskontrollen habe der Beklagte gezielt versucht, die Identität der Teilnehmer der Versammlung ‚Grenzcamp' zu ermitteln. Jedenfalls fehlt es der Klägerin an dem nach beiden Vorschriften erforderlichen berechtigten Interesse an
der von ihr begehrten Feststellung. Dass ein solches Interesse unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr vorläge, ist weder hinreichend substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich. Die von der Klägerin im Jahre 2003 in
Köln angemeldete Versammlung ‚Grenzcamp' hatte zuvor in jeweils verschiedenen anderen Städten stattgefunden, nach dem Jahre 2003 - soweit bekannt - überhaupt nicht mehr. Des Weiteren ist das Vorliegen des erforderlichen
berechtigten Interesses in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe zu bejahen, sofern Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nicht erreichbar ist. Im Bereich des Versammlungsrechts
führt der Sofortvollzug behördlicher Maßnahmen in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Weise. Zudem sind in versammlungsrechtlichen Verfahren die Besonderheiten der
Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse liegt stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt.
Vgl. BVerfG, BVerfGE 110, 77 = DVBl. 2004, 822.
Dies ist hier nicht gegeben: Zwar war die Klägerin Anmelderin und am 09.08.2003 Leiterin der Versammlung ‚Grenzcamp'. Durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen und die dort durchgeführten Ausweiskontrollen wurde
indes in die Durchführung und den Ablauf dieser Versammlung nicht unter Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG eingegriffen. Der Beklagte hat vielmehr ausdrücklich und substantiiert vorgetragen,
dass sich die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 nicht gegen die Versammlung ‚Grenzcamp' richtete bzw. einer Beschränkung oder Behinderung des Zugangs und des Weggangs zu und von dieser Versammlung,
sondern ausschließlich dem Schutz der an diesem Tage ebenfalls stattfindenden rechtsextremen Versammlung ca. 2 km entfernt in Köln-Poll diente, nämlich um bezogen auf diese Versammlung Straftaten nach § 27 VersG zu
verhüten. Hierzu hat der Beklagte auch, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2006 durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen hat, die erforderliche Zustimmung der Bezirksregierung Köln eingeholt. Es war
auch vorgesehen, die beiden Kontrollstellen nach Abschluss der rechten Demonstration um 17.00 Uhr wieder zu entfernen (nachdem ihr Zweck erfüllt war). Es ist weder von der Klägerin substantiiert vorgetragen worden noch
ansonsten erkennbar, dass durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 um 10.30 Uhr Teilnehmern der bereits seit dem 01.08.2003 stattfindenden Versammlung Grenzcamp faktisch der Zugang zum
Grenzcampgelände oder dessen Verlassen in unzumutbarer Weise erschwert worden wäre. Was die Grenzcampteilnehmer anbetrifft, die sich am 09.08.2003 an den Kontrollstellen ausweisen mussten, kann nicht festgestellt werden,
dass es sich bei der vorgenommenen Identitätsfeststellung mittels Anhaltung um eine tiefgreifende Grundrechtseinschränkung handelte. Dass es sich bei dem Vorbringen des Beklagten - wie die Klägerin meint - um eine
Schutzbehauptung handele, die nur vorgeschoben sei, um eine in Wirklichkeit beabsichtigte ‚Disziplinierung' der Campteilnehmer zu verschleiern, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die beiden Sperrstellen in der
‚Alfred-Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hatten sich nicht direkt am Grenzcampgelände, sondern in einiger Entfernung davon befunden, so dass auch andere Personen diese passieren und sich kontrollieren lassen
mussten. Allerdings hatte die Einrichtung der Kontrollstellen für alle Versammlungsteilnehmer auf dem Grenzcampgelände zur Folge, dass sie im Zeitraum deren Bestehenbleibens nicht nach Köln-Poll gelangen konnten, ohne
kontrolliert zu werden. Insoweit ist aber die Einschätzung des Beklagten auf Grund der von ihm gewonnenen Erkenntnisse, an deren Richtigkeit kein Anlass zu zweifeln besteht, nicht zu beanstanden, dass gerade aus dem Kreis der
Grenzcampteilnehmer heraus die Begehung von Straftaten nach § 27 VersG im Zusammenhang mit der rechtsextremen Demonstration in Köln-Poll zu befürchten war.
2. Der Klageantrag zu 2. ist zulässig und begründet.
Betreffend die vom Beklagten verfügte Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' am 09.08.2003 ist die Klage der Klägerin als Versammlungsleiterin an diesem Tage als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung
des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt - wie bereits oben ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die
Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn also die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder - wie vorliegend - die Versammlung aufgelöst worden ist.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die am 09.08.2003 um 18.18 Uhr vom Beklagten ausgesprochene Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' war rechtswidrig.
Nach der seinerzeitigen Fassung des § 15 Abs. 2 VersG (heute: § 15 Abs. 3 VersG) konnte der Beklagte als zuständige Behörde die Versammlung auflösen, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. 1 gegeben waren. Ein
Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG kann ausgesprochen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar
gefährdet ist. Dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen (noch) im Zeitpunkt des Erlasses der Auflösungsverfügung um 18.18 Uhr vorlagen, hat der Beklagte nicht hinreichend dargetan. Zur Begründung seiner - in seinem
Ermessen stehenden - Auflösungsverfügung hat er per Lautsprecherdurchsage den Versammlungsteilnehmern mitgeteilt: ‚Aus ihrer Mitte wurden Straftaten in Form von Steinwürfen und Vermummung begangen und die
Versammlung hat einen gewalttätigen Verlauf genommen.' Die vom Beklagten angeführten gewalttätigen Auseinandersetzungen und die Angriffe von Versammlungsteilnehmern gegen die Polizeikräfte - deren Umfang im Übrigen
zwischen den Beteiligten streitig ist - hatten indes am Mittag des 09.08.2003 stattgefunden. Dies ergibt sich sowohl aus der Dokumentation der Ereignisse im Verwaltungsvorgang des Beklagten als auch aus den Angaben des
zuständigen Einsatzabschnittsleiters des Beklagten, Herrn T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006. Auch aus den beiden vom Beklagten vorgelegten Videokassetten, die Aufzeichnungen vom Kontrollpunkt ‚Am
Schnellert ‚ sowie den Auseinandersetzungen zwischen Campteilnehmern und Polizeikräften im Eingangsbereich des Grenzcamps enthalten, ergibt sich nichts anderes. Aus den Videoaufnahmen ist ersichtlich, dass die am Eingang des
Grenzcamps zusammengekommenen Personen sich handgreifliche Auseinandersetzungen mit den dort eingesetzten Polizeikräften geliefert hatten, mehrere dieser Personen hatten sich mittels vor ihre Gesichter gezogener Halstücher
vermummt. Aus ihren Reihen wurden jedenfalls auch Pet-Flaschen mit Wasser sowie Obst auf die Polizisten geworfen. Ob es darüber hinaus auch zu Steinwürfen gegen die Polizeikette gekommen ist, ist auf den beiden Videobändern
nicht zu erkennen. Jedoch hat der zuständige Einsatzabschnittsleiter des Beklagten, Herr T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt, dass er selbst mitbekommen habe, dass
Steine in seiner Nähe geworfen worden waren. An dieser Darstellung zu zweifeln, sieht die Kammer keinen Anlass. Es muss aber nach den zur Zeit des Erlasses der Auflösungsverfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sein. Zur Annahme einer solchen Gefährdung genügt nicht eine abstrakte Gefahr, die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der
Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein.
Vgl. OVG NRW, NVwZ 1989, 886 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 Rdnr. 127.
Vorliegend ist es zwischen den Beteiligten im Wesentlichen unstreitig, dass es in den letzten Stunden vor der Auflösungsverfügung - im Wesentlichen ab 13.00 Uhr - zu keinen gezielten Aktionen seitens der Demonstranten
gekommen ist. Der letzte Aufruf der Einsatzleitung der Polizei, den Bewurf der Beamten zu unterlassen, ist laut des Einsatzprotokolls um 12.41 Uhr erfolgt. Danach haben mehrstündige Verhandlungen stattgefunden, über deren
Verlauf und evtl. Ergebnisse keine schriftlichen Aufzeichnungen des Beklagten vorliegen. Auch die Angaben der Beteiligten in den beiden mündlichen Verhandlungen haben insoweit keinen hinreichenden Aufschluss erbracht.
Verbleibende Zweifel, insbesondere zur weiteren Entwicklung der Lage am Demonstrationsort, gehen zu Lasten des Beklagten, der die Beweislast dafür trägt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass der
Auflösungsverfügung vorlagen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Auflösung einer Versammlung das letzte, äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren darstellt.
Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 und NVwZ 2004, 90; BVerwG, BVerwGE 64, 55; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rdnr. 145 ff. m.w.N.
Solche Gefahren sind im Verwaltungsvorgang des Beklagten allenfalls dokumentiert bis 12.41 Uhr. Danach wurden die bezeichneten stundenlangen Verhandlungen mit den Versammlungsteilnehmern unter Einschaltung von dritten
Personen als Vermittler geführt, bis dann - nach Angaben der Klägerin für die Versammlungsleitung überraschend - die Auflösung erfolgte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Polizei bei ihrer Gefahrenprognose ein nicht
geringer Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist; es ist jedoch die Annahme, dass noch um 18.18 Uhr ein erhebliches Gefährdungspotential von den Versammlungsteilnehmern ausging, nicht hinreichend belegt. Fest steht jedenfalls,
dass sich die vom Beklagten zur Mittagszeit als eskaliert bezeichnete Lage beruhigt hatte, und zwar bereits über einen mehrstündigen Zeitraum hinweg. Darüber hinaus war im Zeitpunkt der Auflösung die Demonstration der
rechtsextremen Szene auch schon seit über einer Stunde beendet und somit als Reizobjekt für die Grenzcampteilnehmer nicht mehr vorhanden. Der Beklagte hat jedoch ersichtlich die Auflösungsverfügung im Hinblick auf die
Ereignisse in den Mittagsstunden als gerechtfertigt angesehen, die sich im Anschluss an das Vorrücken der Polizeikräfte zum Campeingang an der Südbrücke nach seiner Darstellung abgespielt hatten. Dies reicht indes - ohne
Berücksichtigung und Gewichtung der seit mehreren Stunden beruhigten Situation zwischen den Grenzcampteilnehmern und der Polizei sowie des Endes der rechtsradikalen Demonstration - zur Begründung der um 18.18 Uhr zu
treffenden Gefahrenprognose nicht aus. Hinzu kommt, dass sich von den ca. 700 auf dem Gelände befindlichen Personen schätzungsweise - nach Anschauung des vorgelegten Videomaterials - nur ca. 100 Personen an den
unfriedlichen Aktionen beteiligt hatten. Ebensowenig ist (die vom Beklagten zusätzlich angeführte) Berufung auf in den Vortagen von Gruppen der Versammlungsteilnehmer außerhalb des Grenzcampgeländes begangene Straftaten -
die allerdings in keiner Weise zu bagatellisieren sind - ausreichend zur Rechtfertigung der getroffenen Gefahrenprognose. ..."
***
§ 12a
(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche
Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden
1. für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder
2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr
erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.
Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit iher Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1
Nr. 1 aufgeführten Zweck benötigt.
(3) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen nach Maßgabe der Strafprozeßordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.
Leitsätze/Entscheidungen:
Die Ermächtigung der Polizei zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach § 1 Abs. 3 des Berliner Gesetzes über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen vom
23. April 2013 ist mit der Verfassung von Berlin vereinbar (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 11.04.2014 - 129/13).
*** (BVerwG)
Kritische Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung über einen Soldaten sind von diesem auch dann mit der Beschwerde angreifbar, wenn sie gegenüber Dritten abgegeben und dem Soldaten nur aus Presseveröffentlichungen
bekanntgeworden sind. Der Befehl, friedliche Teilnehmer einer Mahnwache außerhalb des Kasernengeländes zur Gefahrenabwehr und zur Dokumentation möglicher Straftaten zu fotografieren, ist rechtswidrig. Der militärische
Vorgesetzte hat aufgrund seiner Fürsorgepflicht ehrverletzende Vergleiche mit ‚Stasi-Methoden' auch dann zurückzuweisen, wenn der dem Vergleich zugrundeliegende Befehl des Soldaten rechtswidrig war (BVerwG, Urteil
18.11.1997, 1 WB 46/97, BVerwGE 113, 158 - 166).
*** (OVG)
Zur Videobeobachtung einer Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern (OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010 - 5 A 2288/09 zu Art 8 I, 2 I, 1 I 1 GG, §§ 12a, 19a VersammlG):
„... Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni
2008 in N. zum Thema: ‚Urantransporte stoppen' rechtswidrig war. Es ist zutreffend davon ausgegangen, das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer und das Übertragen der Bilder auf einen
Monitor habe den Kläger in seinem Versammlungsgrundrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.
Auch wenn die Bilder lediglich in Echtzeit übertragen und nicht gespeichert worden sind und dies dem Versammlungsleiter mitgeteilt worden ist, war die aufnahmebereite Kamera über die gesamte Dauer der Veranstaltung von einem
ausgefahrenen Kameraarm eines unmittelbar vorausfahrenden Beweissicherungsfahrzeugs der Polizei auf die nur etwa 40 bis 70 Versammlungsteilnehmer gerichtet. Bei dieser Ausgangslage ist die Annahme des Verwaltungsgerichts
nicht zu beanstanden, die Videobeobachtung habe die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle überschritten und die innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer beeinträchtigt. Bürger hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung
von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden können. Durch die Kameraübertragung war auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner
Versammlungsteilnehmer auf einem Monitor im Fahrzeuginnenraum möglich. Zudem war bei der aufnahmebereiten Kamera aus Sicht eines (verständigen) Versammlungsteilnehmers zu befürchten, die Aufnahme könne beabsichtigt
oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden.
Unter diesen Gesichtspunkten war der konkrete Einsatz der Kameraübertragung geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und
Einschüchterungseffekten zu erzeugen. So unterschied sich der Einsatz signifikant sowohl von bloßen Übersichtsaufnahmen, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür
erforderlich sind, als auch von einer reinen Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte. Anders als solche Maßnahmen ohne Eingriffsqualität wäre der in Rede stehende Kameraeinsatz mit Blick auf den grundrechtlich
geschützten staatsfreien Charakter von Versammlungen allenfalls auf der Grundlage einer auf das notwendige Maß beschränkten gesetzlichen Ermächtigung zulässig gewesen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 349; so ist wohl auch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 f. zu verstehen; siehe ferner
Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 12 a Rn. 14, und Söllner, Anmerkung zum Urteil des VG Berlin vom 5. Juli 2010 - 1 K 905.09 -, DVBl. 2010, 1248, 1249 f.
Einer gesetzlichen Ermächtigung hätte es ferner deshalb bedurft, weil die Videobeobachtung der Versammlung zugleich in das Recht der Teilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG. i. V. m. Art. 1 Abs. 1
GG eingriff. Diesbezüglich war die Eingriffsschwelle unabhängig von einer Speicherung der Bilder überschritten, weil die die Versammlung begleitende Beobachtung eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern
ermöglichte, von großer Streubreite war und der Beklagte mit ihr zudem eine gewisse Beeinflussung der inneren Versammlungsfreiheit beabsichtigt hatte. Hiervon waren zahlreiche Personen betroffen, die in keiner Beziehung zu
einem konkreten Fehlverhalten standen.
Vgl. zu diesen Kriterien für einen Eingriff BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05, 1254/07 -, BVerfGE 120, 378, 397 ff., 402 f. sowie Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497, 501; siehe
ferner BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16 f.; OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, OVGE 52, 122 = juris, Rn. 39 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -,
NVwZ 2004, 498, 500.
Für die allein an den Grundrechten auszurichtende Bewertung der Eingriffsqualität ist es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, welche Gründe dafür maßgeblich waren, dass der Gesetzgeber mit Geltung für
Nordrhein-Westfalen (anders z. B. in Bayern nach Art. 9 BayVersG) neben den §§ 19 a, 12 a VersG keine weiteren Ermächtigungen mit niedrigeren Eingriffsvoraussetzungen geschaffen hat. Entscheidend ist nur, dass die
Voraussetzungen dieser als Ermächtigungsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschriften nicht vorlagen. Hiernach wären Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern nur zulässig gewesen, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt hätten, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese qualifizierten Voraussetzungen waren aus den vom Verwaltungsgericht im
angegriffenen Urteil zutreffend genannten Gründen (S. 8, dritter Absatz bis S. 10, erster Absatz) nicht gegeben. Hierfür genügte entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere nicht, dass nach Erfahrungen von früheren
Urantransporten Restrisiken und Störungen des Transports am 4. Juni 2008 nicht von vornherein mit Sicherheit auszuschließen waren. Auch wenn sich die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose des Beklagten nach der maßgeblichen
ex-ante-Sicht der eingesetzten Beamten richtet, ergibt sich daraus kein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum, der allein auf Grund der Unberechenbarkeit von Versammlungsverläufen eine andere Einschätzung
rechtfertigen könnte.
Vgl. zu den ähnlichen Anforderungen an beschränkende Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672.
Der in Rede stehende Kameraeinsatz stellt sich auch nicht gegenüber zulässigen Maßnahmen nach §§ 19 a, 12 a VersG als reine Vorbereitungshandlung dar. Insbesondere greift der Einwand des Beklagten nicht durch, das
Aufzeichnungssystem habe lediglich in einen jederzeit arbeitsfähigen Zustand versetzt werden sollen. Zum einen sind Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf die Ermächtigung in §§ 19 a, 12 a VersG erst dann veranlasst, wenn
einzelne Versammlungsteilnehmer ein Verhalten erkennen lassen, das den Eintritt erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung konkret erwarten lässt. Hierzu ist es unstrittig im gesamten Versammlungsverlauf
nicht gekommen. Zum anderen hätte sich der Eingriff in Grundrechte von Versammlungsteilnehmern ohne wesentliche Einschränkung des polizeilichen Vorsorgekonzepts vermeiden lassen, indem eine im Stand-by-Modus geschaltete
Kamera erkennbar von der Versammlung abgewendet worden wäre. Bereits hierdurch wären die eingesetzten Beamten innerhalb weniger Sekunden in der Lage gewesen, etwaige von ihnen wahrgenommene Gefahrenlagen im Bild
einzufangen, ohne dass hierfür anlasslos durchgehend Bilder der Versammlung auf einen Monitor hätten übertragen werden müssen. Um einen Grundrechtseingriff zu vermeiden, hätte der Beklagte insbesondere nicht auf veraltete
Systeme zurückgreifen oder den Kamerawagen im Bedarfsfall erst herbeiholen müssen.
Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob schon eine reine Videobeobachtung unmittelbar am Ort des Geschehens - ohne Aufzeichnung und ohne Weiterleitung an eine Zentralstelle - bei einer Versammlung unter Anwesenheit bzw. Begleitung von Polizeivollzugsbeamten
einen Grundrechtseingriff begründen kann,
lässt sich bereits ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts im bejahenden Sinne beantworten. Danach ist jeweils durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls
zu ermitteln, ob eine Videobeobachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zur Folge hat. Dabei ist maßgeblich auch zu berücksichtigen, ob die Videobeobachtung in ihrer konkreten Ausgestaltung
geeignet ist, einzelne Bürger von der rechtmäßigen Ausübung ihrer Grundrechte wie z. B. der Versammlungsfreiheit abzuhalten, weil sie nicht übersehen können, ob ihnen daraus Risiken entstehen können.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, 43. ..."
***
Polizeiliche Maßnahmen gegen die Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung können grundsätzlich nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96):
„... Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zum einen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994, soweit ihre Anordnung den Einsatz in der Gaststätte ‚... ...' in Stuttgart-Weilimdorf
betrifft, und zum anderen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes des Beklagten vom 5.11.1994 von Beginn der Veranstaltung bis zur Festnahme des Klägers, einschließlich der bis zu dieser Zeit gefertigten
Videoaufnahmen. Nicht vom Klage- und Berufungsverfahren erfaßt ist hingegen die formelle Auflösung der Versammlung, nachdem diese einen gewalttätigen Verlauf genommen hatte. Der Kläger hat insoweit seine erstinstanzlichen
Klageanträge im Berufungsverfahren konkretisiert und präzisiert, ohne daß eine Klageänderung vorliegt. Aber selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung von einer Klageänderung ausgegangen werden müßte, so wäre diese
zulässig, da die übrigen Beteiligten sich rügelos hierauf eingelassen haben (§ 91 VwGO).
Die vom Kläger beantragten Feststellungsbegehren sind zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994 und des Polizeieinsatzes des Beklagten vom 5.11.1994 gerichteten Klagen sind, nachdem sich die angegriffenen Verwaltungsakte
bereits zuvor durch Zeitablauf erledigt hatten, in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklagen statthaft (1.1). Soweit der Kläger die bis zu seiner Festnahme gefertigten
Videoaufnahmen beanstandet, ist die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO die statthafte Klageart. Das Filmen der Teilnehmer einer Versammlung stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 35
LVwVfG dar, sondern einen Realakt, der, wenn er sich wie hier erledigt hat, Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (1.2).
1.1 Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (BVerwGE 26, 161 (166)). Die Fortsetzungsfeststellungsklagen sind auch nicht verfristet; der Kläger hat am 6.2.1995 innerhalb der offenen Jahresfrist des § 58 VwGO (vgl. dazu Senatsurt. v.
15.10.1997 - 1 S 2555/96) rechtzeitig Klage erhoben.
Dem Kläger fehlt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch im Hinblick auf die angegriffene Allgemeinverfügung nicht die erforderliche Klagebefugnis. Nach den Vorstellungen der Beklagten sollte auch er Adressat der
Allgemeinverfügung sein; ihm - ebenso wie den anderen Versammlungsteilnehmern - gegenüber sollte sie anläßlich des Polizeieinsatzes des Beklagten am 5.11.1994 vollstreckt werden.
Der Kläger hat hinsichtlich beider Klageanträge ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.
Im Hinblick auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung vom 4.11.1994 ergibt sich das berechtigte Interesse aus der Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat dargelegt, daß er auch in Zukunft im Raum Stuttgart an
ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen möchte. Es besteht auch nach Auffassung des Senats die hinreichend bestimmte Gefahr, daß die Beklagte aufgrund vorliegender Erfahrungsberichte von anderen Polizeidienststellen bei
Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppen erneut Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen durch Allgemeinverfügung anordnen wird, um der Begehung von Straftaten, insbesondere der Verbreitung von Propagandamaterial
verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) vorzubeugen.
Soweit das Feststellungsbegehren des Klägers den Polizeieinsatz des Beklagten am 5.11.1994 zum Gegenstand hat, hat er ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse. Das Interesse an einer Rehabilitierung ist nach einer erledigten
polizeirechtlichen Maßnahme dann als berechtigt anzuerkennen, wenn mit ihr ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verbunden und sie geeignet war, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit
herabzusetzen (vgl. Senatsurt. v. 5.2.1986 - 1 S 2073/85 -, VBlBW 1986, 308). Es muß im Einzelfall ein berechtigtes Schutzbedürfnis gegenüber abträglichen Nachwirkungen eines Verwaltungshandelns vorhanden sein, denen durch
eine gerichtliche Sachentscheidung wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerwGE 61, 164 (166)). Wegen des Grundrechtsbezugs der einzelnen polizeilichen Maßnahmen (Verletzung des Persönlichkeitsrechts, Art. 2 GG, und
Verletzung der Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG) hat der Kläger ein berechtigtes Schutzbedürfnis gegen die ihm anhaftenden Nachwirkungen der polizeilichen Maßnahme vom 5.11.1994. Vor dem Hintergrund des
verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG müssen die behaupteten Grundrechtsverletzungen auch nach Erledigung der Maßnahmen gerichtlich überprüfbar bleiben (vgl. BVerwGE
61, 164ff.).
1.2 Soweit sich der Kläger mit der allgemeinen Feststellungsklage gegen die Fertigung von Videoaufnahmen durch die Polizei wendet, liegen die rechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 43 Abs.
1 VwGO vor. Ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis ergibt sich daraus, daß er im geltend gemachten Zeitraum von den Videoaufnahmen erfaßt wurde. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen,
daß es sich nicht um ein noch bestehendes, sondern um ein in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis handelt. Es ist anerkannt, daß auch vergangene Rechtsverhältnisse einer Feststellungsklage zugänglich sein können, wenn
hierfür ein berechtigtes Interesse besteht (vgl. zuletzt Senatsurt. v. 15.10.1997 - 1 S 2555/96). Davon ist hier auszugehen, da das Filmen von Versammlungsteilnehmern ohne deren Einwilligung einen Eingriff in die
Versammlungsfreiheit, aber auch in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG) bedeuten kann (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl., § 12a
RdNr. 2).
2. Die Feststellungsbegehren des Klägers sind auch begründet; denn sowohl die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994 (2.1) als auch der Polizeieinsatz des Beklagten vom 5.11.1994 von Beginn der Veranstaltung bis zur
Festnahme des Klägers (2.2) sowie die in dieser Zeit gefertigten Videoaufnahmen (2.3) waren rechtswidrig.
2.1 Die Allgemeinverfügung vom 4.11.1994, mit der die Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Feststellung der Identität aller Personen, die am 5.11.1994 bei Polizeikontrollen an einem Versammlungsort der
rechtsextremistischen neonazistischen Szene in ‚Stuttgart-Nord' angetroffen werden, sowie die Durchsuchung dieser Personen und der von ihnen mitgeführten Sachen angeordnet hat, ist bereits wegen fehlender Bestimmtheit
rechtswidrig gewesen. Die Verfügung läßt nicht erkennen, daß mit dem Begriff ‚Stuttgart-Nord' der - geographisch gesehen - gesamte nördliche Stuttgarter Raum, zu dem nach Darlegung der Beklagten auch Stuttgart-Weilimdorf
zählen soll, erfaßt werden sollte. Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG) ist nur gewahrt, wenn aus der getroffenen Regelung und sonstigen für die Betroffenen bekannten oder ohne weiteres
erkennbaren Umständen klar und eindeutig ist, welche Anordnungen sie zu befolgen oder zu dulden haben: Auch für die mit dem Vollzug betrauten Behörden muß klar erkennbar sein, mit welchem Regelungsinhalt sie die Anordnung
etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde zu legen haben. Dazu gehört auch die Klarheit, welcher räumliche Bereich von den polizeilichen Maßnahmen erfaßt werden sollte. Da es in Stuttgart, wie die Beklagte in der mündlichen
Verhandlung bestätigt hat, einen eigenen Stadtteil ‚Stuttgart-Nord' gibt, durfte nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont die hier streitige Allgemeinverfügung so verstanden werden, daß sie sich nur auf Personen erstreckte,
die am 5.11.1994 bei Polizeikontrollen an einem Versammlungsort der rechtsextremistischen neonazistischen Szene in diesem Stadtteil, zu dem der Teilort Weilimdorf nicht gehört, angetroffen wurden. Die unpräzise Umschreibung
des Bereichs, der nach den Vorstellungen der Beklagten von der Verfügung erfaßt sein sollte, geht zu Lasten der Behörde, so daß die gegen die beklagte Stadt gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage bereits aus diesem Grunde Erfolg
hat.
2.2 Auch die gegen den Beklagten gerichtete Klage ist begründet. Die ‚Razzia' in der Gaststätte ‚... ...' konnte - auch über § 60 Abs. 3 PolG - nicht auf Ermächtigungsgrundlagen des Polizeigesetzes gestützt werden, weil die
Versammlung, in deren Rahmen eingeschritten wurde, unter dem besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG stand und deshalb ein Polizeieinsatz grundsätzlich nur unter den engen Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes erfolgen
konnte.
Nach der herkömmlichen Definition handelt es sich bei Razzien um Sammelkontrollen, die durch planmäßig vorbereitete überraschende Absperrung einer bestimmten Örtlichkeit ermöglicht werden und darauf abzielen, die Identität
eines größeren Personenkreises zu überprüfen. An die Identitätsfeststellung können sich Folgemaßnahmen, wie die Durchsuchung der aufgegriffenen Personen sowie der von ihnen mitgeführten Sachen anschließen (vgl. dazu auch
Zeitler, VBlBW 1992, 328ff. sowie Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 4. Aufl., 1995, § 26 RdNr. 15). Die Razzia kann sowohl der Strafverfolgung als auch präventiv-polizeilichen Zwecken dienen. Dient sie - wie
hier - präventiv-polizeilichen Zwecken, so ergibt sich im Hinblick auf die Bestimmung der erforderlichen Rechtsgrundlage folgendes:
Die Razzia als solche ist im Polizeigesetz für Baden-Württemberg nicht geregelt. Eingriffsgrundlagen finden sich im Polizeigesetz jedoch für Einzelmaßnahmen als Bestandteil einer Razzia, nämlich unter anderem in § 26 Abs. 1 Nrn.
2 und 3 PolG für die Personenfeststellung, in § 26 Abs. 2 PolG für das Anhalten und Festhalten des Betroffenen, in § 29 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PolG für die Durchsuchung von Personen und in § 30 Nrn. 4 und 5 PolG für die
Durchsuchung von Sachen. Diese polizeilichen Maßnahmen kann der Polizeivollzugsdienst, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, grundsätzlich auch in eigener Zuständigkeit ergreifen (§ 60 Abs. 3 PolG) und unter den in diesen
Vorschriften genannten Voraussetzungen schon im Vorfeld einer Veranstaltung durchführen, um der Begehung von Straftaten, insbesondere dem Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen vorzubeugen.
Dies konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht auf der Grundlage des baden-württembergischen Polizeigesetzes geschehen, da die Veranstaltung, an welcher der Kläger zum Zeitpunkt der Anordnung und Durchführung der
polizeilichen Maßnahmen teilnahm, eine Versammlung im Sinne des § 1 VersammlG war, die bis dahin weder verboten (vgl. § 5 VersammlG) noch aufgelöst worden war (§ 13 VersammlG), und damit unter dem besonderen Schutz
des Art. 8 Abs. 1 GG stehend nur unter den Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes der Gegenstand von polizeilichen Maßnahmen sein durfte (vgl. dazu auch Wolf/Stephan, a.a.O., § 26 RdNr. 15).
Der Kläger war, was die Beklagten nicht in Abrede stellen, Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung in geschlossenen Räumen. Der Versammlungsbegriff ist im Versammlungsgesetz nicht definiert. Es besteht aber Einigkeit in
Literatur und Rechtsprechung darüber, daß eine öffentliche Versammlung eine Zusammenkunft einer zahlenmäßig nicht bestimmten Mehrheit von Menschen an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen Zweck ist, bei der
öffentliche Angelegenheiten gemeinsam erörtert, beraten und kundgegeben werden (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.1994 - 1 S 1397/94 -, VBlBW 1995, 14). Diese Voraussetzungen treffen auf die Veranstaltung, an der der Kläger am
5.11.1994 teilgenommen hat, zu.
Der Teilnehmerkreis der Veranstaltung war von vornherein weder nach bestimmten Kriterien festgelegt noch nach solchen Gesichtspunkten begrenzt worden. Die Zusammenkunft war vielmehr öffentlich. Wesentliche Voraussetzung
hierfür ist, daß jeder, der von einer solchen Zusammenkunft Kenntnis erhält, die Möglichkeit hat, an dieser teilzunehmen. Dies war hier der Fall. Nachdem Art, Zeit und Ort der Veranstaltung über Telefonaktionen angekündigt worden
waren, ohne daß dabei durch gezielte Einladungen der Teilnehmerkreis beschränkt worden wäre, hatte der Veranstalter es nicht in der Hand, zu bestimmen, wer von der Veranstaltung in Weilimdorf erfuhr und an ihr teilnahm. Auch
hatten die Teilnehmer keine besonderen Integrationsmerkmale, die sie nach außen zu einem geschlossenen Kreis hätten werden lassen. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Teilnehmer einzeln eingeladen
worden wären, und daß nur bestimmte Personen Zugang zu der Veranstaltung erhalten sollten. Das Merkmal der Öffentlichkeit entfällt auch nicht deshalb, weil Eintrittskarten ausgegeben und Eintrittsgelder erhoben worden sind (vgl.
Ketteler, DÖV 1990, 954).
Gegen das Vorliegen einer Versammlung spricht schließlich nicht, daß der Liedermacher ... ... vor den Teilnehmern singen sollte. Zwar stellen reine Unterhaltungsveranstaltungen in aller Regel keine Versammlungen im Sinne des
Versammlungsgesetzes dar. Im vorliegenden Fall muß jedoch davon ausgegangen werden, daß die politischen Lieder des Liedermachers in eine öffentliche Veranstaltung eingebunden waren, die dem verbindenden Zweck diente, in
einer öffentlichen Angelegenheit Stellung zu beziehen (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.1994, a.a.O.). Für den politischen Bezug spricht ferner, daß am Veranstaltungsort der Bundesvorsitzende der inzwischen verbotenen ‚Freiheitlichen
Arbeiterpartei Deutschlands', ... ..., sowie ... ... angetroffen wurden, Personen also, bei deren Überprüfung am Stuttgarter Hauptbahnhof 15 Nachdrucke des Buches ‚Mein Kampf' von Adolf Hitler beschlagnahmt worden waren, die
offensichtlich zum Vertrieb anläßlich der Veranstaltung vorgesehen waren. Außerdem waren bei der Durchsuchung des Pkws des Liedermachers ... ... ca. 200 Tonträger mit rechtsextremistischen Titeln und verschiedene Bücher und
Broschüren sichergestellt worden, die ebenfalls darauf schließen lassen, daß die Teilnehmer zu einer öffentlichen Veranstaltung zusammengekommen waren, in der es zumindest auch um die Erörterung von politischen
Angelegenheiten ging.
Unerheblich für die Qualifizierung als Versammlung ist, ob die Veranstaltung, zu der die Teilnehmer in der Gaststätte zusammengekommen waren, schon begonnen hatte, als die Polizei mit den umstrittenen Maßnahmen einschritt.
Zwar erfaßt das Regelungswerk des Versammlungsgesetzes eine Zusammenkunft nicht schon quasi vor der ‚Haustür', sondern erst, wenn sie zugleich der im Versammlungsgesetz vorgesehenen Ordnungsgewalt eines
Versammlungsleiters unterliegt (vgl. dazu auch BVerwG, DÖV 1989, 1038 sowie Wolf/Stephan, a.a.O., § 4 RdNr. 38). Gerade das war aber beim Beginn des umstrittenen polizeilichen Einsatzes in der Gaststätte ‚... ...' der Fall.
War damit die Veranstaltung bereits eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, so konnten die nach deren Beginn im Versammlungsraum eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen nicht auf das Polizeigesetz,
sondern allein auf das Versammlungsgesetz gestützt werden, das mit spezialgesetzlichen Ermächtigungen für ein solches Einschreiten Vorrang vor dem allgemeinen Polizeirecht hat. Bei versammlungsspezifischen Gefahren, die im
Zusammenhang mit erlaubten Versammlungen in geschlossenen Räumen entstehen, sind die Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten und dessen Umfang in § 13 VersammlG speziell und abschließend geregelt (ebenso OVG
Bremen, Urt. v. 4.11.1986, NVwZ 1987, 235; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl., § 13 RdNr. 3). Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von
Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben; sofern mit solchen Maßnahmen (mittelbar)
Einschränkungen des Versammlungsrechts verbunden sind, dürfen sie allenfalls eine zwangsläufige Nebenfolge, nie jedoch (auch nur teilweise) ihr eigentlicher Zweck sein (vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 RdNr. 4).
Die umstrittene Razzia hatte unmittelbar die Versammlung zum Gegenstand, die zu diesem Zeitpunkt weder nach § 5 VersammlG verboten noch nach § 13 VersammlG aufgelöst war, also unter dem Schutz der verfassungsrechtlich
(Art. 8 Abs. 1 GG) garantierten Versammlungsfreiheit stand. Sie sollte, wovon die Beklagten nach ihren Ausführungen selbst ausgegangen sind, Straftaten im Sinne der §§ 86, 86a, 90a und 130 StGB verhindern, die im Rahmen der
Veranstaltung befürchtet wurden, und galt damit der Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren.
Entgegen der Ansicht des Beklagten finden die während der Razzia angeordneten und durchgeführten Maßnahmen aber auch im Versammlungsgesetz, vor allem in dem einschlägigen § 13 dieses Gesetzes keine rechtliche Grundlage.
§ 13 VersammlG ermächtigt die Polizei in Absatz 1 Satz 2 zu Eingriffsmaßnahmen, die sich gegenüber der in Satz 1 vorgesehenen und an bestimmte Voraussetzungen (Nr. 1 bis 4) gebundenen Auflösung als ein zur Abwehr konkreter
Gefahren ebenso geeignetes, aber weniger einschneidendes Mittel darstellen. Die Unterbrechung der Versammlung ist in § 13 Abs. 1 Satz 2 VersammlG nur als eines der möglichen Mittel ausdrücklich genannt; auch andere Formen
des polizeilichen Einschreitens, die sich zur Abwehr der Gefahren eignen, sind damit grundsätzlich möglich. Alle anstelle einer Auflösung getroffenen Maßnahmen sind jedoch an den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis 4
VersammlG zu messen. Keine dieser Voraussetzung lag bei dem hier umstrittenen Vorgehen des Polizeivollzugsdienstes vor.
Daß das Vorgehen Personen gegolten hätte, die Waffen oder sonstige gefährliche Gegenstände (§ 2 Abs. 3 VersammlG) mit sich führten (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VersammlG), wird vom Beklagten nicht geltend gemacht. Ebensowenig
diente der Einsatz bei seinem Beginn und mit den hier umstrittenen Maßnahmen der Abwehr eines gewalttätigen oder aufrührerischen Verlaufs der Versammlung oder von Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Teilnehmer
(§ 13 Abs. 1 Nr. 2 VersammlG). Das ist unstreitig und bedarf deshalb keiner weiteren Ausführungen.
Aber auch § 13 Abs. 1 N. 4 VersammlG trägt den Einsatz rechtlich nicht. Verstöße gegen die Strafgesetze rechtfertigen ein Vorgehen nach der ersten Alternative dieser Vorschrift innerhalb der Versammlung nur, wenn sie ‚durch
deren Verlauf' begangen worden sind. Strafbare Handlungen, die bei Gelegenheit der Versammlung begangen oder befürchtet werden, kommen als Grund für ein auf diese Vorschrift gestütztes Einschreiten nach ihrem eindeutigen
Wortlaut nicht in Betracht. Ein strafrechtlicher Verstoß im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative VersammlG lag jedoch nicht vor, als der Polizeivollzugsdienst die hier umstrittenen Maßnahmen anordnete und durchführte.
Gleiches gilt für die Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 4 2. Alternative VersammlG. Nach ihr reicht es aus, wenn in der Versammlung zu versammlungsbedingten Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter
dies nicht unverzüglich unterbindet. Es ist weder vom Beklagten geltend gemacht worden noch aus anderen Anhaltspunkten ersichtlich, daß einzelne Versammlungsteilnehmer in dem Zeitpunkt, als die Razzia begann, also vor dem
Beginn der Veranstaltung zu Straftaten, etwa dem befürchteten Verbreiten verbotener Schriften und Tonträger während der Versammlung aufgefordert oder angereizt hätten (vgl. zu den Begriffen Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13
RdNr. 29).
Für eine erweiternde Auslegung der Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 4 VersammlG bietet schon der Wortlaut der dort getroffenen Regelungen keine Möglichkeit. Sie verbietet sich aber auch vor dem Hintergrund des Art.
8 Abs. 1 GG. Im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten, durch einen Gesetzesvorbehalt nicht eingeschränkten Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen stellen sich die gesetzlichen Eingriffsermächtigungen des § 13
VersammlG als verfassungsimmanente Schranken der grundrechtlichen Gewährleistung dar; schon deshalb sind sie einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (vgl. zu den Grenzen für die gesetzliche Einschränkung der
Versammlungsfreiheit auch BVerfGE 69, 315ff.).
Der Senat sieht sich, um Mißverständnissen zu begegnen, zu dem Hinweis veranlaßt, daß ein polizeiliches Vorgehen gegen einzelne Teilnehmer der Veranstaltung, wie es hier aufgrund der Allgemeinverfügung der Beklagten
vorgesehen war, nicht schlechthin ausgeschlossen war. Rechtlich gehindert war der Polizeivollzugsdienst nur, die angeordneten Maßnahmen in den Räumen durchzuführen, in denen die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des
Versammlungsgesetzes den besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG genoß. Außerhalb der Versammlung, wo dieser Schutz nicht besteht, wären sie unter den Voraussetzungen der oben genannten Vorschriften des Polizeigesetzes
wohl möglich gewesen. Der Senat hat allerdings in diesem Verfahren, in dem es allein um die Rechtmäßigkeit der Razzia innerhalb des Versammlungsraums ging, nicht darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen des
Polizeigesetzes für Personenfeststellungen sowie für die Durchsuchung von Personen und Sachen außerhalb des Versammlungsraums vorlagen.
2.3 Die Klage hat auch Erfolg, soweit mit ihr die Feststellung begehrt wird, daß die Anfertigung von Videoaufnahmen zur Dokumentation der polizeilichen Razzia und zur Identifikation der Versammlungsteilnehmer bis zur
Festnahme des Klägers rechtswidrig gewesen ist. Die Bild- und Tonaufnahmen teilen das Schicksal der Maßnahmen, die sie dokumentieren; sie sind ebensowenig wie diese durch eine spezielle Ermächtigung des
Versammlungsgesetzes gedeckt.
Etwas anderes läßt sich auch aus § 12a VersammlG nicht herleiten. Bild- und Tonaufnahmen dürfen von der Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur gemacht werden, wenn auch die Voraussetzungen
für ein Einschreiten nach § 13 VersammlG vorliegen. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 12a VersammlG, jedoch aus einer verfassungskonformen Reduktion der Vorschrift, die für eine am Grundrecht der
Versammlungsfreiheit orientierten Anwendung dessen geboten ist, wozu sie ermächtigt. Ohne diese Einschränkung würde § 12a VersammlG der Polizei Bild- und Tonaufnahmen auch in oder im Zusammenhang mit öffentlichen
Versammlungen erlauben, die ordnungsgemäß verlaufen und damit keinerlei Anlaß zu einem polizeilichen Einschreiten geben. Eine so weit gehende Ermächtigung wäre mit dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, den solche
Versammlungen uneingeschränkt genießen, nicht zu vereinbaren (vgl. dazu auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 12a RdNr. 7). Da während des hier umstrittenen Zeitraums, der sich vom Beginn der Versammlung bis zur Festnahme
des Klägers erstreckt, ein Auflösungsgrund im Sinne des § 13 VersammlG nicht vorlag, waren auch die umstrittenen Videoaufnahmen nicht zulässig. ..."
*** (VG)
Ein Versammlungsteilnehmer, der selbst nicht unmittelbarer Adressat einer versammlungsbehördlichen Maßnahme ist, ist jedenfalls dann klagebefugt, wenn durch die versammlungsbehördliche Maßnahme die Fortsetzung der
Versammlung unterbunden wird. Ob eine Versammlung vorliegt, richtet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten, nicht nach der (ex ante ) Einschätzung der Versammlungsbehörde (VG Lüneburg, Urteil vom 30.07.2014 - 5 A 87/13):
„... Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit von polizeilichen Maßnahmen im Vorfeld des Castor-Transportes.
Am 29. Oktober 2011 - dem sogenannten Castorstrecken-Aktionstag etwa einen Monat vor dem Castor-Transport im Jahr 2011 - traf sich die Klägerin gegen 14:00 Uhr mit mindestens sechs weiteren Personen in einem Waldstück im
‚Tiergarten' in Lüneburg an der Bahnlinie Lüneburg-Dannenberg in der Nähe eines Bahnübergangs. Die Gruppe hielt sich zunächst bei einer Bank etwa acht Meter entfernt von dem Bahnübergang auf, packte mitgeführte Gegenstände,
insbesondere Kletterausrüstungen, aus und nahm sodann mitgebrachte Nahrungsmittel zu sich. Hierbei wurde die Gruppe aus einer Entfernung von etwa zwanzig Metern von mehreren Polizeibeamten beobachtet und von einem der
Beamten auch gefilmt. Einer der Polizeibeamten näherte sich der Gruppe einmal bis auf etwa zwei Meter, sprach diese jedoch nicht an.
Bereits am Vormittag desselben Tages hatte auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg eine Demonstration gegen den Castor-Transport stattgefunden. Am Rande dieser Demonstration hatte die Klägerin gemeinsam mit weiteren
Personen, die nunmehr ebenfalls zumindest zum Teil an dem genannten Treffen in dem Waldstück teilnahmen, Dächer auf dem Bahnhofsgelände erklettert und dort Transparente gegen den Castor-Transport entrollt. Obwohl diese
Aktivitäten der Klägerin und ihrer Begleiter nicht Teil der auf dem Bahnhofsvorplatz stattfindenden Demonstration und auch nicht gesondert als Demonstration angemeldet gewesen waren, war die Beklagte davon ausgegangen, dass
eine Gefahrenlage nicht bestehe und hatte aus diesem Grunde nicht eingegriffen.
Etwa 30 bis 45 Minuten nach dem Beginn des Treffens in dem Waldstück begab sich die Gruppe auf die andere Seite der Gleise und dort zu einer etwa zwölf Meter von der Schienentrasse entfernten Eiche. Nach weiteren 10 bis 15
Minuten hatten die meisten Teilnehmer des Treffens Kletterausrüstungen angelegt, die Klägerin begann bereits, den Baum zu besteigen. Als die Klägerin sich schon in einiger Höhe befand - vom Erdboden aus außer Reichweite -,
traten die Polizeibeamten, die das Geschehen bisher nur beobachtet hatten, an die an der Eiche stehende Gruppe heran. Dabei wurden Videoaufzeichnungen von der Gruppe angefertigt. Die Gruppenmitglieder wurden aufgefordert, ihre
Personalien anzugeben und die Kletterausrüstungen herauszugeben. Die Kletterausrüstungen seien sichergestellt. Die Identitätsfeststellung sowie die Sicherstellung führten zu hitzigen Diskussionen und Wortwechseln zwischen der
Gruppe und den Polizeibeamten. Einem der Gruppenmitglieder wurde ein Platzverweis erteilt. Die noch immer in etwa fünf Metern Höhe auf dem Baum befindliche Klägerin merkte den Polizeibeamten gegenüber an, ihre Sicherheit
werde durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter gefährdet. Ihr könne niemand mehr zur Hilfe kommen.
Nach Abstimmung mit ihrer Einsatzleitung ignorierten die vor Ort anwesenden Polizeibeamten die noch immer auf dem Baum befindliche und den Beamten bekannte Klägerin. Die Klägerin verblieb noch eine Weile auf dem Baum,
hängte dort ein gelbes ‚X' aus Holz - das Zeichen des Widerstandes gegen die Castor-Transporte - auf und kletterte gegen 17:00 Uhr sodann wieder zu Boden. Die Polizeibeamten hatten die Örtlichkeiten zu diesem Zeitpunkt seit etwa
einer halben Stunde wieder verlassen. Die durch die Beklagte angefertigten Videoaufnahmen wurden im Weiteren wieder gelöscht.
Die Klägerin hat am 14. November 2011 Klage erhoben.
Sie behauptet, zu Beginn des Treffens seien neben den Kletterausrüstungen auch gelbe ‚Xe' aus Holz sowie Plakate ausgepackt worden. Diese seien für Passanten und auch die Polizeibeamten ohne Weiteres sichtbar gewesen. Das
Besteigen des Baumes durch die Gruppe habe nicht nur eine reine Kletterübung sein, sondern auch dem Abhalten einer Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG dienen sollen. Dies sei auch aus den Gesprächen innerhalb der Gruppe
hervorgegangen, die in normaler und damit für die Polizeibeamten hörbarer Lautstärke geführt worden seien. Überdies habe sie die Polizeibeamten aus dem Baum heraus während der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer
Begleiter wiederholt darauf hingewiesen, dass die Durchführung einer Versammlung auf dem Baum beabsichtigt gewesen sei und diese nun durch die Beamten verhindert würde. Weiter behauptet sie, durch die Sicherstellung der
Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sei ihre Sicherheit gefährdet worden. Wäre sie auf dem Baum in Not geraten, hätte ihr niemand zügig zu Hilfe kommen können.
Die Klägerin meint, ihr Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG sei durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter verletzt worden. Gleiches gelte im Hinblick auf die Identitätsfeststellungen bei den übrigen Gruppenmitgliedern.
Ferner sei auch das Filmen der Gruppe nicht zulässig gewesen. Die Gruppe habe sich friedlich verhalten und es sei nicht anzunehmen gewesen, dass von ihr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe.
Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die polizeilichen Maßnahmen gegen die Versammlung, an der die Klägerin teilnahm, am 29. Oktober 2011 durch die Landes- und Bundespolizei von ca. 14:00 bis ca. 17:00 Uhr rechtswidrig
waren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, gelbe ‚Xe' oder Plakate seien von der Gruppe nicht in nach außen sichtbarer Weise mitgeführt worden. Die Gruppe habe auch sonst nicht den Eindruck vermittelt, als würde sie eine Versammlung abhalten oder abhalten
wollen. Die Teilnehmer des Treffens seien sogar ausdrücklich nach dem Vorliegen einer Versammlung gefragt worden und hätten dieses verneint.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig: Da eine Versammlung nicht vorgelegen habe, seien Rechte der Klägerin durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter nicht berührt. Soweit die Klägerin
nur gelegentlich von den Filmaufnahmen erfasst worden sei, fehle es an einem für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen Feststellungsinteresse. Insbesondere liege weder eine Wiederholungsgefahr noch ein schwerwiegender und
tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Die Sicherstellung der Kletterausrüstungen sei aber jedenfalls zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bahnverkehr erforderlich gewesen. Vom Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr
habe die Beklagte insbesondere im Hinblick auf ‚Kletteraktionen' der Klägerin in der Vergangenheit - so etwa das Abseilen von einer Brücke im Jahr 2008, durch das der regionale Bahnverkehr für mehrere Stunden behindert gewesen
sei - ausgehen müssen. Das Filmen der Gruppe sei nach deren heftiger Reaktion auf die Identitätsfeststellung und die Sicherstellung gerechtfertigt gewesen, da mit Straftaten gegen die Polizeibeamten habe gerechnet werden müssen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B., C., D., E. und F.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. Juli 2014 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. ...
Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist teilweise zulässig und, soweit sie zulässig ist, auch begründet.
Gegenstand der Klage sind ausschließlich Maßnahmen der Beklagten, nicht auch solche der Bundespolizei. Klagegegner ist daher auch allein die Beklagte, nicht zugleich die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das
Bundesministerium des Innern, dieses wiederum vertreten durch die Bundespolizeidirektion. Denn das Begehren der Klägerin ist dahingehend auszulegen, dass ausschließlich Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Beklagten begehrt
wird. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin in ihren Anträgen die Bundespolizei teils erwähnt. Die zunächst anwaltlich nicht vertretene Klägerin hat zwar zumindest ausdrücklich keinen Klagegegner benannt. Sie wendet sich
aber zum einen im Einzelnen ausschließlich gegen von der Beklagten durchgeführte Maßnahmen; konkrete Maßnahmen der Bundespolizei werden nicht benannt. Zum anderen hat das Gericht ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung am
14. November 2011 ausschließlich die Beklagte als Klagegegner geführt und nicht auch die Bundesrepublik in das Verfahren einbezogen. Dies war der Klägerin ab Erhalt des gerichtlichen Eingangsschreibens vom 17. November 2011
ersichtlich. Wenn die Klägerin die Bundesrepublik als Beklagte hätte einbeziehen wollen, hätte es ihr im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflichten oblegen, klarzustellen, dass ihre Klage sich auch gegen die Bundesrepublik
richten sollte. Hierzu wäre die Klägerin, die zwar keine formale juristische Ausbildung durchlaufen hat, in juristischen Angelegenheiten aber durchaus - wie nicht zuletzt ihr schriftsätzlicher Vortrag im vorliegenden Verfahren zeigt -
nicht unbewandert ist, ohne Zweifel in der Lage gewesen. Spätestens ihr Prozessbevollmächtigter, der ihr durch den Prozesskostenhilfebeschluss vom 24. Januar 2014 beigeordnet wurde, hätte eine entsprechende Klarstellung leisten
können und müssen. So hat die Klägerin das Verfahren aber insgesamt sehenden Auges über etwa 21 Monate nur gegen die Beklagte geführt und erst wenige Minuten vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung durch ihren
Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass sich ihres Erachtens die Klage auch gegen ‚die Bundespolizei' richte. Eine entsprechende Klageänderung hat die Klägerin nicht erklärt.
I. Die Klage ist zulässig, soweit die Klägerin sich gegen die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter (I.2.a) sowie gegen das Anfertigen von Videoaufzeichnungen von ihr selbst (I.2.b) wendet; im Übrigen ist sie
unzulässig (I.2.c).
1. Es kann dahinstehen, inwieweit den von der Klägerin angegriffenen Maßnahmen - den Identitätsfeststellungen hinsichtlich der Begleiter der Klägerin, den Sicherstellungen der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter und dem
Anfertigen von Videoaufzeichnungen - Verwaltungsaktqualität zukommt. Da die in Rede stehenden Maßnahmen - gleich ob Verwaltungs- oder Realakt - sich tatsächlich erledigt haben, können sie als staatliches Handeln zum
Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) oder einer erweiterten Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) gemacht werden. Hinsichtlich ihrer hier maßgeblichen
Zulässigkeitsvoraussetzungen, Klagebefugnis und (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse, sind beide Klagearten aber wesentlich gleich (ebenfalls offen gelassen: BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 - 6 C 26/03 -, NJW 2005, 454; Urt. v.
28.03.2012 - 6 C 12/11 -, juris, Rn. 15; VG Lüneburg, Urt. v. 30.03.2004 - 3 A 116/02 -, NVwZ-RR 2005, 248, 249; VG Göttingen, Urt. v. 21.11.2012 - 1 A 14/11 -, juris, Rn. 11).
2. Die Klägerin weist die in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie des Anfertigens von Videoaufzeichnungen von
ihr selbst auf; im Übrigen fehlt es der Klägerin an einer Klagebefugnis.
Eine Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (analog) besteht, wenn ein Kläger geltend machen kann, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt (worden) zu sein. Durch die Klagebefugnis als Sachentscheidungsvoraussetzung
sollen Popularklagen ausgeschlossen und unnötige Inanspruchnahmen Beklagter vermieden werden (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42, Rn. 59).
a. Es erscheint zumindest möglich, dass die Klägerin durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie die Anfertigung von Videoaufzeichnungen von ihr selbst in eigenen Rechten aus Art. 8 Abs. 1 GG und § 1
Abs. 1 NVersG verletzt wurde. Denn im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin lag eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG vor.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Der
Schutzbereich ist dabei nicht nur dann betroffen, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch dann, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (BVerfG, Beschl.
v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 14; VG Göttingen, Urt. v. 06.11.2013 - 1 A 98/12 -, juris, Rn. 19).
aa. Eine Versammlung ist gemäß § 2 Abs. 1 NVersG eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zusammenkunft von mindesten zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten
Erörterung oder Kundgebung (ebenso zum Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG BVerfG, Beschl. v. 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 - juris, Rn. 12; Beschl. v. 10.12.2010 - 1 BvR 1402/06 - juris, Rn. 19; Beschl. v. 19.12.2007 - 1
BvR 2793/04 - juris, Rn. 14). Die Klägerin und ihre Begleiter hatten die Absicht, sich an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie an der Castor-Transportstrecke befindliche Bäume erklettern und an diesen gelbe
Kreuze in X-Form als Symbol für die Ablehnung der Atomenergie im Allgemeinen und der Castor-Transporte in das Wendland im Speziellen anbringen. Das Handeln der Klägerin und ihrer Begleiter stellt sich dabei als Kundgebung -
eine Zusammenkunft, mittels derer die Teilnehmer ihre gemeinsame Überzeugung zeigen (Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 25) - dar.
Dem Versammlungscharakter des Zusammentreffens steht nicht entgegen, dass das Erklettern von Bäumen und Anbringen gelber Kreuze in X-Form zum Zwecke der gemeinsamen Meinungskundgabe eine eher ungewöhnliche Form
der Versammlung darstellt. Denn hinsichtlich der Art und Weise der Ausgestaltung der Versammlung besteht Typenfreiheit, die Versammlungsfreiheit umfasst als spezifisches Kommunikationsgrundrecht auch die Befugnis zum
Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.05.2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris, Rn. 29; VG Frankfurt, Beschl. v. 06.08.2012 - 5 L 2558/12.F -, juris, Rn. 19; Dietel/Gintzel/Kniesel,
VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 54; Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 29).
Ebenfalls unschädlich ist, dass die Versammlung der zuständigen Behörde im Vorfeld nicht angezeigt wurde. Dabei kann offen bleiben, ob eine Anzeige gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NVersG 48 Stunden vor Bekanntgabe der
Versammlung möglich und daher Pflicht war, ob eine Eilversammlung vorlag, die gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 NVersG (nur) unverzüglich hätte angezeigt werden müssen, oder ob es sich bei der Versammlung der Klägerin und ihrer
Begleiter um eine Spontanversammlung gehandelt hat, bei der keine Anzeigepflicht bestand (§ 5 Abs. 5 NVersG). Denn selbst wenn eine Anzeigepflicht bestanden hätte, aber nicht erfüllt worden wäre, ließe eine solche Verletzung der
Anzeigepflicht den Versammlungscharakter einer Zusammenkunft unberührt (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, juris, Rn. 89; Ullrich, NVersG, 2011, § 5, Rn. 23).
bb. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen zum Vorliegen einer Versammlung führende Tatsachen
gegeben waren. Die Zeugen D., E. und F. haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend geschildert, dass man sich getroffen habe, um gegen den Castor-Transport zu protestieren und hierbei das Klettern zu üben. Dabei
haben die Zeugen D. und E. hervorgehoben, dass man sich am 29. Oktober getroffen habe, weil dies der ‚Castorstrecken-Aktionstag' gewesen sei. Dass die Klägerin und ihre Begleiter die Absicht hatten, durch eine Kundgabe
gemeinsam an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben, wird nachhaltig durch den Umstand gestützt, dass die Klägerin und ihre Begleiter gelbe Holzkreuze in X-Form und auch mindestens ein mit einer gegen den
Castor-Transport gerichteten Aufschrift versehenes Plakat mit sich führten.
Dass die Gruppe um die Klägerin (mindestens) ein Protestplakat dabei hatte, wurde von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Dass die Gruppe außerdem mehrere gelbe Holzkreuze in X-Form in nach außen hin sichtbarer Weise mit
sich führte, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die Zeugen D., E. und F. haben übereinstimmend angegeben, die Gruppe um die Klägerin habe gelbe Holzkreuze in X-Form mit sich
geführt. Glaubhaft erscheinen diese Aussagen insbesondere deshalb, weil diese drei Zeugen unabhängig voneinander angegeben haben, dass die Kreuze eine Größe gehabt hätten, die es ausgeschlossen habe, sie in Rucksäcken zu
transportieren. Außerdem haben die Zeugen D., E. und F. ebenfalls übereinstimmend angegeben, dass die Kreuze am Vortag gefertigt worden seien. Die Zeugen D. und E. haben zudem konkrete Angaben zur Größe der Kreuze
gemacht, die einander in etwa entsprachen.
Zwar haben sowohl der Zeuge B. als auch der Zeuge C. angegeben, sie hätten Holzkreuze am 29. Oktober 2011 nicht wahrgenommen oder könnten sich nicht erinnern, an diesem Tag bei der Gruppe um die Klägerin solche Kreuze
gesehen zu haben. Der Zeuge C. hat indes angegeben, dass er bei Sichtung der von ihm angefertigten Videoaufzeichnungen durchaus ein gelbes Holzkreuz in dem Baum, auf dem sich die Klägerin befand, habe erkennen können. Er
wisse lediglich nicht, ob es sich hierbei um ein schon zuvor vorhandenes oder erst am 29. Oktober 2011 durch die Klägerin angebrachtes Holzkreuz gehandelt habe. Dafür, dass es sich bei dem von dem Zeugen C. beschriebenen
Holzkreuz um ein am 29. Oktober 2011 angebrachtes handelt, spricht die Angabe des Zeugen E., wonach die Klägerin bereits vor dem Ende des Einsatzes der Beklagten ein Holzkreuz in dem von ihr erkletterten Baum befestigt habe.
Letztlich kann aber offen bleiben, wann das Holzkreuz angebracht wurde. Denn maßgeblich ist, dass ein solches mitgeführt wurde und die Gruppe die Absicht hatte, durch dessen Anbringung an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben.
Im Übrigen spricht auch das von der Klägerin mit dem Schriftsatz vom 4. März 2012 vorgelegte Foto, auf dem sowohl im Gras liegende Holzkreuze in X-Form als auch Polizeibeamte erkennbar sind, dafür, dass die Gruppe um die
Klägerin Holzkreuze der genannten Art mit sich geführt hat.
Demgegenüber ergeben sich Zweifel im Hinblick auf die Angaben der Zeugen B. und C., weil diese sich nur teilweise an Einzelheiten der Geschehnisse am fraglichen Tag erinnern konnten und sich im Übrigen die Aussagen dieser
Zeugen nicht widerspruchsfrei ineinander fügen. So haben zwar beide Zeugen angegeben, es habe zwischen den Polizeibeamten und der Gruppe um die Klägerin Diskussionen gegeben. Der Zeuge B. hat allerdings gemeint, diese
Diskussionen hätten sich in erster Linie auf die sichergestellten Kletterausrüstungen bezogen, während der Zeuge C. ausgeführt hat, die Diskussionen hätten primär den Identitätsfeststellungen gegolten. Ferner stehen die Aussagen der
Zeugen B. und C. in Widerspruch, soweit es um den Zeitpunkt des Eintreffens des G. geht. Der Zeuge B. hat ausgeführt, sein Bericht vom 21. November 2011 sei (unter anderem) richtig, soweit dort die Schilderung der Sachlage
gegenüber dem H. dargestellt ist. Ausgeführt wird in dem besagten Bericht, der Zeuge B. sei zum Zeugen Brauer zurückgekehrt, um die Sachlage zu schildern, hieraufhin habe der H. die Sicherstellung angeordnet. Der Zeuge B. habe
sich sodann wieder zu der Gruppe um die Klägerin begeben, wobei die Klägerin zwischenzeitlich einen Baum erklommen habe. Nach den Ausführungen des Zeugen C. verhielt es sich dagegen so, dass die Klägerin zunächst auf einen
Baum geklettert und der H. - abweichend von der Darstellung des Zeugen B. - erst später vor Ort eingetroffen sei.
Für das Vorliegen einer Versammlung spricht außerdem, dass die Gruppe um die Klägerin gegenüber den Beamten der Beklagten auch angegeben hat, eine Versammlung durchführen zu wollen. Zwar bedarf es einer ausdrücklichen
Berufung der Teilnehmer einer Versammlung auf das Versammlungsgrundrecht nicht. Dass die Gruppe um die Klägerin angegeben hat, eine Versammlung durchführen zu wollen, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber
ebenfalls zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar hat die Beklagte schriftsätzlich vorgetragen, es sei ausdrücklich gefragt worden, ob eine Versammlung stattfinden solle. Keiner der befragten Zeugen - insbesondere auch nicht die
Zeugen B. und C. - konnte sich allerdings an eine derartige Frage erinnern. Die Zeugen D., E. und F. haben dagegen ausgesagt, es sei ausdrücklich auf das Vorliegen einer Versammlung hingewiesen worden. Sehr eindrücklich
erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen F., nach welcher dieser sich daran erinnere, dem Zeugen B. gesagt zu haben, dieser störe ‚wieder einmal' eine Versammlung. Zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin
D., E. und F. trägt außerdem maßgeblich bei, dass sie jeweils geschildert haben, es sei die Rede davon gewesen, dass man sich vor Gericht wiedersehen werde.
Die Annahme, dass Gespräche über das Vorliegen einer Versammlung stattfanden, wird auch durch den von der Beklagten mit der Klageerwiderung übersandten Bericht des G. vom 29. Oktober 2011 gestützt, in dem angegeben ist,
die Klägerin habe das Erklimmen des Baumes zu einer ‚politischen Aktion' erklärt.
Für die Absicht zur gemeinsamen Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung durch eine besondere Form der Kundgebung spricht hier zudem, dass die Zusammenkunft am sogenannten Castorstrecken-Aktionstag und auch an der
Strecke des Castor-Transportes sowie unter Beteiligung der Klägerin stattfand, die auch der Beklagten nicht etwa als reine Klettersportlerin, sondern als ‚Kletteraktivistin' (vgl. etwa Bericht des G. vom 28. November 2011) bekannt
war und ist.
cc. Die Versammlung hatte im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Beklagten auch bereits begonnen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NVersG bestimmt die Leiterin oder der Leiter den Ablauf der Versammlung. Dieses Mitbestimmungsrecht
umfasst auch das Recht zur Festsetzung des Beginns der Versammlung (LT-Drs. 16/2075, S. 22; Ullrich, NVersG, 2011, § 7, Rn. 15; Miller, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 7, Rn. 9; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl.
2008, § 5, Rn. 4; Ott/Wächtler/Heinold, VersG, 7. Aufl. 2010, § 8, Rn. 1). Zwar wurde ein Leiter gegenüber der Beklagten nicht benannt. Grundsätzlich ist als Leiter einer Versammlung deren Veranstalter anzusehen
(Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 7, Rn. 10). Ist ein solcher - wie hier - nicht eindeutig feststellbar, kann aus der tatsächlichen Wahrnehmung typischer Aufgaben eines Leiters auf die Leitereigenschaft geschlossen
werden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.09.1977 - 5 Ss 296/77-256/77 I -, juris, Rn. 5; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 7, Rn. 10). Eine solche Wahrnehmung von typischen Aufgaben eines Leiters ist vorliegend am
ehesten bei der Klägerin zu erkennen, die als erste einen Baum bestiegen und hierdurch ihre Begleiter angehalten hat, ebenfalls mit dem Klettern zu beginnen. Außerdem dürfte die Klägerin aufgrund ihrer besonderen Klettererfahrung
eine gewisse Führungsposition innegehabt haben. Spätestens mit dem Erklimmen des Baumes hat die Klägerin das Signal gegeben, dass die Versammlung nunmehr beginne.
Aber auch dann, wenn man die Auffassung vertritt, die Tätigkeit der Klägerin sei von eher untergeordneter Bedeutung und sie sei nicht als Leiterin anzusehen, hätte die Versammlung rein tatsächlich bereits begonnen, als die Beklagte
einschritt - möglicherweise schon, als die Gruppe die Gleise überquerte, spätestens aber, als die Klägerin den Baum zu erklimmen begann. Das Klettern sollte gerade Teil und besondere Ausdrucksform der Kundgebung sein. Für den
Beginn einer Versammlung bedarf es keiner formellen Eröffnung durch einen Versammlungsleiter, ebenso ist der rein tatsächliche Beginn einer Versammlung möglich. Anderenfalls bestünde die Möglichkeit, dass eine
Spontanversammlung, als welche auch die hier in Rede stehende Versammlung einzustufen sein könnte, gar nicht beginnen kann. Denn § 7 Abs. 1 Satz 1 NVersG bestimmt, dass jede nach § 5 anzuzeigende Versammlung unter freiem
Himmel eine Leiterin oder einen Leiter haben muss. Da Spontanversammlungen nach § 5 Abs. 5 NVersG nicht der Anzeigepflicht unterliegen, besteht hier auch nicht die Pflicht zur Bestellung eines Leiters (LT-Drs. 16/2075, S. 22),
der die Spontanversammlung eröffnen könnte.
dd. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sinngemäß geäußerten Auffassung ist der Klägerin auch nicht etwa deshalb ein Berufen auf Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG verwehrt, weil die vor Ort
handelnden Beamten das Zusammentreffen der Gruppe um die Klägerin nicht als Versammlung wahrgenommen hätten, es im Polizeirecht aber stets auf die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten ankomme. Denn die ex-ante-Sicht des
handelnden Beamten ist nicht für die Frage maßgeblich, welche Rechte einem Betroffenen zustehen; die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines (Grund-)Rechtes richtet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten. Von
Bedeutung ist die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten vielmehr bezüglich der Frage nach dem Vorliegen von ein hoheitliches Einschreiten erfordernden Gegebenheiten, dem Vorliegen einer Gefahr (vgl. hierzu etwa Denninger, in:
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D, Rn. 47). Ob ein bestimmtes Verhalten in den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechtes fällt, ist jedoch unabhängig davon zu beantworten, ob eine Gefahr gegeben
ist; insbesondere steht das Vorliegen einer Gefahr nicht der Eröffnung des Schutzbereiches eines Grundrechtes entgegen. Besteht eine Gefahr, ist vielmehr zu prüfen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang deren
Vorliegen einen Eingriff in den objektiv zu bestimmenden grundrechtlichen Schutzbereich zu rechtfertigen vermag.
b. Klagebefugt ist die Klägerin ferner, soweit sie sich gegen die durch die Beklagte von ihr gefertigten Videoaufzeichnungen wendet. Insoweit besteht zum einen die Möglichkeit der Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 8
Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG. Das Anfertigen der Videoaufzeichnungen hatte möglicherweise die Eignung, eine Einschüchterungswirkung zu erzeugen, die dazu veranlassen konnte, der Versammlung entweder vollständig fern zu
bleiben oder sich im Rahmen der Versammlung in einer Art und Weise zu verhalten, die den handelnden Beamten genehm erschien. Darüber hinaus ist auch eine Verletzung des Rechtes der Klägerin auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) denkbar. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin - nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten - nur ‚bei Gelegenheit' des Anfertigens von
Videoaufzeichnungen anderer Teilnehmer erfasst wurde. Denn eine Absicht, die Klägerin zu filmen, ist nicht Voraussetzung für eine (mögliche) Rechtsverletzung. Soweit andere Teilnehmer der Veranstaltung von den
Videoaufzeichnungen erfasst wurden, liegt dagegen keine Klagebefugnis vor. Dass insoweit in diesem konkreten Fall eine einschüchternde Wirkung vom Anfertigen der Aufnahmen ausging und mithin eine Verletzung von Rechten
der Klägerin möglich wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
c. Dagegen fehlt es der Klägerin an der gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderlichen Klagebefugnis hinsichtlich der Identitätsfeststellungen bezüglich ihrer Begleiter. Die Identitätsfeststellungen bezogen sich nicht auf die
Klägerin selbst. Mangels Adressatenstellung der Klägerin käme die Herleitung einer Klagebefugnis vorliegend - wie auch hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen - allein aus der Möglichkeit einer Verletzung der Rechte
der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG in Betracht. Eine solche Verletzung kann jedoch in jeder Hinsicht ausgeschlossen werden. Anders als durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen wurde durch die
Identitätsfeststellungen die Durchführung der Versammlung nicht unterbunden, wesentlich erschwert oder auch nur erheblich verzögert. Denkt man die Sicherstellung der Kletterausrüstungen hinweg, so hätte der Fortgang der
Versammlung sich durch die Identitätsfeststellungen nur geringfügig und - auch im Hinblick auf die Gesamtdauer des Zusammentreffens einschließlich der Versammlung - in zu vernachlässigendem Umfang verzögert. Selbst wenn
diese geringfügige Verzögerung von der Klägerin als lästig empfunden worden sein sollte, wurde die Schwelle zu einem Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch die Identitätsfeststellungen nicht überschritten. Ein Eingriff wäre erst
dann zu bejahen, wenn die Identitätsfeststellungen in einer für die Ermittlung der Identität der Begleiter der Klägerin nicht erforderlichen Weise erfolgt wären (vgl. VG Frankfurt, Beschl. v. 09.05.2014 - 5 K 2483/13.F -, juris, Rn. 12),
die Identitätsfeststellungen mithin z.B. unnötig umständlich oder zeitraubend gestaltet worden wären. Hierfür ist vorliegend indes nichts ersichtlich. Dass eine erhebliche Verzögerung allein durch die Identitätsfeststellungen nicht
eintrat, ergibt sich nicht zuletzt im Hinblick zum einen darauf, dass die Klägerin und ihre Begleiter sich einige Zeit ließen, bevor sie sich nach ihrem Eintreffen vor Ort daran machten, die Versammlung zu beginnen, ein fester Zeitplan
folglich nicht bestand. Zum anderen war die Gruppe auch nicht etwa darauf angewiesen, die Versammlung zu einer bestimmten Uhrzeit durchzuführen, um deren Zweck zu erreichen.
Eine Klagebefugnis der Klägerin bezüglich der Identitätsfeststellungen lässt sich auch nicht begründen, indem man - wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung - anführt, dass die Identitätsfeststellungen sich als Teil eines
einheitlichen Lebenssachverhaltes dargestellt hätten, der auch die Sicherstellungen und das Anfertigen der Videoaufzeichnungen umfasst und der insgesamt die Eignung aufgewiesen hätte, einschüchternd auf Versammlungsteilnehmer
zu wirken. Die Identitätsfeststellungen waren zwar Teil eines Gesamtgeschehens im Sinne von aufeinander folgenden Ereignissen, zu denen auch die Sicherstellungen und das Anfertigen der Videoaufzeichnungen zählten; die
Zugehörigkeit zu einem solchen Gesamtgeschehen verbindet die Einzelmaßnahmen jedoch noch nicht zu einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Vielmehr waren die Einzelmaßnahmen von der Beklagten auch als solche - jeweils
einzeln - gewollt und wurden auch einzeln und insbesondere auch als Einzelmaßnahmen erkennbar durchgeführt. Sie unterliegen aus diesem Grunde einer jeweils eigenständigen rechtlichen Prüfung.
3. Das notwendige Feststellungsinteresse liegt bezüglich der Maßnahmen, hinsichtlich derer die Klägerin klagebefugt ist - der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie des Anfertigens von Videoaufnahmen von ihr
- vor. Es erscheint zwar fraglich, ob sich das Feststellungsinteresse auf eine Wiederholungsgefahr stützen lässt. Denn die Bejahung einer Wiederholungsgefahr setzte voraus, dass die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer
vergleichbaren Versammlung durch die Betroffenen besteht und außerdem deutlich ist, dass die Behörde an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, Rn. 22). Vorliegend kann
aber erstens die erneute Durchführung eines Castor-Transportes nach Gorleben, der Anlass für die geplante Versammlung war, nicht abgesehen werden. Zweitens hat die Beklagte ihr Vorgehen auf die tatsächliche Annahme gestützt,
die Klägerin und ihre Begleiter hätten ausschließlich ein ‚Klettertraining' durchführen wollen, weshalb ihres Erachtens keine grundrechtlich geschützte Versammlung vorgelegen habe. Ursache für den vorliegenden Rechtsstreit sind
damit vielmehr divergierende Tatsachen- als Rechtseinschätzungen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nochmals einer vergleichbaren Fehleinschätzung unterliegen wird, sind nicht hinreichend konkret ersichtlich.
Letztlich kann die Frage nach dem Vorliegen einer Wiederholungsgefahr aber offenbleiben. Denn nach dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes muss die Möglichkeit bestehen, einen Grundrechtseingriff gerichtlich
prüfen zu lassen, wenn die Grundrechtsausübung entweder unmöglich gemacht oder wenigstens erheblich beeinträchtigt wurde (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 36 ff.). Im Falle der Verneinung des
Feststellungsinteresses wäre der Klägerin ein Rechtsschutz gegen die Sicherstellungen aber versagt. Der Klägerin wurde durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter die Möglichkeit genommen, eine bereits
begonnene Versammlung fortzusetzen. Damit war ihr Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG im Kern und nicht nur unerheblich in Randbereichen betroffen. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in derart
gelagerten Fällen die Bejahung eines Feststellungsinteresses (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, NJW 2004, 2510, 2511 f.; BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12/97 -, juris, Rn. 13). Dies gilt insbesondere im
Hinblick auf - hier streitgegenständliche - polizeiliche Maßnahmen (BVerwG, Urt. v. 29.04.1997 - 1 C 2/95 -, juris, Rn. 21).
Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Anfertigens der Videoaufzeichnungen. Betroffenes Grundrecht ist insoweit nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern daneben
ebenfalls das Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. VGH BW, Urt. v. 26.01.1998 - 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761, 762; VG Berlin, Urt. v. 05.07.2010 - 1 K 905.09 -, juris, Rn. 13) und § 1 Abs. 1 NVersG.
II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet.
Die am 29. Oktober 2011 von der Beklagten im Tiergarten in Lüneburg an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg durchgeführten Sicherstellungen von Kletterausrüstungen sowie das Anfertigen von Videoaufzeichnungen von
der Klägerin waren rechtswidrig.
1. Der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG und des § 1 Abs. 1 NVersG war für die von der Klägerin und ihren Begleitern geplante und bereits begonnene Kundgabe aus den bereits dargelegten Gründen eröffnet. Sowohl die
Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin als auch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin stellten einen Eingriff in diesen Schutzbereich dar.
a. Infolge der Sicherstellung der Klettererausrüstungen konnten die Begleiter der Klägerin nicht mehr wie vorgesehen in an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg befindliche Bäume steigen und dort als Zeichen ihrer Ablehnung der
Atomindustrie und der Castor-Transporte die am Tag zuvor angefertigten gelben Holzkreuze in X-Form anbringen. Die weitere Durchführung der Versammlung wurde damit tatsächlich unterbunden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, einen Baum zu erklimmen, dort über den Einsatz der Beklagten hinaus zu verbleiben und auch (mindestens) ein gelbes Holzkreuz anzubringen. Denn sowohl Art. 8
Abs. 1 GG als auch § 1 Abs. 1 NVersG geben ein Recht, sich zu versammeln. § 1 Abs. 1 NVersG formuliert sogar noch deutlicher ‚mit anderen Personen zu versammeln'. Wenn die Beklagte sich entschied, die Klägerin in dem Baum
zu belassen und ihr die Möglichkeit zu geben, dort weiter ungehindert tätig zu werden, so mag zwar die Meinungsfreiheit der Klägerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. GG uneingeschränkt geblieben sein; bei der
Versammlungsfreiheit handelt es sich aber gerade um die ‚Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe' (BVerfG, Beschl. v. 15.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 63; BVerfG, Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 131),
die durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin beschränkt wurde.
b. Auch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin stellt einen Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG dar. Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nicht erst dann zu bejahen,
wenn die Versammlung verboten, aufgelöst oder - wie hier - anderweitig unterbunden wird, sondern schon dann, wenn die Art und Weise der Durchführung der Versammlung durch hoheitliche Maßnahmen beschränkt wird oder von
diesen eine Wirkung ausgeht, die den Einzelnen davon abhalten kann, von seiner Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 15; VerfGH Berlin, Urt. v. 11. April 2014 -
129/13 -, juris, Rn. 48). Wer aber damit rechnen muss, dass seine Teilnahme an einer Versammlung durch Videoaufzeichnungen behördlich festgehalten wird und sich hieraus die Gefahr persönlicher Nachteile ergibt, wird einen
Verzicht auf die Ausübung seiner Versammlungsfreiheit in Betracht ziehen. Auf diesem Wege wird nicht nur die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Grundrechtsinhabers verkürzt, sondern auch das Gemeinwohl beeinträchtigt, das
auf die kollektive öffentliche Meinungskundgabe als elementare Bedingung eines auf die Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens angewiesen ist (BVerfG,
Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 131; VerfGH Berlin, Urt. v. 11. April 2014 - 129/13 -, juris, Rn. 48).
2. Eine die vorgenannten Eingriffe rechtfertigende gesetzliche Grundlage besteht nicht.
a. Hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ergibt sich eine Rechtfertigung weder aus den Bestimmungen des NVersG noch aus denen des Nds.SOG.
aa. Die Sicherstellung ließ sich nicht auf den von der Beklagten zuletzt angeführten § 10 Abs. 2 Satz 2 NVersG stützen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1, 2 NVersG kann die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Verbote nach den §§ 3
und 9 NVersG sowie zur Abwehr erheblicher Störungen der Ordnung der Versammlung durch teilnehmende Personen Gegenstände sicherstellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Eingriffsnorm waren vorliegend nicht erfüllt.
Im Zeitpunkt der Sicherstellung war weder ein Bedürfnis zur Durchsetzung eines Verbotes nach § 3 NVersG noch zur Durchsetzung eines Verbotes nach § 9 NVersG erkennbar. Insbesondere sprach nichts dafür, dass gegen das Verbot
verstoßen worden war oder verstoßen werden würde, Waffen oder sonstige Gegenstände, die zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, in der Versammlung zur Verwendung bereitzuhalten oder zu verteilen (§ 3 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 NVersG). Die Beklagte ging in ihrer Gefahrenprognose zwar davon aus, dass ein beeinträchtigendes Einwirken der Klägerin und ihrer Begleiter auf den Schienenverkehr zu befürchten sei. Umstände, die einen Verstoß
gegen das vorgenannte Verbot befürchten ließen, hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen; solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
Weiter gestattet § 10 Abs. 2 Satz 2 NVersG auch ein Tätigwerden zur Abwehr erheblicher Störungen der Ordnung der Versammlung durch teilnehmende Personen. Zur Abwehr einer solchen Gefahr hat die Beklagte jedoch ersichtlich
nicht gehandelt.
bb. Ferner kommt als Rechtsgrundlage für den Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin auch § 8 Abs. 1 NVersG nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem
Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestand im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten
jedoch nicht.
Der Gefahrenbegriff des NVersG ist dem des allgemeinen Polizeirechts nachgebildet (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 18; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 23). Grundsätzlich wird demnach das Vorliegen
einer Sachlage verlangt, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 2 Nr. 1 lit. a Nds.SOG). Das in § 8 Abs.
1 NVersG zusätzlich enthaltene Merkmal der Unmittelbarkeit führt dazu, dass die Anforderungen an die Sicherheit der Beurteilungsgrundlage und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erhöht werden, es bedarf nicht
lediglich einer hinreichenden, sondern einer hohen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 19; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 24; ebenso zu § 15 VersG: BVerfG,
Kammerbeschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 91, 93). Der Schadenseintritt muss ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten sein (BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C
21/07 -, juris, Rn. 14 zu § 15 VersG).
Diese Voraussetzungen erfüllende Umstände lagen im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen nicht vor. Die Gefahrenprognose der Beklagten stellte allein darauf ab, dass die Klägerin ihrer Meinung bevorzugt im
Zusammenhang mit Kletteraktionen Ausdruck verleiht, das Geschehen am ‚Castorstrecken-Aktionstag' sowie in einem Waldstück stattfand und die Klägerin im Jahr 2008 den Schienenverkehr durch das Abseilen von einer Brücke
lahmgelegt hatte. Dazu ist festzuhalten, dass die beiden erstgenannten Umstände - das Klettern als bevorzugtes Protestmittel der Klägerin sowie das Stattfinden der Zusammenkunft am Castorstrecken-Aktionstag - nicht die Eignung
aufweisen, auf einen Schadenseintritt hinzudeuten. Ein - wie die Beklagte es in ihrer Gefahrenprognose nennt - ‚Protestieren' stellt regelmäßig gerade die Ausübung der Versammlungsfreiheit, nicht aber einen Verstoß gegen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich des Datums des in Rede stehenden Ereignisses: Die Beklagte führt hierzu in ihrer Gefahrenprognose selbst aus, dass an diesem Tag ‚bundesweit beworbener
Protest gegen die bevorstehenden Castortransporte' geübt werde. Konkrete Hinweise auf eine von der Versammlung ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind insoweit nicht ersichtlich. Vielmehr hatte die
Klägerin sich bereits am Vormittag des 29. Oktober 2014 kletternd an Bahnanlagen betätigt, ohne dass die Beklagte hierin eine Gefahr gesehen hätte. Gleiches gilt im Hinblick auf die Tatsache, dass die Gruppe um die Klägerin sich
für die Durchführung ihrer Versammlung in ein Waldstück begeben hatte. Da das Ziel der Versammlung gerade sein sollte, gelbe Holzkreuze in X-Form an an der Castor-Transportstrecke gelegenen Bäumen anzubringen, war das
Aufsuchen eines Waldstückes an der Zugstrecke Lüneburg-Dannenberg naheliegend. Im Übrigen liegt das betroffene Waldstück im Lüneburger Stadtgebiet und ist damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als abgelegen zu
bezeichnen. Schließlich führt auch das Lahmlegen des Bahnverkehrs durch die Klägerin im Jahr 2008 nicht dazu, dass im Jahr 2011 - drei Jahre später - mit gewissheitsnaher Wahrscheinlichkeit von dem Eintritt eines Schadens für die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung auszugehen war, wenn die Klägerin einen Baum - keine Brücke - an der Zugstrecke erklimmt, auf der in etwa einem Monat der Castor-Transport stattfinden sollte. Mit einer derartigen
Argumentation ließe sich ein Vorgehen gegen jede in der Nähe der Castor-Transportstrecke stattfindende Versammlung, an der die Klägerin teilnimmt, stets und ohne weitere Untermauerung rechtfertigen. Zudem ist nicht erkennbar,
woraus konkret sich eine Gefährdung oder ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung hätte ergeben sollen. Insbesondere die von der Beklagten schriftsätzlich angesprochene Möglichkeit eines Überspannens der
Schienenstrecke von auf beiden Seiten der Gleise gelegenen Bäumen aus findet zum einen in der Gefahrenprognose der Beklagten keinerlei Erwähnung. Zum anderen hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht
ersichtlich, mit welchen Hilfsmitteln dieses Überspannen hätte erfolgen sollen. Ein solches Überspannen hätte im Übrigen vorausgesetzt, dass mindestens eine Person aus der Gruppe um die Klägerin einen auf der gegenüberliegenden
Seite der Schienentrasse befindlichen Baum erklimmt. Hierfür sprach im Zeitpunkt der Sicherstellung jedoch nichts.
Aber selbst wenn man annehmen wollte, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 NVersG seien erfüllt, ließe sich der Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin gleichwohl nicht auf diese Norm stützen. Denn die
Beklagte ging bis zuletzt davon aus, dass eine Versammlung nicht vorgelegen habe. Auf Grundlage dieser Annahme hat sie die Sicherstellung der Kletterausrüstungen vorgenommen. Ein Handeln gemäß § 8 Abs. 1 NVersG setzt zwar
ebenso wie ein Handeln auf Grundlage des von der Beklagten ursprünglich als Rechtsgrundlage angeführten § 26 Nr. 1 Nds.SOG (siehe dazu sogleich II.2.a.dd.) eine Ermessensentscheidung voraus. Die jeweils in diese
Ermessensentscheidung einzubeziehenden Aspekte unterscheiden sich jedoch ganz wesentlich. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 8 Abs. 1 NVersG muss der handelnde Hoheitsträger sich darüber bewusst sein, dass er verkürzend
in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 GG sowie § 1 Abs. 1 NVersG eingreift; auf eine Entscheidung im Rahmen des § 26 Nr. 1 Nds.SOG trifft dies nicht zu. Kommt als Grundlage eines hoheitlichen Handelns allein § 8 Abs. 1 NVersG in
Betracht, stellt der handelnde Hoheitsträger in seine Ermessensentscheidung aber nicht ein, dass er durch sein Handeln in die Versammlungsfreiheit eingreift, so liegt eine zur Rechtswidrigkeit seines Handelns führende
Ermessensunterschreitung vor. Für den Fall, dass die Beklagte die Sicherstellung der Kletterausrüstungen auf § 8 Abs. 1 NVersG stützen wollte, hätte sie einen solchen Ermessensfehler auch nicht nachträglich geheilt (§ 114 Satz 2 VwGO).
cc. Eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit der Klägerin ist des Weiteren auch nicht auf Grundlage des § 8 Abs. 2 NVersG möglich. Diese Bestimmung sieht vor, dass die zuständige Behörde eine Versammlung
verbieten oder auflösen kann, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Insoweit gelten die zu § 8 Abs. 1 NVersG gemachten Ausführungen entsprechend.
dd. Der von der Beklagten ursprünglich ausdrücklich - so in der Klageerwiderung vom 26. Januar 2012, aber auch nach dem Bericht des Zeugen B. vom 21. November 2011 - als Rechtsgrundlage angeführte § 26 Nr. 1 Nds.SOG findet
auf den in Rede stehenden Eingriff keine Anwendung. Versammlungsbezogene Gefahrenabwehrmaßnahmen richten sich nach dem NVersG. Dessen im Verhältnis zu den Regelungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts speziellen
Voraussetzungen für Versammlungen einschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Das NVersG geht dem Nds.SOG als lex specialis vor mit der Folge, dass auf die Bestimmungen des
Nds.SOG gestützte Maßnahme gegen eine Person unzulässig sind, solange diese sich in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.12.2010 - 1 BvR 1402/06
-, juris, Rn. 28; BVerfG, Kammerbeschl. v. 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06 -, juris, Rn. 43; BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01 -, juris, Rn. 18; Dietel/ Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 192). § 26 Nr.
1 Nds.SOG findet auch nicht etwa deshalb Anwendung, weil es sich bei der Sicherstellung der Kletterausrüstungen um eine Maßnahme im Vorfeld der eigentlichen Versammlung gehandelt hätte. Vielmehr hatte die Versammlung -
wie dargelegt - bereits begonnen. Es hatte nicht nur die Klägerin schon einen Baum bestiegen, sondern auch mehrere andere Teilnehmer hatten ihre Kletterausrüstungen bereits angelegt und waren im Begriff, mit dem Klettern zu
beginnen. Die Kletterausrüstungen waren, um die Versammlung in der geplanten Art und Weise durchführen zu können, zwingend erforderlich.
Auf die ex-ante-Sicht der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Wie ausgeführt bestimmt sich der Umfang grundrechtlichen Schutzes nach rein objektiven Kriterien. Ebenso objektiv ist die Frage nach den
Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich und damit auch nach der einschlägigen Rechtgrundlage eines hoheitlichen Handelns zu beantworten. Bestätigung findet dies auch darin,
dass, wenn für die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsgrundlage tatsächlich die ex-ante-Sicht der Beklagten maßgeblich wäre, der Umfang grundrechtlichen Schutzes durch die ex-ante-Sicht der Beklagten bestimmt würde.
b. Als den Eingriff durch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin rechtfertigende Rechtsgrundlage käme § 12 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. NVersG in Betracht. Die Norm sieht vor, dass die Polizei Bild- und
Tonaufzeichnungen von einer bestimmten Person in einer Versammlung unter freiem Himmel offen anfertigen kann, um eine von dieser Person verursachte erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Diese
Voraussetzungen waren jedoch nicht erfüllt. Die Beklagte hat nicht Videoaufzeichnungen von einer bestimmten Person, sondern von sämtlichen Teilnehmern der Versammlung angefertigt. Auch Hinweise auf das Bestehen einer
erheblichen Gefahr - einer Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut wie den Bestand des Staates, das Leben, die Gesundheit, die Freiheit oder nicht unwesentliche Vermögenswerte sowie andere strafrechtlich geschützte Güter (§ 2 Nr. 1
lit. c Nds.SOG) - lagen, entsprechend den oben gemachten Ausführungen, nicht vor.
Weiter rechtfertigt § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG das Anfertigen der Aufzeichnungen von der Klägerin nicht. Hiernach kann die Polizei eine unübersichtliche Versammlung und ihr Umfeld mittels Bild- und Tonübertragungen offen
beobachten, wenn dies zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist. Die Regelung gestattet gerade nur ein speicherungsloses Übermitteln, nicht aber das von
der Beklagten durchgeführte Aufzeichnen (vgl. LT-Drs. 16/2075, S. 35).
Des Weiteren lässt sich das Anfertigen der Videoaufzeichnungen von der Klägerin nicht auf § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG stützen. Diese Norm gestattet die Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten
teilnehmenden Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Eine erhebliche Gefahr lag aber - wie dargestellt - nicht vor.
Schließlich scheidet auch ein Rückgriff auf den von der Beklagten in ihrer Gefahrenprognose als Rechtsgrundlage für das Anfertigen der Videoaufzeichnung angeführten § 32 Nds.SOG aufgrund der bereits dargelegten Spezialität des
NVersG gegenüber dem Nds.SOG aus. § 32 Abs. 1 Satz 1 Nds.SOG sieht sogar ausdrücklich vor, dass die Bestimmung nur auf öffentliche Veranstaltungen oder Ansammlungen Anwendung findet, die nicht dem NVersG unterliegen.
3. Gründe, aus denen die Berufung gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen wäre, bestehen aus Sicht der Kammer entgegen den Ausführungen der Beklagten nicht. Insbesondere misst die Kammer
der Sache im Hinblick auf die besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, deren erneutes Eintreten nicht erwartet werden kann, keine grundsätzliche Bedeutung bei. Die vorliegende Entscheidung weicht auch hinsichtlich ihres
Verständnisses von der Weite der Klagebefugnis in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten nicht von obergerichtlicher Rechtsprechung ab und lässt insbesondere keine ‚versammlungsrechtliche Popularklage' zu. ..."
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Sind trotz hoher Wahrscheinlichkeit des friedlichen Verlaufs einer Versammlung Störungen durch Sachbeschädigungen, Gewaltdelikte, Flaschenwürfe u.ä. denkbar, ist das Vorhalten eines mit einer Mastkamera ausgestatteten
Fahrzeugs des polizeilichen Beweissicherungs- und Dokumentationstrupps vor Ort legitim. Das Vorhalten einer auch nur teilausgefahrenen Mastkamera, durch die bei den Versammlungsteilnehmern der Eindruck erweckt werden
kann, beobachtet oder gefilmt zu werden, ist nur bei Vorliegen einer Gefahr zulässig, bei der Bild- und Tonübertragungen oder Bild- und Tonaufzeichnungen nach § 12 NVersG (juris: VersammlG ND) erlaubt sind (VG Hannover,
Urteil vom 14.07. 2014 - 10 A 226/13).
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„... Bereithalten einer ausgefahrenen Beobachtungskamera ohne konkreten Anlass verletzt die Versammlungsfreiheit
Am 21.01.2012 fand in Bückeburg eine Versammlung mit ca. 500 Teilnehmern zum Thema „Farbe bekennen - Für Demokratie und Vielfalt " statt, die im Internet auch unter der Überschrift „Same Shit. Different year - kein
Rückzugsraum für Nazis" beworben wurde. Die Teilnehmer zogen auf einer festgelegten Route durch Bückeburg und hielten auf dem Rathausplatz eine Zwischenkundgebung ab.
Nach der Lagebeurteilung der Polizei im Vorfeld konnte ein unfriedlicher Verlauf der Versammlung angesichts einer hohen Konfliktbereitschaft gerade von in Bückeburg ansässigen Angehörigen der rechten bzw. linken Szene nicht
ausgeschlossen werden. Die Polizeidirektion Göttingen setzte im Rahmen ihres begleitenden Einsatzes unter anderem ein Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps ein, das in der Nähe der Einmündung einer auf den
Rathausplatz führenden Straße abgestellt war. Dieses Fahrzeug verfügt über eine sog. Mastkamera, die durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs bis auf rund 4 Meter ausgefahren werden kann. Das dauert knapp 40 Sekunden.
Während der Versammlung war der Mast mit der Kamera auf ca. die Hälfte der maximalen Höhe ausgefahren. Nach Angaben der Polizeidirektion war die Kamera aber nicht im Einsatz. Die Versammlung verlief friedlich.
Der Kläger fühlte sich auf Grund der Einsatzmodalitäten des Beobachtungsfahrzeuges in seiner Versammlungsfreiheit verletzt. Dieser Wertung schloss sich die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover mit Urteil vom heutigen
Tage an: Das Grundrecht umfasse auch die sog. „innere" Versammlungsfreiheit von (potenziellen) Teilnehmern. Diese werde schon dann berührt, wenn bei den (potenziellen) Teilnehmern der Eindruck entstehen könne oder müsse,
dass die Polizei von dem Versammlungsgeschehen Bild- und/oder Tonaufnahmen anfertige oder übertrage. Dabei komme es für die Grundrechtsbetroffenheit nicht entscheidend darauf an, ob das tatsächlich der Fall sei, denn ein
Versammlungsteilnehmer, zumal wenn er sich in einiger Entfernung vom Beobachtungswagen befinde, könne von außen nicht hinreichend sicher beurteilen, ob die Kamera tatsächlich laufe oder nicht. Eine Beobachtungskamera in der
geschehenen Weise für einen Einsatz bereit zu halten, sei als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr auf der Basis des § 12 Nds. Versammlungsgesetzes nur dann erforderlich und damit gerechtfertigt, wenn nach den konkreten
Umständen ein unfriedlicher Verlauf des Versammlungsgeschehens unmittelbar bevor stehe. Das sei bei der betroffenen Versammlung unstreitig nicht der Fall gewesen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechtes der
Versammlungsfreiheit müsse die Polizei grundsätzlich die geringe Verzögerung, die eine Herstellung der Einsatzbereitschaft einer zunächst komplett eingefahrenen Kamera mit sich bringe, hinnehmen.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Berufung zum Nds. Oberverwaltungsgericht zugelassen. ..." (VG Hannover, Beschluss vom 14.07.2014 - 10 A 226/13 - Pressemitteilung VG)
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Die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG (juris: VersammlG ND) setzt voraus, dass es sich um eine unübersichtliche Versammlung handelt. Eine Versammlung ist unübersichtlich, wenn sie
von einem zentral postierten Polizeibeamten aufgrund ihrer Größe oder der Beschaffenheit des Versammlungsorts nicht überblickt werden kann (VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2013 - 1 A 283/12):
"... Die Klage ist insoweit auch begründet. Aus der Systematik des § 12 Abs. 2 NVersG geht hervor, dass die Fertigung offener Bild- und Tonaufzeichnungen in Form von Übersichtsaufzeichnungen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG
ebenso wie das bloße Beobachten der Versammlung (ohne dass dabei Aufzeichnungen gefertigt werden) gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG voraussetzt, dass es sich um eine unübersichtliche Versammlung handelt. Dies ergibt sich
bereits daraus, dass § 12 Abs. 2 in Satz 1 NVersG einleitend die Voraussetzung einer unübersichtlichen Versammlung nennt und in Satz 2 sodann von „Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten teilnehmenden Personen"
spricht. Bei den „nicht bestimmten teilnehmenden Personen" kann es sich nur um Personen handeln, die an einer Versammlung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 und damit an einer unübersichtlichen Versammlung teilnehmen. Für eine
solche Auslegung spricht auch die ursprüngliche Fassung des Gesetzesentwurfs (Lt-Drs. 16/2075, S. 6 f.), die wie folgt formuliert war:
„Die Polizei darf von einer Versammlung und ihrem Umfeld Übersichtsaufnahmen zur Leitung des Polizeieinsatzes anfertigen, wenn dies wegen der Größe oder der Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist.
Sie darf auch (Hervorhebung durch das Gericht) Übersichtsaufzeichnungen anfertigen, wenn …"
Die Verwendung des Wortes „auch" zeigt den Bezug zum vorangehenden Satz und damit auch zur Unübersichtlichkeit der Versammlung (das Tatbestandsmerkmal der Größe wurde später fallen gelassen). Auch die hierzu formulierte
Begründung (Lt-Drs. 16/2075, S. 35) spricht für eine solche Sichtweise. Dort heißt es:
„Im bisherigen Recht fehlt eine Befugnis zur Anfertigung der für eine polizeiliche Lagebeurteilung unabdingbaren Übersichtsaufnahmen von Versammlungen und deren Umfeld. Absatz 2 Satz 1 enthält daher eine solche Befugnis der
Polizei zur Leitung des Polizeieinsatzes, wenn dies wegen der Größe oder der Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist. Eine Speicherung der erhobenen Daten erlaubt Absatz 2 Satz 1 nicht, weil für den
Zweck der Einsatzleitung eine Echtzeitübertragung ausreicht. Übersichtsaufzeichnungen sind nach Absatz 2 Satz 2 darüber hinaus nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von der Versammlung
(Hervorhebungen durch das Gericht) erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen."
Die Formulierungen „darüber hinaus" und „von der Versammlung" stellen den Bezug zum ersten Satz des zweiten Absatzes her und zeigen, dass auch Übersichtsaufzeichnungen nur bei unübersichtlichen Versammlungen zulässig
sind. Für diese Auslegung der Kammer spricht schließlich auch, dass Übersichtsaufzeichnungen einen wesentlich stärkeren Eingriff in die Rechte der Versammlungsteilnehmer darstellen als bloße Bild- und Tonübertragungen und
nicht anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber für die bloßen Übertragungen engere Voraussetzungen schaffen wollte als für die Aufzeichnungen.
Das Merkmal der Unübersichtlichkeit steht in engem Zusammenhang mit dem Gefahrenabwehrzweck der Maßnahme. Nur wenn die Unübersichtlichkeit die Aufzeichnung erfordert, um von der Versammlung ausgehende erhebliche
Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, ist sie gerechtfertigt. Dabei wird Unübersichtlichkeit anzunehmen sein, wenn die Versammlung von einem zentral postierten Polizeibeamten aufgrund ihrer Größe oder der
Beschaffenheit des Versammlungsorts nicht überblickt werden kann (Wefelmeier/Miller, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2012, § 12 Rn. 16; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2011, § 12 Rn. 17). Das Gericht
teilt die Auffassung des Klägers, es habe sich bei der Versammlung am 13.07.2012 nicht um eine unübersichtliche Versammlung im Sinne der genannten Vorschrift gehandelt. Mit den Videoaufzeichnungen wurde am fraglichen Tag
um 14.42 Uhr begonnen. Zu dieser Zeit befand sich im Bereich des nördlichen Treppenaufgangs des N. O. es eine etwa 50, allenfalls 60 Personen umfassende Gruppe von Versammlungsteilnehmern. Die Größe der Gruppe bewegte
sich somit im unteren Bereich dessen, was die Polizei erwartet hatte. Den Videoaufzeichnungen ist zu entnehmen, dass die Personengruppe auf eingeschränktem Raum in der Nähe der Polizeibeamten stand und deshalb gut zu
übersehen war. Die Versammlungsteilnehmer verließen den Versammlungsort während der gesamten Aufzeichnungen nicht, sondern bewegten sich lediglich in überschaubarem Umfang hin und her. Nach dem Verlaufsbericht der
Polizei befanden sich insgesamt 111 Polizeibeamte am Versammlungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe. Es erscheint der Kammer nicht nachvollziehbar, dass eine so große Gruppe von Polizeibeamten nicht den Überblick über
eine etwa halb so große Anzahl von Versammlungsteilnehmern gehabt haben soll.
Darüber hinaus war die Fertigung von Übersichtsaufzeichnungen - obwohl sie nur einen geringen zeitlichen Umfang hatte - unverhältnismäßig, weil sie in der konkreten Situation nicht erforderlich war. Selbst wenn man davon
ausgeht, dass bei einem ungeschützten Eintreffen des Innenministers und seiner Begleitpersonen deren Gesundheit und körperliche Unversehrtheit durch die Versammlungsteilnehmer gefährdet gewesen wären und somit eine
erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben war, so konnte diese Gefahr angesichts der im Vergleich zur Anzahl der Versammlungsteilnehmer erheblich größeren Anzahl von Polizeibeamten bereits dadurch abgewendet
werden, dass der Versammlungsort verlegt und der Aufgang zum O. durch eine Polizeikette abgesperrt wurde. Eine Situation, die die Anfertigung von Videoaufzeichnungen zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche
Sicherheit gerechtfertigt hätte, bestand um 14.42 Uhr nicht und ergab sich auch nicht im Zeitraum bis zum Abschluss der Aufzeichnungen. ..." (VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2013 - 1 A 283/12)
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„... Die vom Kläger begehrte Feststellung kann nicht erfolgen. Die Kontrolle des Klägers erfolgte rechtmäßig auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4, Art. 21 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 PAG. Weder durch die Einrichtung der
Kontrollstelle noch durch die konkrete Durchführung der Kontrolle hat der Beklagte das Grundrecht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt.
Für polizeiliche Kontrollmaßnahmen im Vorfeld der öffentlichen Versammlung konnte vorliegend auf Befugnisnormen des allgemeinen Polizeirechts zurückgegriffen werden, da das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG)
insoweit keine speziellen Regelungen enthält und Art. 74 PAG ausdrücklich auch eine Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) aufgrund dieses Gesetzes erlaubt (BayVGH, B.v. 23.1.2013 Nr. 10
C 12.2061; vgl. Wächtler/Heinhold/Merk, BayVersG, Art. 1 RdNr. 45).
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG lässt Identitätsfeststellungen an Kontrollstellen zur Verhütung von Straftaten nach § 100a der Strafprozessordnung (StPO) und nach Art. 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, Abs. 2 Nr. 5 BayVersG oder von
Ordnungswidrigkeiten i.S. von Art. 21 Abs. 1 Nrn. 8 und 9 BayVersG im Vorfeld der konkreten Gefahr zu (Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Art. 13 RdNr. 13). Kontrollstellen sind Sperren, an denen Personen
angehalten werden, um ihre Identität zu überprüfen sowie sie selbst und ihre mitgeführten Sachen zu durchsuchen (Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E RdNr. 347). Für die Identitätsfeststellung gibt Art. 13
Abs. 1 Nr. 4 PAG die Befugnis. Die weitere polizeiliche Vorgehensweise beruht auf dessen Abs. 2. Die Befugnis zur Durchsuchung von Personen und Sachen ergibt sich aus Art. 21 Abs. 2, 22 Abs. 1 Nrn. 1 und 6 PAG (vgl.
Schmidbauer/Steiner, a.a.O., Art. 13 RdNr. 13). Diese Maßnahmen sind an Kontrollstellen unter ähnlichen Voraussetzungen zulässig wie die Identitätsfeststellung (vgl. Lisken/Denninger, a.a.O., E RdNr. 347). Die Regelungen über
die Kontrollstellen gelten als wichtige polizeiliche Präventivbefugnis vor allem im Vorfeld von Großdemonstrationen/-veranstaltungen, bei denen gewalttätige Ausschreitungen zu befürchten sind (Lisken/Denninger, a.a.O., E RdNr.
348; Honnacker/Beinhofer, PAG, Art. 13 RdNr. 26). Voraussetzungen für die Identitätsfeststellung an Kontrollstellen sind, dass die polizeiliche Maßnahme der Gefahrenabwehr dient, die Polizei die Kontrollstelle eingerichtet hat, um
Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu verhindern, die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG ausdrücklich genannt sind, und dass die im Rahmen der abstrakten Gefahr zu treffende Prognose ergibt, dass die Einrichtung der Kontrollstelle die
genannten Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verhindern kann (vgl. Schmidbauer/Steiner, a.a.O., Art. 13 RdNr. 13).
Das Recht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG darf durch die Kontrollen nicht unzulässig eingeschränkt werden. Vorbereitende Maßnahmen für eine konkret geplante Versammlung einschließlich der Anreise bzw. des
Zugangs zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung werden vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Versammlungsfreiheit durch Vorfeldmaßnahmen ausgehöhlt wird
(Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, B...er Kommentar, Kap. 2 RdNr. 50, m.w.N.). Bei der Anwendung allgemeiner polizeirechtlicher Befugnisnormen für Vorfeldmaßnahmen, die den freien Zugang zu der
Versammlung behindern und insofern einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit darstellen, ist die Ausstrahlungswirkung dieses Grundrechts auf die gesetzliche Schrankennorm zu berücksichtigen, weshalb in
angemessener Weise die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit berücksichtigt werden muss und keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden dürfen. Die Ausstrahlungswirkung
des Art. 8 Abs. 1 GG beschränkt sich insoweit nicht nur auf die Prüfung und Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 4 PAG), sondern ist bereits auf der Tatbestandsebene bei der Auslegung und Anwendung der dort
jeweils normierten Rechtsbegriffe und damit auch der Gefahrenprognose zu beachten (BayVGH, a.a.O.). Es müssen bei der streitgegenständlichen Versammlung hinreichend konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte für die von
der Polizei angestellte Gefährdungsprognose vorliegen, dass Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten i.S. von § 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG gerade auch durch die Versammlungsteilnehmer und nicht nur durch Gegendemonstranten drohen
(BayVGH, a.a.O.).
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist bei Feststellungsklagen im Polizeirecht, die in der Vergangenheit liegende Rechtsverhältnisse betreffen, der Zeitpunkt, zu dem die polizeiliche Maßnahme getroffen wurde (Lisken/Denninger,
a.a.O., L RdNr. 130).
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2013 ist davon auszugehen, dass sich der Kläger am 9. Oktober 2010 nach seiner Ankunft am Bahnhof in S... an einer von der Polizei eingerichteten Kontrollstelle einer
Identitätsfeststellung und Durchsuchung unterziehen musste. Im Bereich der Unterführung des Hauptbahnhofs in S... war nach den übereinstimmenden Schilderungen des Klägers und des Zeugen Z... eine polizeiliche Sperre
eingerichtet, an der Personen angehalten wurden, um ihre Identität zu überprüfen und ihre mitgeführten Sachen zu durchsuchen. Nach Angaben des Beklagten ist diese Kontrollstelle im Bahnhof vom Abschnittsführer der dort
eingesetzten Hundertschaft angeordnet worden. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge Z... haben die Situation, die sie am 9. Oktober 2010 in der Unterführung des Hauptbahnhofs S... im Vorfeld der Versammlung vorgefunden haben,
im Wesentlichen übereinstimmend geschildert. Hiernach ist die aus Mittelfranken mit dem Zug ankommende Gruppe von Demonstrationsteilnehmern in der Unterführung des Hauptbahnhofs von einer Gruppe von
Bereitschaftspolizisten angehalten worden, die Ausweise der Versammlungsteilnehmer wurden eingesammelt und die Versammlungsteilnehmer wurden durchsucht. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers und
des Zeugen Z... mussten die bereits kontrollierten Versammlungsteilnehmer wohl auch an einem Sammelpunkt, wo ihnen die Ausweise wieder ausgehändigt wurden, auf weitere am Bahnhof eintreffende Versammlungsteilnehmer
warten, bis die gesamte Gruppe unter Polizeibegleitung Richtung Versammlungsort ‚S...' aufgebrochen ist. Zwar liegen mangels Speicherung der erhobenen Daten beim Beklagten keine Informationen vor, ob der Kläger die
Kontrollstelle passiert hat. Auch keiner der Zeugen konnte bestätigen, dass die Identität des Klägers an der Kontrollstelle überprüft worden ist und er durchsucht wurde. Die Zeugin R... reiste mit dem Lautsprecherfahrzeug direkt zum
‚S...' an und der Zeuge Z..., der nach seiner Aussage mit einer Gruppe von 40 bis 60 Personen mit der Bahn aus N.../F... nach S... kam, konnte sich nicht mehr erinnern, um welche Uhrzeit er in S... ankam, ob der Kläger in seiner
Gruppe reiste und ob dieser zusammen mit ihm kontrolliert wurde. Nachdem der Kläger nach seiner Aussage gegen 13.45 Uhr am Hauptbahnhof in S... angekommen ist und sich zu erinnern meint, der Zeuge Z... sei im Zug dabei
gewesen, spricht jedoch vieles dafür, dass der Kläger und der Zeuge Z... in der gleichen Gruppe auf die Polizeiabsperrung trafen. Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, da - unabhängig davon - die Schilderung der Umstände der
Polizeikontrolle durch den Kläger das Gericht davon überzeugt hat, dass er sich der polizeilichen Maßnahme unterziehen musste. Die beim Kläger vorhandenen Erinnerungslücken (z.B. auf die Frage, welches Gepäck er dabei gehabt
habe und ob sein Gepäckstück durchsucht worden sei) sind wohl auf den inzwischen vergangenen Zeitraum von zwei Jahren und neun Monaten bzw. die häufige Teilnahme des Klägers an Versammlungen zurückzuführen.
Es ist dem Beklagten auch nicht verwehrt, sich auf die Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG zu berufen, weil etwa die Einsatzkonzeption der Polizei und die tatsächliche Durchführung der Kontrollen nicht im Einklang
gestanden hätten (vgl. BayVGH, a.a.O.). Die Widersprüche in den Angaben des Beklagten im Rahmen der Klageerwiderung zur Art der im Vorfeld der Versammlung vorgenommenen Kontrollen (einerseits lageabhängige selektive
Kontrollen, andererseits Kontrollstelle in der Unterführung des Hauptbahnhofs) konnten im Rahmen der mündlichen Verhandlung dahingehend aufgelöst werden, dass im Vorfeld der Versammlung nicht die Kontrolle aller
Versammlungsteilnehmer angeordnet war, von der Einsatzplanung aber Kräfte für Kontrollen vor Ort vorgesehen waren und der betroffene Abschnittsführer im Bahnhof eine Kontrollstelle eingerichtet hat. Es ist nachvollziehbar, dass
der Abschnittsführer, der im Kontakt mit der Einsatzleitung stand und die Entwicklung der Gesamtlage verfolgte, nach der Lage vor Ort zu entscheiden hatte. Die Einsatzkonzeption enthielt auch den Einsatz von Kontrollstellen im
Rahmen der Vorkontrollen als Option (vgl. Auszug aus dem Einsatzbefehl Nr. 6.1.11).
Durch die Einrichtung der Kontrollstelle, die dort durchgeführten Ausweiskontrollen und Durchsuchungen, wurde indes in die Durchführung und den Ablauf der Versammlung nicht unter Verletzung des Grundrechts der
Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG eingegriffen.
Die Einrichtung der polizeilichen Kontrollstelle am Hauptbahnhof war nach Auffassung der Kammer rechtmäßig und stellte keine unzulässige Einschränkung des Rechts der Versammlungsfreiheit des Klägers nach Art. 8 Abs. 1 GG dar.
Die Polizei hat die Kontrollstelle eingerichtet, um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nach dem BayVersG zu verhindern, die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG ausdrücklich genannt sind. Es bedarf im Rahmen der abstrakten Gefahr der
Prognose, dass die Einrichtung der Kontrollstelle die genannten Straftaten verhindern kann (Schmidbauer/Steiner, a.a.O., Art. 13 RdNr. 13).
Die Einrichtung der Kontrollstelle am Hauptbahnhof, die wegen der Art der Anreise nach S... nach den vorliegenden Erkenntnissen zumindest ganz überwiegend die Versammlungsteilnehmer und nicht die Gegendemonstranten
betroffen hat, war durch die Gefährdungsprognose gerechtfertigt.
Der Gefahrenprognose müssen konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zugrunde liegen, dass Straftaten i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG gerade auch durch die Versammlungsteilnehmer und nicht nur durch
Gegendemonstranten drohten (BayVGH, a.a.O.); bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Dabei dürfen Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden,
soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, B.v. 12.5.2010 Nr. 1 BvR 2636/04).
Die Gefahrenprognose der Polizei genügt im vorliegenden Fall den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dem Beklagten lagen im Vorfeld der geplanten Versammlung Informationen vor, die darauf schließen ließen, dass mit der
Teilnahme von potenziell gewaltbereiten Personen an der Versammlung zu rechnen war und gewalttätige Ausschreitungen befürchtet werden mussten.
Aufgrund der im Jahr 2010 sehr angespannten Lage, die der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung anschaulich geschildert hat, konkreten Erkenntnissen zur Versammlung am 1. Mai 2010 in S... sowie des bisherigen
Einsatzablaufs am Versammlungstag, ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte davon ausging, dass Straftaten i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG durch Versammlungsteilnehmer drohten.
Die Einschätzung der Polizei, dass im ‚rechten Lager' aufgrund der Ereignisse im Februar 2010 in D... und Mai 2010 in E..., wo jeweils ein rechtsextremer Aufmarsch durch Aktivitäten von Gegendemonstranten verhindert wurde,
großer Unmut herrschte, ist nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund, dass es nach polizeilichen Erkenntnissen immer zu Überlappungen des Teilnehmerkreises der Versammlungen kommt, hatten diese einschneidenden Ereignisse in
anderen Bundesländern auch Bedeutung für die vorzunehmende Lagebeurteilung im vorliegenden Fall. Aufgrund der vom Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erläuterten ‚Vernetzung der Szene' kommt auch dem
Ermittlungsverfahren in A... wegen der Herstellung von Sprengkörpern eine gewisse Indizwirkung für die Gefährdungsbeurteilung zu. Wegen der Kurzfristigkeit der Anmeldung der streitgegenständlichen Versammlung war es der
Polizei wohl offensichtlich auch nicht möglich, weitere Informationen zum Teilnehmerkreis zu gewinnen, die gegebenenfalls die Lageeinschätzung relativiert hätten.
Die Kammer hat zwar Zweifel daran, ob die vom Beklagten zitierte Passage aus dem Internetauftritt des ‚F...', dass man der Gegenseite zeigen solle, dass ihre Veranstaltungen auch nicht unantastbar seien, direkt auf eine
Gewaltbereitschaft von Versammlungsteilnehmern am 9. Oktober 2010 schließen ließ. Die Frage der genauen Bedeutung dieser Aussage kann jedoch offenbleiben, da sie zumindest Anzeichen der bereits anderweitig bekannten
aufgeheizten Stimmung unter den Rechtsextremen aufgrund der ‚Schande von D...', wie die Ereignisse auch auf den Seiten des ‚F...' bezeichnet wurden, war.
Vor diesem allgemeinen Hintergrund verfügte die Polizei am 9. Oktober 2010 noch über konkrete Erkenntnisse aus dem Vorfeld der Versammlung am 1. Mai 2010 in S..., die die Gefahrenprognose erhärteten. Im Vorfeld der
Versammlung am 1. Mai 2010 in S... wurden in der Zeit zwischen 11:42 Uhr und 12:35 Uhr bei vier Versammlungsteilnehmern Waffen i.S. der Art. 20 Abs. 1 Nr. 1, 6 BayVersG (ein Schlagstock, zwei Teleskopschlagstöcke und ein
Schlagring), von der Polizei aufgefunden. Einer der Versammlungsteilnehmer, bei dem ein Schlagstock gefunden wurde, war in eine Auseinandersetzung zwischen dem ‚linken' und dem ‚rechten Lager' verwickelt. Die vier Personen,
bei denen sich diese Gegenstände befanden, sind in der in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des Beklagten übergebenen hinsichtlich der Namen der Betroffenen ‚geschwärzten' GESA-Liste mit dem Buchstaben ‚R'
gekennzeichnet. Nach den Ausführungen des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung beruht die Zuordnung ‚L' für ‚linkes' und ‚R' für ‚rechtes Spektrum' auf den Angaben der Betroffenen und den eigenen
Wahrnehmungen der Polizeibeamten. Nach Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass bei Versammlungsteilnehmern aus dem rechtsextremen Spektrum im Vorfeld der Versammlung am 1. Mai 2010, die ebenfalls in S...
stattfand, Waffen sichergestellt wurden und ‚rechte' Versammlungsteilnehmer zumindest teilweise auch in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt waren. Nachdem es sich bei der Versammlung des ‚F...' am 1. Mai 2010 um
eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel handelte und damit die Teilnahme nicht auf einen individuellen Personenkreis beschränkt war (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayVersG), spielt es keine Rolle, wie der Klägerbevollmächtigte
irrtümlich meint, woher die durch Waffenbesitz auffällig gewordenen Personen kamen, was sich aus der GESA-Liste nicht ergibt. Entscheidend ist, dass sie dem Kreis der Versammlungsteilnehmer zuzurechnen waren und nicht dem
Kreis der Gegendemonstranten oder Störer der Versammlung. Die Versammlung vom 1. Mai 2010 ist von der Anzahl der teilnehmenden Personen zwar nicht mit der streitgegenständlichen Versammlung vergleichbar, jedoch vom
Motto ähnlich (‚Besatzer raus! Wir zahlen nicht für Eure Kriege' bzw. ‚Kapitalismus bedeutet Krieg') und vom Teilnehmerkreis zumindest teilweise identisch. Der Kläger, der Zeuge Z... und die Zeugin R... haben jedenfalls an der
Versammlung am 1. Mai 2010 in S... nach ihren Angaben ebenfalls teilgenommen. Nachdem es nach den polizeilichen Erkenntnissen immer wieder zu Überlappungen des Teilnehmerkreises, auch überregional kommt, durfte der
Beklagte diese Tatsachen für seine Gefährdungsprognose heranziehen.
Weiterhin ist davon auszugehen, dass bei Einrichtung der Kontrollstelle dem Abschnittsführer im Hauptbahnhof, der in Kontakt mit der Einsatzleitung stand und die Entwicklung der Gesamtlage verfolgt hat, die bisherigen Ereignisse
am 9. Oktober 2010 bekannt waren. Die ersten Versammlungsteilnehmer trafen laut Aktenvermerk des Polizeipräsidiums Unterfranken bereits drei Stunden vor Versammlungsbeginn in S... am Hauptbahnhof ein und begaben sich zu
Fuß zum Versammlungsort. Zu diesem Zeitpunkt waren schon linksautonome Gruppen mobil im Innenstadtbereich präsent. In der Vorphase der Versammlung wurden hiernach mehrere kleinere Auseinandersetzungen zwischen
Versammlungsteilnehmern und Störern bereits im Ansatz unterbunden. Vor Beginn der Versammlung, nach Angaben des Polizeiführers in der mündlichen Verhandlung gegen 12.30 Uhr, wurden im Zuge der Aufklärungsmaßnahmen
im Bereich des S...s in einer Grünfläche an einem Parkplatz eine mit Benzin gefüllte 1,5 l PET-Flasche, als Schlagwerkzeug geeignete Metallstangen und sechs mit Haken versehene Strohballen sichergestellt, die keinen bestimmten
Personen zugeordnet werden konnten. Die Tatsache des Fundes wurde nach Aussage des Polizeiführers an alle Einsatzkräfte weitergegeben. Ob die aufgefundenen Gegenstände Versammlungsteilnehmern oder Gegendemonstranten
zuzuordnen waren, war zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt. Nachdem die Gegenstände sich außerhalb der für die Versammlung eingerichteten Absperrung befanden, sprach zwar einiges dafür, dass sie nicht dem Kreis der
Versammlungsteilnehmer zuzuordnen waren. Da aber nicht alle Versammlungsteilnehmer mit der Bahn angereist sind, können die Gegenstände auch von den auf sonstige Weise angereisten Versammlungsteilnehmern im Bereich des
S...s abgelegt worden sein, und sei es nur, um sich ihrer angesichts der nach den Zeugenaussagen dort ebenfalls stattfindenden Polizeikontrollen zu entledigen. Wenn der zuständige Abschnittsführer neben den genannten, ohnehin für
die Einrichtung einer Kontrollstelle ausreichenden Anhaltspunkten die Funde als zusätzlichen Anlass genommen haben sollte, die Kontrollen zu verstärken, wäre dies nicht zu beanstanden. Es hätte sich zumindest um eine
Anscheinsgefahr gehandelt, da er bei verständiger Würdigung das Vorliegen einer Gefahr von Seiten der Versammlungsteilnehmer annehmen konnte. Die vom zuständigen Abschnittsführer getroffene Gefahrenprognose im Zeitpunkt
der Anordnung der Kontrollstelle war daher insgesamt zutreffend. Nach der vorzunehmenden ex-ante-Betrachtung war es aus Sicht des handelnden Polizeibeamten vernünftig und nach polizeilicher Erfahrung sachgerecht, die
Einrichtung einer Kontrollstelle im Vorfeld der Versammlung am Hauptbahnhof, wo ein Großteil der Versammlungsteilnehmer erwartet wurde, anzuordnen. Dass an der Kontrollstelle im Hauptbahnhof letztlich keine Waffen,
Schutzwaffen oder ähnliche Gegenstände gefunden wurden, macht deren Einrichtung nicht rechtswidrig, da es nicht auf eine ex post-, sondern auf die ex ante-Betrachtung ankommt.
Die konkrete Durchführung der Kontrolle des Klägers an der Kontrollstelle war ebenfalls rechtmäßig. Die Teilnahme des Klägers an der Versammlung wurde nicht unzumutbar eingeschränkt.
Das Einrichten einer Kontrollstelle ist dann für anreisende Demonstranten mit der Versammlungsfreiheit unvereinbar, wenn es den Zugang zur Versammlung unzumutbar erschwert oder sonst als übermäßige und daher
unverhältnismäßige Reaktion betrachtet werden muss (Berner/Köhler/Käß, PAG, Vorbemerk. zu den Art. 16-20 RdNr. 4; VG Würzburg, NJW 1980, 2541). Solange die Identitätskontrolle einen Zugang zur Versammlung nicht
versperrt, ist die Maßnahme auch bei einer Verzögerung des Zugangs zulässig. Eine Verzögerung von bis zu 75 Minuten durch die Identitätsfeststellung an der Kontrollstelle ist bei (Groß-)Demonstrationen zumutbar
(Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21 RdNr. 50, m.w.N.; BayVGH, B.v. 25.3.2004 Nr. 24 ZB 04.30).
Bei der gerügten zeitlichen Verzögerung ist zwischen der Verzögerung für den Kläger selbst und derjenigen für andere Versammlungsteilnehmer zu unterscheiden. Wartezeiten anderer Versammlungsteilnehmer sind vorliegend
unerheblich, da die VwGO nur einen Individualrechtsschutz gewährt (vgl. VG Bayreuth, U.v. 1.7.2003 Nr. B 1 K 02.779).
Nach den eigenen Angaben des Klägers, wie die Kontrolle abgelaufen ist, ist das Gericht der Auffassung, dass die stattgefundenen Kontrollen zumutbar und verhältnismäßig gewesen sind. Teilnehmern solcher Veranstaltungen ist
bekannt, dass üblicherweise Vorkontrollen stattfinden. Sie müssen sich auf Verzögerungen bei der Anreise einstellen und solche Kontrollzeiten bei der Planung der Anreisedauer einbeziehen (VG Bayreuth, a.a.O.). Die Verzögerung
durch die Polizeikontrolle hat kein Ausmaß erreicht, das als unverhältnismäßig zu bewerten wäre. Nach seinen eigenen Angaben ist der Kläger erst gegen 13.45 Uhr im Hauptbahnhof in S... angekommen, obwohl der Beginn der
Versammlung auf 14.00 Uhr angesetzt war. Angesichts des Fußwegs bis zum Versammlungsort am S... hatte der Kläger damit keine Verzögerung durch eine Kontrolle einkalkuliert. Nachdem nach dem Kläger noch weitere
Versammlungsteilnehmer am Hauptbahnhof eintrafen, hat sich der Beginn der Versammlung alleine durch das späte Eintreffen vieler der mit der Bahn anreisenden Versammlungsteilnehmer verzögert. Darüber hinaus hat der Kläger
nicht vorgetragen, er habe unverhältnismäßig lange auf die Kontrolle warten müssen. Diese wurde nach seiner Schilderung zügig durchgeführt. Eine Verzögerung ergab sich vielmehr daraus, dass die Gruppe des Klägers auf weitere
mit der Bahn anreisende Versammlungsteilnehmer ‚warten musste', damit die gesamte Gruppe unter Polizeibegleitung zum S... gehen konnte. Das Vorgehen der Polizei, gegen das sich der Kläger im Übrigen mit seiner
Feststellungsklage nicht gewandt hat, ist insoweit nicht zu beanstanden, nachdem ausreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Versammlungsteilnehmer auf dem Weg zum S... durch linksextreme Störer vorlagen. Es wäre der
Polizei auch nicht zumutbar gewesen, die eintreffenden Gruppen und Personen einzeln zu eskortieren. Darüber hinaus hätte dies für den Zeitpunkt des Versammlungsbeginns wohl auch keine Vorteile gebracht und das Warten des
Klägers hätte sich dann nur örtlich verlagert. Von alledem abgesehen ist der Kläger nach seinen eigenen Angaben eine Dreiviertelstunde nach seiner Ankunft am Bahnhof am S... angekommen, wobei der Fußmarsch maximal eine
Viertelstunde gedauert haben soll. Die Verzögerung betrug daher ungefähr eine halbe Stunde, selbst wenn man die Wartezeit nach Passieren der Kontrollstelle mitrechnet, so dass von einer Unzumutbarkeit oder Unverhältnismäßigkeit
nicht gesprochen werden kann. Die Verzögerung durch die Kontrolle war auch keineswegs Ursache für die später aufgetretenen Schwierigkeiten, den Aufzug durchzuführen. Nach Angaben des Polizeiführers kam es bereits ab 13:45
Uhr zu einer kompletten Blockade der Aufzugstrecke durch Gegendemonstranten, so dass auch ohne die Kontrollstelle ein ungehinderter Ablauf nicht gewährleistet gewesen wäre.
Die Identitätskontrolle selbst begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Einsammeln des Ausweises des Klägers und die spätere Wiederaushändigung sind nicht zu beanstanden. Die Personalien der Betroffenen können mit
polizeilichen Daten verglichen werden, um auf diese Weise polizeibekannte und als gefährlich eingeschätzte Personen herauszufiltern und gegebenenfalls durch Ingewahrsamnahme von der Teilnahme an der Veranstaltung abzuhalten
(Lisken/Denninger, a.a.O., E RdNr. 348).
Gleiches gilt für die Durchsuchung des Klägers sowie seiner mitgeführten Sachen, falls er solche bei sich geführt haben sollte.
Die Befugnis zur Durchsuchung von Personen und ihrer mitgeführten Sachen an Kontrollstellen ergibt sich aus Art. 21 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 6 PAG (vgl. zu Art. 21 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 Nr. 6 PAG:
Schmidbauer/Steiner, a.a.O., Art. 13 RdNr. 13). Wird die Identität von Personen an einer Kontrollstelle festgestellt, die eingerichtet worden ist, um Straftaten nach Art. 20 BayVersG zu verhindern, so können diese Personen auf Grund
von Art. 21 Abs. 2 PAG nach Waffen oder sonstigen gefährlichen Gegenständen oder Ausrüstungen der sogenannten ‚Passivbewaffnung' (Art. 16 BayVersG) durchsucht werden, was in diesem Fall dem Sinn der Kontrollstelle
entspricht (Honnacker/Beinhofer, a.a.O., Art. 21 RdNr. 18). Art. 21 Abs. 2 PAG dient der Eigensicherung der Polizeibeamten und des sonstigen Personals sowie der Sicherung Dritter (Honnacker/Beinhofer, a.a.O., Art. 21 RdNr. 11).
Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 PAG ergänzt Art. 21 PAG und legt fest, dass Sachen durchsucht werden dürfen, die von einer Person mitgeführt werden, die nach Art. 21 PAG durchsucht werden darf. Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 PAG schließt auch die
Durchsuchung nach Art. 21 Abs. 2 PAG ein (Honnacker/Beinhofer, a.a.O., Art. 22 RdNr. 3).
Der Kläger macht nicht geltend, dass die Durchsuchung über das normale und übliche Maß hinausgegangen sei, so dass auch die Durchsuchung des Klägers und seiner mitgeführten Sachen nicht zu beanstanden ist.
Durch die Identitätsfeststellung und Durchsuchung an der Kontrollstelle sowie die Art und Weise der Durchführung ist der Kläger auch weder in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit noch in seiner Menschenwürde berührt
worden. Die Kontrollen dienten einzig dem legitimen Zweck, die ordnungsgemäße und gewaltfreie Durchführung der Versammlung zu gewährleisten. Die Polizei hat mit Einrichtung und Durchführung der Kontrollstelle ein
erforderliches und verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung dieses Ziels gewählt. Einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Hinblick darauf, dass Gegendemonstranten am 9. Oktober 2010 nicht in gleichem Maße von den
eingerichteten Kontrollstellen erfasst wurden, kann der Kläger nicht geltend machen. Wie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert hat, machen Kontrollstellen im Gegensatz zu selektiven
Kontrollen im Hinblick auf die individuelle Anreise von Gegendemonstranten und Störern keinen Sinn.
Die Maßnahmen waren daher insgesamt rechtmäßig. ..." (VG Würzburg, Urteil vom 11.07.2013 - W 5 K 11.372)
***
Es wird festgestellt, dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen, die anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin durch den Beklagten erfolgt ist, rechtswidrig war (VG Berlin, Urteil vom
26.04.2012 - VG 1 K 818.09):
„... Der Kläger begehrt die Unterlassung von polizeilichen Maßnahmen der Bild- und Tonaufnahmen und -aufzeichnung im Zusammenhang mit Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bzw. die Feststellung deren Rechtswidrigkeit.
Der Kläger ist Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der sich mit Fragen der Innen- und Rechtspolitik befasst und zu diesem Zweck u.a. jährlich in den Monaten September oder Oktober eine Versammlung mit
bundesweiter Mobilisierung unter dem Motto ‚Freiheit statt Angst' in Berlin organisiert. Die Versammlungen fanden bisher am 22. September 2007, am 11. Oktober 2008, am 12. September 2009, am 11. September 2010 und zuletzt
am 10. September 2011 statt, wobei der Kläger nach seinen Angaben an allen diesen Aufzügen teilnahm.
Bei den Aufzügen 2009 und 2010 fertigte der Beklagte von einem an der Spitze der Versammlungen fahrenden Fahrzeug Übersichtsaufnahmen der Demonstrationszüge an. Im Vorfeld des Aufzugs 2009 hatte der Beklagte eine
Gefahrenprognose erstellt, wonach bei der Versammlung mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechnen sei. So hätten an den Versammlungen in den Jahren 2007 und 2008 Personen aus der linksradikalen und
linksextremistischen Szene teilgenommen, die mit Polizeikräften und anderen Versammlungsteilnehmern zusammengestoßen seien. Zudem hätte die Erkenntnis vorgelegen, dass Mitglieder des ‚Antikapitalistischen Blocks' an der
Versammlung teilnehmen wollten, die zuvor im März 2009 bei einem anderen Aufzug durch massive Gewalttätigkeiten aufgefallen seien. Nach Polizeiangaben nahmen im September 2009 am Aufzug etwa 700 Angehörige des
‚Antifaschistischen Blocks' teil, aus deren Bereich es zu Flaschenwürfen in Richtung eingesetzter Polizeibeamter kam.
Vom Kläger gestellte Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen zur Verhinderung von polizeilichen Film- und Fotoaufnahmen bei den Aufzügen in den Jahren 2010 und 2011 blieben erfolglos (Beschlüsse der Kammer vom
8. September 2010 - VG 1 L 226.10 - und vom 7. September 2011 - VG 1 262.11 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. September 2011 - OVG 1 S 157.11 -).
Mit seiner am 24. September 2009 erhobenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten, es künftig zu unterlassen, im Zusammenhang mit diesen Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen von ihm zu fertigen oder fertigen zu lassen
oder entsprechende Aufnahmegeräte auf ihn zu richten oder richten zu lassen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 12a VersammlG vorliegen.
Zur Begründung seiner Klage führt er aus, er sei auf diesen Versammlungen von der Polizei wiederholt, pauschal und ohne äußeren Anlass gefilmt und fotografiert worden. Er sei dabei sowohl von auf Fahrzeugen montierten Kameras
als auch von tragbaren Geräten erfasst worden. Dies zeige z.B. eine von ihm gefertigte Filmaufnahme des Aufzugs vom 12. September 2009, welche einen friedlichen Versammlungsverlauf belege, bei der er aber dennoch von einer
Kamera auf einem Polizeifahrzeug gefilmt worden sei. Zudem habe er zeitweise das Transparent an der Spitze des Aufzugs getragen und sei daher der Aufnahme durch das voranfahrende Polizeifahrzeug ausgesetzt gewesen. Auch
beim Aufzug vom 11. September 2010 sei er wiederholt - nach seiner Beobachtung viermal - z.T. auch verdeckt anlasslos gefilmt worden. Außerdem habe er erneut das Fronttransparent getragen. Er sei hiernach betroffen gewesen. Da
der Beklagte im Übrigen im Bezug auf den Aufzug vom 12. September 2009 einräume, seine Kamerawagen an strategischen Stellen entlang der Wegstrecke des Aufzugs aufgestellt zu haben, sei es für ihn schlechterdings nicht
möglich gewesen, nicht von einer Filmaufnahme betroffen zu sein.
Die anlassunabhängige Überwachung von Versammlungen durch Bild- und Tonaufnahmen greife in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ein. Wer bei der Ausübung dieses Grundrechts mit einer staatlichen
Überwachung rechnen müsse, verzichte möglicherweise aufgrund der Einschüchterungswirkung auf seine Teilnahme. Zudem sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Ferner entstünden für die
Versammlungsteilnehmer weitere Risiken (z.B. das einer ungerechtfertigten Strafverfolgung) durch die Möglichkeit einer automatischen Gesichtserkennung oder einem etwaigen missbräuchlichen oder fahrlässigen Umgang mit den
Aufzeichnungen bei den Polizeibehörden. Ein solcher Grundrechtseingriff sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei § 19a VersammlG i. V. m. § 12a VersammlG nicht einschlägig, da hierfür eine gesicherte Gefahrenprognose
erforderlich sei, die es in seinem Falle nicht gegeben habe. Für § 12a VersammlG sei gerade erforderlich, dass die erhebliche Gefahr von der Versammlung ausginge. Dies sei bei der Versammlung von 2009 nicht der Fall gewesen.
Dem Vorbringen des Beklagten, es sei in 2009 zu Straftaten gekommen, könne nicht gefolgt werden, da eine derartige Feststellung einer strafgerichtlichen Entscheidung bedürfe. In jedem Falle habe sich der Kläger weder an Störungen
beteiligt noch habe es in seiner Umgebung derartige Vorfälle gegeben. Außerdem stehe er nicht in Verbindung mit radikalen oder extremistischen Gruppen. Gleichfalls könne die Gefahrenprognose des Beklagten die
Voraussetzungen nicht stützen. Geschehnisse aus der Vergangenheit könnten keine Anhaltspunkte für eine Gefahr darstellen. Der Kläger bestreitet zudem eine nennenswerte Teilnahme von Anhängern des antikapitalistischen Blocks
bei der Versammlung. Es könne in diesem Zusammenhang auch nicht angehen, dass die Teilnahme einer Minderheit Eingriffe in die Grundrechte der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer bedinge. In Bezug auf den Aufzug von
2010 habe der Beklagte sogar gegenüber der Presse erklärt, dieser sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Ein Rückgriff auf die Normen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts sei wegen der Spezialität des Versammlungsrechts nicht möglich.
Auch seien bloße Übersichtsaufnahmen nicht zulässig, da damit § 12a VersammlG umgangen werde, zumal der Aufnahmezweck für den einzelnen Versammlungsteilnehmer nicht erkennbar sei und gleichfalls eine abschreckende
Wirkung eintrete. Im Übrigen seien Übersichtsaufnahmen auch unnötig, da eine Abstimmung der Polizeikräfte auch mit Polizei- oder Mobilfunk möglich sei. Eine Notwendigkeit, die Aufnahmen zur Beweissicherung zu verwenden,
sei nicht gegeben, da es jedenfalls in der Person des Klägers an entsprechenden Vorfällen fehle. Auch der Verweis auf die erwartete hohe Teilnehmerzahl sei untauglich. Würde man ab einer bestimmten Teilnehmerzahl stets eine
abstrakte Gefahr annehmen, würden die strengen Voraussetzungen des § 12a VersammlG fast immer vorliegen. Außerdem seien auch im Rahmen von Übersichtsaufnahmen Einzelpersonen individualisierbar, sodass hierin auch ein
Grundrechtseingriff liege. Dieser entfalle im Übrigen auch nicht deshalb, weil sich der Betroffene im öffentlichen Raum bewege oder von der Maßnahme wisse. Es sei auch unerheblich, dass die gemachten Aufnahmen nicht dauerhaft
gespeichert würden, sondern nur nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen worden seien. Es trete der gleiche Einschüchterungseffekt ein, zumal ein Versammlungsteilnehmer die Art der Aufnahme von außen nicht erkennen
könne. Auch bei Echtzeitübertragungen ohne dauerhafte Aufzeichnung bestehe eine Missbrauchsgefahr, da diese mit Funksignalen übertragen würden, die ohne Verschlüsselung mit geringem technischen Aufwand von Unbefugten
eingesehen und mitgeschnitten werden könnten. Schließlich würde aus ähnlichen Erwägungen bereits vom Richten einer ausgeschalteten Kamera auf Versammlungsteilnehmer eine einschüchternde Wirkung und damit ein
Grundrechtseingriff ausgehen. Der Kläger bezweifelt, dass eine generelle Weisung des Polizeipräsidenten in der Einsatzrealität wirklich umgesetzt werde.
Nachdem der Kläger verschiedene Klageanträge angekündigt hat, beantragt er nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger auf rechtmäßigen Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die anlassunabhängige Überwachung durch Staat und Wirtschaft zum Thema haben, unter
freiem Himmel in Berlin zu filmen, zu fotografieren, akustisch aufzuzeichnen oder eine Kamera auf diesen zu richten, solange nicht tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger oder in dessen unmittelbarem
räumlichen Umfeld befindliche Personen, Tiere oder Sachen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblicher Weise gefährden,
2. hilfsweise festzustellen, dass Übersichtsaufnahmen anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, die Klage sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Kläger habe schon nicht schlüssig dargelegt, dass er von einer Übersichtsaufnahme betroffen gewesen
sei oder es alsbald und beliebig sein könne. Auch habe es Bild- und Tonaufnahmen zu den vom Kläger angegebenen Orten und Zeiten nicht gegeben. Übersichtsaufnahmen habe es nur an der Spitze des Aufzugs gegeben, wovon der
Kläger bereits nach seinem eigenen Vortrag gar nicht hätte betroffen sein können. Es sei auch sonst nicht festzustellen, dass er durch die Bilddokumentation tatsächlich betroffen wäre. Der Kläger habe vielmehr nicht substantiiert
vorgetragen, dass er bei der Versammlung am 12. September 2009 aufgenommen worden sei. Er müsse die fraglichen, seine Grundrechte beeinträchtigenden Maßnahmen nach Art, Zusammenhang, Zeitpunkt und Ort konkret
benennen. Allein die Tatsache der Teilnahme an der Versammlung rechtfertige die Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung noch nicht. Aus dem gleichen Grunde fehle dem Kläger auch im Falle einer etwaigen Umstellung auf
eine Feststellungsklage dahin, dass die Maßnahmen des Beklagten beim Aufzug am 12. September 2009 rechtswidrig gewesen seien, das erforderliche Feststellungsinteresse.
Da dem Kläger durch die Anfertigung von Bildaufnahmen nicht von vornherein eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte drohe, sei die Klage überdies auch unbegründet. Würde man dennoch von einer Grundrechtsbetroffenheit des
Klägers ausgehen, so wäre dieser Eingriff in jedem Falle gerechtfertigt, denn er könne wegen der gesicherten Gefahrenprognose auf § 12a VersammlG gestützt werden. Der tatsächliche Verlauf des Aufzugs im September 2009 habe
die getroffene Prognose bestätigt. Daher seien bei der Versammlung sowohl situativ, etwa im Zusammenhang mit Einzelmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten, als auch in Form von Überblicksaufnahmen Videoaufnahmen
gefertigt worden. Der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen komme dabei eine weniger einschneidende Wirkung zu. Zudem komme dem Einschüchterungseffekt durch die Präsenz einer Kamera nur dann durchschlagende Kraft zu,
wenn eine durch die Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nach den Umständen nicht erforderlich sei. Umgekehrt seien Übersichtsmaßnahmen zur Durchführung des Polizeieinsatzes bei einer
entsprechenden Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich, wovon man bei einer erwarteten Teilnehmerzahl von 20.000 Personen ausgehen müsse. Die Übersichtsaufnahmen seien daher - auch im Sinne einer
versammlungsfreundlichen Einsatzbewältigung - rechtmäßig. Zudem mache es objektiv keinen Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Versammlung durch eine Sehhilfe beobachte oder ob die Bilder in Echtzeit und ohne
Aufzeichnung in eine Befehlsstelle übertragen würden.
Der Beklagte verweist abschließend darauf, dass nach aktueller Weisungslage des Polizeipräsidenten in Berlin, basierend auf dem Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010, derzeit durch die Polizei keine Filmaufnahmen, auch keine
Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen angefertigt würden. Diese generelle Weisung werde in jeden einzelnen Einsatzbefehl bei Versammlungen aufgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten VG 1 L 226.10 und VG 1 L 262.11 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen. ...
Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. unzulässig. Für die Verurteilung zur vorbeugenden Unterlassung der benannten Film- und Fotoaufnahmen fehlt es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der für den Erfolg einer
Unterlassungsklage erforderlichen Wiederholungsgefahr. Aufgrund der im Blick auf das Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010 (VG 1 K 905.09, juris) aktuell bestehenden Anordnungslage des Polizeipräsidenten in Berlin durch dessen
generelle Weisung vom 3. August 2010 ist nicht davon auszugehen, dass derzeit bei Versammlungen in Berlin durch die Polizei Film- und Fotoaufnahmen gefertigt werden, sofern nicht die Voraussetzungen der §§ 19a, 12a
VersammlG vorliegen. Der Polizeipräsident hat in seiner generellen Weisung klargestellt, dass ‚Übersichtsaufnahmen, die nicht an tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich einer bevorstehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung gebunden sind, … bei der gegebenen Rechtslage nicht mehr angefertigt werden' können und deshalb unzulässig sind. Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte dürfen zwar nach wie vor mitgeführt werden, weil ein
Einsatz im Rahmen der §§ 19a, 12a VersammlG erforderlich sein könnte, allerdings sei ‚darauf zu achten, dass dieses Mitführen/Begleiten der Versammlung so geschieht, dass nicht der Eindruck entstehen kann, es werde bereits aufgezeichnet.'
Die Kammer hat keine Veranlassung anzunehmen, diese Weisung des Polizeipräsidenten werde bei konkreten Versammlungen, so auch des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, nicht beachtet. Bei der durch eine klare
Befehlsstruktur gekennzeichneten Polizeibehörde muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass eine solche generelle Weisung des Behördenleiters von allen nachgeordneten Einsatzkräften beachtet wird, noch dazu wird nach
Darstellung des Beklagten diese Weisung auch zum Bestandteil der jeweils konkreten Einsatzbefehle gemacht. Dass eventuell einzelne Beamte weisungswidrig doch Film- und Fotoaufnahmen fertigen und dadurch ein
disziplinarrechtlich relevantes Verhalten zeigen, rechtfertigt nicht die Annahme einer Wiederholungsgefahr, denn hierfür muss vom rechtmäßigen Handeln der Polizeibeamten, also aufgrund der Weisungslage, ausgegangen werden.
Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Klageantrags zu 2. ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig. Die Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung durch Einsatzkräfte der Polizei stellte einen
Realakt dar. Da dieser sich bereits erledigt hat, kann das diesbezügliche staatliche Handeln zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das feststellungsfähige und konkrete Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO
ergibt sich aus der durchgeführten polizeilichen Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlung. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger, der an den Versammlungen des Arbeitskreises teilgenommen und
nach seinen Darlegungen mehrfach in den vorderen Reihen der jeweiligen Aufzüge gelaufen ist, der unstreitig erfolgten polizeilichen Beobachtung ausgesetzt war. Das berechtigte Interesse des Klägers nach § 43 Abs. 1 VwGO an der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten polizeilichen Maßnahmen ist bereits durch die Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis folgt ebenfalls aus der Möglichkeit eines Eingriffs in die Grundrechte des Klägers. Nach
Vortrag des Klägers hat dieser auch an den Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung teilgenommen; Zweifel an der Richtigkeit dieser Darlegung sind weder ersichtlich noch konkret dargetan.
Die Klage ist mit dem Hilfsantrag auch begründet. Die Überwachung der bisherigen Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in den Jahren 2010 und früher durch den Beklagten mittels Bild- und
Tonaufnahmegeräten war rechtswidrig.
In ihrem Urteil vom 5. Juli 2010 hat die Kammer zu einem vergleichbaren Sachverhalt folgendes ausgeführt:
‚Die Beobachtung der Versammlung am 5. September 2009 mittels eines Video-Wagens der Polizei und die Übertragung der so gewonnen Bilder in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip - ohne Einverständnis der Teilnehmer -
stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) dar und bedurfte somit einer Rechtsgrundlage. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw.
Wahrnehmung des Grundrechts zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch
ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -,
BVerfGE 105, 279, 300). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich jedenfalls für die speziellen Grundrechte
durchgesetzt hat, lässt für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni
2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 299 - 301).
Daran gemessen stellt die Beobachtung der Versammlung im Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Denn wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine
Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten
möglicherweise gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl 2007, 497 - 502). Durch diese Einschüchterung der Teilnehmer könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und
demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden (VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 13). Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft
gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich
registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des
Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen
Gemeinwesens ist (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 43 - Volkszählung; BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 369).
Es macht hier keinen Unterschied, ob die durch die Polizei gefertigten Aufnahmen auch gespeichert wurden, denn das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln
knüpft einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Teilnehmer an. Demnach ist die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip auch geeignet, bei den Teilnehmern ein
Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese - wenn auch ungewollt - in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Ob die Aufnahmen tatsächlich auch gespeichert wurden, kann
der einzelne Versammlungsteilnehmer nicht wissen.
Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte der Polizei in dem Übertragungswagen dem Kläger zu 2.) erklärten, es fände keine Aufzeichnung der Bilder statt, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Zum einen wurde dies nicht allen
Versammlungsteilnehmern kundgetan. Zum anderen bleibt die einschüchternde Wirkung des für alle Teilnehmer deutlich sichtbaren und ständig vorausfahrenden Übertragungswagens erhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer
muss ständig damit rechnen, durch eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen) individuell und besonders beobachtet zu werden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist dies generell möglich, so
dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen nicht mehr besteht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369; VG Münster,
Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass die technische Möglichkeit, die Übersichtsaufnahmen auch zu speichern, dem Grunde nach besteht und jederzeit mittels Knopfdruck erfolgen kann - auch
versehentlich. Insofern verweist der Beklagte zu Unrecht darauf, dass hier kein Unterschied zu einem die Sachlage beobachtenden Polizeibeamten vor Ort vorliege. Dieser würde die Versammlungsteilnehmer - in der Regel abseits
stehend - wohl kaum in derselben Weise irritieren, wie ein nur wenige Meter vor ihnen herfahrender Übertragungswagen, der fortlaufend mehrere Kameras auf sie gerichtet hat.
Das Beobachten der Versammlungsteilnehmer stellt ferner einen Eingriff in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken der
Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR
209/83 -, BVerfGE 65, 1, 41 - 42 - Volkszählung). Ob sich die Klägerin zu 1.) als juristische Person auf die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht berufen kann (Art. 19 Abs. 3 GG), kann dahingestellt bleiben, da
zumindest der Kläger zu 2.) die Verletzung dieses Grundrechts erfolgreich rügen kann. Bereits die Beobachtung der Versammlungsteilnehmer im Kamera-Monitor-Verfahren, ohne eine Speicherung der Daten, stellt einen Eingriff dar,
denn die Beobachtung, Auswertung und Speicherung der Daten stellt aus der Sicht der betroffenen Versammlungsteilnehmer einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A
3375/07 - juris Rn. 39 - Videoüberwachung einer Universitätsbibliothek). Es besteht jederzeit die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu
erfassen. Durch die so aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt
(VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 - 507 (500) - Videoüberwachung im öffentlichen Verkehrsraum; VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. April 2004 - 3 K 1344/04 - juris Rn. 27 -
Videoüberwachung eines Volksfestes; Roggan, Die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen - Oder: Immer mehr gefährliche Orte für Freiheitsrechte, NVwZ 2001, 134, 136; zur Grundrechtsgefährdung als Eingriff vgl. Sachs in:
ders., GG, 5. Aufl. 2009, Vor Art. 1 RdNr. 95 m.w.N.).
Da die Beobachtung der Versammlung vom 5. September 2009 sowohl einen Eingriff in den Schutzbereichs der vorrangigen Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG als auch in den der informationellen Selbstbestimmung aus Art.
2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, bedurfte es zu dessen Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang der Beschränkungen erkennbar ist. Eine solche Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden.
Von der im Zuge der Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) hat das Land
Berlin bisher keinen Gebrauch gemacht. Als Rechtsgrundlage für die Videobeobachtung der Versammlung am 5. September 2009 kommt somit lediglich § 12a Abs. 1 S. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) i.V.m. § 19a VersG in
Betracht. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen
erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 1 S. 2 VersG dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese Voraussetzungen liegen
nicht vor, da zum Zeitpunkt des Aufzuges keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar waren, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Eine
Gefahrenprognose im Vorfeld des Aufzuges am 5. September 2009 in Berlin, welche ein polizeiliches Eingreifen erforderlich gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte selbst trägt vor, der Aufzug sei friedlich und störungsfrei
verlaufen. Dass es im Voraus zu einigen Zusammenstößen mit der Polizei am Schacht Asse oder in Morsleben kam, ändert hieran nichts. Ob dies der Klägerin zu 1.) zugerechnet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Diese
Zusammenstöße mit der Polizei betrafen - wie von dem Beklagten zutreffend formuliert - ‚Reizobjekte.' Eine derartige Gefährdungslage bestand innerhalb Berlins ohnehin nicht. Der von dem Beklagten dokumentierte und mittels
Videokamera aufgezeichnete Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal, wo eine unbekannte Person selbiges bestiegen hatte, datierte vom 29. August 2009 und betraf offenbar eine andere Veranstaltung. Ein möglicher Hausfriedensbruch
durch eine Einzelperson wäre überdies nicht geeignet, ein polizeiliches Einschreiten gegen die gesamte Versammlung zu rechtfertigen. Auch der Beklagte selbst sieht den Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal nicht im Zusammenhang
mit dem Aufzug der Klägerin zu 1.). Darüber hinaus war die Beobachtung des Aufzuges durch die Polizei nicht auf Gefahrenabwehr gerichtet. Der Beklagte selbst trägt vor, keine Gefahrenlage erkannt zu haben, sondern lediglich
Übersichtsaufnahmen zum Zwecke der Lenkung und Leitung in die Einsatzleitstelle übertragen zu haben. Daran muss er sich messen lassen.
Andere Rechtsgrundlagen für das polizeiliche Handeln sind nicht ersichtlich. Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht des Landes Berlin zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nicht möglich (BVerfG, Beschluss vom
26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 - 81; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34, 38; VGH Mannheim, Urteil vom 26. Januar 1998 - 1 S 3280/96 -, DVBl 1998, 837, 839). Ein Rückgriff
auf das allgemeine Polizeirecht wäre lediglich zum Schutz der Versammlung oder als milderes Mittel gegenüber einer tatbestandlich zulässigen Auflösung möglich. Diese Fälle liegen indes nicht vor.
Aufgrund des Eingriffscharakters des polizeilichen Handelns bedurfte dieses gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Die durch den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 12a VersG geäußerte Auffassung, die
bloße Videobeobachtung einer Versammlung - ohne eine Speicherung der Aufnahmen - sei wohl kein Grundrechtseingriff, da der Einzelne aufgrund mangelnder technischer Möglichkeiten nicht individualisierbar gemacht werden
könne (BT-Drs. 11/4359, S. 17), ist mittlerweile überholt (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369). Die gegenteilige Ansicht des Beklagten ist nicht zutreffend. Sein Hinweis, das
polizeiliche Handeln habe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestanden, da die vorliegende Versammlung aufgrund ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zur Lenkung und Leitung habe überwacht
werden können (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 - 373), geht fehl. Denn der maßgebliche Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall ist der, dass das betroffene Land Bayern eine
eigens die Übersichtsaufnahmen einer Versammlung gestattende gesetzliche Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz des Landes Bayern geschaffen hatte. Dessen Anwendbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht sodann einstweilen
auf die Fälle unübersichtlicher Großdemonstrationen beschränkt. An einer derartigen Rechtsgrundlage fehlt es jedoch im Land Berlin. Das Bundesverfassungsgericht selbst scheint die grundsätzliche Notwendigkeit einer gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage ebenfalls vorauszusetzen.'
An diesen Ausführungen hält die Kammer auch im hier zur Entscheidung stehenden Verfahren fest. Es fehlt weiterhin an einer Rechtsgrundlage für die bis zum Jahr 2010 erfolgten anlassunabhängigen Beobachtungen der vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veranstalteten Versammlungen in Berlin. Nach dem im Land Berlin weiterhin geltenden Versammlungsgesetz des Bundes sind die §§ 19 a und 12 a VersammlG die einzigen Normen, aufgrund
derer Bild- und Tonaufnahmen angefertigt werden dürfen. Deren Voraussetzungen lagen bei den hier streitigen Aufnahmen aber offensichtlich nicht vor. Ein gesondertes Versammlungsgesetz nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts für Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen hat das Land Berlin noch nicht erlassen. ..."
***
Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die
Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt. Das bloße Beobachten und
Anfertigen von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, überschreitet die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich
der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und zu bestimmten, aus seiner Sicht den beobachtenden Polizeibeamten
gerecht werdenden Verhaltensweisen veranlasst oder sogar von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer ist es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine
Speicherung der Daten erfolgt. Die §§ 12a und 19a des Versammlungsgesetzes stellen keine Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Übersichtsaufnamen zur Lenkung und Leitung während einer Versammlung dar, sofern nicht eine
erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen während einer Versammlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 - 1 K 905.09).
***
Videobeobachtung der Teilnehmer einer Versammlung (VG Münster, Urteil vom 21.08.2009 - 1 K 1403/08 zu Art 2 II, 1 I, 8 I GG, § 12a I 1 VersammlG u.a.):
„... Sie ist als Feststellungsklage gem. § 43 VwGO zulässig. Die Videobeobachtung der Teilnehmer einer Versammlung stellt einen Realakt dar, der, wenn er sich wie hier erledigt hat, Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann.
Ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis ergibt sich daraus, dass der Kläger als Versammlungsteilnehmer von den Videoaufnahmen erfasst wurde. Das gem. § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen des Beklagten liegt in der hinreichend wahrscheinlichen Wiederholungsgefahr sowie der Grundrechtsrelevanz begründet, da das Videobeobachten von Versammlungsteilnehmern
ohne deren Einwilligung einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) bedeuten kann. Auch eine Klagebefugnis in
entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben, weil der Kläger als Versammlungsteilnehmer durch die beanstandete Maßnahme möglicherweise in seinen Grundrechten verletzt ist.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 in N. , Thema: „Urantransporte stoppen", rechtswidrig war. Das Richten einer
aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer nebst Übertragung der Bilder auf einen Monitor verletzte den Kläger in seinen Grundrechten.
Die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 ohne Einverständnis der Betroffenen bedurfte auch als tatsächlicher Vorgang einer Rechtsgrundlage, da sie in das Versammlungsrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und das allgemeine
Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingriff. Die Videobeobachtung beeinträchtigt die innere Versammlungsfreiheit. Aus Sorge vor
staatlicher Überwachung bei der Ausübung des Grundrechtes aus Art. 8 Abs. 1 GG könnten Bürger von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden oder sich in dieser nicht frei bewegen. Das Bewusstsein, dass die
Teilnahme an einer Versammlung festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Wer damit rechnen muss, dass die Teilnahme an
einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seines Grundrechtes verzichten.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481; BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65,1 - zur Volkszählung.
Auch die bloße Videobeobachtung, die allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, ist in
verfassungsrechtlich relevanter Weise geeignet, die Grundrechtsausübung zu behindern. Die faktische Beeinträchtigung überschreitet die Schwelle zur eingriffsgleichen Belastung. Versammlungsteilnehmer könnten sich durch die
Kamerapräsenz und die damit verbundene Möglichkeit gezielter Beobachtung einzelner Personen veranlasst sehen, ihre Versammlungsfreiheit nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass die Aufnahmen „flüchtig" sind und nur eine unmittelbare, zeitgleiche Auswertung des Bildmaterials am Monitor zulassen. Für den Teilnehmer ist regelmäßig nicht erkennbar, ob eine auch auf ihn gerichtete Kamera
lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor überträgt oder aber zeitgleich darüber hinaus die Speicherung auf Datenträgern erfolgt.
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass dem Versammlungsleiter und auch dem Kläger, nachdem während der Versammlung Diskussionen über die eingesetzte Kamera zwischen Teilnehmern und der Polizei aufgekommen
waren, durch die Polizeibeamten mitgeteilt wurde, eine Aufzeichnung erfolge nicht, solange die Versammlung einen friedlichen Verlauf nehme. Für Versammlungsteilnehmer und Außenstehende klar erkennbar war hier während des
gesamten Weges ein Fahrzeug mit daran befestigter Kamera dem Demonstrationszug vorausgefahren. Diese Vorgehensweise in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten einer Videokamera mit Bildübertragung - wie etwa
Weitwinkel, Zoom, Aufnahmefunktion - vermag auch im Falle der Information über den Umfang der Maßnahmen durch die Polizei eine besondere Einschüchterung zu bewirken und damit in verfassungsrechtlich relevanter Weise auf
die Ausübung der Versammlungsfreiheit einzuwirken. Wer weiß, dass er als Versammlungsteilnehmer am Monitor überwacht wird, wer jederzeit ohne Kenntnis des Zeitpunktes befürchten muss, dass er „herangezoomt" und damit als
Individuum registriert wird, wer nicht wahrnehmen kann, wann bei der aufnahmebereiten Kamera beabsichtigt oder gar versehentlich der Aufnahmeknopf betätigt wird, wird sich insbesondere gravierender beeinflusst fühlen und sich
daher - das gibt der Beklagte ja gerade zur Begründung seines Kameraeinsatzes an - möglicherweise anders verhalten, als derjenige, der lediglich durch Polizeibeamte ohne Einsatz technischer Hilfsmittel wahrgenommen oder mit
einem Fernglas beobachtet wird.
Darüber hinaus beeinträchtigte die Videobeobachtung der Versammlungsteilnehmer das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art.
1 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über
die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497; BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65,1.
Schon die Beobachtung mittels Bildübertragung (sog. Kamera-Monitor-Prinzip) ohne Speicherung der aufgenommenen Bilder greift in den Schutzbereich dieses Grundrechtes ein.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497 (zur Videoüberwachung eines Kunstwerkes im öffentlichen Raum); OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, vorhergehend VG N. ,
Urteil vom 19. Oktober 2007 - 1 K 367/06 (zur Videobeobachtung in einer Institutsbibliothek der Universität); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 (zur Videoüberwachung öffentlicher
Verkehrsräume Mannheims); VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. Juli 2004 - 3 K 1344/04 -, juris (zur Videoüberwachung eines Volksfestes); siehe auch Kloepfer/Breitkreutz, Videoaufnahmen und Videoaufzeichnungen als
Rechtsproblem, DVBl. 1998, 1149 (1152); Robrecht, Polizeiliche Videoüberwachung bei Versammlungen und an Kriminalitätsschwerpunkten, Neue Justiz 2000, 348ff.
War die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni 2008 ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG und des - wohl subsidiären, jedenfalls keinen weiter reichenden Schutz vermittelnden -
Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, so bedurfte dieser zu seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der
Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. An einer solchen Rechtsgrundlage fehlte es hier.
Als Ermächtigungsnorm für die Videobeobachtung kommt einzig § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG, auf den § 19a VersammlG für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge verweist, in Betracht. Nach dieser Vorschrift darf
die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 VersammlG auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, die als sog. Minusmaßnahme auch eine bloße Videobeobachtung ohne Speicherung des Datenmaterials erlauben würde, waren nicht gegeben. Es fehlte schon an tatsächlichen
Anhaltspunkten für die Annahme, dass von Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Ob § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG, der grundsätzlich nur zu Bild- und
Tonaufnahmen von Störern (und unvermeidbar betroffenen Dritten) ermächtigt, auch die hier erfolgte Videobeobachtung einer kompletten Versammlung erlaubt, bedarf daher ebenso keiner weiteren Erörterung wie die Frage der
Verhältnismäßigkeit des Kameraeinsatzes bei der Versammlung am 4. Juni 2008.
Der Beklagte gibt als Zweck des Mitführens der Kamera an, es habe sich um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr sowie zur anlassbezogenen Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten gehandelt. Er habe eventuelle
Eingriffe in den Bahnverkehr (insbesondere im Bereich D.Straße) sowie sonstige Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch die Versammlungsteilnehmer verhindern bzw. sich in den Stand versetzen wollen, erforderlichenfalls
solche beweissicher dokumentieren zu können.
Die Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten begründet nicht die erforderliche erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Auch die bloße (abstrakte) Möglichkeit von Gefahren für die öffentliche Sicherheit - etwa
aufgrund der gewählten Demonstrationsroute nahe des Gleisbereichs -, ein bloßer Verdacht oder entsprechende Vermutungen sowie das vom Beklagten erwähnte „nie von vornherein auszuschließende Risiko", dass Versammlungen
„einen unvorhersehbaren und ggf. Gefahren begründenden Verlauf" nehmen, reichen im Rahmen des § 12a Abs. 1 Satz 1 VersammlG nicht aus. Dass eine Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, ist schon nach dem Wortlaut der
Vorschrift nicht hinreichend und genügt auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Beschränkungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.
vgl. zu § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078.
Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte - etwa aus Vorbereitungstreffen, Internetaufrufen, Flugblättern oder Verhaltensweisen von Teilnehmern im unmittelbaren Vorfeld oder in der Versammlung selbst - für eine erhebliche Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungsteilnehmer gab es vorliegend nicht.
Auf den flüchtigen Unbekannten im Schienenbereich nahe der D.Straße konnte sich der Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil diese Person ersichtlich nicht Versammlungsteilnehmer war. Zur Zeit ihrer Entdeckung lief die
Auftaktkundgebung am Berliner Platz, im Übrigen wurden zurückgelassene Sprayerutensilien aufgefunden. Soweit der Beklagte auf Vorkommnisse anlässlich früherer Urantransporte verwiesen hat, begründeten diese gerade keine
tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass von Versammlungsteilnehmern der hier streitgegenständlichen Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen, insbesondere gefährliche Eingriffe in
den Schienenverkehr zu erwarten waren. Anlässlich früherer Transporte in der Region war es lediglich zu Störungen durch einzelne Aktivisten außerhalb von Demonstrationen gekommen. Versammlungen an Bahnhöfen oder nahe der
Bahnstrecke, die im Übrigen nicht vom Kläger veranstaltet wurden,
vgl. zum Erfordernis der Zurechnung früherer Vorkommnisse zum Veranstalter bei § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 u.a. -, NJW 2001, 2072,
waren friedlich verlaufen, etwaigen Eingriffen in den Schienenverkehr war die Polizei vorsorglich durch Absperrungen bzw. Platzverweise begegnet. Auch in der Versammlung am 4. Juni 2008 selbst ergaben sich keine Hinweise auf
Gefahren durch Versammlungsteilnehmer. Zwar gab es Wortgefechte zwischen Teilnehmern (u. a. dem Kläger) und der Polizei über den Kameraeinsatz, hinreichende Anhaltspunkte für von dem Kläger oder anderen
Versammlungsteilnehmern ausgehende erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ergaben sich daraus allerdings nicht.
Andere Ermächtigungsgrundlagen für die Videobeobachtung der Versammlung sind nicht ersichtlich - selbst wenn man den Grundsatz der Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts nach der Änderung der Gesetzgebungskompetenz
aus generellen Gründen oder aber aus solchen des hier zu entscheidenden Einzelfalles nicht für anwendbar hielte. Die polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlagen sind nicht einschlägig. § 15 Abs. 1 PolG NRW, der im Übrigen nur zu
Datenerhebungen bei Veranstaltungen oder Ansammlungen ermächtigt, die keine Versammlungen sind, setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden,
woran es hier aus den dargelegten Gründen fehlte. § 15a Abs. 1 PolG NRW erlaubt die Videobeobachtung zur Verhütung von Straftaten an - hier jedenfalls nicht für die gesamte Demonstrationsroute zu bejahenden -
Kriminalitätsschwerpunkten und fordert ebenfalls Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass (an diesem Ort weitere) Straftaten begangen werden. Nach § 29 b DSG NRW ist die nicht mit einer Speicherung verbundene
Beobachtung öffentlich zugänglicher Bereiche mit optisch- elektronischen Einrichtungen nur dann zulässig, soweit dies der Wahrnehmung des Hausrechts dient - und zudem keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige
Interessen betroffener Personen überwiegen. § 81 b StPO, der ohnehin nach § 12a Abs. 3 VersammlG unberührt bleibt, erlaubt die Aufnahme von Lichtbildern lediglich für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder des Erkennungsdienstes.
Der Beklagte kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, einer gesetzlichen Grundlage habe es hier nicht bedurft, weil lediglich Übersichtsaufnahmen erstellt worden seien. Es ist schon zweifelhaft, ob den hier erstellten Bildern
einer kleinen Versammlung von lediglich 40-70 Teilnehmern überhaupt der Charakter einer Übersichtsaufnahme im landläufigen Sinne zukommen kann. Unabhängig davon bedürfen diese jedenfalls entgegen der vom Gesetzgeber bei
Schaffung des § 12a VersammlG im Jahr 1989 geäußerten und teilweise auch noch später von der Literatur befürworteten Ansicht,
vgl. BT-Drs. 11/4359, S. 17; Götz, Polizeiliche Bildaufnahmen von öffentlichen Versammlungen, NVwZ 1990, 112 (114); Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Auflage, § 12a Rn. 13 (für
Übersichtsaufnahmen ohne Aufzeichnung),
einer rechtlichen Grundlage, weil nach dem heutigen Stand der Technik die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481.
Auch wenn die Eingriffsqualität von bloßen Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung, die nicht gespeichert werden, gegenüber der Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen deutlich geringer ist, bedarf es auch insoweit aufgrund
der möglichen Einschüchterungseffekte durch die Präsenz einer Kamera einer gesetzlichen Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar darüber hinaus die Geltung der hierfür im bayerischen Versammlungsgesetz eigens
geschaffenen Rechtsgrundlage auf Fälle beschränkt, in denen Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, NJW 2009, 1481.
Über das Fehlen einer entsprechenden Rechtsgrundlage in Nordrhein-Westfalen hinaus waren diese Voraussetzungen angesichts der geringen Teilnehmerzahl nicht gegeben. ..."
***
„... Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist zulässig. Dabei kann dahinstehen, ob die die Anfertigung von Bildaufnahmen als bloßer Realakt zu qualifizieren ist oder Verwaltungsaktcharakter hat (vgl. dazu OVG Bremen, Urteil
vom 27. März 1990 - 1 BA 18/89 -, NVwZ 1990, 1188). Im erstgenannten Fall ist die Klage als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft, im letztgenannten Fall als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO. Das sowohl für die Feststellungsklage als auch für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme ist gegeben, da vorliegend
zumindest ein schutzwürdiges Rehabilitationsinteresse der Klägerin besteht. Die Anfertigung der Bildaufnahmen hatte eine diskriminierende Wirkung und war dem Ansehen der Klägerin als Leiterin der Versammlung abträglich. Dies
folgt schon daraus, dass Bild- und Tonaufnahmen bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nach § 12a VersG nur angefertigt werden dürfen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von einer Versammlung
erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die durchgehende Aufnahme der von der Klägerin geleiteten Versammlung konnte daher bei Dritten den Eindruck erwecken, dass von der Versammlung bzw.
den Versammlungsteilnehmern eine solche erhebliche Gefahr ausging. Zudem ist jedenfalls in der hier erfolgten umfassenden optischen Dokumentation der Versammlung ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit zu sehen, da von solchen Aufnahmen ein nicht unerheblicher Einschüchterungseffekt ausgeht, der dazu führen kann, dass Teilnehmer von der Wahrnehmung ihres Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG abgeschreckt
werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 15. Auflage, § 12a Rn. 14). Hinzu kommt, dass bei Bildaufnahmen selbst vorläufiger Rechtsschutz nicht möglich und eine nachträgliche Feststellung
das einzige Mittel ist, ihre Rechtmäßigkeit gerichtlich klären zu lassen (ebenso OVG Bremen, a. a. O.).
Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte bedurfte für die Anfertigung der streitgegenständlichen Bildaufnahmen einer versammlungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage. Insbesondere kann nicht angenommen werden,
dass es sich hierbei nur um sog. Übersichtsaufnahmen handelte, die nach - allerdings fragwürdiger (vgl. Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Auflage, § 12a Rn. 3 m. w. N.) - Auffassung des Gesetzgebers
(BT-Drucks. 11/4359, S. 28) mangels Grundrechtsbeeinträchtigung keiner Ermächtigung bedurften. Von Übersichtsaufnahmen kann schon begrifflich nicht mehr gesprochen werden, wenn eine Aufzeichnung erfolgt und das
aufgezeichnete Bildmaterial personenbezogen verarbeitet werden kann. Hierfür reicht die Bestimmbarkeit aufgezeichneter Personen aus (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., Rn. 13), was vorliegend nicht zweifelhaft ist. Das vom
Beklagten eingereichte Bildmaterial zeigt eine Vielzahl von Teilnehmern (einschließlich der Klägerin) in Nahaufnahme, so dass eine Identifizierung und personenbezogene Verarbeitung problemlos möglich gewesen wäre.
Die Anfertigung der Bildaufnahmen konnte nicht auf §§ 12a Abs. 1, 19a VersG gestützt werden. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur
anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Jedenfalls für öffentliche Versammlungen in geschlossenen
Räumen bedarf es einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift, da für derartige Versammlungen nach Art. 8 GG kein Gesetzesvorbehalt besteht. Aufnahmen dürfen bei Versammlungen in geschlossenen Räumen deshalb
nur gemacht werden, wenn die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 13 VersG (d. h. für eine Auflösung der Versammlung) vorliegen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. Januar 1998 - 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761). Es
spricht viel dafür, dass diese Einschränkung auch für Versammlungen unter freiem Himmel gelten muss, hinsichtlich derer in § 19a VersG auf die Bestimmung des § 12a VersG verwiesen wird. Da die rechtlichen Voraussetzungen für
die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen ausschließlich und abschließend im Abschnitt über Versammlungen in geschlossenen Räumen geregelt worden sind und § 19a VersG insoweit für Versammlungen unter freiem Himmel
eine bloße Verweisungsnorm darstellt, gibt es keine Grundlage für die Annahme, dass die Anwendung des § 12a VersG für Versammlungen unter freien Himmel den vorgenannten Einschränkungen nicht unterliege (so aber
Köhler/Dürig-Friedl, a. a. O., § 12a Rn. 2). Vorliegend bedarf diese Frage indes keiner Entscheidung, weil es bereits an den genannten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12a VersG fehlte. Von den Versammlungsteilnehmern
gingen keine erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aus. Unter einer "erheblichen Gefahr" versteht man eine Gefahr für ein Rechtsgut von besonderem Gewicht (z. B. Leben und Gesundheit von Menschen).
Ausreichend dürfte regelmäßig auch das Vorliegen von Verbotsgründen nach § 5 VersG sein (vgl. Köhler/Dürig-Friedl, a. a. O., Rn. 6). Dass hier derart gewichtige Gründe vorlagen, ist weder vom Beklagten vorgetragen worden noch
sonst ersichtlich. Hinsichtlich des vorbereitenden Gesprächs des Einsatzleiters mit der Klägerin und Herrn Assessor W... liegt das Fehlen solcher Gründe auf der Hand und bedarf keiner weiteren Darlegung. Soweit der Beklagte sich
im Übrigen darauf beruft, dass gegen Auflagen verstoßen worden sei bzw. Auflagenverstöße gedroht hätten, ist dem schon im Ansatz nicht zu folgen. Ein Auflagenverstoß allein kann - jedenfalls wenn die Auflage nicht gerade den
Schutz von Rechtsgütern von besonderem Gewicht unmittelbar bezweckt - keine erhebliche Gefahr im vorgenannten Sinne begründen. Die Nichtbefolgung von Auflagen stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG
dar, was für Maßnahmen nach § 12a VersG nicht ausreicht (Köhler/Dürig-Friedl, a. a. O.). Für die Klägerin als Leiterin war ein Auflagenverstoß zwar strafbewehrt (§ 25 VersG), die Aufnahmen dienten aber ersichtlich nicht dazu,
einen (vorsätzlichen) Auflagenverstoß gerade der Klägerin festzuhalten. Im Übrigen wären die Aufnahmen selbst bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beklagten als rechtswidrig zu bewerten, weil nicht ansatzweise
ersichtlich ist, dass die Polizei sich auf die Dokumentation von (drohenden) Auflagenverstößen beschränkte, sondern unterschiedslos (nahezu) die gesamte Versammlung filmte. Schließlich ist bei Ansicht der gefertigten Aufnahmen
hören, dass der filmende Polizeibeamte auf Nachfrage erklärt, die Aufnahme dienten dazu, das rechtmäßige Handeln seiner Kollegen zu dokumentieren. Dies ist offenkundig kein Zweck i. S. d. § 12a VersG.
Eine polizeigesetzliche Ermächtigungsgrundlage kommt hier von vornherein nicht in Betracht. Als die spezielle Befugnisnorm für die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen
Versammlungen verdrängt § 12a VersG polizeigesetzliche Ermächtigungsgrundlagen zur Videoüberwachung (etwa § 31 BbgPolG). "Im Zusammenhang" schließt dabei den Zeitraum vor und nach einer Versammlung (insbesondere
An- und Abmarschphase) mit ein, sofern ein unmittelbarer sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der eigentlichen Versammlung besteht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., Rn. 4, 10; Köhler/Dürig-Friedl, a. a. O., Rn. 5).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Nach der letztgenannten Vorschrift können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sind regelmäßig besondere Billigkeitsgründe (vgl. Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 15. Auflage, § 155 Rn. 5), die hier
gegeben sind. Obgleich die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, hält die Kammer eine Kostenquotelung zulasten der Klägerin nicht für angezeigt. Denn die streitigen Bildaufnahmen, hinsichtlich derer die Klage Erfolg
hat, stellten - gerade aufgrund ihrer Dauer und Intensität - diejenige polizeiliche Maßnahme dar, durch die die Klägerin am stärksten belastet wurde. Die weiteren von der Klägerin zunächst angegriffenen Maßnahmen im
Zusammenhang mit der Versammlung vom 5. September 2006 treten dahinter in ihrer Bedeutung deutlich zurück, zumal sie auch nicht mit einer vergleichbaren diskriminierenden Wirkung verbunden waren. Dementsprechend hat die
Kammer für das Verfahren insgesamt auch nur den einfachen Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz festgesetzt. ..." (VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 06.12.2004 - 6 K 2014/06)
***
Zur Zulässigkeit polizeilicher Maßnahmen im Vorfeld einer öffentlichen Versammlung (VG Lüneburg, Urteil vom 30.03.2004 - 3 A 116/02, NVwZ-RR 2005, 248).L
„... I. Die Klage ist zulässig. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage kann dahin stehen, ob es sich bei den verfahrensgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen um Verwaltungsakte oder bloße Realakte handelt. Soweit es um
die Beurteilung von Verwaltungsakten geht, ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, und soweit die Klage Realakte betrifft, denen kein Verwaltungsakt zugrunde gelegen hat, ist hier
die Feststellungsklage nach § 43 VwGO die statthafte Klageart (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 12. Aufl. 2000, § 43 Rdnr. 18 und § 113 Rdnr. 116). Das sowohl für die Fortsetzungsfeststellungsklage als auch für die
Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse (vgl. § 43 Abs. 1 und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen ergibt sich hier aus einem erheblichen
Grundrechtseingriff.
Die bloße Beeinträchtigung von Grundrechten mag zwar das besondere Feststellungsinteresse nicht zu begründen, da angesichts des umfassenden Schutzes der Rechtssphäre der Bürger durch die Freiheitsrechte, insbesondere durch
Art. 2 Abs. 1 GG, das eingrenzende Kriterium des berechtigten Interesses andernfalls praktisch leer liefe. Ein Feststellungsinteresse aufgrund eines Grundrechtseingriffs kann sich aber dann ergeben, wenn es sich um besonders
tiefgreifende und folgenschwere Grundrechtsverstöße handelt (Nds. OVG, Urt. v. 19.2.1997 - 13 L 4115/95 -, Nds. VBl. 1997, 285) oder die Grundrechtsbeeinträchtigung faktisch noch fortdauert (Kopp/Schenke, a. a. O., § 113 Rdnr.
146) oder ein Grundrechtseingriff mit einer diskriminierenden Wirkung verbunden ist und sich daraus auch eine Rehabilitationsinteresse ergibt (Urt. der 7. Kammer des erkennenden Gerichts vom 12.3.2001 - 7 A 36/98 -).
Hier ist durch die Vielzahl der Maßnahmen vor und nach dem Transport zur Gefangenensammelstelle i.V.m. mit der (rechtswidrigen) Ingewahrsamnahme letztlich die Teilnahme an der Demonstration in Lüneburg verhindert und
damit in besonders tiefgreifender und folgenschwerer Weise in das Grundrecht des Klägers aus Art. 8 GG eingegriffen worden.
II. Die Klage ist teilweise begründet.
1. Die ersten auf dem Parkplatz südlich der Elbe bei Lauenburg durchgeführten Maßnahmen - das Filmen im Bus, die 1. Identitätsfeststellung und die 1. Durchsuchung - sind rechtmäßig und verletzten nicht die Rechte des Klägers,
insbesondere stellen diese Maßnahmen keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die in Art. 8 GG geschützte Versammlungsfreiheit des Klägers dar. Die Klage hat daher insoweit keinen Erfolg.
Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.
Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten (BVerfG, Beschl. v.
14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - Fall ‚Brokdorf,' BVerfGE 69, 315, NJW 1985, 2395).
Die Notwendigkeit eines die Versammlungsfreiheit beschränkenden Eingriffs kann sich daraus ergeben, dass der Demonstrant bei deren Ausübung Rechtspositionen Dritter beeinträchtigt. Auch bei solchen Eingriffen haben die
staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken,
was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Mit diesen Anforderungen sind erst recht behördliche Maßnahmen unvereinbar, die etwa den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und
schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändern (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, a.a.O., BverfGE 69,
315, 349, NJW 1985, 2395, 2397). Der Schutz aus Art. 8 GG beschränkt sich demnach nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern umfasst auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns, also
auch den Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (BVerfG,
Beschl. v. 11.6.1991 - 1 BvR 772/90 -, BverfGE 84, 203, 209).
Unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben begegnet es keinen Bedenken, wenn einzelne polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld einer Versammlung mangels spezieller Ermächtigungsgrundlagen im Versammlungsgesetz
auf die Vorschriften des Landespolizeigesetzes gestützt werden (vgl. OVG NRW, Urt. v. 10.6.1981 - 4 A 2607/79 -, NVwZ 1982, 46; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.2.1990 - 1 S 1646/89 -, DÖV 1990, 572; Kniesel,
Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, NJW 2000, 2857, 2862).
Diese Vorschriften sind dabei nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit zum einen so auszulegen, dass sie den Schutz gleichwertiger Rechtsgüter
voraussetzen, und zum anderen so anzuwenden, dass der Zugang zu einer Demonstration nicht unzumutbar erschwert oder gar verhindert wird. Da bei einer solchen Vorgehensweise auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs
2 VersG erfüllt sind und damit auch § 15 Abs. 2 VersG (als Befugnisnorm) i.V.m. den Vorschriften des Landespolizeigesetzes (hinsichtlich der Konkretisierung der Rechtsfolgen) als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden
kann (vgl. Kniesel in Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, Teil H Rdnr. 561), ist auch dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (durch § 20 VersG) Genüge getan, sofern derartige Vorfeldmaßnahmen überhaupt als die
Versammlungsfreiheit zielgerichtet einschränkende und der Spezialität des Versammlungsgesetzes unterliegende Maßnahmen angesehen werden können (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 6.9.1988 - 1 C 71.86 -, BVerwGE 80, 158,159;
OVG NRW, Urt. v. 10.6.1981, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.2.1990, a.a.O.). Wenn die Maßnahme gegen einen gewaltbereiten Störer gerichtet ist, der sich ohnehin nicht auf den Schutz der Versammlungsfreiheit
berufen kann, ist dessen Hinderung an der Teilnahme an einer Versammlung jedenfalls unmittelbar auf der Grundlage polizeirechtlicher Vorschriften gerechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991, a.a.O.; VGH
Baden-Württemberg, Urt. v. 12.2.1990, a.a.O.).
Hier hat zum Zeitpunkt der ersten polizeilichen Maßnahmen - dem Filmen im Bus, der 1. Identitätsfeststellung und der 1. Durchsuchung - eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Denn es lagen konkrete
Erkenntnisse darüber vor, dass gewaltbereite Personen aus Berlin zu der Demonstration in Lüneburg anreisen wollten.
Nach einer telefonischen Auskunft des Bundesamtes für den Verfassungsschutz gegenüber der Beklagten am 9. November 2001 sollte am 10. November 2001 mindestens ein Bus mit 40 bis 50 Mitgliedern des A. (AAP) um 4.30 Uhr
Berlin (Abfahrt am Rosa Luxemburg - Platz) verlassen und zur Demonstration in Lüneburg an diesem Tag anreisen. Die ‚einschlägig kriminalpolizeilich in Erscheinung' getretenen Mitglieder des AAP (‚Hakenkrallenverfahren')
wurden vom Bundesamt für den Verfassungsschutz als gewalttätig eingestuft. Das Bundeskriminalamt (Telefaxschreiben vom 10. November 2001) und das Niedersächsische Landesamt für den Verfassungsschutz (Telefaxschreiben
vom 9. Oktober 2001) stuften das AAP als linksextremistisch ein. Im Internet hatte das AAP im Hinblick auf den bevorstehenden Castortransport im November 2001 eine militante Vorgehensweise als selbstverständliche Ergänzung
zu den Aktionen des bürgerlichen Protestes angesehen und unter Anspielung auf den 16. Oktober 1997, als im Vorfeld des Transports in das Zwischenlager Ahaus im Herbst 1997 ein 1,80 m langes Schienenstück aus den Gleisen der
Bahnstrecke Münster - Coesfeld herausgesägt wurde, eine ‚lange Nacht der Aktionen' angekündigt (siehe hierzu die in der Beiakte A befindlichen Internetauswertungen der Beklagten).
Aufgrund dieser detaillierten und hinreichend belegten Erkenntnisse bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den am 10. November 2001 tatsächlich morgens aus Berlin zur Demonstration in Lüneburg anreisenden
Bussen mit 50 bis 55 Insassen um die erwarteten Busse mit Mitgliedern des AAP handeln werde. Auch bestanden aufgrund der oben dargestellten Erkenntnislage konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass es sich hierbei um
einem gewaltbereiten Personenkreis handelte, der auch bereits ‚militante Aktionen' für den bevorstehenden Castortransport zumindest in Erwägung gezogen hatte. Angesichts dieser erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit
sind die ersten polizeilichen Maßnahmen auf dem Parkplatz südlich der Elbe bei Lauenburg, die der Gefahrenabwehr und der Überprüfung der Gefahreneinschätzung dienten, auch unter Beachtung der oben dargestellten Bedeutung
der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt gewesen. Insofern ist es unerheblich, dass sich später das Fehlen einer objektiven Gefahrenlage herausgestellt hat. Denn dies ändert nichts an der zum Zeitpunkt des Einschreitens fehlerfreien
Gefahreneinschätzung der Polizei (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.2.1990, a.a.O. m.w.N.).
Da andere - ebenso geeignete - Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Gefahrenüberprüfung nicht zur Verfügung standen und diese Maßnahmen zudem (noch) nicht zu einer unzumutbaren Erschwerung oder gar Verhinderung der
Teilnahme an der Demonstration in Lüneburg führten, genügen sie auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot.
Zu den rechtmäßigen Maßnahmen im einzelnen:
a) Das Filmen im Bus ist rechtmäßig. Als (spezielle) Rechtsgrundlage kommen §§ 19 a, 12 a VersG in Betracht.
Die danach für Bild- und Tonaufnahmen im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen erforderliche erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit hat hier nach dem oben Gesagten bestanden. Die Maßnahme ist
erforderlich gewesen, um eventuell später im Bereich der einzelnen Sitzplätze aufgefundene Gegenstände (Waffen, Werkzeuge) den einzelnen Personen zuordnen zu können. Die Maßnahme genügt auch dem
Verhältnismäßigkeitsgebot, da angesichts der Vielzahl der Businsassen ein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel nicht vorhanden und der Eingriff in die Grundrechte des Klägers relativ geringfügig gewesen ist, insbesondere hat
diese Maßnahme die Teilnahme des Klägers an der Demonstration in Lüneburg nicht verhindert.
Fraglich ist allerdings, ob sie im Zusammenhang mit einer öffentlichen Versammlung gestanden hat, da hier nur die Anreise zu der Demonstration in Lüneburg und nicht der Anmarsch im unmittelbaren Vorfeld zu dieser
Demonstration betroffen gewesen ist (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Kommentar zum Versammlungsgesetz, 12. Aufl. 2000, § 12 a Rdnr. 10).
Dies kann hier jedoch dahinstehen, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 NGefAG (das neue Nds. SOG ist erst Ende 2003 in Kraft getreten) - hier Datenerhebung zur Abwehr einer Gefahr - erfüllt gewesen sind und
darüber hinaus nach dem oben Gesagten - bei einer Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift im Lichte des Art. 8 GG - auch eine Gefahr für gewichtige Rechtsgüter (Gefahr von Straftaten) zum Zeitpunkt der Durchführung dieser
Maßnahme vorgelegen hat.
b) Auch die 1. Identitätsfeststellung auf dem Parkplatz südlich der Elbe bei Lauenburg ist rechtmäßig. Die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 2 Nr. 1 a) NGefAG erforderliche konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit hat
hier nach dem oben Gesagten vorgelegen. Auch genügte diese Maßnahme nach dem oben Gesagtem dem Verhältnismäßigkeitsgebot.
c) Schließlich ist auch die 1. Durchsuchung auf dem Parkplatz südlich der Elbe bei Lauenburg rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 NGefAG sind erfüllt; auch
entspricht diese Maßnahme nach dem oben Gesagtem dem Verhältnismäßigkeitsgebot.
2. Die den ersten polizeilichen Maßnahmen auf dem Parkplatz - dem Filmen im Bus, der 1. Durchsuchung und der 1. Identitätsfeststellung - folgenden polizeilichen Maßnahmen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen
Rechten, insbesondere in seinem Grundrecht aus Art. 8 GG, weil diese Maßnahmen in Verbindung mit der mehrstündigen rechtswidrigen (LG Lüneburg, Beschl. v. 31.10.2003 - 10 T 26/03 -) Ingewahrsamnahme unzulässigerweise die
Teilnahme des Klägers (und der anderen Businsassen) an der Demonstration in Lüneburg verhinderten, obwohl die zum Zeitpunkt der ersten polizeilichen Maßnahmen vorgenommene - fehlerfreie - Gefahreneinschätzung danach nicht
mehr aufrecht erhalten werden konnte.
Denn mit der 1. Identitätsfeststellung und der 1. Durchsuchung sind alle Maßnahmen durchgeführt worden, die zur Prüfung und Feststellung erforderlich waren, ob von den Insassen des Busses - weiterhin - Gefahren für die öffentliche
Sicherheit ausgingen. Diese Maßnahmen hatten ergeben, dass es sich bei den Businsassen nicht um den erwarteten gewaltbereiten Personenkreis handelte. Damit bestand für weitere polizeiliche Maßnahmen keine Grundlage mehr.
Denn bereits die gründliche - Personalienkontrolle mit Abfrage (per Funk oder Telefon), ob Suchvermerke vorliegen - Identitätsfeststellung auf dem Parkplatz ergab nach den Angaben der Vertreterin der Beklagten und eines bei dem
verfahrensgegenständlichen Einsatz vor Ort anwesend gewesenen Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung, dass sich der ursprüngliche Verdacht nicht bestätigt hatte.
Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist in Neu Tramm keine weitere Identitätsfeststellung durchgeführt worden. Allerdings hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die weitere
‚Identitätsfeststellung' - erkennungsdienstliche Maßnahmen seien nicht durchgeführt worden - in Neu Tramm ergeben hätte, dass gegen neun Businsassen Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und
Landfriedensbruch geführt worden seien; genaue Angaben zu diesen Ermittlungsverfahren könnten jedoch nicht gemacht werden. Offenbar hat es sich hierbei nur um eine weitere Überprüfung der bei der Identitätsfeststellung auf dem
Parkplatz gewonnenen Daten gehandelt, die zudem keine neuen Erkenntnisse (der ursprüngliche Verdacht ist nach wie vor unbestätigt geblieben) gebracht hat.
Doch selbst wenn eine vollständige Identitätsüberprüfung vor Ort nicht durchgeführt worden sein sollte, ginge dies zu Lasten der Beklagten. Die Polizei hätte durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen - beispielsweise (falls
notwendig) in einzelnen Verdachtsfällen durch telefonische Kontaktaufnahme mit einer technisch besser ausgestatteten Dienststelle - sicher stellen müssen, dass diese vor Ort hätte durchgeführt werden können. Das Verbringen von
gleich zwei Bussen mit 50 bis 55 Personen nach Neu Tramm ‚nur' für (möglicherweise durchgeführte) weitere Nachforschungen und Überprüfungen verbunden mit einem mehrstündigen polizeilichen Gewahrsam und mit der Folge,
dass die Businsassen an der Wahrnehmung ihres Grundrechts der Versammlungsfreiheit gehindert wurden, ist allein aufgrund eines - durch die vor Ort durchgeführten polizeilichen Maßnahmen nicht bestätigten - Gefahrenverdachts
im Hinblick auf Art. 8 GG nicht zu rechtfertigen und unverhältnismäßig.
Ebenso ergab die erste gründliche Durchsuchung der Businsassen (im Hinblick auf Gefahren im Zusammenhang mit der Demonstration in Lüneburg) nichts Verdächtiges.
Soweit die Beklagte vorgetragen hat (Schriftsatz vom 29.3.2004), dass die Durchsuchungen auf dem Parkplatz nur der Eigensicherung gedient hätten und eine gründliche Durchsuchung erst in der ‚Gesa' hätte stattfinden können, ist
dies nicht nachvollziehbar. Denn zum einen ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung in der ‚Gesa' nur noch das Gepäck durchsucht worden. Zum anderen ist die im Falle des Klägers von zwei Beamten durchgeführte 1.
Durchsuchung so gründlich gewesen, dass bei ihm sogar zwei kleine Taschenmesser gefunden worden sind. Im übrigen gilt auch hier, dass es Sache der Polizei gewesen ist, die Durchsuchungen so zu organisieren, dass eine schnelle
und ausreichende Durchsuchung ‚vor Ort' hätte durchgeführt werden können. Da die Betroffenen sich hierbei nach den Angaben der Beklagten (Schriftsatz vom 19.9.2002) nicht hätten entkleiden, sondern im Einzelfall - falls
erforderlich - auf besonderes Verlangen nur Mantel, Mütze, Schal oder Schuhe hätten ausziehen müssen, konnten auch die Außentemperaturen (leichter Frost) keinen - stichhaltigen - Grund für ein Verbringen von 50 bis 55 Personen
zur ‚Gesa' darstellen. Im Einzelfall (falls zum Beispiel ein Ausziehen der Schuhe erforderlich gewesen wäre) hätte es ausgereicht, den Betroffenen in einem Polizeibus oder in einem der Busse der anreisenden Demonstranten zu
durchsuchen.
In der mündlichen Verhandlung hat der bei dem Einsatz vor Ort anwesend gewesene Polizeibeamte angegeben, dass allerdings die Durchsuchung des in den Gepäckräumen der Busse befindlichen Gepäcks nicht vor Ort hätte
durchgeführt werden können. Es habe vor Ort nur ein Teil dieser Gepäckstücke durchsucht werden können und zwar die Gepäckstücke der Personen, die diese Gepäckstücke als ihnen zugehörig identifiziert hätten; bei einer
Durchsuchung der übrigen Gepäckstücke vor Ort hätten die Gepäckstücke auf einem Feld oder auf der Fahrbahn ausgebreitet werden müssen.
Der Leiter des Polizeieinsatzes hat auf telefonische Nachfrage der Vertreterin der Beklagten (in einer Verhandlungspause) als Grund für die Durchsuchung der Gepäckstücke in der ‚Gesa' angegeben, dass die vor Ort bereits 1 bis 2
Stunden eingesetzt gewesenen Polizeikräfte diese weitere Durchsuchung wegen der Kälte physisch nicht mehr hätten leisten können.
Unabhängig davon, wie viele Gepäckstücke genau sich in den Gepäckräumen befunden haben (nach Angaben des Klägers waren in seinem Bus nur 10 Gepäckstücke, nach den Angaben des in der mündlichen Verhandlung befragten
Polizeibeamten waren die Gepäckräume überwiegend gefüllt), sind diese (unterschiedlichen) Angaben jedoch nicht überzeugend. Denn selbst wenn je Bus jedes Gepäckstück einzeln nacheinander von jeweils nur zwei Beamten
durchsucht worden wäre, so hätte diese - parallel zu den anderen polizeilichen Maßnahmen durchführbar gewesene - Durchsuchung wohl kaum mehr als eine Stunde gedauert (bei z. B. 12 Gepäckstücken je Bus und 5 Minuten je
Gepäckstück - ausgehend von den Zeiten bei Gepäckdurchsuchungen auf Flughäfen); die Gepäckdurchsuchung hätte bei dieser Verfahrensweise auch keinen nennenswerten Raum beansprucht (die Gepäckstücke hätten einzeln aus
dem Gepäckraum geholt und nach der Durchsuchung auf einen ‚Haufen' gelegt werden können) und hätte daher weder die anderen polizeilichen Maßnahmen noch den an dem Parkplatz vorbeifließenden Verkehr behindert.
Im übrigen gilt auch hier, dass es aus den oben genannten Gründen Sache der Beklagten gewesen ist, den Einsatz so zu organisieren, dass alle Maßnahmen vor Ort hätten durchgeführt werden können, so hätten erforderlichenfalls auch
neue Beamte (für die Gepäckdurchsuchung) angefordert werden müssen.
Schließlich wäre, wenn sich nur in Einzelfällen konkrete Hinweise auf Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die 1. Durchsuchung und / oder die 1. Identitätsfeststellung ergeben hätten, auch nur das Verbringen der betreffenden
Personen und nicht der Transport sämtlicher Businsassen zur ‚Gesa' gerechtfertigt gewesen. Hier haben aber weder die 1. Identitätsfeststellung noch die 1. Durchsuchung irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass von
dem Kläger und den übrigen Businsassen Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgingen.
Alle folgenden polizeilichen Maßnahmen - die wiederholte Identitätsfeststellung, die weiteren Durchsuchungen, das Verbringen zur Gefangenensammelstelle, die digitale Lichtbildaufnahme und das Speichern sämtlicher Daten - sind
folglich rechtswidrig, da die für alle Maßnahmen erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht (mehr) vorlag und die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit und in Verbindung mit der Ingewahrsamnahme derart weitgehend in die
Grundrechte des Klägers und der anderen Businsassen eingriffen, dass sogar deren geplante Teilnahme an der Demonstration in Lüneburg vollständig verhindert wurde. Dementsprechend haben auch das Amtsgericht Lüneburg
(Beschl. v.11.2.2003 - 21 A XIV 7/02 -) und das Landgericht Lüneburg(Beschl. v. 31.10.2003 - 10 T 26/03 -) die Ingewahrsamnahme als rechtswidrig angesehen, weil nach den Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen auf dem
Parkplatz keine Anhaltspunkte mehr für Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorgelegen hätten (S. 3 f. des Beschlusses des LG Lüneburg).
Zu den einzelnen rechtswidrigen Maßnahmen:
a) Die 2. Identitätsfeststellung auf dem Parkplatz südlich der Elbe bei Lauenburg ist rechtswidrig, da kein nachvollziehbarer Grund für diese die 1. Identitätsfeststellung wiederholende Maßnahme ersichtlich ist. Wenn
Koordinierungsprobleme zwischen den Beamten aus verschiedenen Bundesländer bestanden haben sollten, dann ist hierfür allein die Beklagte verantwortlich. Derartige Organisationsprobleme rechtfertigen keinen weiteren Eingriff in
die Grundrechte des Klägers und der anderen Businsassen.
b) Aus den gleichen Gründen ist auch die 2. Durchsuchung auf dem Parkplatz rechtswidrig.
Bereits die 1. Durchsuchung (beim Kläger durch zwei Beamte) ist sehr gründlich gewesen; es wurden sogar zwei kleine Taschenmesser beim Kläger gefunden. Ergebnis dieser 1. Durchsuchung war aber offenbar, dass keine Waffen
oder sonstigen gefährlichen Gegenstände (Sägen, Brechstangen etc.) gefunden worden sind. Es bestand deshalb kein Grund für eine 2. Durchsuchung. Sofern die 2. Durchsuchung der Eigensicherung der den Transport zur ‚Gesa'
begleitenden Polizeibeamten diente, so ist dies ebenfalls kein ausreichender Grund. Denn nach der 1. Identitätsfeststellung und der 1. Durchsuchung bestand nach dem oben Gesagten kein Grund (mehr) für ein Verbringen der
Businsassen zur ‚Gesa' und damit auch kein Anlass für eine Durchsuchung zur Eigensicherung im Hinblick auf diesen Transport.
c) Auch die Durchsuchung (des Gepäcks) in der ‚Gesa' in Neu Tramm ist aus den oben dargestellten Gründen rechtswidrig.
d) Das Anfertigen der Lichtbilder in der ‚Gesa' in Neu Tramm ist ebenfalls rechtswidrig.
Sowohl die Voraussetzungen nach §§ 19 a, 12 a VersammlG als auch die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §13 Abs. 1 Nr. 1 NGefAG und nach § 31 NGefAG sind nicht erfüllt gewesen, da eine (erhebliche) Gefahr im
Sinne dieser Vorschriften nicht mehr vorhanden gewesen ist. Da beim Kläger auch Anhaltspunkte für Straftaten nicht vorlagen, kann auch § 15 Abs. 1 Nr. 2 NGefAG keine Grundlage für diese Maßnahme sein. Im übrigen soll es sich
bei der Lichtbildaufnahme nach den Angaben der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht um eine erkennungsdienstliche Maßnahme gehandelt haben.
e) Schließlich ist auch die Speicherung der Daten rechtswidrig.
aa) Dies gilt - unabhängig von der Rechtsgrundlage - zum einen für die Speicherung der im Bus nach dem oben Gesagten rechtmäßig gefertigten digitalen Filmaufnahmen:
Denn nach §§ 19 a, 12 a Abs. 2 VersG sind die (mittels Bild- und Tonaufnahmen gewonnenen) ‚Unterlagen' unverzüglich zu vernichten, wenn sie nicht benötigt werden zur Verfolgung von Straftaten (§ 12 a Abs. 2 Nr. 1 VersG) oder
zur Gefahrenabwehr(§ 12 a Abs. 2 Nr. 2 VersG). Da hier diese Voraussetzungen bereits nach den ersten polizeilichen Maßnahmen auf dem Parkplatz nicht (mehr) vor gelegen haben, sind die Aufnahmen sofort wieder zu vernichten
(löschen) gewesen.
Die Speicherung ist aber auch dann rechtswidrig, wenn die Maßnahme nach § 31 NGefAG zu beurteilen ist, da die Voraussetzungen für eine Speicherung nach § 38 NGefAG nicht vorgelegen haben. Die Daten (der digitalen
Filmaufnahmen) sind zwar rechtmäßig erhoben worden, doch hat sich der ursprünglich bestandene Verdacht nicht bestätigt. Damit ist deren Speicherung zu dem Zweck (Gefahrenabwehr), zu dem sie ursprünglich erhoben worden
sind, nicht mehr erforderlich.
Andere zulässige Zwecke nach § 39 NGefAG sind nicht ersichtlich. Sofern die Beklagte insofern das Führen eines Rechtsstreits wegen der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme anführt, so ist ein solcher Rechtsstreit zum einen zum
Zeitpunkt der Speicherung der Daten wohl noch nicht absehbar gewesen, zum anderen ist dies ersichtlich kein Zweck im Sinne des § 39 NGefAG (kein Zusammenhang mit Gefahrenabwehr).
bb) Auch die Speicherung der Daten der 1. Identitätsfeststellung ist rechtswidrig.
Die Daten der 1. Identitätsfeststellung sind zwar rechtmäßig erhoben worden, doch hat sich der ursprüngliche Verdacht nicht bestätigt. Damit ist deren Speicherung nach § 38 NGefAG zu dem Zweck (Gefahrenabwehr), zu dem sie
ursprünglich erhoben worden sind, nicht mehr erforderlich.
Andere zulässige Zwecke nach § 39 NGefAG sind nicht ersichtlich (siehe oben).
cc) Dies gilt auch für die Speicherung der Daten der 2. Identitätsfeststellung, die nach dem oben Gesagten bereits nicht rechtmäßig erhoben worden sind.
dd) Schließlich ist auch Speicherung des in der ‚Gesa' digital aufgenommenen Lichtbilds rechtswidrig.
Nach §§ 19 a, 12 a Abs. 2 VersammlG ist dieser Datensatz unverzüglich zu vernichten gewesen, da das Lichtbild bereits nicht rechtmäßig angefertigt worden ist und zudem die Voraussetzungen des § 12 a Abs. 2 Nummern 1 und 2 für
die bis zu dreijährige Speicherung nicht vorgelegen haben.
Da die Voraussetzungen für eine Speicherung nach §§ § 38, 39 NGefAG ebenfalls nicht vorgelegen haben, ist eine Speicherung auch dann nicht zulässig gewesen, wenn § 31 NGefAG als Rechtsgrundlage für die Lichtbildaufnahme in
Betracht kommt. ..."
***
§ 13
(1) Die Polizei (§ 12) kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn
1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,
2. die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht,
3. der Leiter Personen, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen, nicht sofort ausschließt und für die Durchführung des Ausschlusses sorgt,
4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten
aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.
In den Fällen der Nummern 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen.
(2) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf
den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, ob und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran gemessen führen die von den Klägern
aufgeworfenen und von ihnen als rechtsgrundsätzlich angesehenen Fragen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Kläger möchten die Frage beantwortet wissen: ‚Können, entgegen Art. 8 I GG über die Spezialnormen der §§ 5 und 13 Versammlungsgesetz hinaus, insbesondere des § 13 Abs. 1 Nr. 2 3. Alt., das allgemeine oder das besondere
Polizeirecht zur Auflösung von nach Art. 8 I GG geschützten Versammlungen (hier speziell solche, die nicht unter freiem Himmel stattfinden) als Ermächtigungsnorm für Eingriffe, insbesondere eine Auflösung, herangezogen
werden?' Mit dieser Frage begehren die Kläger im Kern eine Antwort dazu, ob in die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden kann oder ob
Eingriffe auch auf das (allgemeine) Polizeirecht gestützt werden können. Diese Frage führt nicht zur Revisionszulassung.
Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts
einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung einer Klärung gerade durch höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und
mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. Oktober 2000 - BVerwG 6 B 47.00 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr.
10 S. 6 m.w.N.). So liegt es hier. Die in Rede stehende Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts geklärt.
Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich in erster Linie nach dem Versammlungsgesetz. Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind
Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der polizeilichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es daher als Spezialgesetz dem allgemeinen
Polizeirecht vor (vgl. Urteile vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 - BVerwGE 82, 34 <38> und vom 25. Juli 2007 - BVerwG 6 C 39.06 - BVerwGE 129, 142 Rn. 30 m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26. Oktober 2004 -
1 BvR 1726/01 - BVerfGK 4, 154 <158> m.w.N. und vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 - BVerfGK 11, 102 <114 f.> m.w.N.). Diese sogenannte Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit bedeutet freilich nicht, dass in die
Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden könnte; denn das Versammlungsgesetz enthält keine abschließende Regelung für die Abwehr von Gefahren, die im Zusammenhang mit
Versammlungen auftreten können. Vielmehr ist das Versammlungswesen im Versammlungsgesetz nicht umfassend und vollständig, sondern nur teilweise und lückenhaft geregelt, so dass in Ermangelung einer speziellen Regelung auf
das der allgemeinen Gefahrenabwehr dienende Polizeirecht der Länder zurückgegriffen werden muss (vgl. Urteile vom 8. September 1981 - BVerwG 1 C 88.77 - BVerwGE 64, 55 <58>, vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 -
Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 6 und vom 25. Juli 2007 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass auf das allgemeine Polizeirecht auch insoweit zurückgegriffen werden kann, als es um die Verhütung von
Gefahren geht, die allein aus der Ansammlung einer Vielzahl von Menschen an einem dafür ungeeigneten Ort entstehen, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Ansammlung um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts
handelt.
b) Die Kläger werfen weiter die Frage auf, ‚ob eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes i.S.d. § 41 I VwVfG BW, der inhaltsgleich dem § 41 I VwVfG und damit revisibel ist, der in den Zuständigkeitsbereich einer Ordnungsbehörde
fällt, durch einen Polizeivollzugsbediensteten, der für eine andere Gebietskörperschaft tätig ist, im Ausnahmefall der Eilbedürftigkeit bekanntgegeben werden kann'. Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Durchführung eines
Revisionsverfahrens. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 41 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht notwendig
durch die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständige Behörde selbst erfolgen muss (vgl. Beschluss vom 5. Mai 1997 - BVerwG 1 B 129.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 11 S. 20 m.w.N.). Da es für die
Rechtmäßigkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes durch einen Dritten nicht darauf ankommt, ob die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständige Behörde im Einzelfall nicht in der Lage ist, den Verwaltungsakt bekannt zu
geben, kann auch die von den Klägern in diesem Zusammenhang aufgeworfene weitere Frage nach den Voraussetzungen einer ‚Eilkompetenz' die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
c) Soweit es die Kläger für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung halten, ‚ob eine Behörde den grundgesetzlich verbürgten Anspruch auf Rechtsschutz dadurch unterminieren kann, dass sie bei einer existenten oder vorgeblichen
Gefährdungslage durch schlichte Untätigkeit über Monate im Wege einer 'last-minute-Verbescheidung' die Voraussetzungen für einen Entfall der Begründungspflicht wegen einer Notstandsmaßnahme nach § 80 III S. 2 VwGO selbst
schaffen kann und damit letztlich die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers dagegen ins Leere laufen lässt', kann dies schon deshalb nicht zum Erfolg der Beschwerde führen, weil diese Frage auf den Einzelfall bezogen ist und
deshalb einer grundsätzlichen Bedeutung entbehrt.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidungen beruhen. Die Kläger rügen in diesem Zusammenhang allein einen Verstoß
gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO. Sie sind der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof hätte den Sachverhalt mit Blick auf die Voraussetzungen der Auflösung einer Versammlung nach § 13 Abs. 1
Nr. 2 des Versammlungsgesetzes und hinsichtlich einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung näher aufklären müssen. Diese Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf den
angeblichen Verstößen gegen § 86 Abs. 1 VwGO beruhen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, ob das Versammlungsgesetz Anwendung findet. Da er angenommen hat, dass Verstöße gegen
bauordnungsrechtliche Bestimmungen einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit von vornherein nicht legitimieren können, kam es auf die Voraussetzungen einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung nicht an. ..."
(BVerwG, Beschluss vom 16.11.2010 - 6 B 58/10)
*** (OVG)
Polizeiliche Maßnahmen gegen die Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung können grundsätzlich nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden (VGH Mannheim, Urteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96,
NVwZ 1998, 761):
„... Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zum einen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994, soweit ihre Anordnung den Einsatz in der Gaststätte "... ..." in Stuttgart-Weilimdorf
betrifft, und zum anderen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes des Beklagten vom 5.11.1994 von Beginn der Veranstaltung bis zur Festnahme des Klägers, einschließlich der bis zu dieser Zeit gefertigten
Videoaufnahmen. Nicht vom Klage- und Berufungsverfahren erfaßt ist hingegen die formelle Auflösung der Versammlung, nachdem diese einen gewalttätigen Verlauf genommen hatte. Der Kläger hat insoweit seine erstinstanzlichen
Klageanträge im Berufungsverfahren konkretisiert und präzisiert, ohne daß eine Klageänderung vorliegt. Aber selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung von einer Klageänderung ausgegangen werden müßte, so wäre diese
zulässig, da die übrigen Beteiligten sich rügelos hierauf eingelassen haben (§ 91 VwGO).
Die vom Kläger beantragten Feststellungsbegehren sind zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994 und des Polizeieinsatzes des Beklagten vom 5.11.1994 gerichteten Klagen sind, nachdem sich die angegriffenen Verwaltungsakte
bereits zuvor durch Zeitablauf erledigt hatten, in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklagen statthaft (1.1). Soweit der Kläger die bis zu seiner Festnahme gefertigten
Videoaufnahmen beanstandet, ist die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO die statthafte Klageart. Das Filmen der Teilnehmer einer Versammlung stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 35
LVwVfG dar, sondern einen Realakt, der, wenn er sich wie hier erledigt hat, Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (1.2).
1.1 Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (BVerwGE 26, 161 (166)). Die Fortsetzungsfeststellungsklagen sind auch nicht verfristet; der Kläger hat am 6.2.1995 innerhalb der offenen Jahresfrist des § 58 VwGO (vgl. dazu Senatsurt. v.
15.10.1997 - 1 S 2555/96) rechtzeitig Klage erhoben.
Dem Kläger fehlt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch im Hinblick auf die angegriffene Allgemeinverfügung nicht die erforderliche Klagebefugnis. Nach den Vorstellungen der Beklagten sollte auch er Adressat der
Allgemeinverfügung sein; ihm - ebenso wie den anderen Versammlungsteilnehmern - gegenüber sollte sie anläßlich des Polizeieinsatzes des Beklagten am 5.11.1994 vollstreckt werden.
Der Kläger hat hinsichtlich beider Klageanträge ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.
Im Hinblick auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung vom 4.11.1994 ergibt sich das berechtigte Interesse aus der Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat dargelegt, daß er auch in Zukunft im Raum Stuttgart an
ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen möchte. Es besteht auch nach Auffassung des Senats die hinreichend bestimmte Gefahr, daß die Beklagte aufgrund vorliegender Erfahrungsberichte von anderen Polizeidienststellen bei
Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppen erneut Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen durch Allgemeinverfügung anordnen wird, um der Begehung von Straftaten, insbesondere der Verbreitung von Propagandamaterial
verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) vorzubeugen.
Soweit das Feststellungsbegehren des Klägers den Polizeieinsatz des Beklagten am 5.11.1994 zum Gegenstand hat, hat er ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse. Das Interesse an einer Rehabilitierung ist nach einer erledigten
polizeirechtlichen Maßnahme dann als berechtigt anzuerkennen, wenn mit ihr ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verbunden und sie geeignet war, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit
herabzusetzen (vgl. Senatsurt. v. 5.2.1986 - 1 S 2073/85 -, VBlBW 1986, 308). Es muß im Einzelfall ein berechtigtes Schutzbedürfnis gegenüber abträglichen Nachwirkungen eines Verwaltungshandelns vorhanden sein, denen durch
eine gerichtliche Sachentscheidung wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerwGE 61, 164 (166)). Wegen des Grundrechtsbezugs der einzelnen polizeilichen Maßnahmen (Verletzung des Persönlichkeitsrechts, Art. 2 GG, und
Verletzung der Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG) hat der Kläger ein berechtigtes Schutzbedürfnis gegen die ihm anhaftenden Nachwirkungen der polizeilichen Maßnahme vom 5.11.1994. Vor dem Hintergrund des
verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG müssen die behaupteten Grundrechtsverletzungen auch nach Erledigung der Maßnahmen gerichtlich überprüfbar bleiben (vgl. BVerwGE
61, 164ff.).
1.2 Soweit sich der Kläger mit der allgemeinen Feststellungsklage gegen die Fertigung von Videoaufnahmen durch die Polizei wendet, liegen die rechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 43 Abs.
1 VwGO vor. Ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis ergibt sich daraus, daß er im geltend gemachten Zeitraum von den Videoaufnahmen erfaßt wurde. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen,
daß es sich nicht um ein noch bestehendes, sondern um ein in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis handelt. Es ist anerkannt, daß auch vergangene Rechtsverhältnisse einer Feststellungsklage zugänglich sein können, wenn
hierfür ein berechtigtes Interesse besteht (vgl. zuletzt Senatsurt. v. 15.10.1997 - 1 S 2555/96). Davon ist hier auszugehen, da das Filmen von Versammlungsteilnehmern ohne deren Einwilligung einen Eingriff in die
Versammlungsfreiheit, aber auch in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG) bedeuten kann (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl., § 12a
RdNr. 2).
2. Die Feststellungsbegehren des Klägers sind auch begründet; denn sowohl die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 4.11.1994 (2.1) als auch der Polizeieinsatz des Beklagten vom 5.11.1994 von Beginn der Veranstaltung bis zur
Festnahme des Klägers (2.2) sowie die in dieser Zeit gefertigten Videoaufnahmen (2.3) waren rechtswidrig.
2.1 Die Allgemeinverfügung vom 4.11.1994, mit der die Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Feststellung der Identität aller Personen, die am 5.11.1994 bei Polizeikontrollen an einem Versammlungsort der
rechtsextremistischen neonazistischen Szene in "Stuttgart-Nord" angetroffen werden, sowie die Durchsuchung dieser Personen und der von ihnen mitgeführten Sachen angeordnet hat, ist bereits wegen fehlender Bestimmtheit
rechtswidrig gewesen. Die Verfügung läßt nicht erkennen, daß mit dem Begriff "Stuttgart-Nord" der - geographisch gesehen - gesamte nördliche Stuttgarter Raum, zu dem nach Darlegung der Beklagten auch Stuttgart-Weilimdorf
zählen soll, erfaßt werden sollte. Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG) ist nur gewahrt, wenn aus der getroffenen Regelung und sonstigen für die Betroffenen bekannten oder ohne weiteres
erkennbaren Umständen klar und eindeutig ist, welche Anordnungen sie zu befolgen oder zu dulden haben: Auch für die mit dem Vollzug betrauten Behörden muß klar erkennbar sein, mit welchem Regelungsinhalt sie die Anordnung
etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde zu legen haben. Dazu gehört auch die Klarheit, welcher räumliche Bereich von den polizeilichen Maßnahmen erfaßt werden sollte. Da es in Stuttgart, wie die Beklagte in der mündlichen
Verhandlung bestätigt hat, einen eigenen Stadtteil "Stuttgart-Nord" gibt, durfte nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont die hier streitige Allgemeinverfügung so verstanden werden, daß sie sich nur auf Personen
erstreckte, die am 5.11.1994 bei Polizeikontrollen an einem Versammlungsort der rechtsextremistischen neonazistischen Szene in diesem Stadtteil, zu dem der Teilort Weilimdorf nicht gehört, angetroffen wurden. Die unpräzise
Umschreibung des Bereichs, der nach den Vorstellungen der Beklagten von der Verfügung erfaßt sein sollte, geht zu Lasten der Behörde, so daß die gegen die beklagte Stadt gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage bereits aus diesem
Grunde Erfolg hat.
2.2 Auch die gegen den Beklagten gerichtete Klage ist begründet. Die "Razzia" in der Gaststätte "... ..." konnte - auch über § 60 Abs. 3 PolG - nicht auf Ermächtigungsgrundlagen des Polizeigesetzes gestützt werden, weil die
Versammlung, in deren Rahmen eingeschritten wurde, unter dem besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG stand und deshalb ein Polizeieinsatz grundsätzlich nur unter den engen Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes erfolgen
konnte.
Nach der herkömmlichen Definition handelt es sich bei Razzien um Sammelkontrollen, die durch planmäßig vorbereitete überraschende Absperrung einer bestimmten Örtlichkeit ermöglicht werden und darauf abzielen, die Identität
eines größeren Personenkreises zu überprüfen. An die Identitätsfeststellung können sich Folgemaßnahmen, wie die Durchsuchung der aufgegriffenen Personen sowie der von ihnen mitgeführten Sachen anschließen (vgl. dazu auch
Zeitler, VBlBW 1992, 328ff. sowie Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 4. Aufl., 1995, § 26 RdNr. 15). Die Razzia kann sowohl der Strafverfolgung als auch präventiv-polizeilichen Zwecken dienen. Dient sie - wie
hier - präventiv-polizeilichen Zwecken, so ergibt sich im Hinblick auf die Bestimmung der erforderlichen Rechtsgrundlage folgendes:
Die Razzia als solche ist im Polizeigesetz für Baden-Württemberg nicht geregelt. Eingriffsgrundlagen finden sich im Polizeigesetz jedoch für Einzelmaßnahmen als Bestandteil einer Razzia, nämlich unter anderem in § 26 Abs. 1 Nrn.
2 und 3 PolG für die Personenfeststellung, in § 26 Abs. 2 PolG für das Anhalten und Festhalten des Betroffenen, in § 29 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PolG für die Durchsuchung von Personen und in § 30 Nrn. 4 und 5 PolG für die
Durchsuchung von Sachen. Diese polizeilichen Maßnahmen kann der Polizeivollzugsdienst, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, grundsätzlich auch in eigener Zuständigkeit ergreifen (§ 60 Abs. 3 PolG) und unter den in diesen
Vorschriften genannten Voraussetzungen schon im Vorfeld einer Veranstaltung durchführen, um der Begehung von Straftaten, insbesondere dem Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen vorzubeugen.
Dies konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht auf der Grundlage des baden-württembergischen Polizeigesetzes geschehen, da die Veranstaltung, an welcher der Kläger zum Zeitpunkt der Anordnung und Durchführung der
polizeilichen Maßnahmen teilnahm, eine Versammlung im Sinne des § 1 VersammlG war, die bis dahin weder verboten (vgl. § 5 VersammlG) noch aufgelöst worden war (§ 13 VersammlG), und damit unter dem besonderen Schutz
des Art. 8 Abs. 1 GG stehend nur unter den Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes der Gegenstand von polizeilichen Maßnahmen sein durfte (vgl. dazu auch Wolf/Stephan, a.a.O., § 26 RdNr. 15).
Der Kläger war, was die Beklagten nicht in Abrede stellen, Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung in geschlossenen Räumen. Der Versammlungsbegriff ist im Versammlungsgesetz nicht definiert. Es besteht aber Einigkeit in
Literatur und Rechtsprechung darüber, daß eine öffentliche Versammlung eine Zusammenkunft einer zahlenmäßig nicht bestimmten Mehrheit von Menschen an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen Zweck ist, bei der
öffentliche Angelegenheiten gemeinsam erörtert, beraten und kundgegeben werden (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.1994 - 1 S 1397/94 -, VBlBW 1995, 14). Diese Voraussetzungen treffen auf die Veranstaltung, an der der Kläger am
5.11.1994 teilgenommen hat, zu.
Der Teilnehmerkreis der Veranstaltung war von vornherein weder nach bestimmten Kriterien festgelegt noch nach solchen Gesichtspunkten begrenzt worden. Die Zusammenkunft war vielmehr öffentlich. Wesentliche Voraussetzung
hierfür ist, daß jeder, der von einer solchen Zusammenkunft Kenntnis erhält, die Möglichkeit hat, an dieser teilzunehmen. Dies war hier der Fall. Nachdem Art, Zeit und Ort der Veranstaltung über Telefonaktionen angekündigt worden
waren, ohne daß dabei durch gezielte Einladungen der Teilnehmerkreis beschränkt worden wäre, hatte der Veranstalter es nicht in der Hand, zu bestimmen, wer von der Veranstaltung in Weilimdorf erfuhr und an ihr teilnahm. Auch
hatten die Teilnehmer keine besonderen Integrationsmerkmale, die sie nach außen zu einem geschlossenen Kreis hätten werden lassen. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Teilnehmer einzeln eingeladen
worden wären, und daß nur bestimmte Personen Zugang zu der Veranstaltung erhalten sollten. Das Merkmal der Öffentlichkeit entfällt auch nicht deshalb, weil Eintrittskarten ausgegeben und Eintrittsgelder erhoben worden sind (vgl.
Ketteler, DÖV 1990, 954).
Gegen das Vorliegen einer Versammlung spricht schließlich nicht, daß der Liedermacher ... ... vor den Teilnehmern singen sollte. Zwar stellen reine Unterhaltungsveranstaltungen in aller Regel keine Versammlungen im Sinne des
Versammlungsgesetzes dar. Im vorliegenden Fall muß jedoch davon ausgegangen werden, daß die politischen Lieder des Liedermachers in eine öffentliche Veranstaltung eingebunden waren, die dem verbindenden Zweck diente, in
einer öffentlichen Angelegenheit Stellung zu beziehen (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.1994, a.a.O.). Für den politischen Bezug spricht ferner, daß am Veranstaltungsort der Bundesvorsitzende der inzwischen verbotenen "Freiheitlichen
Arbeiterpartei Deutschlands", ... ..., sowie ... ... angetroffen wurden, Personen also, bei deren Überprüfung am Stuttgarter Hauptbahnhof 15 Nachdrucke des Buches "Mein Kampf" von Adolf Hitler beschlagnahmt worden waren, die
offensichtlich zum Vertrieb anläßlich der Veranstaltung vorgesehen waren. Außerdem waren bei der Durchsuchung des Pkws des Liedermachers ... ... ca. 200 Tonträger mit rechtsextremistischen Titeln und verschiedene Bücher und
Broschüren sichergestellt worden, die ebenfalls darauf schließen lassen, daß die Teilnehmer zu einer öffentlichen Veranstaltung zusammengekommen waren, in der es zumindest auch um die Erörterung von politischen
Angelegenheiten ging.
Unerheblich für die Qualifizierung als Versammlung ist, ob die Veranstaltung, zu der die Teilnehmer in der Gaststätte zusammengekommen waren, schon begonnen hatte, als die Polizei mit den umstrittenen Maßnahmen einschritt.
Zwar erfaßt das Regelungswerk des Versammlungsgesetzes eine Zusammenkunft nicht schon quasi vor der "Haustür", sondern erst, wenn sie zugleich der im Versammlungsgesetz vorgesehenen Ordnungsgewalt eines
Versammlungsleiters unterliegt (vgl. dazu auch BVerwG, DÖV 1989, 1038 sowie Wolf/Stephan, a.a.O., § 4 RdNr. 38). Gerade das war aber beim Beginn des umstrittenen polizeilichen Einsatzes in der Gaststätte "... ..." der Fall.
War damit die Veranstaltung bereits eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, so konnten die nach deren Beginn im Versammlungsraum eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen nicht auf das Polizeigesetz,
sondern allein auf das Versammlungsgesetz gestützt werden, das mit spezialgesetzlichen Ermächtigungen für ein solches Einschreiten Vorrang vor dem allgemeinen Polizeirecht hat. Bei versammlungsspezifischen Gefahren, die im
Zusammenhang mit erlaubten Versammlungen in geschlossenen Räumen entstehen, sind die Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten und dessen Umfang in § 13 VersammlG speziell und abschließend geregelt (ebenso OVG
Bremen, Urt. v. 4.11.1986, NVwZ 1987, 235; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl., § 13 RdNr. 3). Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von
Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben; sofern mit solchen Maßnahmen (mittelbar)
Einschränkungen des Versammlungsrechts verbunden sind, dürfen sie allenfalls eine zwangsläufige Nebenfolge, nie jedoch (auch nur teilweise) ihr eigentlicher Zweck sein (vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 RdNr. 4).
Die umstrittene Razzia hatte unmittelbar die Versammlung zum Gegenstand, die zu diesem Zeitpunkt weder nach § 5 VersammlG verboten noch nach § 13 VersammlG aufgelöst war, also unter dem Schutz der verfassungsrechtlich
(Art. 8 Abs. 1 GG) garantierten Versammlungsfreiheit stand. Sie sollte, wovon die Beklagten nach ihren Ausführungen selbst ausgegangen sind, Straftaten im Sinne der §§ 86, 86a, 90a und 130 StGB verhindern, die im Rahmen der
Veranstaltung befürchtet wurden, und galt damit der Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren.
Entgegen der Ansicht des Beklagten finden die während der Razzia angeordneten und durchgeführten Maßnahmen aber auch im Versammlungsgesetz, vor allem in dem einschlägigen § 13 dieses Gesetzes keine rechtliche Grundlage.
§ 13 VersammlG ermächtigt die Polizei in Absatz 1 Satz 2 zu Eingriffsmaßnahmen, die sich gegenüber der in Satz 1 vorgesehenen und an bestimmte Voraussetzungen (Nr. 1 bis 4) gebundenen Auflösung als ein zur Abwehr konkreter
Gefahren ebenso geeignetes, aber weniger einschneidendes Mittel darstellen. Die Unterbrechung der Versammlung ist in § 13 Abs. 1 Satz 2 VersammlG nur als eines der möglichen Mittel ausdrücklich genannt; auch andere Formen
des polizeilichen Einschreitens, die sich zur Abwehr der Gefahren eignen, sind damit grundsätzlich möglich. Alle anstelle einer Auflösung getroffenen Maßnahmen sind jedoch an den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis 4
VersammlG zu messen. Keine dieser Voraussetzung lag bei dem hier umstrittenen Vorgehen des Polizeivollzugsdienstes vor.
Daß das Vorgehen Personen gegolten hätte, die Waffen oder sonstige gefährliche Gegenstände (§ 2 Abs. 3 VersammlG) mit sich führten (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VersammlG), wird vom Beklagten nicht geltend gemacht. Ebensowenig
diente der Einsatz bei seinem Beginn und mit den hier umstrittenen Maßnahmen der Abwehr eines gewalttätigen oder aufrührerischen Verlaufs der Versammlung oder von Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Teilnehmer
(§ 13 Abs. 1 Nr. 2 VersammlG). Das ist unstreitig und bedarf deshalb keiner weiteren Ausführungen.
Aber auch § 13 Abs. 1 N. 4 VersammlG trägt den Einsatz rechtlich nicht. Verstöße gegen die Strafgesetze rechtfertigen ein Vorgehen nach der ersten Alternative dieser Vorschrift innerhalb der Versammlung nur, wenn sie "durch
deren Verlauf" begangen worden sind. Strafbare Handlungen, die bei Gelegenheit der Versammlung begangen oder befürchtet werden, kommen als Grund für ein auf diese Vorschrift gestütztes Einschreiten nach ihrem eindeutigen
Wortlaut nicht in Betracht. Ein strafrechtlicher Verstoß im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative VersammlG lag jedoch nicht vor, als der Polizeivollzugsdienst die hier umstrittenen Maßnahmen anordnete und durchführte.
Gleiches gilt für die Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 4 2. Alternative VersammlG. Nach ihr reicht es aus, wenn in der Versammlung zu versammlungsbedingten Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter
dies nicht unverzüglich unterbindet. Es ist weder vom Beklagten geltend gemacht worden noch aus anderen Anhaltspunkten ersichtlich, daß einzelne Versammlungsteilnehmer in dem Zeitpunkt, als die Razzia begann, also vor dem
Beginn der Veranstaltung zu Straftaten, etwa dem befürchteten Verbreiten verbotener Schriften und Tonträger während der Versammlung aufgefordert oder angereizt hätten (vgl. zu den Begriffen Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13
RdNr. 29).
Für eine erweiternde Auslegung der Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 4 VersammlG bietet schon der Wortlaut der dort getroffenen Regelungen keine Möglichkeit. Sie verbietet sich aber auch vor dem Hintergrund des Art.
8 Abs. 1 GG. Im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten, durch einen Gesetzesvorbehalt nicht eingeschränkten Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen stellen sich die gesetzlichen Eingriffsermächtigungen des § 13
VersammlG als verfassungsimmanente Schranken der grundrechtlichen Gewährleistung dar; schon deshalb sind sie einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (vgl. zu den Grenzen für die gesetzliche Einschränkung der
Versammlungsfreiheit auch BVerfGE 69, 315ff.).
Der Senat sieht sich, um Mißverständnissen zu begegnen, zu dem Hinweis veranlaßt, daß ein polizeiliches Vorgehen gegen einzelne Teilnehmer der Veranstaltung, wie es hier aufgrund der Allgemeinverfügung der Beklagten
vorgesehen war, nicht schlechthin ausgeschlossen war. Rechtlich gehindert war der Polizeivollzugsdienst nur, die angeordneten Maßnahmen in den Räumen durchzuführen, in denen die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des
Versammlungsgesetzes den besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG genoß. Außerhalb der Versammlung, wo dieser Schutz nicht besteht, wären sie unter den Voraussetzungen der oben genannten Vorschriften des Polizeigesetzes
wohl möglich gewesen. Der Senat hat allerdings in diesem Verfahren, in dem es allein um die Rechtmäßigkeit der Razzia innerhalb des Versammlungsraums ging, nicht darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen des
Polizeigesetzes für Personenfeststellungen sowie für die Durchsuchung von Personen und Sachen außerhalb des Versammlungsraums vorlagen.
2.3 Die Klage hat auch Erfolg, soweit mit ihr die Feststellung begehrt wird, daß die Anfertigung von Videoaufnahmen zur Dokumentation der polizeilichen Razzia und zur Identifikation der Versammlungsteilnehmer bis zur
Festnahme des Klägers rechtswidrig gewesen ist. Die Bild- und Tonaufnahmen teilen das Schicksal der Maßnahmen, die sie dokumentieren; sie sind ebensowenig wie diese durch eine spezielle Ermächtigung des
Versammlungsgesetzes gedeckt.
Etwas anderes läßt sich auch aus § 12a VersammlG nicht herleiten. Bild- und Tonaufnahmen dürfen von der Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur gemacht werden, wenn auch die Voraussetzungen
für ein Einschreiten nach § 13 VersammlG vorliegen. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 12a VersammlG, jedoch aus einer verfassungskonformen Reduktion der Vorschrift, die für eine am Grundrecht der
Versammlungsfreiheit orientierten Anwendung dessen geboten ist, wozu sie ermächtigt. Ohne diese Einschränkung würde § 12a VersammlG der Polizei Bild- und Tonaufnahmen auch in oder im Zusammenhang mit öffentlichen
Versammlungen erlauben, die ordnungsgemäß verlaufen und damit keinerlei Anlaß zu einem polizeilichen Einschreiten geben. Eine so weit gehende Ermächtigung wäre mit dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, den solche
Versammlungen uneingeschränkt genießen, nicht zu vereinbaren (vgl. dazu auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 12a RdNr. 7). Da während des hier umstrittenen Zeitraums, der sich vom Beginn der Versammlung bis zur Festnahme
des Klägers erstreckt, ein Auflösungsgrund im Sinne des § 13 VersammlG nicht vorlag, waren auch die umstrittenen Videoaufnahmen nicht zulässig. ..."
*** (VG)
Für eine Klage, mit der die Rechtswidrigkeit der Auflösung eines als Geburtstagsfeier deklarierten Skinhead-Konzerts festgestellt werden soll, besteht unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Grundrechtsbetroffenheit ein
Feststellungsinteresse. Für die Auflösung eines Skinhead-Konzerts mit der Begründung, durch den Auftritt der engagierten Bands werde gegen § 20 I VereinsG (Verbot, den organisatorischen Zusammenhalt eines vollziehbar
verbotenen Vereins aufrechtzuerhalten oder zu unterstützen) verstoßen, reicht es nicht aus, wenn die als Veranstalter auftretende Person "dem engen politischen Umfeld" einer ehemaligen Führungsperson der verbotenen Vereinigung
zugerechnet wird und die Bands in der Vergangenheit auch bei Konzerten aufgetreten sind, die von der verbotenen Vereinigung veranstaltet wurde (VG Hamburg, Entscheidung vom 11.06.2002 - 10 VG 468/01, NordÖR 2002, 471).
§ 14
(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der
Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.
(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Die angegriffenen Entscheidungen halten sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Das Landgericht stützt die Verwarnung des Beschwerdeführers nicht schon für sich tragend darauf, dass dieser die von ihm veranstaltete
Versammlung bei der unzuständigen Behörde angezeigt hat. Vielmehr stellt es maßgeblich auch darauf ab, dass keine hinreichenden Umstände ersichtlich seien, auf die der Beschwerdeführer die Annahme hätte stützen können, die
Anmeldung werde an die zuständige Versammlungsbehörde weitergeleitet. Diese Würdigung ist vertretbar. ..." (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.04.2015 - 1 BvR 629/13)
***
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. ...
Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Tenors des Beschlusses schriftlich abgefasst.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen ein Versammlungsverbot, die das Verwaltungsgericht nur mit der Maßgabe vorgenommen
hatte, dass bestimmte Auflagen eingehalten werden.
I. 1. Der Antragsteller meldete im September 2005 für Samstag, den 3. Dezember 2005, zwei Versammlungen an. Die eine sollte in der Zeit von 12.30 Uhr bis 16.00 Uhr in Rastatt unter dem Thema ‚Rastatt stellt sich quer - keine
Freiräume für linksextreme Straftäter' stattfinden, die zweite war anschließend von 17.30 Uhr bis 21.30 Uhr in Karlsruhe unter dem Motto ‚Daniel Wretström, Sandro Weilkes, Pim Fortyn - kein Vergessen - kein Verzeihen!' geplant.
Im Internet wurde auf der Seite www.rastatt-info.org unter der Überschrift ‚Doppelschlag im Wilden Süden' für eine Teilnahme an beiden Demonstrationen geworben.
Für die Versammlung in Karlsruhe war ein Fackelmarsch durch die Innenstadt vorgesehen, dessen Wegstrecke wie folgt skizziert war: ‚Auftaktkundgebung Bahnhofsvorplatz, Umzug bis zum Europaplatz, dort Zwischenkundgebung,
Rückweg durch die Innenstadt zum Bahnhofsvorplatz, dort Abschlusskundgebung und Auflösung'.
2. Die jeweils zuständige Behörde verbot die Versammlungen in Rastatt und Karlsruhe. Die hiergegen gerichteten Anträge des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche hatten teilweise Erfolg:
a) Bezüglich der in Rastatt geplanten Versammlung stellte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 29. November 2005 (6 K 2678/05 ) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mit bestimmten Maßgaben wieder
her, die auf die Beschwerde der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens hin durch den Verwaltungsgerichtshof weiter ausgebaut wurden.
b) Hinsichtlich der in Karlsruhe geplanten Versammlung stellte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 28. November 2005 (3 K 2581/05 ) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mit der Maßgabe wieder her,
dass bestimmte Auflagen einzuhalten seien. Das Gericht entschied, dass dem Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug des Versammlungsverbots verschont zu bleiben, Vorrang gebührt, dass aber die Veranstaltung neben
weiteren Auflagen in räumlicher Hinsicht auf den Bahnhofsvorplatz zu beschränken, in zeitlicher Hinsicht auf 14.00 Uhr vorzuverlegen und auf die Tageslichtzeit zu beschränken ist (Auflage Nr. 1), der Antragsteller als
Versammlungsleiter ab 13.00 Uhr für die Polizei am Veranstaltungsort ansprechbar sein muss (Auflage Nr. 2 Abs. 2) und um 13.30 Uhr der Polizei die Ordner vorzustellen hat (Auflage Nr. 3 Abs. 5).
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht unter anderem aus, zu Lasten des Antragstellers sei zu berücksichtigen, dass er die Versammlung nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 14 VersG angemeldet habe. Ein Veranstalter
müsse bei der Anmeldung bestimmte Grundmerkmale der Versammlung (Angaben zu Zielen und Gegenstand der Veranstaltung, Ort, Zeitpunkt, Art) angeben. Die Versammlungsbehörde müsse sich anhand solcher Angaben in der
versammlungsrechtlichen Anmeldung zum einen ein Bild davon machen können, was für einen möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelung und sonstigen Maßnahmen zu veranlassen sei. Sie müsse zum
anderen erkennen können, welche Vorkehrungen im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich seien und wie beides aufeinander abgestimmt werden könne. In der schriftlichen Anmeldung sei die Wegstrecke für
den Demonstrationszug nur grob skizziert worden. Damit sei der Ablauf der Demonstration, zumal angesichts des angegebenen Zeitraums von vier Stunden, völlig unzureichend beschrieben gewesen. Der Antragsteller sei sich der
unzureichenden Beschreibung auch bewusst gewesen, denn er habe mit der Anmeldung angekündigt, die genaue Wegstrecke baldmöglichst mitzuteilen. Dies sei jedoch unterblieben. Auch habe er nicht die ihm angebotene
Möglichkeit eines Kooperationsgesprächs wahrgenommen, bei dem er die von ihm intendierte Wegstrecke hätte konkretisieren können.
Der Antragsteller plane seine Versammlung am 3. Dezember 2005, dem Samstag vor dem 2. Advent, im Innenstadtbereich von Karlsruhe. Große Teile der Innenstadt, darunter auch der vom Antragsteller für seine Kundgebung ins
Auge gefasste Europaplatz, seien bereits vom Weihnachtsmarkt belegt. Es sei in der Gegend gerade in den Abendstunden mit vielen Menschen zu rechnen, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigen und den Weihnachtsmarkt besuchen
wollten. Des weiteren seien mit Blick auf die von dem Antragsteller geplante Veranstaltung bereits Gegendemonstrationen angemeldet, und es sei damit zu rechnen, dass sowohl die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung als
auch die Gegendemonstrationen, selbst wenn sie von den Veranstaltern friedlich intendiert seien, auch gewaltbereite Störer anzögen. Im Innenstadtbereich seien angesichts der Veranstaltung des Weihnachtsmarkts und des damit
verbundenen Besucherandrangs jedenfalls in der Dunkelheit polizeiliche Maßnahmen zum Schutz der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Durch die räumliche
Beschränkung auf den vom Antragsteller selbst für seine Demonstration ausgewählten Bahnhofsvorplatz und - zusätzlich - eine zeitliche Verlagerung auf die Tageszeit ab 14.00 Uhr sei es der Ordnungsbehörde grundsätzlich möglich,
einen störungsfreien Verlauf der Veranstaltung zu sichern.
Auf diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe regte der Antragsteller zunächst eine Abänderung des Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO an. Er wies darauf hin, dass die Demonstration in Rastatt um 12.30 Uhr beginnen
solle. Wegen der gerichtlichen Auflagen müsse er aber bereits um 13.00 Uhr in Karlsruhe sein, um die Veranstaltung dort durchführen zu können. Damit würde ihm entweder die Möglichkeit genommen, die Demonstration in Rastatt
durchzuführen oder die Demonstration in Karlsruhe zu veranstalten. Eine Änderung des Beschlusses vom 28. November 2005 lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. November 2005 (3 K 2739/05 ) ab.
Mit Verfügung vom 28. November 2005 hat die Stadt Karlsruhe die im Gerichtsbeschluss vom selben Tag (3 K 2581/05) als Maßgabe aufgenommenen Auflagen im Wesentlichen wortgleich unter Anordnung des Sofortvollzugs
angeordnet. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der bereits im Beschluss genannten Auflagen lehnte das Verwaltungsgericht am 29. November 2005 ab (3 K 2743/05). Es fehle am
Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller sich gegen Handlungs- und Unterlassungspflichten wende, die ihm bereits durch das Gericht auferlegt worden seien.
Die daraufhin vom Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. November 2005 erhobene Beschwerde richtete sich gegen die vom Verwaltungsgericht hinsichtlich Zeitpunkt und Ort der Versammlung
tenorierten Auflagen. Zur Begründung trug er unter anderem vor: Der vom Gericht erwähnte Umstand, dass der Europlatz am 3. Dezember in den Abendstunden mit einem Weihnachtsmarkt belegt sei, dürfte zwar ein tatsächliches
Hindernis für die Durchführung einer Zwischenkundgebung sein; indes sei dies kein Grund, ihm einen Umzug generell zu verwehren. Vielmehr sei die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, gegebenenfalls einen alternativen Platz für
eine Zwischenkundgebung zu benennen. Dass Gegendemonstrationen geplant seien, könne ihm wegen des Erstanmelderprivilegs ohnehin nicht zum Nachteil gereichen. Soweit das Gericht darauf abstelle, dass in der Dunkelheit
polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Versammlungsteilehmern und unbeteiligten Dritten erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich seien, sei dieser Aspekt nicht geeignet, auch eine rein stationäre Versammlung auf die
Tageslichtzeit zu beschränken.
Die Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 2. Dezember 2005 zurück. Die an diesem Tag bekannt gegebene Entscheidung enthielt keine Gründe. Erst einige Tage später - nach Ablauf des geplanten
Tags der Versammlung - begründete der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung.
3. Noch am 2. Dezember 2005 hat der Antragsteller beim Bundesverfassungsgericht beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 28. und 29. November (3 K 2581/05 und 3 K 2743/05)
sowie unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Dezember 2005 (1 S 2387/05) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Weise
wieder herzustellen, dass die Stadt Karlsruhe verpflichtet werde, die für den 3. Dezember 2005 angemeldete Versammlung unter freiem Himmel mit Aufzug in der Zeit von 17.30 Uhr bis 21.30 Uhr zuzulassen und dem Aufzug eine
geeignete Wegstrecke zuzuweisen, beginnend und endend am Bahnhofsvorplatz. Zur Begründung verwies der Antragsteller auf die zeitliche Kollision mit der in Rastatt geplanten Demonstration. Durch die Maßgabe, dass die
Versammlung in Karlsruhe um 14.00 Uhr zu beginnen habe und nur während der Tageslichtzeit durchgeführt werden dürfe, sei es unmöglich, beide Veranstaltungen durchzuführen. Erschwerend komme hinzu, dass er, der
Antragsteller, auf Grund der Auflagen bereits um 13.00 Uhr in Karlsruhe sein müsse. Überdies stelle es einen schweren Nachteil dar, dass die Versammlung auf eine rein stationäre Versammlung beschränkt bleibe, deren Wirkung
geringer sei als die einer Demonstration mit Umzug.
II. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr schwerer Nachteile für den Antragsteller nicht nach § 32 Abs. 1 BVerfGG geboten.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller nicht in einer im Eilverfahren ausreichenden Weise dargelegt hat, dass die Auflage, die Versammlung zur Tageslichtzeit durchzuführen, einen schweren Nachteil im Sinne des § 32
Abs. 1 BVerfGG bedeutet. Nach dem Vorbringen in der Antragsschrift ist nicht erkennbar, dass das Demonstrationsanliegen nicht auch zur Tageslichtzeit verfolgt werden kann. Auch das Motto der Demonstration gibt keinen Hinweis
darauf, warum das Anliegen nur in der Dunkelheit angemessen wahrgenommen werden kann.
2. Soweit eine mögliche Verfassungsbeschwerde zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre, prüft das Bundesverfassungsgericht, ob einstweiliger Rechtsschutz zur Abwehr
eines schweren Nachteils dringend geboten ist. Dafür muss es die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweiligen Anordnung Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige
Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 <186> [BVerfG 20.04.1993 - 2 BvQ 14/93] ; stRspr).
a) Der Prüfung eines Antrags nach § 32 Abs. 1 BVerfGG legt das Bundesverfassungsgericht in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidung zu Grunde (vgl. hierzu etwa
BVerfGE 34, 211 <216> [BVerfG 24.01.1973 - 1 BvR 16/73] ; 36, 37 <40> [BVerfG 31.07.1973 - 2 BvF 1/73] ; siehe auch BVerfGK 3, 97 <99>). Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder
die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGK 3, 97 <99>). Davon ist vorliegend nicht auszugehen.
(1) Maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Überprüfung im Eilverfahren sind die vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 28. November 2005 genannten Gründe auch im Hinblick auf den Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs. Die am 2. Dezember 2005 bekannt gegebene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs enthält keine eigene Begründung. Damit ist bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung davon auszugehen, dass der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen hat (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO ). Zwar fehlt der Hinweis
darauf, dass das Rechtsmittelgericht die Auffassung der Vorinstanz teilt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 122 Rn 8); dies ist - sofern die Begründung der Vorinstanz nach oben genanntem Maßstab ausreichend ist -
indes kein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Folgenabwägung nach § 32 BVerfGG Bedeutung erlangt.
Will das Gericht seine Entscheidung in Fällen, in denen nach § 122 Abs. 2 VwGO eine Begründung nicht obligatorisch ist, eigenständig begründen, muss dies, wenn die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes beim
Bundesverfassungsgericht absehbar ist, so frühzeitig geschehen, dass der Antragsteller die Gründe in seinen Antrag einbeziehen und das Bundesverfassungsgericht sie in seiner Entscheidung berücksichtigen kann. In
versammlungsrechtlichen Streitigkeiten ist effektiver Rechtsschutz häufig nur im Eilrechtsschutzverfahren zu erreichen (vgl. BVerfGE 69, 315 <341>). Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG haben die Gerichte
interpretationsleitend auch bei ihrer Entscheidung über Erfordernis und Zeitpunkt der Begründung zu berücksichtigen.
(2) Die Tatsachenfeststellungen und -würdigung des Verwaltungsgerichts sind nicht offensichtlich fehlsam.
Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die öffentliche Sicherheit bei Durchführung einer Versammlung im Zentrum der Innenstadt am Samstag vor dem 2. Advent, in dem die betroffenen
Plätze und Straßen erfahrungsgemäß dicht bevölkert und jedenfalls durch die Stände des Weihnachtsmarkts besonders unübersichtlich sind, erheblich stärker gefährdet ist als bei Durchführung der Versammlung zur Tageslichtzeit in
einer nicht durch den Weihnachtsmarkt belegten Örtlichkeit.
Soweit das Verwaltungsgericht auf Risiken gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern der Demonstration des Antragstellers und der angemeldeten Gegendemonstrationen verweist, ist auch dies nicht offensichtlich
fehlsam. Bei der Einschätzung, unter welchen Bedingungen die Polizei zum effektiven Schutz einer Versammlung sowie der an ihr nicht beteiligten Dritten in der Lage ist, sind absehbare Gefahrenquellen einzubeziehen. Es ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht unter den angenommenen Umständen angesichts des in der Innenstadt zu erwartenden großen Personenandrangs und der durch den Weihnachtsmarkt bedingten
Unübersichtlichkeit eine andernfalls nicht beherrschbare Gefahr gewalttätiger Zusammenstöße zwischen einzelnen Personen bejaht und zu sichern sucht, dass die Lage polizeilich beherrschbar bleibt. Insofern muss es darauf Rücksicht
nehmen, unter welchen Voraussetzungen die verfügbaren polizeilichen Kräfte die Gefahrenabwehr effektiv durchführen können (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März 2001, NJW 2001, S. 1411, 1412)
[BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01] .
b) Es bedeutet keinen schweren Nachteil für den Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht dem Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die vorgesehenen Auflagen Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers gegeben
hat, den Aufzug so wie beantragt oder auf einer anderen Wegstrecke durchzuführen.
(1) Insbesondere entsteht ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht daraus, dass die Veränderungen des Zeitpunkts der Demonstration zu einer zeitlichen Kollision mit der ebenfalls vom Antragsteller in Rastatt
geplanten Versammlung führt. Eine Folgenabwägung ergibt nicht, dass das Anliegen des Antragstellers, diese Kollision auszuschließen, stärker zu gewichten ist als der Auftrag der Polizei zum Schutz auch anderer betroffenen
Rechtsgüter, die aus Anlass der Demonstration gefährdet sind.
Art. 8 GG gewährleistet das Recht, Versammlungen zu veranstalten und durchzuführen. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung ist beschränkt, soweit seine Ausübung zur
Kollision mit Rechtsgütern anderer führt (vgl. BVerfGE 104, 92 <111 f.>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März 2001, NJW 2001, S. 1411, 1413 [BVerfG 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01] ; BVerfGK 2, 1 <6>).
In einem solchen Fall kann praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz auch dadurch hergestellt werden, dass die Modalitäten der Versammlungsdurchführung durch Auflagen verändert werden. Der Umstand, dass der
Antragsteller infolge der Auflagen nur entweder die eine oder die andere Versammlung durchführen kann, ändert nichts an der vom Verwaltungsgericht angestellten Gefahrenprognose für die in Karlsruhe geplante Veranstaltung.
Dass der Veranstalter in zeitlicher Nähe auch anderorts eine Veranstaltung zu einem anderen Thema durchführen will, ist Gegenstand seiner eigenen Entscheidung. Dem Antragsteller hätten Möglichkeiten zur Verfügung gestanden,
der entstandenen zeitlichen Kollision bei der Durchführung beider Veranstaltungen entgegen zu wirken. Abgesehen davon, dass der enge Zeitplan - Beginn der Veranstaltung in Rastatt um 12.30 Uhr für die Dauer von vier Stunden
und Beginn der Veranstaltung in Karlsruhe um 17.30 Uhr - bereits das Risiko von Schwierigkeiten bei der Durchführung in sich barg, hätte der Antragsteller - nachdem das Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz nur für die
Versammlung zur Tageslichtzeit gewährte - die Anmeldung bei der Stadt Rastatt dahingehend ändern können, dass die dortige Veranstaltung zu einem früheren Zeitpunkt stattfindet. Die Veranstaltungsmotti beider Versammlungen
lassen nicht darauf schließen, dass das Abhalten der Veranstaltungen gerade an diesem Tag sowie in Rastatt erst ab 12.30 Uhr zur Erfüllung der Anliegen des Antragstellers unabdingbar ist.
(2) Auch die Auflage, nach der die Veranstaltung nur ortsfest am Bahnhofsvorplatz durchgeführt werden darf, bedeutet keinen schweren Nachteil für den Antragsteller.
Dahinstehen kann dabei, ob das Verwaltungsgericht annehmen durfte, dass der Antragsteller die Veranstaltung durch die bloße Benennung von Anfangs-, Wende- und Endpunkt der Wegstrecke nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 14
VersG angemeldet hat. Unstreitig führt die vom Antragsteller in groben Zügen angemeldete Wegstrecke über den Weihnachtsmarkt am Europaplatz und es werden bei einem Zu- und Abgang zu diesem Platz unweigerlich weitere stark
von Weihnachtseinkäufern frequentierte Straßen benutzt, einerlei welche Strecke konkret gewählt wird. Offensichtlich will der Antragsteller auf diese Weise die durch die Weihnachtseinkäufe am Samstag vor dem 2. Advent geprägte
Situation der Zusammenballung besonders vieler Personen und die bei einem Aufzug durch die Einkaufsgegend zu erwartenden Behinderungen der Besucher dieser Straßen und Plätze als Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit für
sein Demonstrationsanliegen nutzen. Dieses hat allerdings keinen thematischen Bezug zu Weihnachten oder dem zu Weihnachten üblichen Konsumverhalten. Der Antragsteller hat die für den Aufzug vorgesehene Örtlichkeit nicht aus
inhaltlichen Gründen seines Demonstrationsanliegens gewählt, so dass durch einen Wechsel des Ortes insoweit kein schwerer Nachteil entstehen kann.
Seine Absicht, die Wirkung der Versammlung zu steigern, will er auf eine Weise sichern, die unweigerlich zu Beeinträchtigungen der ebenfalls grundrechtlich, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG geschützten
Entfaltungsmöglichkeiten der Passanten sowie der Inhaber der Läden und Buden führt. Die Verwaltungsbehörde und die Gerichte haben auch diese Grundrechte in ihre Folgenabwägung einzubeziehen und nach Wegen zu suchen, um
die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering zu halten. Ein geeignetes Mittel kann die Verlegung der Versammlung in örtlicher Hinsicht und unter besonderen Umständen auch ihre Begrenzung auf eine stationäre
Veranstaltung sein. Ob diese besonderen Umstände hier einen Aufzug ausschlossen oder dem Antragsteller - wie er meint - eine andere Wegstrecke hätte zugewiesen werden müssen, müsste gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren
geklärt werden. Einen schweren Nachteil bedeutet die vom Verwaltungsgericht vorgesehene Auflage jedenfalls nicht. Es ist vom Antragsteller nicht dargetan, dass bei Zuweisung einer anderen, nicht durch die Innenstadt führenden
Wegstrecke eine so erhebliche Steigerung der Wirkungsmöglichkeiten der Versammlung hätte erreicht werden können, dass die im Interesse des Rechtsgüterschutzes anderer vorgenommene Begrenzung auf eine ortsfeste
Versammlung an dem ebenfalls belebten Bahnhofsvorplatz einen schweren Nachteil darstellt.
3. Über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. November 2005, die der zweiten Verfügung der Ordnungsbehörde vom 28. November 2005 gilt, ist nicht zu entscheiden.
Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof durch seinen - vom Antragsteller nicht vorgelegten - Beschluss vom 2. Dezember 2005 (1 S 2389/05) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder hergestellt. Die erst später erfolgte
Begründung ergibt, dass damit für den Antragsteller allerdings nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, die Versammlung ohne Auflagen durchzuführen. Vielmehr führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass es der Verwaltungsbehörde
nicht gestattet gewesen sei, die gerichtlichen Auflagen - erneut - in Form eines belastenden und selbständig anfechtbaren Verwaltungsakts zu erlassen. Ob dies zutreffend ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Jedenfalls ist mit
der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die zweite Verfügung der Ordnungsbehörde ein Rechtsschutzbedürfnis für verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gegen den zu Grunde liegenden
Beschluss des Verwaltungsgerichts entfallen. ..." (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05)
***
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin (Holocaust-Mahnmal) durch § 15 II 2 VersG als ein Ort bestimmt worden ist, an dem ein Aufzug unter den
Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 verboten oder von Auflage abhängig gemacht werden kann, darunter auch der Auflage, den Aufzug nicht am Denkmal vorbeizuführen. Die Annahme von Behörde und Gerichten, der von den
‚Jungen Nationaldemokraten' - einer Jugendorganisation der NPD - für den 8.5.2005 unter dem Motto ‚60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult' geplante Aufzug entlang dem Berliner Holocaust-Mahnmal lasse besorgen,
dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft beeinträchtigt werde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der aus Gründen der staatlichen Neutralität grundsätzlich zu
beachtende Vorrang für den Erstanmelder einer Versammlung kann vernachlässigt werden, wenn wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszweckes,
für eine andere Vorgehensweise sprechen. Der Prioritätsgrundsatz wird aber maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu
verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Versammlung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später angemeldeten
Versammlung gegeben hat (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2005 - 1 BvR 961/05).
***
Versammlung i. S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Unfriedlich ist eine
Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob die
Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen. Versammlungsrechtliche Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG sind auf die Spontanversammlung nicht anwendbar, soweit der mit der
Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschrift nicht erreicht werden könnte. Gegenüber einem Versammlungsteilnehmer kommt erst nach Auflösung der Versammlung gem. § 15 II VersG oder nach
versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss aus der Versammlung ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann (BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01).
***
Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird nicht allein dadurch insgesamt zu einer Versammlung i.S. des Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Es begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlich
durchgreifenden Bedenken, die so genannte ‚Fuckparade' und die so genannte ‚Love Parade' in Berlin nicht als Versammlung einzuordnen (BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 30/01, NJW 2001, 2459).
***
§ 14 VersG ist im Blick auf Art. 8 GG verfassungskonform dahin auszulegen, daß Eilversammlungen anzumelden sind, sobald die Möglichkeit dazu besteht. § 26 Nr. 2 VersG genügt auch für Eilversammlungen den Anforderungen
des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II 2 GG; BVerfG, Entscheidung vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88, NJW 1992, 890).
***
Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zur
verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15). Je
mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit. Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstrebt oder zumindest billigen, bleibt für die
friedliche Teilnahme der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. Das Recht des Bürgers,
durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende
Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. Die Verwaltungsgerichte haben schon im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der
Grundrechtsverwirklichung führt (BVerfG, Entscheidung vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a., NJW 1985, 2395).
*** (BVerwG)
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt nicht von vornherein eine Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des
Straßen- und Wegerechts aus (wie Urteil vom 6. September 1988 - BVerwG 1 C 71.86 -). Der Leiter einer Versammlung als solcher gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach allgemeinen Grundsätzen zur Straßenreinigung
herangezogen werden darf (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 - 1 C 15/86):
„... 2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es an einer Rechtsgrundlage zur Inanspruchnahme des Beklagten für die Kosten der Sonderstraßenreinigung. Das Berufungsgericht leitet
die Kostenerstattungspflicht aus § 44 des baden-württembergischen Straßengesetzes in der damals geltenden Fassung vom 20. März 1964 (GBl. S. 127), geändert durch Gesetz vom 21. Juni 1977 (GBl. S. 227) - StrG - ab. Nach dieser
Bestimmung hat, wer eine Straße über das übliche Maß hinaus verunreinigt, die Verunreinigung ohne Aufforderung unverzüglich zu beseitigen (Satz 1); werden entgegen dieser Bestimmung oder entgegen den Vorschriften der
Straßenverkehrs-Ordnung Gegenstände oder Verunreinigungen von dem hierfür Verantwortlichen nicht unverzüglich beseitigt oder ist dieser zu einer alsbaldigen Beseitigung nicht in der Lage, so kann unter anderem die
Straßenbaubehörde die Gegenstände auf Kosten des Verantwortlichen beseitigen oder beseitigen lassen (Satz 2).
a) Nach der insoweit für das Revisionsgericht bindenden rechtlichen Würdigung des Landesrechts durch das Berufungsgericht (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) setzt die Kostenerstattungspflicht nach § 44 Satz 2 StrG eine Verletzung der
Reinigungspflicht nach § 44 Satz 1 StrG oder eine hier nicht festgestellte Verkehrsbeeinträchtigung i.S. des § 32 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung voraus. Ob eine derartige Reinigungspflicht dem Beklagten als Versammlungsleiter
obliegt, läßt das Berufungsgericht offen.
b) Zu Unrecht leitet das Berufungsgericht eine Reinigungspflicht des Beklagten aus dem nicht angefochtenen und daher bestandskräftigen Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 ab, der die Auflage enthielt, daß für die
Beseitigung weggeworfener Flugblätter zu sorgen sei. Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach dieser Bescheid die Reinigungspflicht auf der Grundlage des § 44 StrG auf die Person des Beklagten konkretisiert habe, hält
revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht beachtet nicht die - revisible - Auslegungsregel, daß es auf den Erklärungsinhalt des Verwaltungsaktes, wie der Adressat ihn bei objektiver Würdigung verstehen durfte,
ankommt und daß Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen (vgl. z.B. BVerwGE 60, 223 <228 f.>).
Es mag schon zweifelhaft sein, ob, worauf der Oberbundesanwalt hinweist, die Auflage den Beklagten, das Zentrale Aktionskomitee der Baden-Württembergischen Studentenschaften als den Veranstalter oder die hinter diesem
Komitee stehenden Organisationen der GEW und des VDS verpflichtete, von denen die Klägerin zunächst die Kostenerstattung verlangte, und ob sie sich über die Beseitigung weggeworfener Flugblätter hinaus auch auf die Reinigung
der Straßen von sonstigem Müll erstreckte, den die Klägerin bei der Sonderreinigung ebenfalls entfernen ließ. Jedenfalls wurde im Bescheid die Beseitigungspflicht nicht auf der Grundlage des § 44 StrG festgelegt. Vielmehr wird der
Bescheid bezüglich dieser Auflage ausdrücklich nur auf die bundesrechtliche Vorschrift des § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG -, nicht darüber hinaus auf Vorschriften des Landesstraßenrechts gestützt. Auch der
Zusammenhang mit den übrigen im Bescheid gemachten Auflagen ergibt, daß hier dem Beklagten als Versammlungsleiter lediglich versammlungsrechtliche Auflagen erteilt werden sollten. So wurde ihm aufgegeben, für den
ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung entsprechend der Anmeldung über ihren zeitlichen und räumlichen Verlauf zu sorgen, die 200 vorgesehenen Ordner anzuhalten, gegen Störungen in angemessener Form einzuschreiten, den
Teilnehmern den Schluß der Veranstaltung bekanntzugeben und sie dann aufzufordern, sich zu zerstreuen und die Veranstaltung (vorzeitig) für beendet zu erklären, wenn er als verantwortlicher Leiter sich nicht durchzusetzen
vermöge. Nach seinem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers, konnte der Bescheid nur dahin verstanden werden, daß er allenfalls eine versammlungsrechtliche Pflicht zur Beseitigung weggeworfener
Flugblätter, nicht jedoch eine straßen- oder straßenverkehrsrechtliche Pflicht zur Reinigung einer über das übliche Maß hinausreichenden Straßenverunreinigung begründete. Damit entfällt aber eine aus der Auflage der Klägerin in
Verbindung mit § 44 Satz 1 StrG hergeleitete Kostenhaftung des Beklagten nach § 44 Satz 2 StrG.
3. Eine derartige Haftung ergibt sich auch nicht aus anderen Erwägungen, die das Berufungsurteil als im Ergebnis richtig darstellen und die Zurückweisung der Revision nach § 144 Abs. 4 VwGO rechtfertigen würden. Weder läßt sich
eine Reinigungspflicht des Beklagten unmittelbar aus den Vorschriften des Straßen- und des Straßenverkehrsrechts herleiten noch schließt die unanfechtbare Auflage im Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 eine
Verantwortung des Beklagten für die Kosten der Straßenreinigung ein.
a) Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob zu dem nach § 44 Satz 1 StrG für die Straßenreinigung verantwortlichen Personenkreis neben dem Veranstalter und dem Verteiler von Flugblättern auch der Beklagte als
Versammlungsleiter gehört. Dies ermöglicht es dem Revisionsgericht, insoweit bei seiner Sachentscheidung auch nicht-revisibles Landesrecht anzuwenden (BVerwGE 19, 204 <211 f.>; 57, 130 <143>; 61, 15 <23>). Eine
Reinigungspflicht des Beklagten nach § 44 Satz 1 StrG und im Falle einer Verkehrsbeeinträchtigung darüber hinaus nach § 32 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung besteht nicht.
Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten freilich noch nicht daraus, daß dieser mit der Veranstaltung der Kundgebung von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat.
Die Straßenreinigungs- und Kostenerstattungspflicht stellt das Recht zur Durchführung einer Versammlung als solches nicht in Frage und tangiert insoweit die Versammlungsfreiheit nicht. Sie kann auch nicht mit der Erwägung in
Zweifel gezogen werden, die Sauberhaltung der Straßen sei dem hohen Rechtsgut der Demonstrationsfreiheit nicht gleichwertig; denn nach Durchführung der Versammlung ist für eine Güterabwägung zwischen dem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit und Belangen des Straßen- und Wegerechts kein Raum mehr. Auch die Furcht vor nicht absehbaren Kostenfolgen schließt von Verfassungs wegen nicht von vornherein eine straßenrechtliche Reinigungs- und
Kostenerstattungspflicht aus, wie der Senat mit Urteil vom gleichen Tage in der Sache BVerwG 1 C 71.86 für den Veranstalter einer Versammlung im einzelnen ausgeführt hat.
Indes scheitert eine Inanspruchnahme des Beklagten daran, daß er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht selbst Flugblätter verteilte oder verteilen ließ. Er gehört nicht etwa schon wegen seiner Eigenschaft als
Versammlungsleiter zu dem Personenkreis, der nach den Grundsätzen der polizeirechtlichen Handlungshaftung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts insoweit maßgebend sind, als unmittelbarer Handlungsstörer oder als
Zweckveranlasser zur Straßenreinigung herangezogen werden darf. Es bestehen bereits Zweifel, ob und unter welchen Voraussetzungen der Veranstalter einer Versammlung als solcher für versammlungsbedingte
Straßenverunreinigungen verantwortlich ist (vgl. Urteil des Senats a.a.O.). Für den Versammlungsleiter ist eine solche Verantwortlichkeit zu verneinen. Die bloße Tätigkeit als Versammlungsleiter steht in keinem Zusammenhang mit
der Straßenverunreinigung. Für eine Verantwortlichkeit durch Unterlassen fehlt es an einer ihm obliegenden öffentlich- rechtlichen Handlungspflicht zur Beseitigung der Straßenverschmutzung. Der Versammlungsleiter ist eine
spezifische Einrichtung des Versammlungsrechts, dessen Funktionen zeitlich auf die Dauer der Versammlung, personell auf die Versammlungsteilnehmer und sachlich auf die Versammlungsleitung begrenzt sind. Er hat während der
Versammlung für Ordnung zu sorgen (§§ 8 Satz 2, 18 Abs. 1 VersG), wobei Ordnung im Sinne dieser Vorschrift auf den Ablauf der Versammlung bezogen ist und nicht mit dem weiterreichenden Begriff der öffentlichen Ordnung im
Sinne des Polizeirechts gleichgesetzt werden darf (Dietel-Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 8. Aufl. 1985, § 8 VersG Rdnr. 14). Der Versammlungsleiter kann sich zur Erfüllung seiner Pflichten nach dem
Versammlungsgesetz der Hilfe von genehmigten Ordnern bedienen (§§ 9 Abs. 1, 18 Abs. 1 VersG) und an die Versammlungsteilnehmer Anweisungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung richten (§§ 10, 18 Abs. 1 VersG), deren
Nichtbefolgung zum Ausschluß der Versammlungsteilnehmer durch die Polizei (§ 18 Abs. 3 VersG), letztlich zur Schließung der Versammlung durch den Versammlungsleiter führen kann (§§ 8 Satz 3, 18 Abs. 1 VersG; im
wesentlichen ebenso für Aufzüge § 19 VersG). Weitere Befugnisse stehen dem Leiter einer Versammlung nicht zu. Damit sind auch seine Pflichten begrenzt. Sie schließen nicht die Pflicht zur Reinigung der Straßen von
weggeworfenen Flugblättern oder gar von jeglichem Müll und Abfall ein, der die Straße übermäßig verunreinigt.
b) Aus dem Bescheid der Klägerin vom 4. November 1977 läßt sich ebenfalls keine Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der Straßenreinigungskosten ableiten. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 15 Abs. 1 des VersG, wonach
die zuständige Behörde bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen darf, auch die Befugnis einschließt, dem Versammlungsleiter die
Beseitigung weggeworfener Flugblätter nach Durchführung der Versammlung aufzuerlegen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß eine derartige Verpflichtung des Beklagten durch den Bescheid vom 4. November 1977 begründet
worden ist und infolge seiner Bestandskraft nicht mehr in Frage gestellt werden kann, folgt daraus noch nicht die hier allein in Rede stehende Kostenerstattungspflicht des Beklagten. Denn eine diesbezügliche Anordnung enthält der
Bescheid nicht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin schließt die durch eine versammlungsrechtliche Auflage begründete Reinigungspflicht auch nicht die Befugnis der Behörde ein, der Auflage durch das Zwangsmittel der Ersatzvornahme und der
damit verbundenen Kostenlast Nachdruck zu verleihen. Denn das Versammlungsgesetz sieht bei Nichtbefolgung versammlungsrechtlicher Auflagen abschließend eigene Sanktionen vor: Der Versammlungsleiter verwirkt nach § 25
Nr. 2 VersG eine Freiheits- oder Geldstrafe, wenn er einer ihm erteilten Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht nachkommt. Darüber hinaus kann bei Zuwiderhandeln oder Nichtbeachtung von Auflagen die zuständige Behörde - unter
Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - die Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG auflösen. Demgegenüber ist im Versammlungsgesetz nicht vorgesehen, daß die Behörde dem Versammlungsleiter die Reinigungskosten
auferlegen darf, wenn sie die dem Versammlungsleiter erteilte Auflage zur Reinigung der Straße durchsetzt, indem sie mit eigenen Kräften die Straße reinigt.
Scheidet eine Inanspruchnahme des Beklagten für die Kosten der Straßenreinigung aus, kommt es nicht mehr darauf an, ob im vorliegenden Fall eine über das übliche Maß hinausreichende Straßenverunreinigung eingetreten ist, was
der Beklagte in Abrede stellt, und ob seine in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge unzureichender Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO durchgreift. ..."
***
Straßen- und wegerechtliche Vorschriften des Bundes und der Länder über die Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen werden durch das Versammlungsgesetz auch dann nicht
verdrängt, wenn die Straßenverunreinigung die Folge der Veranstaltung einer Versammlung ist. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt nicht von vornherein die Inanspruchnahme des Veranstalters
einer Versammlung für die durch die Versammlung eingetretene Straßenverunreinigung aus; ob der Veranstalter als solcher nach allgemeinen Grundsätzen in Anspruch genommen werden kann, bleibt offen. Zu den Anforderungen an
eine unverzügliche Beseitigung einer über das übliche Maß hinausreichenden Straßenverunreinigung (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 - 1 C 71/86):
„... Der Kläger meldete Anfang November 1982 beim Beklagten für Sonnabend, den 4. Dezember 1982, eine Demonstration gegen die Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes an. Die erwarteten 40 - 50 000 Teilnehmer
sollten sich an zwei Sammelplätzen in Bonn zu einer Auftaktkundgebung treffen und in getrennten Demonstrationszügen zum Hofgarten ziehen, wo eine Abschlußkundgebung vorgesehen war. Der Polizeipräsident der Stadt Bonn
gab dem Kläger am 29. November 1982 u. a. den Hinweis, daß "an den Aufstellplätzen und am Kundgebungsort Toilettenwagen und Müllcontainer in ausreichender Zahl bereitzustellen" seien. Dementsprechend
verfuhr der Kläger. Die Demonstration fand wie vorgesehen statt. Die Teilnehmer zogen ab 14.00 Uhr auf den vorgesehenen Zugwegen, darunter der als Bundesstraße 56 ausgewiesenen Kennedy-Brücke über den Rhein zum
Hofgarten, wo die Abschlußkundgebung von 16.00 bis 18.00 Uhr stattfand. Bereits während der Veranstaltung säuberte das Straßenreinigungsamt der Stadt Bonn ab 14.30 Uhr die mit weggeworfenen, nicht vom Kläger herrührenden
Flugblättern, Getränkedosen und Pappabfällen förmlich übersäten Sammelplätze und Zugwege; die Reinigungsaktion wurde um 21.00 Uhr abgeschlossen. Zuvor war entsprechend einer seit der zweiten Jahreshälfte 1982 eingeführten
Verwaltungspraxis bereits bei zwei Großdemonstrationen eine derartige Sonderreinigung durchgeführt worden. Mit Bescheid vom 10. Juni 1983 forderte der Beklagte den Kläger auf, ihm die durch die Straßenreinigung entstandenen
Kosten in Höhe von 3 673,80 DM zu erstatten. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.
Der Kläger hat daraufhin Klage gegen den Kosten- sowie den Widerspruchsbescheid erhoben, der das Verwaltungsgericht stattgegeben hat. Auf Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil mit im
wesentlichen folgender Begründung bestätigt: Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid sei, soweit Teilabschnitte der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 56 gereinigt worden seien, § 7 Abs. 3 Bundesfernstraßengesetz, im übrigen der
dieser Vorschrift nachgebildete § 17 des Landesstraßen- und Wegegesetzes von Nordrhein-Westfalen. Nach der Veranstaltung seien, gemessen an dem üblichen Zustand großstädtischer Straßen, die durch den Demonstrationszug
berührten Straßen und Sammelplätze über das übliche Maß hinaus verschmutzt gewesen. Da diese Straßen nicht unverzüglich nach Passieren des Demonstrationszuges gereinigt worden seien, habe die Stadt Bonn ohne besondere
Aufforderung die Straßen reinigen und gegen den Verunreiniger einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen dürfen. Der Kläger sei jedoch nicht Schuldner dieses Anspruchs. Mangels ausdrücklicher Regelung in den genannten
Bestimmungen beurteile sich die Verantwortung für die Verunreinigung der Straßen nach den polizeirechtlichen Begriffen der unmittelbaren Verursachung sowie der Zweckveranlassung. Hier sei die Verschmutzung nicht direkt durch
Handlungen des Klägers, etwa das Verteilen von Flugblättern oder die Ausgabe von Verpflegung, eingetreten, sondern sei unmittelbare Folge des selbständigen Handelns dritter Personen. Der Kläger sei auch nicht Zweckveranlasser,
weil eine bewertende Beurteilung seiner Verhaltensweise unter Berücksichtigung ihres Grundrechtscharakters ergebe, daß der Veranstalter einer Demonstration für derartige Handlungsfolgen Dritter nicht die Verantwortung trage. Der
Veranstalter habe zwar organisatorische Maßnahmen zu treffen, um für einen ordnungsgemäßen Verlauf der Veranstaltung zu sorgen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen zu minimalisieren. Er habe jedoch ebensowenig wie
der Versammlungsleiter die Möglichkeit, Anweisungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung zwangsweise durchzusetzen. Dieses Recht stehe nur der Polizei zu. Anders als ein Gewerbetreibender könne der Veranstalter die durch eine
besondere Straßenreinigung entstehenden Kosten nicht auf die Demonstrationsteilnehmer abwälzen. Er könne auch nicht deren disziplinloses Verhalten steuern. Ein derartiges Verhalten möge zwar heutzutage häufig zu beobachten
sein, sei jedoch nicht das eigentliche Ziel der Demonstration, sondern ebenso ein Exzeß der Teilnehmer wie Steinwürfe oder die Ausübung von Gewalttätigkeiten. Eine kostenmäßige Belastung des Veranstalters für derartige
Exzeßhandlungen Dritter würde zu einer übermäßigen Einschränkung und Aushöhlung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit führen. Dieses stünde nur noch solchen Personen zu, die genügend finanzielle Mittel besäßen, um
derartige letztlich nicht im voraus sicher zu kalkulierende Haftungskosten übernehmen zu können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er geltend macht, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gebiete nicht, den Kläger von seinen Pflichten nach dem Straßenrecht freizustellen. Mit der Anforderung
der Straßenreinigungskosten werde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch nicht ausgehöhlt. Diese Kosten hielten sich im Vergleich zu sonstigen Vorbereitungs- und Durchführungskosten einer Versammlung in einem
vertretbaren Umfang. Niemand werde wegen dieser Kosten von der Durchführung einer Versammlung Abstand nehmen. Der Veranstalter könne zudem durch Hilfskräfte selbst die Straßenverunreinigung beseitigen.
In seiner Revisionserwiderung meint der Kläger, ein Verhalten, das sich auf der Grundlage und im Rahmen einer Grundrechtsausübung nach Art. 8 GG bewege, scheide als Anknüpfungspunkt polizeirechtlicher Haftung aus.
Anderenfalls gelange man zu einer Gefährdungshaftung des Veranstalters für das Fremdverhalten der Teilnehmer einer erlaubten Demonstration und sogar unbeteiligter Dritter, die den Teilnehmern Speisen und Getränke verkauft
hätten. Es könne ihm nicht zugemutet werden, eine erhebliche Anzahl von Reinigungskräften in Bereitschaft zu halten, ohne zu wissen, ob diese auch benötigt würden.
Der Oberbundesanwalt trägt vor, der Kläger sei nicht unmittelbarer Verursacher der Straßenverunreinigung, die vielmehr durch Demonstrationsteilnehmer und Zuschauer eingetreten sei. Als Zweckveranlasser könne der Kläger zu den
Kosten herangezogen werden, wenn ihm wegen eines engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhangs die Gefahrenverursachung zuzurechnen sei. Zwar habe der Kläger die Verunreinigung nicht beabsichtigt, jedoch
möglicherweise billigend in Kauf genommen oder objektiv veranlaßt. Die objektive Veranlassung sei weniger ein Kausalitäts-, sondern ein Wertungsproblem, ob unter Berücksichtigung aller Umstände Handlung und Erfolg eine
natürliche Einheit bildeten. Die wertende Beurteilung habe sich an den in der gesamten Rechtsordnung manifestierten Maßstäben und nicht nur an polizeirechtlichen Gesichtspunkten auszurichten. Grundrechten komme hierbei ein
besonderes Gewicht zu, im vorliegenden Fall dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Es erscheine zweifelhaft, ob durch eine angemessen begrenzte und folglich verhältnismäßige Kostentragungspflicht in die
Versammlungsfreiheit eingegriffen oder diese ausgehöhlt würde, zumal der Veranstalter die Kosten durch eine Straßenreinigung mit eigenen Hilfskräften vermeiden könne. ...
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt zwar Bundesrecht, erweist sich aber im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
1. Das Berufungsurteil geht zu Recht davon aus, daß die dem Kostenbescheid zugrundeliegenden Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht durch das Versammlungsgesetz in der Fassung vom 15. November 1978 (BGBl. I
S. 1790) verdrängt werden. Das Versammlungsgesetz regelt die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Versammlungen und Aufzügen und läßt unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen Beschränkungen und
Eingriffe in die Versammlungsfreiheit wie Auflagen, Verbote und Auflösungen zu. Insoweit unterliegen Versammlungen und Aufzüge keinen weitergehenden Beschränkungen und Eingriffen. Diese Ausschlußwirkung des
Versammlungsgesetzes bezieht sich aber nur auf gezielte Eingriffe in das Versammlungsrecht. Allgemeine Bestimmungen, z.B. bau-, feuer- oder gesundheitspolizeilicher Art werden durch das Versammlungsgesetz nicht berührt.
Straßen- und wegerechtliche Vorschriften über die Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei verschmutzten Straßen betreffen nicht die Durchführung einer Versammlung, sondern die Beseitigung von deren Folgen und werden
daher durch das Versammlungsgesetz ebenfalls nicht verdrängt.
Einschlägige Rechtsgrundlage ist im vorliegenden Fall, soweit der Demonstrationszug des Klägers sich über die Ortsdurchfahrt der Bundesfernstraße 56 in Bonn bewegte, § 7 Abs. 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 des
Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung vom 1. Oktober 1974 (BGBl. I S. 2413) - FStrG -. Der im übrigen anwendbare nichtrevisible § 17 des Landesstraßen- und Wegegesetzes von Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 1.
August 1983 (GV NW S. 306) - StrWG - ist, wie das Berufungsgericht aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung abgeleitet hat, § 7 Abs. 3 FStrG nachgebildet und stimmt mit diesem inhaltlich überein, so daß die Rechtslage
für alle vom Demonstrationszug berührten Straßen und Plätze einheitlich zu beurteilen ist.
Nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG hat jeder, der eine ( Bundesfern- )Straße über das übliche Maß hinaus verunreinigt, die Verunreinigung ohne Aufforderung unverzüglich zu beseitigen; anderenfalls kann die Straßenbaubehörde
bzw. der Träger der Straßenbaulast die Verunreinigung auf seine Kosten beseitigen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die Straßen und Sammelplätze nach Durchführung der Demonstration mit Handzetteln,
Büchsen und Papierabfällen förmlich übersät. Damit war eine über das übliche Maß hinausreichende Verunreinigung der Straße eingetreten, da ein derartiger Verschmutzungsgrad nicht mehr dem üblichen Zustand einer
großstädtischen Straße entsprach. Selbst wenn Art. 8 Abs. 1 GG das Recht zur Verteilung von Handzetteln und zur Verpflegung vor allem der von weitem angereisten Demonstrationsteilnehmer einschließen sollte, würde dies an dem
Ergebnis einer über das übliche Maß hinausreichenden Verunreinigung der Straßen nichts ändern. Ob die Verunreinigung aus Anlaß des Gemeingebrauchs der Straße (§ 7 Abs. 3 FStrG) eingetreten ist (s. hierzu BVerwGE 56, 63
<65>), bedarf keiner abschließenden Klärung, weil der Kläger zur Erstattung der Straßenreinigungskosten jedenfalls aus anderen Gründen nicht verpflichtet ist.
2. Nach der - auf einer wertenden Beurteilung der Verhaltensweise des Klägers unter Berücksichtigung ihres Grundrechtscharakters beruhenden - Auffassung des Berufungsgerichts ist der Kläger nicht Schuldner des
Kostenerstattungsanspruchs, weil er während der Veranstaltung durch eigene Organe und Verrichtungsgehilfen weder Abfälle weggeworfen noch Verpflegung oder Flugblätter verteilt habe und allein als Veranstalter einer
Demonstration für Handlungsfolgen Dritter nicht die Verantwortung trage. Die Erwägungen des Berufungsgerichts hierzu sind insoweit nicht frei von Rechtsirrtum, als es allein aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art.
8 Abs. 1 GG eine Freistellung des Veranstalters einer Demonstration von der Kostenlast für die Straßenreinigung ableitet. Auch wenn das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG das Recht auf Veranstaltung einer
Versammlung einschließt und ihm vor allem für einzelne Bürger sowie für kleine und finanzschwache Verbände eine besondere Bedeutung zukommt (s. BVerfGE 69, 315 <342, 345 f.>), scheidet der Veranstalter einer Demonstration
nicht von vornherein von Verfassungs wegen als haftender Verursacher einer durch die Demonstration eingetretenen Straßenverunreinigung aus.
Die Straßenreinigungs- und Kostenerstattungspflicht stellt das Recht zur Durchführung einer Versammlung als solches nicht in Frage und tangiert insoweit die Versammlungsfreiheit nicht. Die materielle Reinigungs- und
Kostenerstattungspflicht des Veranstalters nach dem Straßenrecht kann daher nicht mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, die Sauberhaltung der Straßen sei dem hohen Rechtsgut der Demonstrationsfreiheit nicht gleichwertig;
denn nach Durchführung der Versammlung ist für eine Güterabwägung zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und Belangen des Straßen- und Wegerechts kein Raum mehr.
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt eine Verantwortung des Veranstalters für die Verunreinigung der Straße auch nicht aus dem für das Berufungsgericht wesentlichen Gesichtspunkt von
vornherein aus, daß sich der Veranstalter einem nicht kalkulierbaren und nicht abwälzbaren Kostenrisiko gegenübersehe, wenn ihm die Kosten für die Straßenreinigung aufgebürdet würden. Insoweit besteht zwar ein Unterschied zum
einzelnen Versammlungsteilnehmer, der eine Straßenverschmutzung durch ihn selbst vermeiden oder ohne großen Aufwand beseitigen und das auf ihn zukommende Kostenrisiko, etwa eines Bußgeldbescheides, abschätzen kann.
Jedoch scheidet ungeachtet des Charakters von Demonstrationen als grundsätzlich staatsfreie unreglementierte Beiträge zur politischen Meinungs- und Willensbildung sowie ungeachtet der Selbstbestimmung des Veranstalters über
Art und Inhalt der Demonstration eine Verursachermitverantwortung des Veranstalters für die Auswirkungen der Demonstration (BVerfGE 69, 315 <356 f.>) auch nach den allgemeinen Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht
schon wegen der Unvorhersehbarkeit einer etwaigen Straßenverunreinigung und der zu ihrer Beseitigung anfallenden Kosten von Verfassungs wegen ohne weiteres aus.
Daraus folgt indes nicht, daß der Veranstalter einer Demonstration stets für eine damit zusammenhängende Verunreinigung der Straße verantwortlich ist. Diese Frage beurteilt sich danach, ob er nach allgemeinen Grundsätzen die
Verunreinigung der Straße unmittelbar verursacht hat. Die Annahme einer unmittelbaren Verursachung in diesem Sinne liegt nahe, wenn der Veranstalter einer Demonstration die Demonstrationsteilnehmer mit Speisen und Getränken
verpflegen und Flugblätter verteilen läßt. Zweifelhaft ist, ob und inwieweit schon das bloße Veranstalten einer Versammlung die Haftung des Veranstalters für versammlungsbedingte Straßenverunreinigungen auslöst. Diese Fragen
können im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Nach den hier gegebenen besonderen Umständen durfte der Veranstalter aus den folgenden Gründen nicht zur Erstattung der Kosten der Straßenreinigung herangezogen werden.
3. Die Kostenerstattungspflicht nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG setzt voraus, daß der Schuldner seiner - primären - Pflicht, die Verunreinigung der Straße unverzüglich zu beseitigen, nicht nachgekommen ist. Wer diese Pflicht nicht
verletzt hat, ist danach nicht zur Erstattung der Kosten der Straßenreinigung verpflichtet. Hier hat der Kläger, auch wenn er die Straßen über das übliche Maß hinaus verunreinigt haben und zur Beseitigung verpflichtet gewesen sein
sollte, jedenfalls die Pflicht zur unverzüglichen Reinigung nicht verletzt.
"Unverzüglich" im Sinne der genannten straßenrechtlichen Vorschriften heißt ohne schuldhaftes Zögern (Marschall-Schroeter- Kersten, Komm. 4. Aufl. 1977 § 7 FStrG Rdn. 8.3; Kodal- Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl. 1985, S. 504 f.
Rdn. 39; ebenso zu § 17 StrWG: Walprecht-Cosson, Straßen- und Wegerecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1986 § 17 StrWG Rdn. 161; zu dem insoweit gleichlautenden Art. 16 Bay.StrWG, Sieder-Zeitler-Kreuzer-Zech,
Bay. Straßen- und Wegegesetz, 3. Aufl. 1985 Rdnr. 9). Unverzüglich ist nicht gleichbedeutend mit "sofort", sondern verlangt lediglich ein nach den Umständen des Falles zu bemessendes beschleunigtes Handeln. Die Handlungspflicht
kann nach den Umständen des Falles mit Rücksicht auf die Gefährdung der Straßenbenutzer durch die Verunreinigung und die Schwierigkeiten einer sachgemäßen Straßenreinigung nach Wiederaufnahme des Fahrzeugverkehrs auf
den vom Demonstrationszug benutzten Wegen auch bereits während der Veranstaltung bestehen. Daher erscheint zumindest zweifelhaft, ob der Kläger gegenüber der Kostenerstattungspflicht mit Erfolg geltend machen kann, die von
ihm eingesetzten Ordnungskräfte seien während der Veranstaltung für andere Zwecke als die Sauberhaltung der Zugwege benötigt worden.
Es fehlt jedoch an einem Verschulden des Klägers für die danach möglicherweise nicht rechtzeitige Erfüllung einer etwaigen Reinigungspflicht. Wenn hier die Stadt Bonn die Straßen sofort und im unmittelbaren Anschluß an die
Demonstrationszüge reinigen ließ, konnte der Kläger davon ausgehen, daß das für die Straßenreinigung Erforderliche schon veranlaßt worden sei, er selbst sich darum nicht zu kümmern brauche.
Im vorliegenden Fall kommt dazu, daß der Kläger durch das dem Beklagten zuzurechnende Verhalten der Behörden annehmen durfte, zur Reinigung der Straßen nach dem Durchzug der Demonstrationsteilnehmer nicht verpflichtet zu
sein. Auch wenn diese Vorstellung objektiv nicht zutreffen sollte, läge beim Kläger ein Rechtsirrtum vor, der nach den besonderen Umständen des Falles ein für die unverzügliche Erfüllung der Pflicht erforderliches Verschulden
ausschließt. Für einen unverschuldeten Rechtsirrtum des Klägers spricht zunächst die Tatsache, daß der nach Anmeldung der Veranstaltung ergangene Bescheid des Polizeipräsidenten vom 29. November 1982 neben zahlreichen
"Auflagen" auch den "Hinweis" enthielt, an den Aufstellplätzen und am Kundgebungsort eine ausreichende Anzahl von Müllcontainern aufzustellen. Daraufhin bestellte der Kläger beim Stadtreinigungsamt insgesamt 20
Abfallbehälter mit je 1,1 cbm Fassungsvermögen zur Aufstellung an vier verschiedenen Stellen und unterrichtete dieses Amt darüber, wo die erwarteten 40-50 000 Teilnehmer eintreffen und die Abschlußkundgebung stattfindet. Der
Kläger wurde nicht darauf aufmerksam gemacht, daß er zusätzlich unübliche Verunreinigungen der Straßen und des Kundgebungsplatzes während der Veranstaltung beseitigen müsse. Eines solchen Hinweises (vgl. zur rechtzeitigen
Kontaktaufnahme zwischen Behörden und Veranstaltern im Vorfeld von Versammlungen allgemein, BVerfG a.a.O. S. 355) hätte es, auch wenn nach §§ 7 Abs. 3 FStrG, 17 StrWG keine besondere Aufforderung des Pflichtigen der
Reinigung vorgeschrieben ist, mit Rücksicht auf den erwähnten Bescheid bedurft, weil dieser bei dem Kläger den Eindruck erwecken konnte, daß mit der Aufstellung der Müllcontainer die Straßenreinigungspflicht erfüllt sei und er als
Veranstalter in dieser Hinsicht keine weiteren Maßnahmen zu treffen brauche. In dieser Auffassung konnte der Kläger außerdem dadurch bestärkt werden, daß die Veranstalter früherer Demonstrationen in Bonn eine Straßenreinigung
nicht durchgeführt hatten und die Stadt Bonn im Zeitpunkt der Demonstration des Klägers - noch - nicht allgemein oder aus Anlaß anderer Demonstrationen auf etwaige Reinigungspflichten des Veranstalters hingewiesen hatte. Daß
der Kläger sich unter diesen Umständen zur Reinigung nicht verpflichtet glaubte, erscheint um so verständlicher, als er nicht etwa selbst durch Ausgabe irgendwelchen Materials zur Straßenverschmutzung beigetragen hat.
Nachträglich ist der Kläger durch ein Kollegialgericht, nämlich das Berufungsgericht, in seiner Rechtsauffassung bestätigt worden. Dies ist ein weiterer Umstand, der es unmöglich macht, die Auffassung des Klägers, er sei zur
Straßenreinigung nicht verpflichtet, als schuldhaft irrig zu werten (Urteil vom 9. Oktober 1984 - BVerwG 1 C 22.83 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 144 mit weiteren Nachweisen).
Es fehlt mithin an einer durch schuldhaftes Zögern versäumten Erfüllung einer etwaigen Reinigungspflicht des Klägers und damit an der rechtlichen Voraussetzung für den vom Beklagten geltend gemachten
Kostenerstattungsanspruch. Daher erweist sich die vorinstanzliche Entscheidung im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), und die Revision ist zurückzuweisen. ..."
*** (OVG)
Oberbürgermeister (Bürgermeister) hessischer Städte und Gemeinden sind mit Rücksicht auf ihre Funktion als Versammlungsbehörde und ihre daraus resultierende Neutralitätspflicht nicht befugt, anlässlich bei ihnen angemeldeter
Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzüge öffentlich zur Teilnahme an Gegendemonstrationen aufzurufen (VGH, Beschluss vom 03.05.2013 - 8 A 772/13.Z):
„... I. Die Beklagte begehrt die Zulassung ihrer Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil, mit dem festgestellt worden ist, dass eine auf ihrer Internetseite verbreitete Erklärung ihres Oberbürgermeisters in Bezug auf eine von
der Klägerin für 3. August 2012 angemeldete Kundgebung rechtswidrig war. Der vom Vortag dieses Aufzugs an verbreitete Aufruf lautete: ‚Oberbürgermeister C. ruft zur Teilnahme an der Demonstration gegen die Kundgebung der
NPD in Darmstadt auf'. Der Zulassungsantrag wird u.a. mit der Auffassung begründet, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hätten sowohl das von der Klägerin gewählte Kundgebungsmotto als auch Vorverhalten ihrer
führenden Funktionäre einen unfriedlichen und fremdenfeindlichen Verlauf der von ihrem Oberbürgermeister zunächst verbotenen und nach einem von der Klägerin erfolgreich betriebenen Eilverfahren durchgeführten Kundgebung
erwarten lassen.
II. Der zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gestellte und begründete Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, denn die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht dargelegt und liegen auch
offensichtlich nicht vor (§ 124a Abs. 4 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind weder dargelegt noch begründet. Insoweit wird auf die in jeder Hinsicht zutreffenden und überzeugenden Entscheidungsgründe dieses
Urteils Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).
Soweit sich die Beklagte zur Begründung solcher Zweifel erneut auf den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 14. September 2012 - OVG 1 S 127.12 - (Abdruck Bl.61 ff. GA) beruft, verkennt sie wiederum die prinzipiellen
tatsächlichen Unterschiede zwischen dem dort entschiedenen Fall und dem Sachverhalt, über den hier zu befinden war. Während das OVG Berlin-Brandenburg einen Internetauftritt zu beurteilen hatte, mit dem die ‚Landeshauptstadt
Potsdam, das Bündnis 'Potsdam bekennt Farbe' und die Unterzeichner dieses Aufrufes' zum Protest gegen einen NPD-Aufmarsch aufgerufen hatten, war auf der Internetseite der Beklagten ausschließlich ‚Oberbürgermeister C.' als
Urheber des Aufrufs kenntlich gemacht. Dies ist mit Blick auf das Neutralitätsgebot ungleich problematischer, weil der Oberbürgermeister hier in Bezug auf alle damals angemeldeten Versammlungen als allgemeine Ordnungsbehörde
und damit als im Einzelfall weisungsgebundener Beamter die Aufgaben der Versammlungsbehörde wahrzunehmen hatte (§§ 14, 15 VersammlG, 4 Abs. 2 und 3 HGO, 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, S. 2, 89 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 HSOG, 1 S.
1 Nr. 2 HSOG-DVO). Er hat diese Aufgabe auch gegenüber der Klägerin wahrgenommen, allerdings durch Erlass eines offensichtlich rechtswidrigen Versammlungsverbots (VG Darmstadt, Beschluss vom 2. August 2012 - 3 L
974/12.DA, bestätigt durch Hess. VGH, Beschluss vom 2. August 2012 - 8 B 1595/12 -). Mit Rücksicht auf seine Amtspflichten in dieser Auftragsangelegenheit hätte der Oberbürgermeister sich mäßigen und jeglicher politischen
Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit enthalten müssen, um keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit als Versammlungsbehörde aufkommen zu lassen. Deswegen geht auch der Hinweis der Beklagten auf eine angeblich
eingeschränkte Neutralitätspflicht des direkt gewählten Oberbürgermeisters als Gemeindeorgan im Aufgabenbereich Versammlungswesen fehl.
Auch mit dem von der Beklagten in der Antragsbegründung zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. April 2011 - 7 K 602/11 - (Abdruck Bl. 168 ff. GA) lassen sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils nicht begründen. Auch hier fehlt es an einer Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte. Während sich das Verwaltungsgericht Stuttgart mit einem Aufruf von ‚Gemeinderat und Stadtverwaltung'
gegen eine Demonstration unter dem als friedensstörend angesehenen Motto ‚Fremdarbeiterinvasion stoppen' zu befassen hatte, geht es hier um einen unzulässigen Aufruf der zuständigen Versammlungsbehörde zur Teilnahme an
Gegendemonstrationen während eines von der Klägerin angemeldeten Aufzugs unter dem Motto ‚Wir wollen nicht der Zahlmeister Europas sein - Raus aus dem Euro', das die Vorinstanz zu Recht als nicht fremdenfeindlich und als
nicht friedensstörend angesehen hat. Dass sich die Klägerin dann tatsächlich nicht an ihr angemeldetes Motto gehalten, einen LKW mit der plakativen Aufschrift ‚Heimat bewahren - Einwanderung stoppen!' eingesetzt und dadurch
eine Auflösung ihres Aufzugs riskiert hat (§ 15 Abs. 3 VersammlG), ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des beanstandeten Aufrufs des Oberbürgermeisters unerheblich, weil diese Abweichung nicht absehbar war, als der Aufruf
ins Internet gestellt wurde, und weil jedenfalls der Oberbürgermeister wegen seiner verfahrensrechtlichen Funktion als Versammlungsbehörde nicht zur Teilnahme an Gegendemonstrationen hätte aufrufen dürfen.
Aus diesem Grunde würde sich auch die von der Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfrage, welche Bedeutung dem angemeldeten Motto einer Versammlung für die rechtliche Beurteilung solcher Aufrufe
der Versammlungsbehörde zukommt, in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Ob ‚sonstige Amtswalter' einer Kommune in amtlicher Funktion zu solchen Aufrufen berechtigt sind, ist nicht Streitgegenstand. Deshalb ist auch die als
weiterer Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 4 S. 4 VwGO. ..."
***
Die aus §§ 14, 15 VersG folgende Konzentrationswirkung, also die Prüfung aller versammlungsimmaneten Gefahren durch die Versammlungsbehörde unter Befreiung des Anmelders von sonstigen Erlaubnis- oder
Genehmigungserfordernissen, umfasst nicht solche Erlaubnisverfahren, durch die der Zugang zu einer Fläche erst ermöglicht werden soll, welche nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch, sondern nur bestimmten,
versammlungsfremden Zwecken gewidmet ist. Zum Erfordernis einer friedhofsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für eine Versammlung auf einem Friedhofsgelände. Zur Rechtswidrigkeit bestimmter versammlungsrechtlicher
Auflage (u.a. Benennung von Rednern, Untersagung der Darbietung von Musikstücken; Mitführen von Flaggen, zahlenmäßige Begrenzung von Transparenten, Untersagung einer Feldküche und des Einsatzes eines
Lautsprecherwagens; OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 14.11.2003 - 4 B 365/03, NVwZ-RR 2004, 844).
Wegen der Erlaubnisfreiheit einer Versammlung bedarf es der Erteilung einer Erlaubnis nach anderweitigen Erlaubnisvorbehaltsregelungen nicht, wenn Erscheinungen einer Versammlung in Rede stehen, die mit dieser eine
funktionale Einheit in dem Sinn bilden, dass sie als erforderlicher Bestandteil der erlaubnisfreien Versammlung gleichsam versammlungsimmanent sind (OVG Bautzen, Beschluss vom 16.07.2003 - 3 BS 216/03).
Dem Veranstalter obliegt im Rahmen der Kooperation insbesondere, gemeinsam mit der Behörde auf das Ziel einer friedlichen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen möglichst gering haltenden Durchführung der
Demonstration hinzuwirken. Dazu gehört, dass er über die bereits bei der Anmeldung mitzuteilenden versammlungsprägenden Grundmerkmale hinaus die ihm möglichen und unter Beachtung der Grundrechte der Meinungs- und
Versammlungsfreiheit zumutbaren Angaben macht, vor allem solche, die im konkrerten Fall für die von der Behörde anzustellende Gefahrenprognose und die daraus gegebenenfalls resultierenden Maßnahmen zum Schutz der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sind. Kommt ein Veranstalter diesen Pflichten nicht nach und hat dies zur Folge, dass die behördliche Gefahrenprognose nur auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage
erstellt werden kann, so muss er ein Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer
unmittelbaren Gefahr gesprochen werden kann (OVG Weimar, Beschluss vom 12.04.2002 - 3 EO 261/02, NVwZ-RR 2003, 207).
Von der aus §§ 14, 15 VersG folgenden Konzentrationswirkung werden Erlaubnisverfahren nach sonstigen Regelungen nicht umfasst, durch die der Zugang zu einer in Aussicht genommenen Versammlungsfläche erst vermittelt wird
(OVG Bautzen, Beschluss vom 09.11.2001 - 3 BS 257/01, NVwZ-RR 2002, 435).
Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel im Sinne des § 14 I VersG dar. Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel i.
S. des § 14 I VersG dar (OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.03.1981 - 5 Ss 74/81 I, NStZ 1981, 226).
Zur Zulässigkeit beschränkender Auflage bei Versammlungen unter freiem Himmel. Beschränkende Auflage sind unwirksam, wenn sie den Leiter einer Versammlung zu einem über den Zeitpunkt der Beendigung oder Auflösung der
Veranstaltung hinausgehenden Tun verpflichten (OLG Köln, Entscheidung vom 06.12.1980 - 3 Ss 300/80, NJW 1981, 1680).
*** (AG, VG)
Eine ohne vorherige und mögliche Auflösung der Versammlung (hier: Demonstration gegen den Castor-Transport) erfolgte polizeiliche Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer ist rechtswidrig (OLG Celle, Beschluss vom
07.03.2005 - 22 W 7/05):
„... 1. Der Antragsteller war am 13.11.2001 in Hitzacker Teilnehmer eines aus etwa 150 Personen bestehenden Demonstrationszuges, der sich gegen den am selben Tage dort durchgeführten Castor-Transport richtete. Den vom LG
getroffenen Feststellungen zufolge war zumindest von einigen Teilnehmern eine Blockade des durch Hitzacker verlaufenden Bahngleises geplant. Das LG hat zum weiteren Ablauf der Demonstration folgenden Sachverhalt festgestellt:
Die Personengruppe bewegte sich durch Hitzacker und wurde dort durch Polizeikräfte seitlich begleitet. Vereinzelte Teilnehmer warfen sog. Krähenfüße auf die Fahrbahn, wodurch an einigen Einsatzfahrzeugen der Polizei
Reifenschäden verursacht wurden. Als einzelne Mitglieder der Demonstrationsgruppe ihr Gesicht verdeckten, setzten die Einsatzkräfte ihre Helme auf. Die Personengruppe erhöhte das Tempo und begab sich in das anliegende
Waldstück. Daraufhin lies der Leiter der "Festnahmeeinheit" die Gruppe in den Wald hinein verfolgen, es wurden ca. 120 Personen eingeschlossen und in Gewahrsam genommen, darunter auch der Antragsteller. Eine Auflösung des
Aufzuges erfolgte nicht. Bei der Gewahrsamnahme befand sich die Personengruppe noch ca. 1 km von der Bahnstrecke entfernt. Der Antragsteller wurde gegen Mittag in die Gefangenensammelstelle in Neu Tramm verbracht und am
14.11.2001 gegen 1.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.
Der vom Antragsteller gegen diese Freiheitsentziehung gerichtete Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme wurde vom AG Dannenberg als unbegründet zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete
sofortige Beschwerde hat das LG Lüneburg die Entscheidung des AG aufgehoben und festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen rechtswidrig war, weil eine Auflösung der Versammlung nicht erfolgt war. Gegen diese
Entscheidung wendet sich die Polizeidirektion Lüneburg (vormals Bezirksregierung Lüneburg) mit der vom LG nach § 19 Abs. 2 S. 4 NdsGefAG zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.
2. Die weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG stand. Die Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes. Das LG ist rechtlich beanstandungsfrei zu der Feststellung
gelangt, dass die Freiheitsentziehung des Antragstellers rechtswidrig war. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird zum Vermeiden von Wiederholungen zunächst Bezug genommen.
Das LG hat bei seiner Entscheidung insb. rechtlich beanstandungsfrei darauf abgestellt, dass die durch Hitzacker ziehende Personengruppe eine durch Art. 8 GG grundsätzlich geschützte Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes
war und eine ohne deren Auflösung erfolgende Freiheitsentziehung nicht in Betracht kam. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Polizeidirektion Lüneburg erlaubt keine abweichende Beurteilung.
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung verboten werden, wenn die öffentliche Sicherheit hierdurch unmittelbar gefährdet wird. Nach § 15 Abs. 2 VersG kann eine Versammlung - oder ein Aufzug - aufgelöst werden, wenn
die Voraussetzungen zu einem Verbot gegeben sind. Nach § 15 Abs. 3 VersG ist eine verbotene Versammlung auszulösen. Eine Auflösung in diesem Sinne ist vorliegend zu keinem Zeitpunkt erfolgt.
a) Allein der Umstand, dass den getroffenen Feststellungen zufolge einzelne Teilnehmer sog. Krähenfüße oder Mülltonnen auf die Fahrbahn warfen und ihr Gesicht verdeckten, machte eine Auflösung der Versammlung hiernach
ebenso wenig entbehrlich wie das Ziel zumindest einiger Teilnehmer, eine Gleisblockade durchzuführen. Gewaltsame Handlungen nur einzelner Teilnehmer einer Demonstration führen nicht dazu, dass die gesamte Versammlung sich
außerhalb des Schutzbereichs aus Art. 8 GG bewegt. Das Ziel einer - fraglos rechtswidrigen (OVG Lüneburg NVwZRR 2004, 575; OLG Celle v. 29.1.2004 - 22 Ss 189/03) - Gleisblockade könnte allenfalls dazu führen, dass der
Charakter der Versammlung verbotener Natur war oder wurde. Dies macht eine Auflösung aber nicht entbehrlich (BVerwG NVwZ 1988, 250). Denn nach § 15 Abs. 3 VersG ist (auch) eine verbotene Versammlung aufzulösen. Der
Umstand des Verbotenseins einer Versammlung führt weder von sich heraus zu deren Beendigung, noch lässt er das Erfordernis einer Auflösung entfallen; vielmehr setzt eine Auflösung nach § 15 VersG den Tatbestand des
Verbotenseins der Versammlung oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erst voraus. Eine ohne Auflösung einer Versammlung erfolgte Freiheitsentziehung aus Gründen präventivpolizeilicher Gefahrenabwehr
ist rechtswidrig (OVG NW NVwZ 2001, 1315).
b) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, die Personengruppe habe sich zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme bereits selbst aufgelöst gehabt, weshalb es einer Auflösung nicht mehr bedurft habe, findet dies in den vom LG getroffenen
Feststellungen, an die der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich gebunden ist, keine Stütze. Das LG ist den getroffenen Feststellungen zufolge erkennbar von nur einer Gruppe ausgegangen, die sich - nach
zwischenzeitlicher Teilung - durch Hitzacker bewegte (und hierbei von Polizeikräften seitlich begleitet wurde), aus der heraus Krähenfüße auf die Fahrbahn geworfen wurden, die das Tempo erhöhte und die sich in das anliegende
Waldstück begab, die von Einsatzkräften verfolgt und die dort in einer Stärke von 120 Personen eingeschlossen wurde. Eine Selbstauflösung der Gruppe zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme ist hiernach nicht erkennbar.
c) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, es habe während der gesamten Phase praktisch zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, eine Auflösungsverfügung zu erlassen, greift auch dieser Einwand nicht durch. Weshalb der
Erlass sowie eine - wie auch immer geartete - Kundgabe einer Auflösungsverfügung praktisch nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Den getroffenen Feststellungen zufolge war es den Einsatzkräften möglich, die
Personengruppe einzuschließen - und sodann in Gewahrsam zu nehmen. Anhaltspunkte für die Annahme, eine Auflösung der Versammlung sei in dieser Phase nicht möglich gewesen, finden sich weder in den Gründen der
angefochtenen Entscheidung, noch werden sie im Rahmen der weiteren Beschwerde vorgetragen. Der Senat verkennt nicht, dass das Geschehen am Tag eines Castor-Transports und der hiergegen gerichteten, teilweise auch massiv
gewalttätigen Demonstrationen einer Vielzahl von Personen und teils gut organisierten Personengruppen von einer gewissen Hektik geprägt ist und häufig auch pragmatisches Vorgehen der Einsatzkräfte erfordert. Das kann die
Bestimmungen des Art. 8 GG einschränkenden Versammlungsgesetzes aber nicht außer Kraft setzen. Ein "allgemeines Tohuwabohu und Gerenne" - das sich den vom LG getroffenen Feststellungen überdies nicht entnehmen lässt -
macht eine Auflösung weder von vornherein unmöglich, noch insb. überflüssig.
Hiernach ist nicht erkennbar, weshalb nicht zumindest vor der Entscheidung, die bereits eingeschlossene, d.h. von Polizeikräften bereits umstellte und somit am Fortlaufen gehinderte Personengruppe in Gewahrsam zu nehmen, nicht
auch die Möglichkeit bestanden haben soll, eine Entscheidung über die Auflösung zu treffen und die Teilnehmer hierauf hinzuweisen - mit der Folge, dass alle Teilnehmer sich nunmehr zu entfernen haben. Dies gilt umso mehr, als
den getroffenen Feststellungen zufolge die Personengruppe sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1 km von den Bahngleisen und dem dort angeordneten Verbotskorridor entfernt befand, weshalb eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit auch nicht unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund kam auch die Annahme einer konkludenten Auflösung durch zeitgleichen Einschluss der Personengruppe (OVG Berlin NVwZRR 2003, 896; OVG NW NVwZ
2001, 1315) nicht in Betracht. Erst nach erfolgter Auflösung und für den Fall, dass trotz der Auflösung sämtliche oder einzelne Personen sich nicht - dauerhaft - entfernen, sondern weiter in Richtung des Bahnkörpers sich bewegen,
wären auf Polizeirecht gestützte freiheitsentziehende Maßnahmen zulässig gewesen. ..."
*** (VG, LG)
„... I. Die Antragsteller sind Anmelder der für den Zeitraum vom 12. bis 27. Mai 2012 als Versammlung angemeldeten Veranstaltung des ‚Aktionsbündnisses 12. Mai' mit der Bezeichnung ‚Marktplatz der Ideen (Marktplatz der Ideen,
Agora, Aktionswerkstatt)'. In diesem Zeitraum soll auf dem Platz gegenüber dem Berliner Rathaus zwischen Karl-Liebknecht-Straße, Spandauer Straße, St. Marienkirche und Neptunbrunnen der im Titel enthaltene ‚Marktplatz der
Ideen' mit einer ‚Agora' und einer ‚Aktionswerkstatt' stattfinden. Dazu sollen 26 Kleinzelte aufgebaut werden, denen bei Bedarf ein Informationstisch zur Seite gestellt werden soll. Ferner soll ein Großraum- bzw. Versammlungszelt
mit einer Grundfläche von ca. 75 m² mit Podest und ein Wohnanhänger aufgestellt werden. Es ist geplant, dass regelmäßig ca. 100 Teilnehmer vor Ort sein sollen. Darüber hinaus findet am 12. Mai 2012 ein Sternmarsch statt, der
gesondert angemeldet wurde und hier nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
Nach einer Erläuterung des Rechts- und Veranstaltungscharakters hatten die Veranstalter eine ursprüngliche Versammlungsanmeldung vom 12. April 2012 zurückgenommen und stattdessen beim Bezirksamt Mitte von Berlin eine
Sondernutzungserlaubnis beantragt. Nachdem ihnen diese aufgrund des Charakters der Fläche als öffentliche Grünanlage verwehrt worden war, meldeten sie am 7. Mai 2012 die Veranstaltung erneut als Versammlung an.
Durch Bescheid vom 9. Mai 2012 stellte der Polizeipräsident in Berlin i. S. d. § 15 VersammlG fest, dass es sich bei der angemeldeten Veranstaltung nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 1 GG handelt
und somit der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht eröffnet sei. Zur Durchführung der Veranstaltung sei das Vorliegen einer ordnungsrechtlichen Erlaubnis des zuständigen Bezirksamts Mitte von Berlin erforderlich.
II. 1. Der am 10. Mai 2012 bei Gericht eingegangene Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Mai 2012 erhobenen Widersprüche vom 9. Mai 2012 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 2012 getroffene Feststellung, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelt, ist nach der hier nur möglichen, aber auch
ausreichenden summarischen Bewertung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des Bescheids verschont zu
bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).
a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller fehlt es nicht an einer Ermächtigungsgrundlage für den feststellenden Verwaltungsakt. § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 VersammlG lässt sich durch Auslegung die Ermächtigung der
Versammlungsbehörde entnehmen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird. Die aus § 14 Abs. 1 VersammlG abgeleitete
Befugnis der Versammlungsbehörde, die Versammlungseigenschaft einer angemeldeten Veranstaltung zu prüfen, und die in § 15 Abs. 1 VersammlG geregelte Eingriffsbefugnis enthalten auch die Ermächtigung, durch feststellenden
Verwaltungsakt über die Versammlungseigenschaft zu entscheiden (vgl. hierzu ausführlich: OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris Rn. 17 ff.). Die nachgehende Revisionsentscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris) enthält hierzu keine gegenteiligen Ausführungen.
b) Die getroffene Feststellung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das
Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C
23.06 -, juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung
(kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der
Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher
Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme
an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher,
auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit
entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die
rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund
stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur
vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O. Rn. 15 ff.).
So genießt die Aufstellung eines Informationsstandes als solche nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 - 7 C. 5.78 -, BVerwGE 56, 63 <69>; BVerfG - Vorprüfungsausschuss -,
Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 -, NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges
Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem
Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als
überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 a.
a. O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot
der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an
der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34 <39>). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden
Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG,
Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461; Beschluss der Kammer vom 11. Mai 2011 - VG 1 L 148.11 -, juris Rn. 6).
Im vorliegenden Fall treten versammlungsrechtliche Elemente hinter den reinen Informationsanliegen so stark zurück, dass das Geamtgepräge nicht als Versammlung gewertet werden kann. Es ist vielmehr nur eine Ansammlung der
Darstellung unterschiedlichster Gruppen und Initiativen.
Sowohl beim ‚Marktplatz der Ideen' als auch bei der ‚Agora' und der ‚Aktionswerkstatt' fehlt es bereits an einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 <104>, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 <342 f.>). Wie sich bereits dem Konzept der Veranstaltung
entnehmen lässt, geht es nicht um eine gemeinschaftliche Kundgebung, sondern um die Darstellung einzelner Initiativen, Vereine und Organisationen. Dass die Veranstaltung nur ein Konglomerat unterschiedlichster Anliegen
darstellt, wird auch durch die angegebenen Themen der Kleinzelte deutlich. Die Themen reichen von ‚neuen Formen der Demokratie' über ‚Mediaspree', Solidarität mit der Demokratiebewegung verschiedenster Länder,
‚Bedingungsloses Grundeinkommen' bis zur Anti-Atom-Bewegung. Damit hat die Veranstaltung eher das Gepräge eines reinen Protest-Camps, wie es für die sogenannte ‚Occupy-Bewegung' kennzeichnend ist. An diese knüpft im
Übrigen gerade das ‚Aktionsbündnis 12. Mai' als Frühjahrsauftakt der Bewegung ‚Echte Demokratie Jetzt! - Occupy' an (vgl. z. B.
https://www.alex11.org/events/vernetzungstreffen-berliner-initiativen-organisationen-zur-bildung-des-aktionsbundnisses-12-mai-berlin/); damit soll an die Platzbesetzungen der spanischen Bewegung ‚democracia real ya!', die am 15.
Mai 2011 begannen, erinnert werden (http://12mai-berlin.org/presse/). Aber weder eine lose Ansammlung von Zelten, ohne dass eine konkrete Verbindung zu einem gemeinschaftlichen Versammlungsanliegen deutlich wird, noch eine
Platzbesetzung kann als integraler Bestandteil einer Versammlung angesehen werden. Allein die Forderung nach echter Demokratie als gemeinsames Motto dürfte dafür angesichts der Disparität der unterschiedlichen Gruppen nicht
ausreichend sein.
Dass in den Kleinzelten, bei denen es sich um 2-3-Personen-Zelte handelt, gemeinschaftliche Kommunikation stattfinden soll, ist überdies unwahrscheinlich. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zelte, wie die Antragsteller
vortragen, unverzichtbar für die Darstellung der politischen Inhalte in der Öffentlichkeit seien. Dafür dürften wohl eher die geplanten Informationstische dienen. Vielmehr scheint das Informations- und Kommunikationsanliegen hier
nur vorgeschoben, um den Dauerteilnehmern eine nächtliche Unterkunft zu ermöglichen.
Auch die Aktionswerkstatt soll nach eigener Darstellung der Veranstalter nur ‚eine Plattform' bieten, auf der die Teilnehmer ‚die gesellschaftlichen Probleme aufzeigen' können', die sie zu ihrem Thema gemacht haben. Es geht mithin
nicht um eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen, sondern um eine Einzeldarstellung vielfältigster Initiativen mit unterschiedlichsten Themenstellungen. Allein der Oberbegriff einer ‚neuen
Gesellschaft' reicht für eine gemeinschaftliche Kommunikation nicht aus.
Gleiches gilt auch für die ‚Agora' (altgriech.: zentraler Fest-, Versammlungs- und Marktplatz einer Stadt). Diese ist nach Darstellung der Antragsteller als zentraler öffentlicher Ort der Kommunikation und des politischen Diskurses
gedacht. Zwar sind hier versammlungsrechtliche Elemente noch am ehesten erkennbar, jedoch soll auch dieser Platz nur der Information und Kommunikation der unterschiedlichen Aktionsgruppen dienen, ohne dass die
gemeinschaftliche Kundgabe einer Meinung erkennbar wird. Damit entspricht die ‚Agora' eher einem Konferenzzentrum unter freiem Himmel, in dem unterschiedliche Tagungen stattfinden können.
Was der ebenfalls angemeldete Wohnwagenanhänger mit dem Anliegen der Veranstaltung zu tun hat, bleibt völlig unklar. Die Unterbringung elektrischer Geräte, so wie bei der Anmeldung angegeben, belegt eher, dass es vorliegend
um einen Daueraufenthalt im öffentlichen Raum geht, ohne dass damit eine kollektive Meinungskundgabe verbunden ist.
Die angemeldete Veranstaltung dient offensichtlich nur dazu, den öffentlichen Raum zu besetzen und dort präsent zu sein, um vorübergehende Passanten mit dem Anliegen der Veranstalter bekannt und vertraut zu machen. So wurde
auch beim ‚ersten Vernetzungstreffen zur Bildung eines Aktionsbündnisses für den 12. Mai' laut Protokoll (vgl.
http://occupyberlin.info/blog/2012/02/29/protokoll-zum-ersten-vernet-zungstreffen-zur-bildung-eines-aktionsbundnisses-fur-den-12-mai/#more-12315) darauf hingewiesen, ‚dass das öffentliche Forum langfristig (min. bis Oktober) im
öffentlichen Raum umgesetzt werden soll und nicht nur für den Aktionstag gedacht ist'.
Es erscheint auch zweifelhaft, ob, selbst wenn man den Versammlungscharakter der Veranstaltung bejahen würde, diese an dem angemeldeten Ort, einer öffentlichen Grünanlage, stattfinden dürfte. Das vom Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem Willen des Trägers als
öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht (BVerwG, NJW 1993, S. 609). Aus Art. 8 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der
Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, ebd.). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über den durch den
Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwiderläuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsorts in Betracht (vgl. Beschluss der
Kammer vom 16. September 2010 - 1 L 248.10 -, EA S. 7, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 S 179.10 -, EA S. 3; Ridder/ Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, Rn.
213). Die Versammlungsbehörde kann in diesem Fall unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzwecks und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im
Hinblick auf unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen (vgl. Ridder u.a., ebd.; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, NJW 1993, 609 <610>). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L
102.12)
***
„... Der - sinngemäß gestellte - Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in
Münster zu führen, hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um
wesentliche Nachteile abzuwehren oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2,
294 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist insoweit, dass dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein
möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf Verpflichtung des Antragsgegners hat, dem Beigeladenen aufzugeben,
den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen. Ein solcher Anspruch des Antragstellers ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 VersG, der spezifisch versammlungsrechtlichen Eingriffsgrundlage, noch
unmittelbar aus seinen Grundrechten.
Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG zu Lasten seiner Rechte oder Rechtsgüter vorliegen. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde die
Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit
der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des
Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Durch das Erfordernis
einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose.
Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt § 15 Abs. 1 VersG, dass die Prognose auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also
auf Tatsachen, Sachverhalten und Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 77 ff.; st. Rspr.
Die vom Antragsgegner - ausgehend von der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffenden rechtlichen Einordnung des geplanten Aufzugs als durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte öffentliche
Versammlung - getroffene Prognose zu den möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers durch den Aufzug ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
Hiernach gibt es keine Hinweise darauf, dass von dem Aufzug unmittelbare Gefahren im vorgenannten Sinne für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, soweit der Antragsteller betroffen ist. Auch er selbst hat keine
konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Teilnehmer des von dem Beigeladenen veranstalteten Aufzuges am 3. März 2012 nicht Auflagen- und anmeldegemäß verhalten werden. Dem Hinweis auf allgemeine
Drohungen "der rechten Szene", "niemanden mit Samthandschuhen anzufassen", lassen sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen, dass von dem Aufzug Gefahren im vorbezeichneten Sinne ausgehen werden.
Die auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen und umfassenden polizeilichen Planungen und Vorbereitungen beruhende Einschätzung des Antragsgegners, dass einer potentiellen Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen von
Gegendemonstranten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die polizeilichen Einsatzmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen werde, so dass Gewalttätigkeiten
innerhalb des Rumphorstviertels nicht zu befürchten seien, hat der Antragsteller ebenfalls nicht durch entsprechenden glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag substantiiert in Zweifel gezogen. Die ordnungsgemäß angemeldeten
Gegendemonstrationen finden am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg, Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach sowie in der Innenstadt Münsters und damit nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung des
Antragstellers in der K. -I. -Straße statt. Über diese drei Gegenveranstaltungen hinaus sind für das Rumphorstviertel keine Gegendemonstrationen angemeldet worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht in der
Lage ist, Straftaten zu begegnen, die von einzelnen Teilnehmern der ordnungsgemäß angemeldeten Gegenveranstaltungen bzw. von etwaigen sich am 3. März 2012 im Rumphorstviertel ggf. unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht
aus § 14 VersG bildenden Gegendemonstrationen ausgehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies auch für die Befürchtung des Antragstellers, es könne im Bereich der K. -I. -Straße zu einer "Kessellage", die keine
Fluchtmöglichkeiten mehr erlaube, kommen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich gerade an diesem Ort Gegendemonstranten versammeln werden, um den von dem Beigeladenen angemeldeten Aufzug zu behindern, liegen nicht
vor. Sollten einzelne Teilnehmer der Gegenveranstaltungen jedoch tatsächlich versuchen, die K. -I. -Straße an den Einmündungen in den A-Weg und die I-Straße zu blockieren, ist es Aufgabe der Polizei, dies bereits im Ansatz zu unterbinden.
Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die seine Vermutung, es sei nicht gewährleistet, dass Kranken- und Feuerwehrwagen jederzeit sein Grundstück erreichen könnten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben
und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), erhärten. In der Bestätigung des Antragsgegners betreffend den vom Beigeladenen angemeldeten Aufzug wird letzterer darauf hingewiesen, dass Einsatzfahrzeugen der
Polizei, der medizinischen Dienste und der Feuerwehr jederzeit freie Durchfahrt zu gewähren ist. Die Veranstalter der angemeldeten Gegendemonstrationen, die am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg
sowie Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach stattfinden sollen, erhielten denselben Hinweis. Darüber hinaus werden in Absprache mit der Stadt Münster befristet bestehende Einbahnstraßenregelungen aufgehoben und Sperrpoller entfernt
werden, um eine ungehinderte Durchfahrt von Rettungs- und medizinischen Diensten sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind weiterhin in der K. -I. -Straße - wie auch in anderen Straßen - mobile Verkehrsschilder aufgestellt worden,
die ein absolutes Halteverbot für den Zeitraum des Aufzuges anordnen. Sollten Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen tatsächlich eine Durchfahrt für Rettungswagen behindern, obliegt es der Polizei im Rahmen der
Gefahrenabwehr, die Durchfahrt notfalls zwangsweise durchzusetzen. Zudem besteht für die Rettungskräfte die Möglichkeit, die K. -I. -Straße von Osten über den A-Weg zu erreichen.
Die schließlich als Belastung verbleibende Beeinträchtigung seiner Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch die nicht verkehrsübliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke hat der
Antragsteller hinzunehmen mit Blick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, der es ausschließt, von Wohnbevölkerung freie Demonstrationsorte zuzuweisen. Solche Belästigungen, die unvermeidbar
aus der Massenhaftigkeit der Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgen und sich ohne Nachteile für den Veranstalter nicht vermeiden lassen, müssen ertragen werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den
Grundrechtsträgern - solange sie sich gesetzeskonform verhalten - das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Schon in diesem Sinne gebührt diesem Grundrecht in einem freiheitlichen
Staatswesen ein besonderer Rang. Es hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter zwingend
notwendig ist.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 61, 79; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 17; st. Rspr.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers stellt sich als geringfügig und vorübergehend dar, weil der Aufzug die K. -I. -Straße nur für eine relativ kurze Zeit betrifft.
Darüber hinaus wird ihm nach dem Schriftsatz des Antragsgegners am 3. März 2012 als Anwohner Durchlass gewährt werden, wenn dies in der aktuellen Einsatzsituation ohne Gefahren möglich ist.
Soweit der Antragsteller Rechtspositionen der Allgemeinheit bzw. der übrigen Anwohner des Rumphorstviertels - wie etwa die Behinderung der Zufahrt zu deren Häusern - geltend macht, kann § 15 Abs. 1 VersG von vornherein
keinen Anordnungsanspruch stützen.
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsteller auch nicht unmittelbar aus seinen Grundrechten einen Anordnungsanspruch herzuleiten vermag.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen, da der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt
hat, sich keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit - Stand Juli 2004 -). ..." (VG Münster, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 L 88/12)
***
„... Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse
überwiegt. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann per se kein Interesse bestehen. Es erscheint als möglich, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es für die getroffene Feststellung an
einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht (anders als die Kammer, vgl. Urteil vom 23. November 2004 - 1 A 271.01 -, juris) im Wege der Auslegung von §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG die
Ermächtigung der Versammlungsbehörde bejaht durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Versammlung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4.05 -, juris Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der dazu gehörenden Revisionsentscheidung es hingegen nicht von vornherein für ausgeschlossen angesehen, dass es an einer solchen
Ermächtigungsgrundlage fehlen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 13). Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bescheid ist materiell-rechtlich rechtswidrig.
Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung geht von einer zu engen Auslegung des Versammlungsbegriffs aus. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte
Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch
einen gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu
begrenzen ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris Rn. 19, und vom 7.
März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des
Grundgesetzes. Es ist deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf
Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -,
BVerfGE 69, 315 ff. = NJW 1985, 2395 <2396>). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete
öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke
unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6
C 23.06 -, a. a. O.).
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli
2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, a. a. O. Rn. 29).
Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch ‚gemischten Veranstaltung' erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23 06 -, a. a. O Rn. 17 f.) folgendes ausgeführt:
‚Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die
Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die
Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen,
die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten
Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung
einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen
Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer
bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die
nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht
wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen
werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In
diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss
an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind.
Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden
Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach
eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine
Versammlung zu behandeln.'
Auch wenn der Antragsgegner durch Gegenüberstellung der Wort- und Musikbeiträge formal versucht hat, diesen Anforderungen nachzukommen, erweist sich seine Einordnung unter Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs
dennoch als fehlerhaft. Denn die in den genannten drei Schritten vorzunehmende Gesamtschau aller tatsächlichen Umstände spricht für das Vorliegen einer Versammlung.
Bei der im ersten Schritt vorzunehmenden Erfassung aller derjenigen Modalitäten, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind neben dem Thema der Veranstaltung sowohl der räumliche Bezug, die geplante
inhaltliche Ausgestaltung als auch die geplante Darstellung der Veranstaltung nach außen mit der dazugehörenden Werbung zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner nicht hinreichend die mit der streitigen
Veranstaltung beabsichtigte Einwirkung und Ausstrahlung auf die öffentliche Meinung zum Thema der Veranstaltung ‚Für den Erhalt der Kastanienallee / Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren' mit dem durch den beim
Anmeldernamen angegebenen Zusatz der Initiative ‚STOPPT K21' klar erkennbaren Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern, berücksichtigt. Dass dieses Thema eine große
öffentliche Resonanz hat, belegen bereits die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Pressemeldungen. Auch das deutlich an ‚Stuttgart 21 - S21' anknüpfende Kürzel K21 macht den Willen des Antragstellers deutlich, mit der
Veranstaltung am 14. Mai 2011 eine ebenso große Protestwelle auslösen zu wollen wie in Stuttgart. Weiteres Indiz für den Charakter als Versammlung ist der vom Anmelder gewählte räumliche Bezug der Veranstaltung, denn diese
soll genau in dem von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffenen Abschnitt der Kastanienallee zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee stattfinden. Damit wird der von den Veranstaltern gewollte Zweck, auf die
öffentliche Meinung so einzuwirken, dass noch mehr Menschen das Ziel verfolgen, gerade diese Umbauarbeiten zu verhindern, hinreichend deutlich.
Auch in dem Antrag des Antragstellers an das Bezirksamt Pankow von Berlin auf Erteilung einer Genehmigung nach § 11 LImSchG Bln vom 5. April 2011 war als Art des Vorhabens angegeben ‚Aktionstag der Initiative STOPPT
K21, Mehrstündige Kundgebung mit Kulturprogramm'. Eine Kundgebung zielt aber gerade auf Darstellung und öffentliche Vermittlung des Veranstaltungsthemas und damit auch auf öffentliche Meinungsbildung. Weder die
Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen lassen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen. Es geht dem Anmelder offensichtlich nicht um
überwiegende Kulturdarbietungen, sondern um einen öffentlich wirksamen, berlinweit wahrnehmbaren Protest mit größtmöglicher Resonanz gegen den Umbau der Kastanienallee. Dies lässt sich u. a. auch der Formulierung
entnehmen, die verschiedenen Musikgruppen werden ‚für die Kastanienallee spielen' (vgl. http://stoppt-k21.de, Stand 11.05.2011). Auch die Aufstellung von fünfzig Informationsständen und Sammlung von Unterschriften für das
Bürgerbegehren nehmen der Veranstaltung nicht ihren Charakter als Versammlung, denn beides zielt darauf ab, die Meinung der Veranstalter, also der Initiative ‚STOPPT K21', zu verbreiten und durch Information weitere Personen
von ihrer Meinung, der Umbau der Kastanienallee müsse gestoppt werden, zu überzeugen.
Für die Veranstaltung am 14. Mai 2011 sind vom Anmelder auch mehrere Reden geplant. Dass dabei Redner unterschiedlichster Initiativen zu Wort kommen sollen, bedeutet entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht, dass
diese nur zu den Themen der von ihnen vertretenen Initiativen, nicht aber zum Umbau der Kastanienallee ihre Meinung kundtun werden. Es muss mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Redner das
Thema der Veranstaltung in ihren Reden aufgreifen werden. Auch der Wechsel von fünfzehnminütigen Rede- und halbstündigen Kulturbeiträgen im Zeitraum von 14.00 bis 22.00 Uhr belegt, dass die Meinungskundgabe während der
gesamten Veranstaltung keine unwichtige Rolle spielt. Eine andere Bewertung wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn einer kurzen Rede nur noch Musikdarbietungen folgen sollten; dies ist aber nach dem geplanten Ablauf gerade
nicht der Fall. Auch der Auftritt von Musikgruppen während einer Veranstaltung nimmt dieser nicht ihren Charakter als Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris). Das zur Veranstaltung am
14. Mai 2011 hergestellte Plakat enthält entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur ausschließlich Hinweise auf Musik- bzw. Kulturbeiträge, sondern verweist mit der großen Überschrift ‚RECLAIM DEMOCRACY' und den
kleineren Zusätzen ‚Kastanienallee Aktionstag' und ‚Stoppt die Zerstörung zw. Schönhauser Allee und Schwedter Straße' deutlich auf das Anliegen der Veranstaltung und die damit verbundene Meinungskundgabe, die Demokratie
zurückfordern zu wollen und damit als Bürger bei Planungsentscheidungen intensiver mitreden und -bestimmen zu können als es bislang der Fall gewesen sein mag. Auch wenn in einigen Presseveröffentlichungen die Veranstaltung
als ‚Straßenfest' bezeichnet wurde, bestehen nach den obigen Ausführungen keine überwiegenden Anhaltspunkte, den Charakter der Veranstaltung als Versammlung allein deshalb zu verneinen.
Die im zweiten Schritt vorzunehmende Würdigung und Gewichtung der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, hier also die Kulturbeiträge, führt zwar zu einem zeitlichen Übergewicht dieses
Veranstaltungsteils, kann aber bei dem im dritten Schritt vorzunehmenden Vergleich beider Teile und ihrer Beziehung zueinander schon wegen der Verschränkung im zeitlichen Ablauf, also des regelmäßigen Wechsels von Rede- und
Kulturbeiträgen, nicht als ein auch inhaltliches Überwiegen der Musikdarbietungen mit völlig untergeordneter Meinungskundgabe angesehen werden.
Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass sich eine ganz eindeutige Zuordnung der Veranstaltung unter dem Versammlungsbegriff aufgrund nicht immer einheitlicher Darstellung der geplanten Veranstaltung nicht vornehmen lässt.
Wie oben aber bereits ausgeführt, muss in den Fällen, in denen Unsicherheiten verbleiben, allein schon wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt werden.
Es kann auch nicht von einer bereits am 18. Dezember 2010 vom Antragsteller durchgeführten Veranstaltung, die damals als Versammlung bewertet wurde, nach einem Vermerk im Verwaltungsvorgang ihren Schwerpunkt aber ‚in
den Musikdarbietungen sowie dem Ausschank von Glühwein und Suppe' gehabt haben soll, auf den Charakter der jetzt gewollten Veranstaltung geschlossen werden. Denn entgegen der früheren Versammlung, auf der nach
Darstellung der Polizei keine ‚richtigen Redebeiträge' gehalten worden sein sollen, sind - wie dargelegt - nun insgesamt neun verschiedene Redebeiträge geplant.
Erst recht unerheblich für die Frage, ob die Veranstaltung als Versammlung zu werten ist, sind die von der Verkehrslenkung Berlin und den Berliner Verkehrsbetrieben geltend gemachten Bedenken bezüglich der Behinderung des
öffentlichen Personennahverkehrs und dem in der Kürze der Zeit nicht organisierbaren Ersatzverkehr. Zur Vermeidung eventuell die öffentliche Ordnung gefährdender Verkehrssituationen bei Einstellung des Straßenbahnverkehrs
steht es der Versammlungsbehörde frei, gegebenenfalls durch Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG die Ermöglichung des Straßenverkehrs sicherzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für eine mögliche Gefährdung der
Versammlungsteilnehmer durch die existierende Baustelle. Die Beurteilung, inwieweit für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung weitere Auflagen zu erteilen sind, ist nicht Sache des Gerichts, sondern des
Antragsgegners. Sollte sich während der Veranstaltung herausstellen, dass jedwede gemeinsame Meinungsäußerung der Teilnehmer fehlt und nach den oben dargestellten Kriterien eindeutig nicht von einer Versammlung gesprochen
werden kann, steht es dem Antragsgegner frei, mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 11.05.2011 - 1 L 148.11)
***
Soll die geplante Veranstaltung einen Rahmen bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden, handelt es sich um eine Versammlung im Sinne des
Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes. Liegen Gründe für eine Spontanversammlung, nach der die versammlungsrechtlichen Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG entfallen, nicht vor, ist in der
Anmeldepflicht keine unverhältnismäßige Einschränkung der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie i.S. des Art. 9 GG zu sehen (AG München, Urteil vom 26.01.2009 - 845 Cs 113 Js 11159/08).
§ 15
(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflage abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn
1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz
bestimmt.
(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem
Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.
(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.
***
Anlage (zu § 15 Abs. 2)
Die Abgrenzung des Ortes nach § 15 Abs. 2 Satz 2 (Denkmal für die ermordeten Juden Europas) umfasst das Gebiet der Bundeshauptstadt Berlin, das umgrenzt wird durch die Ebertstraße, zwischen der Straße In den Ministergärten
bzw. Lennestraße und der Umfahrung Platz des 18. März, einschließlich des unbefestigten Grünflächenbereichs Ebertpromenade und des Bereichs der unbefestigten Grünfläche im Bereich des J.-W.-von-Goethe-Denkmals, die
Behrenstraße, zwischen Ebertstraße und Wilhelmstraße, die Cora-Berliner-Straße, die Gertrud-Kolmar-Straße, nördlich der Einmündung der Straße In den Ministergärten, die Hannah-Arendt-Straße, einschließlich der Verlängerung
zur Wilhelmstraße. Die genannten Umgrenzungslinien sind einschließlich der Fahrbahnen, Gehwege und aller sonstigen zum Betreten oder Befahren bestimmten öffentlichen Flächen Bestandteil des Gebiets.
Leitsätze/Entscheidungen:
Die Entscheidung ist im Ergebnis verfassungsrechtlich tragfähig. Allerdings liegt dem von dem Beschwerdeführer angegriffenen Versammlungsverbot eine Gefahrenprognose zugrunde, die nicht in jeder Hinsicht auf
verfassungsrechtlich tragfähige Erwägungen gestützt ist. Insbesondere begründen eine feindliche Positionierung der Versammlungsteilnehmer gegenüber dem deutschen Staat und die Tatsache, dass diese die Polizei als
Exekutive und Repräsentant staatlicher Macht in besonderem Maße als Übel ansehen, ebensowenig einen tragfähigen Gesichtspunkt für die Prognose einer drohenden Gewalttätigkeit der Versammlung, wie die zu
erwartende Teilnahme einer erheblichen Zahl von Angehörigen der linksautonomen Szene. Im Blick auf weitere Erwägungen hält sich die Gefahrenprognose jedoch bei Gesamtsicht im fachgerichtlichen Wertungsrahmen
(BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13.04.2015 - 1 BvR 3279/14)
***
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verbote von Versammlungen am 31. August 2012 und am 1. September 2012 in D. gerichtet
ist, hat keinen Erfolg.
1. Mit Bescheid vom 27. August 2012 hat das Polizeipräsidium D. die von dem Antragsteller angemeldeten Versammlungen unter dem Motto ‚Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege', die jährlich
wiederkehrend als ‚Antikriegstag' durchgeführt werden, im Wesentlichen mit der Begründung verboten, dass die Versammlungen nicht von dem Beschwerdeführer als Privatperson, sondern als Vertreter für die vom Ministerium für
Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Verfügung vom 10. August 2012 verbotene Vereinigung ‚Nationaler Widerstand D.' angemeldet worden seien. Die Durchführung des ‚Antikriegstages' würde den
organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung aufrechterhalten, zumindest aber unterstützen.
2. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen haben das Versammlungsverbot bestätigt.
3. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der
Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Erweist sich die
Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte,
gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).
Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.
Über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann zum derzeitigen Verfahrenszeitpunkt noch nicht abschließend entschieden werden; sie kann allerdings auch nicht als von vornherein unzulässig verworfen werden. Die
Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer beruft sich als natürliche Person auf die Versammlungsfreiheit. Mit dem Verbot eines Vereins als Organisation ist ihm diese nicht aberkannt
(vgl. BVerfGE 25, 44 <57 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97 -, juris). Das Verfahren berührt die schwierige materiellrechtliche Frage, ob beziehungsweise unter welchen
Bedingungen und in welchem Umfang die organisationsbezogene Entscheidung eines Vereinsverbots über Zurechnungen die vormaligen verantwortlichen Personen des verbotenen Vereins im Ergebnis auch darin einschränken kann,
Versammlungen zu veranstalten, die an sich gesetzlich nicht zu beanstanden sind. Diese Frage kann nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden werden, sondern ist gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu beantworten.
Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist demnach im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden.
Würde vorliegend eine einstweilige Anordnung ergehen, sich aber dann im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich Bestand haben, läge hierin ein Nachteil von gravierendem
Gewicht. Denn dann wären die Versammlungen Zuwiderhandlungen gegen das Vereinsverbot und somit strafbar. Das Verbot betrifft zwei Versammlungen, die noch durch die Personen in den Strukturen der gerade verbotenen
Vereinigung vorbereitet und beworben wurden und wie schon in der Vergangenheit von der verbotenen Vereinigung als deren zentrales, identitätsstiftendes Ereignis organisiert wurden. Die Verwaltungsgerichte sehen dabei in der
Veranstaltung die Durchführung einer Versammlung der verbotenen Vereinigung, für die der Beschwerdeführer weiterhin tätig sei. Sie können sich dabei darauf stützen, dass Veranstaltungen in Rede stehen, die schon vor der
Verbotsverfügung von dem Beschwerdeführer, der zur Leitungsebene und zu den Meinungsführern in der verbotenen Vereinigung gehörte, angemeldet wurden und nunmehr unverändert in derselben Form, von denselben Personen
und in denselben Strukturen durchgeführt werden sollen. Die Internetseite der verbotenen Vereinigung ‚w.' enthält eigens eine Rubrik ‚Antikriegstag', die auf die Internetseite ‚h.' führte. Die hier verbotenen Versammlungen bilden
nach den insoweit substantiiert begründeten Erwägungen der Verwaltungsgerichte offensichtlich eine Fortsetzung der Tätigkeit der inzwischen verbotenen Vereinigung. Dabei sind hier weniger das Thema der Versammlungen
maßgeblich, als vielmehr ihr Format und ihre Organisationsstrukturen. Es liegt auf der Hand, dass die unveränderte Durchführung dieser der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen unmittelbar nach Erlass der
Verbotsverfügung ihren organisatorischen Zusammenhalt aufrechterhalten beziehungsweise festigen würde.
Demgegenüber sind die Nachteile weniger schwerwiegend, wenn keine einstweilige Anordnung erginge, sich in der Hauptsache aber herausstellen sollte, dass die Versammlungsverbote verfassungsrechtlich keinen Bestand haben
können. Die Verbotsverfügung betrifft nicht Versammlungen aus aktuellem Anlass und mit einem dringenden zeitgebundenen Bezug, so dass sich mit dem Verbot das durch die Versammlungen verfolgte politische Anliegen
nicht erledigt, sondern in weiteren Demonstrationen erneut aufgegriffen werden kann. Ohnehin spricht das Verbot dem Beschwerdeführer sein Versammlungsrecht zur Verbreitung seiner politischen Überzeugungen nicht mit weiterer
Wirkung für die Zukunft ab, sondern erfasst ausschließlich zwei konkrete Versammlungen, die aus den genannten Gründen noch der verbotenen Vereinigung zugerechnet werden. Insbesondere folgt aus dem allein auf die
vorliegenden, in spezifischer Weise noch der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen bezogenen Verbot weder seinem Gegenstand nach noch in der Sache, dass der Beschwerdeführer künftig grundsätzlich gehindert
wäre, zu Themen, denen die hier verbotenen Versammlungen gelten, Veranstaltungen - auch in D. - durchzuführen. Unter diesen Voraussetzungen enthält das Verbot keinen so schweren Nachteil für den Beschwerdeführer,
dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der nur zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs anzuwendenden einstweiligen Anordnung zwingend einschreiten müsste. ..." (BVerfG, Beschluss vom
31.08.2012 - 1 BvR 1840/12)
***
Verweigerter effektiver Rechtschutz durch Ablehnung des Erlasses einer einsteiligen Anordnung gegen teilweise Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt (BVerfG, Einstweilige Anordnung
vom 16.05.2012 - 1 BvQ 17/12 - „Blockupy I"):
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der versammlungsrechtliche Verfügungen der Stadt Frankfurt am Main betrifft, mit denen den Antragstellern insbesondere verboten wurde, vom 17. Mai 2012 bis zum 19. Mai
2012 mehrere Plätze in der Frankfurter Innenstadt mit jeweils erwarteten 1.000 Teilnehmern zu Blockadezwecken zu besetzen, einen Infostand sowie eine Auftaktkundgebung am 16. Mai 2012 zu errichten beziehungsweise zu
veranstalten sowie eine Veranstaltung am 18. Mai 2012 vor der Deutschen Bank durchzuführen, hat unbeachtet der Frage der Zulässigkeit des Antrags keinen Erfolg. Im Rahmen der bei der Prüfung von Anträgen auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; 111, 147 <152 f.>; stRspr) ist vorliegend ausgehend vom
Vorbringen der Antragsteller und den vorläufigen Rechtsschutzentscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht erkennbar, dass die Nachteile der Antragsteller im Verhältnis zu den drohenden Nachteilen dritter Grundrechtsberechtigter
so schwer wiegen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht dringend geboten wäre. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ..."
***
Versammlungsbehördlich angeordneter Sofortvollzug einer Auflage, mit der die zeitliche Verlegung einer Demonstration verfügt wurde (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2012 - 1 BvQ 4/12):
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft einen versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug einer Auflage, mit der die zeitliche Verlegung einer Demonstration vom 27. Januar 2012 auf den 28. Januar
2012 verfügt wurde.
I. 1. Die Antragstellerin meldete eine Versammlung mit dem Motto ‚Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!' für den 27. Januar 2012 von 19:00 bis 21:00 Uhr im Zentrum der Stadt T. an. Die
Anmeldung erfolgte nach Auskunft der zuständigen Versammlungsbehörde am 25. Januar 2012. Das Versammlungsthema nahm dabei Bezug auf einen am selben Abend in der Aula des Bischöflichen Priesterseminars stattfindenden
Vortrag des Börsenexperten Prof. O. mit dem Titel ‚Von der Finanz- zur Eurokrise'. Der 27. Januar ist, wie allgemein bekannt und Gegenstand der Presseberichterstattung ist, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
2. Mit Bescheid vom 26. Januar 2012 verfügte die Versammlungsbehörde gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die zeitliche Verlegung des Versammlungstermins
auf den 28. Januar mit der Begründung, dass die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der öffentliche Ordnung bestünde, wenn die nach ihrem eigenen Selbstverständnis rechtsextreme Nationaldemokratische
Partei Deutschlands am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus einen Aufzug veranstalte. Denn hiervon ginge eine Provokationswirkung aus, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen würde. Einen
Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnten sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht jeweils mit Beschluss vom 27. Januar 2012 ab, da die angefochtene zeitliche Verlegung aus
den für zutreffend erachteten Gründen der Versammlungsbehörde offensichtlich rechtmäßig sei.
3. In ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügt die Antragstellerin eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der
Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn im Hauptsachverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111,
147 <152 f.>; stRspr). Erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine
Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl.
BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.
2. Eine Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend allerdings weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die öffentliche Ordnung nicht von vornherein als
Schutzgut, das eine zeitliche Verschiebung einer Versammlung um einen Tag rechtfertigen kann, ausscheidet und dass die öffentliche Ordnung auch dann betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft
eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in
erheblicher Weise verletzt werden (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, S. 1409 <1410>). Diese Entscheidung ist jedoch als eine auf eine konkrete Situation bezogene
Einzelfallentscheidung ergangen und erlaubt keinesfalls den pauschalen, jeglicher weiteren Begründung enthobenen Rückschluss, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht durchgeführt werden dürfen, wenn diese in
irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu beurteilen sind. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das
sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfGK 7, 221 <226 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris, Rn. 18), wobei eine
grundsätzliche Klärung dieser Fragen noch aussteht. Vorliegend dürften insofern im Besonderen die Umstände gewürdigt werden müssen, dass das Versammlungsthema keinen ausdrücklichen Bezug zum Gedenktag sondern zu einem
Vortrag zu einem anderen aktuellen allgemeinpolitischen Thema aufweist und dass - soweit ersichtlich - zum Versammlungszeitpunkt am Versammlungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auch keine besondere, an das Unrecht des
Nationalsozialismus erinnernde Gedenkveranstaltung stattfindet. Dass von der Art und Weise der angemeldeten Versammlung zum beabsichtigten Zeitpunkt Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und
Bürger erheblich beeinträchtigen, ist vorliegend zumindest zweifelhaft. Dies abschließend zu bewerten, ist aber nicht Aufgabe des Eilrechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Ergebnis kann dies erst in einem
Hauptsacheverfahren geklärt werden. Dabei ist im vorliegenden Verfahren, in dem allein vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht gesucht wird, nicht darüber zu entscheiden, ob dies bereits in einem
Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes geklärt werden kann oder erst nach Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens.
3. Die damit erforderliche Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen ist, weil die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen
würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre, die Folgen überwiegen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte.
Würde die einstweilige Anordnung erlassen, so müsste die Versammlungsbehörde in Zusammenarbeit mit den allgemeinen Polizeibehörden binnen kürzester Zeit - der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ging am späten
Nachmittag des 27. Januar 2012 bei der zentralen Faxstelle des Bundesverfassungsgerichts ein und konnte erst 30 Minuten vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn beschieden werden - die insoweit notwendigen Maßnahmen
einleiten und das hierfür erforderliche Personal und die notwendige Ausrüstung bereitstellen, um den ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung sicherzustellen. Das Gericht kann sich unter den aufgezeigten zeitlichen Bedingungen
kein hinreichend zuverlässiges Bild darüber machen, welche Gefahren bei Durchführung der Versammlung - gegebenenfalls auch durch Dritte - zu besorgen und welche Maßnahmen zu deren Verhinderung geboten und noch möglich
sind. Mithin ist die Gefahr erheblicher und in der Kürze der Zeit nicht mehr zu kontrollierender Störungen der öffentlichen Sicherheit nicht auszuschließen. Dies kann der zuständigen Versammlungsbehörde vorliegend auch nicht zum
Vorwurf gemacht werden, da die Versammlung kurzfristig angemeldet wurde, sie selbst ohne Verzögerung über den Versammlungsverlauf entschieden hat und sie aufgrund der ebenfalls ohne Verzögerung ergangenen
Gerichtsbeschlüsse, die unter Bezugnahme auf die oben zitierte Entscheidung der Kammer vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - ihre Entscheidung bestätigten, zumindest in begrenztem Umfange darauf vertrauen durfte, dass ihre
Entscheidung bestehen bleiben und am fraglichen Tag die Versammlung nicht mehr stattfinden würde.
Demgegenüber wiegen die Folgen für die Antragstellerin, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, weniger schwer. Der Antragstellerin wurde grundsätzlich erlaubt, ihre
Versammlung durchzuführen. Zwar ist von Art. 8 Abs. 1 GG auch die Wahl des Zeitpunktes der Versammlung umfasst (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>). Ein Eingriff hierin wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Versammlungsverbot.
Dass die Verlegung um einen Tag vorliegend einem Verbot gleichkäme erschließt sich - entgegen dem Vortrag der Antragstellerin - nicht. Das Versammlungsthema nimmt Bezug auf eine Frage, die unabhängig von dem am
beabsichtigten Versammlungstag stattfindenden Vortrag derzeit im Fokus der öffentlichen Diskussion steht. Es ist daher zu erwarten, dass der Auseinandersetzung der Antragstellerin mit dem Thema auch am Folgetag der
Veranstaltung ähnliche Beachtung in der Öffentlichkeit geschenkt wird wie am Tag des Vortrags selbst, zumal der in Bezug genommene Vortrag in einem geschlossenen Raum mit begrenzter Zuhörerschaft stattfindet und derartige
Vorträge ihre volle Außenwirksamkeit regelmäßig erst durch eine anschließende Presseberichterstattung entfalten. ..."
***
Bei der Gefahrenprognose für ein auf die unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § 15 VersG gestütztes Versammlungsverbot ist zu berücksichtigen, ob sich die von der Behörde herangezogenen Äußerungen
und Aufrufe von erwarteten, latent gewaltbereiten Teilnehmern (hier: von den „Autonomen Nationalisten") zur Gewaltanwendung auf die konkret geplante Versammlung beziehen, ob von diesen Teilnehmern bei nach Motto, Ort,
Datum sowie Teilnehmer- und Organisationskreis ähnlichen Versammlungen Gewalt ausgegangen ist und ob die für das Gefahrenpotenzial angenommene Anzahl gewaltbereiter Teilnehmer auf einer verlässlichen Tatsachengrundlage
beruht. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Annahme der Versammlungsbehörde berechtigt ist, dass die für die Organisation und Durchführung einer Versammlung verantwortliche Person nicht über die erforderliche
Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung der Versammlung verfügt (BVerfG, Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09, NJW 2010, 141 ff):
„... Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot.
Der Veranstalter meldete für den 5. 9. 2009 eine Versammlung in Dortmund samt Aufzug unter dem Motto „Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien Welt" mit einer zu
erwartenden Teilnehmerzahl von circa 1000 Teilnehmern an (Fünfter Antikriegstag). Mit an den Bf. als Versammlungsleiter adressierter Verbotsverfügung vom 14. 7. 2009 verbot die Versammlungsbehörde die geplante
Versammlung unter Berufung auf das Erscheinen von Demonstranten aus der Szene der „Autonomen Nationalisten" wegen der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § VersammlG § 15 VersammlG § 15 Absatz I
VersG und erklärte das Verbot für sofort vollziehbar. Die vom Bf. angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 12. 8. 2009 - 14 L
746/09, BeckRS 2009, BeckRS Band 2009 Nr. 37618). In seinem mit einer Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügte der Bf. eine Verletzung seines Grundrechts der
Versammlungsfreiheit aus Art. GG Artikel 8 GG Artikel 8 Absatz I GG.
Die Kammer stellte die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung mit der Maßgabe wieder her, dass von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten war. ...
II. 1. Nach § BVerfGG § 32 BVerfGG § 32 Absatz I BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender
Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn - wie hier - aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher
Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine
Wohl i.S. des § BVerfGG § 32 BVerfGG § 32 Absatz I BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, BVerfGE Band 111 Seite 147 [ BVerfGE Band 111 Seite 153] = NJW 2004, NJW Band 2004 Seite 2814).
2. So liegt der Fall hier. Die dem BVerfG im Eilrechtsschutzverfahren allein mögliche vorläufige Prüfung lässt eine ausreichende Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot und damit einen Eingriff in das
Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. GG Artikel 8 GG Artikel 8 Absatz I GG nicht erkennen.
Das BVerfG legt der Prüfung des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde. Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich
fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, BVerfGE Band 110 Seite 77 [ BVerfGE Band 110 Seite 87f.] = NJW 2004, NJW
Band 2004 Seite 2510; BVerfGE 111, BVerfGE Band 111 Seite 147 [ BVerfGE Band 111 Seite 153] = NJW 2004, NJW Band 2004 Seite 2814; BVerfGK 3, 97 [99] = NVwZ 2004, NVwZ Band 2004 Seite 1111).
3. Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt (§ VersammlG § 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche
Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfGE 69, BVerfGE Band 69
Seite 315 [ BVerfGE Band 69 Seite 353f.] = NJW 1985, NJW Band 1985 Seite 2395; BVerfGE 87, BVerfGE Band 87 Seite 399 [ BVerfGE Band 87 Seite 409] = NJW 1993, NJW Band 1993 Seite 581). Im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. GG Artikel 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare
Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 1407 [ NJW Band 2001 Seite 1408f.]). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte
Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten
Senats], NVwZ-RR 2002, NVwZ-RR Band 2002 Seite 500).
4. Die von der Versammlungsbehörde aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit tragen das Versammlungsverbot nicht. Gleiches gilt für die vom VG und vom OVG ergänzend zu den
Darlegungen der Versammlungsbehörde zur Begründung ihrer Entscheidungen herangezogenen Gesichtspunkte.
a) Die Versammlungsbehörde stützt ihre Gefahrenprognose auf den Umstand, dass mit dem Veranstalter sowie dem stellvertretenden Versammlungsleiter und einer weiteren Person, die während des Kooperationsgesprächs anwesend
war, Mitglieder aus der Szene der „Autonomen Nationalisten" für die geplante Versammlung initiativ geworden sind, und die Erwägung, dass dies überwiegend Demonstranten aus Kreisen der „Autonomen Nationalisten" anlocken
werde. Hierbei verweisen die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte - wenngleich unter Bezugnahme auf unterschiedliche Quellen - auf Äußerungen und Aufrufe von einzelnen Anhängern bzw. lokalen und regionalen
Gruppierungen der „Autonomen Nationalisten" im Internet, in denen allgemein und ohne Bezug auf die in Streit stehende Versammlung die Ziele, das Selbstverständnis und die Taktik des so genannten „Schwarzen Blocks" propagiert
werden. Danach behalten sich die „Autonomen Nationalisten" auf Versammlungen bei hinreichender Provokation, sei es durch Gegendemonstranten oder durch Polizeikräfte, als letztes Mittel vor, aus der Anonymität der Menge
heraus im Wege der Selbsthilfe Gewalt anzuwenden. Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben überdies auf die zunehmende Präsenz des Schwarzen Blocks bei rechtsradikalen Versammlungen abgestellt.
Dieser Fall der nicht auszuschließenden Mobilisierung bestimmter abstrakt gewaltbereiter Teilnehmerkreise ist indes qualitativ im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefahr nicht mit der Konstellation zu vergleichen,
dass über das Internet von bestimmten Einzelpersonen oder Gruppierungen auf die konkrete Versammlung bezogene Äußerungen und Aufrufe verbreitet werden, in der die Anwendung von Gewalt unmittelbar angedroht bzw. in
Aussicht gestellt wird. Keine der von der Versammlungsbehörde und den Verwaltungsgerichten für die Gefahrenprognose herangezogenen Äußerungen und Aufrufe im Internet enthält einen Bezug zu der konkret geplanten
Versammlung. Die Äußerungen und Aufrufe erschöpfen sich insoweit in allgemeinen Ausführungen zu dem unter den „Autonomen Nationalisten" gängigen Gewaltvorbehalt. Aus dem Gewaltvorbehalt ist allerdings zu schließen, dass
die Mitglieder der „Autonomen Nationalisten" als bedingt bzw. latent gewaltbereit einzustufen sind und insoweit die Gefahr besteht, dass sie für sich die Schwelle für den Eintritt der Bedingung, der hinreichenden Provokation,
entsprechend der Namensgebung nach eigenen Maßstäben losgelöst von rechtsstaatlichen Grundsätzen festlegen. Dies allein begründet aber noch nicht für jeden Fall, in dem möglicherweise eine größere Zahl „Autonomer
Nationalisten" an einer Versammlung teilnimmt, die Annahme, dass von direkt bevorstehenden Gewalttätigkeiten und damit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen ist, und entsprechend kann hieraus
nicht auf die konkrete Absicht dieses potenziellen Teilnehmerkreises geschlossen werden, auf der geplanten Versammlung Gewalt anzuwenden. Die knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte
Versammlung deutet - ungeachtet der Unterschiede zwischen beiden Veranstaltungen im Einzelnen - darauf hin, dass das Erscheinen von „Autonomen Nationalisten" nicht zwangsläufig zu Ausschreitungen auf Seiten der
rechtsradikalen Versammlungsteilnehmer führt, wenn die durch eine kluge Polizeitaktik geschaffenen Rahmenbedingungen stimmen.
b) Soweit die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte eine Indizwirkung für das Gefahrenpotenzial aus früheren rechtsradikalen Versammlungen ableiten, ist eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage im Hinblick auf
die Erwartung einer ein Verbot rechtfertigenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht dargetan. Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind,
liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen bei der Behörde (vgl. BVerfG, NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 2078 [ NJW Band 2001 Seite 2079]). Als Vorgängerversammlungen sind in erster Linie
diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen. Die
Antikriegstags-Versammlungen in den Jahren 2005, 2006 und 2007 sind nach den Angaben in der Verbotsverfügung gänzlich ohne Vorkommnisse durchgeführt worden. Auf der Antikriegstag-Versammlung im Jahr 2008 ist es zwar
augenscheinlich zu gewissen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, die Angaben der Versammlungsbehörde zu Umfang, Intensität und Folgen dieser Tätlichkeiten sind allerdings zu unbestimmt, um den Schluss zuzulassen, dass
die Versammlung selbst die Schwelle zur Gewaltanwendung überschritten hat. Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete
Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, NJW 2000, NJW Band 2000 Seite 3051 [ NJW Band 2000 Seite 3053]). Die in der
Verbotsverfügung aufgelisteten früheren 1. Mai-Demonstrationen können daher nicht ohne Weiteres als Indiz für die Gefahrenprognose herangezogen werden, da sie unter einem anderen Motto, an einem anderen, noch
konfliktträchtigeren Datum, teils an einem anderem Ort und teils ohne Anmeldung stattgefunden haben. In diesem Zusammenhang hätten die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte zu Gunsten der geplanten
Versammlung auch berücksichtigen müssen, dass die knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte rechtsradikale Versammlung ohne jegliche Gewaltanwendung stattgefunden hat, obwohl im
Vorfeld dieser Versammlung nach der Darstellung der Polizeikräfte vor Ort mit der Teilnahme einer „großen Gruppe" gewaltbereiter „Autonomer Nationalisten" gerechnet wurde und auch tatsächlich mehrere Gruppen von
„Autonomen Nationalisten", nicht zuletzt aus Dortmund, zu der Versammlung angereist waren.
c) Soweit die Versammlungsbehörde das Gefahrenpotenzial mit der Menge der zu erwartenden „Autonomen Nationalisten" begründet hat, begegnet die Gefahrenprognose auch in quantitativer Hinsicht Bedenken. Die Annahme der
Versammlungsbehörde, dass sich die Demonstranten überwiegend aus den Reihen der „Autonomen Nationalisten" rekrutieren werden, ist auf Grund des Verhältnisses zwischen der Zahl der auf der Versammlung zu erwartenden
Teilnehmer und der Zahl der „Autonomen Nationalisten" insgesamt nicht nachvollziehbar. Nach dem vom Bf. angeführten Verfassungsschutzbericht 2008 schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zahl der „Autonomen
Nationalisten" bundesweit auf circa 480 Personen. Da nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen ist, dass sämtliche zu diesem Kreis dazugehörigen Personen an der geplanten Versammlung teilnehmen werden, ist
davon auszugehen, dass sich die „Autonomen Nationalisten" bei zu erwartender Teilnehmerzahl von 1000 - die Versammlungsbehörde geht selbst von einer größeren Zahl aus - in der Minderheit befinden. Zwar hat das VG die
Schätzung dahingehend korrigiert, dass lediglich mit einer „erheblichen" Zahl von Demonstranten aus Kreisen der „Autonomen Nationalisten" zu rechnen sei. Daraus haben jedoch weder das VG noch das OVG Konsequenzen bei der
Gefahrenprognose gezogen.
d) Ferner haben die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte keine konkreten Tatsachen aufgezeigt, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass die für die Organisation und
Durchführung der Versammlung verantwortlichen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen. Zwar kann von diesen Personen, wenn mit dem
Erscheinen einer gewaltorientierten Minderheit sicher zu rechnen ist, erwartet werden, dass sie auch in ihrem Vorfeld öffentlich deutliche Signale setzen, die auf die Gewaltfreiheit der Durchführung der Versammlung ausgerichtet sind
(vgl. BVerfG, NJW 2000, NJW Band 2000 Seite 3051 [ NJW Band 2000 Seite 3053]; NJW 2001, NJW Band 2001 Seite 2078 [ NJW Band 2001 Seite 2079]). Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben indes
nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die Verantwortlichen in einem auf die konkrete Versammlung bezogenen Aufruf ausdrücklich von Gewaltanwendung distanziert und insoweit Anstrengungen unternommen haben, die auf
einen gewaltfreien Verlauf der geplanten Versammlung abzielen. Zutreffend verweist der Bf. auf die am 12. 7. 2009 veröffentlichte Rubrik „Was wir möchten und was nicht" auf dem Internetportal „Antikriegstag 2009", in der
Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung des Demonstrationsanliegens abgelehnt wird. Entgegen der Auffassung des VG kann aus dem Satz der Ablehnung von „sinnloser Gewalt" gegen Polizisten und Andersdenkende" auch nicht
ohne Weiteres gefolgert werden, dass zwischen unerwünschter „sinnloser" Gewalt und gerechtfertigter „sinnvoller" Gewalt differenziert wird. Der vorangehende und der nachfolgende Text des Aufrufs stehen einer solchen Auslegung entgegen.
Entgegen der Auffassung des OVG wird diese nach außen hin kommunizierte Distanzierung von Gewalt auch nicht dadurch entwertet, dass der Bf. schriftsätzlich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Verhalten von
Mitgliedern der „Autonomen Nationalisten" zu erklären suchte. Maßgebend ist insoweit der öffentliche, an die potenziellen Teilnehmer gerichtete Aufruf zum Gewaltverzicht. Die Distanzierungsobliegenheit hat zwar auch die
Funktion, den zuständigen Behörden aufzuzeigen, ob die für die Organisation und Durchführung verantwortlichen Personen zuverlässige Ansprechpartner sind. Das allein in Form der Rechtsverteidigung geäußerte Vorbringen ist
jedoch erkennbar von dem Anliegen getragen, die Bedenken der Versammlungsbehörde im Hinblick auf die Aktivierung der bedingten Gewaltbereitschaft der „Autonomen Nationalisten" auf der geplanten Versammlung zu zerstreuen
und zu verhindern, dass die Versammlungsbehörde allein das mögliche Erscheinen der „Autonomen Nationalisten" als Anlass für ein Verbot genügen lässt. Daraus kann im konkreten Kontext nicht geschlossen werden, der Bf. werde
in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter dulden oder fördern, dass die Versammlung die Schwelle der Gewaltanwendung überschreitet. Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte hätten berücksichtigen müssen,
dass der Bf. unwidersprochen vorgetragen hat, seit fast zehn Jahren als Versammlungsleiter tätig zu sein und nahezu hundert Versammlungen durchgeführt zu haben, ohne dass eine Versammlung unfriedlich verlaufen sei. Das
Gegenteil dieser Behauptung ist von den Verwaltungsgerichten nicht festgestellt worden. Des Weiteren hätten die Verwaltungsgerichte den Umstand einbeziehen müssen, dass der Bf. die Polizei ermutigt hat, frühzeitig und konsequent
von ihren präventiven Kontrollbefugnissen im Vorfeld der geplanten Versammlung Gebrauch zu machen. Die Distanzierung wird auch nicht dadurch entwertet, dass auf einer Internetseite der „Autonomen Nationalisten" ein Flugblatt
des Veranstalters der geplanten Versammlung veröffentlicht wurde, in dem dieser die Anwendung von Gewalt auf Seiten der „Autonomen Nationalisten" auf der 1. Mai-Versammlung im Jahr 2009 leugnet. Zudem bezieht sich das
Flugblatt nicht auf die konkrete Versammlung.
e) Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange mildere Mittel nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfGE 69, BVerfGE Band 69 Seite 315 [ BVerfGE Band 69 Seite 353] = NJW 1985, NJW Band 1985 Seite 2395). Die
Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben im vorliegenden Fall alternative Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie beispielsweise versammlungsrechtliche Auflagen oder den frühzeitigen und verstärkten
Einsatz polizeilicher Vorabkontrollen nicht hinreichend geprüft und mit tragfähiger Begründung ausgeschieden. ..."
***
Das für beschränkende Verfügungen (Auflagen) gem. § 15 I VersG vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu
geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergibt.
Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus. Soweit Beschränkungen mit dem Inhalt der die Versammlung betreffenden
Meinungsäußerungen begründet werden, ist die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu berücksichtigen. Der Inhalt von Meinungsäußerungen (hier: "Nationaler Widerstand" und "Nationaler Widerstand
Hochsauerland"), der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. § 15 I VersG bedarf aus
verfassungsrechtlichen Gründen einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen
wird (im Anschluss an BVerfGE 111, 147 [156 ff.] = NJW 2004, 2814). Beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung sind insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich, als sich die in § 15 I VersG vorausgesetzte
Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt (im Anschluss an BVerfGE 111, 147 [156 f.] = NJW 2004, 2814). Das gemeinsame laute Skandieren von Parolen
ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat. Mit der Bedeutung der Versammlungsfreiheit wäre es unvereinbar, bereits aus den versammlungstypischen Formen gemeinsamer
Meinungskundgabe, wie dem lauten gemeinsamen Rufen oder Skandieren sowie der Verwendung von Transparenten oder Flugblättern, jene versammlungsspezifischen Wirkungen ableiten zu wollen, die zu der bloßen Äußerung
bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Von Verfassungs wegen muss daher für die Zulässigkeit der Beschränkung
durch Auflagen das in § 15 I VersG formulierte Erfordernis erfüllt sein, dass die öffentliche Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren, zu der Nutzung versammlungstypischer Kundgabeformen
hinzutretenden Umständen durch die Art und Weise der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (hier verneint für das Skandieren der Parolen "Nationaler Widerstand", "Nationaler Widerstand Hochsauerland", Freie
Nationalisten Sauerland/Siegerland", BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04).
Ein für die Festsetzung versammlungsrechtlicher Auflagen erlassener Kostenbescheid greift in die Versammlungsfreiheit des Betroffenen ein, denn Gebühren aus Anlass einer Versammlung können deren Durchführung erschweren
und gegebenenfalls Grundrechtsberechtigte von der Ausübung ihres Grundrechts abhalten. Ein auf der Grundlage von Art. 3 I Nr. 2 BayKostenG i. V. mit Tarif-Nr. 2.II.2/3 KVz erfolgender Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch
Erlass eines Kostenbescheides ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, wenn die Gebühr für eine versammlungsrechtlich begründete Amtshandlung erhoben wird, die nicht an die Verursachung einer dem
Betroffenen zuzurechnenden konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anknüpft. Liegen die Voraussetzungen einer Auflage i. S. von § 15 I VersG nicht vor, ist die in der Kostenerhebung für eine solche "Auflage"
liegende Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht gerechtfertigt (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007 - 1 BvR 943/02).
***
Geht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht von der Versammlung selbst, sondern von einer Gegenveranstaltung aus, ist insbesondere zu prüfen, ob die Inanspruchnahme des Nichtstörers durch eine versammlungsrechtliche
Verfügung gegenüber den Veranstaltern der Gegendemonstration vermieden werden kann. Keinesfalls darf der Nichtstörer einem Störer gleichgestellt und die Auswahl des Adressaten der versammlungsrechtlichen Verfügung von
bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig gemacht werden. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen staatlichen Stellen, in
unparteiischer Weise auf die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für die Grundrechtsträger hinzuwirken. Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die unter Hinweis auf einen polizeilichen Notstand verfügte
Verlegung einer Versammlung in ein menschenleeres Industriegebiet am Stadtrand mit der Begründung, bei den Teilnehmern der Versammlung könne eher mit der Beachtung einer Auflagenverfügung gerechnet werden als bei den
Teilnehmern einer Gegenveranstaltung. Eine solche gezielte Benachteiligung des Rechtstreuen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht hinnehmbar. Werden mehrere Versammlungen zur gleichen Zeit für denselben Ort (hier: das
Stadtzentrum von Schwerin) angemeldet, so kann über Verbote und Auflagen bezüglich einer dieser Versammlungen nicht ohne Rücksicht auf die übrigen entschieden werden. Vielmehr ist eine Gesamtschau vorzunehmen mit dem
Ziel, die Gewährleistungen des Art. 8 GG in möglichst großem Ausmaß zu verwirklichen. Dies gilt insbesondere, wenn als Adressat für eine versammlungsrechtliche Verfügung ein Nichtstörer herangezogen werden soll und daher die
Auswahl des Adressaten der Verfügung aus verfassungsrechtlichen Gründen von dem Ziel getragen sein muss, das Recht des Veranstalters auf Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung so weit wie möglich zu sichern
(BVerfG, Beschluss vom 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07).
***
Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn die Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in einer
Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahekommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird. Das
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (hier: zu
dem Zaun, der den Tagungsort des G8-Gipfels Heiligendamm umgab). Es bleibt offen, ob die Einschätzung der an einer Konferenz (hier: G8-Gipfel in Heiligendamm) teilnehmenden Vertreter auswärtiger Staaten, Demonstrationen
und Kundgebungen gegenüber ihren Staaten seien ‚unfreundliche Akte', überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen könnte, auf die Versammlungsbeschränkungen gestützt werden könnten. Jedenfalls können
Empfindlichkeiten ausländischer Politiker Beschränkungen der Versammlungsfreiheit dann nicht rechtfertigen, wenn auf diese Weise der in Deutschland verfassungsrechtlich geschützte Meinungsbildungsprozess und der Schutz der
darauf bezogenen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt werden. Der verfassungsrechtliche Schutz von Machtkritik ist nicht auf Kritik an inländischen Machtträgern begrenzt. Es ist verfassungsrechtlich
bedenklich, zum Schutz der Teilnehmer einer Konferenz eine circa 5 km mal 8 km große Demonstrationsverbotszone um den Konferenzort auszuweisen, ohne in das dieser Maßnahme zu Grunde liegende Sicherheitskonzept das
Anliegen der Durchführbarkeit von Demonstrationen in hinreichender Nähe zum Veranstaltungsort, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen die Konferenz, einfließen zu lassen. Für die Ermittlung der Folgen,
die bei Erlass oder Nichterlass einer einstweiligen Anordnung jeweils eintreten, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag durch das BVerfG maßgeblich. Ergeben sich nach Erlass der behördlichen Verfügung oder nach
der letzten gerichtlichen Entscheidung neue tatsächliche Anhaltspunkte, die auf die Art und Intensität der Gefahr oder das Gewicht der den Antragstellern drohenden Nachteile bezogen sind, hat das BVerfG diese Anhaltspunkte zu
berücksichtigen (hier: gewalttätige Ausschreitungen bei einer Demonstration; BVerfG, Urteil vom 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07):
„... Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der hier allein zu behandelnde Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft für sofort vollziehbar erklärte Versammlungsverbote.
A. I. Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz für eine Versammlung, die am 7. Juni 2007 in Form eines ‚Sternmarsches' von verschiedenen Ausgangspunkten aus zu einer Abschlusskundgebung am Standort des G8-Gipfels in
Heiligendamm führen soll. In den ‚Strahlen' des Marsches sollen verschiedene politische Themen und Forderungen des Protestes gegen den G8-Gipfel zum Ausdruck gebracht werden.
Der Antragsteller zu 1 hat diese Versammlung am 30. Oktober 2006 unter Benennung von ursprünglich sechs Demonstrationsrouten angemeldet. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegnerin), die
Polizeidirektion Rostock - BAO Kavala -, ‚bestätigte' die Anmeldung mit Schreiben vom 6. März 2007 und bat um nähere Konkretisierung der Streckenführung.
Am 10. Mai 2007 fand ein Kooperationsgespräch zwischen Vertretern des ‚Sternmarschbündnisses' und der Antragsgegnerin statt. Die Antragsgegnerin erklärte, dass eine Versammlung auf den vorgesehenen Routen und mit dem
Zielort Heiligendamm nicht werde stattfinden können. In einem etwa 40 Quadratkilometer umfassenden Bereich um Heiligendamm, der auf einer Karte markiert war und für dessen Eingrenzung die Errichtung einer technischen
Sperranlage vorgesehen war, der einen wesentlichen Teil der geplanten Routen umfasste, müssten die Straßen freigehalten werden, so dass die Versammlung dort nicht stattfinden könne. Die Vertreter hielten an der Anmeldung fest.
Sie konkretisierten die geplanten sechs Routen nach Heiligendamm. Hilfsweise meldeten sie vier Ersatzrouten an, die bis zum Sperrzaun führen sollten. Zu Blockadeaufrufen anderer Veranstalter befragt, erklärten sie, dass von ihnen
selbst keine Blockaden beabsichtigt seien. Sollten einzelne Teilnehmer sich hinsetzen, werde der Demonstrationszug weiterziehen.
II. 1. a) Am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine Allgemeinverfügung, mit der unter anderem in der Zeit vom 5. Juni 2007, 0.00 Uhr, bis 8. Juni 2007, 24 Uhr, ‚alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem
Himmel' in einem näher beschriebenen und auf einer Karte gekennzeichneten Gebiet um Heiligendamm untersagt wurden.
Dieses Gebiet besteht aus einer inneren und einer äußeren Verbotszone. Die innere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone I) umfasst den Bereich der so genannten technischen Sperranlage um Heiligendamm zuzüglich
vorgelagerter 200 m. Bei der Sperre handelt es sich um einen aus Anlass des G8-Gipfels errichteten, etwa 12,5 km langen und 2,50 m hohen Sperrzaun, der mit einem Übersteigschutz und Nato-Stacheldraht oben auf versehen ist. Die
äußere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone II) umfasst einen dem nochmals um einige Kilometer vorgelagerten Bereich.
b) Ebenfalls am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine gesonderte Verbotsverfügung für den ‚Sternmarsch', mit welcher dieser sowohl für die angemeldeten als auch für die hilfsweise benannten Strecken untersagt wurde. In
der Verfügung wurde auf die Allgemeinverfügung verwiesen, soweit die angemeldeten Marschstrecken in deren Geltungsbereich fielen. Da sich jedoch die Auftaktveranstaltungen und zum Teil die Marschstrecken außerhalb des
Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung befänden, bedürfe es einer individuellen Gefahrenprognose. Diese führe hier zum Verbot der Versammlung. Es bleibe allen Demonstranten unbenommen, außerhalb der bezeichneten
Bereiche ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Eine räumliche Verlegung der Versammlung in ein außerhalb der Verbotszone liegendes Gebiet komme nicht in Betracht, da die Vertreter des Anmelders die von der
Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, außerhalb der Verbotszone II liegenden Ersatzstrecken (Kröpelin - Bad Doberan, Retschow - Bad Doberan), abgelehnt hätten. Es würde sich in diesem Falle auch nicht mehr um einen
Sternmarsch nach Heiligendamm handeln. Eine zeitliche Verschiebung werde dem Versammlungszweck nicht gerecht, da die Veranstalter gerade unter dem Thema ‚Den Protest nach Heiligendamm tragen!' gegen den in
Heiligendamm zu diesem Zeitpunkt stattfindenden G8-Gipfel die Versammlungen und Aufzüge durchführen wollten. Angesichts der örtlichen Verhältnisse und der Gefährdungssituation könne der Gefahr für die öffentliche Sicherheit
nur durch ein Verbot der Versammlung begegnet werden.
2. Mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung und die Verbotsverfügung waren die Antragsteller zu 1 und zu 2 zunächst teilweise erfolgreich.
Das Verwaltungsgericht Schwerin stellte die aufschiebende Wirkung mit Beschluss vom 25. Mai 2007 - 1 B 243/07 -, soweit es die Durchführung des Sternmarsches betraf, für die hilfsweise angemeldeten vier Routen bis zu dem
Sperrzaun mit bestimmten Maßgaben wieder her; unter anderem sollten die Aufzüge danach 200 m vor dem Sperrzaun enden. Auf diesen Beschluss wird zur näheren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen. Die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG seien nach summarischer Prüfung lediglich für die Verbotszone I gegeben. Für die Verbotszone II seien die Verfügungen hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil ein
Abwägungsdefizit vorliege und die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Ergebnis nicht gewahrt sei. Den in diesem Bereich lediglich bestehenden Gefahren durch Blockaden könne ausreichend durch räumliche und verhaltensbezogene
Auflagen begegnet werden. Erst Recht sei die Verbotsverfügung für die außerhalb der Verbotszone II liegenden Teile des Sternmarsches unverhältnismäßig.
3. Auf die Beschwerden der Antragsteller und der Antragsgegnerin hin änderte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 31. Mai 2007 - 3 M 53/07 - den Beschluss des Verwaltungsgerichts.
Es lehnte den gegen die Allgemeinverfügung - soweit sie den konkret beabsichtigten Sternmarsch betraf - gerichteten Antrag vollständig, den gegen die Verbotsverfügung gerichteten Antrag unter anderem mit der Maßgabe ab, dass
den Antragstellern gestattet werde, eine Versammlung auf zwei im Kooperationsgespräch am 10. Mai 2007 von der Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, von den Antragstellern jedoch abgelehnten Ersatzstrecken außerhalb der
Verbotszone II durchzuführen, die von Kröpelin und Retschow aus jeweils nach Bad Doberan führen.
4. Mit Schreiben vom 2. Juni 2007 meldeten die Antragsteller für den Fall, dass das Verbot aufrechterhalten bleibe, drei Ersatzveranstaltungen (zwei Kundgebungen sowie einen Aufzug) im Bereich außerhalb der Verbotszone II an.
Der Aufzug soll danach von Bad Doberan aus an der Verbotszone II entlang zu einer Abschlusskundgebung im Bereich einer Straßenkreuzung vor Reddelich führen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, dass
in Anbetracht der gewalttätigen Ereignisse bei der Großdemonstration in Rostock am Vortage die ersatzweise vorgeschlagenen Versammlungsstrecken ‚keine Zustimmung' fänden.
III. Die Antragsteller beantragen, im Wege einer einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 sowie gegen die
Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 teilweise wieder herzustellen und anzuordnen, dass die Versammlung ‚Sternmarsch gegen den G8 am 07.06.2007 - Den Protest nach Heiligendamm tragen' mit von
den Antragstellern des Näheren bezeichneten Maßgaben durchgeführt werden darf. Danach soll der Sternmarsch fünf Routen umfassen, von denen drei bis zu 50 m an den Sperrzaun heran und zwei bis in den hinter dem Zaun
gelegenen Bereich führen sollen. Hilfsweise werden zwei Ersatzrouten, von denen eine bis in die Verbotszone II führt, die andere außerhalb verbleibt, sowie eine stationäre Kundgebung außerhalb der Verbotszone II beantragt.
Daneben soll eine Gruppe von höchstens 600 Personen am Ende des Marsches auf zwei Routen bis zu dem Hotel, in welchem der Gipfel stattfindet, stellvertretend für die gesamte Demonstration den ‚Protest nach Heiligendamm
tragen' können, hilfsweise eine in das Ermessen des Gerichtes gestellte nennenswerte Teilnehmerzahl über in das Ermessen des Gerichtes gestellte Zuwegungen.
Den Antragstellern seien nach dem derzeitigen Stand auch in der weiteren Umgebung der Verbotszone II alle Ersatzveranstaltungen verboten, da das Oberverwaltungsgericht den Sternmarsch ausschließlich auf die beiden Strecken
nach Bad Doberan beschränkt habe; daneben seien ihre vorsorglich angemeldeten Ersatzveranstaltungen auch durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 3. Juni 2007 verboten worden.
B. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ( § 32 Abs. 1 BVerfGG ) sind auf der Grundlage des gegenwärtigen Erkenntnisstandes nicht gegeben.
I. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Erfolgsaussichten eines möglichen Hauptsacheverfahrens grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht legt der
Prüfung des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die
Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, 77 <87 f.> [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] ; 111, 147 <153> [BVerfG 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04] ;
BVerfGK 3, 97 <99>). Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Behörde oder die Gerichte ihre Gefahrenprognose auf Umstände gestützt haben, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG
offensichtlich widerspricht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 <3054> [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] ; Beschluss der 1. Kammer des Ersten
Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407> [BVerfG 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00] ; stRspr).
Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt ( § 15 VersG ), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche
Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Im Rahmen der Folgenabwägung berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage
herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 -
1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, S. 1407 <1408 f.> [BVerfG 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01] ). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich
die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinander zu setzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ
23/00 -, NJW 2000, S. 3053 <3055> [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] sowie vom 11. April 2002 - 1 BvQ 12/02 -, NVwZ-RR 2002, S. 500). Folgen, deren Eintritt durch entsprechende hoheitliche Vorgaben ausgeschlossen werden
können, sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 <3056> [BVerfG 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] sowie vom 1. September 2000
- 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407> [BVerfG 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00] ). So dürfen in die Folgenabwägung keine Annahmen über Gefahren eingehen, deren Eintritt bei Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch räumliche Beschränkungen der Versammlung oder durch sonstige geeignete Auflagen begrenzt oder ausgeschaltet werden können (vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 2000, S. 3053 <3056> [BVerfG
18.08.2000 - 1 BvQ 23/00] ).
Für die Ermittlung der Folgen, die bei Erlass oder Nichterlass der einstweiligen Anordnung jeweils eintreten, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag durch das Bundesverfassungsgericht maßgeblich. Ergeben sich nach
Erlass der behördlichen Verfügung oder nach der letzten gerichtlichen Entscheidung neue tatsächliche Anhaltspunkte, die auf die Art und Intensität der Gefahr (vgl. zu deren Relevanz: BVerfGK 2, 1 <3, 9>) oder das Gewicht der den
Antragstellern drohenden Nachteile bezogen sind, hat das Bundesverfassungsgericht diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen.
II. Nach diesen Maßstäben bestehen zwar Zweifel an der Tragfähigkeit der Argumentation der Behörde und des Oberverwaltungsgerichts (1). Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen, insbesondere der
gewalttätigen Auseinandersetzungen seit dem 2. Juni 2007, lässt sich jedoch nicht feststellen, dass es zur Abwehr eines den Antragstellern drohenden schweren Nachteils im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG geboten ist, dem Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben und damit das auf die Verbotszonen I und II bezogene, Versammlungen in der Nähe der Verbotszone II aber nicht grundsätzlich ausschließende, Versammlungsverbot
außer Kraft zu setzen (2).
1. Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn die Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in
einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahe kommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (vgl.
BVerfGE 110, 77 <89> [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] ; vgl. zu weit reichenden räumlichen Beschränkungen auch BVerfGE 69, 315 <321, 323, 364 ff.> - Brokdorf). Es ist zweifelhaft, ob die von der Behörde und dem
Oberverwaltungsgericht für die Beschränkungen gegebene Begründung den Anforderungen genügt, nach denen von einer einstweiligen Anordnung zum Schutze der Belange der Antragsteller abgesehen werden kann.
a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes haben Grundrechte einen hohen Rang. Der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht bedarf der Rechtfertigung, nicht aber benötigt die Ausübung des Grundrechts eine
Rechtfertigung. Dies verkennt im Ausgangspunkt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, die letztlich maßgebliche Entscheidung.
Es hat - wie zuvor die Versammlungsbehörde - die Verlagerung von Demonstrationen in einen Bereich außerhalb der eigentlichen Sicht- und Hörweite der Veranstaltung, gegen die der Protest stattfindet, dahingehend gewertet, dass
das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls nicht berührt werde, wenn der kommunikative Zweck der Versammlung nicht verfehlt oder erheblich beeinträchtigt werde. Dass eine solche Beeinträchtigung im vorliegenden Fall nicht
gegeben sei, hat es nicht näher begründet, sondern dazu lediglich an späterer Stelle ausgeführt, jedenfalls sei es den Veranstaltern zumutbar, bei ihrer Planung auf den in der Allgemeinverfügung beschriebenen Verbotsbereich
Rücksicht zu nehmen. Ferner beschränkt sich das Oberverwaltungsgericht auf die Feststellung, auch bei einer Versammlung außerhalb der Verbotszone werde ein ausreichender medialer Beachtungserfolg möglich.
Diese rechtliche Bewertung des Versammlungsgrundrechts und insbesondere des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung und über Vorkehrungen zur Erreichung der beabsichtigten
Wirkungen wird den grundrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch
durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfGE 69, 315 <323, 365>), hier des G8-Gipfels. Die Versammlungsbehörde hat in der Verbotsverfügung selbst festgehalten, dass der Zaun aufgrund seiner
Baukosten sowie seiner optischen Wirkung ‚das besondere Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere der Gipfelkritiker' auf sich ziehe. Dass ein Versammlungsveranstalter darauf bedacht ist, dieses Interesse auch zur Konzentration
der öffentlichen Aufmerksamkeit auf seine Protestveranstaltung zu richten, ist von seinem Selbstbestimmungsrecht umfasst. Eine andere Frage ist, ob dieses Interesse gegebenenfalls im Zuge einer Güterabwägung zurückzutreten hat.
Die verfassungsrechtliche Würdigung hat jedoch von ihm auszugehen.
b) Der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters können gewichtige Interessen entgegenstehen. Ob diese im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung die vorgesehene Beschränkung rechtfertigten, ist zweifelhaft.
aa) Im Zeitpunkt der Verfügungen vom 16. Mai 2007 und der gerichtlichen Entscheidungen am 25. Mai und 31. Mai 2007 wurde davon ausgegangen, dass die Veranstalter eine friedliche Veranstaltung planten und dass hinreichend
konkrete Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf auch gegen ihren Willen nicht bestanden. Die Maßnahme wurde, soweit sie für rechtmäßig gehalten wurde, daher nicht auf das unmittelbare Bevorstehen von Gefahren für die
körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer des G8-Gipfels und anderer Personen gestützt, sondern - so insbesondere vom Oberverwaltungsgericht - auf die Gewährleistung einer hinreichenden Vorsorge gegenüber gewalttätigen
Übergriffen und das Vorhalten ausreichender Rettungs- und medizinischer Versorgungsmöglichkeit. Im Übrigen wurden vom Oberverwaltungsgericht als gefährdete Rechtsgüter die Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten
und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als Gastgeberstaat angeführt.
(1) Es kann offen bleiben, ob das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ein eigenständiges Schutzgut im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG ist. Soweit die Behörde und das Oberverwaltungsgericht eine Verminderung des Ansehens
dann annehmen, wenn die Bundesregierung nicht in der Lage sein sollte, ihre Verantwortung zum Schutz der Staatsgäste wahrzunehmen, bedarf es nicht des Rückgriffs auf ein solches Schutzgut. Dieser Schutz ist selbständig vom
Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst (s. auch unten aa <3> sowie bb). Im Übrigen könnte allenfalls die in § 15 Abs. 1 VersG genannte öffentliche Ordnung als Schutzgut betroffen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer
des Ersten Senats vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 -, juris, Rn. 18). Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann ein Versammlungsverbot jedoch grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 69, 315 <353>). Dass
vorliegend eine Ausnahme geboten war, lässt sich nicht erkennen.
(2) Ebenfalls kann dahinstehen, wie weit die Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 VersG darstellen können. Dass vorliegend Beziehungen des Bundes zu
auswärtigen Staaten in einer Hinsicht betroffen sind, die nicht von dem Schutz der Durchführung der Veranstaltung und seiner Teilnehmer (s. unten bb) umfasst ist, ist nicht erkennbar. Auf keinen Fall kann ein Versammlungsverbot
oder eine einem Versammlungsverbot in der Wirkung gleich kommende Auflage auf Erwägungen gestützt werden, wie sie sonst im Rahmen des Schutzguts der öffentlichen Ordnung zu erfolgen haben. § 15 Abs. 1 VersG ist nur
dann mit Art. 8 GG vereinbar, wenn bei seiner Auslegung und Anwendung sichergestellt bleibt, dass Verbote nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei
unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdungen dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. BVerfGE 69, 315 <353 f.>).
(3) Keinen verfassungsrechtlichen Einwänden begegnet es, vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit die Durchführung der von der Bundesregierung einberufenen internationalen Konferenz als einer rechtmäßigen Veranstaltung des
Staates umfasst zu sehen. Allerdings reicht, entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die Befürchtung nicht, eine Belastung auswärtiger Beziehungen werde schon dadurch entstehen, dass die an der Konferenz
teilnehmenden Vertreter auswärtiger Staaten Demonstrationen und Kundgebungen gegenüber ihren Staaten ‚als unfreundlichen Akt empfinden' könnten (unter Berufung auf Rojahn, in: von Münch/Kunig <Hrsg.>,
Grundgesetzkommentar, 5. Aufl. 2001, Bd. 2, Rn. 28 zu Art. 32). Dies wäre keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Ob darin überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung liegen könnte, auf die
Versammlungsbeschränkungen gestützt werden können, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner Entscheidung (vgl. insoweit kritisch etwa Kunig, in: von Münch/Kunig, a.a.O., Bd. 1, Rn. 33 zu Art. 8). Jedenfalls können
Empfindlichkeiten ausländischer Politiker Beschränkungen der Versammlungsfreiheit dann nicht rechtfertigen, wenn auf diese Weise der in Deutschland verfassungsrechtlich geschützte Meinungsbildungsprozess und der Schutz der
darauf bezogenen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt werden (vgl. Benda, in: Dolzer/Vogel/Graßhof <Hrsg.>, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 90 zu Art. 8). Denn diese Rechte sind gerade
aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und finden darin unverändert ihre Bedeutung (vgl. BVerfGE 93, 266 <291>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 - 1 BvR 287/93 -,
NJW 1999, 204 <205> [BVerfG 29.07.1998 - 1 BvR 287/93] ). Der verfassungsrechtliche Schutz von Machtkritik ist nicht auf Kritik an inländischen Machtträgern begrenzt.
bb) Tragfähig für das in der Allgemeinverfügung allgemein ausgesprochene und in der weiteren Verfügung individuell auf die Antragsteller bezogene Versammlungsverbot innerhalb der Verbotszonen kann aber das Ziel sein, die
Durchführung des G8-Gipfels als eine Veranstaltung des Staates zu sichern. Darüber hinaus gilt es, Leib und Leben der Teilnehmer dieser Veranstaltung sowie anderer Personen zu schützen. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit
gewalttätigen Protesten gegen G8-Gipfel sowie der vielen Aufrufe zur Blockade des G8-Gipfels in Heiligendamm entspricht es insbesondere der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ,
geeignete und verhältnismäßige Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Gäste und anderer betroffener Personen zu treffen.
Dass die Behörde einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes des G8-Gipfels geschaffen und mit dafür geeigneten Schutzvorkehrungen versehen hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Verfassungsrechtlich bedenklich ist es aber, diesen Schutzraum bis an die Grenze der Verbotszone II auszudehnen und ein absolutes Demonstrationsverbot in der gesamten Zone am Tage vor und während der Durchführung des
Gipfels vorzusehen. Es stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken, ein solches Versammlungsverbot - wie es insbesondere das Oberverwaltungsgericht getan hat - im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der
Versammlungsbehörde zu rechtfertigen. Die Überlegungen, die diesem Sicherheitskonzept zugrunde liegen, tragen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht Rechnung.
Der sich an der Küste auf etwa 8,2 km, in nord-südlicher Richtung auf etwa 5,2 km und in ost-westlicher Richtung auf etwa 8,5 km erstreckende Bereich des Verbots umfasst eine weit vom Veranstaltungsort entfernt liegende Fläche.
Bezogen auf sie ein absolutes Versammlungsverbot auszusprechen und - wie im Fall der Antragsteller - durch eine weitere Verbotsverfügung zu konkretisieren, setzt gemäß § 15 Abs. 1 VersG hinreichend schwerwiegende Gefahren
für die öffentliche Sicherheit voraus. Denn die Einrichtung dieser Verbotszone bedeutet, dass Versammlungen mit einem räumlichen Bezug zu dem Anlass des G8-Gipfels und unter Nutzung des Symbolgehalts der besonderen Nähe
zu diesem Ort ausgeschlossen werden.
Zur Rechtfertigung der Maßnahme verweisen die Behörde und das Oberverwaltungsgericht auf das Sicherheitskonzept. Dieses gibt es ausweislich der Auskunft der Polizeidirektion nicht als ein schriftlich ausformuliertes Konzept,
sondern es erschließt sich nur mittelbar zum einen aus den vorgesehenen Vorkehrungen, insbesondere der Einrichtung der Zonen I und II, des Sperrwerks und der zwei Durchlassstellen zur Zone I. Ferner erschließt es sich aus den von
der Polizeidirektion in das Verfahren eingeführten Schriftsätzen sowie aus dem Protokoll des Erörterungstermins vor dem Oberverwaltungsgericht am 30. Mai 2007. Daraus wird erkennbar, dass die Verbotszone insbesondere mit
Rücksicht auf die topographischen Besonderheiten, vor allem die nur unzureichend befahrbaren Wege, festgelegt worden ist. Wie das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss dargelegt hat, sind die neben der
Landesstraße L 12 in der Verbotszone II befindlichen Wege sowohl für die möglicherweise erforderlich werdende schnelle Verlegung von Polizeikräften zur Reaktion auf Versammlungsgeschehen sowie zur Vorhaltung von
Rettungswegen für eine größere Zahl von Fahrzeugen, nicht zuletzt wegen der mangelnden Befahrbarkeit mit schwereren Fahrzeugen und höherer Geschwindigkeit, ungeeignet.
Ferner verweist das Oberverwaltungsgericht auf polizeitaktische Erwägungen, die ein Ausbrechen von Versammlungsteilnehmern in Richtung der technischen Sperre und ein Herandrängen der Polizeikräfte verhindern helfen sollen.
Zu berücksichtigen sei auch ‚die - wenn nach Angaben der Antragsteller auch nicht beabsichtigte - rein faktische Blockadewirkung von Versammlungsmärschen bei der beschriebenen topographischen Situation'. Für eine
Veranstaltung, insbesondere einen Sternmarsch, von (ursprünglich erwarteten) 8.000 bis 11.000 Teilnehmern fehle es innerhalb der Zone II an ausreichenden Straßen, Wegen und öffentlichen Flächen, die etwa eine
Abschlusskundgebung oder auch nur den geordneten An- und Abmarsch der Teilnehmer und das Wenden der Lautsprecherwagen ermöglichten, ohne dass das Sicherheitskonzept der Antragsgegnerin nachhaltig in Frage gestellt
würde. Dieses müsse auch dem Verlangen von Sicherheitskräften ausländischer Staatsgäste nach mindestens zwei alternativen Rettungswegen nachkommen, wenn dieses Verlangen - wie hier - jedenfalls erkennbar nicht der
Verhinderung von Demonstrationen diene, sondern begründeten Sicherheitsbelangen Rechnung trage.
An diesen das Sicherheitskonzept referierenden Aussagen des Oberverwaltungsgerichts, dem Protokoll des Erörterungstermins sowie den Verfügungen und den weiteren Schriftsätzen der Polizeidirektion Rostock in den gerichtlichen
Verfahren entnommenen Überlegungen ist an keiner Stelle erkennbar, dass in das Sicherheitskonzept auch Anliegen der Durchführbarkeit von Demonstrationen, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen den
G8-Gipfel, eingeflossen sind. Auch die auf Anforderung des Gerichts erfolgte Darstellung des Sicherheitskonzepts durch die Polizeidirektion Rostock geht in keinerlei Hinsicht auf die Frage der Berücksichtigung berechtigter Belange
zur Durchführung von Demonstrationen ein.
Nach den vorliegenden Unterlagen ging es in dem Sicherheitskonzept ausschließlich darum, Sicherheit gegen Demonstranten und gegen die möglicherweise im Umfeld der Demonstration sich aufhaltenden potentiellen Gewalttäter zu
ermöglichen. So betrachtet, war das den Schutz des G8-Gipfels dienende Sicherheitskonzept zugleich zumindest objektiv ein gegen die Durchführbarkeit von Versammlungen in der Verbotszone gerichtetes Konzept. Die auch von
Vertretern der Bundesregierung, so der Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz am 18. Mai 2007 in Sankt Petersburg öffentlich unterstützte Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland den friedlichen Protest gegen den
G8-Gipfel ‚in wirklich sichtbarer Form' und damit auch demonstrativ und öffentlichkeitswirksam vorzutragen, erhält in dem Sicherheitskonzept keine Verwirklichungschance. Es ist ihm auch nicht zu entnehmen, ob bei der
Beschränkung der räumlichen Grenze der Zone II auf die Durchführbarkeit von Demonstrationen in hinreichender Nähe zum Veranstaltungsort Rücksicht genommen worden ist.
Insofern reicht der Verweis auf das Sicherheitskonzept als solches nicht, um das gegen die Antragsteller gerichtete weitgehende Verbot der Durchführung der beabsichtigten Versammlung als Ergebnis einer dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit entsprechenden Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen einerseits und dem Demonstrationsrecht andererseits zu rechtfertigen. Es bedurfte vielmehr einer die konkreten Umstände einbeziehenden Prüfung der
Verhältnismäßigkeit der Beschränkung im Einzelfall. Daran aber fehlt es vorliegend.
2. Letztlich aber kann dahinstehen, ob diese Defizite zu einer offensichtlichen verfassungsrechtlichen Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen geführt haben. Denn aufgrund der zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse über das
konkrete Gefahrenpotential eines Teils der zum G8-Gipfel angereisten Personen aus dem In- und Ausland gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die bisher zugrunde gelegte Prognose erschüttert ist, die Demonstrationen
würden im Wesentlichen friedlich verlaufen.
a) Wären allerdings kollektive Unfriedlichkeiten nicht zu befürchten, dann müsste für die friedlichen Teilnehmer der Schutz der Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch dann erhalten bleiben, wenn eine Minderheit
Ausschreitungen beginge (vgl. BVerfGE 69, 315 <361>). Andernfalls hätten Minderheiten es in der Hand, Demonstrationen ‚umzufunktionieren' und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen;
praktisch könnten viele Großdemonstrationen verboten werden, nämlich alle, bei denen sich Erkenntnisse über unfriedliche Absichten eines Teils der Teilnehmer beibringen lassen. Ein vorbeugendes Verbot der gesamten
Veranstaltung ist jedoch nur unter strengen Voraussetzungen statthaft, zu denen insbesondere die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel gehört, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten
(beispielsweise durch die räumliche Beschränkung) ermöglichen (vgl. BVerfGE 69, 315 <362>).
b) Bei den Ausschreitungen in Rostock am 2. Juni 2007 wurden nach Angaben der Polizei mehrere hundert Polizeibeamte verletzt. Zudem ist es zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Auch an den Tagen danach hat in
Rostock eine sehr angespannte Situation bestanden, die nur aufgrund massiven Eingreifens der Ordnungskräfte und unter Mithilfe eines Teils der friedlichen Demonstranten bewältigt werden konnte. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass ein Teil der gegenwärtig von der Behörde auf über 2.000 geschätzten im Raum Rostock anwesenden gewaltbereiten Personen sich an den von anderen als friedlich geplanten Versammlungen beteiligen und auch gegen
den ausdrücklichen Willen der Veranstalter bereit sind, Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen zu begehen.
Die im Zeitpunkt des Erlasses der hier maßgebenden Verfügungen zugrunde gelegte Einschätzung der Sicherheitslage ist im Hinblick auf die gegenwärtige Situation aktualisiert worden. Die Behörde verweist darauf, dass auch am 4.
Juni 2007 bei Auseinandersetzungen 50 Polizeibeamte verletzt wurden, so durch zwei nach Beendigung einer Demonstration gezündete Rauchbomben. Die Vertreter der militanten Szene seien nicht abgereist, sondern rekrutierten sich
‚immer wieder neu, um friedliche Demonstrationen für ihre gewalttätigen Zwecke zu nutzen'. Angesichts der extrem großen Zahl dieser gewaltbereiten und sogar als militant einzustufenden Personen stehe zu befürchten, dass es auch
an den Tagen des Gipfeltreffens selbst, also zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Versammlung, zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen werde. Diese würden sich nach den vorliegenden Erkenntnissen, die sich auf
Ankündigungen aus der militanten Szene selbst bezögen, in die Nähe Heiligendamms verlagern. Es bestehe die Gefahr, dass der geplante Sternmarsch zu einem besonderen Anziehungspunkt für militante Störer werde. Es lägen
Ankündigungen aus der militanten Störerszene vor, wonach der Zaun, also die technische Sperre, angegangen und gestürmt werden solle. Angesichts der großen Zahl von Störern, die bereit seien, mit brutaler Gewalt vorzugehen, sei
dieses Szenario in die polizeilichen Einsatzvorbereitungen einzubeziehen. Ferner wird auf Aufklärungserkenntnisse verwiesen, aus denen hervorgehe, wie die Störer bei den geplanten Blockadeaktionen vorgehen wollten. Man wolle
mit einem ‚strategischen' Vorgehen erreichen, die Polizeikräfte auseinander zu ziehen und die Polizeikette zu durchbrechen; das werde in regelrechten Trainings geprobt. Bei der Beurteilung der Gefahrenlage spielten auch die von den
Gipfelgegnern errichteten Camps eine besondere Rolle, in denen sich nach behördlichen Erkenntnissen Schlagwerkzeuge und andere als Waffen geeignete Gegenstände befänden; den Polizeikräften werde der Zugang zu den Camps
verwehrt. Angesichts der großen Zahl der Campbewohner (bis zu 6.000 Personen in einem Camp) lasse der erforderliche Kräfteaufwand die Durchführung polizeilicher Maßnahmen nicht zu, ohne Leben und Gesundheit der
eingesetzten Polizeikräfte zu gefährden. Auch bestehe die Problematik, Störer von Nichtstörern zu trennen.
c) Da dem Gericht keine Anhaltspunkte vorliegen, nach der diese aktualisierte Einschätzung der Gefahrenlage offensichtlich fehlsam ist, muss sie der Folgenabwägung zugrunde gelegt werden. Die Antragsteller haben seit Eingang
ihres Antrags bei Gericht am 4. Juni 2007 um 0.29 Uhr mehrere ergänzende Schriftsätze eingereicht und auch Gelegenheit gehabt, zu der aktualisierten Gefahrenprognose Stellung zu nehmen. Die Ausführungen in ihrem letzten
Schriftsatz vom 5. Juni 2007 - bei Gericht um 16.10 Uhr eingegangen -, enthalten keine Ausführungen zur Gefahreneinschätzung der Ordnungsbehörde. Dargelegt wird aber, es müsse der breiten Masse des bunten und friedlichen
Protestes Raum gelassen werden, legal zu demonstrieren, um eine weitere Eskalation zu vermeiden und die unverantwortlichen Gewalttäter aus den Reihen der Demonstrierenden zu verweisen. Dies deutet zwar auf die Bereitschaft der
Antragsteller hin, Gefahren möglichst zu unterbinden; dass den in der ordnungsbehördlichen Gefahrenbeurteilung aufgewiesenen Risiken gewalttätiger Auseinandersetzungen dadurch hinreichend begegnet werden könne, lässt sich
den Ausführungen jedoch nicht entnehmen.
3. Die am Maßstab des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorgenommene Prüfung ergibt, dass es angesichts der geschilderten Risiken nicht geboten ist, eine einstweilige Anordnung zur Sicherung der Durchführung der geplanten Versammlung
und damit zum Schutze des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu erlassen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass es den Veranstaltern nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht verwehrt ist, ihr Anliegen auf einer
öffentlichen Versammlung durchzuführen, wenn auch außerhalb der Verbotszone und damit mehrere Kilometer entfernt, aber nicht ohne jeglichen Bezug auf den Ort der Veranstaltung, gegen die sich der Protest richtet. Das Risiko,
dass der kommunikative Zweck der Veranstaltung auf diese Weise nicht mit der beabsichtigten Qualität erreicht werden kann, ist angesichts der aktuellen Gefahrensituation und des Umstandes, dass auch eine Demonstration außerhalb
der Verbotszonen aller Voraussicht nach öffentliche Beachtung finden wird, hinzunehmen.
4. Kann einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung der Durchführbarkeit des Sternmarsches nach allem nicht gewährt werden, entfällt die tatsächliche Grundlage für die Realisierung des hilfsweise vorgetragenen Anliegens der
Antragsteller, nach Durchführung des bis zu dem Zaun geführten Sternmarsches eine kleinere Delegation zum Tagungsort gelangen zu lassen. Die Antragsteller haben demgegenüber nicht angeregt, eine solche Delegation anstelle des
geplanten Sternmarsches durch die Verbotszonen I und II vorzusehen, so dass nicht darüber zu entscheiden ist, ob einem solchen Antrag im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes hätte Rechnung getragen werden können. ..."
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Zur Folgenabwägung im Rahmen eines verfassungsgerichtlichen Eilverfahrens gegen versammlungsrechtliche Auflagen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Mahnwache am Schutzzaun in Heiligendamm (BVerfG,
Beschluss vom 05.06.2007 - 1 BvR 1429/07).
Zur Folgenabwägung im Rahmen eines verfassungsgerichtlichen Eilverfahrens gegen das Verbot einer Demonstration im Zusammenhang mit der G8-Gipfel in Heiligendamm (BVerfG, Beschluss vom 05.06.2007 - 1 BvR 1428/07).
Der Schutz des Grundrechts in Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und angemeldet ist, ob aus der Versammlung heraus eine in der Nähe durchgeführte Wahlveranstaltung einer politischen
Partei akustisch gestört wird (hier: durch Einsatz eines Megaphons) und ob einzelne Demonstranten oder eine Minderheit im Verlauf der Versammlung Ausschreitungen begehen. Dabei wird die Schwelle zur Unfriedlichkeit nicht
schon dadurch überschritten, dass sich Versammlungsteilnehmer gegen ihren Abtransport in den Polizeigewahrsam sträuben und die polizeiliche Wegnahme von Gegenständen durch Festhalten verhindern. Es ist
grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte im Rahmen des § 113 III StGB von einem eingeschränkten Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgehen und nicht verlangen, dass alle in dem jeweiligen in Bezug
genommenen Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erfüllt sein müssen. Strafrechtliche Sanktionen wegen des gegen die Entfernung aus einer Versammlung gerichteten Widerstands
dürfen aber nur unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG verhängt werden. Dieser Schutzgehalt wird in der Regel verkannt, wenn bei der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unberücksichtigt
bleibt, dass die Polizei Vollstreckungsmaßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer durchgeführt hat, ohne die Versammlung vorher aufgelöst oder die Teilnehmer aus der Versammlung ausgeschlossen zu haben (BVerfG, Beschluss
vom 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06).
Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung der auch an Versammlungsredner gerichteten Auflagen zur ordnungsgemäßen Durchführung einer Versammlung ist allein Art. 8 I GG. Die Möglichkeit der Sanktionierung eines
Verhaltens als Ordnungswidrigkeit ist auf Auflagen i. S. des § 15 I VersG begrenzt, also auf solche beschränkenden Verfügungen, die speziell an unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung
der Versammlung anknüpfen und unter Beachtung des Art. 8 GG mithelfen sollen, die konkret bevorstehende Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern. Die in § 15 I VersG als Auflagen bezeichneten beschränkenden Verfügungen
sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 I GG). Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen
Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Wird die versammlungsrechtliche Gefahr mittels einer ein konkretes Verhaltensgebot oder Verbot festlegenden Auflage i. S. des § 15 I VersG bekämpft und verstößt ein Versammlungsteilnehmer
gegen die Auflage, dann sind die Voraussetzungen für die spezifische versammlungsrechtliche Sanktion des § 29 I Nr. 3 erfüllt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der Ahndung nicht berücksichtigt wird, wie die
durch die Gefahrverwirklichung beeinträchtigte Einzelperson darauf reagiert hat (hier: kein Strafantrag wegen Beleidigung) oder wie ein Strafgericht strafrechtlich mit dem Geschehen umgehen würde (BVerfG, Beschluss vom
21.03.2007 - 1 BvR 232/04).
Es bleibt offen, ob der Schutz religiöser Gefühle unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtskollision ein Versammlungsverbot an einem religiös geprägten Feiertag (hier: Heiligabend) über die zeitlichen Beschränkungen des
Feiertagsgesetzes (hier: des Landes Nordrhein-Westfalen) hinaus rechtfertigen kann. Es widerspricht dem Charakter des Grundrechts der Versammlungsfreiheit als Minderheitenschutzrecht, ein Versammlungsverbot auf die
Erwägung zu stützen, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer der Demonstration stehe in keinem Verhältnis zu der Anzahl der Einwohner der betroffenen Gemeinde (hier: der Stadt Minden), welche durch die Veranstaltung in
Mitleidenschaft gezogen würden. Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation zwischen dem Veranstalter einer Demonstration und den Behörden ist nicht als Rechtspflicht zur Kooperation ausgestaltet. Die Weigerung des
Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch ist für sich allein keine hinreichende Grundlage einer seine Person betreffenden belastenden rechtlichen Wertung. Zur Frage, ob das Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit unter einem Schikanevorbehalt steht (BVerfG, Beschluss vom 22.12.2006 - 1 BvQ 41/06).
Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug eines Bescheids, mit dem eine für den 19.8.2006 in Wunsiedel angemeldete Versammlung unter
dem Thema ‚Gedenken an Rudolf Heß' verboten worden ist (BVerfG, Beschluss vom 14.08.2006 - 1 BvQ 25/06).
Der Staat darf nicht dulden, dass friedliche Demonstrationen einer bestimmten politischen Richtung (hier: von Rechtsextremisten) durch gewalttätige Gegendemonstrationen verhindert werden. Gewalt von ‚links' ist keine
verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ‚rechts'. Eine Beschränkung der angemeldeten Versammlung kommt allerdings in Betracht, wenn mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in
der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06).
Eilrechtsschutz gegen Versammlungsverbote ist zu gewähren, wenn die für das Versammlungsverbot maßgebliche Gefahrenprognose auf Umstände gestützt worden ist, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt der Grundrechte
offensichtlich widerspricht, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt. Die Billigung
oder Leugnung der rassistisch motivierten Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus stellt eine Straftat dar, welche Rechtsgüter von erheblichem Gewicht beeinträchtigt. Es ist nicht
offensichtlich fehlsam, aus der als Motto für eine Versammlung erhobenen Forderung zur Schaffung von Meinungsfreiheit und nach Freiheit für Personen, die wegen Verletzung des Äußerungsdeliktes aus § 130 III StGB verurteilt
oder angeklagt sind, zu folgern, dass Inhalte Gegenstand der Reden und sonstigen Außerungen auf der Versammlung sein werden, die § 130 III StGB unter Strafe stellt (BVerfG, Beschluss vom 06.04.2006 - 1 BvQ 10/06).
Auf die bloße zeitliche Nähe einer Versammlung, welche die rechtspolitische Forderung nach einer Abschaffung oder Änderung der Strafvorschrift des § 130 StGB (Volksverhetzung) zum Gegenstand hat, zu dem Tag des Gedenkens
an die Opfer des Holocausts (dem 27.1.) oder zum Tag der ‚Machtergreifung' Hitlers am 30.1. lässt sich ein mit der Gefährdung der öffentlichen Ordnung i. S. des § 15 I VersG begründetes Versammlungsverbot nicht stützen. Allein
der Umstand, dass die von Vertretern rechtsextremistischer Auffassungen in zeitlicher Nähe zu einem dem Gedenken an das nationalsozialistische Unrechtsregime gewidmeten Gedenktag erhobene rechtspolitische Forderung nach
Abschaffung oder Abänderung des § 130 StGB (Volksverhetzung) von Teilen der Bevölkerung als Provokation empfunden wird, vermag den schweren Vorwurf einer Verletzung der Menschenwürde der Opfer noch nicht zu
rechtferigen (BVerfG, Beschluss vom 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06).
Verbot einer Demonstration bei Dunkelheit / ‚Fackelmarsch' im Winter 2005 zwischen 17.30 und 21.30 h in Karlsruhe / Verwaltungsgerichtliche Beschränkung auf Tageslichtzeit verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss vom
02.12.2005 - 1 BvQ 35/05).
Bei der Folgenabwägung im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens gem. § 32 I BVerfGG gegen das Verbot einer - sich jährlich wiederholenden - Gedenkveranstaltung am Todestag von Rudolf Heß in Wunsiedel kommt der
Gefahreneinschätzung durch den Gesetzgeber bei der Verabschiedung der Strafvorschrift des § 130 IV StGB ein größeres Gewicht zu (BVerfG, Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05).
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin (Holocaust-Mahnmal) durch § 15 II 2 VersG als ein Ort bestimmt worden ist, an dem ein Aufzug unter den
Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden kann, darunter auch der Auflage, den Aufzug nicht am Denkmal vorbeizuführen. Die Annahme von Behörde und Gerichten, der von den
‚Jungen Nationaldemokraten' - einer Jugendorganisation der NPD - für den 8.5.2005 unter dem Motto ‚60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult' geplante Aufzug entlang dem Berliner Holocaust-Mahnmal lasse besorgen,
dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft beeinträchtigt werde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der aus Gründen der staatlichen Neutralität grundsätzlich zu
beachtende Vorrang für den Erstanmelder einer Versammlung kann vernachlässigt werden, wenn wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszweckes,
für eine andere Vorgehensweise sprechen. Der Prioritätsgrundsatz wird aber maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu
verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Versammlung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später angemeldeten
Versammlung gegeben hat (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2005 - 1 BvR 961/05).
Bei der Anwendung von § 15 I VersG ist eine auf den Straftatbestand des § 130 IV StGB bezogene Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur anzunehmen, wenn die erwartete Äußerung alle drei Tatbestandsmerkmale erfüllt. Als
Grundlage eines Versammlungsverbots nach § 15 I VersG komm eine durch die bevorstehende Verwirklichung des § 130 IV StGB ausgelöste Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur in Betracht, wenn hinreichend wahrscheinlich
ist, dass der öffentliche Frieden tatsächlich gestört werden wird. Eine Vermutung darf zur Begründung der Verwirklichung des Straftatbestandes nicht herangezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 16.04.2005 - 1 BvR 808/05).
Gegenüber einem Versammlungsteilnehmer kommt erst nach Auflösung der Versammlung gem. § 15 II VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss aus der Versammlung ein Platzverweis nach Polizeirecht in
Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann (BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01).
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 I BVerfGG sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung vom BVerfG zu berücksichtigen, wenn
ein Abwarten den Grundrechtsschutz vereitelte. Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung finden ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 II GG aufgeführten Schranken auch dann, wenn die
Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt (im Anschluss an BVerfGE 90, 241). Zur rechtlichen Tragweite des Schutzguts der öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht (BVerfG, Beschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04).
Die versammlungsbehördliche oder gerichtliche Einschätzung, dass eine geplante Versammlung unter dem Motto ‚Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!' den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 I StGB erfülle
und somit eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliege, ist im Rahmen eines Eilverfahrens gem. § 32 I BVerfGG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das inhaltliche Anliegen einer Versammlung darf durch
behördliche Auflagen oder gerichtliche Maßgaben nicht verändert werden (BVerfG, Beschluss vom 12.03.2004 - 1 BvQ 6/04).
Das Fehlen einer umfassenden Begründung der Beschwerde nach § 146 IV 3 VwGO steht unter dem Aspekt der Subsidiarität verfassunggerichtlichen Rechtsschutzes in versammlungsgerichtlichen Fällen der Zulässigkeit eines
Antrags gem. § 32 I BVerfGG nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer den Zeitdruck für die Beschwerdebegründung nicht verursacht hat. Die Erwartung, auf einer Versammlung würde nationalsozialistisches Gedankengut
verbreitet, rechtfertigt es nicht , die Durchführung der Versammlung zu unterbinden. Anderes gilt nur, soweit Äußerungen auf verfassungsgemäße Weise gesetzlich verboten sind. Die Feststellung des BVerfG, dass eine bloße
Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigt, bindet die Fachgerichte gem. § 31 I BVerfGG (BVerfG, Urteil vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03).
Die Reduktion des Prüfungsmaßstabs im Beschwerdeverfahren auf offensichtliche Rechtfehler des Verwaltungsgerichts verletzt im Streit um ein Versammlungsverbot Art. 8 GG, sofern diese Reduktion nicht durch die Verletzung
verfahrensrechtlicher Obliegenheiten des Antragstellers - etwa nach § 146 IV 3 VwGO - gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschluss vom 14.08.2003 - 1 BvQ 30/03).
Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Versammlungsverbot wegen nicht ausreichender Begründung der Gefahrenprognose, die auf die Gesichtspunkte der Tarnveranstaltung und möglicher
Straftaten gestützt worden war (BVerfG, Beschluss vom 11.04.2002 - 1 BvQ 12/02).
Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil das in der nach § 15 I VersG ergangenen Auflage enthaltene Verbot des Mitführens einer angemessenen Zahl schwarzer Fahnen (aus Anlass einer Demonstration
zum Gedenken an den ‚alliierten Massenmord am 29.3.2´1942 in Lübeck') offensichtlich gegen Art. 8 I GG verstieß (BVerfG, Urteil vom 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02).
Zu den Voraussetzungen, ein Versammlungsverbot wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft des Anmelders aussprechen zu können (BVerfG, Urteil vom 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02).
Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die das verwaltungsgerichtlich bestätigte Verbot einer Versammlung unter dem Motto ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS' in unmittelbarer Nähe der Wewelsburg außer
Kraft gesetzt werden sollte (BVerfG, Beschluss vom 04.01.2002 - 1 BvQ 1/02).
Zu den Voraussetzungen, unter denen im Wege einer Auflage ein Redeverbot für eine von einer nicht verbotenen politischen Partei veranstalteten Versammlung verhängt werden darf (BVerfG, Urteil vom 08.12.2001 - 1 BvQ 49/01).
Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die die Versammlungsbehörde verpflichtet werden sollte, eine Auflage des Inhalts zu erlassen, dass eine Versammlung nicht näher als 500 Meter an die Wohnung des
Antragstellers herangeführt werden darf (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2001 - 1 BvQ 39/01).
Das Verbot einer von der NPD beantragten Versammlung kann auch unter Berücksichtigung des gegen diese Partei beim BVerfG anhängigen Verbotsverfahrens nicht allein auf die Annahme gestützt werden, dass die von der NPD
typischerweise vertretenen Inhalte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. Die Absage an den Nationalsozialismus hat das Grundgesetz in vielen Normen, wie beispielsweise Art. 139 GG, besonders
ausgedrückt, aber auch in dem Aufbau allgemeiner rechtsstaatlicher Sicherungen dokumentiert. In der Beachtung rechtsstaatlicher Sicherungen sieht das Grundgesetz eine wichtige Garantie gegen ein Wiedererstehen eines
Unrechtsstaats. Rechtsstaatliche Garantien dürfen deshalb nicht dadurch unterlaufen werden, dass bestimmten Parteien oder Personen grundsätzlich der Schutz eines Grundrechts wie Art. 8 GG verwehrt wird. An der
Kammer-Rechtsprechung zur (grundsätzlichen) Rechtswidrigkeit von Versammlungsverboten zum Schutz der öffentlichen Ordnung (vgl. BVerfG NJW 2001, 2069 und 2075) wird trotz der Kritik des OVG Münster (vgl. NJW
2001,2114) festgehalten (BVerfG, Beschluss vom 01.05.2001 - 1 BvQ 22/01).
Das Gesetz über die Sonn- und Feiertage für das Land Nordrhein-Westfalen schließt einen Rückgriff auf § 15 VersG insoweit aus, als es um den Schutz von Sonn- und Feiertagen (hier: Ostermontag) vor öffentlichen Versammlungen
geht. Es bleibt offen, unter welchen Voraussetzungen ein über die im Gesetz über die Sonn- und Feiertage enthaltenen Vorkehrungen hinausgehender Schutz des Osterfestes gegenüber Versammlungen wegen ihres besonderen
Charakters in Betracht kommt. Das Verbot einer Versammlung an den Osterfeiertagen ist jedenfalls nicht allein deshalb rechtmäßig, weil die Versammlung durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt ist und deshalb die
öffentliche Ordnung stört. Ein Verbot könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn Anhaltspunkte für eine nachhaltige Störung des Friedens des Osterfestes vorliegen, die einer Überprüfung am Maßstab der Art. 5 und Art. 8 GG
standhalten (im Anschluss an BVerfG, NJW 2001, 1409; BVerfG, Beschluss vom 12.04.2001 - 1 BvQ 19/01).
Die im StGB auch zur Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen geschaffenen Strafnormen sind abschließend in dem Sinne, dass daneben ein Verbot von Meinungsäußerungen allein wegen ihres Inhalts unter Rückgriff auf das
Schutzgut der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen ist. (Bestätigung von BVerfG, NJW 2001, 2069). Bei der Anwendung des Begriffs der öffentlichen Ordnung im Bereich von Versammlungen ist zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG
auch ein Minderheitenschutzrecht enthält, so dass es besonders problematisch ist, die Versammlung und das Verhalten der Versammlungsteilnehmer vorrangig an den sozialen Anschauungen der Mehrheit zu messen. Darüber hinaus
ist im Rahmen verfassungskonformer Gesetzesanwendung sicherzustellen, dass Verbote von Versammlungen im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht kommen. Dieser Schutz wird
regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit verwirklicht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht.
(Im Anschluss an BVerfGE 69, 315, 352 f. = NJW 1985, 2395, 2398). Zur Frage, ob das Motto einer angemeldeten Versammlung ‚Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden' unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung des
Grundrechts auf Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG gegen den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 I Nr. 1 StGB) verstößt (BVerfG, Urteil vom 07.04.2001 - 1 BvQ 17/01, 18/01).
Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Beschränkungen des Versammlungsrechts im Zusammenhang mit dem Castor-Transport nach Gorleben (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01).
Erfolgloser Antrag einer Landtagsfraktion auf Gewährung von Eilrechtsschutz mit dem Ziel, eine öffentliche Fraktionssitzung mit anschließender ‚Bürgerfragestunde' unter freiem Himmel in der Nähe eines für den
‚Castor'-Transport benutzen Bahnlinie durchzuführen (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2001 - 1 BvQ 16/01).
Die Beweislast für die Tarnung eines ein Versammlungsverbot rechtfertigenden Inhalts und damit für eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Eine Äußerung, die nach Art. 5 II GG nicht unterbunden werden darf, kann
auch nicht Anlass für versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach Art. 8 II GG sein. Die Bürger sind frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährden. § 15
VersG ist hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung insoweit einengend auszulegen, als zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die
darin vorgesehenen Beschränkungen von Meinungsäußerungen sind jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituation abschließend und verwehren deshalb einen Rückgriff auf die in § 15 VersG enthaltene
Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein Straftatbestand erfüllt ist. Zur Verpflichtung der Versammlungsbehörde und der Gerichte, vor dem Ausspruch oder der Bestätigung eines Versammlungsverbots zu
prüfen, welche konkreten Auflagen unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geeignet sind, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung auszuräumen (BVerfG,
Beschluss vom 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01).
Im Wesentlichen erfolgreicher Antrag der NPD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Versammlungsverbot wegen fehlerhafter Gefahrenprognose durch die Behörde und Gerichte (BVerfG, Urteil vom 26.01.2001 - 1
BvQ 8/01).
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Anordnung der Versammlungsbehörde, eine Versammlung nicht am 27.1.2001, sondern am 28.1.2001 durchzuführen, nicht als Versammlungsverbot, sondern als Auflage
bezüglich der zeitlichen Durchführung der Versammlung i.S. des § 15 I VersG anzusehen. Im Rahmen der Folgenabwägung in kurzfristig zu entscheidenden Verfahren des Eilrechtsschutzes gegen Entscheidungen der
Versammlungsbehörden legt das BVerfG die behördliche oder gerichtliche Gefahrenprognose dann nicht zu Grunde, wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut in rechtlicher Hinsicht die
Einschränkung eindeutig nicht trägt. Die öffentliche Ordnung scheidet nicht grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots aus. Die öffentliche
Ordnung kann betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird,
dass dadurch grundlegende soziale oder ethischen Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (hier: begeht für einen Aufzug rechtsextremer Gruppen am 27.1., dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus;
BVerfG, Beschluss vom 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01).
Zur Folgenabwägung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Auflage, eine angemeldete Demonstration nur als stationäre Kundgebung und nicht auch in Form eines Aufzugs durchzuführen (BVerfG,
Beschluss vom 12.01.2001 - 1 BvQ 1/01).
Es bleibt offen, ob gegen die Rechtsfigur des ‚Zweckveranlassers' in einer Situation versammlungsrechtlicher Konfrontation von Versammlung und Gegendemonstration verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Jedenfalls kann ein
auf der Grundlage polizeilichen Notstandes ergangenes, wegen des Bestehens anderer, den Veranstalter und die Teilnehmer der Versammlung weniger belastender Möglichkeiten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verstoßendes Versammlungsverbot nicht ohne provokative Begleitumstände stattdessen auf die Rechtsfigur des ‚Zweckveranlassers' gestützt werden (BVerfG, Beschluss vom 01.09.2000 - 1 BvQ 24/00).
Im Rahmen der Folgenabwägung in gegen Versammlungsverbote gerichteten Verfahren nach § 32 I BVerfGG hat das BVerfG schon aus Zeitgründen regelmäßig die Tatsachenfeststellungen und Tatdsachenwürdigungen in den
angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen. Anderes gilt nur dann, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen
Grundrechtsnorm nicht trägt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht. Die Annahme einer
Tarnveranstaltung (hier: Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung) kann nur dann zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der
Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens muss das Selbstbestimmungsrecht des
Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung berücksichtigt werden. Die Beweislast für die Tarnung eines das Verbot rechtfertigenden Inhalts und damit eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Art. 8 GG erlaubt
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit aus dem Gesichtspunkt polizeilichen Notstands. Dabei ist zu beachten, dass das Grundgesetz auf der Einhaltung der Regeln des Rechtsstaats, den es zu verteidigen gilt, besteht. Gewalt von
‚links' ist keine verfassungsrechtliche hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ‚rechts'. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der
rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein polizeilicher Notstand durch Modifikationen der
Versammlungsmodalitäten entfallen kann, ohne dadurch den konkreten Zweck der Versammlung zu vereiteln. Es ist Aufgabe der Versammlungsbehörde und der Fachgerichte, die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
zu erfüllen, und zwar auch in der Entscheidung über die sofortige Vollziehung einer Verbotsverfügung, soweit sie inhaltlich durch Art. 8 GG beeinflusst wird (BVerfG, Beschluss vom 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00).
Zu den Anforderungen an die behördliche und gerichtliche Gefahrenprognose bei einem gegen die NPD gerichteten Versammlungsverbot im Rahmen der Folgenabwägung durch das BVerfG im Eilverfahren. Wird ein
Versammlungsverbot darauf gestützt, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen, so müssen
dafür konkrete Tatsachen bezeichnet werden, die die behördliche oder gerichtliche Annahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen. Hinweise auf strafrechtliche Ermittlungen ohne Angabe des Ausgangs
dieser Verfahren und auf Rechtsverstöße bei Veranstaltungen in anderen Orten ohne konkreten Bezug zu den Beteiligten der verbotenen Versammlung erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht. Mit Art. 8 GG ist nicht zu
vereinbaren, dass bereits mit der Anmeldung einer Gegendemonstration, deren Durchführung den Einsatz von Polizeikräften erfordern könnten, erreicht werden kann, dass dem Veranstalter der zuerst angemeldeten Versammlung die
Möglichkeit genommen wird, sein Demonstrationsanliegen zu verwirklichen. Deshalb muss vorrangig versucht werden, den Schutz der Versammlung auf andere Weise, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Polizeikräfte,
durchzusetzen. Dass Polizeikräfte für andere Veranstaltungen (hier: EXPO 2000 in Hannover) benötigt werden, reicht mithin für sich allein nicht, um der Versammlung den Schutz zu verweigern. Erhärten die von der Behörde
bezeichneten Tatsachen die Befürchtung, dass die unmittelbare Gefahr von Gewalttätigkeiten aus der angemeldeten Versammlung heraus und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, so rechtfertigt dies die sofortige
Vollziehung der Untersagungsverfügung. Es ist Sache des Veranstalters oder des vorgesehenen Versammlungsleiters, öffentlich deutliche und nachweisbare Signale zu setzen, die auf die Gewaltfreiheit der Versammlung gerichtet sind
und die Annahme der Behörde erschüttern (BVerfG, Beschluss vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00).
Bei der Folgenabwägung im Rahmen einer Entscheidung zur Gewährung von Eilrechtsschutz gegen den Sofortvollzug eines während des Wahlkampfes ausgesprochenen Versammlungsverbots ist zu berücksichtigen, daß die
Behinderung einer - nicht verbotenen - Partei (hier: KPD) stets eine schwere Einbuße darstellt. Die Folgenabwägung im Rahmen von § 32 BVerfGG kann dazu führen, wegen der Wettbewerbsnachteile für die betroffene Partei und des
öffentlichen Interesses an einem unverzerrten Parteienwettbewerb, daß im Einzelfall die Gefahr der Begehung von Straftaten gem. §§ 85, 86, 86a, 125 und 131 StGB hinzunehmen ist (BVerfG, Beschluss vom 25.07.1998 - 1 BvQ 11/98).
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verlangt, daß dann, wenn der Veranstalter und sein Anhang sich friedlich verhalten und Störungen lediglich von Gegendemonstranten oder Störgruppen ausgehen, behördliche Maßnahmen
primär gegen die Störer gerichtet werden und die Durchführung der Versammlung zu schützen ist. Zu den Anforderungen, die an die Darlegung eines hinreichend bestimmten Kausalzusammenhangs zwischen der für eine
Versammlungsauflage ausgeführten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung zu stellen sind (im Anschluß an BVerfGE 69, 315 = NJW 1985, 2395; BVerfG, Beschluss vom 21.04.1998 - 1
BvR 2311/94).
Zur Verfassungsmäßigkeit von VersammlungsAuflagen (hier: Anachronistischer Zug; BVerfG, Entscheidung vom 15.07.1987 - 1 BvR 520/84).
Zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch die die Aufführung einer szenischen Darstellung eines Brecht-Gedichtes auf einem Soldatenfriedhof zugelassen werden sollte (BVerfG, Entscheidung vom 08.11.1985 - 1 BvR 1290/85).
Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zur
verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15). Je
mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit. Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstrebt oder zumindest billigen, bleibt für die
friedliche Teilnahme der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. Das Recht des Bürgers,
durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende
Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. Die Verwaltungsgerichte haben schon im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der
Grundrechtsverwirklichung führt (BVerfG, Entscheidung vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a.).
Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung des BVerfG gegen ein Demonstrationsverbot (BVerfG, Entscheidung vom 28.02.1981 - 1 BvR 233/81).
*** (BVerwG)
Auch Gründe der öffentlichen Ordnung berechtigen zum Erlass eines Versammlungsverbots, wenn Gefahren nicht aus dem Inhalt, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung drohen, sofern Auflagen zur
Gefahrenabwehr nicht ausreichen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 - BVerfGE 111, 147 <156 f.>). Verfügt eine Behörde wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung eine versammlungsrechtliche
Beschränkung gegenüber einer politischen Partei, stützt sie ihr Einschreiten nicht auf eine vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit des Verhaltens oder der Programmatik dieser Partei. Für eine Versammlungsbeschränkung aus Gründen
der öffentlichen Ordnung reicht es nicht aus, dass die Durchführung einer Versammlung am Holocaust-Gedenktag (27. Januar) in irgendeinem, beliebigen Sinne als dem Gedenken zuwiderlaufend zu beurteilen ist. Vielmehr ist
die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen (im Anschluss an BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.
Januar 2012 - 1 BvQ 4/12 - juris Rn. 7). (Rn.16) Diese Feststellung setzt voraus, dass die Versammlung eine den Umständen nach eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken erkennen lässt, etwa diesem nicht den ihm aus Sicht der
Mitbürger gebührenden Stellenwert belässt, insbesondere dessen Sinn oder moralisch-ethischen Wert negiert, oder in anderer Weise dem Anspruch der Bürger entgegenwirkt, sich ungestört dem Gedenken zuwenden zu können, ohne
hierbei erheblichen Provokationen ausgesetzt zu sein. Für den Grundrechtsträger besteht keine Obliegenheit, für die Bestimmung des Versammlungszeitpunkts Gründe zu liefern. Sind solche Gründe für die Versammlungsbehörde
oder nach deren Einschätzung aus Sicht der Mitbürger nicht erkennbar bzw. nicht nachvollziehbar, reicht die hieraus hergeleitete Wahrnehmung, der Grundrechtsträger suche die Präsenz lediglich um ihrer selbst willen, grundsätzlich
nicht für die Anordnung einer Versammlungsbeschränkung am Holocaust-Gedenktag mit der Begründung aus, von der Versammlung würden Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen
(BVerwG, Urteil vom 26.02.2014 - 6 C 1/13).
***
Eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne von § 130 IV StGB ist auch anzunehmen, wenn durch positive Hervorhebung eines Verantwortungsträgers des Regimes (hier: "Stellvertreter des
Führers" Rudolf Hess) für ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum klar erkennbar die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche gutgeheißen wird (BVerwG, Urteil vom 25.06.2008 - 6 C 21/07).
Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist (BVerwG, Entscheidung vom 04.10.2006 - 6 B 64/06).
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG schließt nicht von vornherein eine Reinigungs- und Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des Straßen- und
Wegerechts aus. Der Leiter einer Versammlung als solcher gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach allgemeinen Grundsätzen, der polizeirechtlichen Handlungshaftung zur Straßenreinigung herangezogen werden darf (BVerwG,
Entscheidung vom 06.09.1988 - 1 C 15/86).
Abtransport von Versammlungsteilnehmern ohne Auflösungsverfügung. - Zur Abwehr von Gefahren, die von einer Versammlung (Sitzblockade) ausgehen (BVerwG, Entscheidung vom 14.01.1987 - 1 B 219/86).
Die Auflösung einer ordnungsgemäß angemeldeten und nicht verbotenen Versammlung stellt das letzte äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren dar. Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 103 StGB ist
eine Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. von § 15 VersG. Ist die Auflösung nicht erforderlich oder unverhältnismäßig, so kann die zuständige Behörde sich der ihr nach geltendem Recht zustehenden polizeilichen Befugnisse zur
Abwehr unmittelbarer Gefahren bedienen und im konkreten Fall das Mittel anwenden, das zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und nicht unverhältnismäßig ist. § 103 StGB und die in seinem Rahmen gegebenenfalls
außerdem anzuwendenden Bestimmungen des StGB - insbesondere § 191 StGB - stellen für die von ihnen geregelten Sachverhalte die konkrete innerstaatliche Ausprägung der schon kraft ungeschriebenen Völkerrechts geltenden
Grundsätze der Unverletzlichkeit der Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten fremder Staaten dar (BVerwG, Entscheidung vom 08.09.1981 - 1 C 88/77).
*** (OLG, OVG, VGH)
„... I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Beschränkungen in Nr. 1.1.1 und Nr. 1.1.17 des Bescheids der Antragsgegnerin
vom 30. September 2014, mit dem die Anzeige einer vom Antragsteller als Aufzug geplanten Versammlung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin am 4. Oktober 2014 zum Thema ‚EU-Krisenpolitik' bestätigt wird. Nr. 1.1.1 des
Bescheids lautet: ‚Die Kundgebungsstrecke wird wie folgt festgesetzt (die Änderung gegenüber der angemeldeten Strecke ist unterstrichen): Aufseßplatz (Auftaktkundgebung) - Breitscheidstraße - Allersberger Straße -
Schweiggerstraße - Harsdörffer Straße - Hainstraße - Scharrerstraße - Kreuzungsbereich Regensburger Straße (Zwischenkundgebung) - Hainstraße - Wodanstraße - Allersberger Straße (östliche Fahrbahn) - Frankenstraße (Aufstellort
Schlusskundgebung: nördliche Fahrbahn).' Nr. 1.1.17 des Bescheids lautet: ‚Das Mitführen von Seitentransparenten, Spruchbändern und Seilen ist verboten. Transparente mit einer Breite von über 2,50 m dürfen nicht verwendet werden.'
II. Die zulässige Beschwerde ist nur begründet, soweit in Nr. 1.1.17 des Bescheids das Mitführen von Seitentransparenten verboten wird. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Soweit in Nr. 1.1.17 des Bescheids das Mitführen von Seitentransparenten verboten wird, rechtfertigen die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers an der
Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Beschränkung überwiegt und daher die aufschiebende Wirkung im beantragten Umfang anzuordnen ist. Denn die in
Nr. 1.1.17 des Bescheids angeordnete Beschränkung wird sich, soweit sie das Mitführen von Seitentransparenten verbietet, im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Hinsichtlich der übrigen in Nr. 1.1.17 des
Bescheids angeordneten Beschränkungen der Versammlung ist die Beschwerde allerdings zurückzuweisen, weil die Beschwerdebegründung dazu keine Ausführungen enthält und daher auch keine Gründe darlegt, die die Abänderung
des angefochtenen Beschlusses insoweit rechtfertigen könnten.
Zwar kann die Antragsgegnerin als zuständige Behörde die Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind jedoch, soweit in Nr. 1.1.17 des Bescheids das Mitführen von Seitentransparenten verboten wird, nicht erfüllt, weil von einer
unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht ausgegangen werden kann.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG anzustellenden Gefahrenprognose auch beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen
Anforderungen gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerfG,
B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt dabei bei der Behörde (vgl.
BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 19). Dementsprechend kann auch das Mitführen von Seitentransparenten nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres
Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern untersagt werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2005 - 24 CS 05.3215 - juris Rn. 21; B.v. 5.2.2004 - 24 CS 04.347 - juris Rn. 16, U.v. 3.11.1997 - 24 B 95.3713 - juris Rn. 55
ff.). Es bedarf vielmehr insoweit konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen der Transparente die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet.
Nach diesen Maßstäben kann die angegriffene Beschränkung aber auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht gestützt werden. Denn weder die dem Bescheid der Antragsgegnerin zugrunde liegende polizeiliche Gefahrenprognose noch die
Begründung des Bescheids selbst enthalten konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass von der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
ausgehen wird, die durch das Verbot des Mitführens von Seitentransparenten vermieden werden und dieses Verbot daher rechtfertigen könnte. Die Stellungnahme des Polizeipräsidiums vom 30. September 2014 enthält keine
Ausführungen zu derartigen Gefährdungen. Die Begründung des Bescheids vom 30. September 2014 beschränkt sich auf die Feststellung, dass sichergestellt werden müsse, dass mitgeführte Gegenstände nicht als Sichtschutz genutzt
werden, um Gewalttätigkeiten oder Straftaten aus der Versammlung heraus unerkannt begehen zu können, und dass die Polizei weitestgehend in der Lage sei, bei Sicherheitsstörungen auf einzelne hierfür verantwortliche Personen
einzuwirken. Es finden sich aber keine Ausführungen dazu, ob und aus welchen Gründen tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit solchen Straftaten und Sicherheitsstörungen zu rechnen ist.
2. Keinen Erfolg hat die Beschwerde hingegen, soweit sie die in Nr. 1.1.1 des Bescheids angeordnete, von der angemeldeten abweichende Streckenführung des Aufzugs betrifft. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung
dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses insoweit nicht.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt insoweit vielmehr zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Beschränkung das Interesse des
Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt und daher die Beschwerde zurückzuweisen ist. Denn die Ausführungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung zur Änderung der Streckenführung
stellen die ihr zugrunde liegende polizeiliche Gefahrenprognose nicht in Frage. Entgegen der Ansicht des Antragstellers lassen sich vielmehr der Demonstration im Jahr 2004, auf die sich diese Prognose maßgeblich stützt, hinreichend
konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass durch die Versammlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet wäre, wenn sie auf der angemeldeten Wegstrecke erfolgen würde.
Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden, soweit die früheren Versammlungen bezüglich des Mottos, des
Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 17 m.w.N.). Von einer derartigen Ähnlichkeit der
geplanten Versammlung am 4. Oktober 2014 mit der Versammlung vom 6. November 2004 kann hier jedoch ausgegangen werden.
Bei der Versammlung vom November 2004 versuchten Versammlungsteilnehmer, wie die Polizei dies auch für die Versammlung am 4. Oktober 2014 befürchtet, in der Regensburger Straße Schottersteine aus dem Gleisbett zu
nehmen, um sie auf Polizeibeamte zu werfen, was nur durch massiven Polizeieinsatz verhindert werden konnte. Die damalige Versammlung fand mithin am selben Ort statt, an dem auch die jetzige Versammlung eine
Zwischenkundgebung plant.
Die Versammlung im Jahr 2004 richtete sich gegen Sozialabbau und Hartz IV. Zwar lautet das Thema der Versammlung am 4. Oktober 2014 ‚EU-Krisenpolitik'. Nach dem bei den Akten befindlichen Äußerungen von Blockupy im
Internet, wird die Demonstration am 4. Oktober 2014 unter anderem damit begründet, dass die Bundes-agentur für Arbeit, vor der eine Zwischenkundgebung stattfinden soll, vorgebe, wie die repressiven Regelungen von Hartz IV
ungesetzt würden, wobei die Agenda 2010 der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission als Modell für unsoziale Reformen diene, die den ‚Krisenländern' aufoktroyiert würden. Dies belegt aber, dass beide Versammlungen
trotz der unterschiedlichen Bezeichnung ein ähnliches Motto aufweisen.
Darüber hinaus liegt die Organisation der beiden Demonstrationen in denselben Händen. Denn als Versammlungsleiter fungiert bei der Versammlung am 4. Oktober 2014 dieselbe Person wie bei der Versammlung im Jahr 2004.
Außerdem ähnelt sich auch der Teilnehmerkreis. Wie sich den in den Behördenakten befindlichen Internetausdrucken entnehmen lässt, ruft insbesondere auch der antikapitalistische Block zur Teilnahme an der Demonstration am 4.
Oktober 2014 auf. Dessen gewaltbereiter Teil hat aber nach dem Polizeibericht über die Demonstration am 6. November 2004 im Verlauf dieser Versammlung Steine aus dem Gleisbett in der Regensburger Straße genommen, um sie
auf Polizeibeamte zu werfen.
Von den Vorfällen im Verlauf der Demonstration im Jahr 2004 auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Versammlung am 4. Oktober 2014 für den Fall zu schließen, dass sie ebenfalls in Teilen in der Regensburger
Straße durchgeführt wird, in denen geschotterte Straßenbahngleise verlaufen, ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil zwischen beiden Versammlungen ein Zeitraum von annähernd zehn Jahren liegt. Denn wie sich aus der
Stellungnahme der Polizei vom 30. September 2014 ergibt, ist es auch bei einer Versammlung des Antifaschistischen Aktionsbündnisses, das im Internet ebenfalls zu der Versammlung am 4. Oktober 2014 aufgerufen hat, im
Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin am 31. März 2012 zu Würfen mit Gegenständen gekommen, so dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass beim Teilnehmerkreis nach wie vor Gewaltbereitschaft
vorhanden ist.
Angesichts dessen spielt entgegen der Ansicht des Antragstellers aber auch die zu erwartende Teilnehmerzahl für die Gefahrenprognose keine entscheidende Rolle, zumal der Vortrag des Antragstellers, eine größere Mobilisierung
etwa durch die Organisation einer Anreise mit Bussen finde nicht statt, offenbar nicht zutrifft (vgl. das Busangebot aus Stuttgart auf der Internetseite http://linksunten.indymedia.org/de/ node/122164).
Im Hinblick auf die Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die danach von der Versammlung ausgehen, wenn die Regensburger Straße in den Versammlungsverlauf integriert wird, ist schließlich unerheblich, ob sich solche Gefahren
auch im Hinblick darauf ergäben, dass die Aufzugsroute in diesem Fall außerdem am türkischen Generalkonsulat vorbeiführen würde. ..." (Bay VGH, Beschluss vom 03.10.2014 - 10 CS 14.2156)
***
Zur Frage, ob eine öffentliche Versammlung, auf der für die Ideen des Salafismus geworben werden soll, wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten werden darf (OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2014 - 1 B 140/14):
„... Das Oberverwaltungsgericht weist die Beschwerde der Antragsgegnerin aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Beschwerdebegründung gibt lediglich Anlass,
nochmals auf Folgendes hinzuweisen:
Die Versammlungsbehörde hat ihre Verbotsentscheidung maßgeblich auf den Inhalt der von den Rednern zu erwartenden Äußerungen gestützt. Ein Versammlungsverbot wegen der auf einer Versammlung zu erwartenden Äußerungen
ist nach der bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 - BVerfGE 111, 147) indes nur zulässig, wenn die Äußerungen die Grenzen
überschreiten, die nach Art. 5 Abs. 2 GG für die Meinungsfreiheit gelten. Diese Grenzen sind überschritten, wenn die geäußerten Meinungen gegen die Strafgesetze verstoßen. Dass die Redner auf der Veranstaltung am 01.06.2014 mit
ihren Äußerungen gegen die Strafgesetze verstoßen werden, wird in der Verbotsverfügung nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat dies im Einzelnen ausgeführt.
Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass sich Schranken der Meinungsfreiheit auch aus kollidierenden Grundrechten und aus der Verfassung selbst ergeben können. Soweit solche verfassungsunmittelbaren Schranken
anzuerkennen sind, obliegt deren Konkretisierung aber ebenfalls dem Vorbehalt des Gesetzes. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (BVerfG, Beschluss vom 23.06.2004, a.a.O., juris Rn. 24). In der Verbotsverfügung wird nicht
dargelegt, dass es auf der Veranstaltung zu entsprechenden Gesetzesverstößen kommen könnte.
Soweit in der Verbotsverfügung geltend gemacht wird, die für den 01.06.2014 vorgesehenen Redner würden eine aggressive, extremistisch religiöse Ideologie vertreten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoße,
kann das für sich genommen ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen. Dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung dienen die dazu vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze (zum Beispiel §§ 84 ff., 111, 130 StGB),
darüber hinaus im Grundgesetz selbst ausdrücklich vorgesehene Instrumente (zum Beispiel Art. 9 Abs. 2, Art. 18 GG). Ein Versammlungsverbot wegen vermeintlich verfassungsfeindlicher Äußerungen zählt danach nicht zu den nach
der Konzeption des Grundgesetzes zulässigen Maßnahmen. ..."
***
„... Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller dargelegten Gründe befindet, hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Antrag der Antragsteller, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Versammlung der Antragsteller zu schützen,
insbesondere, indem gegenüber der Stadt O. , vertreten durch den Bürgermeister, angeordnet wird, dass dieser nicht die Einzäunung der Versammlung anordnen darf oder anordnen lassen darf, zu Unrecht abgelehnt. Die Antragsteller
machen keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten geltend. Sie verlangen vielmehr von der sachlich zuständigen Versammlungsbehörde, die ordnungsgemäß angemeldete und mit Verfügung vom 25.2.2014 bestätigte
Versammlung auf der Wiese vor der Realschule an der T.-straße in O. -O1. gegenüber Störungen durch Baumfällarbeiten und Einzäunungen zu schützen, die maßgeblich auf Betreiben der Stadt O. erfolgen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig
erscheint. Es sind sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Der Antragsgegner ist als Versammlungsbehörde verpflichtet, die Versammlung der Antragsteller zu schützen, solange sie unter dem Schutz der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit steht und nicht auf
gesetzlicher Grundlage Beschränkungen angeordnet werden. Dessen ist sich der Antragsgegner zwar grundsätzlich bewusst. Gleichwohl bedarf es zur Verwirklichung der Rechte der Antragsteller einer einstweiligen Anordnung. Denn
die Beteiligten haben unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang der aus der Versammlungsfreiheit folgenden Rechte, insbesondere bezogen auf das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, sowie darüber, in welcher Weise
die aktuell andauernde Versammlung gegenüber Störungen und Gefährdungen durch Dritte zu schützen ist.
Einen Schutz gegenüber Gefährdungen und Störungen im Zuge von Baumfällarbeiten können die Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner beanspruchen, weil ihre Versammlung unter die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs.
1 GG fällt. Dieses Grundrecht schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu
kommen. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet als Abwehrrecht auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie
ihr Anliegen - gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können. Die Versammlungsfreiheit verschafft zwar kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten.
Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Jedoch
verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies gilt nicht nur für den Straßenraum, der nach straßen- und straßenverkehrsrechtlichen
Bestimmungen förmlich zum öffentlichen Gebrauch gewidmet ist. Ebenso können Versammlungen unter dem grundrechtlichen Schutz an Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums stattfinden, an denen in ähnlicher Weise ein
öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei
gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 -, BVerfGE 128, 226 = juris, Rn. 63 ff.
Ausweislich Nr. 2.2 und 2.3 der Einleitungsbegründung zum Entwurf für den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan , O1. , M.-platz (Lebensmittelmarkt), APS 17-2013-2, befindet sich im Plangebiet, auf dem die Versammlung der
Antragsteller stattfindet, eine - von Wegen durchzogene - öffentliche Grünfläche mit einem älteren Baumbestand. An die Grünfläche grenzen v. a. eine Ganztagsrealschule, eine Kindertagesstätte, ein öffentlicher Spielplatz und eine
öffentliche PKW-Stellplatzanlage. Die Versammlung hatte nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsteller begonnen, als Mitarbeiter der Stadt O. Maschinen zum Fällen der Bäume auffahren ließen, die faktisch öffentliche
Grünfläche aber noch allgemein zugänglich war, insbesondere bevor Bauzäune aufgestellt wurden. Der Antragsgegner hat die Versammlung am 25.2.2014 für die Zeit vom 25.-28.2.2014 ganztägig (24-Stunden) für die Wiese der
Realschule bestätigt. Ausgehend davon spricht bei summarischer Prüfung alles dafür, dass die Versammlung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit auf einer öffentlichen Grünfläche stattfindet, auf der trotz fehlender
straßenrechtlicher Widmung in ähnlicher Weise ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Daran ändert sich nichts dadurch, dass nach Beginn der Versammlung Bauzäune errichtet worden sind, ohne dass in einem
rechtsförmigen Verfahren bereits über eine neue Nutzung entschieden worden ist. Insbesondere ist der Vorhabenbezogene Bebauungsplan , O1. , M.-platz (Lebensmittelmarkt) noch nicht rechtsgültig. Auch ist die Stadt O. ungeachtet
des Verkaufs des Geländes weiterhin Eigentümerin.
Die Versammlung der Antragsteller fällt der Sache nach unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG. Ihnen geht es in erster Linie um eine Teilhabe an der Meinungsbildung und nicht um eine - von der Versammlungsfreiheit nicht erfasste -
zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.
Vgl. zu dieser Abgrenzung BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 = juris, Rn. 42 ff.
Sie möchten ihren Widerstand gegen den geplanten Bau eines Lebensmittelmarkts zum Ausdruck bringen und zusätzlich durch ihre Anwesenheit verhindern, dass Bäume zu einem Zeitpunkt gefällt werden, in dem nicht gewiss ist, ob
die geplante Bebauung mit einem Supermarkt überhaupt realisiert werden kann. Durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes möchten sie im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren
Standpunkt bezeugen. Sie hoffen, auf diese Weise auf die politische Meinungsbildung bezogen auf den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan Einfluss nehmen zu können, bevor anderweitig Fakten geschaffen werden. Darüber hinaus
rechnen sie sich auch in einem schon jetzt angedachten Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan - sollte er plangemäß beschlossen werden - auf der Grundlage eines bereits eingeholten Gutachtens Chancen aus, die
Bebauung notfalls auf dem Rechtsweg zu stoppen. Die Grenze zur selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener Forderungen haben sie bislang - soweit ersichtlich - nicht überschritten. Im Gegenteil haben Mitarbeiter der Stadt O. und
von diesen Beauftragte - mit Blick auf das vom 1.3. bis zum 30.9. geltende Baumfällverbot nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG - im Vorgriff auf den Abschluss des demokratischen Willensbildungsprozesses (Ratssitzung am
18.3.2014) zur weiteren Nutzung der bisherigen Grünfläche Fakten geschaffen. Sie haben ungeachtet der anwesenden und hierdurch gestörten Versammlungsteilnehmer und ohne ersichtlich abgeschlossene demokratische Legitimation
für die beabsichtigte neue Nutzung Baumfällarbeiten beginnen lassen und möchten diese entsprechend fortführen. Demgegenüber sind die Antragsteller Anweisungen durch Polizeibedienstete, den Standort zu wechseln, um nicht
durch herabstürzende Äste gefährdet zu werden, jeweils nachgekommen. Nur deshalb war es überhaupt möglich, innerhalb des Zeitplans der Stadt O. am 26.2.2014 letztlich ungehindert bereits etwa 50 Bäume zu fällen. Die
Antragsteller sind zu einer - auch geringfügigen - Verlagerung ihres Standorts auf der Wiese allerdings nicht mehr bereit, wenn sie nach gerichtlicher Überprüfung hierzu nicht verpflichtet sind. Letztlich geht es den Antragstellern
nicht um Selbsthilfe, sondern darum, dass demokratisch zu treffenden und vor Gerichten zu überprüfenden Entscheidungen nicht faktisch vorgegriffen wird.
Die Versammlung der Antragsteller verliert den Schutz des Art. 8 GG auch nicht deshalb, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr "spontan" ist. Es handelt sich wegen ihres Anlassbezugs um eine Eilversammlung, für die allein die
Besonderheit gilt, dass die Frist des § 14 VersammlG nicht eingehalten werden konnte, um das kommunikative Anliegen rechtzeitig zur Geltung zu bringen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88 -, BVerfGE 85, 69 = juris, Rn. 23 f.
Ebenso wie bei jeder anderen Versammlung endet ihr grundrechtlicher Schutz grundsätzlich erst bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive
Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Der Schutz des Art. 8
GG endet erst mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung durch die Versammlungsbehörde.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 -, NJW 2011, 3020 = juris, Rn. 33.
Solange die Versammlung nicht aufgelöst ist und die engen Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen nach § 15 VersammlG nicht gegeben sind, bleibt der Antragsgegner bei unveränderter Sachlage zum Schutz der
Versammlung der Antragsteller verpflichtet.
Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend auf Grund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind, muss die zuständige Behörde
die Durchführung der Versammlung schützen und hat behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ 2013, 570 = juris, Rn. 17, m. w. N.
Eine unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende Versammlung wird nicht in diesem Sinne "geschützt", indem ihr der von den Veranstaltern zulässigerweise gewählte Versammlungsort - wenn auch nur geringfügig - streitig
gemacht wird, um die Versammlungsteilnehmer vor herabstürzenden Bäumen zu schützen. Im Gegenteil hat die Versammlungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass Störungen und Gefährdungen der Versammlungsteilnehmer gerade an
dem versammlungsrechtlich geschützten Versammlungsort unterblieben. Insofern hat sie gegebenenfalls gegen diejenigen vorzugehen, die Versammlungsteilnehmer an diesem Standort gefährden oder die öffentliche Wahrnehmbarkeit
der Versammlung dort - etwa durch das Errichten von Bauzäunen - in Frage stellen. Des entsprechenden Schutzanspruchs begeben sich die Versammlungsteilnehmer auch dann nicht, wenn sie sich - wie hier ausdrücklich vorbehaltlich
einer gerichtlichen Klärung - vorübergehend mit der mündlichen Zuweisung eines anderen Standorts für ihre Versammlung einverstanden erklärt haben.
Lediglich vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass ein Ausgleich widerstreitender Grundrechtsinteressen durch versammlungsbehördliche Verfügung nach derzeitiger Aktenlage nicht geboten ist. Eine Grundrechtskollision
zwischen der Versammlungsfreiheit und dem Eigentumsrecht der Stadt O. besteht schon deshalb nicht, weil einer gemeindlichen Gebietskörperschaft mangels einer grundrechtstypischen Gefährdungslage das Eigentumsgrundrecht aus
Art. 14 Abs. 1 GG auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben jedenfalls in aller Regel nicht zusteht. Art. 14 GG als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.7.2002 - 1 BvR 403/02 -, DVBl. 2002, 1404 = juris, Rn. 11, m. w. N. ..."
(OVG NRW, Beschluss vom 27.02.2014 - 5 B 243/14)
***
„... Das Verwaltungsgericht hat den im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Antrag der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, die Versammlung der Antragsteller nicht zu stören,
insbesondere den Versammlungsplatz nicht einzuzäunen und keine Zäune auf dem Versammlungsplatz zu errichten sowie keine Einfriedungen oder dergleichen dort aufzubauen und die bereits errichteten Zäune und
Einfriedigungen zu entfernen, zu Unrecht abgelehnt. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Der angefochtene Beschluss entfaltet für den Senat keine Bindungswirkung nach § 17a
Abs. 5 GVG, da das Verwaltungsgericht nicht "in der Hauptsache" entschieden, sondern den Antrag bereits aus Gründen der Unzulässigkeit des Rechtswegs als unzulässig abgelehnt hat.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7.7.1993 - 22 B 1409/93 -, NVwZ 1994, 178 f.; und vom 6.8.1993 - 22 B 1709/93 -, NVwZ 1994, 179.
Die Frage, ob die Antragsgegnerin als öffentlich-rechtlich gebundene Grundstückseigentümerin der Versammlungsfläche berechtigt ist, die Versammlung der Antragsteller durch das Aufstellen von Zäunen zu behindern, auch in der
Form, dass dies Dritten gestattet wird, ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig
erscheint. Es sind sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Bei der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ist die Gefahr glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin das Versammlungsrecht der Antragsteller vereitelt, indem sie im Zusammenhang mit
der Errichtung eines Supermarktes auf der Wiese vor der Realschule an der T.-straße in O. -O1. Einzäunungen vornimmt, um Bäume zu fällen, und hierdurch die Versammlungsteilnehmer dazu zwingt, den selbst gewählten
Versammlungsort - wenn auch nur geringfügig - zu verlassen. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte unter anderem die vollziehende Gewalt als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten damit unmittelbar auch für die
Antragsgegnerin. Sie binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 -, BVerfGE 128, 226 = juris, Rn. 47.
Indem die Antragsgegnerin trotz der von den Antragstellern ordnungsgemäß als Eilversammlung angemeldeten und versammlungsbehördlich bestätigten Versammlung die Versammlungsteilnehmer durch Einhegungen für
Baumfällarbeiten und die Gefahr herabstürzender Äste - und sei es durch Bauarbeiter des Investors - faktisch zwingt, den Versammlungsort zu verlassen, greift sie in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8
Abs. 1 GG ein. Dieses Grundrecht schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen
zu kommen. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet als Abwehrrecht auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo
sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können. Die Versammlungsfreiheit verschafft zwar kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten.
Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Jedoch
verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies gilt nicht nur für den Straßenraum, der nach straßen- und straßenverkehrsrechtlichen
Bestimmungen förmlich zum öffentlichen Gebrauch gewidmet ist. Ebenso können Versammlungen unter dem grundrechtlichen Schutz an Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums stattfinden, an denen in ähnlicher Weise ein
öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei
gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 -, BVerfGE 128, 226 = juris, Rn. 63 ff.
Ausweislich Nr. 2.2 und 2.3 der Einleitungsbegründung zum Entwurf für den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan , O1. , M.-platz (Lebensmittelmarkt), APS 17-2013-2, befindet sich im Plangebiet, auf dem die Versammlung der
Antragsteller stattfindet, eine - von Wegen durchzogene - öffentliche Grünfläche mit einem älteren Baumbestand. An die Grünfläche grenzen v. a. eine Ganztagsrealschule, eine Kindertagesstätte, ein öffentlicher Spielplatz und eine
öffentliche PKW-Stellplatzanlage. Die Versammlung hatte nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsteller begonnen, als die Antragsgegnerin Maschinen zum Fällen der Bäume auffahren ließ, die faktisch öffentliche
Grünfläche aber noch allgemein zugänglich war, insbesondere bevor Bauzäune aufgestellt wurden. Die Versammlungsbehörde hat die Versammlung am 25.2.2014 für die Zeit vom 25.-28.2.2014 ganztägig (24-Stunden) für die Wiese
der Realschule bestätigt. Ausgehend davon spricht bei summarischer Prüfung alles dafür, dass die Versammlung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit auf einer öffentlichen Grünfläche stattfindet, auf der trotz fehlender
straßenrechtlicher Widmung in ähnlicher Weise ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Daran ändert sich nichts dadurch, dass nach Beginn der Versammlung Bauzäune errichtet worden sind, ohne dass in einem
rechtsförmigen Verfahren bereits über eine neue Nutzung entschieden worden ist. Insbesondere ist der Vorhabenbezogene Bebauungsplan , O1. , M.-platz (Lebensmittelmarkt) - trotz des erfolgten Abschlusses eines nach seinem § 20
Abs. 1 noch nicht wirksamen Durchführungsvertrags gemäß § 12 BauGB - noch nicht rechtsgültig. Auch ist die Antragsgegnerin ungeachtet des Verkaufs des Geländes durch notariellen Kaufvertrag vom 6.6.2013 weiterhin Eigentümerin.
Die Versammlung der Antragsteller fällt der Sache nach unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG. Ihnen geht es in erster Linie um eine Teilhabe an der Meinungsbildung und nicht um eine - von der Versammlungsfreiheit nicht erfasste -
zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.
Vgl. zu dieser Abgrenzung BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 = juris, Rn. 42 ff.
Sie möchten ihren Widerstand gegen das geplante Vorhaben zum Ausdruck bringen und zusätzlich durch ihre Anwesenheit verhindern, dass Bäume zu einem Zeitpunkt gefällt werden, in dem nicht gewiss ist, ob die geplante
Bebauung mit einem Supermarkt überhaupt realisiert werden kann. Durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes möchten sie im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt
bezeugen. Sie hoffen, auf diese Weise auf die politische Meinungsbildung bezogen auf den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan Einfluss nehmen zu können, bevor anderweitig Fakten geschaffen werden. Darüber hinaus rechnen sie
sich auch in einem schon jetzt angedachten Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan - sollte er plangemäß beschlossen werden - auf der Grundlage eines bereits eingeholten Gutachtens Chancen aus, die Bebauung notfalls
auf dem Rechtsweg zu stoppen. Die Grenze zur selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener Forderungen haben sie bislang - soweit ersichtlich - nicht überschritten. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin - mit Blick auf das vom 1.3. bis
zum 30.9. geltende Baumfällverbot nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG - im Vorgriff auf den Abschluss des demokratischen Willensbildungsprozesses (Ratssitzung am 18.3.2014) zur weiteren Nutzung der bisherigen
Grünfläche Fakten geschaffen. Dabei hat sie in das Versammlungsrecht der Antragsteller eingegriffen, indem sie ungeachtet der anwesenden und hierdurch gestörten Versammlungsteilnehmer und ohne ersichtlich abgeschlossene
demokratische Legitimation für die beabsichtigte neue Nutzung Baumfällarbeiten beginnen lassen hat. Anweisungen durch Polizeibedienstete, den Standort zu wechseln, um nicht durch herabstürzende Äste gefährdet zu werden, sind
die Antragsteller jeweils nachgekommen. Nur deshalb war es überhaupt möglich, innerhalb des Zeitplans der Antragsgegnerin am 26.2.2014 letztlich ungehindert bereits etwa 50 Bäume zu fällen. Die Antragsteller sind zu einer - auch
geringfügigen - Verlagerung ihres Standorts auf der Wiese allerdings nicht mehr bereit, wenn sie nach gerichtlicher Überprüfung hierzu nicht verpflichtet sind.
Die Antragsgegnerin behindert das Versammlungsrecht der Antragsteller nicht nur durch das Fällen von Bäumen, sondern auch durch das Aufstellen(lassen) eines Bauzaunes, soweit hierdurch Versammlungsteilnehmer gedrängt
werden, ihren Standort zu verlassen und soweit letztlich verhindert wird, dass die Versammlungsteilnehmer mit ihrem kommunikativen Anliegen öffentlich wahrgenommen werden können. Mit Blick auf das entschiedene Vorgehen
der Antragsgegnerin, bei dem diese das Versammlungsrecht der Antragsteller nicht hinreichend berücksichtigt hat, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig. Auch wegen der versammlungsbehördlichen Bestätigung der
- nicht aufgelösten - Versammlung darf die Antragsgegnerin für die bestätigte Dauer bis zum 28.2.2014 das kommunikative Anliegen der Antragsteller weder durch das Fällen(lassen) von Bäumen im Bereich der Versammlung noch
durch Bauzäune, die die öffentliche Wahrnehmung hindern, stören. Hieraus folgt die Pflicht, unter Missachtung des Versammlungsanliegens der Antragsteller bereits aufgestellte Bauzäune bis zum Abschluss der Versammlung am
28.2.2014 sofort wieder zu beseitigen.
Die Versammlung der Antragsteller verliert den Schutz des Art. 8 GG auch nicht deshalb, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr "spontan" ist. Es handelt sich wegen ihres Anlassbezugs um eine Eilversammlung, für die allein die
Besonderheit gilt, dass die Frist des § 14 VersammlG nicht eingehalten werden konnte, um das kommunikative Anliegen rechtzeitig zur Geltung zu bringen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88 -, BVerfGE 85, 69 = juris, Rn. 23 f.
Ebenso wie bei jeder anderen Versammlung endet ihr grundrechtlicher Schutz grundsätzlich erst bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive
Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Der Schutz des Art. 8
GG endet erst mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung durch die Versammlungsbehörde.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 -, NJW 2011, 3020 = juris, Rn. 33.
Soweit sich die Antragsgegnerin auf ihr Eigentümerinteresse beruft, ergibt sich keine abweichende Entscheidung. Zum einen besteht die geltend gemachte Grundrechtskollision zwischen der Versammlungsfreiheit und dem
Eigentumsrecht der Antragsgegnerin schon deshalb nicht, weil der Antragsgegnerin als gemeindlicher Gebietskörperschaft mangels einer grundrechtstypischen Gefährdungslage das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG auch
außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben jedenfalls in aller Regel nicht zusteht. Art. 14 GG als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.7.2002 - 1 BvR 403/02 -, DVBl. 2002, 1404 = juris, Rn. 11, m. w. N.
Zum anderen ist es allein Sache der Versammlungsbehörde, in dem nach § 15 VersammlG (nur) zulässigen Rahmen in Form beschränkender Verfügungen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit anzuordnen. ..." (OVG NRW,
Beschluss vom 27.02.2014 - 5 B 240/14)
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"... Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Verfügung vom 30. Oktober 2013 dem für die Antragstellerin zu 2. auftretenden Antragsteller zu 1. gemäß § 15 Abs. 1
VersammlG aufgegeben hat, die für den 9. November 2013 in der Zeit von 12.00 bis 20.00 Uhr angemeldeten Versammlungen in Duisburg-Neumühl ‚Kein Asyl in Neumühl - Kein Asylantenheim ins St. Barbara Hospital' und in
Duisburg-Rheinhausen/Bergheim ‚Rheinhausen darf nicht Klein-Bukarest werden - Recht und Ordnung wieder herstellen' nicht am 9. November 2013, dem 75. Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in der
Reichspogromnacht 1938, durchzuführen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die öffentliche Ordnung betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit
gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen würde, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt
werden. Hieraus kann jedoch nicht generell geschlossen werden, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht durchgeführt werden dürfen, wenn diese in irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu
beurteilen sind. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409, 1410, und vom 27. Januar 2012 - 1 BvQ 4/12 -, NVwZ 2012, 749 = juris, Rn. 7.
Diese Feststellung haben der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht zu Recht unter Hinweis darauf getroffen, dass sich die Antragsteller mit der Durchführung von Veranstaltungen gegen den Zuzug von Asylbewerbern und
anderen Ausländern in unmittelbarer Umgebung von in der Bevölkerung umstrittenen Asylbewerberheimen bewusst die Symbolkraft des Gedenkens an die Reichspogromnacht zu Nutze machen, hierdurch zum Hass gegen
Bevölkerungsteile anstacheln und eine Atmosphäre der Bedrohung erzeugen. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, ihnen werde die Möglichkeit genommen, am 9. November 2013 friedlich gegen eine aus ihrer Sicht verfehlte
Asylpolitik und für rechtlich zulässige Beschränkungen der Armutseinwanderung einzutreten. Dass dies auch am 9. November 2013 möglich ist, wird vom Antragsgegner ausdrücklich zugestanden. Die unter dem Gesichtspunkt der
öffentlichen Ordnung im Einzelfall allerdings nicht mehr hinnehmbare Provokation ergibt sich aus der drastischen Wortwahl im Versammlungsaufruf, den Formulierungen der Versammlungsthemen, der gezielt gesuchten Nähe zu
umstrittenen Asylbewerberunterkünften in Verbindung mit dem kompromisslosen Festhalten am 9. November 2013 als Veranstaltungstag. Der Antragsgegner hat in seinem Schriftsatz vom 7. November 2013 zu Recht auf
Erkenntnisse aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht NRW 2012 hingewiesen, wonach die Antragsgegnerin zu 2. Migranten wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit pauschal herabsetzt
und diffamiert und mit der Art der Darstellung Ablehnung und Angst in der Bevölkerung schürt. Ähnliche Verlautbarungen waren bereits in früheren Verfassungsschutzberichten rechtsfehlerfrei enthalten, weil der Verdacht einer
gegen die Menschenwürde verstoßenden ausländerfeindlichen Ausrichtung und verfassungswidriger Bestrebungen der Antragsgegnerin zu 2. bestand.
Vgl. OVG NRW; Beschluss vom 23. Mai 2012 - 5 A 837/11 -, juris.
Das damit in Widerspruch stehende demonstrative Bekenntnis zum Grundgesetz und jede Form von Extremismus wirkt nach Einschätzung des Innenministeriums NRW im Verfassungsschutzbericht NRW 2012 taktisch motiviert. Es
ist deshalb nicht geeignet, das Bedrohungspotential des politischen Auftretens der Antragstellerin zu 2., die nach Aussage ihres Vorsitzenden schon im Landtagswahlkampf 2012 im Kampf gegen Überfremdung auf ‚maximale
Provokation' gesetzt hat (Verfassungsschutzbericht NRW 2012, S. 66), in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit glaubhaft abzuschwächen. Danach kann keine Rede davon sein, die Antragsteller hätten schon immer jede Form des
menschenverachtenden Rassismus und einer plumpen Ausländerfeindlichkeit entschieden abgelehnt und wollten Missbrauch des Asylgrundrechts bekämpfen, um dieses Recht verteidigen zu können. Ebenso wenig ist die erstmals in
der Replik auf die Beschwerdeerwiderung erhobene Behauptung, die Antragsteller legten ausschließlich aus organisatorischen Gründen und mit Rücksicht auf Wünsche der Anwohnerinitiative besonderen Wert auf die Durchführung
ihrer Versammlungen gerade am 9. November 2013, mit dem Vorbringen in Einklang zu bringen, es ginge lediglich um eine friedliche und rechtlich zulässige Positionierung zur Ausländer- und Asylpolitik. Würdigt man das geplante
Auftreten der Antragsteller unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums, drängt sich geradezu auf, dass durch die geplante Durchführung
der Versammlung vor allem wegen der geplanten Durchführung am 9. November 2013 Provokationen und Bedrohungen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Diese werden
durch die zynische und gleichfalls taktisch motivierte Ankündigung, ‚für die historischen Vorgänge' solle eine Schweigeminute erfolgen, noch verstärkt. Denn eine solche Schweigeminute verliert vollständig ihre Glaubwürdigkeit,
wenn sie unmittelbar erfolgt, bevor ausländischen Mitbürgern massiv vor Augen geführt werden soll, dass ihre Anwesenheit in Deutschland unerwünscht ist. Dabei ist es unerheblich, inwieweit sich die Antragstellerin zu 2. in der
Vergangenheit für das Existenzrecht Israels stark gemacht hat. Dies ändert an der von ihr geplanten Ausgrenzung anderer als der jüdischen Bevölkerungsteile nichts.
Die Antragsgegnerin zu 2. sieht Duisburg in ihrem Versammlungsaufruf als ‚bundesweites Sinnbild' insbesondere einer verfehlten Zuwanderungspolitik, die großen gesellschaftlichen Sprengstoff birgt. Sie verwendet zur Bezeichnung
der als nicht mehr akzeptabel erachteten Zustände Begriffe wie ‚Klein-Istanbul' und ‚Zigeuner-Hochhaus'. Dieses Hochhaus bezeichnet sie als bundesweites Negativbeispiel für unerwünschte Armutseinwanderung und fordert:
‚SCHLUSS DAMIT!'. Unabhängig von der politischen Bewertung der kritisierten Asyl- und Ausländerpolitik werden auf diese Weise Bevölkerungsteile massiv ausgegrenzt und in ihrer Existenz bedroht, ohne dass er hierzu weiterer
ausdrücklicher Klarstellungen bedürfte. Es wird unmissverständlich klargestellt, dass ihre weitere Anwesenheit in Duisburg nicht geduldet werden soll. Bereits Mitte September 2013 berichtete die Presse darüber, der
Oberbürgermeister der Stadt Duisburg betrachte die seinerzeit bei einer Demonstration gegen ein Asylbewerberheim im St. Barbara-Hospital zu beobachtende aufgeheizte Stimmung als echtes Problem.
Vgl. Der Westen vom 13. September 2013, ‚200 Protestler gegen Asylbewerberheim im St. Barbara- Hospital', http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/200- protestler-gegen-asylbewerberheim-im-st-barbara- hospital-id8435818.html.
Anschließend haben sich nach Angaben des Antragsgegners Bürger zusammengefunden, die wochenlang Nachtwachen gehalten haben, um Sinti und Roma vor befürchteten Angriffen rechter Gruppierungen zu schützen.
Der SWR berichtete erst am 29. Oktober 2013, dass Übergriffe auf Flüchtlingsheime in Deutschland aktuell stark zunehmen. Für rund 70 Prozent der Aktionen gegen Flüchtlinge sei die NPD verantwortlich, die anderen gingen auf das
Konto von pro NRW, pro Deutschland und der neuen Partei ‚Die Rechte'. Dies habe sich bei einer umfangreichen Auswertung von Print- und Fernseharchiven sowie Polizeimeldungen ergeben. Angesichts der hohen Zahl solcher
Demonstrationen sieht ein Rechtsextremismus-Forscher eine vergleichbare Situation wie in den frühen neunziger Jahren, ‚wo es auch so anfing und die Rechtsextremen es geschafft haben, die Stimmung in der Bevölkerung zu
radikalisieren, auch zu Gewaltakten. Und dies wird gerade in diesen Wochen und Monaten vorbereitet und schon durchgeführt.'
Vgl. SWR vom 29.10.2013 ‚NPD organisiert verdeckt Proteste gegen Asylbewerber: Übergriffe auf Flüchtlingsheime nehmen stark zu', http://www.swr.de/report/presse/npd-asylbewerber/- /id=1197424/nid=1197424/did=12301994/17rfgu2/.
Auch angesichts der Parallelen zu den noch immer in der Öffentlichkeit präsenten Bildern von brennenden Asylbewerberheimen, weil aufgebrachte ‚Bürger' die Zustände als nicht mehr erträglich erachteten, stellt es eine unerträgliche
Provokation mit hohem Bedrohungspotential dar, wenn Asylbewerber und Ausländer in der von den Antragstellern geplanten Weise ausgegrenzt werden sollen gerade an einem Tag, an dem bundesweit zum 75. Mal der
flächendeckenden menschenverachtenden Angriffe der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft auf die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland am 9. November 1938 gedacht wird. Damals haben viele Bürger die von
den Nationalsozialisten geschaffene feindselige Atmosphäre gegen Bevölkerungsteile genutzt und ihren Hass in Gewalt umschlagen lassen.
Vgl. z. B. Westfalenpost Hagen vom 8. November 2013, http://www.derwesten.de/wp/politik/vor-75- jahren-brannten-die-synagogen-aimp- id8645690.html.
Die damaligen Ausschreitungen stellten den Auftakt für die beispiellose Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung dar und erfüllen den Tatbestand des Völkermords im Sinne von § 6 Völkerstrafgesetzbuch. Dieses
schreckliche Geschehen wird wegen seiner besonderen Grausamkeit und Skrupellosigkeit jedes Jahr in zahllosen - auch in Duisburg stattfindenden - Gedenkveranstaltungen in Erinnerung gerufen. Wenn gerade an einem solchen Tag
erneut Bevölkerungsteile bewusst ausgegrenzt und ihre bloße Anwesenheit als inakzeptabel dargestellt werden soll, verlangt die staatliche Schutzpflicht, Provokationen zu unterbinden, die in besonderer Weise geeignet sind, eine
Eigendynamik in Richtung gewaltsamer Übergriffe zu entfalten. Dass die von den Antragstellern angemeldeten Versammlungen dieses Gefahrenpotential konkret mit sich bringen, ergibt sich nicht nur aus der ohnehin schon
angespannten Lage in Duisburg, sondern auch aus entsprechenden Erfahrungen mit einer Reihe brennender Asylbewerberheime Anfang der Neunziger Jahre, die Erinnerungen an die Ereignisse in Deutschland am 9. November 1938
wachrufen. Dies gilt umso mehr als diese Ereignisse in Deutschland im nationalen Gedächtnis tief verankert und bis heute präsent sind. Das Bundesverfassungsgericht hat der durch die Schrecken der nationalsozialistischen Gewalt-
und Willkürherrschaft geprägten Identität der Bundesrepublik Deutschland eine so große Bedeutung beigemessen, dass es hieraus sogar besondere Grenzen für die Meinungsfreiheit abgeleitet hat.
BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 300, 329.
Der Antragsgegner hat die gerade aus der Symbolwirkung des Gedenktages der Reichspogromnacht erwachsende Gefährdung der öffentlichen Ordnung in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise mit dem Grundrecht
der Antragsteller auf Versammlungsfreiheit in Ausgleich gebracht. Die zeitliche Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Antragsteller trägt ihrem Versammlungsgrundrecht angemessen Rechnung. Denn sie sind nicht gänzlich
daran gehindert, gegen die von ihnen unerwünschte Anwesenheit von Zuwanderern und Asylbewerbern zu demonstrieren. Ihnen wird lediglich abverlangt, dies nicht am Tage des Gedenkens an die Opfer der Reichspogromnacht zu
unternehmen. Ausgehend vom Versammlungszweck stellt sich die Auflage, die Versammlungen nicht am 9. November 2013 durchzuführen, als milderes Mittel dar, das der unerträglichen Provokation und Bedrohung der Betroffenen
durch eine unmissverständliche Symbolik die äußerste Spitze nimmt. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 08.11.2013 - 5 B 1335/13)
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Ein präventives Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung, welches auch friedliche Versammlungen erfasst, darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden. Die Darlegungs- und
Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2013 - 1 S 1640/12):
"... Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports. ...
II. Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.). ...
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass
versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des
polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen
der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., §
41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich,
jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde
mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen,
dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach
der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die
Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren
Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v.
03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten
Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -
BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf
die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von
der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb
des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung
kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung ‚den Versammlungsteilnehmern' angedroht. Eine weitere Konkretisierung
des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren
Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung
und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR
341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für
die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung
der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.
Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine
unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der
Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf
geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und
sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt
haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand.
Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite ‚www.nachttanzblockade.de' verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der
Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein
nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden
Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und
gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest
ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber
die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG
nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für
ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche
Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR
1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt
haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in
Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller
Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen ‚Aktionen' entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr
der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie
etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu
Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter
Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot
darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch
die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa
Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende
eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel,
a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat
die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des
Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen
Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 -
NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe
Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands
liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von
Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger ‚Aktionsformen' mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten
Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu ‚orten' und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen.
Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die
Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein
gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am
06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben
könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und
auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte
bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne
ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für
eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse
zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung. ..."
***
„... Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat die auf nachträgliche Feststellung gerichtete Klage, dass die mit Bescheid der Beklagten vom 3. April 2012 auferlegte Beschränkung der Versammlungsstrecke der Klägerin am 14. April 2012
in X... rechtswidrig gewesen sei, abgewiesen, weil die in Streit stehende Auflage nicht zu beanstanden gewesen sei. Der auf den Widerspruch hin ergangene sogenannte Fortsetzungsfeststellungsbescheid der Landesdirektion ... vom
25. Juni 2012 könne dabei auf den in Streit stehenden Auflagenbescheid des Beklagten nicht gestaltend wirken. Streitgegenstand sei allein der Bescheid vom 3. April 2012. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe wegen einer
möglichen Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG. Die somit zulässige Klage sei jedoch nicht begründet. Der Beklagte habe sich bei seiner Auflage auf § 15 Abs. 1 SächsVersG stützen können.
Öffentlichen Äußerungen der Klägerin sei nämlich zu entnehmen gewesen, dass sie mit der von ihr angemeldeten Versammlung maßgeblich die Absicht gehabt habe, die Versammlung des Anmelders ‚Y...' (im Folgenden: Y..) durch
Blockadeaktionen zu verhindern. Dies ergebe sich aus ihrem Aufruf zum Aktionstag sowie Äußerungen im ‚Z...' vom 28. März 2012. Der dort gebrauchte Begriff des Verhinderns sei seinem Inhalt nach eindeutig darauf ausgerichtet,
die der Y.. gestattete Versammlung unmöglich zu machen; jedenfalls angesichts der erklärten Absicht der Klägerin, die Y.. zum Aufgeben zu bewegen, bleibe für ein Missverständnis kein Raum. Im Übrigen habe sie dies auch dadurch
deutlich gemacht, dass sie im Verfahren ausgeführt habe, eine kurzfristige Blockade einer anderen Versammlung müsse zulässig sein, wenn die Möglichkeit bestehe, diese Versammlung durch Seitenwege abzuleiten, und eine solche
Blockade müsse nicht zwingend zu gewaltsamen Eskalationen führen. Angesichts der Vielzahl angemeldeter Aufzüge und der Tatsache, dass im Innenstadtbereich von X... nur begrenzter Raum zur Ermöglichung aller angemeldeter
Versammlungen bestanden habe, hätten die widerstreitenden Interessen im Wege praktischer Konkordanz nur auf diese Weise ausgeglichen werden können. Es sei wenig verständlich, dass die Klägerin die im Kooperationsgespräch
angebotene Ausweichstrecke, die ihre Versammlungsstrecke sogar um 150 m verlängert hätte, ausgeschlagen habe. Es sei ihr offenbar nicht in erster Linie um das Abhalten ihrer eigenen Versammlung gegangen, sondern gerade um
eine Ver- bzw. Behinderung der Versammlung der Y... Zwar sei die Versammlungsstrecke der Klägerin schließlich um etwa die Hälfte verkürzt worden, wodurch massiv in ihre Versammlungsstrecke eingegriffen worden sei. Nur so
habe aber gewährleistet werden können, dass es nicht zu einem Zusammentreffen zwischen Versammlungsteilnehmern der Y.. und der Klägerin habe kommen können, was angesichts ihrer Verhinderungsaufrufe zu einer erheblichen
Gefährdung der Sicherheit und Ordnung hätte führen können. Der Klägerin sei es aber auch angesichts der verkürzten Strecke möglich gewesen, ihr Anliegen in Hör- und Sichtweite der Y.. vorzubringen, so dass letztlich ein
grundrechtswidriger Eingriff in ihre Versammlungsfreiheit nicht vorgelegen habe. Die von ihr erst im Widerspruchsverfahren eingeführte geplante Teilnahme an einer Mahnwache an der Erlöserkirche hätte diese Veranstaltung
gesprengt. Selbst wenn man dem Beklagten, der die Teilnahme an der Mahnwache als ‚Schutzbehauptung' gewertet habe, in der Wortwahl nicht folge, müsse der veränderte Antrag aber doch als jedenfalls verfahrensangepasst
angesehen werden, denn offensichtlich sei es der Klägerin darum gegangen, ihre Teilnehmer innerhalb der Versammlungsstrecke der Y.. unterzubringen, von wo aus jederzeit die Möglichkeit bestanden hätte, die Versammlung der Y..
zu behindern und zu blockieren. Das von der Klägerin angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (v. 18. September 2012 - 5 A 1701/11 -) betreffe lediglich das sogenannte Blockadetraining. Die
von der Klägerin geplante Verhinderung einer anderen Versammlung sei jedoch von Art. 8 Abs. 1 GG nicht geschützt.
1. Unabhängig davon, welche rechtlichen Wirkungen der in Bestandskraft erwachsene Fortsetzungsfeststellungsbescheid, mit dem der Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage zurückgewiesen worden
war, auf die Zulässigkeit der Klage hat, liegt der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vor. Solche Zweifel sind anzunehmen,
wenn der Antragsteller innerhalb der Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage stellt, dass
der Ausgang des Berufungsverfahrens zumindest als ungewiss erscheint (SächsOVG, Beschl. v. 8. Januar 2010 - 3 B 197/07 -; BVerfG, Beschl. v. 23. Juni 2000, DVBl. 2000, 1458). Der Antragsteller muss sich mit den Argumenten,
die das Verwaltungsgericht für die angegriffene Rechtsauffassung oder Sachverhaltsdarstellung und -würdigung angeführt hat, inhaltlich auseinandersetzen und aufzeigen, warum sie aus seiner Sicht nicht tragfähig sind (vgl.
SächsOVG, Beschl. v. 9. Juni 2011 - 3 A 142/11 - m. w. N.).
Die Klägerin führt in ihrer Antragsbegründung mit Schriftsatz vom 26. April 2013 hierzu an, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 SächsVersG vorgelegen hätten. Eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hätte nicht vorgelegen, wenn die Versammlungsstrecke der Klägerin die der Y.. in Höhe der ... Straße in X... gekreuzt hätte. Die ihr vorgeworfene Verhinderungs- bzw.
Blockadeabsicht sei aus den beiden vom Gericht herangezogenen Äußerungen nicht abzuleiten gewesen. Zu einer Blockade habe sie nie aufgerufen. Aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums
hätte das mehrfach benutzte Wort ‚verhindern' im Rahmen der für sie günstigsten Auslegung nur so verstanden werden können, dass die politisch Verantwortlichen zum Umdenken hätten bewegt werden sollen. Sie habe damit zum
Ausdruck bringen wollen, dass durch eine Vielzahl von Anmeldungen zu Gegendemonstrationen, unterstützt von den politisch verantwortlichen Kräften in X..., erreicht werden sollte, dass die Y.. ihre Anmeldung zurückziehen würde.
Bei einem solchen Aufruf handele es sich um ein legitimes Mittel der Politik. Der Versuch, bereits im Vorfeld einer Versammlung den Anmelder durch politisches Entgegentreten in Form der Anmeldung und Durchführung einer
Vielzahl von Gegenveranstaltungen zur Rücknahme seiner Anmeldung zu bewegen, lasse keinen Rückschluss auf die Modalitäten der tatsächlichen Durchführung der Versammlung zu. Politisch aufgebauter ‚Druck' stelle keine
Gefährdung versammlungsrechtlicher Schutzgüter dar. Auch ergebe sich aus den Stellungnahmen der Polizeidirektion ... und des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht, dass von ihr Gewalt ausgehen würde. Soweit ihre
Veranstaltung durch einzelne Extremisten aber dazu benutzt hätte werden sollen, um diese als Ausgangspunkt für Gewalttätigkeit zu missbrauchen, mache dies ihre Versammlung als Ganzes nicht unfriedlich; Maßnahmen seien direkt
gegen die einzelnen Störer zu richten gewesen. Auch aus der von ihr angeführten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten. Der vom Verwaltungsgericht
gezogene Rückschluss sei unzulässig. Vielmehr habe sie eine Blockadeabsicht immer bestritten und lediglich weiter ausgeführt, wie sich die Rechtslage im Licht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Nordrhein-Westfalen darstellen würde, wenn man mit dem Beklagten von einer Blockadeabsicht ausgegangen wäre. Nach dieser Rechtsprechung hätte es sich dann aber nur um eine Blockade gehandelt, die nicht unüberwindlich
gewesen wäre, da die Versammlungsteilnehmer der Y.. bei vorheriger Ankündigung hätten ausweichen können und es den Polizeikräften möglich gewesen wäre, auf eine sich abzeichnende Blockade unverzüglich zu reagieren. Eine
solche Blockade wäre daher versammlungsrechtlich hinzunehmen gewesen. Nach alledem lasse das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht erkennen, auf welche Tatsachen es die Annahme eines möglicherweise gewalttätigen Verlaufs
der geplanten Versammlung stütze.
Ernstliche Zweifel sind damit aber nicht geltend gemacht.
1.1 Die Auslegung des von den Veranstaltern der Versammlung der Klägerin verwandten Begriffs des ‚Verhinderns' durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden. Insbesondere lässt sich aus dem von der Klägerin hierzu
angeführten Umständen der Verlautbarungen keine andere Auslegung des Begriffs ableiten. Denn dass nur im Vorfeld der von der Y.. geplanten Versammlung politischer Druck aufgebaut werden sollte, um die politisch
Verantwortlichen zu einer anderen Haltung zu bewegen, kann ihnen nicht entnommen werden. Vielmehr ließe sich mit einer solchen Auslegung die in dem Artikel des Z... vom 26. März 2012 aufgeführte Aussage des Vorsitzenden
des Ortsvereins der ... nicht erklären, wonach er für den Fall, dass die ‚...Gegenaktion' vor der Industrie- und Handelskammer stattfinden solle, nichts Gutes ahne; des Weiteren heißt es wörtlich: ‚Dann könnte die Polizei von beiden
Seiten aus die Brücke sperren und wir stünden sozusagen auf verlorenem Posten.' Diese Äußerung lässt nur den Schluss zu, dass nicht nur im Vorfeld der Demonstrationen politischer Druck aufgebaut werden sollte, sondern auch
während der Versammlung der Y.. Gegenveranstaltungen geplant waren, deren Erfolg durch eine räumliche Trennung der Versammlungen verhindert würde. Auch die in der Verfahrensakte enthaltene Schilderung des
Versammlungsablaufs der Klägerin auf ihrer Website (Abruf aus dem Internet am 23. Mai 2012, AS 54/1, 54/2 der Verfahrensakte) führt zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Dort wird unter der Überschrift ‚...' angeführt, dass sich
die Versammlungsteilnehmer nach Beendigung der Demonstration in die Innenstadt begeben hätten, um an den anderen Kundgebungen teilzunehmen. Wörtlich heißt es weiter:
‚Einige nutzen das Mittel des zivilen Ungehorsams und besetzten kurz vor dem Eintreffen der Rechten deren Strecke. Mit einer noch nie erlebten Brutalität wurden die Demonstranten von den Polizisten weggetragen. In Hör- und
Sichtweite wurde lautstark der Protest gegen über den Rechten zum Ausdruck gebracht.
Im Fazit ist festzustellen, dass es nicht gelang, mit Sitzblockaden die Rechten am Marschieren zu hindern. Dass dies auch zum Erfolg führen kann zeigten am selben Wochenende couragierte Menschen in Neuruppin, die durch
friedliche Sitzblockaden die Rechten am Marschieren hindern konnten. Die Polizei ließ die Gegendemonstranten gewähren.'
Diese Ausführungen belegen die Richtigkeit der Auffassung von Verwaltungsgericht und Beklagtem, dass die Klägerin Sitzblockaden als Mittel der Verhinderung der Veranstaltung der Y.. billigte und sogar guthieß. Daher kann der
Klägerin auch darin nicht gefolgt werden, dass mögliche Blockadeaktionen nicht von Mitgliedern der von der Klägerin durchgeführten Versammlung ausgingen, sondern von Außenstehenden, gegen die polizeiliche Maßnahmen hätten
gerichtet werden müssen.
Nichts anderes folgt aus den von der Klägerin angeführten polizeilichen Stellungnahmen. Zwar haben die Polizeidirektion ... am 12. April 2012 (AS 182 ff. der Verfahrensakte) wie auch das Landesamt für Verfassungsschutz am
selben Tag (AS 197 ff. der Verfahrensakte) darauf hingewiesen, dass vom ‚bürgerlichen Spektrum' wohl keine Blockaden ausgehen würden. Allerdings weist die Stellungnahme der Polizeidirektion ... auch darauf hin, dass in dem
Internetaufruf der Klägerin auf die Internetadresse ... verwiesen werde, in der zur Blockade der Versammlung der Y.. aufgerufen wurde, und dass - so die Stellungnahme des Landesamtes für Verfassungsschutz - die
Gegenveranstaltungen des ‚bürgerlichen Spektrums' als Ausgangspunkt für spontane Aktionen des linken Spektrums genutzt würden. Darüber hinaus ist einer bei den Verfahrensakten (AS 190 der Verfahrensakte) enthaltenen
Information der ‚...' vom 12. April 2012 zu entnehmen, dass die Versammlung der Klägerin zu einer ‚aktiven Demonstrationsteilnahme' benutzt werden könne. Selbst wenn man - was nach alledem nicht naheliegt - mit der Klägerin
davon ausgehen könnte, dass Blockadehandlungen nur von einer als Minderheit auftretenden potentiellen Teilnehmergruppe der geplanten Versammlung, nicht aber von ihr oder ihrem Anhang selbst gedroht hätten, dürfte die von der
Klägerin angegriffene räumliche Auflage zulässig gewesen sein, da damit die in diesem Fall nur ausnahmsweise mögliche Auflösung der gesamten Versammlung (hierzu Dietel/Gientzel/Kniesel, Kommentar zum
Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 15 Rn. 38; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20. November 2008 - 1 B 5.06 -, juris Rn. 35 f. m. w. N.; grundlegend hierzu BVerfG, Beschl. v. 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 34/81 -, juris
insb. Rn. 93) hätte vermieden und aus der Versammlung der Klägerin heraus vorgenommene Blockadeaktionen effektiver hätten unterbunden werden können, als wenn sich die Versammlungsstrecken überschnitten hätten.
Demgegenüber war es der Klägerin - worauf das Verwaltungsgericht unwidersprochen hingewiesen hat - auch bei der abweichend festgelegten Versammlungsstrecke möglich, ihr Anliegen in Hör- und Sichtweite der Y.. vorzubringen.
Auch die weiteren von Verwaltungsgericht und Beklagtem angeführten, von der Klägerin im Rahmen ihres Zulassungsantrags aber nicht mehr aufgegriffenen Indizien bestärken die von ihr gerügte Auslegung durch das Gericht. Dies
gilt insbesondere für die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen im Hinblick auf die erst im Widerspruchsverfahren angegebene Absicht, an einer Mahnwache vor der Erlöserkirche teilzunehmen, die sich innerhalb der Strecke der
von der Y.. durchgeführten Versammlung befindet. Der verwaltungsgerichtlichen Feststellung, dass es sich dabei zumindest um ein verfahrensangepasstes Verhalten gehandelt habe, ist die Klägerin nicht mehr entgegengetreten.
Zusammen mit der Ablehnung der in dem Kooperationsgespräch angebotenen Alternativstrecke, deren Ende außerhalb der vorbezeichneten Versammlungsstrecke der Y.. gelegen hätte, drängt sich damit auch für den erkennenden
Senat die Annahme auf, dass mit der erst spät in das Verfahren eingeführten Absicht, an der Mahnwache teilzunehmen, in Wirklichkeit beabsichtigt war, hierdurch einen Zugang zu der Versammlungsstrecke der Y.. zu erhalten.
Angesichts der Tatsache, dass - was ebenfalls nicht in Streit steht - der Pfarrer der Erlöserkirche von der geplanten Teilnahme weder informiert war noch diese augenscheinlich wegen der hohen Teilnehmerzahl dann für durchführbar
hielt, musste sich dem Gericht sowie dem Beklagten der Schluss aufdrängen, dass diese Veranstaltung dazu benutzt werden sollte, eine plausible Erklärung für das zumindest teilweise Beharren auf der ursprünglichen
Versammlungsstrecke zu geben. Die gescheiterte Teilnahme an der Mahnwache spielte auch in der Folge keine maßgebliche Rolle mehr; dies ergibt sich auch aus der vorbezeichneten Presseerklärung und weiteren Verlautbarungen der
Klägerin nach Versammlungsende, in denen hierauf nicht mehr eingegangen wurde.
Zusammenfassend ist es daher nicht zu rügen, dass Verwaltungsgericht und Beklagter unter Heranziehung der konkreten Fallumstände nicht die von der Klägerin vertretene Auslegung des von ihr verwandten Begriffs des
‚Verhinderns' teilten.
1.2 Unterstellt, die Klägerin hätte an dem Schnittpunkt der Versammlungsstrecken auf dem Albertplatz eine Sitzblockade durchgeführt, ergibt sich hieraus nichts anderes. Dabei kann vorliegend offenbleiben, ob der erkennende Senat
der von der Klägerin hierfür herangezogenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 18. September 2012 - 5 A 1701/11 -, juris insb. Rn. 73) folgt. Denn selbst unter Zugrundelegung der
dort vertretenen Auffassung, dass eine grobe Störung gemäß des hier heranzuziehenden § 22 SächsVersG nur bei einer unüberwindlichen Blockade von nicht unerheblicher Dauer, die nicht ohne weiteres umgangen werden könne,
vorliegen würde, wäre die vom Verwaltungsgericht gebilligte Auflage nicht zu beanstanden sein. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen (a. a. O.) hat als Abgrenzungselemente hierfür die Dauer und Intensität
der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und den Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand angeführt. Auch unter Zugrundelegung dieser
Kriterien wäre eine auf dem Schnittpunkt der Versammlungsstrecken zu befürchtende Blockade rechtlich nicht hinzunehmen gewesen.
Der Beklagte hat hierzu in seinem Schriftsatz vom 11. Juni 2013 unter Beifügung eines Kartenausschnitts der Stadt X... ohne weiteres nachvollziehbar und von der Klägerin auch nicht mehr bestritten angeführt, dass die
Versammlungsteilnehmer der Y.. nicht mehr hätten ausweichen können, weil es sich bei den Straßen längs der Strecke ausschließlich um Wohngebietsstraßen handelt, die von den Polizeikräften und dem Lautsprecherwagen der Y..
nicht hätten befahren werden können. Auch wäre eine solche Blockadeaktion - anders als es die Klägerin meint - nicht so rechtzeitig angekündigt worden, dass Umgehungsmöglichkeiten hätten geplant werden können. Denn die
öffentlichen Aufrufe, die Versammlung der Y.. zu verhindern, ließen keine örtliche oder räumliche Konkretisierung möglicherweise geplanter Blockadeaktionen zu. Bei Zulassung der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren
angestrebten Versammlungsstrecke wäre es dieser vielmehr ohne weiteres möglich gewesen, von der zentralen Stelle an der Erlöserkirche die Versammlung der Y.. - worauf das Gericht ebenfalls nachvollziehbar und unwidersprochen
hingewiesen hat - an beliebigen Stellen spontan zu erreichen. Nachdem daher auch die vom Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen aufgestellten Kriterien vorliegend nicht erfüllt sind, handelt es sich bei den der
Klägerin unterstellten Blockadeaktionen um solche, die unstrittig den Tatbestand des § 22 SächsVersG erfüllt hätten und damit den Beklagten zu dem Erlass der in Streit stehenden Auflage berechtigten.
2. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Dies wäre dann der Fall, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht entschiedene
Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich im erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 10. April 2008 - 3 B 758/05 -; st. Rspr.). Eine solche Frage hat die Klägerin aber nicht aufgeworfen.
Sie führt hierzu an, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Feststellung, zur Bejahung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 SächsVersG sei ausreichend, dass eine Verhinderungs- bzw.
/Blockadeabsicht bestünde, von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen abweiche. Mit diesem Vorbringen ist aber keine konkrete Frage aufgeworfen. Selbst wenn aus der Darstellung einer
angeblichen Abweichung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung von der des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen die Frage abgeleitet werden könnte, ob die bloße Ankündigung, eine andere Versammlung
verhindern zu wollen, ausreiche, um die zur Erteilung einer Auflage gemäß § 15 Abs. 1 SächsVersG erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu bejahen, wäre darüber hinaus deren Klärungsbedürftigkeit nicht
dargetan. Denn diese Frage könnte nicht mit allgemeiner Wirkung geklärt werden. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich nämlich darauf hingewiesen, dass auch nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen die Grenze zu einem strafbaren Rechtsbruch dann überschritten wäre, wenn eine nicht verbotene rechtsextreme Versammlung in Verhinderungsabsicht grob gestört würde. Ob dies der Fall gewesen wäre, ließe
sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls klären. Eine generalisierende Beantwortung wäre aber nicht möglich. ..." (OVG Sachsen, Beschluss vom 02.07.2013 - 3 A 278/13).
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Für die Erteilung eines polizeirechtlichen Aufenthaltsverbotes müssen konkrete Tatsachen vorliegen, aus denen mit der erforderlichen Sicherheit auf die bevorstehende Begehung von Straftaten gerade durch die betreffende Person
geschlossen werden kann. Beschränkungen der Versammlungsteilnahme sind auch im Vorfeld einer Versammlung nur mit Hilfe der versammlungsgesetzlich geregelten teilnehmerbezogenen Maßnahmen rechtlich möglich. Ergeht
eine solche Anordnung nicht, ist ein polizeirechtliches Aufenthaltsverbot, das in der Sache zu dem Verlust des Teilnahmerechts an einer Versammlung führt, nicht zulässig (OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.06.2013 - 11 LA 27/13).
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„... Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Beschränkungen in Nr. 5.1, 5.2 und 6 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27.
Juni 2013. In Nr. 5.1 des Bescheids (Beschränkung der technischen Schallverstärkung) wird im Wesentlichen die Einsatzdauer der technischen Schallverstärkung auf drei 10-Minuten-Blöcke pro Stunde beschränkt, in Nr. 5.2
(Gesamtlautstärke) wird die Lautstärke auf einen Höchstwert von 85 dB(A) - gemessen 5 m vor der Mündung des Schalltrichters des Megaphons - festgelegt. Unter Nr. 6 des Bescheides vom 27. Juni 2013 wird das Fotografieren
(Bild- oder Videoaufnahmen) von Gegendemonstranten, opponierenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern bzw. unbeteiligten Personen verboten, es sei denn, die Foto- oder Videoaufnahmen erfolgten mit ausdrücklicher Einwilligung
der betroffenen Personen.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist,
rechtfertigen nicht die begehrte Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt hinsichtlich aller angefochtenen Beschränkungen im
Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Beschränkungen das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ihrer Klage überwiegt.
Der Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) umfasst insbesondere auch die Selbstbestimmung hinsichtlich Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung (BVerfGE 69, 315/343). Erfasst sind damit alle
versammlungsbezogenen Verhaltensweisen, insbesondere auch solche, die auf eine größtmögliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerichtet sind. Das Selbstbestimmungsrecht erübrigt andererseits nicht die Abwägung mit
kollidierenden Interessen Dritter. Diese liegt vielmehr in der staatlichen Verantwortung einer verfassungskonformen Schrankenziehung insbesondere auch durch Auflagen bzw. Beschränkungen der Versammlung (vgl. Schneider in
Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 15.5.2013, Art. 8 Rn. 17 mit Rspr.-nachweisen).
Demgemäß kann die Antragsgegnerin als zuständige Behörde die Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter öffentlicher Sicherheit in diesem Sinne sind u. a. der Schutz zentraler Rechtsgüter und kollidierender Rechte wie zum Beispiel die Gesundheit Dritter,
das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Ruhebedürfnis der Anwohner, die grundrechtlich geschützten wirtschaftlichen Interessen umliegender Geschäfte und gastronomischer Betriebe (Art. 12 und 14 GG) sowie das allgemeine
Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eigenen Bild (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Dritter zu verstehen (vgl. dazu Merk/Wächtler in Wächtler, Heinhold, Merck, Bayerisches Versammlungsgesetz, Kommentar, Art. 15 Rn. 8 ff.).
Die Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG sind aber nur dann erfüllt, wenn bei der anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass bei der Durchführung der konkreten Versammlung von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und damit der oben angeführten Schutzgüter und Rechte Dritter ausgegangen werden kann; bloße
Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BayVGH, B.v. 12.4.2013 - 10 CS 13.787).
Gemessen daran ist die von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid angestellte und vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung nachvollzogene Prognose, dass bei der Durchführung der konkreten Versammlung die
unmittelbare Gefahr bestehe, dass von Versammlungsteilnehmern oder deren Helfern gefertigte Fotografien oder Videoaufnahmen im Internet verbreitet und zur Abschreckung oder Bloßstellung opponierender Teilnehmer oder
Gegendemonstranten verwendet würden, nicht zu beanstanden. Dadurch würde aber, ohne dass die Anfertigung solcher Aufnahmen einen inneren Bezug zur Versammlung der Antragstellerin selbst aufweist, in schwerwiegender
Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild der Betroffenen sowie gegebenenfalls in das ebenfalls geschützte Versammlungsrecht der Gegendemonstranten eingegriffen. Der Einwand der Beschwerde,
dies sei schon aus Gründen des Selbstschutzes der Teilnehmer der Versammlung der Antragstellerin vor Straftaten und gravierenden Belästigungen durch Dritte erforderlich, greift nicht durch. Denn insoweit obliegt es der Polizei, die
offensichtlich bei den bisherigen Versammlungen der Antragstellerin auch immer vor Ort war, Straftaten oder sonstige im Einzelfall bestehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und insbesondere die Teilnehmer der geschützten
Versammlung der Antragstellerin abzuwehren (s. Art. 2 PAG); einer Selbsthilfe durch die Versammlungsteilnehmer bedarf es hier nicht. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das Fotografieren unbeteiligter Dritter, von
Gegendemonstranten oder „opponierenden Versammlungsteilnehmern" auch nicht gemäß § 23 KunstUrhG ausnahmsweise erlaubt, da insoweit jedenfalls ein erhebliches berechtigtes Interesse des Abgebildeten im Sinne des § 23 Abs.
2 KunstUrhG zu berücksichtigen ist. Das in Nr. 6 des Bescheids der Antragsgegnerin verfügte Fotografierverbot ist bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung darüber hinaus weder ermessensfehlerhaft noch
verstößt es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es gerade nicht ein umfassendes Fotografierverbot enthält, sondern es ermöglicht, dass die Versammlungsteilnehmer von ihrer Versammlung selbst Bildaufnahmen zur
Dokumentation anfertigen können.
Bezüglich der von der Antragsgegnerin in Nr. 5.1 und 5.2 des streitbefangenen Bescheids verfügten Lärmschutzbeschränkungen lassen sich nach Auffassung des Senats die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren dagegen
nicht so eindeutig bestimmen. Denn zum einen stellt gerade die in Nr. 5.1 getroffene zeitliche Beschränkung der Verwendung einer technischen Schallverstärkung durch ein Megaphon angesichts der konkreten Örtlichkeit der hier
allein streitgegenständlichen Versammlung am Marienplatz in München und bei dem dort vorhandenen allgemeinen Umgebungslärm eine durchaus gravierende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit und der dadurch geschützten
Außenwirkung und -kommunikation der Versammlung dar. Dazu kommt, dass möglicherweise wie bei derartigen Versammlungen in der Vergangenheit wieder mit lautstarken (Missfallens-)Bekundungen von Gegendemonstranten zu
rechnen ist, was die Kommunikation der Versammlung nach außen ebenfalls erschwert. Demgegenüber stehen andererseits - wie oben dargelegt - auch gewichtige Rechte der Anwohner, Kunden und Inhaber der anliegenden Geschäfte
sowie der Betreiber und Gäste der umliegenden Gastronomiebetriebe. Den insoweit erhobenen und im Beschwerdeverfahren wiederholten Einwand der Antragstellerin, bei den getroffenen Beschränkungen der Lautstärke sei die mit
der Versammlung bezweckte Außenwirkung und Kommunikation schon akustisch überhaupt nicht mehr möglich, hat das Verwaltungsgericht zu Recht als nicht hinreichend substantiiert erachtet und zutreffend darauf verwiesen, dass
erforderlichenfalls auch insoweit polizeiliche Maßnahmen gegen unzumutbare Störungen der Versammlung der Antragstellerin durch Gegendemonstranten getroffen werden könnten und müssten. Allein die Vorlage eines
Online-Zeitungsberichts, wonach die Teilnehmer einer Versammlung der Antragstellerin aufgrund der lautstarken Gegendemonstranten nicht mehr zu verstehen gewesen seien, und die unsubstantiierte Behauptung, die Polizei vor Ort
konzentriere sich nur auf die Versammlung der Antragstellerin und nicht auf Störungen durch Gegendemonstranten, sind (noch) nicht geeignet, bereits eine unzumutbare Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit der Antragstellerin
nachvollziehbar darzulegen.
Dass die Festlegung der Gesamtlautstärke in Nr. 5.2 des Bescheids auf einen Höchstwert von 85 dB(A) aus Gesundheitsschutzgründen eine grundsätzlich zulässige Beschränkung der Versammlung ist, hat bereits das
Verwaltungsgericht mit nachvollziehbarer und im Hinblick auf die in Bezug genommenen Arbeitsschutzvorschriften schlüssiger Begründung dargelegt.
Auch wenn der Senat bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung der Sach-und Rechtslage letztlich keine sichere oder eindeutige Aussage darüber zu treffen vermag, ob die durch die Antragsgegnerin verfügten beiden
Beschränkungen zum Lärmschutz insbesondere in ihrer Kombination und in der konkreten örtlichen Situation die Antragstellerin tatsächlich in zumutbarer und damit verhältnismäßiger Weise in ihrem Selbstbestimmungsrecht
einschränken, überwiegt gleichwohl das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung auch dieser Beschränkungen. Denn mit Blick auf die Häufigkeit und vor allem die lange Dauer der stationären Versammlungen der
Antragstellerin erscheint das öffentliche Interesse am Schutz der gewichtigen Rechtsgüter betroffener Dritter hier vorrangig. ..." (BayVGH, Beschluss vom 28.06.2013 - 10 CS 13.1356)
***
Oberbürgermeister (Bürgermeister) hessischer Städte und Gemeinden sind mit Rücksicht auf ihre Funktion als Versammlungsbehörde und ihre daraus resultierende Neutralitätspflicht nicht befugt, anlässlich bei ihnen angemeldeter
Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzüge öffentlich zur Teilnahme an Gegendemonstrationen aufzurufen (VGH, Beschluss vom 03.05.2013 - 8 A 772/13.Z).
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„... I. Unter Abänderung der Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. April 2013 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 11. April
2013 insoweit angeordnet, als in Nr. II.5.1 des Bescheides den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern untersagt wird, während der sich fortbewegenden Versammlung Fahnen und Transparente parallel zur Zugrichtung
mitzuführen. ...
Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner (wohl noch zu erhebenden) Klage gegen eine Beschränkung in Nr. II.5.1 des Bescheids der
Antragsgegnerin vom 11. April 2013, mit dem die Anzeige einer vom Antragsteller als Aufzug geplanten Versammlung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin am 13. April 2013 zum Thema „Gegen Naziterror, staatlichen und
alltäglichen Rassismus, Verfassungsschutz abschaffen, gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, gegen Nationalismus" bestätigt wird. Nr. II.5.1 des Bescheids lautet, soweit sich der Antragsteller dagegen wendet: „Den
Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern wird untersagt, während der sich fortbewegenden Versammlung Fahnen und Transparente parallel zur Zugrichtung mitzuführen."
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung
des angefochtenen Beschlusses. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Beschränkung überwiegt und daher die aufschiebende Wirkung im beantragten Umfang anzuordnen ist. Denn die angegriffene Beschränkung, die den
Versammlungsteilnehmern das Mitführen von Fahnen und Transparenten in Zugrichtung untersagt, wird sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen.
Zwar kann die Antragsgegnerin als zuständige Behörde die Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, weil von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der
Versammlung nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht ausgegangen werden kann.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG anzustellenden Gefahrenprognose auch beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen
Anforderungen gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerfG,
B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt dabei bei der Behörde (vgl.
BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 19). Dementsprechend kann auch das Mitführen von Transparenten und Fahnen parallel zur Zugrichtung nicht allein wegen der
allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern untersagt werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2005 - 24 CS 05.3215 - juris Rn. 21; B.v. 5.2.2004 - 24 CS 04.347 - juris Rn. 16, U.v. 3.11.1997
- 24 B 95.3713 - juris Rn. 55 ff.). Es bedarf vielmehr auch insoweit konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen der Transparente die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar
gefährdet. Nach diesen Maßstäben kann die angegriffene Beschränkung aber auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht gestützt werden. Denn die polizeiliche Gefahrenprognose, auf die sich die Antragsgegnerin zu ihrer Begründung beruft,
enthält keine ausreichenden konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass von der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehen wird,
die die angegriffene Beschränkung rechtfertigen könnte.
Soweit die Polizei davon ausgeht, dass aufgrund der Aufrufe zur Versammlungsteilnahme auch eine große Zahl von Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen wird, die dem linksextremistischen Spektrum und teilweise
auch gewaltbereiten Gruppen zuzuordnen sind, ist dies nicht durch hinreichende konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte belegt. Insbesondere ist der polizeilichen Gefahrenprognose nicht zu entnehmen, um welche
Personen oder Personengruppen es sich im Einzelnen handelt und dass von ihnen auch im Rahmen der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung unter dem Schutz seitlich mitgeführter Transparente Straftaten begangen werden
könnten. Vielmehr handelt es sich bei der daran anknüpfenden Gefahrenprognose um eine bloße Vermutung. Dementsprechend geht die Polizei in ihrer Gefahrenprognose vom 25. März 2013 selbst davon aus, dass konkrete
Hinweise auf gewalttätige Ausschreitungen nicht vorliegen. Solche Hinweise ergeben sich im Übrigen auch nicht daraus, dass in den letzten Tagen durch eine Reihe von mit Sachbeschädigung einhergehenden Grafitti im Stadtgebiet
auf die Versammlung am 13. April 2013 aufmerksam gemacht worden ist. Denn dieses strafbare Verhalten rechtfertigt ebenfalls keinen Schluss auf die Teilnahme gewaltbereiter Personen, die unter dem Schutz von
Seitentransparenten Straftaten begehen werden.
Tatsächliche Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lassen sich auch nicht aus den im Internet veröffentlichten Versammlungsaufrufen gewinnen. Zum einen enthalten diese, wie die Polizei selbst
darlegt, keine direkten Aufrufe zur Gewalt. Zum anderen lassen sich aus ihnen auch nicht deshalb konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte für zu erwartende Gewalttätigkeiten gegenüber der Polizei entnehmen, weil darin Kritik
an Polizei und Verfassungsschutz im Hinblick auf die Aufklärung der NSU-Morde geübt wird. Selbst aus in scharfer Form geübter Kritik an polizeilichem Handeln lässt sich nicht schließen, dass die Teilnehmer an der Demonstration
des Antragstellers deshalb Tätlichkeiten gegenüber den die Versammlung begleitenden Polizeibeamten begehen werden.
Soweit die Prognose, von der Versammlung gehe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, darauf gestützt wird, dass die Teilnahme von Personen aus dem linksextremistischen Spektrum und dem autonomen
Bereich zu erwarten sei, die während der Demonstration anlässlich der Sicherheitskonferenz am 2. Februar 2013 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin mehrere pyrotechnische Gegenstände im Schutz der Seitentransparente abgebrannt
und anschließend glimmend aus dem schwarzen Block geworfen hätten, liegen dem ebenfalls keine ausreichenden konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte zugrunde, die die angegriffene Beschränkung
rechtfertigen könnten.
Zwar können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden. Dies gilt aber nur, soweit die früheren Versammlungen
bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 17 m.w.N.). Von einer
derartigen Ähnlichkeit der Versammlungen kann hier jedoch nicht ausgegangen werden.
Das Motto der Demonstration anlässlich der Sicherheitskonferenz steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der vom Antragsteller geplanten Versammlung aus Anlass des bevorstehenden NSU-Prozesses. Auch besteht
allenfalls eine partielle Übereinstimmung des Teilnehmer- und keine Übereinstimmung des Organisatorenkreises. Insbesondere umfasst der Teilnehmerkreis der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung die unterschiedlichsten
gesellschaftlichen Gruppen und damit ein deutlich weiteres Spektrum von Teilnehmern als die Demonstration anlässlich der Sicherheitskonferenz. Soweit die Polizei von einer teilweisen Übereinstimmung des Teilnehmerkreises
ausgeht, ist auch dies nicht durch konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte belegt, aus denen sich ergibt, um welche Personen oder Gruppierungen es sich im Einzelnen handelt. Insbesondere benennen schließlich
weder die Polizei noch die Antragsgegnerin konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Täter, die bei der Demonstration am 2. Februar 2013 im Schutz der mitgeführten Seitentransparente pyrotechnische Gegenstände abgebrannt haben
und gegen die deshalb Ermittlungsverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung eingeleitet wurden, auch an der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung teilnehmen werden. ..." (BayVGH, Beschluss vom
12.04.2013 - 10 CS 13.787)
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Zum Verbot einer Versammlung am Volkstrauertag (hier: Trauermarsch der NPD von Haßloch zu einem Gedenkstein bei Böhl-Iggelheim; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.03.2013 - 7 A 11277/12):
„... Bei Durchführung des für den Volkstrauertag angemeldeten Trauermarsches in seiner konkreten Ausgestaltung wäre es zu einem Verstoß gegen § 6 Nr. 1 LFtG als Teil der Rechtsordnung gekommen, so dass die öffentliche
Sicherheit unmittelbar gefährdet war.
Nach § 6 Nr. 1 LFtG sind am Karfreitag, am Totensonntag und am Volkstrauertag jeweils ab 4:00 Uhr - unbeschadet der §§ 3 bis 5 LFtG, die das allgemeine Arbeitsverbot und den Schutz der Gottesdienste an Sonntagen und
gesetzlichen Feiertagen betreffen - öffentliche Versammlungen, Aufzüge und Umzüge, soweit sie nicht der Religionsausübung dienen oder dem Charakter des Feiertags entsprechen, verboten.
Hinsichtlich des Charakters des Volkstrauertags ist von Folgendem auszugehen: Das rheinland-pfälzische Feiertagsgesetz konkretisiert den verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 Weimarer Reichsverfassung und in
Art. 47 der Verfassung für Rheinland-Pfalz normierten Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe (vgl. OVG RP, Urteil vom 16. November 2011 - 6 A 10584/11.OVG -, juris, Rn. 19 ff.). Es enthält über den allgemeinen Schutz der Sonn-
und Feiertage nach §§ 3 bis 5 LFtG hinaus in der genannten Bestimmung des § 6 Nr. 1 LFtG eine spezielle Regelung für Versammlungen unter anderem am Volkstrauertag - neben dem Verbot von Sport- und Tanzveranstaltungen
nach §§ 7 und 8 LFtG -, wodurch dieser Tag besonders geschützt wird. Der Volkstrauertag ist - wie im hessischen Feiertagsgesetz ausdrücklich bestimmt ist und im rheinland-pfälzischen Feiertagsgesetz ersichtlich als bekannt
vorausgesetzt wird - ein staatlicher Gedenktag am zweiten Sonntag vor dem 1. Advent für die Toten der beiden Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus. Er gehört zu den wenigen stillen Feiertagen, die nach ihrem Charakter
Anlass und Anhalt für ein stilles Gedenken und Trauer um die Verstorbenen geben (vgl. OVG Brandenburg, NVwZ 2003, 623 [624] zum Volkstrauertag und Beschluss des Senats vom 24. November 2006 - 7 B 11487/06.OVG -, juris,
Rn. 4 = AS 34, 73 zum Totensonntag). Sein Charakter als Tag der Trauer und des stillen Totengedenkens soll durch § 6 Nr. 1 LFtG besonders geschützt werden.
Allerdings muss bei der Auslegung des § 6 Nr. 1 LFtG, durch den das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG beschränkt wird, die Bedeutung dieses Grundrechts hinreichend berücksichtigt werden. Daher kann
eine öffentliche Versammlung am Volkstrauertag nur verboten werden, wenn sie dessen Charakter als Trauer- und Gedenktag nicht bloß geringfügig widerspricht (vgl. Beschluss des Senats vom 24. November 2006, a.a.O., Rn. 5).
Hiervon ausgehend widersprach der vom Kläger angemeldete Trauermarsch in seiner konkreten Ausgestaltung dem Charakter des Volkstrauertags bereits deshalb erheblich, weil die während der mehrstündigen Versammlung
vorgesehene Verwendung eines Handmegaphons, einer transportablen Lautsprecheranlage und eines Lautsprecherfahrzeugs nicht zu Trauer und stillem Totengedenken beitrugen, sondern im Gegenteil das Gedenken der Bevölkerung
empfindlich störten. In seiner konkreten Ausgestaltung verstieß der Trauermarsch demnach gegen § 6 Nr. 1 LFtG.
b) Das vom Beklagten angeordnete Verbot des Trauermarschs war jedoch unverhältnismäßig und somit rechtswidrig. Ein Verbot einer Versammlung setzt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit voraus, dass das mildere Mittel
der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist; ein Verbot kommt mithin erst als letztes Mittel („ultima ratio") zur Gefahrenabwehr in Betracht (vgl. BVerfGE 69, 315 [353]). Im vorliegenden Fall hätten der genannte Verstoß gegen § 6 Nr. 1
LFtG ebenso wie etwaige weitere Verstöße und die dadurch begründete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch beschränkende Verfügungen (Auflagen) abgewehrt werden können.
Der Trauermarsch als solcher widersprach nicht dem Charakter des Volkstrauertags und verstieß daher nicht gegen § 6 Nr. 1 LFtG.
Nach Angaben des Klägers in der Anmeldung sollte der Trauermarsch anlässlich des Volkstrauertags zum Gedenken an die in den Kriegen gefallenen Soldaten und Zivilisten sowie die in Böhl-Iggelheim umgekommenen deutschen
Gefangenen des dortigen alliierten Gefangenenlagers stattfinden. Der Trauermarsch hatte demnach einen inhaltlichen Bezug zum Volkstrauertag und zum Gedenken an die Toten der beiden Weltkriege. Er entsprach daher nach seinem
Anlass in jedem Fall dem Charakter des Feiertags. Dies gilt zumindest auch für einen Teil der vorgesehenen Transparentbeschriftungen, wie etwa „Wir gedenken der Opfer des 1. und 2. Weltkriegs" oder „Wir vergessen nie".
Es bedarf daher keiner Entscheidung, inwieweit eine öffentliche Versammlung nicht dem Charakter des Volkstrauertags entspricht, die einen solchen inhaltlichen Bezug nicht hat, und inwieweit die vom Kläger vorgesehenen
Transparente und Flugblätter dem Charakter des Tages widersprachen. Selbst wenn dies teilweise der Fall gewesen sein sollte, hätte insoweit der Erlass einer diesbezüglichen Auflage ausgereicht, um eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit durch einen Verstoß gegen § 6 Nr. 1 LFtG abzuwehren, wie der Beklagte letztlich selbst in der mündlichen Verhandlung des Senats eingeräumt hat. So hat im Übrigen auch der benachbarte Rhein-Pfalz-Kreis in seinem
Auflagenbescheid vom 10. November 2011 zur Trauerkundgebung des Klägers am Gedenkstein bei Böhl-Iggelheim verfügt, dass Reden, Transparente und zur Verteilung vorgesehene Druckwerke nach ihrem Inhalt dem Charakter
des Volkstrauertages, der ein Tag der Trauer, des Totengedenkens und der inneren Einkehr sei, zu entsprechen hätten.
Allein der Umstand, dass es sich bei dem Trauermarsch nicht um eine ortsfeste öffentliche Versammlung, sondern um einen Aufzug handelte, rechtfertigte nicht die Annahme, er widerspreche dem Charakter des Volkstrauertags.
Aufzüge sind ebenso wie ortsfeste Versammlungen nach § 6 Nr. 1 LFtG nicht generell an stillen Feiertagen wie dem Volkstrauertag verboten, sondern nur dann, wenn sie dem Charakter des Feiertags widersprechen. Daher kann die
mit einem Aufzug verbundene öffentliche Aufmerksamkeit, die oftmals höher als bei einer ortsfesten Versammlung ist, als solche einen Widerspruch zum Charakter des Volkstrauertags nicht begründen und daher ein Verbot nicht rechtfertigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem oben bereits genannten Beschluss des Senats vom 24. November 2006 (AS 34, 73), worin vorläufiger Rechtsschutz gegen das Verbot einer ortsfesten Kundgebung am Totensonntag unter
Auflagen gewährt wurde, nicht jedoch gegen das Verbot eines Aufzugs durch eine Gemeinde am selben Tag. Diese Entscheidung ist nicht dahingehend zu verstehen, dass Aufzüge durch eine Gemeinde an stillen Feiertagen wie dem
Totensonntag oder dem Volkstrauertag im Gegensatz zu einer ortsfesten Versammlung für sich genommen schon dem Charakter des Feiertags widersprechen. Der Senat hat vielmehr Auflagen als milderes Mittel gegenüber einem
Verbot nur bezüglich der ortsfesten Kundgebung geprüft, weil bezüglich des Aufzugs durch die Gemeinde nicht erkennbar war, dass der Antragsteller an der Durchführung des Aufzugs auch ohne die von ihm beabsichtigte
Verwendung von Lautsprechern, Flugblättern und Transparenten - zum Beispiel mit der Aufschrift „Multikultur ist Völkermord" - interessiert gewesen wäre.
Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem damaligen. Hier hat der Kläger bereits im Kooperationsgespräch mit dem Beklagten deutlich gemacht, dass für ihn der angemeldete Trauermarsch auch mit reduzierten
Hilfsmitteln sinnvoll bliebe. Er hat hierbei erklärt, auf den Trauermarsch mit Eröffnungskundgebung zu bestehen. Dabei könnten jedoch auch nur zwei schwarze Fahnen, ein Lautsprecher und ein Transparent mitgeführt werden. In der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigt, dass Kern seines Anliegens der angemeldete Trauermarsch gewesen sei. Die Versammlung hätte für den Kläger auch ohne die in der
Anmeldung angegebenen Hilfsmittel sinnvoll durchgeführt werden können. Unverzichtbar seien für ihn nur die zwei schwarzen Fahnen und ein Transparent gewesen, damit der Aufzug und sein Anliegen auf der Wegstrecke von
Außenstehenden hätten wahrgenommen werden können. Vor diesem Hintergrund konnte nicht angenommen werden, beschränkende Auflagen wären als milderes Mittel zur Beseitigung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
ausgeschieden, weil durch sie der Charakter der Versammlung erheblich verändert worden wäre (vgl. hierzu auch BVerfG, NVwZ 2003, 601 [602]).
Schließlich verstieß der Trauermarsch auch entgegen der Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts nicht deshalb gegen den Charakter des Volkstrauertags, weil bei seiner Durchführung mit einem größeren Aufgebot an
Polizeikräften im Umfeld des Aufzugs hätte gerechnet werden müssen, so dass eine empfindliche Störung der Feiertagsruhe zu befürchten gewesen wäre.
Soweit der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid bezüglich der Erforderlichkeit eines größeren Polizeiaufgebots darauf verwies, dass nach seinem Kenntnisstand mit Gegendemonstrationen zu rechnen gewesen sei, fehlt es bereits
an tatsächlichen Feststellungen des Beklagten zu dieser Annahme, die von ihm auch nicht nachgereicht wurden, nachdem der Kläger deren Fehlen im erstinstanzlichen Verfahren gerügt hatte. Tatsächlich gab es nach Angaben des
Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Senats keine Gegendemonstrationen. Selbst wenn bei Versammlungen des Klägers, einem Kreisverband der NPD, grundsätzlich Gegendemonstrationen zu erwarten wären, rechtfertigten
diese nicht ohne weiteres ein Verbot des Trauermarschs des Klägers. Entspricht dieser für sich genommen dem Charakter des Feiertags und bedarf es nur wegen Gegendemonstranten - etwa im Hinblick auf ihre Anzahl und ihr
(unfriedliches) Verhalten - eines größeren Polizeiaufgebots, so geht die Störung der Feiertagsruhe von den Gegendemonstranten aus und kann dem Kläger nicht zugerechnet werden.
Soweit der Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung des Senats ebenso wie das Verwaltungsgericht die Erforderlichkeit eines größeren Polizeiaufgebots damit begründet, dass der Aufzug über längere Zeit verkehrslenkend
von der Polizei hätte begleitet werden müssen, zum Beispiel durch Sicherung der Wegstrecke und Umleiten des Verkehrs, so ist dies schon in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Zum einen handelte es sich um einen Aufzug
mit vergleichsweise wenigen Teilnehmern. Der Kläger erwartete etwa 40 Personen, nach Angaben des Beklagten kamen tatsächlich etwa 60 Personen. Zum anderen führte der Aufzug nur zum Teil durch die Gemeinde Haßloch, zu
einem großen Teil jedoch außerhalb der Gemeinde über einen Rad- und Fußweg entlang der Landstraße L 532 nach Böhl-Iggelheim. Wieso es bei diesen Gegebenheiten eines größeren Aufgebots an Polizeikräften zur Lenkung des
Verkehrs bedurft haben sollte, ist weder vom Beklagten näher erläutert noch sonst ersichtlich.
Unabhängig davon vermag der Senat der Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts auch in rechtlicher Hinsicht nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommen nämlich
Versammlungsverbote allein aus verkehrstechnischen Gründen umso weniger in Betracht, als in aller Regel ein Nebeneinander der Straßenbenutzung durch Versammlungsteilnehmer und fließenden Verkehr durch Auflagen
erreichbar ist (vgl. BVerfGE 69, 315 [353]). Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies hier nicht möglich gewesen wäre. Es kann daher offenbleiben, ob im Hinblick auf den besonderen Schutz der stillen Feiertage wie des Volkstrauertags
nach § 6 Nr. 1 LFtG etwas anderes in Fällen gilt, in denen eine Versammlung oder ein Aufzug mit vielen Teilnehmern in einer kleinen Gemeinde durchgeführt werden soll. Denn ein solcher Fall lag hier nicht vor.
Sofern in dem angegriffenen Bescheid neben der öffentlichen Sicherheit auch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesprochen wird, enthält die weitere Begründung des Bescheids keine tatsächlichen
Feststellungen oder sonstigen Ausführungen hierzu. Es sind auch keine tatsächlichen Umstände ersichtlich, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung begründen und ein hierauf gestütztes Verbot des Trauermarschs
rechtfertigten könnten. ..."
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Zur zeitlichen Verlegung einer Versammlung der NPD vom 27. auf den 28. Januar (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.12.2012 - 7 A 10821/12):
„... 2. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2012 war rechtmäßig.
Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersG - kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zurzeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Unter Berücksichtigung des in Art. 8 GG gewährleisteten Grundrechts der Versammlungsfreiheit und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt von
ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird, im allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (vgl. BVerfGE, 69, 315 [352 f.]; 111, 147 [157]).
Bei der zeitlichen Verlegung der für den 27. Januar 2012 angemeldeten Versammlung auf den 28. Januar 2012 handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin im vorliegenden Fall nicht um ein Verbot der Versammlung,
sondern um eine beschränkende Verfügung (Auflage).
Ob die zeitliche Verlegung einer Versammlung um einen Tag lediglich als Auflage und nicht als Versammlungsverbot zu qualifizieren ist, bemisst sich in erster Linie nach dem Bezug des Versammlungsziels zu dem
angemeldeten Tag. Ist Ziel der Versammlung, auf die besondere Bedeutung des angemeldeten Tages hinzuweisen, kommt die Verlegung der Versammlung auch nur um einen Tag einem Verbot gleich, weil die
Versammlung letztlich ihres wesentlichen Inhalts und ihrer zentralen Zielsetzung beraubt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 24 CS 05.1160 -, juris, Rn. 15 zu einer für den 8. Mai angemeldet Versammlung mit
dem Thema "Tag der Ehre, nicht der Befreiung"). Gleiches dürfte gelten, wenn das Ziel der Versammlung einen vergleichbar besonderen Bezug zum angemeldeten Tag hat.
Ein solcher besonderer Bezug des Versammlungsziels zum 27. Januar 2012 ist hier nicht erkennbar. Er ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass am 27. Januar 2012 der Börsenexperte Prof. O. im Bischöflichen
Priesterseminar in Trier einen Vortrag mit dem Titel "Von der Finanz- zur Eurokrise" gehalten hat. Das Motto der Versammlung der Klägerin nahm zwar ebenfalls auf das Thema der Finanz- und Eurokrise Bezug. Dieses Thema stand
aber seinerzeit - und steht auch gegenwärtig - unabhängig von dem genannten Vortrag am 27. Januar 2012 im Fokus der öffentlichen Diskussion. Dem Vortrag kam ersichtlich im Rahmen der seit längerer Zeit andauernden Finanz-
und Eurokrise kein solches Gewicht zu, dass eine Versammlung zu diesem Thema nur am Tag des Vortrags hätte stattfinden können, ohne ihres zentralen Ziels beraubt zu werden. Es war daher zu erwarten, dass einer
Auseinandersetzung der Klägerin mit den Thesen von Prof. O. und der Vorstellung ihres eigenen wirtschaftlichen Programms auch am Folgetag ähnliche Beachtung in der Öffentlichkeit geschenkt worden wäre wie am Tag des
Vortrags selbst. Dies gilt umso mehr, als der Vortrag in einem geschlossenen Raum mit begrenzter Zuhörerschaft stattfand und derartige Vorträge ihre volle Außenwirksamkeit regelmäßig erst durch eine anschließende
Presseberichterstattung entfalten. Die Versammlung der Klägerin war auch ersichtlich keine Protest- oder Gegendemonstration zu dem Vortrag von Prof. O.. Ihre zeitliche Verlegung kommt nach alledem einem Verbot nicht gleich
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2012 - 1 BvQ 4/12 -, juris, Rn. 10; Beschluss des Senats vom 27. Januar 2012 - 7 B 10102/12.OVG -, juris, Rn. 8 f.).
Die von der Beklagten verfügte Auflage einer zeitlichen Verlegung der angemeldeten Versammlung vom 27. auf den 28. Januar 2012 konnte rechtsfehlerfrei auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung gestützt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 15 Abs. 1 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots auch zur
Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So kann die öffentliche Ordnung
verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Tag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen,
die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (so BVerfGE 114, 147 [157] unter Bezugnahme auf BVerfG, NJW 2001, 1409).
Einen solchen Fall hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Januar 2001 (vgl. NJW 2001, 1409) angenommen bei der Durchführung eines Aufzugs aus dem Umfeld rechtsextremer "Kameradschaften" an
einem 27. Januar. Hintergrund des damaligen Kundgebungsthemas "Für Meinungfreiheit - Demo statt Infotisch!" war die Versagung einer Sondernutzungserlaubnis für einen Büchertisch am 23. Dezember 2000. Das
Bundesverfassungsgericht hat zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeführt: "Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger
Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. So liegt
der Fall hier: Der 27. Januar ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, der durch den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog staatlicherseits zum offiziellen Tag des Gedenkens an die
Opfer des Nationalsozialismus bestimmt worden ist. Mit der Begehung dieses Gedenktages wird Verantwortung für die Vergangenheit übernommen und bundesweit nicht nur der Opfer gedacht, sondern zugleich mahnend an die
Folgen des Nationalsozialismus erinnert, um deren Wiederholung dauerhaft auszuschließen. Es leuchtet unmittelbar ein und ist auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde der Durchführung eines Aufzugs
durch Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen 'Kameradschaften' an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumisst und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und
Bürger bewertet."
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr mit Beschluss vom 27. Januar 2012, der zu der Versagung von fachgerichtlichem Eilrechtsschutz in der vorliegenden Sache ergangen ist, betont, die genannte Entscheidung vom 26. Januar
2001 sei eine auf eine konkrete Situation bezogene Einzelfallentscheidung und erlaube keinesfalls den pauschalen, jeglicher weiteren Begründung enthobenen Rückschluss, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht
durchgeführt werden dürften, wenn diese in irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu beurteilen seien. Vielmehr sei die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der
Versammlung Provokationen ausgingen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigten, wobei eine grundsätzliche Klärung der Fragen noch ausstehe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2012 -
1 BvQ 4/12 -, juris, Rn. 7).
Hiervon ausgehend ist die Annahme der Beklagten, dass der von der Klägerin für den 27. Januar 2012 angemeldeten Versammlung eine Provokationswirkung beizumessen war, die die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des
sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger und damit für die öffentliche Ordnung begründete, nicht zu beanstanden.
Die Gefahr für die öffentliche Ordnung ergab sich nicht aus dem Inhalt der zu erwartenden Äußerungen oder dem Inhalt des Versammlungsmottos, das keinen Bezug zum Gedenktag des 27. Januar aufweist, sondern aus der Art und
Weise der Durchführung der Versammlung.
Zur Art und Weise der Durchführung einer Versammlung können unter anderem die Wahl von Zeit und Ort, die Verwendung von Hilfsmitteln sowie das Auftreten und Verhalten der Teilnehmer der Versammlung zählen.
Soweit die Beklagte eine Kollision der für 19:00 Uhr angemeldeten Versammlung der Klägerin mit dem für 16:30 Uhr bis 18:30 Uhr geplanten Rundgang zu den sogenannten Stolpersteinen - dezentralen Mahnmalen für während der
NS-Herrschaft deportierte und ermordete Menschen - befürchtet hat, der zum Teil in die Nähe des Versammlungsortes in der Trierer Innenstadt führen sollte, so konnte dies allerdings die angeordnete zeitliche Verlegung der
Versammlung um einen Tag auf den 28. Januar 2012 nicht rechtfertigen. Denn eine solche Kollision hätte sich auch durch eine geringfügige Verlegung der Versammlung um etwa eine halbe Stunde auf 19:30 Uhr am 27. Januar 2012
vermeiden lassen, so dass ein größerer zeitlicher Abstand zu dem Rundgang bestanden hätte. Dies wäre gegenüber der Verlegung auf den Folgetag - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - ein geeignetes milderes Mittel
gewesen, da es der Klägerin erklärtermaßen darauf ankam, am 27. Januar 2012 ihre Versammlung durchzuführen. Ebenso hätte als milderes Mittel die Verwendung eines oder mehrerer der von der Klägerin angemeldeten Hilfsmittel
untersagt werden können, sofern in deren Verwendung überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gesehen werden kann.
Eine die zeitliche Verlegung rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Ordnung ergab sich jedoch aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung dadurch, dass von der Wahl des Zeitpunktes der Versammlung am 27.
Januar 2012, das heißt von der gezielten Durchführung der Versammlung an diesem Datum eine Provokation ausging, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigt hätte.
Der 27. Januar als Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz dient in Deutschland seit 1996 offiziell dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Seine Bedeutung als Gedenktag hat noch zugenommen, nachdem
er im Jahre 2005 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocaust erklärt worden ist. Die Klägerin gehört unzweifelhaft dem rechtsextremen Parteienspektrum an. Nach
Maßgabe des oben genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 leuchtet es unmittelbar ein, dass der Durchführung einer Versammlung von Rechtsextremisten an diesem Gedenktag grundsätzlich eine
Provokationswirkung zugemessen und diese als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet wird, unabhängig davon, ob in der Nähe der Versammlung eine an das
Unrecht des Nationalsozialismus erinnernde Gedenkveranstaltung stattfindet.
Die Versammlung der Klägerin lief auch nicht lediglich "in irgendeinem Sinne" dem Gedenken am 27. Januar entgegen, was für die Annahme einer Provokationswirkung, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger
erheblich beeinträchtigt, nicht ausreichen würde, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner ebenfalls oben genannten Entscheidung vom 27. Januar 2012 klargestellt hat. Von der Durchführung der Versammlung der Klägerin an
diesem Gedenktag ging vielmehr aus folgendem Grund eine besondere Provokationswirkung aus: Zwar ist der Klägerin keine Tarnabsicht in dem Sinne zu unterstellen, dass sie der Versammlung ein anderes Motto oder Thema hätte
geben wollen, als dies in der Anmeldung zum Ausdruck kam. Der Senat teilt aber die Einschätzung der Beklagten, wonach sich die besondere Provokationswirkung daraus ergibt, dass die Klägerin das Thema der Versammlung
lediglich als Aufhänger gewählt hat, während die dahinterstehende Motivation von der breiten Bevölkerung darin gesehen wird, an einem zentralen Ort in der Innenstadt Präsenz zu zeigen und nach außen zu dokumentieren, dass man
als rechtsextreme Partei trotz des Gedenktages Flagge zeigen könne.
Für diese Einschätzung spricht eine Reihe von Umständen.
Der von der Klägerin angegebene inhaltliche Bezug ihrer Versammlung zu dem Vortrag des Börsenexperten Prof. O. am 27. Januar 2012 im Bischöflichen Priesterseminar in Trier zum Thema "Von der Finanz- zur Eurokrise" wirkt
gesucht. Die Finanz- und Eurokrise ist ein Thema, das bereits seit längerer Zeit andauernd im Fokus der politischen Diskussion stand und steht. Es ist - wie oben ausgeführt - nicht erkennbar, weshalb eine Versammlung der Klägerin
zur Euro- und Finanzkrise nicht mit gleicher Wirkung in der Öffentlichkeit auch am Folgetag hätte durchgeführt werden können. Dies gilt umso mehr, als weder dargetan noch ersichtlich ist, welche inhaltliche Verbindung zwischen
den wirtschaftspolitischen Thesen von Prof. O. und dem wirtschaftspolitischen Programm der Klägerin, das sie angeblich vorstellen wollte, bestehen soll, insbesondere zu ihrer im Versammlungsmotto angesprochenen Forderung nach
Rückkehr zur Deutschen Mark. Aus dem Umstand, dass Prof. O. bereits im Jahre 2006 eine große Finanzkrise vorausgesagt hatte und seitdem ein gefragter Sachverständiger zur Finanzkrise ist, ergibt sich eine solche inhaltliche
Verbindung nicht. Die Klägerin hat auch keine konkreten wirtschaftspolitischen Thesen von Prof. O. genannt, mit der sie sich in ihrem wirtschaftspolitischen Programm auseinandersetzen würde. Dies drängt den Eindruck auf, dass die
Klägerin nur nach einem beliebigen Anlass gesucht hat, um am Gedenktag des 27. Januar 2012 eine Versammlung zu einem aktuellen politischen Thema abhalten zu können, damit trotz des Gedenktages Rechtsextremisten in der
Öffentlichkeit sichtbar Präsenz zeigen können.
Hierfür spricht auch, dass die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge bereits am 22. Januar 2012 und damit lediglich fünf Tage vor dem 27. Januar 2012 eine Versammlung zu dem gleichen Thema durchgeführt hat. Zwar ist es
jedermann unbenommen, zu dem gleichen Thema mehrfach oder sogar regelmäßig zu demonstrieren. Es ist aber ungewöhnlich und nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb eine Partei wie die Klägerin innerhalb von nur fünf
Tagen in der gleichen Stadt ihr wirtschaftspolitisches Programm ein zweites Mal der Öffentlichkeit durch eine Versammlung vorstellen will. Die erneute Versammlung zum gleichen Thema war auch nicht etwa Teil einer regelmäßig -
etwa jeden Freitag - hierzu stattfindenden Demonstration.
Die Einschätzung der Beklagten wird durch die sich nach Erlass ihrer Verfügung vom 26. Januar 2012 zeigende Entwicklung bestätigt. Sie lässt erkennen, dass die Klägerin auffallend häufig Versammlungen an Tagen durchgeführt
hat, die einen Bezug zur Herrschaft der Nationalsozialisten aufweisen. Von den zwölf Tagen, an denen die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr Versammlungen durchgeführt hat, besitzen immerhin vier Tage
erkennbar einen solchen Bezug: So der 9. November 2011 (neben dem Mauerfall im Jahre 1989 auch Reichspogromnacht im Jahre 1938), der 20. April 2012 (Geburtstag Adolf Hitlers im Jahre 1889), der 8. Mai 2012 (Ende des
Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945) und der 27. Januar 2012, bei dem allerdings wegen der hier in Rede stehenden Verfügung der Beklagten erst am Folgetag die Versammlung abgehalten werden durfte.
Es ist unwahrscheinlich, dass es sich bei der Häufung von Versammlungen der Klägerin an Tagen mit Bezug zur Herrschaft des Nationalsozialismus um einen Zufall gehandelt hat. Vielmehr bestärkt dieser Umstand die Einschätzung,
dass die Klägerin sich einen beliebigen Anlass gesucht hat, um an diesen Tagen eine Versammlung durchführen und in der Öffentlichkeit sichtbar Präsenz zeigen zu können. Besonders deutlich wird dies in der Pressemitteilung der
Klägerin vom 21. April 2012 zu ihrer Kundgebung vom Vortag, die bemerkenswerterweise wiederum zum Thema "Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!" angemeldet worden war. Darin heißt es
unter anderem: "Dass ausgerechnet die Linken vielen Auto- und Busfahrern den Geburtstag von Adolf Hitler ins Bewusstsein gerufen haben, ist deren Problem." Sodann wird im Weiteren ausgeführt: "Wie an Geburtstagen üblich,
durfte auch ein Gedicht nicht fehlen. W. verlas und kommentierte das aktuelle Gedicht von Günter Grass." Angesichts dieser Äußerungen der Klägerin drängt sich der Eindruck auf, dass die Wahl des Termins für ihre Versammlung
zur Finanz- und Eurokrise nicht zufällig auf den 20. April 2012 fiel, sondern gezielt wegen des historischen Bezugs ausgesucht wurde. Das bekräftigt die Annahme, dass dies bei ihrer Versammlung zum gleichen Thema am 27. Januar
2012 ebenso der Fall war.
Der Senat hält auch die Annahme der Beklagten für zutreffend, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung die geschilderte hinter der Wahl des Versammlungstermins am 27. Januar 2012 stehende Motivation der Klägerin wahrnimmt
und als Provokation ansieht, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigt. Es erscheint insbesondere auch plausibel, dass eine solche Beeinträchtigung durch diese Provokation auch dann eintritt,
wenn nicht in unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe eine Gedenkveranstaltung an die Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust stattfindet.
Die von der Beklagten angeordnete zeitliche Verlegung der für den 27. Januar 2012 angemeldeten Versammlung um einen Tag stellt auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das aus Art. 8 Abs. 1 GG herzuleitende
Selbstbestimmungsrecht der Klägerin über den Zeitpunkt der Versammlung dar (vgl. BVerfGE 69, 315 [343]; BVerfG, NJW 2001, 1409). Wie oben dargelegt, bestand kein besonders schutzwürdiges Interesse der Klägerin an einer
Versammlung zur Finanz- und Eurokrise gerade am 27. Januar 2012. Außerdem ist nur der 27. Januar ein Gedenktag mit so eindeutigem gewichtigem Symbolgehalt, dass die Durchführung einer Versammlung von Rechtsextremisten
an diesem Tag eine Gefahr für die öffentliche Ordnung begründen kann.
Zwar ist auch der 9. November im Deutschland der Gegenwart ein Gedenktag, an dem bundesweit auf zahlreichen Veranstaltungen an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erinnert wird, in der die Novemberpogrome gegen
die deutschen Juden begannen. Insofern kommt dem 9. November ebenfalls ein Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zu. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich der Gedenktag des 9. November in einem nicht
unwesentlichen Punkt von dem des 27. Januar unterscheidet. Während der Tag des 27. Januar allein mit dem Gedenken an den Holocaust und die Opfer des Nationalsozialismus verbunden ist, trifft dies auf den 9. November nicht in
gleicher Weise zu. Auf den 9. November fällt vielmehr eine Reihe von weiteren Ereignissen, die für die deutsche Geschichte - und Gegenwart - bedeutsam sind. Während die Erinnerung an die Vorkommnisse in den Jahren 1918
(Novemberrevolution, Ausrufung der Republik) und 1923 (Hitler-Ludendorff-Putschversuch in München) in weiten Kreisen verblasst sein mag, gilt dies nicht für den 9. November 1989, den Tag des Mauerfalls (Öffnung der
innerdeutschen Grenze). An dieses historische Ereignis wird ebenfalls regelmäßig am 9. November - wie allgemein bekannt - in Politik und Medien erinnert. Dem Tag kommt auch insofern eine gewichtige Symbolwirkung zu.
Angesichts des zweifachen historischen Bezugs des Gedenkens am 9. November wird eine Versammlung von Rechtsextremisten an diesem Tag grundsätzlich ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Gefahr für die öffentliche
Ordnung begründen (vgl. Beschluss des Senats vom 9. November 2011 - 7 B 11298/11.OVG -, veröffentlicht in ESOVGRP).
Andere Tage mit Bezug zur Herrschaft des Nationalsozialismus haben entweder nicht die gleiche Bedeutung als Gedenktag - wie etwa der 8. Mai - oder sind überhaupt keine Gedenktage - wie etwa der 20. April.
Demnach wird das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin über den Zeitpunkt der Versammlung lediglich am Gedenktag des 27. Januar und auch nur in Fällen eingeschränkt, in dem das Versammlungsthema keinen besonderen Bezug
zu einem konkreten Anlass an diesem Tag aufweist. Dies stellt eine nur geringfügige Beschränkung ihrer Versammlungsfreiheit dar.
Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin eine Partei im Sinne des Art. 21 GG ist, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirkt und nur vom Bundesverfassungsgericht bei
Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen verboten werden kann. Den Parteien kommt nämlich bei der Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten - wie der Versammlungsfreiheit - kein Privileg zu, auf Grund dessen
die Grundrechtsbegrenzungen und -schranken enger auszulegen wären als für andere Grundrechtsträger (vgl. Ipsen, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 21 Rn. 47). ..."
***
Zur Rechtmäßigkeit eines Verbotes bzw der Verhängung von Auflagen für einen Demonstrationszug zum Thema "Asylmissbrauch" im Bereich der Wohnumgebung eines neu eingerichteten Asylbewerberheimes am Jahrestag der
Reichspogromnacht (09. November; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 09.11.2012 - 3 M 173/12):
„... Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und zum Teil begründet. Die dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Änderung des
angefochtenen Beschlusses, soweit der Demonstrationszug in die Nähe der Asylbewerberunterkunft geführt werden soll. Die Auflage ist in der Weise zu ergänzen, dass der Demonstrationszug das Viertel, in dem sich diese befindet,
gänzlich meidet. Hingegen ist die Beschwerde unbegründet, soweit sie sich dagegen wendet, dass eine Versammlung des Antragstellers zum Thema "Asylmissbrauch" unter Beachtung der vom Verwaltungsgericht verfügten und vom
Senat ergänzten Auflagen am 09.11.2012 überhaupt durchgeführt wird.
Rechtsgrundlage für die von der Antragsgegnerin beantragten Auflagen ist § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen,
wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Die Versammlungsbehörde ist auf Grund des aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung an der Anordnung der Auflage einer
zeitlichen Verlegung nicht gehindert. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt nämlich nur, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit
aber mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit
bleibt ihm nur die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge einer Kooperation mit der Verwaltungsbehörde einzubringen. Die Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit
rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (BVerfG 1. Kammer des 1. Senats, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, S. 1409).
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich sind, als sich die in § 15 Abs. 1 VersG vorausgesetzte Gefahr nicht
aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt (B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 - BVerfGE 111, 147; B. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - Rn. 30).
Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung in Folge der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der
Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 - BVerfGE 111, 147; B. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -
Rn. 31).
Das Bundesverfassungsgericht hat weiter entschieden, dass die öffentliche Ordnung nicht von vornherein als Schutzgut, das eine zeitliche Verschiebung einer Versammlung um einen Tag rechtfertigen kann, ausscheidet und dass die
öffentliche Ordnung auch dann betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer
Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (BVerfG 1. Kammer des 1. Senats, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 - NJW 2001, 1409). Diese
Entscheidung ist jedoch - so das BVerfG 1. Senat 1. Kammer ausdrücklich in seinem Beschluss vom 27.01.2012 - 1 BvQ 4/12 - als eine auf eine konkrete Situation bezogene Einzelfallentscheidung ergangen und erlaubt keinesfalls
den pauschalen, jeglicher weiteren Begründung enthobenen Rückschluss, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht durchgeführt werden dürfen, wenn diese in irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu
beurteilen sind. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich
beeinträchtigen. Dabei ist etwa zu würdigen, ob das Versammlungsthema einen (ausdrücklichen) Bezug zum Gedenktag oder aber zu einem anderen Thema aufweist, und ob zum Versammlungszeitpunkt am Versammlungsort oder in
dessen unmittelbarer Nähe eine besondere, an das Unrecht des Nationalsozialismus erinnernde Gedenkveranstaltung stattfindet (BVerfG 1. Senat 1. Kammer, B. v. 27.01.2012 - 1 BvQ 4/12 - NVwZ 2012, 749). Die Gesamtheit der
Umstände der Versammlung, insbesondere ihr Datum, die vorgesehene Wegstrecke, die Art des erwarteten Auftretens der Versammlungsteilnehmer und das Zusammenspiel dieser Faktoren mit den kundgegebenen Inhalten können
einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründen (BVerfG 1. Senat 1. Kammer, B. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 - BVerfGK 2, 1 = NVwZ 2004, 90).
Daran gemessen kommt der Senat im Rahmen der gebotenen und nur möglichen summarischen Würdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass durchgreifende Bedenken gegen die Durchführung der Versammlung unter dem
angekündigten Motto am 09. November unter der Voraussetzung nicht bestehen, dass das nähere Wohnumfeld der Asylbewerber nicht tangiert wird.
Inwieweit der 09. November einem staatlicherseits zum offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärten Tag wie dem 27. Januar gleich steht (bejahend OVG Münster, B. v. 08.11.2011 - 5 B 1351/11 -
Juris Rn. 4), kann vorliegend offen bleiben. Auch wenn man die Bedeutung dieses Tages als Jahrestag des Gedenkens an die Reichspogromnacht am 09.11.1938 herausstellt und den Tag in diesem Sinne als jedenfalls in der
allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung bestehenden Gedenktag ansieht, ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Veranstaltung des Antragstellers - bei Beachtung der vom Verwaltungsgericht verfügten
und vom Senat ergänzten Auflagen - zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führt. Das Versammlungsthema "Asylmissbrauch" weist keinen ausdrücklichen Bezug zum Gedenktag auf. Aus der Gesamtschau des Inhalts der
Versammlung, der als solcher nicht in Frage zu stellen ist, mit dem Datum, dem Ort der Versammlung sowie den näheren Umständen der Entwicklung speziell in Wolgast kommt der Senat indes zu dem Ergebnis, dass die genannte
provokative Wirkung auf die Bevölkerung in der Wohnumgebung des unlängst eingerichteten Asylbewerberheims auftreten wird. Sie wird durch das Element des Datums des 09. November verstärkt. Zu berücksichtigen ist nämlich,
dass das Asylbewerberheim in der Baustraße erst unlängst eingerichtet worden ist. Ausweislich des Vortrags der Antragsgegnerin, dem der Antragsteller nicht entgegengetreten ist, ist dieses Vorhaben in der Stadt Wolgast,
insbesondere in der Umgebung des Asylbewerberwohnheims teilweise auf Widerstand gestoßen. In diesem Zusammenhang wirkt eine Demonstration mit dem angemeldeten Inhalt zum Zeitpunkt des 09. November auf die
Bevölkerung der Umgebung, in der die Asylbewerber leben werden, provozierend. Dies gilt für den Bereich jenseits der Chausseestraße, zu dem die Baustraße mit dem Asylbewerberwohnheim gehört. Unter Berücksichtigung der nicht
angefochtenen übrigen Maßgaben des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes, insbesondere dem Verbot des Fackeltragens, kommt der Versammlung diese provozierende Wirkung auf dem durch die geänderte Auflage Nr. 1
festgelegten Weg der Versammlung und dem Versammlungsort nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Da die Beteiligten sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im - nur noch einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes betreffenden - Beschwerdeverfahren jeweils
etwa zu gleichen Teilen obsiegt haben und unterlegen sind, werden die Kosten jeweils gegeneinander aufgehoben. § 155 Abs. 4 VwGO findet keine Anwendung, da der Antragsteller nicht zu einem Kooperationsgespräch verpflichtet
war. ..."
***
Eine öffentliche Versammlung, bei der gewaltfrei und ohne Begehung von Straftaten für eine friedliche Blockade eines nicht verbotenen Aufzugs von Rechtsextremisten trainiert wird, kann als Beitrag zur öffentlichen
Meinungsbildung von der Versammlungs- und Meinungsfreiheit geschützt sein. Unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertentscheidungen kann die bloße Durchführung einer derartigen Probeblockade, bei der selbst niemand
behindert wird, weder als strafbare grobe Störung einer Versammlung (§ 21 VersammlG) noch als strafbare Aufforderung hierzu (§ 111 StGB) angesehen werden. Das gilt auch dann, wenn das Training zu einer späteren
echten Blockade mobilisieren soll. Die Grenze zur Strafbarkeit wird erst dann überschritten, wenn die Teilnehmer einer Versammlung eine andere nicht verbotene Versammlung über eine erhebliche Dauer blockieren, ohne dass deren
Teilnehmer ausweichen können (OVG Münster, Urteil vom 18.09.2012 - 5 A 1701/11):
„... Die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers gegen die angegriffenen, durch Zeitablauf erledigten versammlungsrechtlichen Auflagen ist zulässig und begründet.
I. Die Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist statthaft. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes
Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der umstrittenen Auflagen hat.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Auflagen unter Nr. 2., 4. und 5. der Bestätigungsverfügung des Beklagten vom 31. Januar 2011 sind rechtswidrig gewesen und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz
4 VwGO).
Diese Auflagen konnten nicht auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützt werden. Danach kann die zuständige Behörde unter anderem die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses
der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie
Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 - 6 C 21/07 -, BVerwGE 131, 216 = juris, Rn. 13.
Das für beschränkende Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der
Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u. a. -, BVerfGE 69, 315, 353 f.
Diese Voraussetzungen für ein versammlungsbehördliches Einschreiten waren nicht deshalb erfüllt, weil anlässlich der Versammlung des Klägers am 5. Februar 2011 geplant war, ein Blockadetraining zu dem Zweck durchzuführen,
möglichst viele Menschen zur Teilnahme an einer Blockade der für den 8. und 9. April 2011 angemeldeten rechtsextremen Versammlungen zu bewegen. Es stand insbesondere nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit
fest, dass die Durchführung des angemeldeten Blockadetrainings unzulässig war.
Das Blockadetraining war nicht als verbotener Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG (dazu unten 1.), nach § 111 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG oder nach § 116 OWiG i. V. m. § 2 Abs.
2 VersammlG (dazu unten 2.) zu werten. Die geplante Probeblockade gefährdete auch nicht deshalb unmittelbar die öffentliche Sicherheit, weil die dabei eingeübten Verhaltensweisen ihrerseits polizeiwidrig gewesen wären (dazu
unten 3.).
1. Das Blockadetraining stellte sich nicht deshalb als Aufruf zu einer Straftat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG dar, weil es als Teil eines Mobilisierungsplans des Veranstalterbündnisses darauf ausgerichtet war, konkrete,
nicht verbotene Demonstrationen der rechtsextremen Szene zu verhindern.
a) Nach § 111 StGB ist strafbar, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, auch wenn die Aufforderung ohne Erfolg bleibt. § 21 VersammlG stellt unter Strafe,
Gewalttätigkeiten vorzunehmen, anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln. Nach
gefestigter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer voraus, bestimmte Straftaten zu begehen. Sie
muss den Eindruck der Ernstlichkeit vermitteln. § 111 StGB erfasst als strafwürdig nur solche Äußerungen und Verhaltensweisen, die den öffentlichen Frieden konkret gefährden, weil sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf
rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Hierzu gehören Meinungsäußerungen, die bei dem Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen, Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Die
lediglich abstrakte Befürwortung einer Straftat ist hingegen noch nicht strafbar.
Vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1984 - 3 StR 36/84 -, BGHSt 32, 310 = juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 335 = juris, Rn. 78; OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2010 -
2 Ss 451/09 -, juris, Rn. 25; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 3 Ss 317/02 -, NStZ-RR 2003, 327 = juris, Rn. 9; KG Berlin, Urteil vom 29. Juni 2001 - 1 Ss 388/00 -, NJW 2001, 2896 = juris, Rn. 18; OLG Karlsruhe,
Urteil vom 12. Februar 1993 - 3 Ss 99/92 -, NStZ 1993, 389 = juris, Rn. 27 ff.
Überdies ist § 111 StGB - wie alle Strafrechtsnormen - unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden. Soweit die Erfüllung dieses Straftatbestands durch eine Aussage in Rede steht, die mit
einem Blockadetraining auf einer Kundgebung konkludent geäußert wird, sind die Grundrechte der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebend. Art. 8 Abs. 1 GG
gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die dadurch geschützte Teilhabe an der kollektiven Meinungsbildung im freiheitlichen Staat setzt nicht voraus, dass Meinungen sprachlich
kundgegeben oder ausgetauscht werden. Dem Grundrecht unterfallen auch solche Versammlungen, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Art und Weise, auch in Form einer Sitzblockade,
zum Ausdruck bringen. Die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe ist verfassungsrechtlich bis zur Grenze der Unfriedlichkeit geschützt. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit
wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Es genügt hingegen nicht, dass es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf
genommen. Deshalb ist es insbesondere gestattet, die Blockade als Mittel einzusetzen, um das kommunikative Anliegen, öffentliche Aufmerksamkeit für einen politischen Standpunkt zu erzielen, auf spektakuläre Weise
zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben. Den Grundrechtsträgern steht die Entscheidung darüber frei, welche Maßnahmen sie hierzu einsetzen wollen, solange sie Rechte anderer nicht
beeinträchtigen. Nicht grundrechtlich geschützt ist dagegen die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Dasselbe gilt für die zwangsweise oder sonstige selbsthilfeähnliche
Durchsetzung eigener Forderungen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92, 103 ff., 105 f., 108, 110 f.
Hinsichtlich einer Bewertung von Äußerungen auf ihre Strafbarkeit bedarf es darüber hinaus einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt
worden ist. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, so spricht eine Vermutung zu Gunsten der Freiheit der Rede.
Vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u. a. -, BVerfGE 93, 266 = juris, Rn. 117 ff., 123, m. w. N.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Bürger grundsätzlich frei, zentrale Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Das Grundgesetz vertraut danach
auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe etwa gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Den hiervon ausgehenden Gefahren entgegenzutreten, weist die freiheitliche Ordnung
des Grundgesetzes primär dem bürgerschaftlichen Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen zu.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 320 f.
Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die Erfassung des Inhalts der betreffenden Äußerung, wobei der Inhalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen
und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist. Hinsichtlich mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zu Grunde zu legen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2007 - 1 BvR 3041/07 -, juris, Rn. 15, m. w. N.
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war nicht mit der für versammlungsrechtliche Beschränkungen erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich das Blockadetraining im Zusammenhang mit der sonstigen
Öffentlichkeitsarbeit des Veranstalterbündnisses als strafbarer Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat darstellen würde.
aa) Geplant war nach den Verlautbarungen der Veranstalter im Internet der Sache nach insbesondere ein bürgerschaftlicher Beitrag zu der die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, ob rechtsextreme Versammlungen in
Deutschland stattfinden können sollen. Hierzu hielt das Bündnis, in dem weite Teile der regionalen Bevölkerung vertreten waren, Gegendemonstrationen erklärtermaßen nicht mehr für ausreichend. Vielmehr sahen ihre Vertreter in
dem aktuellen Auftreten rechter Gruppen in Stolberg und in der Städteregion Aachen und den damit verbundenen realen Einschüchterungen, Bedrohungen und Verletzungen bestimmter Personen und Bevölkerungskreise eine ernste
Gefahr für den freiheitlichen demokratischen Staat. Sie beanstandeten ein Untätigbleiben der Politik und hielten deshalb bürgerschaftliches Handeln für legitim, um die weitere Ausbreitung dieses Gedankenguts zu verhindern und
damit die Demokratie zu schützen. Mit diesem moralischen Anspruch war es erklärtes Ziel aller im Veranstalterbündnis vertretenen Gruppen und Personen, die Anfang April 2011 in Stolberg geplanten rechten Aufmärsche mit
Massenblockaden zu verhindern. Anders als die grundgesetzliche Ordnung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertrauten sie nicht allein auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als hinreichend wirksame Waffe
gegen die erneute Verbreitung menschenverachtender Ideologien. Sie sahen vielmehr Handlungsbedarf, weil die freie Auseinandersetzung in Deutschland bereits in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht die Macht hatte, das Entstehen und
den Fortbestand des verbrecherischen nationalsozialistischen Regimes zu verhindern. Die Mitglieder des Blockadebündnisses waren nicht nur der Auffassung, dass von den alljährlichen rechtsextremen Versammlungen in Stolberg
Beunruhigungen der Bürger ausgingen, die in einer Demokratie hingenommen werden müssten. Sie waren vielmehr darüber hinaus davon überzeugt, dass in Deutschland bereits das Verbreiten von rechtsradikalen und an die Ideologie
der Nationalsozialisten anknüpfenden Ansichten - und nicht erst das unmissverständliche Gutheißen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft - eine Gefahr für den inneren Frieden und den Fortbestand eines
freiheitlichen Staates darstellt.
Vgl. zur davon abweichenden aktuellen Rechtslage BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 334 ff.
Davon ausgehend war es ein zentrales Anliegen des Veranstalterbündnisses, durch spektakuläre Aktionen eine öffentliche Auseinandersetzung von Gesellschaft, Gesetzgebung und Justiz darüber anzustoßen, ob die Art. 5 und 8 GG im
Sinne einer wehrhaften Demokratie zum Schutz vor menschenverachtenden Ideologien mehr als bisher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu begrenzen sind. Damit leistete das Bündnis im Rahmen der
grundgesetzlichen Freiheitsrechte einen legitimen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.
bb) Das in Rede stehende Blockadetraining überschritt bei prognostischer Beurteilung auch nicht deshalb die Grenzen grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten, weil hierdurch möglichst viele Menschen zur Teilnahme an der
Blockade nicht verbotener rechtsextremer Versammlungen mobilisiert werden sollten. Das Veranstalterbündnis wollte sich erklärtermaßen friedlicher Methoden bedienen, um sein Anliegen öffentlichkeitswirksam zu verfolgen. Es
lehnte Gewalttätigkeiten ab. Dies sollte den Teilnehmern des Blockadetrainings ausdrücklich mitgeteilt werden. Der Kläger hatte darüber hinaus im Kooperationsgespräch hervorgehoben, es sei nicht beabsichtigt, gegen die Polizei
tätig zu werden. Das Blockadetraining beeinträchtigte auch nicht unmittelbar schützenswerte Rechtsgüter anderer. Am 5. Februar 2011 war keine Konfrontation mit einer Versammlung des politischen Gegners geplant oder auch nur
absehbar. Es waren keine Redebeiträge vorgesehen, die eine ausdrückliche unmissverständliche Aufforderung zur Teilnahme an strafbaren Blockaden gegenüber einer breiten Öffentlichkeit hätten erwarten lassen können. Die
Öffentlichkeitswirkung sollte ausschließlich dadurch erzielt werden, dass den Teilnehmern der Versammlung der mögliche Ablauf der geplanten Verhinderungsblockaden erklärt und dieser gegebenenfalls durchgespielt werden sollte.
Darin aber liegt noch kein - allenfalls in Betracht kommendes - konkludentes Auffordern zu einer Straftat nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG.
(1) Zum einen konnte die in Rede stehende öffentliche Vermittlung von Blockadetechniken und ihre szenische Darstellung im Kontext mit dem erklärten Ziel, erst deutlich später geplante rechtsextreme Aufzüge zu verhindern, als
vorgezogene Demonstration der Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit bürgerschaftlichen Engagements gegen rechtsextremistisches Gedankengut verstanden werden. Bei diesem Verständnis bot das Blockadetraining vor allem den
erwarteten nur etwa 100 Teilnehmern selbst ein Forum, das spätere Blockadevorhaben des Bündnisses im Vorfeld strafbaren Verhaltens gemeinsam mit anderen vorzubereiten und zugleich eine breitere Öffentlichkeit auf ihr Anliegen
aufmerksam zu machen. Zwar konnten und sollten auf Grund der davon ausgehenden Vorbildwirkung Dritte veranlasst werden, an der geplanten Verhinderungsblockade teilzunehmen und dieser zum ‚Erfolg' zu verhelfen. Eine
vergleichbare Appellwirkung geht jedoch sogar von einer noch straffreien Befürwortung strafbaren Verhaltens aus. Sie genügt indes mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit allein nicht, um einer nicht verbalen szenischen Übung eine
hinreichend eindeutige Erklärung an die Motivation anderer zu entnehmen, die geeignet wäre, den öffentlichen Frieden ernsthaft zu gefährden.
(2) Zum anderen konnte ein strafbares Auffordern zu einer Straftat in der motivierenden Wirkung des geplanten Blockadetrainings auch deshalb nicht liegen, weil sich die Teilnahme an der für Anfang April 2011 geplanten Blockade,
die das Veranstalterbündnis anstrebte, zunächst noch als nicht strafbar darstellte. Das Veranstalterbündnis plante nämlich eine im Grundsatz von der Versammlungsfreiheit geschützte Form der friedlichen Blockade. Die Grenze zum
strafbaren Rechtsbruch wäre erst in dem Moment überschritten worden, in dem darüber hinaus im Sinne von § 21 VersammlG eine nicht verbotene rechtsextreme Versammlung in Verhinderungsabsicht grob gestört worden wäre. Eine
tatbestandliche grobe Störung liegt jedoch erst in der Bildung einer unüberwindlichen Blockade von nicht unerheblicher Dauer, die nicht ohne Weiteres umgangen werden kann.
Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 4 RVs 12/11 u.a. -, juris, Rn. 15; BayObLG, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 4St RR 186/95 -, BayObLGSt 1995, 167 = juris, Rn. 14.
Bei der Beurteilung im Einzelfall ist zu berücksichtigen, ob die Blockade - wie hier - ihrerseits in grundrechtlich schützenswerter Ausübung kommunikativer Grundrechte erfolgt. Soweit eine friedliche Blockade dazu dient, für einen
Standpunkt öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen, ist dies bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in Straftatbeständen notwendig wertend in Betracht zu ziehen. Insoweit bedarf auch die Beurteilung, ob eine ‚grobe Störung'
vorliegt, entsprechend der Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Nötigungstatbestand entwickelt hat, einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte. Dabei darf der Staat die sich
gegenüberstehenden Anliegen im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse nicht inhaltlich bewerten. Wichtige Abwägungselemente sind demgegenüber unter anderem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige
Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92, 110 ff., und vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, NJW 2011, 3020 = juris, Rn. 38 f.
Ausgehend davon hätte sich die angestrebte friedliche Blockade nicht als grobe Störung im Sinne von § 21 VersammlG dargestellt, solange sie von lediglich begrenzter Dauer gewesen wäre. Eine grobe Störung wäre ebenfalls nicht
eingetreten, solange - auf Grund der vorherigen Bekanntgabe der Blockadeabsicht über das Internet oder wegen polizeilichen Einschreitens - ein Ausweichen möglich gewesen wäre. Ohnehin waren Beeinträchtigungen des
Versammlungsrechts der Teilnehmer am rechtsextremen Aufzug durch eine friedliche Gegenversammlung in gewissem Umfang im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung hinzunehmen. Die äußere Gestaltung
der geplanten Blockade und die durch sie ausgelösten Behinderungen standen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Protestgegenstand, der mit den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen identisch war. Das war
trotz der erklärten Verhinderungsabsicht zu Gunsten des Blockadebündnisses zu berücksichtigen. Durch die alljährliche Durchführung von Versammlungen zur Stärkung des Zusammenhalts rechtsextremer Gruppen und
Kameradschaften in Stolberg haben diese selbst Gegenreaktionen veranlasst. Eine friedliche Blockade war deshalb in gewissen Grenzen als Beitrag zu der in der Öffentlichkeit umstrittenen Frage hinzunehmen, ob eine wehrhafte
Demokratie Versammlungen Rechtsextremer dulden muss, die von vielen als Bedrohung wahrgenommen werden. Insoweit unterscheidet sich die seinerzeit geplante Blockade mittels einer eigenständigen friedlichen Versammlung
maßgeblich von einer nicht mehr unter die Versammlungsfreiheit fallenden störenden Teilnahme an einer - missbilligten - Versammlung, um diese von innen heraus zu verhindern.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 = juris, Rn. 2 und 17; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 21 Rn. 10.
Im Gegensatz hierzu wollten die Teilnehmer an der Blockade durch ihre bloße Präsenz auf friedliche Weise verhindern, dass rechtsextreme Demonstrationen an bestimmten Orten durchgeführt werden und dort ihr Gedankengut
verbreiten. Dies ist im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet, soweit die Friedlichkeit gewahrt bleibt. Zwar gebietet § 2 Abs. 2 VersammlG jedermann, bei
öffentlichen Versammlungen und Aufzügen Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Jedoch kann die bloße friedliche Präsenz einer Gegenversammlung nicht ohne Weiteres als zu
unterlassende Störung im Sinne dieser Vorschrift aufgefasst werden. Soweit Beeinträchtigungen von einer Gegendemonstration ausgehen, stehen einander gleichgewichtige Grundrechtspositionen gegenüber, zwischen denen ein
Ausgleich im Rahmen praktischer Konkordanz anzustreben ist.
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 2 Rn. 10.
Dabei ist namentlich das rechtlich geschützte Interesse an kommunikativen Anliegen, die durch friedliche Blockaden verfolgt werden, angemessen zu berücksichtigen.
Solange nach diesen Maßstäben angesichts des friedlichen Verhaltens der Blockadeteilnehmer lediglich gewisse sozialadäquate Behinderungen, aber noch keine darüber hinausgehende Störungen der rechtsextremen Versammlung
eintraten oder unmittelbar drohten, war es auch nicht Aufgabe der Polizei, in dem offenen kommunikativen Prozess Partei zu ergreifen und einseitig zu Lasten der Versammlungsfreiheit des Blockadebündnisses auf die Verwirklichung
des Versammlungsrechts rechtsextremer Gruppen hinzuwirken. Sofern nach Erfahrungen von früheren vergleichbaren Begegnungen Anzeichen dafür bestanden hätten, dass es zu gewaltsamen Übergriffen einzelner Mitglieder der
Antifa gegenüber Rechtsextremen kommen würde, wären geeignete behördliche Maßnahmen primär gegen die mutmaßlichen Störer und die durch sie drohenden Störungen zu richten gewesen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u. a. -, BVerfGE 69, 315, 360 f.
Solche Übergriffe waren indes anlässlich des hier streitgegenständlichen Blockadetrainings schon deshalb nicht zu befürchten, weil eine unmittelbare Konfrontation mit dem politischen Gegner nicht absehbar war. Umso weniger kam
in Betracht, bereits die mobilisierende Wirkung des voraussichtlich friedlichen Blockadetrainings ohne Redebeiträge als konkludenten strafbaren Aufruf zur Verhinderungsblockade zu bewerten. Aufgrund der damit verbundenen
abschreckenden Auswirkungen auf die Ausübung kommunikativer Freiheitsrechte würde die Strafbarkeit unangemessen weit vorverlagert. Dies gilt auch mit Blick auf die Entscheidung des Gesetzgebers, den Versuch, eine
Versammlung in Verhinderungsabsicht grob zu stören, straffrei zu lassen. Eine zeitlich deutlich weiter vorgelagerte Vorbereitungshandlung kann demgemäß nur dann als strafbar angesehen werden, wenn bereits hierdurch eine nicht
mehr steuerbare Gefahr der Straftatbegehung großer Zahl droht. Das ist bei einem friedlichen Blockadetraining zur Mobilisierung zur Teilnahme an wiederum friedlichen Verhinderungsblockaden nicht der Fall.
2. Bei Durchführung des Blockadetrainings wäre es auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat nach § 111 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG oder zu einer mit Geldbuße bedrohten Handlung
nach § 116 OWiG i. V. m. § 2 Abs. 2 VersammlG gekommen. Abgesehen davon, dass aus den oben unter 1.b) bb) (1) angeführten Gründen keine eindeutige Aufforderung zu erwarten war, ist ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersammlG
keine rechtswidrige Tat im Sinne von § 111 Abs. 1 StGB. Dazu zählen nach der Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur solche Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. Verstöße gegen § 2 Abs. 2
VersammlG sind für sich genommen nicht strafbewehrt. Sie erfüllen auch keinen Bußgeldtatbestand im Sinne von § 116 Abs. 1 OWiG. Im Vorfeld einer ‚groben Störung' im Sinne des § 21 VersammlG kann die
Versammlungsbehörde durch räumliche oder zeitliche Auflagen nach § 15 Abs. 1 und 2 VersammlG allerdings bereits gegen unmittelbar drohende Störungen im Sinne von § 2 Abs. 2 VersammlG vorgehen, die nach praktischer
Konkordanz über übliche Begleiterscheinungen von Demonstrationen hinausgehen.
3. Die geplante Probeblockade verstieß entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht deshalb gegen die öffentliche Sicherheit, weil dabei Verhaltensweisen eingeübt werden sollten, die ihrerseits die öffentliche Sicherheit
gefährdeten. Jedenfalls fehlt es an einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 Abs. 1 VersammlG, wenn ein für sich genommen friedliches Blockadetraining, das mit der Rechtsordnung in Einklang
steht, mehr als zwei Monate vor der geplanten Blockade stattfinden soll. Gegenteiliges lässt sich § 2 Abs. 2 VersammlG nicht entnehmen. Der eindeutige Wortlaut verbietet nur Störungen ‚bei' öffentlichen Versammlungen und
Aufzügen. Damit sind Vorbereitungsmaßnahmen mehrere Wochen vor Beginn einer konkreten Versammlung ausdrücklich nicht von dem Verbot umfasst.
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 2 Rn. 11; a. A. Nds. OVG, Beschluss vom 28. Juli 2011 - 11 LA 101/11 -, NdsVBl. 2011, 316 = juris, Rn. 9 f.
Eine entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift auf solche Vorfeldmaßnahmen mit Verhinderungsabsicht scheidet schon deshalb aus, weil die Interessenlage nicht mit Störungen bei einer Versammlung vergleichbar ist. Während
diese unmittelbar in das Versammlungsrecht eingreifen, gilt dies für Vorbereitungshandlungen betreffend Verhinderungsblockaden gerade nicht. Die wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der Aktualität der Störung lassen sich auch
nicht mit der Begründung einebnen, es habe polizeiwidriges Verhalten eingeübt werden sollen.
Vgl. zu diesem Begründungsansatz VGH Bad.- Württ., Beschluss vom 19. Februar 2000 - 1 S 414/00 -, ESVGH 50, 190 = juris, Rn. 7.
Diese Sicht kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Einüben für sich genommen die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar gefährdet. Hierin liegt für sich genommen noch keine Verletzung der objektiven Rechtsordnung.
Darüber hinaus kann selbst die für einen deutlich späteren Zeitpunkt geplante friedliche Sitzblockade nach der oben näher dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeitweise von der Versammlungsfreiheit geschützt
sein und ist insoweit keine polizeiwidrige Störung im Sinne von § 2 Abs. 2 VersammlG.
4. War danach bei Durchführung des vom Kläger angemeldeten Blockadetrainings die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar gefährdet, lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der streitgegenständlichen
beschränkenden Verfügungen nicht vor.
a) Dies gilt in erster Linie für die Auflage Nr. 4 des angefochtenen Bescheids, die die Vermittlung von Blockadetechniken zur Verhinderung nicht verbotener zukünftiger Versammlungen verbot, ‚indem zumindest eine grobe Störung
verursacht wird'. Das geplante friedliche Blockadetraining stand - wie ausgeführt - mit der Rechtsordnung in Einklang. Es stellte insbesondere keinen Aufruf zu einer Straftat in Gestalt einer unzulässigen groben Störung einer nicht
verbotenen Versammlung dar.
b) Darüber hinaus lagen die engen Voraussetzungen für die Auflage Nr. 2 über die Pflicht zur Bestellung von Ordnern nicht vor. Eine derartige Auflage ist nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG zulässig.
Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 10. Februar 2010 - 7 A 11095/09 -, juris, Rn. 28 ff., m. w. N.
Eine Pflicht, Ordner zu bestellen, lässt sich nicht unmittelbar aus §§ 9 Abs. 1 und 18 Abs. 1 und 2 VersammlG ableiten. Gemäß § 8 Satz 2 i. V. m. § 18 Abs. 1 VersammlG hat der Versammlungsleiter während der Versammlung für
Ordnung zu sorgen. Gerade dann, wenn absehbar ist, dass er dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein gewährleisten kann, ist die Bestellung und Einweisung einer ausreichenden Zahl von Ordnern unabdingbar und kann nach §
15 Abs. 1 VersammlG auferlegt werden.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 10 ZB 07.2665 -, juris, Rn. 16, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 -, NJW 2000, 3051 = juris, Rn. 27 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel,
VersammlG, a. a. O., § 15 Rn. 48; Leist, Versammlungsrecht und Rechtsextremismus, 2003, S. 318 f.
Es stand nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger allein nicht in der Lage sein würde, bereits während des Blockadetrainings für Ordnung zu sorgen. Der Beklagte hat in seinem vorprozessualen
Schreiben vom 5. Februar 2011 selbst ausgeführt, im Allgemeinen könne bei einer stationären Kundgebung auf einen Ordnereinsatz verzichtet werden. Demgegenüber bestanden keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, die eine
abweichende Beurteilung gerechtfertigt hätten. Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger im Kooperationsgespräch keine Einzelheiten über die einzusetzenden Trainer angegeben und die Durchführung von Wegtrageübungen
sowie das Üben von ‚Verhaken bzw. Verknoten' zur Verzögerung des Wegtragens für möglich gehalten hat. Hieraus ergaben sich jedenfalls keine begründeten Zweifel an der erklärten Absicht, das Blockadetraining friedlich und ohne
Widerstand gegen die Polizei durchzuführen. Insbesondere hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass wegen der zu befürchtenden Teilnahme von Personen aus der autonomen linken Szene Ordner erforderlich waren. Gerade
bei dem in Rede stehenden Blockadetraining, dem keine Versammlung eines politischen Gegners unmittelbar gegenüber stand, vertraten die Teilnehmer ein gemeinsames Interesse. In diesem Rahmen lagen Ordnungsstörungen aus
dem Teilnehmerkreis eher fern. Die vom Beklagten angeführte Gefahr, die zwischen den Beteiligten umstrittenen Auflagen würden voraussichtlich nicht eingehalten, rechtfertigte den Ordnereinsatz gleichfalls nicht. Auch ohne die
Einhaltung dieser Auflagen bestand bei der angestrebten friedlichen Durchführung szenischer Übungen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
c) Ebenfalls zu Unrecht hat der Beklagte dem Kläger in Auflage Nr. 5 des angegriffenen Bescheids aufgegeben, die Personalien derer anzugeben, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern auftraten. Insbesondere war eine
Überprüfung der Zuverlässigkeit dieser Personen nicht deshalb geboten, weil konkret mit rechtswidrigen Aufrufen zu Straftaten im Sinne von § 111 StGB zu rechnen war. Der Kläger war über die Strafbarkeit eines Aufrufs zu
Straftaten nach § 21 VersammlG belehrt worden und hatte erklärt, Redebeiträge seien nicht geplant. Danach konnte zwar nicht ausgeschlossen werden, dass es gleichwohl durch einzelne Teilnehmer zu strafbaren Aufrufen nach § 111
StGB kommen würde. Dies genügt jedoch nicht für die nach § 15 Abs. 1 VersammlG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Auflage auch nicht als
milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot rechtfertigen. Die Voraussetzungen für ein solches Verbot lagen erst recht nicht vor. ..."
***
„... Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist immer schon dann erfüllt, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen
einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (BVerfG vom 23.6.2000 Az. 1 BvR 830/00 <juris>, vom 10.9.2009 Az. 1 BvR 814/09
<juris>). Derartige rechtliche oder tatsächliche Umstände, aus denen sich eine hinreichende Möglichkeit ergibt, dass die Entscheidung des Erstgerichts unrichtig ist, hat die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt.
Das Erstgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend auf zwei Gründe gestützt. Zunächst hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass durch die Durchführung der Versammlung mit dem Thema ‚Heldengedenkmarsch 2009:
Ruhm und Ehre dem deutschen Soldaten' die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft nicht gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird und (auch) keine unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der
Würde der Opfer besteht. Dabei hat das Erstgericht auf die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. November 2009 (Az. 10 CS 09.2797) und vom 3. Dezember 2010 (Az. 10 ZB 10.147 beide <juris>) Bezug
genommen. Im Beschluss vom 13. November 2009 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass durch den geplanten Aufzug mit dem genannten Thema bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2
Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) nicht erfüllt werden. Unabhängig davon (‚darüber hinaus') führt das Erstgericht weiter aus, dass etwaigen tatbestandsmäßigen Handlungen im Hinblick auf den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit mit Beschränkungen hätte begegnet werden können. Mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte, sofern es etwaige Beschränkungen als zulässig und notwendig erachte, entweder den Tatbestand des Art.
15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG oder den Tatbestand einer anderen Rechtsgrundlage bejahen müssen, setzt sich die Beklagte nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils auseinander. Aus
den Urteilsgründen ergibt sich hinreichend deutlich, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG verneint hat und als weiteren tragenden Gesichtspunkt für die
Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 9. November 2009, mit dem die Versammlung des Klägers insgesamt verboten wurde, neben dem Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm die Unverhältnismäßigkeit eines
‚Totalverbots' der Versammlung herangezogen hat. Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind die Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden
Grundes darzulegen (Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124a RdNr. 61). Dem Erstgericht ist es nämlich nicht verwehrt, seine Entscheidung, mit der es die Rechtswidrigkeit des Verbotsbescheides vom 9. November 2009
feststellt, neben dem Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG auf einen Fehler bei der Ermessensausübung (bzw. die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) zu stützen,
auch wenn der zweite tragende Grund rechtlich erst dann greift, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm erfüllt wären. Erweist sich eine behördliche Entscheidung unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten als
rechtsfehlerhaft, so steht es dem Gericht in seiner Entscheidung frei, ob es sich bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit auf einen rechtlichen Gesichtspunkt beschränkt oder weitere rechtliche Gesichtspunkte kumulativ anführt.
Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) setzt voraus, dass das Urteil des Erstgerichts von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte abweicht und die Abweichung im
Berufungsverfahren entscheidungserheblich zum Tragen kommen kann. Zudem muss das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen, der fragliche Rechts- oder Tatsachensatz muss das angefochtene Urteil also alleine tragen
(Happ, a.a.O., § 124 RdNr. 46). Letztendlich kann die durch die Beklagte aufgeworfene Frage offen bleiben, ob etwaige Beschränkungen der Versammlung, wie sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 14.
November 2008 Az. 10 CS 08.3016 verfügt hatte, tatsächlich zu einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters führen und das inhaltliche Anliegen der Versammlung verändern würden, mit der Folge, dass die im
Urteil des Erstgerichts geäußerte Rechtsauffassung von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 2004 (Az. 1 BvQ 6/04 <juris> RdNr. 13) abweichen würde. Denn jedenfalls beruhte die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts nicht auf dieser Abweichung. Das Urteil ist nämlich auch tragend darauf gestützt, dass schon die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG nicht erfüllt sind.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine
Rechtssache dann, wenn sich darin eine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung stellt, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und daher im Interesse der
Einheit, der Fortbildung oder der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts der Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf (vgl. BVerfG vom 8.12.2009 Az. 2 BvR 758/07 <juris> RdNr. 97; BayVGH vom 10.2.2012 Az.
10 ZB 11.89 <juris> RdNr. 4 m.w.N.). Dementsprechend verlangt das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage
für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist und darlegt, inwieweit ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung der
konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage. Aus dem umfangreichen Vorbringen im Zulassungsantrag ergibt sich nicht eindeutig, welche konkrete Rechtsfrage bezogen auf den Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG geklärt
werden müsste. Soweit das Zulassungsvorbringen dahingehend verstanden werden kann, dass die Beklagte für klärungsbedürftig hält, ob eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft stets eine Äußerung zu
den vom nationalsozialistischen Regime begangenen Menschenrechtsverletzungen voraussetzt, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2009 (Az. 1 BvR 2150/08 <juris>) hinreichend
geklärt. Danach ist erforderlich, dass die Gutheißung erkennbar gerade auf den Nationalsozialismus als historisch reale Gewalt- und Willkürherrschaft bezogen ist (BVerfG a.a.O. RdNr. 100). Gemeint sind damit die das NS-Regime
kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen als geschichtlich reale Willkürakte von verbrecherischer Qualität. Zur Frage, ob die Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft explizit oder auch konkludent
erfolgen kann, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Juni 2008 (Az. 6 C 21/07) geäußert (RdNr. 37 m.w.N.; vgl. auch BVerfG vom 4.11.2009 a.a.O. RdNr. 101). ..." (VGH Bayern, Beschluss vom
03.09.2012 - 10 ZB 11.2153)
***
„... Der Antragsteller vermag insbesondere nicht mit dem Einwand durchzudringen, er habe die verbotenen Versammlungen am 31. August 2012 und am 1. September 2012 mit dem Thema ‚Gegen imperialistische Kriegstreiberei
und Aggressionskriege' in Dortmund als Privatperson angemeldet und nicht in seiner Funktion als Führungsmitglied der verbotenen Vereinigung ‚Nationaler Widerstand Dortmund'. Die entgegenstehende Bewertung des
Antragsgegners, der das Verwaltungsgericht gefolgt ist, ist hinreichend tatsachengestützt und keine bloße Vermutung. Der hier maßgeblichen sofort vollziehbaren VereinsVerbotsverfügung des Ministeriums für Inneres und
Kommunales NRW vom 10. August 2012 lässt sich entnehmen, dass der so genannte ‚nationale Antikriegstag', der immer am ersten Wochenende im September in Dortmund unter jeweils identischem Motto stattfindet, eine
regelmäßige Veranstaltung der Vereinigung ‚Nationaler Widerstand Dortmund' ist. Dieser Bewertung liegt zu Grunde, dass die Versammlungen seit Jahren jeweils von Führungsmitgliedern der verbotenen Vereinigung organisiert und
- bis zur Bekanntgabe des Vereinsverbots am 23. August 2012 - auf ihren Internetportalen, Flyern und Plakaten beworben worden sind. Bei der Mobilisierung wurde und wird bis heute darauf hingewiesen, dass es sich um eine
traditionelle Veranstaltung ‚nationaler Sozialisten' handelt (vgl. z. B. aktuell http://www.widerstand.info/termin/01-09-2012-demonstration-dortmund/). Obwohl die Versammlungen seit dem Vereinsverbot nunmehr mit der nicht näher
spezifizierten Veranstalterangabe ‚Privatperson' beworben werden, hat sich an ihrer Konzeption und der Tradition, in die sie gestellt sind, nichts geändert. Im Gegenteil wird durch das Festhalten an den Versammlungen in der
angemeldeten und bisher üblichen Form sowie durch die auf den Seiten 6 und 7 der streitigen Verbotsverfügung vom 27. August 2012 belegte fortdauernde Vereinsaktivität belegt, dass von den Vereinsverboten unbeeindruckt ein
Vorhaben unverändert fortgeführt werden soll, das für die bisherige Vereinstätigkeit wegen seiner bundesweiten Bedeutung eine zentrale Rolle einnimmt und für das ihre Führungsmitglieder weiterhin Verantwortung zeichnen. Der
Einwand des Antragstellers, Veranstaltungen dieser Größenordnung könnten durch eine einzelne Person nicht organisiert werden, ändert daran nichts.
Aus diesen Gründen sind die Versammlungen dem verbotenen Verein unabhängig davon zuzurechnen, dass der Antragsteller sich selbst gegenüber der Versammlungsbehörde als Veranstalter angegeben hat. Es ist in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass Äußerungen, die von leitenden Mitgliedern eines Vereins stammen oder deren Inhalt von diesen Mitgliedern erkennbar befürwortet wird, dem Verein auch dann
zuzurechnen sind, wenn sie als solche nicht für die Vereinstätigkeit erstellt oder in ihr verwandt worden sind, jedoch den ideologischen Hintergrund kennzeichnen, vor dem die Verantwortlichen des Vereins handeln.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2010 - 6 A 4.09 -, NVwZ-RR 2011, 14 = juris, Rn. 30.
Dementsprechend ist auch die Durchführung der Versammlungen zum so genannten ‚Antikriegstag', die für die Vereinstätigkeit identitätsstiftend geworden sind, durch den Antragsteller und andere leitende Vereinsmitglieder dem
Verein selbst zuzurechnen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass nunmehr der Versammlungsleiter auf Grund der im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Erkrankung des Antragstellers ausgetauscht werden soll. Auch
soweit Herr X. als Außenstehender die Veranstaltungsleitung übernimmt, dient dies allein dazu, die für den verbotenen Verein traditionsbildend gewordenen Veranstaltungen zu ermöglichen. Hierdurch würde angesichts des
erheblichen Stellenwerts der Versammlungen im bisherigen Vereinsgeschehen ein verbotener Verein im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG unterstützt. Durch Wahrnehmung dieser zentralen Aufgabe würde ein Nichtmitglied Hilfe
in einer Form leisten, die auf den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung bezogen ist und der eine messbare organisatorische Bedeutung zukommt. ..."(OVG, Beschluss vom 30.08.2012 - 5 B 1025/12)
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„... Die Beschwerde der Antragsteller, zu denen nunmehr auch die in der Beschwerdeschrift namentlich näher bezeichneten Vorstandsmitglieder der bisher im Aktivrubrum aufgeführten Antragsteller hinzugetreten sind, ist
unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, das für die Prüfung des angefochtenen Beschlusses maßgeblich ist (§ 146 Abs. 4 S. 3 u. 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung der Entscheidung nicht.
Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der ‚Bürgerbewegung P...' als Anmelderin und den Teilnehmern der Kundgebungen am 18. August 2012 vor der
A... in Wedding (12.00 h), vor der A... in Neukölln (14.00 h) und vor der Neuköllner Begegnungsstätte (...16.00 h) eine Auflage zu erteilen, die das Zeigen der sogenannten ‚Mohammed-Karikaturen' während der Kundgebungen
untersagt, hilfsweise, das Zeigen dieser Karikaturen in Sichtweite der Moscheen und der Zugangswege zu diesen zu untersagen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es erscheine bereits zweifelhaft, ob die Antragsteller überhaupt
antragsbefugt seien. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Eine Vorwegnahme der Haupt-sacheentscheidung im Wege des § 123 Abs. 1 VwGO komme mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei und dem Rechtsschutzsuchenden schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Bereits ein Anordnungsanspruch sei mit der für die Vorwegnahme
der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit hier nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO), denn den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG könnten die
Antragsteller nicht mit Erfolg verlangen. Die Versammlungsfreiheit habe nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergebe, dass dies zum Schutz anderer, mindestens
gleichwertiger Rechtsgüter notwendig sei. Weiterhin müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ‚erkennbare Umstände' dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
erwarten sei, was nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraussetze; bloße Vermutungen reichten nicht aus. Hiernach fehlte es bereits an der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Voraussetzung für den Erlass einer Auflage seien, denn es stehe nicht fest, dass das Zeigen der ‚Mohammed-Karikaturen' strafrechtlich relevant sei. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des
§ 166 StGB fehle es erkennbar an einer ‚Beschimpfung' im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses. Zudem sei zu beachten, dass die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG fielen, was der
Verwirklichung des Straftatbestandes zusätzlich entgegenstehe. Ebenso wenig sei anzunehmen, dass allein durch das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen
aufgefordert werde und damit der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt wäre. Schließlich sei der Umstand, dass die Verbreitung der Karikaturen ‚international äußerst umstritten' sei, wie die Antragsteller im Einzelnen
ausführten, keine hinreichende Tatsachengrundlage, um hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anzunehmen. Schließlich stünde der Erlass einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG im pflichtgemäßen Ermessen des
Antragsgegners, und Gründe, die hier zwingend eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit geböten und damit für eine Ermessenreduzierung auf Null sprächen, seien nicht ersichtlich.
Die Beschwerde enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde. Den zutreffenden rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, wonach der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nur in Betracht
kommt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, und die Versammlungsfreiheit im Wege einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nur zurückzutreten hat, wenn dies zum Schutze
anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist, was bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen müssen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, beanstandet die Beschwerde nicht. Soweit sie allein geltend macht, ein Zeigen der ‚Mohammed-Karikaturen' sei ‚durchaus strafrechtlich relevant', denn es fehle keineswegs an einer ‚Beschimpfung'
im Sinne von § 166 StGB, begründet dieses Vorbringen den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung - auch mit dem Hilfsbegehren - nicht. Zum einen vermag der Senat im Rahmen der ihm vorliegenden - hier nur
eingeschränkten - Erkenntnismöglichkeiten nicht zu sehen, dass eine Darstellung der hier interessierenden Karikaturen, zumal im Rahmen einer öffentlichen, auf Meinungsdarstellung und entsprechende Kommunikation des fraglichen
Anliegens zielenden Versammlung, ein Beschimpfen i.S.v. § 166 StGB schon dem Wortlaut nach erfüllen sollte. Ein Beschimpfen im genannten Sinne erfasst nicht schon jede herabsetzende Äußerung, sondern nur nach Form und
Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Mißachtung (s. im Einzelnen: LG Bochum, Beschluss vom 25. August 1988 - 6 Qs 174/88 -, NJW 1989, 727, 728 sowie etwa Fischer, StGB, Komm., § 166 StGB, Rdn. 12; entsprechend
auch VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -, Juris, Rdn. 13). Zum anderen und insbesondere setzt sich die Beschwerde nicht mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach die fraglichen
Karikaturen unter das Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG fallen. Dieser - im Übrigen nicht zu beanstandenden - Einordnung muss sowohl bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals ‚Beschimpfen' in § 166 StGB
Rechnung getragen werden (vgl. entsprechend zu § 185 StGB: BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 -, Juris, Rdn. 22) wie auf Verfassungsebene bei der Frage, wie hier die Abwägung und Vornahme praktischer
Konkordanz zwischen dem von den Antragstellern in Anspruch genommenen Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und den Grundrechten auf Versammlungs- und Kunstfreiheit andererseits (Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3
GG) vonstattengehen soll. Entsprechendes wird (auch) mit der Beschwerde nicht ansatzweise geleistet; dass sich hier die Religionsfreiheit der Antragsteller einfachrechtlich in der Weise durchsetzen würde, dass die Darstellung der
fraglichen Karikaturen unter Hintanstellung der Versammlungs- sowie der Kunstfreiheit auf Seiten der Teilnehmer der angestrebten Versammlung in der den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erzwingenden Weise sich als
Straftat im Sinne von § 166 StGB darstellen würde, drängt sich dem Senat auch sonst nicht auf. ..." (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2012 - OVG 1 S 117.12)
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Der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. Nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für dessen
Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) unterfällt dem Schutzbereich von Art. 8 GG. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn die in Rede stehenden Gegenstände und
Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind. Das Aufstellen von Sitzgelegenheiten gehört grundsätzlich nicht zu den
essentiell notwendigen Voraussetzungen einer Versammlung unter freiem Himmel ((OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.08.2012 - OVG 1 S 108.12):
„... Der Antragsteller meldete am 1. August 2012 eine Versammlung zum Thema ‚Asylrecht' unter freiem Himmel an, die durchgehend vom 3. August (14:00 Uhr) bis zum 3. Dezember 2012 auf dem H...platz in Berlin als
Dauermahnwache stattfinden soll und im Internet (‚http://a....com') unter dem Motto ‚R...' begleitend dokumentiert wird. Bei der Veranstaltung sollten überdachte Informationstische, ein selbstständig stehender Regen-
bzw. Sonnenschutz, ein Pavillon, Stühle sowie sog. Euro-Paletten als Anbringungsmöglichkeit für Informationsmaterial und Schlafmöglichkeiten für eine Nachtwache eingesetzt werden.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Auflagenbescheid vom 2. August 2012 untersagte der Antragsgegner gemäß § 15 Abs. 1 Alt. 2 Versammlungsgesetz die Aufstellung und Nutzung der vorgenannten Gegenstände ohne die
erforderliche straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis nach § 11 Berliner Straßengesetz; anderes gelte für die Euro-Paletten, soweit diese zum Anbringen von Informationsmaterial (als Stellwand) genutzt würden. Auf den
vorläufigen Rechtsschutzantrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs nur hinsichtlich der Aufstellung eines überdachten ‚Infotisches' wiederhergestellt
und den Antrag im Übrigen abgelehnt, weil die übrigen Aufbauten und Hilfsmittel nicht als wesensnotwendige Bestandteile der Versammlung anzusehen seien.
Mit seiner Beschwerde erstrebt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs auch in Bezug auf das Verbot des Aufstellens und der Nutzung des Pavillons und von Stühlen. Er beruft sich
unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages darauf, dass der Pavillon und die (nicht genannte Anzahl) Stühle wesensnotwendige Bestandteile der Versammlung und damit zur Verfolgung des Grundrechts aus Art. 8 GG
erforderlich seien. Anders als ein zudem optisch neutrales Zelt solle der Pavillon nicht (mehr) zum Schlafen genutzt werden; vielmehr seien zahlreiche Transparente mit Forderungen und Informationen daran befestigt, wie im Internet
zu sehen sei. Der Pavillon sei ein für die Mahnwache entscheidendes Element, das die bundesweit stattfindenden Mahnwachen u.a. in A... (Bayern), B..., R... und D... auch optisch miteinander verbinde. Die Mahnwache in Berlin habe
sich aus mehreren Solidaritätsaktionen für die Mahnwache in W... gebildet und sehe sich damit in Zusammenhang stehend. Die Protestveranstaltung solle inhaltlich wie äußerlich die dortige Mahnwache nachempfinden. Der Pavillon
sei ein Symbol für Obdach und Wohnen, stünde für die Versammlungsteilnehmer in besonderem Maße für Flüchtlingsbelange und solle nicht zuletzt an die Flüchtlingscamps der UN in Krisenregionen erinnern. Weder dem Beschluss
des Verwaltungsgerichts vom 23. Dezember 2003 - VG 1 A 361.03 - noch dem des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. September 1991 - OVG 5 B 2541/91 - (NVwZ-RR 1992, 360 f., und juris) könne ein
generelles Verbot von Zelten oder Pavillons entnommen werden, da es im Einzelfall durchaus möglich sei, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen. So verhalte es sich hier; der Pavillon diene nicht
vorrangig dem Schutz der Teilnehmer vor witterungsbedingten Erschwernissen bei der Durchführung der Versammlung bzw. deren Bequemlichkeit. Die Mahnwache verstehe sich als eine rund um die Uhr arbeitende Versammlung
mit einem umfassenden Programm (Diskussions- und Informationsveranstaltungen, Arbeitsgruppentreffen, Film- und Musikvorführungen) zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik; dafür seien Stühle erforderlich, auch um älteren und
behinderten Menschen eine Teilnahme und eine genaue Erklärung und Auseinandersetzung mit den Kernforderungen der Mahnwache zu ermöglichen. Es sei geplant, dass sich an unterschiedlichen Orten in Deutschland zur gleichen
Zeit öffentlich sichtbar Menschen auf unterschiedlichste Arten mit Asyl- und Flüchtlingspolitik befassten und ihre Forderungen kundtäten. Dieses städteübergreifende Konzept könne nur durchgeführt werden, wenn die Versammlung
sowie wesentliche Arbeitsmittel (Computer, Lautsprecheranlage und Beamer) vor Witterungseinflüssen geschützt seien.
Diese für die Prüfung des Senats maßgeblichen Darlegungen der Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
Dass es sich bei der geplanten Veranstaltung grundsätzlich um eine dem Schutz von Art. 8 GG unterfallende Versammlung handelt, stellen Antragsgegner und Verwaltungsgericht zu Recht nicht in Frage. Da der Antragsteller von
seiner ursprünglichen Absicht, den Pavillon auch zu Übernachtungszwecken zu nutzen, im Beschwerdeverfahren Abstand genommen hat, steht mittlerweile (wohl) auch außer Streit, dass, wenn ein Zelt oder eine andere Art der
Überdachung zum Übernachten oder zu sonstigen rein logistischen Zwecken genutzt wird, derartiges nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfällt, sondern als straßenrechtliche Sondernutzung erlaubnisbedürftig ist (st.Rspr.
der Berliner Verwaltungsgerichte, vgl. nur OVG Berlin, Beschluss vom 30. Dezember 2004 - OVG 1 S 86.03 -, Abdruck S. 3 f.; sowie - jeweils zu den aktuellen Parallelveranstaltungen der hiesigen Versammlung - Bayerischer VGH,
Beschluss vom 2. Juli 2012 - 10 CS 12.1419 -, Abdruck Rn. 22 ff. m.w.Nachw. zur eigenen Rspr.; zuletzt VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2012 - 18 L 1140/12 -, juris Rn. 10 ff. m.w.Nachw.). Streitig ist hier daher nur (noch),
ob der nach den im Internet (a.a.O.) veröffentlichten Bildern einen Großteil des H... Platzes einnehmende Pavillon und die Stühle, wobei es sich bei letzteren augenscheinlich um lange Klappbänke (sog. Bierbänke) handelt, nach den
im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ebenfalls nicht dem Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts unterfallen, wovon der Senat aus folgenden Erwägungen ausgeht:
Ausgangspunkt der Beurteilung ist die herausgehobene Bedeutung der Versammlungsfreiheit (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - ‚Brokdorf II', BVerfGE 69, 315 ff. [346 f.], juris Rn. 59
ff.), die wegen des hohen Rangs dieses Grundrechts regelmäßig zu einer entsprechenden Zurückdrängung der Freiheitsrechte Anderer, namentlich von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden führt. Allerdings
kommt es mit einer zunehmenden zeitlichen oder örtlichen Verfestigung der Versammlung in verstärktem Maße zu Überschneidungen zwischen den Zwecken einer kollektiven Meinungskundgabe mit Formen einer individuellen
Lebensgestaltung, also etwa dem ‚Wohnen im Zelt' (vgl. Dietlein, NVwZ 1992, 1066 f.); dies bedingt eindeutige und praktisch handhabbare Abgrenzungskriterien, um die Reichweite des Versammlungsgrundrechts und die damit
einhergehende Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums nicht nach Belieben ausufern zu lassen.
Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1
BvQ 28/01 u.a -, NJW 2001, 2459, juris Rn. 19, und vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41; Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 - OVG 1 S 72.12 -, Abdruck S. 4), kann auch nicht jede
Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur
dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind, denn der
Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001, a.a.O., und vom 24. Oktober 2001, juris Rn.
54; weitere Nachweise bei Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl., § 1 Rn. 8 zu Fußn. 14 f., sowie Kanther, NVwZ 2001, 1239 ff.).
Hiervon ausgehend bestimmen die Teilnehmer einer Versammlung zwar selbst darüber, was sie zum Gegenstand der öffentlicher Meinungsbildung machen, und im Rahmen ihrer Typen- und Gestaltungsfreiheit auch, welcher
Ausdrucksformen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001, juris Rn. 30); von daher ist der Vortrag der Beschwerde, der Pavillon stehe symbolisch für das
Versammlungsmotto (Flüchtlingsbelange, Situation von Asylbewerbern) und verbildliche zudem eine städteübergreifende Solidarität mit anderen Mahnwachen, auch nicht von vornherein unerheblich. Eine solche Wertung unterstellt
die Beschwerde dem angegriffenen Beschluss freilich zu Unrecht; denn das Verwaltungsgericht hat in Anwendung der vorstehenden Maßstäbe zutreffend darauf abgehoben, dass der Pavillon und die begehrten Sitzgelegenheiten nach
den Umständen des vorliegenden Falles voraussichtlich keine wesensnotwendigen Bestandteile der angemeldeten Versammlung sind, sondern vorrangig dem Schutz der Teilnehmer und der vom Veranstalter eingesetzten Arbeitsmittel
vor witterungsbedingten Erschwernissen bei der Durchführung der Versammlung bzw. der bequemeren Durchführung der Veranstaltung dienen. Diese Würdigung wird von der Beschwerde nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
Anders als möglichweise das ‚Roma-Zeltlager' vor dem nordrhein-westfälischen Landtag (vgl. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., juris Rn. 5; kritisch dazu Dietlein, a.a.O.; vgl. auch Kanther, a.a.O.) oder andere in der
Literatur genannte Beispiele (vgl. etwa Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 Rn. 54: Demonstration von medizinischem Personal unter Zuhilfenahme von Betten und medizinischem Gerät zum Thema Pflegenotstand) kann der vorliegend
behauptete wesensnotwendige Zusammenhang zwischen dem immerhin viermonatigen großflächigen Dauereinsatz eines Pavillons auf einem im Verhältnis dazu eher kleinen öffentlichen Platz und dem Versammlungsthema bzw.
-zweck (u.a. ‚Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten, Solidarität mit den Hungerstreikenden in W...') nicht damit glaubhaft gemacht werden, dass diese nach Art der Errichtung einem größeren Zelt gleichstehende Installation wegen der
Anbringung von großflächigen Transparenten und Informationsmaterial zur Verwirklichung des Versammlungszwecks wesentlich sei (ebenso in Bezug auf ein Mannschaftszelt: Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. April 2012 - 10
CS 12.854 -, juris Rn. 18); dafür könnten auch die (ausdrücklich nicht untersagten) Euro-Paletten oder der überdachte Informationstisch dienen (vgl. in diesem Sinne schon OVG Berlin, Beschluss vom 30. Dezember, a.a.O.), den das
Verwaltungsgericht für vom Schutzzweck der Versammlungsfreiheit umfasst angesehen hat. Dass der Pavillon die Mahnwache in Berlin mit der in W... auch optisch miteinander verbinde, erschließt sich nur über die Bilder im
Internet, nicht aber dem Teilnehmer vor Ort; hierauf kommt es jedoch an, da eine Versammlung gerade durch die physische Präsenz vor Ort geprägt wird (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 Rn. 5). Ebenso wenig überzeugt der
Vergleich der Beschwerdebegründung eines an den Seiten offenen Pavillons mit Flüchtlingscamps der UN in Krisenregionen. Soweit geltend gemacht wird, der Pavillon diene der Durchführung von Diskussions- und
Informationsveranstaltungen, Arbeitsgruppentreffen sowie Film- und Musikvorführungen und schütze wesentliche Arbeitsmittel vor Witterungseinflüssen, erfüllt er überwiegend logistische Funktionen, um möglichst optimale und
bequeme Rahmenbedingungen für die Versammlung zu schaffen; dazu wurde das Erforderliche bereits ausgeführt.
Auch das Aufstellen von Sitzgelegenheiten gehört nicht zu den essentiell notwendigen Voraussetzungen einer Versammlung unter freiem Himmel (ebenso Sächsisches OVG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - 3 BS 216/03 -, juris; sowie
bayerischer VGH, Beschluss vom 28. April 1978 - Nr. 91 VIII/78 -, NJW 1978, 1939 f.; anders wohl die aktuelle, oben zitierte Rspr. dieses Gerichts). Eine Versammlung unter freiem Himmel ist strukturell nach außen gewandt und
soll jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglichen. Sie ist regelmäßig zeitlich straffer und konzentrierter als Versammlungen in geschlossenen Räumen, so dass
ein dauerhaftes Verweilen über Monate an einem Ort nicht dem herkömmlichen Bild der Versammlung unter freiem Himmel entspricht, was bei der Bestimmung der notwendigen Reichweite dieses Grundrechts nicht außer Acht
bleiben kann. Das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, beinhaltet danach nicht ohne Weiteres das Recht, dabei auch sitzen zu müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Eilverfahren die Entscheidung in
der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird; daher war die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG). ..."
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Zur Auslegung einer das gesetzliche Verbot des Mitführens von Vermummungsgegenständen (§ 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) wiederholenden "Auflage". Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem
Himmel oder eines Aufzugs, für die Einhaltung des - gesetzeswiederholend - verfügten Verbots des Mitführens von Vermummungsgegenständen zu sorgen, kann allenfalls unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1
VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint;VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12).
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Mindestens zwei Personen können eine durch Art. 8 GG geschützte Versammlung bilden (Anschluss an VGH Baden Württemberg, Urteil vom 25. April 2007 - 1 S 2828/06 -, ESVGH 57, 197). Auch bei Kundgebungen in der Nähe
von Justizvollzugsanstalten (hier bei einer Kundgebung gegen die Sicherungsverwahrung) dürfen grundsätzlich Lautsprecher eingesetzt werden. Ein Verbot der Lautsprecherbenutzung bedarf in solchen Fällen einer besonderen
Interessenabwägung, die sich nicht in dem Argument erschöpfen darf, der Lautsprechereinsatz sei für die Binnenkommunikation der (wenigen) Versammlungsteilnehmer nicht erforderlich (HessVGH, Beschluss vom 31.05.2012 - 8 A 514/12):
„... Die Berufung ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Auflage Nr. 7 im angegriffenen Auflagenbescheid des Bürgermeisters der Antragsgegnerin zu Unrecht abgewiesen.
Allerdings ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten für seine Klage unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO hat. Die Wiederholungsgefahr ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass an der geplanten Kundgebung am 1. November 2010 nach Presseberichten (Bl. 12 ff. BA) nur drei Personen teilnehmen wollten. Trotz dieser geringen
Teilnehmerzahl war die geplante Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, das diesen Begriff und die Anzahl der erforderlichen Teilnehmer nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung werden
bezüglich der Anzahl der für eine Versammlung erforderlichen Teilnehmer unterschiedliche Auffassungen (von zwei bis sieben Personen) vertreten (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., Rn. 18 zu § 1 m.w.N.). Der
Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an (Urteil vom 25. April 2007 - 1 S 2828/06 -, ESVGH 57, 197 = juris Rn. 22 f.), der eine Teilnahme von zwei Personen zu gemeinsamer
Meinungsäußerung bei gleichzeitiger physischer Anwesenheit für ausreichend hält, wie dies auch der bundesweit einzigen gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 1 des bayerischen Versammlungsgesetzes entspricht (Dietel u.a., a.a.O.).
Dass der Kläger weitere Kundgebungen gegen die in Deutschland praktizierte Form der Sicherungsverwahrung anmelden will, hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft bekundet. Es ist auch absehbar, dass es
Anlässe für solche Kundgebungen in Schwalmstadt geben wird, da das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa als Reaktion auf die entsprechende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (Urteil vom 13. Januar 2011 - 17792/07 -, EuGRZ 2011, 255 = juris Rn. 82 ff.) plant, in Schwalmstadt eine besondere Einrichtung für die Unterbringung in Sicherungsverwahrung befindlicher Personen auch aus
anderen Bundesländern zu schaffen.
Die Klage ist, auch soweit nicht bereits das Verwaltungsgericht rechtskräftig darüber entschieden hat, begründet, denn die dem Kläger erteilte Auflage bezüglich der Verwendung einer Lautsprecheranlage war rechtswidrig.
Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 5. März 2012 ausgeführt hat, trägt das vom Verwaltungsgericht herangezogene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 - 1 A 162.01 - (juris) entgegen
der Auffassung der Beklagten nicht zur Klärung der Frage bei, ob der Einsatz von Lautsprecheranlagen bei Kundgebungen in der Nähe von Justizvollzugsanstalten zulässig ist. Denn zum einen befasst sich dieses Urteil nicht mit der
besonderen Problematik der akustischen Einwirkung auf Personal und Insassen von Justizvollzugsanstalten, zum anderen geht diese Entscheidung - wie auch die Begründung der angegriffenen Auflage in Nr. 7 des angefochtenen
Bescheids - von der irrigen Annahme aus, ein Lautsprechereinsatz bei Kundgebungen sei nur dann zulässig, wenn er zur Wahrung der sog. Binnenkommunikation zwischen den Teilnehmern der Versammlung erforderlich sei (VG
Berlin a.a.O., juris Rn. 29). Dies verkennt den kommunikativen Ansatz des Grundrechts aus Art. 8 GG, der auch und gerade die Kontaktaufnahme zu Nichtteilnehmern unter Schutz stellt und deshalb eine akustische Verstärkung
kollektiver Meinungsäußerungen von Versammlungsteilnehmern grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Teilnehmerzahl zulässt (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, NJW 2001, 2459 = juris Rn. 24; OVG
Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2003 - 4 B 365/03 -, NVwZ-RR 2004, 844 = juris Rn. 19). Das OVG Brandenburg hat hierzu ausgeführt (a.a.O.):
‚Die Auflage Nr. 13 ist weiter rechtswidrig, soweit sie den Einsatz eines Lautsprecherwagens untersagt. Das Verwaltungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Lautsprechern bei Versammlungen grundsätzlich
zulässig ist. Er unterliegt als versammlungsimmanentes Element auch nicht etwa der Notwendigkeit einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO. Welche konkreten
Gefahren von dem Lautsprecherwagen ausgehen sollen, dessen Einsatz außerhalb des Bahnhofsvorplatzes nach den Angaben des Antragstellers nur für das Abspielen klassischer Musikstücke von Beethoven und J. Strauß auf dem
Weg zum Friedhof sowie auf dem Friedhofsvorplatz für die (bislang) dort beabsichtigten Reden von zwei ‚Zeitzeugen' in Betracht kommt, wird vom Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt'.
Auch die Begründung des vom Kläger angegriffenen Bescheids lässt - abgesehen von dem nicht tragfähigen Hinweis, dass der Einsatz einer Lautsprecheranlage zur Gewährleistung der Binnenkommunikation zwischen den
Teilnehmern der Kundgebung nicht notwendig sei - keine konkreten Erwägungen der Versammlungsbehörde erkennen, die das Verbot der Verwendung einer Lautsprecheranlage begründen könnten. Die von der Beklagten erst im
Klageverfahren geäußerte Erwägung, das Verbot der Lautsprecherbenutzung sei zum Schutz der Inhaftierten und der Bediensteten in der Justizvollzugsanstalt vor unerwünschten Meinungsäußerungen der Versammlungsteilnehmer
notwendig gewesen, ist als Begründung der angegriffenen Auflage nicht geeignet, auch wenn man davon ausgehen wollte, dass mit dieser Begründung die ursprünglichen, nicht tragfähigen Ermessenserwägungen nicht ersetzt, sondern
lediglich ergänzt werden sollten (§ 114 S. 2 VwGO). Denn diese Argumentation berücksichtigt zu wenig die näheren Umstände des Einzelfalls. Die geplante Kundgebung sollte zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem sich rund 20 der
34 in Schwalmstadt sicherungsverwahrten Personen im Hungerstreik befanden, und deren Aktion unterstützen. Die Annahme, die Inhaftierten hätten sich durch diese Unterstützungsaktion gestört fühlen können, erscheint unter diesen
Umständen lebensfremd. Die lästigen Nebenwirkungen einer verstärkten ‚Beschallung' unbeteiligter Personen hätten durch eine zeitliche Begrenzung des Lautsprechereinsatzes in erträglichen Grenzen gehalten werden können.
Eine gegen jegliche Wahrnehmung fremder Meinungen schützende ‚negative Meinungsfreiheit' kennt das Grundgesetz entgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit
Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 - (BVerfGE 104, 92 = juris), den das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 21. Dezember 2005 (a.a.O., juris Rn. 26) lediglich in Bezug auf das Minderheitsvotum einer
Richterin zitiert hat, zur Güterabwägung bei solchen Grundrechtekonflikten im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB Folgendes ausgeführt (juris Rn. 62 ff.):
‚Die Verwerflichkeitsklausel untersagt als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit übermäßige Sanktionen und schützt unter Berücksichtigung des Art. 8 GG insbesondere davor, dass eine Strafandrohung ein übermäßiges
Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirkt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll aber auch sichern, dass den anderen betroffenen Rechtsgütern Schutz gewährt wird. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit
der Entfaltungsfreiheit oder anderen Grundrechten und sonstigen Rechtspositionen Dritter, ist für eine wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes beider Sorge zu tragen. Soweit eine
strafrechtliche Sanktion eingesetzt wird, muss sie zum Schutz der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit nicht nur geeignet, sondern auch angesichts der damit verbundenen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit erforderlich
und angemessen sein.
Dabei ist das Recht der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung
der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen. Diese Einschätzung der Träger des Grundrechts ist jedenfalls insoweit maßgeblich, als sie Rechte Dritter nicht beeinträchtigen. Kommt es zu Rechtsgüterkollisionen,
ist ihr Selbstbestimmungsrecht allerdings durch das Recht anderer beschränkt. Im Strafverfahren besteht anders als für versammlungsbehördliche Entscheidungen, die im Vorfeld von Versammlungen ergehen, jedoch keine
Möglichkeit, Rechtsgüterkollisionen durch versammlungsrechtliche Auflagen auszuschließen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Modifikation der Durchführung der Versammlung, etwa die Veränderung der Route
eines Aufzugs oder der Dauer der Kundgebung, Rechnung zu tragen. Die Strafgerichte können lediglich die schon durchgeführte Versammlung strafrechtlich einordnen. Das Gebot, das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich Ziel und
Gegenstand sowie Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung anzuerkennen, führt in einem solchen Fall dazu, dass die Gerichte die Einschätzung der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu respektieren haben, wie sie ihre
Aktion zur Verfolgung des Kommunikationszwecks gestalten wollen. Vom Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger ist jedoch nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden
Rechtsgüter hinzunehmen haben. Bei der Angemessenheitsprüfung haben die Gerichte daher auch zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der
Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der
kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.
Insofern werden die näheren Umstände der Demonstration für die Verwerflichkeitsprüfung bedeutsam (vgl. BVerfGE 73, 206 <257>). In diesem Rahmen sind insbesondere auch Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte
und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des
blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (vgl. in Anknüpfung an BVerfGE 73, 206 <257> Eser, in: Festschrift für Jauch,
1990, S. 35 <39>). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Gericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als
nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der
Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn
dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen
auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben'.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätten der Versammlungsbehörde hier mildere Mittel als die Untersagung jeglichen Lautsprechergebrauchs zur Verfügung gestanden, um einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der
beteiligten Rechtsträger herbeizuführen. Neben einer Begrenzung der Kundgebungsdauer wäre insbesondere die Untersagung von Aufrufen zu gewalttätigen Aktionen der sicherungsverwahrten Personen oder anderen strafrechtlich
relevanten Verhaltensweisen von Insassen der Justizvollzugsanstalt in Betracht zu ziehen gewesen, um anstelle der gänzlichen Absage der Kundgebung deren Durchführung in angemessenem Umfang ohne grundrechtsrelevante
Gefährdung von Rechtsgütern Dritter zu gewährleisten. Das Totalverbot des Lautsprechereinsatzes war deswegen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. ..."
***
„...Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2012 - 5 L 1697/12.F - wird zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird dieser Beschluss
abgeändert. Die im Beschlusstenor erteilten Auflagen Nr. 6 (Blockadeverbot) und Nr. 11 („Texte strafrechtlicher Art" werden aufgehoben. Der letzte Satz der Auflage Nr. 8 (Ordnerliste) wird aufgehoben und durch folgende Regelung
ersetzt: „Der Versammlungsleiter hat dem Einsatzleiter der Polizei spätestens 15 Minuten vor dem Aufzug mitzuteilen, wie viele Ordner er bestellt hat, und zu versichern, dass er sie auf ihre Zuverlässigkeit überprüft hat. Werden
während des Aufzugs Ordner von ihren Aufgaben entbunden oder neu bestellt, ist dies dem Einsatzleiter der Polizei unverzüglich mitzuteilen". Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. ...
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet, denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zustimmend Bezug nimmt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs gegen die angegriffene Verbotsverfügung unter Auflagen wiederhergestellt. Der Senat teilt die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts, die als Ergebnis eines mehrstündigen Erörterungstermins und
aufgrund eigener Ortskenntnis des Gerichts getroffen worden ist. Im Rahmen des Erörterungstermins war offenbar auch die Einsatzleitung der Polizei zu der Einschätzung gelangt, dass eine Durchführung des Aufzugs mit geeigneten
Auflagen hingenommen werden könne. Das Verwaltungsgericht hat auch die von ihr vorgeschlagenen Auflagen in seinen Beschluss übernommen. Die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts wird darüber hinaus dadurch
gestützt, dass aufgrund eines weiteren beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main durchgeführten Erörterungstermins mehr als 300 potentiellen Teilnehmern der „Blockupy"-Veranstaltung erteilte polizeiliche Aufenthaltsverbote von
der Behörde aufgehoben worden sind. Im Übrigen ist das Gefahrenpotential der Veranstaltung mutmaßlich auch dadurch kleiner geworden, dass die vor dem 19. Mai 2012 geplanten Aktionen im Rahmen der „Ockupy"-Veranstaltung
nicht legal stattfinden können, nachdem der Senat mit heutigen Beschlüssen in den Verfahren 8 B 1150/12 und 8 B 1157/12 u.a. die sofortige Vollziehbarkeit der Verbote dieser Aktionen bestätigt hat.
Die Beschwerde des Antragstellers hat nur in geringem Umfang Erfolg, weil die von ihm angegriffenen Auflagen überwiegend sachgerecht und mit § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz vereinbar sind, so dass seine Beschwerde insoweit
zurückzuweisen ist.
Erfolg hat seine Beschwerde nur bezüglich der vom Senat für zu unbestimmt gehaltenen Auflagen Nr. 6 und Nr. 11 und hinsichtlich der Auflage Nr. 8, die im letzten Satz über die gesetzlichen Anforderungen der §§ 9, 15 Abs. 1
VersG hinausgehende Anforderungen stellt, wie in der Beschwerdebegründung der Bevollmächtigten des Antragstellers auf den Seiten 4 ff. zutreffend dargestellt worden ist. ..." (HessVGH, Beschluss vom 16.05.2012 - 8 B 1158/12)
***
„... I. Die Antragsstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main als rechtmäßig bestätigten Sofortvollzug von Verbotsverfügungen der Antragsgegnerin, die sich gegen
Teilveranstaltungen im Rahmen geplanter Aktionstage zur sog. Eurokrise richten, die vom 16. bis 19. Mai 2012 in Frankfurt am Main unter dem Motto ‚Blockupy Frankfurt' stattfinden sollen.
Unter dem 19. März 2012 wurden bei der Antragsgegnerin öffentliche Versammlungen gemäß § 14 Versammlungsgesetz vom 17. bis 19. Mai 2012 mit dem Veranstaltungsthema ‚Eurokrise' für die Bereiche Opernplatz, Untermainkai,
Rathenauplatz, Hauptwache, Goetheplatz, Kaiserstraße (Kaiserplatz), Paulsplatz, Taunusanlage, Willy-Brandt-Platz, Börsenplatz, Kaiserstraße/Kaiserplatz, Taunusstraße Ecke Gallusanlage und Rothschildpark angemeldet. Auf der
Internetseite der Partei A... Hessen wird zu den europaweiten Aktionstagen vom 16. bis 19 Mai 2012 in Frankfurt am Main unter dem Motto: Blockupy! aufgerufen. Es wird weiterhin ausgeführt: ‚ …wir werden im Bündnis mit
anderen gegen die Politik von EU und Troika demonstrieren und die öffentlichen Plätze im Frankfurter Finanzzentrum okkupieren.' Im Internet befinden sich zahlreiche weitere Aufrufe zur Teilnahme an den Aktionstagen ‚Blockupy'.
Mit Verfügungen vom 4. Mai 2012 verbot die Stadt Frankfurt am Main die angemeldeten Veranstaltungen und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügungen an. Zur Begründung führte sie aus, die angekündigte
‚Massenblockade', ‚Besetzung', ‚Belagerung' und ‚Lahmlegung' der zentralen Plätze sowie der Zugänge und Zufahrten zur EZB sowie anderer Banken, Büros und Geschäfte in der Innenstadt über mehrere Tage solle nach den Plänen
der Anmelder die Funktionsfähigkeit der Innenstadt mit ihrem Banken- und Geschäftsviertel beseitigen und würde dadurch von der Verfassung geschützte Grundrechte anderer Menschen verletzen. Außerdem beeinträchtige die
geplante Dauerblockade die Gewährleistung der bestehenden europarechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vertragspartnern und der Europäischen Zentralbank (EZB). Wegen weiterer
Einzelheiten wird auf die angegriffenen Verfügungen Bezug genommen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 14. Mai 2012 - 5 L 1655/12.F - die gegen diese Verfügungen gerichteten Eilanträge abgelehnt, weil die Verfügungen offensichtlich rechtmäßig und der Vollzug
eilbedürftig seien. Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz dürfe die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen gehe die Antragsgegnerin insoweit zutreffend aus. Nach
Durchführung eines Erörterungstermins am 12. Mai 2012 teile das Gericht die in den angegriffenen Verfügungen wiedergegebene Einschätzung der Gefahrenprognose. Das Blockupy-Bündnis, zu dem auch die Antragstellerin gehöre,
habe selbst für den 18. Mai zu Massenblockaden aufgerufen, die im Mittelpunkt der ‚Protest-Choreographie' stehen sollten. So heiße es zum Beispiel in einem Flyer vom 2. April 2012, das erklärte Aktionsziel dieses Tages bestehe
darin, den üblichen Geschäftsablauf der EZB sowie anderer zentraler Akteure im Frankfurter Finanzzentrum zu stören. Während der 17. Mai mit dem Stichwort ‚Take the Squares' dazu diene, Plätze im Bankenviertel zu besetzen und
damit eine gute Ausgangsposition für die geplanten Blockaden am Freitag zu erlangen, sollten die EZB und das Bankenviertel am Freitag (18. Mai) lahm gelegt werden. Ziel sei die EZB, die Bundesbank, die Deutsche Bank und die
Commerzbank sowie Firmen und Konzerne, die die Verarmungspolitik der Troika betrieben und davon profitierten. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.
Ihre am 14. Mai 2012 beim Verwaltungsgericht eingegangene Beschwerde gegen diesen Beschluss begründet die Antragstellerin mit der Auffassung, das angegriffene Versammlungsverbot verletze sie in ihrem Recht auf
Selbstbestimmung ihrer Versammlungsformen und störe den Zusammenhang der geplanten mehrtägigen Veranstaltung als ‚Gesamtkunstwerk'. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin sei schon deshalb nicht haltbar, weil in den
letzten Jahren in Frankfurt am Main mehrere Großdemonstrationen mit ähnlichen Themen und vergleichbarem Teilnehmerkreis ohne wesentliche Zwischenfälle und Störungen durchgeführt worden seien.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2012 - 5 L 1655/12.F - die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die
an sie adressierten Verbotsverfügungen der Antragstellerin vom 4. Mai 2012 wiederherzustellen. Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und verteidigt ihre angegriffenen Verfügungen und den
angefochtenen Beschluss. Wegen der Einzelheiten wird auf ihren Schriftsatz vom 15. Mai 2012 Bezug genommen.
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat ihre Aussetzungsanträge zu Recht und mit zutreffender Begründung,
auf die der Senat zustimmend Bezug nimmt, abgelehnt (§§ 122 Abs. 2 S. 3, 146 Abs. 4, 147 Abs. 1 VwGO).
Der beschließende Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin zu Recht vom Vorliegen der Verbotsvoraussetzungen für ein sog. Vollverbot der von der Antragstellerin insbesondere am 17. und 18.
Mai 2012 geplanten Blockade- und Besetzungsmaßnahmen ausgegangen ist. Mit der Durchführung dieser Maßnahmen wäre zwangsläufig eine massive Störung der öffentlichen Sicherheit verbunden, weil sie als Straftaten, zumindest
als strafbare Nötigung der von ihnen betroffenen übrigen Grundrechtsträger anzusehen sind, deren Ankündigung zugleich einen unfriedlichen Verlauf der Veranstaltungen erwarten lässt. Dabei ist nicht auf die einzelne geplante
Aktion, sondern auf die Gesamtheit der unter dem Motto ‚Blockupy Frankfurt' angemeldeten, aufeinander abgestimmten Aktionen abzustellen.
Wie schon die Wahl dieses aus den Bestandteilen ‚Blockade' und ‚occupy' gebildeten Kunstworts als ‚Markenzeichen' des Aktionswochenendes zeigt, ist erklärtes Ziel der Maßnahmen eine Blockade des Geschäftslebens in der
Frankfurter Innenstadt, insbesondere des Betriebs der Europäischen Zentralbank und anderer Banken, durch Besetzung zentraler Punkte und Zugangswege am Donnerstag und Freitag dieser Woche. Wie die von der Antragsgegnerin in
ihrer Antragserwiderung aufgelisteten Beispiele zeigen, scheuen sich die hauptsächlich über das Internet kommunizierenden Veranstalter der ‚Blockupy'-Tage nicht, durch Verwendung geradezu paramilitärischer Sprachhülsen
(‚Besetzung', ‚Belagerung', ‚Eroberung', ‚Verpfropfen' von Zufahrtwegen zur Zentralbank, ‚Wegspülen' von Polizeikräften) vor allem Gruppen und Personen anzusprechen, die vor Gewalttaten nicht zurückschrecken und sie für ein
legitimes Mittel zur Störung des öffentlichen Lebens halten. Dass diese ‚autonomen Gruppen' sich durch solche Aufrufe besonders angesprochen fühlen, zeigt ihre allgemeinkundige Teilnahme an den Ausschreitungen anlässlich der
sog. Antikapitalismus-Demonstration in Frankfurt am Main am 31. März 2012.
Selbst ohne solche schwerkriminellen Ausschreitungen wären die von den Veranstaltern unter dem Motto ‚Blockupy Frankfurt' geplanten Aktionen jedenfalls insoweit vom Grundrecht aus Art. 8 GG nicht gedeckte Straftaten, als sie
mit mehrstündigen Belagerungen, Blockaden und Besetzungen von Gebäuden und Verkehrswegen verbunden wären.
In dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem von der Antragsgegnerin verwerteten Urteil vom 11. November 1986 - 1 BvR 713/83 - (BVerfGE 73, 206, juris Rn. 89) zustimmend zitierten Urteil vom 8. August 1969 - 2 StR 171/69
- (BGHSt 23, 46 = juris Rn. 15 f.) hat der Bundesgerichtshof dazu Folgendes ausgeführt:
‚ … Die Strafkammer hat außerdem den Studenten nicht nur ein Demonstrationsrecht im Sinne gemeinsamer Kundgabe ihres Protestes gegen die Erhöhung der Straßenbahntarife in öffentlichen Umzügen oder Versammlungen
zugebilligt, sondern es für erlaubt gehalten, daß sie auf sich und ihre Interessen in massiverer Form aufmerksam machten und dabei auch zur Blockierung des Straßenbahnverkehrs schritten. Die Strafkammer meint hierzu jedoch, es
habe dabei fürs erste eine Unterbrechung des Straßenbahnverkehrs für die Dauer von einer Viertelstunde ausgereicht, um die gebotene Resonanz zu gewinnen. Erst wenn eine solche Demonstration im Sinne eines ‚Warnstreiks' keine
Früchte getragen hätte, hätten die Studenten erlaubterweise zu einer länger dauernden Behinderung des Straßenverkehrs übergehen dürfen. Die Strafkammer hat demgemäß die Rechtswidrigkeit der Nötigung in Anwendung des § 240
Abs. 2 StGB allein in der Überschreitung der ihr angemessen erscheinenden Zeitdauer der Verkehrsbehinderung erblickt.
Die Anerkennung eines solchen Demonstrationsrechts mit der vom Landgericht offenbar nicht beachteten widersinnigen Folge, daß die Polizeibeamten beim Wegtragen der die Schienen besetzt haltenden Demonstranten bis zu einem
mehr oder minder willkürlich zu bestimmenden Zeitpunkt rechtswidrig tätig geworden wären, ist abwegig. Niemand ist berechtigt, tätlich in die Rechte anderer einzugreifen, insbesondere Gewalt zu üben, um auf diese Weise die
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Interessen oder Auffassungen Geltung zu verschaffen. Der von der Verfassung gewährte weitere Spielraum für die Auseinandersetzung mit Worten ( Art. 5 GG und § 193
StGB; vgl. BVerfGE 7, 198; BGHSt 12, 287) duldet keine Erweiterung auf tätliches Verhalten. Andererseits kann sich daraus, daß mehrere oder viele Einzelne zu gemeinsamer Aktion zusammentreten, kein qualitativer Umschlag im
Sinne weiter gehender Berechtigungen ergeben. Der Demonstrant besitzt im Vergleich zum Einzelnen, der für seine Meinung eintritt oder protestiert, keine Vorrechte, sondern hat wie jeder andere dabei die allgemeinen Gesetze zu
achten. Auch der Hinweis darauf, daß das vom Grundgesetz in Art. 8 allen Deutschen gewährleistete Grundrecht, sich friedlich und ohne Waffen auch unter freiem Himmel zu versammeln, notwendigerweise das Eintreten von
Verkehrsbehinderungen einschließe, eröffnet keine andere Betrachtungsweise. Aus dem Recht zu friedlicher Versammlung kann kein Recht zu unfriedlicher Demonstration hergeleitet werden. In welchem Maße
Verkehrsbehinderungen hinzunehmen sind, die sich als Nebenfolge einer friedlichen Demonstration ergeben, hat der Senat nicht zu entscheiden. Hier ist die Verkehrsbehinderung gerade zum Ziel und Zweck einer öffentlichen Aktion
gemacht worden, die damit einen unfriedlichen Charakter gewonnen hat und nicht mehr der Garantie des Art. 8 Abs. 1 GG teilhaftig sein kann.'
Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts wird bestätigt durch Äußerungen von ‚Blockupy Frankfurt'-Repräsentanten, die es für unerheblich halten, ob ihre Aktionen von Art. 8 GG gedeckt und damit
erlaubt sind oder ob ein gerichtlich bestätigtes sofort vollziehbares Verbot die Unterbindung der Aktionen durch die Polizei rechtlich ermöglich. In einer auf Seite 9 der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2012
abgedruckten, über Internet zugänglichen Erklärung der Organisatoren heißt es:
‚Wo möglich werden wir Polizeiketten durch- oder umfließen, wir werden unsere Körper einsetzen, um unsere Blockaden so lange zu halten, wie wir möchten'.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. Mai 2012 (Seite 4) wird unter der Überschrift ‚ ‚Blockupy' will Verbot ignorieren' ein namentlich genannter Sprecher des ‚Blockupy'-Bündnisses wörtlich mit folgenden Sätzen zitiert:
‚Unsere Aktionsplanung ist nicht abhängig davon, ob Gerichte meinen, dass wir das dürfen oder nicht. Rechte leben davon, dass man sie sich nimmt'.
Diese Äußerungen zeigen, dass die Organisatoren der Veranstaltung von einem auch in der Beschwerdebegründung reklamierten schrankenlosen Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter hinsichtlich der Versammlungsformen
ausgehen, seien ihre Aktionen nun legal oder illegal. Dass derartige Äußerungen vor allem Menschen zu den Versammlungen locken, für die Recht und Gesetz ebenfalls keine verbindlichen Leitlinien sind, liegt auf der Hand. Nach
Ansicht des Senats wären deshalb ohne das angegriffene, als ultima ratio erforderliche Vollverbot über die bloße Nötigung Dritter hinaus gewalttätige Ausschreitungen vor allem gegen eingesetzte Polizeibeamte zu erwarten, wenn
diese an den geplanten Versammlungsorten versuchen müssten, anstelle des Vollverbots denkbare versammlungsrechtliche Auflagen gegen bereits begonnene, unfriedlich verlaufende Demonstrationen durchzusetzen.
Die in der Beschwerdebegründung gegebenen Hinweise auf friedlich verlaufene Versammlungen unter freiem Himmel in Frankfurt am Main in den vergangenen Jahren und Monaten überzeugen demgegenüber nicht. Zum einen
werden dort auf Seite 14 die schweren Ausschreitungen anlässlich der sog. Antikapitalismus-Demonstration in Frankfurt am Main am 31. März 2012 verniedlichend dargestellt, zum anderen wird dort nicht gewürdigt, dass der
geplanten ‚Ockupy Frankfurt'-Veranstaltung ein Aktionskonzept zugrundeliegt, das einerseits durch ein kulturelles Beiprogramm erklärtermaßen eine europaweite Anziehungskraft erreichen will und andererseits durch eine Streuung
der Versammlungsorte über die gesamte Frankfurter Innenstadt mit ihrer guten Infrastruktur eine schwer kontrollierbare Anreise und einen stetigen Wechsel der Versammlungsteilnehmer zwischen verschiedenen Versammlungsorten
ermöglicht. Die in der Beschwerdeschrift angesprochene Bereitschaft der Antragstellerseite, die Zahl der Veranstaltungsorte und -teilnehmer zu verringern, kann angesichts ihrer aggressiven, vom Empfängerkreis her nicht
kalkulierbaren Werbung für die Veranstaltung - mit allen vorgesehenen Versammlungsorten - diesen Charakter des ‚Gesamtkunstwerks' nicht mehr verändern, zumal die Veranstalter jetzt keinen nachvollziehbaren Einfluss auf den
Teilnahmeentschluss potentieller Demonstranten mehr haben.
Der Senat hält es deshalb auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der einzusetzenden Polizeibeamten für geboten, durch eine Bestätigung des Sofortvollzugs des ausgesprochenen Vollverbots zu verhindern, dass die Polizei
zunächst an allen ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsorten massiv präsent sein und abwarten muss, ob es dort aus den Reihen der Teilnehmer zu Ausschreitungen kommt, die dann durch die risikoreiche Auflösung der
Versammlung zu beenden wären. Nur das sofort vollziehbare Vollverbot ermöglicht es den Ordnungskräften, mit vertretbarem Aufwand die Anreise auswärtiger Teilnahmeinteressenten zu kontrollieren und an den ursprünglich
vorgesehenen Aktionsorten Ansammlungen potentieller Teilnehmer mit polizeirechtlichen Maßnahmen und einem Minimum an Selbstgefährdung zu unterbinden. ..." (HessVGH, Beschluss vom 16.05.2012 - 8 B 1150/12)
***
„... Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin werden die angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2012 - 5 L 1684/12.F und 5 L 1685/12.F - abgeändert. Die Anträge beider Antragsteller
auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die an sie gerichteten Verbotsverfügungen der Antragsgegnerin vom 7. bzw. 8. Mai 2012 werden abgelehnt. ...
Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerden der Antragsgegnerin haben Erfolg, weil das Verwaltungsgericht nach Auffassung des Senats aus den von der Antragsgegnerin dargelegten
Gründen die sofortige Vollziehung der an die Antragsteller gerichteten Versammlungsverbote zu Unrecht unter Auflagen ausgesetzt hat.
Bei den von beiden Antragstellern angemeldeten Veranstaltungen handelt es sich nach dem Konzept der Veranstalter des ‚Blockupy Frankfurt'-Projekts um die Auftaktveranstaltungen der von ihnen als ‚Gesamtkunstwerk'
angesehenen Aktionstage. Sowohl die vom Antragsteller zu 1. für den Nachmittag des 16. Mai 2012 angemeldeten Veranstaltungen (Infostand und Kundgebung) als auch die von der Antragstellerin zu 2. angemeldete
Rave-Demonstration am Abend des selben Tages sollen offensichtlich dazu dienen, potentielle Teilnehmer aus ganz Europa auch mit kulturellen Angeboten nach Frankfurt zu locken und auf die Blockadeaktionen am 17. Mai 2012
einzustimmen, bezüglich derer das Verwaltungsgericht zu Recht die sofortige Vollziehbarkeit der erteilten Versammlungsverbote bestätigt hat. Insoweit kann zur weiteren Begründung auf den der Bevollmächtigten der Antragsteller
bekanntgegebenen heutigen Senatsbeschluss im Beschwerdeverfahren 8 B 1150/12 Bezug genommen werden.
Die geplanten Auftaktveranstaltungen können versammlungsrechtlich nicht isoliert von den am Folgetag geplanten Blockadeaktionen beurteilt werden, weil sie Teil desselben Veranstaltungskonzepts sind und im Wesentlichen
dieselben Teilnehmer hätten wie die Blockadeaktionen. Deshalb ist auch für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit von Bedeutung, dass die Organisatoren der ‚Blockupy Frankfurt'-Tage offenbar gar nicht daran denken, sich an
gerichtlich bestätigte Versammlungsverbote zu halten, wie die im heutigen Senatsbeschluss in der Sache 8 B 1150/12 zitierten Äußerungen zeigen. Würden also die Auftaktveranstaltungen am 16. Mai - und sei es unter Auflagen -
stattfinden, würden die Teilnehmer - darunter wohl mehrere tausend ‚Gewaltbereite' - nach der Rave-Demonstration in der Innenstadt bleiben und sich im Laufe der Nacht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den für den 17. Mai
vorgesehenen Aktionsplätzen begeben, so dass eine polizeiliche Durchsetzung des Verbots dieser Aktionen dann aus den im heutigen Senatsbeschluss im Verfahren 8 B 1150/12 dargestellten Gründen nicht mehr oder nur mit
unverhältnismäßigem Risiko für Leben und Gesundheit der eingesetzten Polizeibeamten möglich wäre. Deswegen muss der Polizei nach Auffassung des Senats durch eine Bestätigung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
Versammlungsverbote die Möglichkeit gegeben werden, mit vertretbarem Aufwand und Risiko schon die Auftaktveranstaltungen unterbinden zu können. ..." (HessVGH, Beschluss vom 16.05.2012 - 8 B 1157/12, 8 B 1159/12)
***
„... Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht stattgegeben. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners, auf dessen Prüfung
der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keine Veranlassung, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Auch die Beschwerdebegründung macht nicht geltend, dass durch das Zeigen der in Rede stehenden
Karikaturen des dänischen Karikaturisten X. im Rahmen der Versammlung der Antragstellerin die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden. Der Antragsgegner benennt weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte, die die
von ihm zu Grunde gelegte ‚aktualisierte Gefährdungsbewertung' u. a. durch das Bundesministerium des Innern in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar ausfüllen. Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Beschluss vom 1. September
2000 - 1 BvQ 24/00 -, juris, Rn. 18 f. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 30.04.2012 - 5 B 546/12)
***
„... Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht stattgegeben. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners, auf dessen Prüfung
der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keine Veranlassung, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Auch die Beschwerdebegründung macht nicht geltend, dass durch das Zeigen der in Rede stehenden Karikaturen
des dänischen Karikaturisten X. im Rahmen der Versammlung der Antragstellerin die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden. Der Antragsgegner benennt weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte, die die von ihm zu
Grunde gelegte "aktualisierte Gefährdungsbewertung" u. a. durch das Bundesministerium des Innern in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar ausfüllen.
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Beschluss vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, juris, Rn. 18 f. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 30.04.2012 - 5 B 545/12)
***
Das Lied "Ein junges Volk steht auf" stellt ein nach § 86a StGB strafbares Kennzeichen dar und darf daher im Rahmen einer Versammlung weder öffentlich gesungen noch besprochen werden (OVG Lüneburg, Beschluss vom
26.04.2012 - 11 ME 113/12):
„... Der Antragsteller meldete für die Jugendorganisation der NPD für den 27. April 2012 in der Zeit von 12.00 Uhr bis 13.00 Uhr in Braunschweig vor dem dortigen Schloss eine stationäre Kundgebung an, in deren Mittelpunkt das
Lied ‚Ein junges Volk steht auf', insbesondere dessen umstrittene und vom Antragsteller verneinte Strafbarkeit nach § 86a StGB, stehen soll; das Lied soll auch gesungen werden.
Die Antragsgegnerin kam u. a. gestützt auf ein zeithistorisches Gutachten zu der Ansicht, dass es sich bei dem Lied um ein offizielles Propagandalied der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbesondere der Hitlerjugend, gehandelt
habe, ihm der gleiche Symbolcharakter wie dem ‚Horst-Wessel-Lied' oder dem Lied ‚Es zittern die morschen Knochen' zukomme und demnach jegliche öffentliche Verbreitung in Form von Singen oder Besprechen nach § 86a StGB
strafbar sei. Da eine solche Verbreitung zentraler Gegenstand der angezeigten Versammlung sei, müsse diese nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG verboten werden. Ein entsprechender, sofort vollziehbarer Verbotsbescheid erging am 18.
April 2012.
Den hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. April 2012 abgelehnt. Es hat zur Begründung über die in Bezug genommenen Gründe des angegriffenen
Bescheides hinaus ausgeführt, dass die Antragsgegnerin aller Voraussicht nach zu Recht von der Strafbarkeit des Liedes ausgegangen sei und bei dieser Sachlage das öffentliche Interesse an dem - formell ordnungsgemäß begründeten
- Sofortvollzug überwiege. Die im Antragsverfahren vorgetragenen Einwände des Antragsstellers gegen die Strafbarkeit des Liedes überzeugten nicht. § 86a StGB setze nicht voraus, dass es sich um das alleinige Kennzeichen einer
einzigen (verbotenen) Organisation gehandelt habe. Ob ein Kennzeichen i. S. d. § 86a StGB zusätzlich auch gemäß § 86 Abs. 2 StGB inhaltlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der
Völkerverständigung gerichtet sein müsse, sei zweifelhaft, hier aber letztlich unerheblich. Denn nach seinem Inhalt verstoße das streitige Lied zumindest gegen den Grundsatz der Völkerverständigung.
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller unter Bezugnahme auf insbesondere strafgerichtliche Entscheidungen vor, dass nur ein solches Kennzeichen nach § 86a StGB verboten sei, das Symbolcharakter für die
gesamte (verbotene) Organisation habe. Das streitige Lied ‚Ein junges Volk …' sei aber kein parteiamtliches Lied der Hitlerjugend gewesen; diese Funktion habe vielmehr das Lied ‚Vorwärts! Vorwärts! schmettern die hellen Fanfaren'
gehabt. Zudem werde das hier streitige Lied vom ‚Mann auf der Straße' schon mangels Bekanntheitsgrad nicht - wie für eine Strafbarkeit erforderlich - als nationalsozialistisches Kennzeichen erkannt. Schließlich sei der Inhalt des
Liedes nicht spezifisch nationalsozialistisch. Es habe nur eines von 36 Pflichtliedern der Hitlerjugend dargestellt und sich formal an ein Lied von Theodor Körner aus dem Jahr 1813 angelehnt.
Der Senat hat den Beteiligten ergänzend zwei (sprachwissenschaftliche) Stellungnahmen von G. Hartung, Analyse eines faschistischen Liedes, Wiss. Z. Univ. Halle XXIII`74 G, H. 6, S. 47 ff., und Ketelsen, Literatur und Drittes
Reich, 2. Aufl., 349 ff., zum streitigen Lied zur Kenntnis gegeben.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten und nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat allein zu prüfenden Gründe
rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Der Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren - soweit ersichtlich - im Wesentlichen gegen die Auslegung des § 86a StGB durch das Verwaltungsgericht und ggf. auch gegen
die Subsumtion im konkreten Fall. Diese vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen, insbesondere die nach der richtigen Auslegung des § 86a StGB, können in diesem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht abschließend und mit
der vom Antragsteller nach seinem Vorbringen in der Antragsschrift offenbar gewünschten Allgemeinverbindlichkeit beantwortet werden. Auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung der vorrangig zur Auslegung des
Strafgesetzbuches berufenen ordentlichen Gerichte sowie der in das Verfahren eingeführten sprachwissenschaftlichen und zeithistorischen Gutachten zu dem umstrittenen Lied bestehen aber unter Berücksichtigung der geringen dem
Senat zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit keine Bedenken gegen die Richtigkeit der - u. a. vom Verwaltungsgericht, aber auch den bereits von der Antragsgegnerin zitierten ordentlichen Gerichten (AG Säckingen,
Urt. v. 31.8.2011 - 12 Cs 13 Js 4110/11 Hw-; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.12.2011 - 3 (4) Ss 682/11- AK 279/11) vorgenommenen - Einordnung des Liedes als nach § 86a StGB strafbar.
Nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder
öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet; nach § 86a Abs. 2 StGB sind Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und
Grußformen. Dass damit auch Lieder zu verbotenen Kennzeichen gehören können, ist allgemein anerkannt (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 18.5.2009 - 2 BvR 2202/08 -, juris) und wird auch vom Antragsteller nicht bestritten. Entgegen
der Annahme des Antragstellers muss ein solches Kennzeichen weder in dieser Form für eine bestimmte verbotene Vereinigung einmalig noch von dieser Vereinigung ‚(partei)amtlich' als Kennzeichen festgelegt noch für
Außenstehende als spezifisches Kennzeichen allgemein bekannt sein. Der letztgenannten, u. a. vom Bayrischen Obersten Landesgericht in einer vom Antragsteller zitierten Entscheidung vertretenen Ansicht (Beschl. v. 27.10.1988 - 5
St RR 185/98 -, juris) hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. Juli 2002 (- 3 StR 495/01 -, NJW 2002, 3186) ausdrücklich nicht angeschlossen, sondern klargestellt, dass es ‚auf einen gewissen Bekanntheitsgrad
des Kennzeichens' (in der allgemeinen Bevölkerung) ‚als Symbol einer verfassungswidrigen Organisation nicht ankommt'. Einer solchen Auslegung steht u. a. die von der Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen
Organisation ausgehende, durch den Straftatbestand zu unterbindende gruppeninterne Funktion als sichtbares Symbol geteilter Überzeugungen entgegen. Denn Sinn und Zweck des Straftatbestandes ist es auch, die mit der Verwendung
eines solchen Symbols einhergehende Verfestigung gegenseitiger Bindungen und die damit verbundene Gefahr einer Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisation zu verhindern. Ebenso ist in der bereits von der
Antragsgegnerin angeführten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle zur Strafbarkeit des Liedes ‚Es zittern die morschen Knochen' vom 3. Juli 1990 (- 3 Ss 88/90 -, NJW 1991, 1497) anerkannt, dass ein i. S. d. § 86a StGB
verbotenes Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation sich auch ohne formalen Akt allein durch Übung, d.h. durch sinnbildliche propagandistische Verwendung bilden kann. Der maßgebliche Symbolwert des
Kennzeichens kann danach sowohl nach innen als auch nach außen allein durch die Häufigkeit und die Art des Anlasses seines Gebrauchs geschaffen werden. Daraus folgt weiterhin, dass es für eine verbotene Organisation auch
jeweils mehrere Kennzeichen geben kann, wenn sie nur nebeneinander oder jeweils zu bestimmten Anlässen den entsprechenden Symbolcharakter entwickelt haben. Dementsprechend ist strafgerichtlich anerkannt, dass es mehrere
nach § 86a StGB verbotene nationalsozialistische Grußformeln gegeben hat (vgl. nur die Nachweise bei Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 28. Aufl., 2010, § 86a, Rn. 3). Für Lieder gilt nicht anderes.
Voraussetzung für die Strafbarkeit entsprechender Lieder ist demnach nicht, dass sie als alleinige Hymne dienten oder gar dazu förmlich bestimmt waren, sondern dass sie so häufig und in einer Art, d.h. z. B. bei bestimmten Anlässen,
gesungen wurden, dass sie zum Symbol des Nationalsozialismus insgesamt oder einer bzw. mehrerer Teilgliederungen geworden sind. Ob ein bestimmtes Lied auch inhaltlich durch nationalsozialistische Wertvorstellungen geprägt
war, ist hingegen nicht entscheidend - es können auch bloße Melodien genügen. Allerdings dürfte die Feststellung, dass es sich um ein typisches Kennzeichen einer verbotenen Organisation handelt, näher liegen, wenn das in Rede
stehende Symbol nicht inhaltlich neutral oder zuvor bereits anderweitig verwandt, sondern gerade für die verbotene Organisation geschaffen worden ist und dies bereits aus dem Text oder der Abbildung des Kennzeichens unmittelbar
deutlich wird.
Hieran gemessen ist die Kennzeicheneigenschaft und damit die Strafbarkeit gemäß § 86a StGB des hier umstrittenen Liedes zu bejahen. Wie sich übereinstimmend aus den historischen Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte (von
Dr. Drecoll) vom 22. Dezember 2010 sowie des Historischen Seminars der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg (Prof. Dr. Engehausen) vom 25. Januar 2012 ergibt, stand das von einem führenden Funktionär der Hitlerjugend
speziell für diese geschriebene, an erster Stelle in Liederbüchern der Hitlerjugend abgedruckte, zu ihrem Pflichtliederkanon gehörende, wiederholt auf zentralen Parteiveranstaltungen von Angehörigen der Hitlerjugend gesungene Lied
‚Ein junges Volk steht auf' ungeachtet der fraglichen Qualifikation als ‚Zweithymne' jedenfalls faktisch an zumindest zweiter Stelle der von der Hitlerjugend gesungenen Lieder und hatte ‚einen hohen Symbolcharakter, der der
unmittelbaren Identifikation mit der Organisation diente' (Engehausen, a. E.). Auch Drecoll betont in seiner Zusammenfassung, dass das Lied als offizielles Propagandalied der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbesondere der HJ,
gelten kann, mit dessen Hilfe die Kollektivierung und Homogenisierung der Jugend im Sinne des soldatisch-militärischen Erziehungsideals des nationalsozialistischen Regimes vollzogen werden sollte. Man müsse, so Drecoll weiter,
davon ausgehen, dass die Verwendung u. a. dieses Propagandaliedes auch bei der musischen Erziehung der Jugend und bei den Veranstaltungen der HJ Verwendung finden musste. Die vom Antragsteller geltend gemachte Verbreitung
des Liedes über die Hitlerjugend hinaus mag entsprechend den o. a. Quellen insoweit zutreffen, als es während der Zeit des Nationalsozialismus auch in anderen nationalsozialistisch geprägten Organisationsbereichen wie etwa dem
Militär, Schulen oder dem Reichsarbeitsdienst verwendet worden ist. Seinen spezifisch nationalsozialistischen Charakter und seine bereits eindeutig aus dem Text erkennbare Zuordnung speziell zur Hitlerjugend, in der das
angesprochene junge (männliche) Volk zwangsweise organisiert war, hat das Lied dadurch nicht verloren. Es ist, wie Engehausen ausführt, schwerpunktmäßig ein Jugendlied geblieben. Dass es Allgemeingut gewesen sei und
insbesondere auch nach 1945 noch außerhalb der Kreise gesungen worden sei bzw. werde, in denen es gerade auf die genannten historischen Bezüge und seinen Symbolcharakter ankommt, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und
ist auch sonst für den Senat nicht zu erkennen. Dagegen und für den strafbaren Symbolcharakter sprechen schließlich ergänzend auch die sprachwissenschaftlichen Analysen des Liedes. So gelangt Hartung, dessen Ausführungen nicht
allein wegen der Verwendung bestimmter, vom Antragsteller kritisierter Begriffe jede Überzeugungskraft abgesprochen werden kann, zu der Einschätzung, dass das Lied auch der ‚äußeren Form nach …eine Bekenntnishymne für die
Hitlerjugend darstelle'. Ketelsen meint, Lieder wie das streitige, das ‚in der HJ fast wie ein Schlager kursierte', seien wie ‚Schwämme; sie saugen ihre Bestimmtheit erst aus der Situation, in der sie benutzt werden.' 1935, d.h. zur Zeit
seiner Entstehung bzw. kurz danach, habe sich das ‚Gedicht als eine Selbstsituierung der Hitlerjugend im nationalsozialistischen Machtapparat gelesen'. 1940 habe es bei Abdruck in geänderter, um die dritte Strophe gekürzter Form
eine veränderte Lesart erhalten und mit der ‚Körnerschen Formel' vom ‚aufstehenden Volk' schließlich auch Eingang in die offene (nationalsozialistische) Propagandarede gefunden. Damit nimmt auch dieser in der Eingangszeile des
Liedes unstreitig zum Ausdruck kommende formale Bezug auf ein sehr viel älteres Lied von Theodor Körner aus dem Jahr 1813 ihm nicht seinen Symbolcharakter, sondern zeigt nur auf, wie in diesem Fall ein älterer Text zu
nationalsozialistischen Zwecken genutzt bzw. missbraucht wurde.
Dass der Vortrag des Liedes zumindest in dem vorgesehenen Umfeld, d.h. als Thema einer Kundgebung, ausnahmsweise straffrei sei, die Versammlungsfreiheit als ‚ähnlicher' zulässiger ‚Zweck' wie etwa die in §§ 86a Abs. 3, 86 Abs.
3 StGB ausdrücklich genannte Freiheit der Kunst oder der Wissenschaft einzustufen sei, trägt der Antragsteller selbst nicht vor und träfe auch nicht zu. Das entsprechende strafbewehrte ‚kommunikative Tabu' (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn.
13, sowie der vorhergehende Beschl. v. 1.6.2006 - 1 BvR 150/03 -, juris, Rn. 18) gilt auch für den Inhalt von Versammlungen.
Selbst wenn man jedoch die vorherigen Ausführungen insbesondere zur historischen Einordnung des streitigen Liedes nicht als hinreichend verlässlich, sondern in einem Hauptsacheverfahren als noch ergänzungsbedürftig ansieht und
deshalb in diesem Verfahren eine Interessenabwägung für notwendig erachtet, fällt diese nicht anders, sondern zu Lasten des Antragstellers aus. Denn jedenfalls spricht zur Zeit Überwiegendes für die Strafbarkeit des Liedes und damit
gegen seine öffentliche Verbreitung als zentrales Thema einer öffentlichen Versammlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.1.2002 - 1 BvQ 1/02 -, juris), zumal die nach der Antragsschrift beabsichtigte Klärung der Rechtslage im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren ohnehin nicht möglich ist, eine Kundgebung mit dem genannten Inhalt nicht an einen bestimmten Ort oder Zeitpunkt gebunden ist, also auch später noch nachgeholt werden und die politische Diskussion um die
Reichweite und Rechtfertigung des § 86a StGB grundsätzlich, wenn auch ggf. nicht so plakativ auch ohne öffentliche Verbreitung von mutmaßlich strafbaren Texten bzw. Liedern geführt werden kann. ..."
***
Dienen wöchentlich vor einem Wohnhaus ehemaliger Strafgefangener durchgeführte Versammlungen dazu, einen Vertreibungsdruck zu erzeugen, der die ehemaligen Strafgefangenen durch die wiederkehrende physische Präsenz der
Versammlungsteilnehmer unmittelbar vor dem Wohnhaus und den in den privaten Rückzugsbereich der ehemaligen Strafgefangenen einwirkenden Lärm und die Vertreibungsparolen dazu, den Willen der Adressaten zu beugen und
durch eine Zermürbung der Adressaten zur Aufgabe des von ihnen gewählten Wohnsitzes zu zwingen, so ist eine Beschränkung der Versammlung hinsichtlich des Versammlungsortes zur Abwendung weiterer Angriffe nicht zu
beanstanden (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.04.2012 - 3 M 100/12):
„... Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit Schriftsatz vom 19. April 2012 zur Begründung der Beschwerde vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen im
Wesentlichen nicht durch.
I) Das Verwaltungsgericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin gegen die Verfügungen des Antragsgegners vom 29. Februar und 08. März 2012, mit der wegen der für den 02.,
09., 16., 23. und 30. März und den 13., 20. und 27. April 2012 unter der Bezeichnung ‚Sexualstraftäter in A.' angemeldeten Versammlungen hinsichtlich des Versammlungsortes untersagt worden ist, versammlungsrechtliche
Aktivitäten im unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Wohnung der ehemaligen Strafgefangenen (C-Straße 38 bis 54) zu entfalten, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Recht abgelehnt.
1) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die Begründung der sofortigen Vollziehung in der angefochtenen Verfügung den formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist das besondere
Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Die Behörde hat hierzu in der Verfügung vom 29. Februar 2012 ausgeführt, ein Zuwarten bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung könne
angesichts der ‚Hochwertigkeit der in Rede stehenden Rechtsgüter und der Auswirkungen für die Grundrechte Einzelner' nicht abgewartet werden, weil ohne eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu befürchten sei, dass es - wie
anlässlich vorangegangener Versammlungen im September 2011 - zu nicht hinnehmbaren massiven Schmähungen und Herabwürdigungen der ehemaligen Strafgefangenen kommen werde. Äußerungen wie ‚Todesstrafe für
Sexualstraftäter' könnten nicht hingenommen werden und seien auch durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht gedeckt. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Bezugnahme auf das Gewicht der betroffenen
Rechtsgüter und die Grundrechte einzelner sei floskelhaft und damit nicht hinreichend einzelfallbezogen. Denn der Antragsgegner stützt seine Auffassung auf die Gefahr einer Wiederholung von Schmähungen und Herabwürdigungen
anlässlich früherer Kundgebungen. Damit ist eine auf den Einzelfall abstellende, den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügende Begründung gegeben. Ob die vom Antragsgegner beispielhaft genannte, von
Versammlungsteilnehmern in der Vergangenheit erhobene Forderung nach der ‚Todesstrafe für Sexualstraftäter' eine Schmähung und Herabwürdigung ist, ist keine Frage des formellen Begründungserfordernisses i. S. d. § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO, sondern der inhaltlichen Richtigkeit der Anordnung.
2) Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Versammlungsbehörde sind erfüllt. Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn
nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand im
maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügungen vom 29. Februar und 12. März 2012 unmittelbar bevor. Nach der Anmeldung der Antragstellerin waren für die Versammlungen jeweils 100 Teilnehmer zu erwarten. Bei einer
Durchführung der Demonstration unmittelbar vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen in der C-Straße würde dies für die Dauer der Kundgebungen dazu führen, dass den ehemaligen Strafgefangenen die Ausübung ihres
Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, namentlich das Recht, ihr Wohnhaus jederzeit betreten und verlassen und sich darin ungestört aufhalten zu können (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 24.05.1986 - 7 B 36/86 -, NJW
1986, 2659), allein durch die Belagerung des Wohnhauses durch die Versammlungsteilnehmer faktisch verwehrt würde.
3) Die Ermessensausübung durch die Behörde ist nicht zu beanstanden. Das durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, Versammlungen unter freiem Himmel durchzuführen, wird durch den mit der angefochtenen Auflage
einhergehende Eingriff nicht unverhältnismäßig beschränkt. Kollidiert das durch die Versammlungsfreiheit geschützte Recht der Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung, über Gegenstand, Ort und Zeit der Versammlung
selbst zu bestimmen, mit verfassungsrechtlich geschützten Rechten Dritter, so sind die widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Die Auflage, nach der den
Versammlungsteilnehmern unmittelbar vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen im Bereich zwischen den Wohnhäusern C-Straße 38 bis 54 versammlungsrechtliche Aktivitäten untersagt werden, wird dem gerecht. Sie
gewährleistet einen Schutz der in dem Straßenzug wohnhaften ehemaligen Strafgefangenen vor mit den wöchentlichen Belagerungen einhergehenden Eingriffen in das ihnen zustehende Recht, sich ungestört in ihrem Wohnhaus
aufzuhalten. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Versammlungsteilnehmer ihrem Recht auf eine öffentlichkeitswirksame Meinungskundgabe unverhältnismäßig beschränkt werden, werden von der Antragstellerin auch mit der
Beschwerde nicht vorgebracht. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die ehemaligen Strafgefangenen könnten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht keinen Anspruch herleiten, nicht auf ihre Vergangenheit ‚angesprochen' zu
werden, rechtfertigt dies eine andere Bewertung nicht. Zwar trifft es zu, dass ein Straftäter auch mit der Verbüßung einer verhängten Strafe nicht einen uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat ‚allein gelassen zu werden' (so:
BVerfG, Beschl. v. 10.06.2009 - 1 BvR 1107/09 - Rdnr. 21 <zitiert nach juris>). Indes haben auch ehemalige Strafgefangene einen Anspruch auf Schutz davor, gerade in ihrem privaten Rückzugsbereich Schmähungen und
Beleidigungen ausgesetzt zu werden.
4) Die sofortige Vollziehung liegt im überwiegenden öffentlichen Interesse. Ein wirksamer Schutz der in der Ortschaft A. wohnenden ehemaligen Strafgefangenen, wenigstens in ihrem privaten Wohnumfeld nicht wöchentlich
fortwährend Schmähungen und Beleidigungen und einem auf ihre Vertreibung ausgerichteten psychischen Druck ausgesetzt zu sein, überwiegt das Interesse der Versammlungsteilnehmer, einstweilig von der Vollziehung der Auflage
verschont zu bleiben. Dabei ist nach Auffassung des Senats zu berücksichtigen, dass die seit September 2011 - mit gewissen zeitlichen Unterbrechungen - wöchentlich vor dem Wohnhaus der ehemaligen Strafgefangenen
durchgeführten Versammlungen den Zweck hatten und haben, mit der physischen Präsenz der Versammlungsteilnehmer, der Verwendung von akustischen Hilfsmitteln, wie Trillerpfeifen und Trompeten und dem Skandieren von
Parolen (‚Wir kommen wieder bis ihr geht - Raus aus A.', ‚Frauenschänder raus aus A.', Kinderschänder raus aus A.' <Beiakte Bl. 19, 36, 65>) einen Vertreibungsdruck zu erzeugen, der die ehemaligen Strafgefangenen zur Aufgabe
des von ihnen gewählten Wohnsitzes zwingen soll. Diese nach dem dokumentierten Ablauf der Versammlungen in der Vergangenheit und wöchentlich wiederholte gezielte massive Einwirkung auf die Willensentschließungsfreiheit
der betroffenen ehemaligen Strafgefangenen ist objektiv betrachtet auf eine Zermürbung der Adressaten angelegt. Sie dient bei verständiger Würdigung mit der wiederkehrenden physischen Präsenz der Versammlungsteilnehmer
unmittelbar vor dem Wohnhaus und dem in den privaten Rückzugsbereich der ehemaligen Strafgefangenen einwirkenden Lärm und den Vertreibungsparolen dazu, den Willen der Adressaten zu beugen. Solche massiven Angriffe
verletzen die Menschenwürde der ehemaligen Strafgefangenen. Weiteren Angriffen entgegenzuwirken entspricht der Schutzpflicht des Staates (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), so dass die Auflage nicht zu beanstanden und ihre sofortige
Vollziehung zur Verhinderung von Verletzungen der öffentlichen Sicherheit notwendig ist.
II) Teilweise Erfolg hingegen hat die Beschwerde, soweit der Antragstellerin mit den Verfügungen aufgegeben worden ist, die ‚Beschränkungen 1-6 (…) den Versammlungsteilnehmern vor Ort ggf. auch wiederholt bekannt zu geben.'
Soweit der Antragstellerin als Versammlungsleiterin aufgegeben wird, den Versammlungsteilnehmern vor Ort jeweils sämtliche Kundgebungstage mitzuteilen (Ziffer 1 Satz 1), ist nicht ersichtlich, weshalb dies zum Schutz der
öffentlichen Sicherheit geboten sein soll. Ebenfalls nicht erforderlich ist es, der Versammlungsleiterin aufzugeben, bekanntzugeben, dass sie - die Versammlungsleiterin - sich 15 Minuten vor Beginn der Versammlung am
Versammlungsort einzufinden und mit der Versammlungsbehörde oder der Polizei Kontakt aufzunehmen hat (Ziffer 3). Auch nicht ersichtlich ist, weshalb es zur Gefahrenabwehr notwendig sein soll, dass die Versammlungsleiterin
den Versammlungsteilnehmern mitteilt, dass sie - die Versammlungsleiterin - verpflichtet ist, die Beschränkungen vor Ort bekanntzugeben (Ziffer 6).
Nicht hinreichend bestimmt i. S. d. § 37 Abs. 1 VwVfG ist die Auflage in der Ziffer 6, soweit der Versammlungsleiterin aufgegeben wird, unter nicht näher benannten Umständen (‚ggf.') die Beschränkungen nochmalig bekannt zu
machen. Weder der Verfügung, noch ihrer Begründung ist hinlänglich deutlich zu entnehmen ist, welche Umstände gegeben sein müssen, um die Pflicht zur wiederholten Bekanntgabe auszulösen. Soweit das Verwaltungsgericht im
angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, diese Pflicht zur Wiederholung bestehe nur, wenn der Inhalt nachträglich hinzukommenden Teilnehmern noch nicht bekannt gegeben worden ist, überzeugt dies den Senat nicht. Der Wortlaut
der Verfügung und ihre Begründung geben dafür nicht genügend her. Nach dem Wortlaut der Verfügung sind die Voraussetzungen für eine Pflicht zur wiederholten Bekanntgabe nicht geregelt. Die Begründung lässt eine genügend
deutliche Beschränkung ebenfalls nicht erkennen. Das Hinzutreten weiterer Versammlungsteilnehmer mag ein von der Behörde in Betracht gezogener Anwendungsfall für das Eingreifen der Pflicht zur Wiederholung der Bekanntgabe
sein. Indes macht die Antragstellerin mit der Beschwerde zutreffend geltend, dass die Wiederholung einer Bekanntgabe an einen Adressatenkreis nach dem Wortsinn voraussetzt, dass die Bekanntgabe bereits erfolgt ist. Denkbar ist
somit auch, dass die Pflicht zur Wiederholung sich auch auf denselben Teilnehmerkreis beziehen kann und die Funktion einer bestätigenden Ermahnung haben soll. Was letztlich gemeint ist, lässt sich dem allein maßgeblichen Inhalt
der Verfügung nicht mit genügender Sicherheit entnehmen.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Pflicht der Antragstellerin, den Versammlungsteilnehmern vor Ort jedenfalls einmalig bekanntzugeben, dass die Versammlung um 18.00 Uhr beginnt und um 19.00 Uhr endet
(Ziffer 1 Satz 2), dass jedwede versammlungsrechtliche Aktivität im Bereich C-Straße 38 und der Zufahrt zum Grundstück C-Straße 54 untersagt ist (Ziffer 2), dass Wortkundgebungen, Transparente und dergleichen keine strafbaren
Inhalte haben und nicht zum Hass oder zur Gewalt gegen die ehemaligen Strafgefangenen aufrufen dürfen (Ziffer 4) und unter welchen einschränkenden Voraussetzungen Beschallungsanlagen und Megafone nur eingesetzt werden
dürfen (Ziffer 5), unberührt bleibt. ..."
***
„... I. Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Nrn. 1.12 (Pavillon), 1.17 (Zeltverbot) und 1.18 (Verbot
des dauerhaften Nächtigens) des Bescheides der Antragsgegnerin vom 16. April 2012 weiter.
Bezüglich des Sachverhalts wird zunächst auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. April 2012 (Az. 10 CS 12.767) verwiesen.
Am 12. April 2012 zeigten die Antragsteller eine weitere Versammlung unter freiem Himmel zum Thema „Asylrecht" für den Zeitraum 16. April bis 14. Mai 2012 auf dem U.-M.-Platz in W. an. Als Kundgebungsmittel wurden ein
Mannschaftszelt, zwei Pavillons sowie drei „Iglozelte" (richtig: Igluzelte) benannt.
Mit Bescheid vom 16. April 2012 legte die Antragsgegnerin für die angezeigte Versammlung eine Reihe von Beschränkungen fest. Als Kundgebungsmittel wurden u.a. zwei Pavillons zugelassen (Nr. 1.12), das Zelten (Nr. 1.17) und
das dauerhafte Nächtigen (Nr. 1.18) wurden untersagt.
Beide Pavillons wurden in der Folge durch die Versammlungsteilnehmer mit einem Gasofen, sieben Stahlbetten sowie teilweise Teppichboden ausgestattet. Die Seiten des Pavillons waren zeitweise durch Zeltplanen verschlossen. Am
17. April 2012 erfolgten durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion W. gegenüber den Versammlungsteilnehmern Anordnungen, den Ofen zu entfernen, die Zahl der Betten auf eines zu reduzieren und zumindest eine Pavillonseite
ständig zu öffnen (siehe Stellungnahme der PI W.- Ost vom 18.4.2012).
Am 18. April 2012 beantragten die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Nrn. 1.12 (in ihrer durch die Polizei konkretisierten
Form; insbesondere das Verbot des Verschließens der Pavillons), 1.17 (soweit das Aufstellen eines großen Zeltes untersagt ist) und 1.18 (Verbot des Übernachtens in der durch die Polizei konkretisierten Form, insbesondere das
Verbot des über eine Stunde hinausgehenden Erholungsschlafs, das Verbot des Heizens, die Begrenzung der Zahl der Feldbetten auf eines) des Bescheids vom 16. April 2012 anzuordnen.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg lehnte diesen Antrag der Antragsteller mit Beschluss vom 19. April 2012 ab. Soweit sich die Antragsteller gegen die Anordnungen der Polizei wendeten, sei die Stadt W. der falsche
Antragsgegner. Die Beschränkung in Nr. 1.17 des Bescheides sei in der Sache nicht zu beanstanden.
Mit der Beschwerde begehren die Antragsteller weiterhin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer noch zu erhebenden Klage bezüglich der oben bezeichneten Beschränkungen in der in der Beschwerdeschrift vom 20. April
2012 näher konkretisierten Form.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
Ergänzend wird auf die von den Parteien in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren (auch im Verfahren 10 CS 12.767) eingereichten Schriftsätze, eidesstattlichen Versicherungen und Lichtbildtafeln verwiesen.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Sachvortrag der Antragsteller im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine
Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht. Denn die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt hinsichtlich des angegriffenen Zeltverbots der Antragsgegnerin zu dem
Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Beschränkung das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage insoweit überwiegt. Soweit sich das
Eilrechtsschutzbegehren gegen Anordnungen der Polizei richtet, bleibt die Beschwerde erfolglos, weil der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage insoweit gegen den
falschen Antragsgegner gerichtet ist.
Keine (subjektive) Änderung des Streitgegenstandes, sondern eine bloße Konkretisierung und Richtigstellung des Rechtsschutzbegehrens der Antragsteller im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt es dar, wenn im
Beschwerdeschriftsatz als Antragsgegner zunächst (erstmals) der Freistaat Bayern angegeben und dieses Versehen dann durch die spätere Umstellung auf den richtigen Antragsgegner - die Stadt W. als die den angefochtenen Bescheid
vom 16. April 2012 erlassende Behörde - korrigiert wurde (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 91 RdNr. 23). Dass in weiteren Schriftsätzen zur Beschwerdebegründung erneut der Freistaat Bayern und nicht die
Stadt W. als Antragsgegner bezeichnet wird, dürfte der Hektik des Eilverfahrens geschuldet sein.
Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Eilantrag der Antragsteller unbegründet ist, soweit er sich (ausdrücklich) gegen Beschränkungen der Versammlung „in der durch die Polizei
konkretisierten Form" wendet (d.i. bezüglich des Verbots des Verschließens der Pavillons, des Verbots eines über eine Stunde hinausgehenden Erholungsschlafs, des Verbots des Heizens sowie der Begrenzung der Anzahl der
Feldbetten), weil insoweit die Stadt W. nicht der richtige Antragsgegner ist (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entsprechend). Denn bei den betreffenden Anordnungen bzw. „Aufforderungen" der Polizeibeamten an die anwesenden
Versammlungsteilnehmer (siehe Stellungnahme der PI W.-Ost vom 18.4.2012) handelt es sich nach zutreffender Einschätzung des Erstgerichts um in eigener versammlungsrechtlicher Zuständigkeit (s. Art. 24 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2
BayVersG) verfügte Beschränkungen der Versammlung nach Versammlungsbeginn gemäß Art. 15 Abs. 4 BayVersG und nicht etwa um bloße „konkretisierende Hinweise" der Polizei zum vermeintlich identischen Regelungsgehalt
der durch die Antragsgegnerin bereits im streitbefangenen Bescheid vom 16. April 2012 unter den Nrn. 1.12 und 1.18 angeordneten Beschränkungen.
Wie sich aus dem erstinstanzlichen Antrag sowie dessen Begründung ohne weiteres ergibt, wenden sich die Antragsteller mit ihrem Eilrechtsschutzbegehren nicht gegen die diesbezüglich im Bescheid vom 16. April 2012 selbst
verfügten Regelungen - die Zulassung von zwei Pavillons als Kundgebungsmittel (Nr. 1.12) und das Verbot des dauerhaften Nächtigens als Ersatz für die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft (Nr. 1.18) -, sondern nur gegen
die sachlich weitergehenden, eigenständigen Anordnungen der Polizei zur „Umsetzung" dieser behördlichen Auflagen. Diese polizeilichen Beschränkungen gemäß Art. 15 Abs. 4 BayVersG sind im Übrigen Streitgegenstand eines
weiteren, inzwischen in erster Instanz anhängigen Eilantrags der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, über den vom Verwaltungsgericht Würzburg gesondert entschieden wird. Die mit der Beschwerdebegründung gerügten, den
Nrn. 1.12 und 1.18 des angefochtenen Bescheids vom 16. April 2012 zugeordneten Einschränkungen (Untersagung von sechs bis zwölf Betten, Verpflichtung zum Herablassen der Seitenwände der beiden Pavillons, zeitliche
Beschränkung der Ruhepausen sowie Verbot von Decken, Schlafsäcken und einer Heizung) lassen sich auch bei großzügiger und weitgehender Auslegung nicht dem Bescheid entnehmen. Vielmehr werden damit letztlich die oben
angeführten polizeilichen Beschränkungen angegriffen und (wiederum) zum Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens gemacht.
Damit verbleibt aber als (zulässiger) Gegenstand dieses Eilrechtsschutzbegehrens allein die in Nr. 1.17 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. April 2012 verfügte Untersagung des Aufstellens von Zelten. Insoweit haben die
Antragsteller allerdings die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer (noch zu erhebenden) Klage nur in dem Umfang beantragt, als mit dieser Beschränkung (auch) das Aufstellen des von ihnen bei der Anzeige ihrer
öffentlichen Versammlung (vom 12.4.2012) mit angegebenen großen Zeltes („Mannschaftszelt") untersagt wird.
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung gefährdet ist. Wenn das Aufstellen eines Zeltes auf öffentlicher Verkehrsfläche nicht von der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG gedeckt ist, liegt darin grundsätzlich
eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
Im Hinblick auf die Ausführungen in der Beschwerdegründung ist vorab anzumerken, dass der grundrechtliche Schutz von Versammlungen nach Art. 8 GG nur deutschen Staatsangehörigen zusteht, während sich Ausländer
insoweit nur auf die einfachgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit (Art. 1 BayVersG) und den Schutz der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG berufen können. Im Hinblick auf auch deutsche
Teilnehmer der Versammlung wird im Folgenden gleichwohl einheitlich auf Art. 8 Abs. 1 GG abgestellt.
Die auf dem U.-M.-Platz stattfindende Versammlung ist als stationäre Versammlung von Art. 8 GG geschützt (BVerwG vom 21.4.1989 Az. 7 C 50/88 <juris>). Der Schutz der Freiheit kollektiver Meinungskundgabe umfasst nicht nur
das gewählte Thema der Versammlung, sondern auch die Entscheidung, welche Kundgebungsmittel der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfGE 104, 92/111). Bereits
im Beschluss vom 12. April 2012 (Az. 10 CS 12.762) hat der Senat klargestellt, dass bei Durchführung einer - wie hier länger andauernden - Versammlung auf öffentlichen Straßen oder Orten bzw. Plätzen, an denen ein öffentlicher
Verkehr eröffnet ist, nicht gleichsam automatisch das Aufstellen von Zelten oder Pavillons als „notwendiger Bestandteil" der Versammlung und der dabei beabsichtigten kollektiven Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit
umfasst ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Zelt nicht nur dem Wetterschutz und der bequemeren Unterbringung der Versammlungsteilnehmer dient, sondern ihm darüber hinaus (auch) eine „funktionale" oder „symbolische"
Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und diese Art Kundgebungsmittel damit einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist (vgl. BVerfG v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01 - und 1 BvQ
30/01, NJW 2001, 2459, 2460; BVerwG v. 16.5.2007 Az. 6 C 23/06 <juris> RdNrn. 15 ff.). Als geschützter Teil der Versammlung kann das Zelt ebenfalls angesehen werden, wenn es sich um ein „gemischtes" Element in dem Sinne
handelt, dass es sowohl kommunikativen wie auch nichtkommunikativen Zwecken dient. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat dabei unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände zu erfolgen (vgl. BVerwG
vom 16.5.2007 a. a. O.). Die Auffassung der Antragsteller, die Antragsgegnerin müsse gemäß der Beweislastverteilung dartun, dass dem Zelt samt Ausstattung nicht die behauptete symbolische Wirkung zukomme, ist verfehlt. Auch
unter Heranziehung des Vorbringens in der Antrags- und der Beschwerdeschrift kommt nach summarischer Prüfung dem Mannschaftszelt nach Auffassung des Senats die besondere symbolische Bedeutung nicht zu. Vorliegend sind
bei Einbeziehung aller dem Senat bekannten tatsächlichen Umstände keine wirklich überzeugenden Anhaltspunkte oder Umstände dafür erkennbar, dass das Mannschaftszelt einen tatsächlichen inhaltlichen Bezug zur kollektiven
Meinungskundgabe hat oder wenigstens ganz überwiegend aufweist. Die behauptete Darstellung der Unterbringungsbedingungen der Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft lässt sich mit der begehrten Aufstellung eines
Mannschaftszeltes nicht in Verbindung bringen. Die im Verfahren vorgelegten Fotos des Mannschaftszelts samt Ausstattung am alten Versammlungsort zeigen, dass es sich lediglich um ein großes Zelt - vollgestellt mit Betten und
persönlichen Gegenständen der Versammlungsteilnehmer - handelt. Die am Zelt befestigten „Gedankenblasen" und Beschriftungen „Zentrale Rückführstelle" oder „Einlasskontrolle" vermögen dem Mannschaftszelt jedenfalls nicht die
behauptete Symbolik zu vermitteln. Ein kollektiver kommunikativer Zweck gerade in Verbindung mit dem Zelt erschließt sich dem Senat weiterhin nicht. Soweit daneben geltend gemacht wird, das Zelt diene auch der Aufnahme von
Diskussionsrunden und dem Empfang von Politikern und Gästen, erfüllt es eine rein logistische Funktion, um möglichst optimale und bequeme Rahmenbedingungen für die Versammlung zu schaffen. Insbesondere unter
Berücksichtigung des gesamten Verlaufs der Versammlung seit 19. März 2012 drängt sich dem Senat der Eindruck auf, dass dem Mannschaftszelt nunmehr die Funktion eines symbolträchtigen Kundgebungsmittels beigemessen
werden soll, um nach dem Abbau des vom Roten Kreuz ursprünglich zu Versorgungszwecken aufgestellten großen Zeltes möglichst angenehme Bedingungen für die Fortsetzung der Versammlung zu schaffen bzw. beibehalten zu
können. In diese Richtung weist im Übrigen auch die Bezugnahme auf einen offenen Brief der den Hungerstreik begleitenden Ärzte, die von einer Gesundheitsgefährdung der Versammlungsteilnehmer ausgehen, wenn die
Versammlung nicht in einem beheizbaren, geschlossenen Zelt stattfinden kann. Die Schaffung einer möglichst komfortablen Infrastruktur für eine länger dauernde Versammlung auf öffentlichen Flächen unterliegt aber dem straßen-
und wegerechtlichen Regime, möglicherweise auch der Sicherheitssatzung der Antragsgegnerin, und nicht dem durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsrecht. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es zwar nicht auszuschließen,
dass ein Zelt als Mittel des Protests gegen eine bestimmte Unterbringungssituation oder gegen eine drohende Abschiebung eingesetzt werden kann (siehe hierzu auch die mehrfach zitierte Entscheidung des OVG NRW vom 23.9.1991
Az. 5 B 2541/91 <juris>). Dafür müsste sich jedoch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Aufstellen des Zeltes und der tatsächlichen Unterbringungssituation der Versammlungsteilnehmer herstellen lassen. Dieser ist
jedoch für den Senat nach wie vor nicht ersichtlich. Dazu kommt, dass mit zunehmender Dauer der Versammlung die Überschneidungen zwischen dem Zweck der kollektiven Meinungskundgabe und der individuellen Lebensführung
unvermeidlich werden, weil die Gestaltung der Versammlung der individuellen Lebensführung immer weiter angenähert wird (vgl. Dietlein, Zeltlager der Roma als Versammlung, NVwZ 1922, 1066). Durch die Errichtung des
beantragten Mannschaftszeltes würde sich die streitgegenständliche Versammlung noch mehr als „Zeltlager" darstellen, in dem die Versammlungsteilnehmer leben; der eigentliche Kundgabezweck träte demgegenüber zunehmend in
den Hintergrund. ..." (BayVGH, Beschluss vom 20.04.2012 - 10 CS 12.845)
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Beim Erlass von Einschränkungen gegenüber Versammlungen darf die Behörde aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 8 Abs 1 GG) an die Gefahrenprognose keine zu geringen Anforderungen stellen. Es sind konkrete und
nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen für ein Verbot der Versammlung nicht aus. Die Versammlungsbehörde trägt die Darlegungs- und Beweislast für das
Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage. Sie muss deshalb hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass sich das Verhalten von nach den bisherigen Erfahrungen friedlich an Versammlungen
teilnehmenden Personen bzw. Personenkreisen - auch wenn sie als "Wolf im Schafspelz", gleichsam mit der "Maske des Biedermanns" auftreten mögen - auf der konkret geplanten Veranstaltung in einer rechtsgutsgefährdenden Weise
ändern wird, welche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigt. Eine Versammlung verliert den Schutz des Art 8 GG grundsätzlich nur bei kollektiver Unfriedlichkeit, mithin wenn sie im Ganzen einen
unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.03.2012 - 4 MB 22/12).
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Bei der Anordnung von LärmschutzAuflagen nach § 15 VersammlG ist es nicht erforderlich, dass die Versammlungsbehörde im Einzelfall nachweist, dass es bei bislang von einem Anmelder veranstalteten Versammlungen durch die
Verwendung von Megaphonen bereits zu Gehörschäden bei Polizeibeamten oder Versammlungsteilnehmern gekommen ist. Die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Abs. 1 VersammlG Auflagen zulässig sind, umfasst
die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen auch die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes sowie des Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für Polizeibeamte im Rahmen des Einsatzes bei
Versammlungen gilt (vgl. § 83 Abs. 1 LBG LSA (juris: BG ST) - (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.02.2012 - 3 L 257/10):
„... Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2009 zu Ziffer 12, soweit dort die Zahl der Fahnen als Kundgebungsmittel auf eine Fahne je 25
Teilnehmer beschränkt worden ist, rechtmäßig ist.
Durch diese Auflage wird zwar in Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen. Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm ist nicht nur im Fall des Verbots oder der Auflösung der Versammlung berührt, sondern auch, wenn ihr verboten wird, in
bestimmter Weise Meinungsinhalte zu artikulieren. Hierdurch wird sie in ihrer, zugleich auch durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Möglichkeit beschränkt, in einer selbst bestimmten Weise an der öffentlichen Meinungsbildung durch
gemeinschaftliche Erörterung oder Kundgebung teilzuhaben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671). Eingriffe in dieses Grundrecht können nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des
Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter
erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, BVerfGE 69, 315). Soweit die in der Auflage bezeichnete äußere Form der Versammlung nicht strafrechtlich oder sonst gesetzlich untersagt ist, ist sie nach dem
vorliegend noch anwendbaren § 15 Abs. 1 VersammlG des Bundes nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zulässig. Die öffentliche Ordnung, d. h. ungeschriebene Regeln, deren
Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird, scheidet als
Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots nicht grundsätzlich aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.2001 -1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, 1409). Eine Gefahr für die
öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung der Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch
das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Sie kann ebenfalls betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger
Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Aufführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise aufgegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise
verletzt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.2001 a. a. O. zum 27. Januar als offiziellem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus) oder wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -,
NVwZ 2004, 90).
Für den Erlass der streitigen Auflage lagen den Anforderungen des § 15 Abs. 1 VersammlG genügende Anhaltspunkte vor. Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit
Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage
der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im
Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung
aufweisen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, NVwZ-RR 2010, 625).
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Begrenzung der Zahl der Fahnen auf eine je 25 Teilnehmer ermessensfehlerfrei war. Soweit die Klägerin
hiergegen ausführt, dass die von der Beklagten gezogene Grenze zwischen 24 und 25 Teilnehmern willkürlich sei und weiterhin das Zeigen von mehr als einer Fahne je 25 Teilnehmer nicht geeignet sei, ein aggressives und
provokatives, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu erzeugen, welches ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft hervorrufe bzw. nicht geeignet sei, dass sich der
Aufzug durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere, greift dieser Einwand nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass bei der hier in Rede stehenden Versammlung (anders als bei der Versammlung, welche Gegenstand des von der Klägerin zitierten Urteils des
Verwaltungsgerichts Aachen vom 14. Januar 2009 war) entsprechend dem Motto der Versammlung als Kundgebungsmittel überwiegend bzw. ausschließlich schwarze Fahnen verwandt werden sollten (UA S. 11).
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass das Mitführen von schwarzen Fahnen auf Versammlungen zwar nicht generell untersagt werden kann, eine Beschränkung der Zahl im Einzelfall jedoch
rechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Beschl. v. 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine solche Auflage wegen ihres präventiven Charakters nicht erst dann zulässig, wenn zu
besorgen ist, dass die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach den von der NSDAP durchgeführten Reichsparteitagen entspricht bzw. nahekommt. Zwar begründet allein die Tatsache, dass das Zeigen schwarzer Fahnen bei
politischen Aufzügen häufig mit einer bestimmten politischen Haltung in Verbindung gebracht wird, noch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung. Eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung kann
allerdings bei einem massenweisen Verwenden von Fahnen bei öffentlichen Aufzügen bestehen, wenn dadurch die Erinnerung an nationalsozialistische Aufmärsche hervorgerufen wird. Denn ebenso wie das Tragen von Waffen und
Uniformen als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung wegen ihrer damit demonstrierten organisierten Gewaltbereitschaft verboten sind (§§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 VersammlG), sind auch andere Formen martialischen
Auftretens wegen des dadurch erzeugten Klimas der Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen, den inneren Frieden gefährdenden Einschüchterung der Bevölkerung nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt. Gerade das
Mitführen einer größeren Zahl von Fahnen, die nicht Länder-, Bundes- oder EU-Flaggen sind, erscheint unter Berücksichtigung der sonstigen äußeren Umstände eines Demonstrationszuges wie des hier in Rede stehenden, geeignet,
den martialischen bzw. Reminiszenzen an die Zeit des Nationalsozialismus weckenden Eindruck auf Dritte besonders zu betonen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18.05.2010 - 14 K 5459/08 -, juris). Dies gilt namentlich dann, wenn -
wie hier - schwarze Fahnen mitgeführt werden sollen und in Verbindung mit anderen Kundgebungsmitteln bzw. mit einer farblich weitgehend übereinstimmenden Bekleidung der Teilnehmer hieraus Assoziationen zu
nationalsozialistischen Aufmärschen erwachsen. Dieser Gefahr kann durch die von der Beklagten ausgesprochene Beschränkung der Zahl der mitgeführten Fahnen begegnet werden. Durch die Beschränkung auf eine Fahne für 25
Teilnehmer ist auch hinreichend gewährleistet, dass die Klägerin ihr Demonstrationsanliegen zum Ausdruck bringen kann. Ob für eine stationäre Veranstaltung ein anderer Maßstab anzulegen ist, kann offen bleiben (vgl. VG
Gelsenkirchen, Urt. v. 18.05.2010, a. a. O.).
Soweit die Klägerin hierzu lediglich vorträgt, dass die Grenze zwischen 24 und 25 Teilnehmern „willkürlich" sei, legt sie keinen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Es liegt in der Natur von Höchstzahlen bzw. Grenzwerten, dass
Sachverhalte ober- und unterhalb des Schwellenwertes unterschiedlich behandelt werden. Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Beklagte überhaupt eine zahlenmäßige Begrenzung vorgenommen und nicht lediglich auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen hat. Die Notwendigkeit einer bezifferten Beschränkung ergibt sich bereits aus dem aus § 37 VwVfG folgenden Gebot der Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes. Im Weiteren
kann sich die gerichtliche Prüfung der Ermessensausübung nur darauf beziehen, ob die Beklagte die Grenzen des im Rahmen des § 15 VersammlG eingeräumten Ermessens, insbesondere das Willkürverbot, eingehalten hat (vgl.
Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 114 Rdnr. 41 m. w. N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann dabei nur dann festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung durch die Behörde evident ist (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 16.09.2009 - 1 BvR 2275/07 -, juris Rdnr. 40). Solche Umstände hat die Klägerin nicht dargelegt. Die Beklagte hatte zur Begründung dieser Auflage ausgeführt, dass für die in Rede stehende Versammlung am 7. März 2009
ausschließlich mit der Verwendung schwarzer Fahnen (mit Aufdrucken in Frakturschrift) zu rechnen war. Diese Fahnen seien wegen ihrer - in Verbindung mit der bei den sogenannten Trauermärschen üblichen dunklen Bekleidung der
Versammlungsteilnehmer - Uniformität und der verwendeten Schriftart geeignet, Erinnerungen an Aufmärsche der NS-Zeit aufkommen zu lassen, bei denen die Dramaturgie eines gleichförmigen Fahnenmeers im Vordergrund
gestanden hat. Die Beklagte hatte dabei eine auf die konkrete Versammlung bezogene Einzelfallabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse der Versammlungsteilnehmer mit geeigneten Kundgebungsmitteln ihr Anliegen in der
Öffentlichkeit zu präsentieren und dem vom Bundesverfassungsgericht definierten öffentlichen Interesse, solche Kundgebungen zu beschränken, die zu einer Einschüchterung der Bevölkerung durch ein martialisches bzw. an
Aufmärsche in der NS-Zeit erinnerndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer führen können. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Beschränkung auf eine Fahne je 25 Teilnehmer zum einen geeignet ist, den
einschüchternden Charakter des Aufzuges zu verhindern und andererseits die Versammlungsteilnehmer ihr Anliegen hinreichend in einer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregenden Form kundgeben können. Die Klägerin legt
nicht dar, dass ihr Anliegen - in verfassungskonformer Weise - nur durch einen völligen Wegfall der zahlenmäßigen Beschränkung oder durch eine Erhöhung der zulässigen Zahl von Fahnen hätte vermittelt werden können.
Auch der Verweis der Klägerin auf die „Fahnenmeere" bei den öffentlichen Veranstaltungen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist nicht geeignet, die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Das
Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die von der Klägerin angemeldete Versammlung und die öffentlichen Veranstaltungen bei der Fußballweltmeisterschaft bereits im Ansatz nicht vergleichbar sind. Eine Versammlung
im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Die Versammlungsfreiheit schützt
Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Bei einer Versammlung geht es anders als bei den von
der Klägerin zum Vergleich herangezogenen Sport- bzw. Freizeitveranstaltungen darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des
Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/96 -, NJW 2011, 1201).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass auch der weitere Inhalt der Auflage zu Ziffer 13, wonach Seitentransparente maximal drei Meter lang sein dürfen und zwischen zwei Seitentransparenten jeweils ein Abstand von
mindestens zwei Metern einzuhalten ist, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass der grundrechtlich geschützte Bereich der Versammlungsfreiheit dann verlassen wird, wenn die
Seitentransparente nicht in der Absicht mitgeführt werden, sie zur Kundgabe von Meinungen, sondern zur Verhinderung der Identitätsfeststellung von Störern einzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat in der Urteilsbegründung (UA S.
23 f.) - anders als die Klägerin dies in der Antragsbegründung darstellt - nicht auf eine tatsächliche oder vermeintlich einschüchternde Wirkung der Seitentransparente Bezug genommen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung
vielmehr darauf abgestellt, dass bei einer von der Klägerin am 20. September 2008 veranstalteten Versammlung ein Störer aus der Versammlung heraus einen Journalisten angegriffen hatte und nachfolgend von einigen
Versammlungsteilnehmern versucht worden war, die Festnahme des Störers durch Wegdrängen der Polizeibeamten zu verhindern. Das Verwaltungsgericht hat zudem hinsichtlich der Ermessensausübung auf den
Gesamtzusammenhang der Begründung des Bescheides abgestellt. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Auflage hinsichtlich der Seitentransparente geeignet ist zu verhindern, dass die Seitentransparente
zur Verhinderung der Identitätsfeststellung genutzt werden können. Die Klägerin hat den Vorfall als solchen auch in der Antragsbegründung nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich vorgetragen, dass bei der Versammlung am 20.
September 2008 keine Seitentransparente verwandt worden seien. Die Klägerin legt mit der Antragsbegründung nicht dar, warum eine Auflage wie die hier streitgegenständliche, nur dann rechtmäßig sein soll, wenn bei einer
vorgehenden Versammlung nicht nur Störer aus der Versammlung heraus Straftaten begangen haben und nachgehend den Schutz der anderen Versammlungsteilnehmer gesucht (und zum Teil gefunden) haben, sondern außerdem noch
durch die Verwendung von in einer bestimmten Weise gestalteten Seitentransparenten die Identitätsfeststellung der Störer konkret vereitelt oder erschwert wurde. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend festgestellt, dass die
Beklagte wegen des Vorfalls am 20. September 2008 von einer Gefährdungslage ausgehen konnte, die auch die streitgegenständliche Auflage rechtfertigte. Soweit die Klägerin weiter vorträgt, dass eine Transparentgröße von vier mal
vier Metern „manchmal" notwendig sei, um längere Sprüche oder ganze Sätze auf die Transparente schreiben zu können und nicht bloß einzelne Worte oder längere Sätze in einer kleinen Schrift, zeigt sie nicht auf, inwieweit diese
Erwägung auch für streitgegenständliche Versammlung von Bedeutung gewesen ist.
Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass der Teil der Auflage zu Ziffer 15, wonach Megaphone nicht auf die Kopfhöhe von Versammlungsteilnehmern oder Polizeibeamten ausgerichtet werden dürfen, rechtlich
nicht zu beanstanden ist. Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Auflage hinreichend bestimmt ist, da ein „Ausrichten" eines Megaphons dem Wortsinn nach bereits nicht das bloße Halten eines
Megaphons in Kopfhöhe eines anderen Menschen bedeutet, sondern das Halten gezielt auf eine andere Person erfolgen muss. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die streitige Auflage auch erforderlich zur Abwehr einer
unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 15 Abs. 1 VersammlG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere
Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, d. h. einen Sachverhalt, bei
dem der Eintritt eines Schadens „fast mit Gewissheit" zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, juris Rdnr. 14). Die Klägerin berücksichtigt hier zunächst nicht, dass der streitige Teil der Auflage in
Zusammenhang mit dem vorstehenden Satz steht, wonach die Lautstärke der mitgeführten Beschallungsmittel so einzustellen ist, dass eine Momentanlautstärke von 85 db(A) im Abstand von 5 Metern neben dem Aufzug nicht
überschritten wird. Dies bedeutet, dass ein Schalldruckpegel von mehr als 85 db(A) in unmittelbarer Nähe von Versammlungsteilnehmern und Polizeibeamten, welche den Aufzug begleiten, (zulässigerweise) erreicht werden kann,
insbesondere wenn die Schallquelle auf die Köpfe der Personen ausgerichtet wird. Die Klägerin tritt nicht der Feststellung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts entgegen, wonach die längere Konfrontation mit einem
Schalldruckpegel von mehr als 85 db(A), wie sie bei mehrstündigen Versammlungen bei Versammlungsteilnehmern und den Aufzug begleitenden Polizeibeamten auftreten kann, geeignet ist, Gehörschäden zu verursachen. Die
Beklagte hatte sich hinsichtlich des Grenzwertes von 85 db (A) an der Richtlinie 2003/10/EG über „Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische
Einwirkungen (Lärm)" orientiert, welche durch die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung vom 6. März 2007 (LärmVibrationsArbSchV, BGBl. I S. 261) in das nationale Recht umgesetzt wurde. In diesen Rechtsvorschriften
sind aufgrund wissenschaftlicher Erfahrung Grenzwerte für Lärmexpositionen bestimmt worden.
Soweit die Klägerin auch hinsichtlich dieser Auflage einwendet, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, dass es bei den bislang von der Klägerin veranstalteten Versammlungen durch die Verwendung von Megaphonen zu
Gehörschäden bei Polizeibeamten oder Versammlungsteilnehmern gekommen sei, greift dieser Einwand nicht durch, da die Feststellung einer unmittelbaren Gefahr nicht zwingend den Nachweis von Präzedenzfällen verlangt. Die
Klägerin geht ferner nicht zutreffend davon aus, dass LärmschutzAuflagen versammlungsrechtlich nur zum Schutz vor Gesundheitsgefahren zulässig sind. Der Schutz unbeteiligter Dritter vor Immissionen, die von einer Versammlung
ausgehen, greift vielmehr schon unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr ein. Die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Abs. 1 VersammlG Auflagen zulässig sind, umfasst die Einhaltung der
gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen - soweit hier entscheidungserheblich - auch die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (insbesondere zu Gunsten von Anrainern einer Versammlung) sowie des
Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für Polizeibeamte im Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt (vgl. § 83 Abs. 1 LBG LSA). Diese Normen bieten bereits Schutz vor erheblichen Lärmbelästigungen, d. h. unterhalb
der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2010 - 11 LA 298/10 -, NVwZ-RR 2011, 141). ..."
***
Zur zeitlichen Verlegung einer Versammlung wegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung (hier: Verlegung einer Versammlung der NPD zur Euro- und Finanzkrise vom 27. auf den 28. Januar; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss
vom 27.01.2012 - 7 B 10102/12 zu Art 8 GG, § 15 Abs 1 VersammlG):
„... Die Antragsgegnerin hat mit dem genannten Bescheid verfügt, dass die von der Antragstellerin - der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) - für den 27. Januar 2012 in der Zeit von 19.00 bis 21.00 Uhr angemeldete
Versammlung mit dem Motto „Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!" nicht am 27. Januar 2012, sondern am 28. Januar 2012 durchgeführt werden kann. Zugleich hat sie mehrere Auflagen erlassen,
die nach dem Inhalt der Antragsbegründung nicht Gegenstand des Eilrechtsschutzverfahrens sind.
Die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus. Die angefochtene zeitliche Verlegung der angemeldeten Versammlung vom 27. auf den 28. Januar
2012 ist offensichtlich rechtmäßig. An der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse.
Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersG - kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Bei der zeitlichen Verlegung der angemeldeten Versammlung handelt es sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht um ein Verbot der Versammlung, sondern um eine beschränkende Verfügung (Auflage).
Ob die zeitliche Verlegung einer Versammlung um einen Tag lediglich als Auflage und nicht als Versammlungsverbot zu qualifizieren ist, bemisst sich in erster Linie nach dem Bezug des Versammlungsziels zu dem angemeldeten
Tag. Ist Ziel der Versammlung, auf die besondere Bedeutung des angemeldeten Tages hinzuweisen, kommt die Verlegung der Versammlung auch nur um einen Tag einem Verbot gleich, weil die Versammlung letztlich ihres
wesentlichen Inhalts und ihrer zentralen Zielsetzung beraubt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 24 CS 05.1160 -, juris, Rn. 15). Gleiches dürfte gelten, wenn Inhalt und Ziel der Versammlung einen vergleichbar
besonderen Bezug zum angemeldeten Tag haben.
Ein solcher besonderer Bezug des Versammlungsziels zum 27. Januar 2012 ist hier nicht erkennbar. Er ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass am 27. Januar 2012 der Börsenexperte Prof. O. in der Aula des
Bischöflichen Priesterseminars in Trier einen Vortrag mit dem Titel „Von der Finanz- zur Eurokrise" hält. Diesem Vortrag kommt ersichtlich im Rahmen der gegenwärtigen Finanz- und Eurokrise kein solches Gewicht zu, dass eine
Versammlung zu diesem Thema nur am Tag des Vortrags stattfinden kann, ohne ihres zentralen Ziels beraubt zu werden. Es ist nicht erkennbar, weshalb eine Versammlung zur Euro- und Finanzkrise nicht mit gleicher Wirkung am
folgenden Tag durchgeführt werden kann. Eine - auch von der Öffentlichkeit wahrnehmbare - Auseinandersetzung mit den Themen von Prof. O. und die Vorstellung des eigenen wirtschaftlichen Programms sind der Antragstellerin
auch am 28. Januar 2012 gleichermaßen möglich. Bei dem Vortrag von Prof. O. handelt es sich um eine Veranstaltung in einem geschlossenen Raum mit allenfalls geringer Außenwirkung. Die Versammlung der Antragstellerin ist
auch ersichtlich keine Protest- oder Gegendemonstration zu dem Vortrag von Prof. O..
Die von der Antragsgegnerin verfügte Auflage einer zeitlichen Verlegung der angemeldeten Versammlung vom 27. auf den 28. Januar 2012 konnte rechtsfehlerfrei auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung gestützt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 15 Abs. 1 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots auch zur
Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So kann die öffentliche Ordnung
verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Tag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen,
die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 111, 147; BVerfG, NJW 2001, 1409; vgl. auch Beschluss des Senats vom 9. November 2011 - 7 B 11298/11.OVG -, veröffentlicht in ESOVGRP).
Einen solchen Fall hat das Bundesverfassungsgericht angenommen bei der Durchführung eines Aufzugs aus dem Umfeld rechtsextremer „Kameradschaften" an einem 27. Januar (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1409). Es hat zur
Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeführt: „Der 27. Januar ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, der durch den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog staatlicherseits
zum offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt worden ist. Mit der Begehung dieses Gedenktages wird Verantwortung für die Vergangenheit übernommen und bundesweit nicht nur der Opfer
gedacht, sondern zugleich mahnend an die Folgen des Nationalsozialismus erinnert, um deren Wiederholung dauerhaft auszuschließen. Es leuchtet unmittelbar ein und ist auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die
Versammlungsbehörde der Durchführung eines Aufzugs durch Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen 'Kameradschaften' an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumisst und diese als Gefahr einer erheblichen
Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet".
Ein solcher Fall ist auch hier gegeben. Die Antragstellerin gehört unzweifelhaft dem rechtsextremen Parteienspektrum an. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass einer Versammlung des betreffenden Personenkreises am
Gedenktag des 27. Januar eine Provokationswirkung zuzumessen ist, die die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürger und damit für die öffentliche Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG
begründet, ist nicht zu beanstanden. Die Gefahr für die öffentliche Ordnung ergibt sich nicht aus dem Inhalt der zu erwartenden Äußerungen oder dem Inhalt des Versammlungsmottos, sondern aus der Art und Weise der Durchführung
der Versammlung, nämlich einer Demonstration von Rechtsextremisten am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der zudem seit dem Jahr 2005 internationaler Holocaust-Gedenktag ist.
Die Versammlungsbehörde war auch aufgrund des aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 [343]) an der Anordnung
der Auflage nicht gehindert. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt nämlich nur, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber mit
anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob
und inwieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1409).
Entsprechend den obigen Ausführungen besteht kein besonders schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin an einer Versammlung gerade am 27. Januar 2012. Vor diesem Hintergrund stellt die angegriffene zeitliche Verlegung der
angemeldeten Versammlung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Antragstellerin dar. ..."
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Sind bei den Konzerten einer Musikband, zu deren Besuchern vor allem Personen aus der gewaltbereiten Hooliganszene sowie dem rechtsextremistischen Milieu zählen, wiederholt Straftaten begangen werden (Verharmlosung des
Holocaust, Hitlergruß), kann das ein Konzertverbot rechtfertigen, wenn sich der Gefahr der Wiederholung solcher Straftaten nicht durch Auflagen begegnen lässt (OVG Bremen, Beschluss vom 26.11.2011 - 1 B 309/11):
„... Nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz werden die Konzerte der Band von Personen aus dem gewaltbereiten Hooliganmilieu sowie dem rechtsextremistischen Milieu besucht (S. 24 Behördenakte). Dass die
Betreffenden dabei in erheblicher Weise gegen die Strafgesetze verstoßen, wird durch zwei Videomitschnitte jüngeren Datums belegt. Der Inhalt dieser Videos wird in der Verbotsverfügung wiedergegeben. Sie können im Internet
eingesehen werden (Radio Bremen, buten & binnen vom 22.11.2011; NDR, Panorama Nord vom 21.06.2011).
In einem der Videos singen (bzw. grölen) die Konzertbesucher „Eine U-Bahn bauen wir von St. Pauli bis nach Auschwitz". Daraufhin äußert sich der Antragsteller als Sänger der Band wie folgt: „Alles Lüge - Da fährt gar keine
U-Bahn". Dass sowohl der Gesang des Publikums als auch die Reaktion des Antragstellers die in Auschwitz unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise
billigen bzw. verharmlosen, drängt sich auf. Die Einlassung des Antragstellers in der Beschwerde, er habe „dieses Lied auf seine Weise aus dem Publikum sofort mit dem zitierten Spruch abgewürgt", ist nicht geeignet, diese
Beurteilung in Zweifel zu ziehen. Bei summarischer Prüfung spricht jedenfalls Einiges dafür, dass der Straftatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt worden ist.
In einem zweiten Video singt der Antragsteller das Lied „Hoch auf dem gelben Wagen…" in der Version „…sitz ich beim Führer vorn". Das Publikum stimmt in den Gesang ein, ein Teil hat dabei den ausgestreckten rechten Arm
erhoben. Es drängt sich auf, dass es sich dabei um den sog. Hitler-Gruß handelt, was den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 StGB erfüllt.
In beiden Fällen besteht zwischen dem Publikum und der Band und insbesondere dem Antragsteller als Sänger erkennbar ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang. Der Antragsteller muss sich deshalb das Verhalten der Besucher
zurechnen lassen.
c) Es besteht die konkrete Gefahr, dass es bei dem für den 26.11.2011 in Bremen geplanten Konzert zu einem vergleichbaren Verhalten der rechtsextremistischen Besucher kommt. Den Einlassungen des Antragstellers lässt sich nicht
entnehmen, dass er bereit wäre, Vorkehrungen zu treffen, um ein solches Verhalten zu verhindern. Die hochkonspirative Organisation des Konzerts drängt vielmehr die Schlussfolgerung auf, dass Inhalt und Ablauf des Konzerts
verborgen bleiben sollen, um auf diese Weise das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten fortsetzen zu können.
d) Das vollständige Verbot des Konzerts verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieses Verbot wird nicht zuletzt durch das bereits genannte hochkonspirative Verhalten der Konzertveranstalter veranlasst. Da der
Ort der Veranstaltung geheim ist, ist der Behörde sowohl eine präventive Kontrolle der Veranstaltungsräumlichkeiten als eine begleitende Kontrolle des Konzerts - wozu nach dem Vorstehenden aller Anlass bestünde - von vornherein
verwehrt. Aus diesem Grund scheiden auch Auflagen, deren Einhaltung der Kontrolle bedürfte, als milderes Mittel aus.
e) Das Verbot dient somit dazu, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Aus diesem Grund ist auch ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben und überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des
Verbots. ..."
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Ergibt sich aus dem Ablauf einer kurz zuvor vom selben Veranstalter durchgeführten Veranstaltung und einer internen Unterlage dieses Veranstalters, dass er bei Anmeldung der Versammlung und im Kooperationsgespräch seine
wahren Absichten hinsichtlich Teilnehmerzahl und Durchführung eines Aufzuges verschleiert, insbesondere nicht entsprechend dem angekündigten Motto gegen ein vereinsrechtliches Verbot demonstrieren möchte, sondern
tatsächlich eine Propagandaveranstaltung unter Vorzeigen der Kennzeichen und Symbole eines im Inland einem Betätigungsverbot unterliegenden Vereins geplant ist, ist das Handeln nicht mehr vom Grundrecht der
Versammlungsfreiheit gedeckt und kann - schon wegen der beabsichtigten Begehung von Straftaten gegen das Vereinsgesetz als unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit - verboten werden. Zur Zulässigkeit der Verwendung
von Öcalan-Bildern und den Fahnen der PKK und ihrer Unterorganisationen bei Versammlungen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2011 - OVG 1 S 187.11):
„... Der Einwand, dass der Antragsteller im Verfahren versichert habe, eine zahlenmäßige Begrenzung der Fahnen und Öcalan-Bildnisse, die mitgeführt werden sollen, akzeptieren zu wollen und aus der gefundenen Planungsunterlage
nicht hervorgehe, wie die Fahnen im einzelnen, insbesondere ein auf das Verbot hinweisender Aufdruck („In Berlin verboten") gestaltet sein sollen, vermag daran nichts durchgreifend zu verändern. Dieses Vorbringen übersieht, dass
die Planungsunterlage zusätzliche Hinweise darauf gibt, dass der Antragsteller bei der Anmeldung der Versammlung und im Kooperationsgespräch über die Teilnehmerzahl, die mobilisiert werden soll, unrichtige Angaben gemacht
hat, die sowohl für die Bemessung des zur Begleitung des Aufzuges erforderlichen Polizeiaufgebots als auch für die Anzahl der vom Veranstalter zu stellenden Ordner, mit denen er die Beachtung der vereinsrechtlichen
Strafvorschriften sicherzustellen beabsichtigte, von Bedeutung waren. Die Beschwerde übersieht weiter, dass es nach der insoweit nicht zu beanstandenden Bewertung des Verwaltungsgerichts bei dem vom Antragsteller am 3.
September 2011 in Köln veranstalteten „Kulturfestival" zu einer geplanten Zurschaustellung verbotener Symbole gekommen ist und dieser Umstand wie auch der gesamte Verlauf dieser Veranstaltung die Schlussfolgerung zulässt,
dass der Antragsteller von vornherein eine PKK-Propaganda-veranstaltung durchführen wollte und keine Veranlassung gesehen hat, Entsprechendes zu verhindern, als er von der Polizei auf das Zeigen verbotener Symbole und Zeichen
der PKK und ihrer Unterorganisationen angesprochen wurde. Diese weiteren Bestandteile der Gefahrenprognose führen zu der Bewertung, dass die Hinnahme einer Auflage zur zahlenmäßigen Beschränkung von Fahnen und
Bildnissen von Öcalan durch den Antragsteller keine Gewähr für deren Beachtung bietet, zumal auch die Zahl der gestellten Ordner bei einer angestrebten Verdreifachung der Teilnehmerzahl nicht ausreichend wäre, um die Beachtung
einer solchen Auflage sicherzustellen. In diesem Licht sind auch die Äußerungen des als Versammlungsleiter in Aussicht genommenen Herrn E... im Kooperationsgespräch in die Gefahrenprognose einzubeziehen, mit denen er auf
die hohe Emotionalität des Themas des PKK-Verbots hingewiesen habe und man nur mit der Zielsetzung eines friedlichen Verlaufs versuchen könne, durch Ordnereinsatz Verstöße hochgradig emotionalisierter Teilnehmer zu
unterbinden; sie zielten offenbar nur darauf, einem auf mangelnden Willen und unzureichende Mittel des Versammlungsleiters, gegen das Zeigen von Emblemen, Symbolen, Abbildungen und Fahnen der verbotenen PKK
einzuschreiten, gestützten Versammlungsverbot (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Juni 1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462, juris Rn. 5) im Vorfeld zu entgehen.
Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen der Beschwerde zu dem Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass das Zeigen nur vereinzelter unmartialischer Öcalan-Bildnisse als Meinungskundgabe im Rahmen des angekündigten
Versammlungsmottos anders zu bewerten sei als das massierte Mitführen solcher Bilder und der verbotenen Fahnen der PKK-Organisationen. Sie verkennen, dass das Verwaltungsgericht insoweit bezogen auf Versammlungsmottos,
die die Person Öcalans in den Vordergrund stellen, eine versammlungsfreundliche Position einnimmt, obwohl - auch für den Senat - nicht zweifelhaft ist, dass Öcalan-Bildnisse für dessen Rolle als Führer und maßgebliche
Identifikationsfigur der PKK stehen können (vgl. dazu OVG Bremen, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 1 A 227/09 - juris Rn. 10, Urteil vom 25. Oktober 2005 - 1 A 144/05 - NordÖR 2006, 165). Damit wird trotz der
Symbolträchtigkeit entsprechender Bildnisse deren straflose Verwendung ermöglicht, nicht aber die allgemeine Zulässigkeit dieser Materialien als PKK-Propaganda angenommen. In Bezug auf die bekannten Fahnen der PKK und
ihrer Unterorganisationen besteht allerdings kein Raum für derartige Betrachtungen, selbst wenn sich das vom Veranstalter selbst bestimmte Motto des Aufzuges gegen das Vereins- bzw. Betätigungsverbot richtet. Die Kundgabe von
Meinungen unter einem solchen Motto kann und darf infolge des Straftatbestandes in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 i.V.m § 9 Abs. 2 VereinsG nicht durch die Verwendung der Kennzeichen des von einem Betätigungsverbot
betroffenen Vereins erfolgen; es versteht sich, dass dieses spezielle Verbot auch die Verwendung mit einem mehr oder weniger lesbaren Aufdruck bezüglich des Vereinsverbots oder einer Kritik daran umfasst, weil sie sich nicht
darauf reduzieren lässt, sondern stets noch das Zeigen des für den unbefangenen Beobachter als solches erkennbaren Kennzeichens beinhaltet und dies von dem Verwender, der damit das Verbot zu konterkarieren beabsichtigt, auch
bezweckt wird (vgl. zur strafrechtlichen Beurteilung „zum Verwechseln ähnlicher Kennzeichen", insbesondere dem Bekanntheitsgrad des Kennzeichens: BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 3 StR 495/01 - BGHSt 47, 354, juris Rn.
14). Insofern kommt es auf die - in der Sache allerdings zutreffenden - Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wie solche Fahnen in massierter Form wirken, wenn sie aus einiger Entfernung wahrgenommen werden, und das hierauf
bezogene Beschwerdevorbringen für die Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots nicht entscheidend an. ..."
***
Die Auflage, eine Kundgebung durch Personen aus dem Umfeld rechtsextremer "Kameradschaften" nicht am Tag des Gedenkens an die Reichspogromnacht (9. November) durchführen zu dürfen, kann auf eine unmittelbare
Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt werden (OVG NRW Beschluss vom 08.11.2011 - 5 B 1351/11):
„... Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Verfügung dem Antragsteller aufgegeben hat, seine Versammlung nicht am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in
der Reichspogromnacht am 9. November durchzuführen. Diese Auflage ist zutreffend auch auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass
die öffentliche Ordnung betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise
angegriffen würde, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für den 27. Januar angenommen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.
Dasselbe gilt in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung für das alljährliche Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Tag nicht durch Hoheitsakt zum offiziellen
Gedenktag erklärt worden ist und mehrere andere geschichtliche Ereignisse auf einen 9. November gefallen sind. Die flächendeckenden menschenverachtenden Angriffe der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft auf
die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland am 9. November 1938 haben in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Die damaligen Ausschreitungen stellten den Auftakt für die beispiellose Verfolgung und Vernichtung der jüdischen
Bevölkerung dar und erfüllen den Tatbestand des Völkermords im Sinne von § 6 Völkerstrafgesetzbuch. Dieses schreckliche Geschehen wird wegen seiner besonderen Grausamkeit und Skrupellosigkeit jedes Jahr in zahllosen - auch
offiziellen - Gedenkveranstaltungen in Erinnerung gerufen. Diesen Gesichtspunkt greift auch der Antragsteller in seinem Versammlungsaufruf im Internet auf. Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass in diesem Jahr unter
anderem auch in X.-W. eine Gedenkveranstaltung unter Beteiligung von Personen des öffentlichen Lebens stattfindet. Bundesweit wird nicht nur der Opfer gedacht, sondern zugleich mahnend an die Folgen des Nationalsozialismus
erinnert. Obwohl das Ereignis schon viele Jahre zurück liegt, ist sein Jahrestag für das Gedenken an die Schrecken der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft in Deutschland im nationalen Gedächtnis tief verankert und
präsent. Insofern steht er dem erst lange nach Kriegsende im Jahr 1996 erstmals in Deutschland als offizieller Gedenktag eingeführten Holocaustgedenktag (27. Januar) nicht nach. Das Bundesverfassungsgericht hat der durch die
Schrecken der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft geprägten Identität der Bundesrepublik Deutschland eine so große Bedeutung beigemessen, dass es hieraus besondere Grenzen für die Meinungsfreiheit abgeleitet hat.
BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 300, 329.
Diesem Aspekt kann auch unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung Rechnung getragen werden. Daher leuchtet es unmittelbar ein und ist auch verfassungsrechtlich tragfähig, wenn die Versammlungsbehörde der
Durchführung einer Kundgebung durch Personen aus dem Umfeld rechtsextremer ‚Kameradschaften' an diesem Gedenktag eine Provokationswirkung zumisst und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen
Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.
Dies gilt im konkreten Fall umso mehr, als die vom Antragsteller gewählte Parole ‚Frei, sozial und national! Gegen antifaschistische Hetze und Presselügen' ebenso wie die Bezeichnung der die Versammlung im Internet bewerbenden
Gruppe der ‚Nationalen Sozialisten X. ‚ unmissverständlich auf eine direkte Verbindung zum Nationalsozialismus hinweist.
Die Versammlungsbehörde war auch auf Grund des aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>) an der
Anordnung der Auflage nicht gehindert. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt nur, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit aber
mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit bleibt
ihm nur die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge einer Kooperation mit der Verwaltungsbehörde einzubringen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl. 2001, 558.
Die Versammlungsbehörde konnte die Auflage auf die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung stützen. Diesem Gesichtspunkt kommt gegenüber dem Interesse des Antragstellers, gerade an diesem Tag zu demonstrieren, im
Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO der Vorrang zu. Zwar hat der Antragsteller hervorgehoben, ihm gehe es im Rahmen einer Gegen-Kundgebung um eine zeitgleiche Auseinandersetzung mit einem Missbrauch des
Gedenkens durch eine Veranstaltung aus der ‚Antifa'-Szene. Der Aufruf hierzu stelle sich als Aufforderung zu Gewalt gegen politisch Andersdenkende dar, die nicht hingenommen werden könne. Der Wunsch, zeitnah zu einer
öffentlichen Meinungsäußerung im Rahmen einer Gegenveranstaltung Stellung zu beziehen, ist auch grundsätzlich im Rahmen des Versammlungsgrundrechts schützenswert. Im konkreten Fall überwiegt gleichwohl das öffentliche
Interesse daran, die Durchführung der in Rede stehenden Kundgebung gerade an einem 9. November zu unterbinden. Mit Blick auf die geschichtsgeprägte Identität Deutschlands ist es mit einem würdigen Gedenken der Opfer nicht
vereinbar, wenn eine Gruppe, die sich als ‚Nationale Sozialisten X. ‚ bezeichnet, unter einem Motto, das gleichfalls das Begriffspaar ‚sozial und national' verwendet, an einem 9. November gegen den Missbrauch des Gedenkens an die
Reichspogromnacht durch Angehörige des linken Spektrums protestiert. Einer derartigen konfrontativen Auseinandersetzung zwischen links und rechts steht ein würdiges Gedenken der Opfer entgegen. Die zeitliche Beschränkung des
Selbstbestimmungsrechts des Antragstellers trägt seinem Versammlungsgrundrecht vor diesem Hintergrund angemessen Rechnung. Denn er ist nicht gänzlich daran gehindert, den von ihm beanstandeten Missbrauch des Gedenkens
öffentlich zu thematisieren. Ihm wird lediglich abverlangt, dies nicht am Tage des Gedenkens an die Opfer der Reichspogromnacht zu unternehmen. ..."
***
Auflagen, mit denen die Bildung eines "Schwarzen Blockes" und Übergriffe von "Rebel Clowns" auf Polizeibeamte verhindert werden sollen, sind zulässig (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.08.2011 - 11 LA 108/11):
„... Wie der Senat bereits in dem zwischen den Beteiligten vorangegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit Beschluss vom 6. August 2010 (- 11 ME 306/10 -) ausgeführt hat, soll mit der ersten hier noch streitigen Auflage der
Auftritt eines sog. ‚Schwarzen Blocks' verhindert werden. Die Auflage dient dabei nicht (vorrangig) der Durchsetzung des ohnehin schon aus § 3 VersG folgenden Uniformverbots, sondern - wie die Beklagte auf Seite 18 ihres
Bescheides unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich gemacht hat - der verfassungsrechtlich zulässigen Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Ordnung (i. S. d. § 15 VersG) infolge der Art
und Weise der Durchführung einer Versammlung durch ein aggressives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt
wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 ff.), wie es für das Auftreten des sog. ‚Schwarzen Blocks' charakteristisch ist (vgl. schon Senatsbeschl. v. 11.9.2009 - 11 ME 447/09 -). Dies gilt
unabhängig davon, ob diese potentielle Gewaltbereitschaft von Rechtsextremisten oder anderen Demonstrationsteilnehmern gezeigt wird; auf die Ausführungen auf Seite 17 des angegriffenen Bescheides wird zur näheren Begründung
Bezug genommen. Damit geht der Einwand der Klägerin fehl, die Bildung eines ‚Schwarzen Blocks' könne nach § 15 Abs. 1 VersG (i. V. m. § 3 Abs. 1 VersG) nur dann unterbunden werden, wenn das einheitliche Auftreten
uniformähnlich ausgestaltet sei oder gerade militärische Kampfkraft zum Ausdruck bringe. Ausreichend ist vielmehr, wenn von dem für einen ‚Schwarzen Block' charakteristischen einheitlichen und aggressiven Auftreten in dunkler
Kleidung eine auf Einschüchterung gerichtete Gewaltdemonstration ausgeht, durch die nicht nur Solidarität innerhalb der Gruppe signalisiert, sondern gegenüber Außenstehenden, insbesondere auch dem politischen Gegner sowie
Polizeikräften, gezielt der Eindruck erweckt wird, die Blockteilnehmer seien gewillt und in der Lage, ihre Vorstellungen auch gewaltsam durchzusetzen (vgl. nunmehr auch § 3 Abs. 3 Alt. 3 NVersG), wobei die Menge der
Blockteilnehmer diesem Drohpotential besonderes Gewicht verleiht und die Einheitlichkeit der Kleidung zugleich die Identifikation einzelner Gewalttäter gezielt erschwert.
Für den Erlass der genannten Auflage lagen auch den Anforderungen des § 15 Abs. 1 VersG genügende Anhaltspunkte vor. Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit
Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs unmittelbar gefährdet ist (BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 17, auch zum Folgenden). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von
Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder
Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie
des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
Entgegen des Vorbringens der Klägerin sind weder gleichgelagerte Aufzüge in der Vergangenheit, d.h. vor dem August 2010, ‚friedlich' geblieben noch hat sich die Beklagte und ihm folgend das Verwaltungsgericht vorliegend zur
Begründung der Auflagen lediglich auf allgemeine Verdachtsmomente beschränkt. Vielmehr hat die Beklagte auf den Seiten 5 bis 8 ihres Bescheides ausführlich dargelegt, dass es in der Vergangenheit nicht nur in Niedersachsen
allgemein bei vergleichbaren, gegen die Bundeswehr gerichteten Veranstaltungen zu unfriedlichen Störaktionen gekommen ist, sondern insbesondere auch bei den jährlich wiederkehrenden Protesten gegen das Sommerbiwak in
Hannover. Zutreffend ist dabei die zunehmende Militanz der Aktionen herausgestellt worden, die im Vorjahr 2009 u. a. einen versuchten Brandanschlag auf einen Pavillon am Veranstaltungsort des Sommerbiwaks umfassten, der im
Internet als ‚leider gescheitert' bewertet wurde, und ausdrücklich Aufrufe zum ‚Angriff' auf das Sommerbiwak 2010 einschlossen. Wie der Senat bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in seinem Beschluss vom 6. August 2010
ausgeführt hat, bestanden deshalb sehr deutliche Anzeichen dafür, dass zumindest von einer militanten Minderheit der Teilnehmer an den von der Klägerin angemeldeten Versammlungen auf die Störung und Verhinderung des
Sommerbiwaks gerichtete, auch strafbare Handlungen geplant waren. Deutlich unterstrichen wurde diese Einschätzung durch weitere Straftaten im Vorfeld des Sommerbiwaks 2010, nämlich einen am 22. Juni 2010 erfolgten, diesmal
vollendeten Brandanschlag auf einen Pavillon am Veranstaltungsort sowie zwei Anschläge vom 4/5. August 2010 auf eine Polizeiwache sowie ein SPD Büro in Stadtteilen von Hannover, zu denen sich neben weiteren Anschlägen
(vgl. http://de.indymedia.org/2010/08/287428.shtml) jeweils Gegner des Sommerbiwaks bekannt haben (vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 6.8.2010). Auch wenn die organisatorischen bzw. personellen Verbindungen zwischen
der Klägerin und denjenigen, auf deren von der Beklagten im Bescheid zitierten Internetseiten sich die angeführten Aufrufe befinden und von denen die Anschläge ausgingen, nicht näher aufgeklärt sind, so ist von der Klägerin als
Anmelderin doch jedenfalls zu erwarten, dass sie sich öffentlich von dieser ihr bekannten Gewaltausübung distanziert und sich entsprechend verhält (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141 ff.;
Senatsbeschl. v. 27.4.2009 - 11 ME 225/09 -, NdsVBl 2009, 229 ff., jeweils m. w. N.). Hieran mangelt es aber. Die Klägerin hat sich vielmehr darauf beschränkt, ihre eigene Gewaltfreiheit zu betonen. Das reicht nicht aus. Gleiches
gilt für ihre Haltung gegenüber dem auf Grund der zuvor bezeichneten Indizien konkret zu befürchtenden Auftreten eines ‚Schwarzen Blocks'. Hierauf angesprochen erklärte die Klägerin im Kooperationsgespräch lediglich, es sei ihr
nicht bekannt, ob ein ‚Schwarzer Block' komme, es könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Tatsächlich erschien dann nach der bereits zuvor zitierten Darstellung im Internet (http://de.indymedia.org/2010/08/287428.shtml)
eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern in schwarzer Kleidung, ohne allerdings - wie offenbar nach ihrer Kritik an der ‚bekloppten Schwarzenblockauflage' beabsichtigt - einen Block zu bilden. Durch die tatsächliche
Entwicklung ist damit die Gefahrprognose der Beklagten insoweit bestätigt worden.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch die hinreichende Bestimmtheit der Auflage bejaht, § 1 Abs. 1 NVwVfG, § 37 Abs. 1 VwVfG. Dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG wird die Behörde gerecht, wenn der
Adressat einer Verfügung erkennen kann, was von ihm gefordert wird und entsprechend sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. zum Folgenden zuletzt Senatsbeschl. v. 28.7.2011 - 11 LA 101/11 -, juris, Rn. 16, m. w. N.). Daher
darf der Verwaltungsakt nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein. Die Konkretisierung dessen, was ge- und verboten ist, muss sich aus der Verfügung selbst ergeben und darf nicht der Vollstreckung
überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nichtbeachtung des Verwaltungsaktes bußgeld- oder strafbewehrt ist. Hieran gemessen ist die umstrittene Auflage noch hinreichend bestimmt.
Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die beiden ausdrücklich in der Auflage genannten Tatbestandsmerkmale ‚dunkel gekleidet' sowie ‚in Blockform nebeneinander' für sich genommen nicht eindeutig sind. Das Regelungsziel der
Auflage erschließt sich aber hinreichend deutlich bei einer Zusammenschau beider Merkmale und aus der Begründung des Bescheides, wonach dadurch - wie dargelegt - die Bildung eines ‚Schwarzen Blocks' verhindert werden soll.
Eine über die bereits im Wortlaut der Auflage genannten Merkmale sowie die sich ergänzend aus der Begründung ergebenden, weiter eingrenzenden Merkmale der Einheitlichkeit der verbotenen dunklen Bekleidung, die sich nicht
erkennbar als Trauerkleidung - insoweit ist für einen weiteren Aufzug am selben Tag bewusst keine entsprechende Auflage erlassen worden - oder als Berufsbekleidung darstellt, hinausgehende Konkretisierung ist praktisch
ausgeschlossen und auch rechtlich nicht geboten. Der Gedanke, das Merkmal der untersagten einheitlich dunklen Kleidung durch eine Bezugnahme auf eine geläufige Farbskala (etwa RAL) bzw. durch die Benennung des
Prozentsatzes des danach jeweils zumindest gebotenen helleren Teils der Bekleidung einer Person und das Merkmal der Blockform durch die Angabe der pro (3 oder 5) Quadratmeter höchstens zulässigen Versammlungsteilnehmer
näher zu umschreiben, führte nicht weiter. Entsprechende Vorgaben blieben theoretisch, da bei einem - wie hier - sich (überwiegend) bewegenden Aufzug weder die Zahl der Teilnehmer pro Quadratmeter tatsächlich exakt kontrolliert
noch eine Farbskala für Kleidung geläufig und überprüfbar ist. Zudem ist eine solche Konkretisierung letztlich auch nicht geboten, da auch so das Gewollte für die Beteiligten noch hinreichend deutlich wird. Wer eine helle Hose oder
Jacke trägt, hält sich an die Auflage; das Tragen heller (Halb-)Schuhe reicht hingegen nicht aus. Beim Tragen einer ‚Blue Jeans' kommt es auf ihre jeweilige Farbe und ggf. ergänzend auf den vorhandenen oder fehlenden Kontrast zur
Farbe der Hosen der anderen Teilnehmer an. Ebenso ergibt sich schon aus dem Begriff des Blockes, dass allein das Nebeneinandergehen in Reihen oder das Hintereinandergehen in Zügen durch die Auflage nicht untersagt worden
sind, sondern dass für eine Blockbildung deutlich mehr als zwei Personen ohne oder mit nur geringem Abstand in nicht zwingend mathematisch exakt quadratischer Form, aber doch zumindest sowohl hinter- als auch nebeneinander
erforderlich sind. Diese Form der verbotenen Fortbewegung ist für die Versammlungsteilnehmer schon wegen der - teilweise, aber nicht zwingend durch ein Unterhaken noch verstärkten - besonderen Nähe und Vielzahl der Beteiligten
auch erkennbar.
Die mit der Auflage verbundene Belastung für Versammlungsteilnehmer ist sehr geringfügig und angesichts des hochrangigen Zieles, nämlich so die Friedlichkeit der Versammlung sicherzustellen, auch verhältnismäßig. Die an der
Teilnahme Interessierten konnten sich auf die Auflage u. a. durch Veröffentlichungen im Internet (vgl. etwa http.//antimili- tarismus.blogsport.de/2010/08/06/ovg-bestätigt-verbot-des-schwarzen-blockes-) rechtzeitig schon bei der
Kleidungswahl einstellen oder - soweit sie ungeachtet dessen in ausschließlich dunkler Kleidung erschienen - durch Einreihung deutlich heller gekleideter Personen oder das Gehen außerhalb eines Blockes ihr inhaltliches Anliegen
verwirklichen. Die Auflage bewirkte damit für keinen Teilnehmer ein faktisches Versammlungsverbot.
Ebenso wenig greifen die Rügen der Klägerin gegen die vom Verwaltungsgericht bestätigte Rechtmäßigkeit der zweiten Auflage durch.
Sie soll durch den vorgeschriebenen Mindestabstand von zwei Metern verhindern, dass sog. ‚Rebel Clowns' im Rahmen ihrer Aktionen, mit denen sie nach ihrem Selbstverständnis Polizeibeamte karikieren, körperlich auf diese
Polizeibeamte übergreifen, diese mit Flüssigkeiten bespritzen - wie in der Vergangenheit nach dem bereits von der Beklagten im Bescheid (S. 18) in Bezug genommenen Wikipediaartikel zur sog. ‚Clownsarmy' geschehen -, mit Hilfe
von Staubwedeln oder gar Toilettenbürsten ‚abstauben' bzw. ‚putzen' oder ihnen sonst unangemessen zu nahe kommen. Darin läge ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG. Diese schützt nämlich auch das
Persönlichkeitsrecht anderer. Es schließt die Befugnis ein, vorbehaltlich gesetzlich vorgeschriebener Duldungspflichten selbst darüber zu entscheiden, wer sich einem unter Durchbrechung des ungeschriebenen, aber gesellschaftlich im
Bundesgebiet anerkannten Gebots, einem fremden Menschen nicht zu nahe zu kommen, weniger als etwa zwei Meter nähern darf, von wem man körperlich berührt oder gar durch Flüssigkeiten bespritzt wird (vgl. bereits den den
Beteiligten bekannten Senatsbeschl. v. 28. August 2009 - 11 ME 429/09 -). Dieses Recht steht grundsätzlich auch (Polizei-)Beamten im dienstlichen Einsatz zu und wird ungeachtet funktioneller Begrenzungen des
Grundrechtsschutzes von Beamten aus dienstlichen Gründen nicht - wie die Klägerin geltend macht - von ihrer Amtswalterfunktion verdrängt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 C 3/05 -, BVerwGE 125, 85, Rn. 15 ff.). Weder die
sinngemäß oder ausdrücklich von der Klägerin in Anspruch genommene Versammlungs- noch die Kunst- oder Meinungsfreiheit beinhalten das Recht, seine Kritik einzeln oder kollektiv, ausdrücklich oder in schauspielerischer Form
in der Weise zum Ausdruck zu bringen, dass der Kritisierte bzw. Karikierte gegen seinen Willen körperlich zum Objekt gemacht wird. Die durch die Auflage untersagten Tätigkeiten der ‚Rebel Clowns' sind damit entgegen der
Ansicht der Klägerin nicht mehr grundrechtlich geschützt; soweit man dies hinsichtlich des Näherungsverbots anders beurteilte, überwöge dann im Rahmen der gebotenen Abwägung jedenfalls der Schutz der Persönlichkeitsrechte der
betroffenen Polizeibeamten. Denn den ‚Rebel Clowns' bleibt es unbenommen, ihre Aktionen unter Einhaltung des vorgeschriebenen Abstandes und damit noch in deutlicher Sicht- und Hörweise der Polizeibeamten durchzuführen.
Dass sich die beim Sommerbiwak 2010 geplanten Aktionen der ‚Rebel Clowns' nicht in dem zuvor bezeichneten Rahmen hätten bewegen sollen, insbesondere ohnehin nicht vorgesehen gewesen wäre, Polizeibeamte dabei zu
berühren, trägt die Klägerin nicht vor; sie verweist vielmehr selbst auf das ‚vielzitierte Putzen eines Rangabzeichens mit einer unbenutzten Klobrille'.
Eine mildere, aber gleich wirksame Maßnahme stand nicht zur Verfügung. Das von der Klägerin für allemal ausreichend erachtete Verbot, Polizeibeamte bei den Darstellungen zu berühren, wäre weniger wirksam gewesen. Dann
hätten die ‚Rebels Clowns' weiterhin den Nahbereich der von ihn karikierten Polizeibeamten betreten können sowie sich ihnen bessere Möglichkeiten eröffnet, die Polizeibeamten zu bespritzen.
Schließlich ist dem Verwaltungsgericht auch in der Annahme zu folgen, dass die Auflage nicht zu einem faktischen Ausschluss der ‚Rebel Clowns' führt, sondern das allein verfügte Abstandsgebot nur einen ‚geringen Eingriff'
bedeutet. Die Befürchtung der Klägerin, die Polizeibeamten könnten durch eine Annäherung an die ‚Rebel Clowns' deren Tätigkeit faktisch zum Erliegen bringen, erscheint unbegründet. Es ist schon fraglich, ob sich die Auflage nicht
auf das Gebot an ‚Rebel Clowns' beschränkt, sich bei ihren Aktivitäten den Polizeibeamten zu nähern, oder weitergehend auch beinhaltet, sich jeweils mindestens zwei Meter zu entfernen, wenn sich Polizeibeamte nähern. Jedenfalls
fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für die Annahme, Polizeibeamte würden sich wiederkehrend zielgerichtet oder anderweitig im Rahmen ihrer Dienstausübung ‚Rebel Clowns' während ihrer Aktionen nähern. Die Beklagte hat
vielmehr in der Antragserwiderung unwidersprochen vorgetragen, dass eine gleiche Auflage bei einer Schüler- und Studentendemonstration schauspielerische Aktionen von geschminkten bzw. kostümierten Personen unberührt
gelassen habe. Im Übrigen scheint die Annahme auch fernliegend, dass sich Polizeibeamte ohne Not bewusst in die Nähe der ‚Rebel Clowns' und damit in eine Situation begeben, in der sie mit ihnen unerwünschten Berührungen und
Provokationen rechnen müssen. ..."
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Versammlungen in einem dem allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffneten Bereich eines Flughafens (vgl. BVerfG vom 22.2.2011, BvR 699/06, DVBl 2011, 416) können nur auf der Grundlage einer Gefahrenprognose beschränkt
werden, die auf nachweisbaren Tatsachen und Sachverhalten und nicht auf bloßen Vermutungen (bzgl. der Störung des Flughafenbetriebes) beruht ( BayVGH, Beschluss vom 05.08.2011 - 10 CS 11.1839).
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Bereits das öffentliche Üben der Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung stellt einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG (heute: § 4 NVersG (juris: VersammlG ND)) dar, der die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1 VersG
(heute: § 8 Abs. 1 NVersG (juris: VersammlG ND)) zum Erlass einer diese Übung untersagenden Auflage ermächtigt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.07.2011 - 11 LA 101/11).
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Gegendemonstrationen genießen den Schutz des Art. 8 GG, wenn sie über die reine Unterbindungsabsicht hinaus eigene legitime Ziele, insbesondere eine eigenständige kollektive Meinungsäußerung bezwecken (HessVGH, Beschluss
vom 04.07.2011 - 8 A 545/11):
„... I. Hinsichtlich des Tatbestandes verweist der Senat auf die Tatbestände der angefochtenen Entscheidungen (§ 130b VwGO), da er sich diese tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu eigen macht.
Die Berufungen des Beklagten zu 2. gegen diese Urteile, auf die zur Darstellung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich ihrer Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat der Senat durch später
berichtigten Beschluss vom 16. März 2011 - 8 A 2256/10.Z u.a. - nach Verbindung der Verfahren wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Urteile die Berufungen zugelassen. In der Begründung dieses
Beschlusses, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird und der dem Beklagten zu 2. in berichtigter Fassung am 26. April 2011 zugestellt worden ist, hat der Senat Zweifel an der Sachdienlichkeit der in beiden Instanzen
gestellten bzw. angekündigten Anträge der Kläger geäußert und begründet.
Die Berufungen begründet der Beklagte zu 2. mit der Auffassung, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft von einer Kompetenz der Polizei ausgegangen, die Gegendemonstration trotz fehlender Auflösungsverfügung der
Versammlungsbehörde, des Beklagten zu 1., aufzulösen. Die gewaltsame Durchsetzung einer Fortsetzung der von der Klägerseite angemeldeten Demonstration gegen eine Überzahl zum Teil gewaltbereiter Gegendemonstranten wäre
unverhältnismäßig gewesen, so dass man den Klägern zu Recht die Fortsetzung ihres Aufzugs auf einer nicht blockierten Alternativroute nahegelegt habe. Dass die Versammlungsleitung der NPD-Demonstration auf diesen Vorschlag
nicht eingegangen sei und statt dessen die Kundgebung für beendet erklärt habe, falle in ihren Verantwortungsbereich. Wegen der Einzelheiten wird auf die beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof per Telefax am 23. Mai 2011
eingegangene Berufungsbegründung des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom selben Tage Bezug genommen.
Der Beklagte zu 2. beantragt, die Urteile des Verwaltungsgerichts Gießen vom 20. September 2010 - 9 K1148/10.GI,1150/10.GI, 1060/10.GI und 1059/10.GI - abzuändern und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger haben sich im Berufungsverfahren nach Ankündigung einer Entscheidung nach § 130a VwGO mit Schreiben des Berichterstatters vom 25. Mai 2011, auf das Bezug genommen wird, vornehmlich zur Entscheidungsform
geäußert und die Ansicht vertreten, zum Ablauf der abgebrochenen Demonstration am 1. August 2010 in Friedberg müsse Beweis erhoben werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. Juni
2011 verwiesen.
Dem Senat liegen die die abgebrochene NPD-Demonstration in Friedberg betreffenden Behördenakten der Beklagten zu 1. vor. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II. Die vom Senat zugelassenen Berufungen des Beklagten zu 2. sind auch im Übrigen zulässig und begründet. Da der Senat einstimmig dieser Auffassung ist und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er
gemäß § 130a VwGO durch Beschluss. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden (§ 130a S. 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 S. 3 VwGO).
Die Begründung der Berufung ist form- und fristgerecht erfolgt (§ 124a Abs. 3 S. 4, Abs. 6 VwGO).
Die Berufungen sind begründet, weil das Verwaltungsgericht den Klagen, soweit sie sich gegen den Beklagten zu 2. richten, zu Unrecht stattgegeben hat. Die Klagen sind insoweit abzuweisen.
Die von den Klägern in erster Instanz gestellten und im zweiten Rechtszug weiterverfolgten Anträge ‚festzustellen, dass die Verhinderung des Demonstrationszuges am 1. August 2009 durch die Beklagten rechtswidrig war', sind
bezüglich des Beklagten zu 2. unzulässig; wegen der insoweit eingetretenen Rechtskraft der angefochtenen Urteile ist nicht zu entscheiden, ob dies bezüglich der Beklagten zu 1. anders war.
Als Fortsetzungsfeststellungsanträge i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO können diese Begehren entgegen der Auffassung der Kläger - jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten zu 2. - weder in direkter noch in analoger Anwendung dieser
Bestimmung aufgefasst werden. Denn seitens der Polizei ist damals kein die Kläger oder andere Demonstrationsteilnehmer belastender Verwaltungsakt - etwa ein Platzverweis - erlassen worden. Eine Auflösung der vom Kläger zu 1.
angemeldeten Versammlung durch die Versammlungsbehörde, den Bürgermeister der Beklagten 1., wäre keine Maßnahme des Beklagten zu 2. und könnte deshalb, selbst wenn sie erfolgt wäre, nicht zum Gegenstand einer gegen den
Beklagten zu 2. gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage gemacht werden. Auch eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf den unterbliebenen Erlass die Kläger begünstigender Verwaltungsakte gegen Dritte durch
die Polizei (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rn. 109, 111 m.w.N.) verhilft den Klagen nicht als Fortsetzungsfeststellungsklagen zur Zulässigkeit. Da als polizeiliche Verwaltungsakte hier nur die im Ermessen der
polizeilichen Einsatzleitung liegende Anwendung weitergehenden unmittelbaren Zwangs gegenüber den Gegendemonstranten oder der Ausschluss einzelner Gegendemonstranten (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG) in Betracht
gekommen wären, hätten die Kläger mindestens behaupten müssen, das Entschließungsermessen und das Auswahlermessen der Einsatzleitung sei auf die Anwendung bestimmter Maßnahmen oder Zwangsmittel gegenüber bestimmten
Personen reduziert gewesen (vgl. dazu Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Rn. F 114 ff., 133 ff.) und die Kläger hätten eine Anspruch auf bestimmte Maßnahmen oder die Anwendung dieser
Zwangsmittel gehabt. Daran fehlt es. Zwar ist in der Berufungserwiderung davon die Rede, Gegendemonstranten hätten ‚gezielt heraus gegriffen werden können'. Dass dies aber nicht die einzige Handlungsalternative der Polizei war,
liegt auf der Hand. Im Übrigen haben die anwaltlich vertretenen Kläger ihre vom Senat schon in der Begründung des Zulassungsbeschlusses als nicht sachdienlich bezeichneten Anträge in der Berufungserwiderung nicht umgestellt.
Auch als Feststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO sind die Klagen in der Fassung der anwaltlich formulierten Klageanträge unzulässig, weil die Kläger die Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Handelns festgestellt haben wollen,
das in der behaupteten Form überhaupt nicht stattgefunden hat, so dass ihnen das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt. Denn ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Presseberichte ist die vom Kläger zu 1.
angemeldete Demonstration in Friedberg nicht von der Polizei unterbunden, sondern vom Veranstalter aufgelöst worden, weil man die angesichts der Blockade des vorgesehenen Aufzugwegs angebotenen, nicht blockierten
Alternativrouten nicht akzeptieren wollte.
Die Feststellungsklagen gegen den Beklagten zu 2. wären im Übrigen auch dann abzuweisen, wenn sie zulässig wären. Denn dann wären sie offensichtlich unbegründet. Der Senat hat dazu bereits im Zulassungsbeschluss vom 16.
März/4. April 2011 - 8 A 2256/10.Z u.a. - ausgeführt:
‚Zu Recht rügt der Beklagte, das Verwaltungsgericht habe die Zuständigkeiten beider Beklagter nicht hinreichend auseinandergehalten und verkannt, dass die Polizei nicht von sich aus die damalige Gegendemonstration hätte auflösen
können, weil es nach §§ 15 Abs. 3 VersammlG allein Aufgabe der Versammlungsbehörde, des Bürgermeisters der Beklagten 1., gewesen wäre, eine etwa notwendige Auflösung der bereits begonnenen Gegendemonstration
anzuordnen. Da § 18 Abs. 1 VersammlG nicht auf § 13 Abs. 1 VersammlG verweist, kommt bei Versammlungen im Freien, auch bei sog. Spontanversammlungen, eine Auflösung unmittelbar durch die Polizei ohne vorherige
Auflösungsentscheidung der Versammlungsbehörde nicht in Betracht. Es kann mithin keine Rede davon sein, dass die Polizei den damals vorgesehenen Demonstrationszug der Kläger verhindert habe, was die Tenores der
angefochtenen Urteile und die vom Verwaltungsgericht als sachdienlich entgegengenommenen Klageanträge aber unterstellen. Die Polizei hat lediglich aus den in den Begründungen der Zulassungsanträge ausgeführten Erwägungen
nur relativ milde Mittel eingesetzt, um den Anspruch der Kläger auf störungsfreie Durchführung der geplanten Versammlung gegen eine deutliche Überzahl zum Teil gewaltbereiter Gegendemonstranten durchzusetzen. Zulässige
Klageanträge hätten sich mithin bezüglich des Beklagten zu 2. auf die Feststellung beschränken müssen, dass die Polizei schärfere Mittel wie etwa Schlagstöcke oder Wasserwerfer hätte einsetzen müssen, um dem Demonstrationszug
der NPD den Weg durch die Gegendemonstration zu bahnen.'
Darüber hinaus war, worauf der Senat ebenfalls schon im Zulassungsbeschluss hingewiesen hat, der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 -
(BVerfGE 84, 203 = juris) verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat damals entschieden, dass der Schutz des Art. 8 GG sich nicht auf Personen erstrecke, die nicht die Absicht haben, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern
diese verhindern wollen (vgl. juris Rn. 17); damals ging es um die polizeiliche Verweisung einzelner Personen aus einer Parteiversammlung in geschlossenen Räumen, nicht um eine eigenständige Versammlung im Freien:
‚Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt.
Der Umstand, dass mehrere Personen zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuss der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht'.
Über die reine Unterbindungsabsicht gingen hier die Motive der Gegendemonstranten ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Presseveröffentlichungen deutlich hinaus. Es ging ihnen nicht nur um die Verhinderung der
geplanten Kundgebung der Kläger, sondern um ein Signal für die grundsätzliche Akzeptanz von Muslimen in der deutschen Gesellschaft und damit um eine eigene, von der Auffassung der Kläger abweichende kollektive
Meinungsäußerung. Die Initiatoren der Gegendemonstration haben nicht lediglich die Versammlung der NPD stören und weitgehend verhindern, sondern eine eigene Versammlung mit selbst definierten Zielen und größerer
Teilnehmerzahl veranstalten wollen.
Für solche Fälle konfligierender Versammlungen hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen entschieden, dass zwar prinzipiell der Prioritätsgrundsatz gilt, im Einzelfall davon aber abgewichen werden kann, wobei es Aufgabe der
Versammlungsbehörde ist, durch Auflagen praktische Konkordanz herzustellen und möglichst den Teilnehmern beider Versammlungen die Wahrnehmung ihrer Grundrechte zu ermöglichen (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1
BvR 961/05 -, NVwZ 2005, 1005 = juris Rn. 24 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92 [11] = juris).
Da hier die Versammlungsbehörde im Vorfeld der Versammlungen dieser Aufgabe nicht gerecht geworden ist und es mangels kanalisierender Auflagen für die angemeldeten Gegendemonstrationen nicht gewährleistet war, dass
kriminelle Chaoten diese nicht unterwandern konnten, hätte bei einer Durchsetzung des von den Klägern vorgesehenen Demonstrationswegs durch die Polizei mit schwersten Verletzungen überragend wichtiger Rechtsgüter,
insbesondere von Leben und Gesundheit von Polizeibeamten und Demonstrationsteilnehmern beider Seiten gerechnet werden müssen. Dass die polizeiliche Einsatzleitung in dieser Situation unter dem in der sog. Durchführungsphase
sachtypischen Zeitdruck anstelle der auch insoweit zuständigen, aber offenbar auch in dieser Phase untätig gebliebenen Versammlungsbehörde an die Kooperationsbereitschaft der Versammlungsleitung der NPD-Demonstration
appelliert (vgl. zur Zuständigkeit der Versammlungsbehörde Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz,15. Aufl., Rn. 32 zu § 14 und 269 zu § 15 m.w.N.) und zwei nicht blockierte Alternativrouten angeboten hat, war
verfahrensrechtlich vertretbar und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit geboten. Dass die Versammlungsleitung dieses Angebot nicht akzeptiert und die Versammlung selbst für beendet erklärt hat, liegt allein in ihrem Verantwortungsbereich.
Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten haben die Kläger zu tragen, soweit sie durch Ihre Klagen gegen den Beklagten zu 2. und ihre Rechtsmittel entstanden sind, weil die Kläger insoweit unterliegen (§ 154 Abs. 1 und 2
VwGO). Soweit sie für Teile der Kosten gemeinsam aufzukommen haben, haften sie nach Kopfteilen (§§ 159 S. 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO). ..."
***
Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, die Personalien der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die auf Anforderung der Polizei oder der Versammlungsbehörde
vorzulegen ist, kann grundsätzlich unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint). Die Anordnung, mit der der Versammlungsleiter und
die Ordner verpflichtet werden, die Polizei über versammlungsrechtliche und strafrechtliche Verstöße zu informieren, die von dem Versammlungsleiter oder den Ordnern nicht unterbunden werden können, ist rechtswidrig (VGH
Ba-Wü, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10).
***
Das vollständige Verbot einer Versammlung ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn die Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung
auf eine stationäre Kundgebung erheblich verringert werden können. Zur Abwägung mit den Rechten der Besucher/Aussteller eines traditionellen internationalen Kulturfestes (OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.06.2011 - 11 ME 164/11)_
„... Rechtsgrundlage für die angefochtene Verbotsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 Nds. Versammlungsgesetz (NVersG). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die
öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch
eine möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten
Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69,
315, 363). Das der zuständigen Behörde eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des
Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der
Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Dabei muss eine konkrete Sachlage vorliegen, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der
Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Außerdem müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983).
Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das von der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid verfügte vollständige Verbot der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung
unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist, weil den zu erwartenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und weitere Auflagen Rechnung getragen
werden kann.
Ein vollständiges Versammlungsverbot kann insbesondere nicht darauf gestützt werden, dass mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit aus der vom Antragsteller angezeigten Versammlung heraus Gewalt gegen Menschen und
Sachen zu erwarten ist, welche in Form von Körperverletzungen und Sachbeschädigungen Verstöße gegen die geltenden Strafgesetze und im Übrigen Verletzungen mindestens gleichwertiger Rechtsgüter Dritter darstellen werden.
Denn es liegen keine gesicherten polizeilichen Erkenntnisse darüber vor, dass der Antragsteller oder sein Anhang anlässlich der Versammlung Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder billigen werden, so dass eine Inanspruchnahme des
Antragstellers als Störer nicht in Betracht kommt.
Auch sonst sind keine erkennbaren Hinweise darauf ersichtlich, dass der Antragsteller als Veranstalter gegen bestimmte Straftaten wie z.B. die der Volksverhetzung und Gruppendiffamierung (§ 130 StGB) nicht einschreiten oder diese
billigen wird. Aus dem Veranstaltungsmotto ‚Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft' lässt sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen und damit gegen die öffentliche
Sicherheit jedenfalls nicht begründen. Zwar hat dieses Motto eine ausländerfeindliche Grundrichtung und widerspricht daher der für die freiheitliche demokratische Ordnung grundlegenden Erwartung der Toleranz der deutschen
Bevölkerung gegenüber Ausländern. Das Strafgesetzbuch stellt aber nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 - 1 BvQ 17/01, 1 BvQ 18/01 -, NJW 2001, 2072; siehe auch:
BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. -, NJW 2010, 2193).
Insofern ist festzuhalten, dass von der angezeigten Versammlung des Antragstellers selbst keine Störung der öffentlichen Sicherheit ausgeht, die ein vollständiges Verbot rechtfertigen könnte.
Soweit durch die Versammlung des Antragstellers eine Störung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu befürchten ist, kann dem durch eine räumliche und zeitliche
Beschränkung der Versammlung hinreichend Rechnung getragen werden.
Dabei ist davon auszugehen, dass bei der Durchführung des vom Antragsteller angezeigten Demonstrationsaufzuges sowohl hinsichtlich des ursprünglich beantragten Verlaufs als auch hinsichtlich der vom Antragsteller angebotenen -
und im Beschwerdeverfahren allein streitigen - Alternativroute mit hoher Wahrscheinlichkeit die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu erwarten ist, die gleichwertig zu der verfassungsrechtlich geschützten
Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 GG stehen. Die danach gebotene Abwägung der miteinander kollidierenden Rechtsgüter führt aber dazu, dass ein Totalverbot der Versammlung unverhältnismäßig wäre. Denn die
Beeinträchtigungen können ohne gravierende Einschränkung der Versammlungsfreiheit verringert werden.
Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen, denen sich der Senat anschließt, dargelegt, dass die Teilnahme am Kulturfest Braunschweig International als Besucher oder Aussteller vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG
umfasst ist und die ursprüngliche Route der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung, mit der das Veranstaltungsgelände um den Kohlmarkt umkreist werden sollte, aufgrund der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der
Polizei faktisch zu einer Verhinderung des Kulturfestes führen würde, so dass die Rechte der Besucher und Aussteller aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG verletzt werden würden.
Die Polizeidirektion Braunschweig hat dazu in ihren Stellungnahmen vom 28. März 2011 und 19. Mai 2011 nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Erfahrungen aus dem polizeilichen Einsatz anlässlich eines NPD-Aufzuges am
18. Juni 2005 und den sich aus aktuellen Internet-Aufrufen ergebenden Erkenntnissen anlässlich der vom Antragsteller angezeigten Versammlung mit erheblichen Blockade- und Störaktionen auf der gesamten Aufzugsstrecke zu
rechnen sei, die es erforderten, die Strecke frühzeitig vollständig abzusperren. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass im Innenstadtbereich mögliche Blockierer schwer zu erkennen sind und durch Kaufhäuser, Passagen und
Hinterhöfe zahlreiche Möglichkeiten bestehen, zur Aufzugstrecke vorzudringen und diese zu blockieren. Diese Gefahreneinschätzung wird auch durch aktuelle Erkenntnisse bestätigt. Nach einem Bericht der HAZ vom heutigen Tage
hat das ‚Bündnis gegen Rechts', ein Zusammenschluss antifaschistischer Gruppierungen, angekündigt, den geplanten Demonstrationszug des Antragstellers zu blockieren. Dass die insofern erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der
Polizei bei der ursprünglich vorgesehenen Route zu einer weitgehenden Abriegelung der Innenstadt sowie einer ganz erheblichen Beschränkung bzw. Einstellung des öffentlichen Personennahverkehrs führen würden, zeigt sich bereits
aufgrund der Erfahrungen aus dem vergleichbaren Einsatz im Juni 2005. Dies hätte faktisch zur Folge, dass viele Aussteller und potenzielle Besucher das Kulturfest nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erreichen könnten und
somit in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt wären.
Dass die Antragsgegnerin bei der erforderlichen Abwägung zwischen der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Antragstellers und den gleichwertigen Rechten der Besucher und Aussteller des internationalen
Kulturfestes der Durchführung dieses Festes Vorrang vor dem Demonstrationszug des Antragstellers eingeräumt hat, ist angesichts der langjährigen Tradition dieses Kulturfestes, das immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet und
in diesem Jahr sein 30jähriges Jubiläum feiert, nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde bezweifelt hat, dass der Termin für das diesjährige Kulturfest bereits vor der Anzeige seiner Versammlung vom 12.
Juli 2010 festgestanden hat, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsgegnerin hat vielmehr nachvollziehbar dargelegt und mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 im Beschwerdeverfahren auch belegt, dass das Kulturfest immer am
ersten Sonnabend im Juni stattgefunden hat und nur im Jahre 2005 wegen Baumaßnahmen auf dem Kohlmarkt auf den 2. Juli 2005 verschoben worden ist. Im Übrigen wäre der Versammlung des Antragstellers ohnehin nicht allein
aufgrund einer formalen Anknüpfung an den Zeitpunkt seiner Anzeige Vorrang vor der Durchführung des Kulturfestes einzuräumen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 6.5.2005 - 1 BvR 961/05 -,
NVwZ 2005, 1055) widerspräche die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Denn
diese würde es ausschließen, gegenläufige Erwägungen wie z.B. die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks zu berücksichtigen. Zudem könnte die Ausrichtung allein
am Prioritätsgrundsatz dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten frühzeitig - ggf. auf Jahre hinaus auf Vorrat - anzumelden und damit anderen potenziellen Veranstaltern die Durchführung von Versammlungen
unmöglich zu machen. Da, wie bereits dargelegt worden ist, das Kulturfest Braunschweig International traditionell immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet, kommt dem Veranstaltungstermin zum 30jährigen Jubiläum des
Kulturfestes am 4. Juni 2011 eine besondere Bedeutung zu, die es rechtfertigt, diesem Fest Vorrang vor der Kundgebung des Antragstellers einzuräumen. Dass der Antragsteller, der nach seinen Angaben von dem Kulturfest keine
Kenntnis gehabt haben will, vergleichbare gewichtige Gründe haben könnte, den von ihm angezeigten Aufzug gerade am 4. Juni 2011 in Braunschweig durchzuführen, ist nicht ersichtlich. Zudem wären von einer Beeinträchtigung
oder Verhinderung des Kulturfestes aufgrund der wie in den Vorjahren erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich mehr Grundrechtsträger betroffen als bei dem Aufzug des Antragstellers.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch bei der von ihm vorgeschlagenen und im Beschwerdeverfahren allein streitigen Alternativroute von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen.
Zwar trifft es zu, dass diese Route nicht mehr die Innenstadt und damit das Festgelände um den Kohlmarkt einschließen würde und der unmittelbare Zugang zum Festgelände lediglich von einer Seite beeinträchtigt wäre. Maßgebend
ist jedoch, dass die bei der 3,8 km langen, ebenfalls am Hauptbahnhof beginnenden und durch den Innenstadtbereich führenden Alternativstrecke erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei zu einer ganz erheblichen
Beeinträchtigung des Sicherheit und Leichtigkeit des Individualverkehrs und zu einem Ausfall des öffentlichen Personennahverkehrs im gesamten Innenstadtbereich von Braunschweig nahezu über den ganzen Tag führen würden. Die
Polizeidirektion Braunschweig hat in ihrer Stellungnahme vom 31. Mai 2011 dazu ausgeführt, dass nach den Planungen der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnbetrieb und der Buslinienverkehr am 4. Juni 2011 ab 6.00 Uhr
bis voraussichtlich 20.00 Uhr für den gesamten innerstädtischen Bereich eingestellt werden müsste. Der zeitgleich eingerichtete Bus-Ersatzverkehr könne lediglich eingeschränkt Haltestellen auf dem Wilhelminischen Ring
(Altewiekring/Hagenring) bedienen und den Ausfall der Linien somit nicht kompensieren. Dies hätte zur Folge, dass Fahrgäste die Innenstadt den ganzen Tag über nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Auch der
Individualverkehr würde aufgrund der polizeilichen Absperrmaßnahmen ab 6.00 Uhr beeinträchtigt werden und nach polizeilicher Einschätzung in der Zeit von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr voraussichtlich ganz zum Erliegen kommen.
Dass angesichts dieser massiven Störungen im Rahmen der erforderlichen Güterabwägung dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßen- und insbesondere des öffentlichen Personennahverkehrs Vorrang vor der
Durchführung der Versammlung des Antragstellers auf der Alternativroute eingeräumt wird, ist jedenfalls im Hinblick auf die den Besuchern und Ausstellern des Kulturfestes Braunschweig International zustehenden Grundrechte aus
Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Denn diese könnten aufgrund der dargestellten Verkehrsbeeinträchtigungen das Kulturfest nur unter erschwerten Bedingungen oder aber gar nicht erreichen, was unter
Berücksichtigung der bereits dargelegten langjährigen Tradition dieses Festes und der erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich schwerer wiegt als die Nichtdurchführung der von dem Antragsteller angezeigten
Versammlung auf der Alternativroute.
Hinzu kommt, dass nach der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2011 die durch den Innenstadtbereich führende Alternativroute u.a. wegen des Aufzugs- und Kundgebungsorts am
Bohlweg/Schlossplatz ungeeignet ist. So liegt der Schlossplatz unmittelbar vor dem zentralen Einkaufszentrum ‚ECE-Center', dessen Haupteingänge über den geplanten Kundgebungsort zu erreichen sind und in dessen Gebäude sich
auch ein überwiegend von auswärtigen Besuchern genutztes Parkhaus befindet. In unmittelbarer örtlicher Nähe sollen weitere Veranstaltungen, darunter das Kulturfest Braunschweig International auf dem Kohlmarkt, stattfinden, die
aus polizeilicher Sicht wegen der bezüglich der Versammlung des Antragstellers zu erwartenden Stör- und Blockadeaktionen eine Trennung erforderlich machen. Die Polizeidirektion hat nachvollziehbar dargelegt, dass durch die
Vielzahl der Veranstaltungen rund um diese Örtlichkeit sich die Räume derart verengen, dass eine Trennung von Demonstrationsteilnehmern, Gegendemonstranten, Besuchern der Veranstaltungen ‚Bunt und kreativ' und
‚Braunschweig International', Besuchern des ECE und den Anwohnern ohne eine frühzeitige, lang anhaltende Sperrung des Bohlweges und des Schlossplatzes für jeglichen Individualverkehr nicht möglich sei. Der durch die Sperrung
hervorgerufene Interessenkonflikt könne sich gerade an dieser Örtlichkeit entladen, wobei gewalttätige Übergriffe auf den Aufzug und die Kundgebung auf Grund der räumlichen Enge nur schwer zu verhindern wären. Durch die
Verengung der Räume könne auch eine Paniksituation eintreten, deren Folgen nicht vorhersehbar seien. Nach dieser polizeilichen Einschätzung ist jedenfalls an dem auf der Alternativroute vorgesehenen Aufzugs- und
Kundgebungsort am Bohlweg/ Schlossplatz mit Gefahren durch gewalttätige Übergriffe von Gegendemonstranten auf Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers oder unbeteiligte Passanten zu rechnen, die aufgrund der örtlichen
Gegebenheiten von der Polizei an diesem Tag möglicherweise nicht verhindert werden können.
Der Senat ist der Auffassung, dass die aufgezeigten Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung sowie durch andere Auflagen erheblich verringert werden können,
so dass das von der Antragsgegnerin verhängte und vom Verwaltungsgericht bestätigte vollständige Versammlungsverbot mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig sein dürfte.
Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die aufgrund ihrer Sach- und Ortsnähe am ehesten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und
angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Sind solche Auflagen aber nicht erlassen worden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte nach § 80
Abs. 5 Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Auf diese Möglichkeit hat der Senat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 26. Mai 2011 hingewiesen und vorsorglich um die Benennung einer alternativen Aufzugsstrecke oder eines geeigneten Platzes für eine stationäre
Kundgebung in Braunschweig (beispielsweise vor oder hinter dem Bahnhof) gebeten. Die Antragsgegnerin hat dazu mit Schreiben vom 30. Mai 2011 erklärt, dass aus ihrer Sicht keine Alternativstrecken in Frage kämen. Es seien
keine geeigneten alternativen Strecken oder Plätze im Stadtgebiet von Braunschweig vorhanden, auf denen die hier relevanten Gefahren für die öffentliche Sicherheit nicht bestünden. Dies gelte insbesondere auch für stationäre
Kundgebungen rund um den Hauptbahnhof. Für sie stehe fest, dass der Zugang zum Fest Braunschweig International bei jeder Art der Versammlungsdurchführung abgeschnitten wäre. Diese Bewertung gelte für jede öffentliche Fläche
in der Stadt Braunschweig.
Dem vermag der Senat angesichts der anders lautenden polizeilichen Einschätzung der Gefahrenlage nicht zu folgen. Nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme der Polizeidirektion Braunschweig vom 30. Mai 2011 ist aus
polizeilicher Sicht eine stationäre Kundgebung der Versammlung des Antragstellers am Hauptbahnhof Braunschweig auf dem Parkplatz zwischen dem südwestlichen Ende des Bahnhofshauptgebäudes und dem Zentralen
Omnibusbahnhof an der Salzdahlumer Straße durchführbar. Die Polizeidirektion hat dazu ausgeführt, dass durch die Wahl dieses Versammlungsortes eine hinreichend sichere Trennung der Versammlung des Antragstellers und
möglichen Gegendemonstranten bereits bei der Anreise mit der Bahn gewährleistet werden könne, da eine Trennung schon auf den Bahnsteigen vorgesehen und erst recht im Kundgebungsbereich möglich sei. Diese Einschätzung ist
aus Sicht des Senats schlüssig und nachvollziehbar, zumal der Antragsteller selbst darauf hingewiesen hat, dass die Teilnehmer seiner Versammlung fast ausschließlich mit der Bahn anreisen werden. Die Polizeidirektion hat in ihrer
Stellungnahme außerdem darauf hingewiesen, dass die stationäre Kundgebung auf die Zeit von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt werden sollte, da dann die Auswirkungen für den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr
bedeutend, aber überschaubar seien. Für diese Zeit könne ein entsprechender Umleitungs- oder Ersatzverkehr eingerichtet werden. Die Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International seien unter diesen Voraussetzungen
voraussichtlich gering. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 2011 hat die Polizeidirektion dazu weiter erläutert, dass nach Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnverkehr sowohl über die
Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt gewährleistet werden könne. Lediglich in geringen Teilbereichen sei ein Schienenersatzverkehr erforderlich. Auch der städtische Linienbusverkehr könne größtenteils
aufrecht erhalten bleiben. Soweit die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. Mai 2011 die polizeiliche Bewertung der Gefahrenlage in Zweifel zieht, überzeugt dies nicht. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die
Polizeidirektion, wie die Antragsgegnerin meint, nur eine verkürzte Begutachtung der Gesamtzusammenhänge vorgenommen hat oder dass ihr bei der Gefahrenanalyse Fehler unterlaufen sind. Dass in die polizeiliche Einschätzung
eine mögliche abschreckende Wirkung der Versammlung des Antragstellers und des damit verbundenen Polizeiaufgebots auf potenzielle Besucher des Festes ‚Braunschweig International' nicht eingeflossen ist, ist nicht zu beanstanden.
Der Senat hält es für sachgerecht, der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig zur Auswahl des Kundgebungsortes und zur zeitlichen Beschränkung der Kundgebung zu folgen, um die mit der Eilentscheidung möglicherweise
verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten. Damit hat der Senat dem Interesse des Antragstellers an der Ausübung der Versammlungsfreiheit ebenso Rechnung
getragen wie dem Schutz kollidierender Rechtsgüter. Der Platz vor dem Bahnhof erfüllt auch die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5.9.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90) zur Geeignetheit
eines Kundgebungsortes aufgestellten Kriterien. Er ist für die Versammlungsteilnehmer gut erreichbar und schließt durch seine Lage nicht aus, öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen des Antragstellers zu erreichen.
Dass mit der Wahl des Platzes am Hauptbahnhof als Kundgebungsort Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs und des öffentlichen Personenverkehrs verbunden sein werden, ist im Interesse des hohen Stellenwerts der
Versammlungsfreiheit grundsätzlich hinzunehmen. Anders als bei den vom Antragsteller angezeigten Aufzugsstrecken sind in Folge einer stationären Kundgebung am Bahnhof auch keine derart massiven Verkehrsbeeinträchtigungen
zu erwarten, dass Besucher des Kulturfestes Braunschweig International, die etwa mit der Bahn anreisen, das Kulturfest am Kohlmarkt nicht erreichen könnten. So wird bei einer stationären Kundgebung am Bahnhof nach der
polizeilichen Stellungnahme vom 31. Mai 2011, die auf der Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG beruht, der Straßenbahnverkehr sowohl über die Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt
gewährleistet sein und auch der städtische Linienbusverkehr größtenteils aufrecht erhalten bleiben.
Es bedeutet auch keinen schweren Nachteil für den Antragsteller, dass der Senat dem Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die verhängten Auflagen Vorrang vor seinem Interesse, die Versammlung auf der Alternativroute
durchzuführen, eingeräumt hat.
Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass Änderungen der angemeldeten Versammlungsroute desto eher zulässig sind, je schwerwiegender die berechtigten Interessen Dritter sind. In einem solchen Fall ist das
Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort und Zeitdauer der Veranstaltung eingeschränkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris; Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409). Führt
die Ausübung des Versammlungsrechts nämlich zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung
einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der
Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 254, 264). Diese haben nach Wegen zu suchen, um die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering
zu halten. Ein geeignetes Mittel kann - wie hier - die Verlegung von Versammlungen in örtlicher Hinsicht und deren zeitliche Beschränkung sein.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2011 darauf hingewiesen hat, dass für eine Sicherung der Versammlung des Antragstellers als Aufzug auf der
Alternativstrecke 7.000 Polizeikräfte notwendig seien, derzeit aber ca. 1.300 Kräfte fehlten. Die verfügbaren Einsatzkräfte seien dagegen ausreichend, um eine stationäre Kundgebung zu sichern. Dafür, dass die Berechnung des
erforderlichen Kräfteeinsatzes, die gerade auf den Erfahrungen der Polizei bei dem NPD-Aufzug mit Gegenveranstaltungen am 18. Juni 2005 in der Braunschweiger Innenstadt beruht, fehlerhaft sein könnte, ist nichts ersichtlich.
Der Senat hat bewusst davon abgesehen, dem Antragsteller Vorgaben für die Ausgestaltung der dreistündigen Kundgebung auf dem vorgesehenen Platz am Hauptbahnhof in Braunschweig zu machen, da dies seinem
Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter unterliegt. Allerdings ist er gehalten, (weitere) von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene Auflagen bei der Durchführung der Kundgebung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. v.
5.9.2003, a.a.O.). Dem hat der Senat durch eine entsprechende Maßgabe im Beschlusstenor Rechnung getragen. ..."
***
„... Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht auf der Grundlage des Akteninhalts Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der vollständigen Untersagung der vom
Antragsteller für den Bereich "B. Markt" angemeldeten Versammlung. Sie trägt dem Versammlungsgrundrecht des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG selbst dann nicht hinreichend Rechnung, wenn man das in Rede stehende Verbot
einer Versammlung im Bereich "B. Markt" mit Blick auf die dem Antragsteller an anderen Stellen der L1. Innenstadt gestatteten weiteren Versammlungen mit dem Verwaltungsgericht lediglich als Auflage ansieht. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Behörde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose
stellen. Sie muss konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu Grunde legen; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang
mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, NVwZ-RR 2010, 625 m. w. N.
Dies entbindet jedoch nicht von einer Prüfung, inwieweit sich aktuell eine andere Ausgangslage darstellt.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141 = juris, Rn. 13 ff.
Zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht durch Rechte Anderer
beschränkt sein.
Der Antragsteller legt besonderen Wert darauf, gerade in Hör- und Sichtweite zur zentralen Zwischenkundgebung von "Q. L. /O. " auf dem "I.--markt " eine Versammlung durchzuführen, um zu verhindern, dass die dort vertretenen
Positionen unwidersprochen von Dritten wahrgenommen werden. Es ist den Gerichten verwehrt, dieses kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten.
Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 93, 110.
Anlässlich der anstehenden Versammlung hat der Antragsteller weder zu gewaltsamen Aktionen aufgerufen noch - im Gegensatz zu früheren Jahren - zur Begehung von Straftaten in der Gestalt der Verhinderung einer nicht
verbotenen Versammlung nach § 21 VersammlG. Hiervon geht auch der Antragsgegner aus. Zwar besteht nach Erfahrungen mit ähnlichen Versammlungen in der Vergangenheit und den hieran anknüpfenden aktuellen
Versammlungsaufrufen des Antragstellers durchaus Anlass zur Sorge, Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers könnten erneut den Versuch unternehmen wollen, die von der Bürgerbewegung "Q. L. /O. " angemeldete
Versammlung durch Blockadeaktionen unmöglich zu machen. Dies allein rechtfertigt jedoch die in Rede stehende Beschränkung des Antragstellers in seinem Versammlungsrecht nicht.
Zum einen bestehen anders als in früheren Jahren wegen eines abweichenden Auftretens des Antragstellers und wegen eines geänderten Aufzugsverlaufs von "Q. L. /O. " in diesem Jahr keine konkreten und nachvollziehbaren
tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, Teilnehmer dieses Aufzugs könnten durch Gegendemonstranten auf dem Platz "B. Markt" am Zugang zum "I.--markt " gehindert werden. Denn der Zugang erfolgt vom E. Bahnhof aus und wird
durch die Polizei gesichert. Zum anderen entfällt der Schutz des Art. 8 GG nicht wegen Unfriedlichkeit der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung. Unfriedlich ist eine Versammlung nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts erst dann, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu
Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.
Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 93, 105 f. m. w. N.
Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit der Entfaltungsfreiheit oder anderen Grundrechten und sonstigen Rechtspositionen Dritter, hat die Polizei mit den ihr verfügbaren Mitteln für eine wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter
mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes beider Sorge zu tragen. Der Antragsgegner hat mit Blick auf die besondere Bedeutung gerade des Platzes "B. Markt" für das kommunikative Anliegen des Antragstellers keine hinreichend
gewichtigen Gesichtspunkte vorgetragen, wonach der Schutz des kollidierenden Versammlungsrechts der Veranstalter von "Q. L. /O. " ein vollständiges Verbot einer Gegendemonstration des Antragstellers gerade in diesem Bereich
erfordert. Er hat nicht nachvollziehbar geltend gemacht, dass zwischen beiden Versammlungen Übergriffe zu befürchten sein könnten, die durch polizeiliche Einsatzkräfte nicht verhindert werden können. Dass es zur Sicherung des
weiteren Aufzugswegs der Versammlung von "Q. L. /O. " vom "I.--markt " aus Richtung "O1.--markt " und "S.-----platz " eines gänzlichen Verbots der Gegenversammlung des Antragstellers auf dem nördlich des "I1.--markts "
gelegenen Bereich "B. Markt" bedarf, ist nicht nachvollziehbar. Der Antragsgegner sieht sich offenbar in der Lage, mögliche Blockadeaktionen von gleichfalls nah am Aufzugsweg gelegenen Gegenversammlungen des Antragstellers
am Q1. -L2. -Platz sowie an der B1. Straße wirksam zu verhindern. Weshalb dies im Nahbereich des I1.--markts anders sein sollte, ist nach dem Akteninhalt nicht ersichtlich. Sofern es über die angekündigten kommunikativen Proteste
des Antragstellers hinaus gleichwohl zu gewaltsamen Übergriffen kommen sollte, ist die Polizei nicht gehindert, spontan hiergegen vorzugehen. Darüber hinaus ist die Versammlungsbehörde auf Grund der Erfahrungen aus der
Vergangenheit bereits im Vorfeld der Versammlung befugt, durch Nebenbestimmungen unterhalb der Schwelle einer gänzlichen räumlichen Untersagung für eine hinreichende Trennung der Versammlungen auf dem "I.--markt " (Q.
L. /O. ) und auf dem Platz "B. Markt" (Antragsteller) zu sorgen und zu erwartenden Übergriffen durch polizeiliche Einsatzmaßnahmen vorzubeugen. ..." (OVG NRW, Beschluss vom 06.05.2011 - 5 B 563/11)
***
„... I. Mit Schreiben vom 01.09.2010 meldete der Antragsteller bei der Antragsgegnerin für Sonntag, den 01.05.2011, Beginn 11.30 Uhr und Ende voraussichtlich ca. 17.30 Uhr, die Durchführung eines Aufzugs unter dem Motto
‚Fremdarbeiterinvasion stoppen!' an. Nach Einschätzung des Antragstellers würden ca. 800 Teilnehmer erwartet. Als Hilfsmittel würden Fahnen in verschiedenen Ausführungen, u.a. schwarz-weiß-rote Fahnen verwendet.
Ebenfalls am 1. Mai findet eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldete Demonstration statt. Außerdem feiern Angehörige verschiedener Kirchengemeinden den ‚weißen Sonntag', den Tag der Erstkommunion.
Nach Anhörung des Antragstellers verbot die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16.03.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Durchführung der Versammlung sowie jede Ersatzveranstaltung am 1. Mai 2011 in
Heilbronn. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot gemäß § 15 Abs. 1 VersG seien gegeben. Es bestehe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Das Motto und die
Beiträge bzw. Angebote auf der Homepage des Veranstalters sowie die in der Versammlung zu erwartenden Äußerungen und Handlungen erfüllten den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und seien
daher nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Durch das Mitführen der schwarz-weiß-roten Fahnen bestehe die Gefahr, dass bei der geplanten Veranstaltung das nationalsozialistische Unrechtsregime
verharmlost und damit der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt werde. Außerdem werde es aus der Versammlung heraus zu Sachbeschädigungen durch illegale Graffiti kommen. Schließlich verstoße die Durchführung der
Versammlung am ‚Weißen Sonntag' gegen die durch Art. 4 Abs. 2 G grundgesetzlich geschützte Religionsausübung.
Der Antragsteller erhob gegen die Verbotsverfügung mit Schreiben vom 28.03.2011 Widerspruch und beantragte mit Schreiben vom 05.04.2011 beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart stellte mit Beschluss vom 18.04.2011 - 1 K 1229/11 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot wieder her.
Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Sie beantragt, unter entsprechender Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, hilfsweise die
Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Versammlung und der Aufzug nur auf der im Schriftsatz vom 27.4.2011 im Einzelnen bezeichneten ca. 2,5 km langen Aufzugsstrecke stattfinden darf.
Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. 1. Die statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin ist hinsichtlich ihres Hauptantrags zulässig; sie muss jedoch ohne Erfolg bleiben. Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt
(§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), sind nicht geeignet, die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen, wonach das von der Antragsgegnerin erlassene Versammlungsverbot aller Voraussicht nach
rechtswidrig ist und deshalb das Interesse des Antragstellers, die von ihm angemeldete Versammlung durchführen zu können, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verbotsverfügung überwiegt.
1.1 Die Annahme des Verwaltungsgerichts, hinreichende Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung seien nicht ersichtlich, wird mit der Beschwerdebegründung
nicht ernstlich in Frage gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür festzustellen vermocht, dass eine strafbare Verletzung der Schutzgüter der
öffentlichen Sicherheit zu besorgen sei.
Wegen Volksverhetzung wird gemäß § 130 Abs. 1 StGB bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte
Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen
auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der
Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft,
indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06.09.2000 - 1
BvR 1056/95 - NJW 2001, 61 <63>; BGHSt 36, 83 <90>; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 130 Rn. 6 m.w.N.).
Wird ein solcher Angriff in dem Gebrauch eines Grundrechts (hier: Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gesehen, bedarf es einer sehr sorgfältigen Begründung, da die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde
sind (BVerfGE 93, 266 <293>; 107, 275 <284>). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt - in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG - auch rechtsextreme Meinungen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.02.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. - NJW
2010, 2193 m.w.N.).
Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr objektiver Sinn, also der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv haben (BVerfGE 93, 266
<295>), zutreffend erfasst worden ist (BVerfGE 94, 1 <9>). Der objektive Sinn wird nicht nur vom Wortlaut der Äußerung, sondern insbesondere dann, wenn die betreffende Formulierung - wie hier - ersichtlich ein Anliegen nur in
schlagwortartiger Form zusammenfasst (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2007 - 1 BvR 3041/07 - juris), auch vom Kontext und den Begleitumständen der Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar
sind (BVerfGE 93, 266 <295>). Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere Auslegungsvarianten, die nicht zu einer strafrechtlichen Sanktion führen würden, mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden
können (BVerfGE 85, 1 <13 f.>; 93, 266 <295 f.>; 94, 1 <9>; 114, 339 <349>; st. Rspr.).
Der in der Parole ‚Fremdarbeiterinvasion stoppen!' benutzte Begriff ‚Fremdarbeiter' ist zwar durch seinen Gebrauch während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland im Zusammenhang mit erzwungener Arbeit negativ
besetzt. Die schlagwortartig zusammengefasste Parole wird jedoch bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht mit Zwangsarbeit assoziiert, sondern erfasst in erster Linie die Arbeitskräfte, die aus dem Ausland zur Arbeit in die
Bundesrepublik Deutschland kommen wollen, aber auch die bereits in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer. Der Begriff ‚Invasion' auf dem Plakat hat offensichtlich keine militärische Bedeutung. Er ist aus seinem
Kontext, d.h. seiner Verwendung im Meinungskampf des ‚Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses 1. Mai', heraus zu verstehen. Ziel des Aktionsbündnisses ist es, den Zuzug ausländischer Arbeitnehmer zu begrenzen, um einen
Verdrängungswettbewerb auf dem deutschen Arbeitsmarkt zulasten der deutschen Arbeitnehmer zu verhindern, und die Zahl der bereits hier lebenden ausländischen Arbeitnehmer zu verringern. Die Versammlung steht, wie sich auch
aus dem Internetauftritt des Aktionsbündnisses ergibt, im Zusammenhang mit der vollständigen Herstellung der Freizügigkeit für Unionsbürger aus den am 01.05.2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staaten.
Die mit der Parole geäußerte Meinung, der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte solle verhindert werden und die Bevölkerungsgruppe der ausländischen Arbeitnehmer möge die Bundesrepublik verlassen und in ihre Heimatländer
zurückkehren, mag ein für die Angehörigen dieser Gruppe nicht erwünschtes politisches Ziel des ‚Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses 1. Mai' zum Ausdruck bringen; allerdings ist hieraus allein noch nicht erkennbar, dass
damit den ausländischen Arbeitnehmern ein ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertigen Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft bestritten und ihre Menschenwürde in Frage gestellt oder gar angegriffen wird. Das
alleinige Bestreiten des Aufenthaltsrechts der Ausländer an sich genügt hierfür nicht (Lenckner in Schönke/Schröder, a.a.O. § 130 Rn. 7). Der Volksverhetzungstatbestand ist grundsätzlich restriktiv auszulegen (vgl. BGHSt 32, 310
<313>). Die Strafgerichte gehen bei der vergleichbaren Parole ‚Ausländer raus' nur bei Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde aus (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.11.1994 - 4 Ss 491/94 -
NStZ 1995, 136 <137 f.>; OLG Brandenburg, Urteil vom 28.11.2001 - 1 Ss 52/02 - NJW 2002, 1440 <1441>; KG, Beschluss vom 27.12.2001 - (4) 1 Ss 297/01 (166/01) - juris Rn. 9). Erforderlich ist, dass den angegriffenen Personen
ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - 1 StR 179/93 - NStZ 1994, 390). Das Strafgesetzbuch stellt nicht schon
ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 07.04.2001 - 1 BvQ 17/01 - NJW 2001, 2072 <2073> und vom 04.02.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. - a.a.O.). Weitere Begleitumstände, die
einen Angriff auf die Menschenwürde nahelegen, sind den Aufrufen des Aktionsbündnisses auch im Internet nicht zu entnehmen. ‚Die wahren Verursacher der drohenden Fremdarbeiterinvasion aus Osteuropa' werden nach dem
Internetauftritt nicht in den osteuropäischen Arbeitskräften gesehen, die Verantwortung wird vielmehr der ‚vom BRD-System gewollten Globalisierung' zugeschrieben; die Kritik richtet sich damit nicht primär gegen die
Personengruppe der ausländischen Arbeitskräfte als solche, sondern gegen das vom Aktionsbündnis angeprangerte System.
Auch der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB dürfte nicht erfüllt sein. Die Parole ‚Fremdarbeiterinvasion stoppen!' enthält nach ihrem Wortlaut keine Aufforderung an andere, gegen die genannten Personengruppen bestimmte
Maßnahmen zu ergreifen. Ein solcher Bedeutungsgehalt drängt sich auch nicht ohne weiteres auf. Es kann nicht unterstellt werden, dass eine nicht verfassungs- und gesetzmäßige gewaltsame Vertreibung der in der Bundesrepublik
Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer angestrebt wird.
Das Mitführen von schwarz-weiß-roten Fahnen dürfte entgegen der Beschwerde weder den Tatbestand der Volksverhetzung des § 130 Abs. 1 und 3 StGB noch den Straftatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die Verwendung
von Kennzeichen bestimmter politischer Organisationen unter Strafe stellt, erfüllen. Zur schwarz-weiß-roten Fahne besteht zwar eine Affinität des äußersten rechten Randes des politischen Spektrums; dies macht die
schwarz-weiß-rote Fahne aber nicht zum Kennzeichen einer verbotenen nationalsozialistischen Organisation (vgl. Senatsbeschluss vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 -, NJW 2006, 635). Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, die die
Antragsgegnerin auch im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert dargelegt hat, ist das Zeigen dieser Fahne auch nicht gemäß § 130 StGB strafbar (Senatsbeschluss vom 15.06.2005, a.a.O.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.03.2002 - 1
BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983 f.).
Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lassen sich auch nicht auf den Gesichtspunkt stützen, dass es aus der Versammlung heraus zu Sachbeschädigungen durch illegale Graffiti kommen werde. Wie das
Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind insoweit keine konkreten Tatsachen aufgezeigt, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass die für die Organisation und Durchführung der
Veranstaltung Verantwortlichen nicht über die erforderliche Bereitschaft und Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen.
Dies gilt ebenso für die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Befürchtung, aus der Mitte der Versammlung heraus würden die Gewerkschaften als ‚Handlanger des Kapitals' und ‚Arbeiterverräter' bezeichnet.
Auch für einen - ein Versammlungsverbot rechtfertigenden - Verstoß gegen das Sonn- und Feiertagsgesetz ist nichts ersichtlich. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FTG sind an den Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen mit Ausnahme des 1.
Mai und des 3. Oktober öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge und Umzüge, soweit sie geeignet sind, den Gottesdienst unmittelbar zu stören, während des Hauptgottesdienstes verboten. Danach sind öffentliche
Versammlungen wie die des Antragstellers und auch die vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldete Demonstration am 1. Mai grundsätzlich nicht verboten, auch wenn dieser Tag auf den ‚weißen Sonntag' fällt. Zu Recht hat das
Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angenommen, dass die Versammlung auch nicht gegen die durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützte Religionsausübung verstößt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass durch den
erst um 11.30 Uhr an der Kreuzung Schöttlestraße/ Rosenbergstraße vor der Agentur für Arbeit nach einer Auftaktkundgebung beginnenden Aufzug des Antragstellers der bereits um 10.00 Uhr beginnende Festgottesdienst in dem in
der Innenstadt gelegenen Deutschordensmünster (Pfarrei St. Peter und Paul) unmittelbar gestört werden könnte. Die angemeldete Aufzugsstrecke des Antragstellers verläuft außerdem, soweit erkennbar - ebenso wenig wie die
Aufzugsstrecke des DGB - unmittelbar an der Pfarrei St. Peter und Paul vorbei, so dass sich auch aus der örtlichen Nähe des Kundgebungsortes zur Kirche eine unmittelbare Störung nicht ergeben dürfte.
Im Übrigen scheidet ein Versammlungsverbot aus, solange mildere Mittel nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfGE 69, 315). Den berechtigten Belangen der Gottesdienstbesucher an einer ungestörten Religionsausübung könnte
gegebenenfalls durch geeignete und angemessene, beide Interessen berücksichtigende versammlungsrechtliche Auflagen hinsichtlich der Streckenführung ausreichend Rechnung getragen werden. Dies würde dann aber in gleichem
Maße für die Aufzugsstrecke unter der Federführung des DGB gelten, die ebenfalls in die Nähe der Kirche führt.
Soweit die Antragsgegnerin Gewalttaten als Gegenreaktion auf die vorliegende Versammlung befürchtet, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer richten. Eine Heranziehung der Figur des Zweckveranlassers als
Begründung für die Störereigenschaft eines Veranstalters kann allenfalls bei Vorliegen besonderer, über die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung hinausgehender provokativer Begleitumstände in Betracht kommen (BVerfG,
Beschluss vom 09.06.2006 - 1 BvR 1429/06 -, BVerfGE 69, 315). Hierfür fehlt es an nachvollziehbaren Anhaltspunkten. Soweit es in der Vergangenheit Ausschreitungen bei rechtsextremistischen Versammlungen gegeben hat,
erfolgten sie zumeist erst aus dem Zusammentreffen ihrerseits gewaltbereiter Gegendemonstranten mit den Rechtsextremisten. Einem solchen mit Gewalttätigkeiten verbundenen Zusammentreffen kann die Versammlungsbehörde
jedoch regelmäßig durch eine räumliche Trennung der beiden Aufzüge hinreichend Rechnung tragen, wobei eine entsprechende versammlungsrechtliche Auflagenverfügung nicht einseitig zu Lasten eines Veranstalters gehen darf,
zumal dann nicht, wenn dieser, wie hier, früher seinen Aufzug angemeldet hat.
1.2 Das Versammlungsverbot lässt sich schließlich nicht auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung stützen.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 30.04.2002 - 1 S 1050/02 - VBlBW 2002, 383 f.) ist das insoweit einschlägige Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) für die freiheitlich demokratische
Grundordnung schlechthin konstituierend. Es gilt die Vermutung zugunsten freier Rede. Die Bürger sind dabei frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht
gefährden. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. auch BVerfG, 1. Kammer des
Ersten Senats, Beschluss vom 24.3.2001, NJW 2001, 2069 <2070>). Auch die Ablehnung eines bestimmten - etwa fremdenfeindlichen - Gedankenguts durch den ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung rechtfertigt für sich allein
keine Beschränkung der Grundrechte rechtsextremer Demonstranten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <261>). Vielmehr lassen das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung ein Verbot von Meinungsäußerungen nur unter
ganz engen Voraussetzungen zu.
Allein wegen der inhaltlichen Ausrichtung einer Versammlung kann unterhalb der Strafbarkeitsschwelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG grundsätzlich nicht angenommen werden. Die
Meinungsäußerungsfreiheit findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, wobei zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere Strafrechtsnormen geschaffen
worden sind (speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen etwa §§ 86, 86 a StGB <Propaganda für verfassungswidrige Organisationen>, §§ 90 a, b StGB <Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder von
Verfassungsorganen>, § 130 StGB <Volksverhetzung>). Diese den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränkenden Straftatbestände sind grundsätzlich abschließend und verwehren den Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersG
enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit nicht die Verwirklichung eines Straftatbestandes droht. Der Gesetzgeber hat durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen
keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen. Deshalb ist § 15 Abs. 1 VersG hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung gegenüber kommunikativen Angriffen insoweit einengend
auszulegen, als zur Abwehr entsprechender Rechtsgüterverletzungen besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Daneben kommen zusätzliche, d.h. nicht durch den unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber,
sondern lediglich durch die Versammlungsbehörde oder die Verwaltungsgerichte im Einzelfall konkretisierte ‚verfassungsimmanente Grenzen' der Inhalte von Meinungsäußerungen nicht zum Tragen (vgl. zum Ganzen
Senatsbeschluss vom 30.04.2002, a.a.O.). Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund lässt sich das Versammlungsverbot, soweit die - strafrechtlich irrelevante - Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts befürchtet wird, nicht
in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG stützen.
2. Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin ist bereits unzulässig. Eine Zurückweisung der Beschwerde mit der Maßgabe, dass die Versammlung und der Aufzug nur auf einer von der Versammlungsbehörde bestimmten Strecke stattfinden
darf, sieht die Prozessordnung nicht vor. Herr über den Streitgegenstand ist allein der Antragsteller, der in erster Instanz obsiegt hat.
Der Antragsgegnerin ist es unbenommen, hinsichtlich der Aufzugsstrecke eine versammlungsrechtliche Auflagenverfügung zu erlassen. Sie hat zu entscheiden, ob und welche Auflagen gemäß § 15 VersG erforderlich und unter
Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes des Antragstellers aus Art. 5 und 8 GG angemessen sind. Eine etwaige zeitliche Bedrängnis, die sich für sie hieraus ergibt, ist nicht dem Antragsteller zuzuschreiben. ..." (VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2011 - 1 S 1250/11)
***
Soll eine Versammlung wegen des angemeldeten Mottos verboten werden, ist der objektive Sinngehalt des Mottos zu ermitteln. Sind dabei mehrere Auslegungen einer Äußerung denkbar, ist der rechtlichen Bewertung diejenige
zugrunde zu legen, die sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegt (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.04.2011 - 3 M 45/11):
„... Die Verbotsverfügung des Antragsgegners kann sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 1 VersG stützen. Der Senat kann bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung
der Sachlage nicht erkennen, dass durch die angemeldete Versammlung des Antragstellers die öffentliche Sicherheit gestört wird. Eine Störung der öffentlichen Ordnung durch eine Meinungsäußerung kommt von vorneherein nicht in
Betracht (vgl. BVerfG 1. Kammer des 1. Senats B.v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, BVerfGK 7, 221 = DVBl. 2006, 368) .
Unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung wegen des Inhalts des Mottos, unter das die Versammlung gestellt ist, verboten werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Seine einschlägige
Rechtsprechung wird im Beschluss der 1.Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 01.12.2007 (1 BvR 3041/07 -, BVerfGK 13,1) wie folgt zusammengefasst (hier zitiert nach juris Rn. 13-17):
‚Soweit sich das Verbot einer Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht - dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall -, ist es auch
am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen (vgl. BVerfGK 7, 221 <227>). Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von
Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>; 111, 147 <155>).
Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in
Betracht. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt
werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen (vgl. BVerfGE 111, 147 <156>).
Bei der Auslegung und Anwendung der insoweit in Betracht gezogenen Strafgesetze - hier des § 130 StGB - haben die Gerichte der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft Rechnung zu
tragen. Es gilt hierbei die Vermutung zugunsten freier Rede in öffentlichen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>; stRspr). Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen
oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern (vgl. BVerfGK 2, 1 <5>; 7, 221 <227>). Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die Erfassung des Inhalts der betreffenden Äußerung, der unter
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist (vgl. allgemein BVerfGE 93, 266 <295>; 114, 339 <348>); im Falle mehrdeutiger
Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrundezulegen (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 ff.>; 94, 1 <9>; 114, 339 <349>).
Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst. Ein solcher Fall liegt
typischerweise bei dem ‚Motto' einer Versammlung vor, das in der Regel nur den Kern eines Anliegens in knappen Worten zum Ausdruck bringen kann. Die Versammlungsfreiheit schützt auch das Interesse des Veranstalters, auf
einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, NJW 2007, S. 2167 <2168>), so dass auch das Interesse, ein
schlagwortartiges Versammlungsmotto zu formulieren, dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Dass ein solches Motto eine Forderung nur pauschal und undifferenziert zum Ausdruck bringt, erlaubt für sich allein nicht die
Prognose, auch die Versammlung werde sich undifferenziert mit dem Thema befassen.
Die im vorliegenden Fall die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts tragende Prognose, es seien im Verlauf der Versammlung Äußerungen zu erwarten, die aufgrund ihrer Pauschalität und Undifferenziertheit den Straftatbestand
des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfüllen würden, kann daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich diese Prognose aus weiteren, dem Veranstalter zuzuordnenden Umständen, insbesondere Aussagen ergibt, bei deren Deutung
wiederum die einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe anzulegen sind.'
Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte verliert, es sei denn sie ist strafbar (1. Kammer des 1. Senats
B.v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, BVerfGK 7, 221 = DVBl. 2006, 368). Mit anderen Worten: ‚Auf den Schutz der Meinungsfreiheit können sich grundsätzlich auch Rechtsextremisten berufen; allerdings sind auch sie an die Schranken
der allgemeinen Gesetze gebunden' (BVerfG 1. Kammer des 1. Senats B.v. 01.06.2006 - 1 BvR 150/03 -, BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050; vgl. auch 1. Kammer des 1. Senats B.v. 04.02.2010 - 1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR
371/04, NJW 2010, 2193).
Gemessen an diesen Vorgaben vermag der Senat anders als das Verwaltungsgericht nicht zu erkennen, dass eine Verwirklichung des Straftatbestandes des § 130 Abs. 1 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 16.03.2011. BGBl. I S.
418) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt.
In einem ersten Schritt ist der objektive Sinngehalt des Mottos der Veranstaltung zu ermitteln. Dabei sind sowohl der Wortlaut des Mottos als auch der Anlass der Versammlung sowie weitere, dem Veranstalter der Versammlung
zuzurechnende Umstände, insbesondere die auf seiner Internetseite verfügbaren und der Versammlung zuzuordnenden Äußerungen in Bild- und Schriftform heranzuziehen.
Das Motto der Versammlung, wie es sich aus der Anmeldung ergibt, lautet ‚Unsere Heimat - unsere Arbeit! Fremdarbeiterinvasion stoppen'. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass es aus zwei aufeinander bezogenen
Parolen besteht. Der erste Teil des Wortlautes des Mottos legt einen Zusammenhang zwischen der dort genannten ‚Heimat', mit der Mecklenburg-Vorpommern, jedenfalls aber die Bundesrepublik Deutschland in ihren völkerrechtlich
anerkannten Grenzen gemeint sein dürfte, wie sich aus der graphischen Darstellung in dem Versammlungsaufruf ergibt, und den in Deutschland existierenden Arbeitsplätzen nahe. Durch die doppelte Verwendung des
Possessivpronomens ‚unsere' wird deutlich gemacht, dass nach Auffassung des Antragstellers Heimat und Arbeitsplätze denjenigen gehören, an die sich der Versammlungsaufruf richtet. Eine Strafbarkeit dieses Teils des
Versammlungsmottos ist nicht erkennbar und wird auch von dem Antragsgegner nicht behauptet.
An diesen ersten Teil des Mottos knüpft der zweite Teil an, der da lautet ‚Fremdarbeiterinvasion stoppen'. Aus der Verbindung dieser beiden Teile ergibt sich, dass sie aufeinander bezogen sind. Daraus folgt, dass es nicht ohne
triftigen Grund zulässig ist, diesen zweiten Teil ohne den ersten Teil zu verstehen. Dem bloßen Wortlaut nach geht es darum, den vom Antragsteller befürchteten massenhaften Ansturm aus dem Ausland auf die in
Mecklenburg-Vorpommern oder in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Arbeitsplätze zu verhindern und so die in Deutschland vorhandenen Arbeitsplätze deutschen Staatsangehörigen vorzubehalten.
Der Senat vermag im Ergebnis nicht der Einschätzung folgen, der Antragsteller wolle mit der Verwendung des Wortes ‚Fremdarbeiterinvasion' nationalsozialistisches Gedankengut transportieren. Die Auslegung dieses Begriffes ist mehrdeutig.
Das gilt zunächst für den Begriff ‚Fremdarbeiter'. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde er für die aus den besetzten Gebieten in das Reichgebiet verschleppten Arbeitskräfte verwendet ( DUDEN Das große Wörterbuch der
deutschen Sprache 2. Aufl. 1993 Band 3), die dort unter schwierigsten und oftmals unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Er ist aus diesem Grund bis heute im Verständnis weiter Teile der Bevölkerung
untrennbar mit dem Zwangsarbeitersystem der Nationalsozialisten verbunden und seine Verwendung kann so verstanden werden, dass damit an diese Zeit erinnert werden soll und die von ihm erfassten Personen im Sinne der
nationalsozialistischen Ideologie den Zwangsarbeitern gleichgestellt werden sollen.
Soweit ersichtlich wurde der Begriff aber auch in der Sprachpraxis in der Bundesrepublik Deutschland bis in die Mitte der siebziger Jahre und wird zum Teil noch gegenwärtig in in Deutschland erscheinenden Medien, die der Nähe
zum Nationalsozialismus unverdächtig sind wie ‚Die Zeit online', ‚Der Spiegel online' und ‚Die Welt online' in dem Sinne verwendet, dass damit in Deutschland arbeitende Ausländer bezeichnet werden. Damit ist ein Verständnis der
Verwendung dieses Begriffes durch den Antragsteller im nationalsozialistischen Sinne auch dann nicht zwingend indiziert, wenn berücksichtigt wird, dass der Antragsteller eine ausländerfeindliche Einstellung vertritt.
Dieses sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegende Verständnis des Mottos lässt sich auch in der graphischen Darstellung zum Versammlungsaufruf wiederfinden. Dort ist über den westlichen Teil des
Staatsgebietes der Bundesrepublik Deutschland ein STOP-Schild gelegt, das einen Schutz gegen den durch Pfeile mit Ländernamen symbolisierten befürchteten Ansturm ausländischer Arbeitnehmer aus Polen, Tschechien und Ungarn
sowie Tunesien, Libyen und Ägypten bieten soll. Die Befürchtung, die der Antragsteller zum Ausdruck bringt, gilt zum einen nicht nur polnischen Arbeitnehmern, zum anderen ergibt sich aus dem Text des Versammlungsaufrufes,
dass es um Arbeitnehmer geht, die nach dem ab 01. 05. 2011 geltenden Gemeinschaftsrecht erstmalig in das Bundesgebiet kommen dürfen. Substantielle Anhaltspunkte für ein Verständnis, dass sich die Versammlung auch gegen
bereits vor dem 01.05.2011 in Deutschland arbeitende ausländische Arbeitnehmer richtet, bieten die der Anmeldung und die Aufrufe zu der Versammlung nicht.
Auch aus dem Werbefilm im Internet, mit dem zu dieser Versammlung aufgerufen wird, ergibt sich nicht, dass sich das Motto der Versammlung gegen bereits - zum Teil seit Jahrzehnten - in Deutschland lebende ausländische
Arbeitnehmer richtet oder wenigstens gegen die aus Polen stammenden unter ihnen. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Arbeitnehmergruppen ergibt sich zwanglos aus dem Anlass der Versammlung, der geänderten
Rechtslage im Gemeinschaftsrecht zum 01.05.2011. Bei der Auslegung des Mottos der Versammlung darf der konkrete Anlass, aus dem die Versammlung stattfindet, nicht unbeachtet bleiben. Anderes gilt nur, wenn es sich erkennbar
nur um einen vorgeschobenen Anlass handelt, der als Deckmantel für ganz andere Inhalte der Versammlung herhalten muss. Für einen solchen Sachverhalt trägt der Antragsgegner aber nichts vor und auch der angegriffenen
Entscheidung des Verwaltungsgerichts lässt sich dafür nichts Tragfähiges entnehmen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Antragsteller in anderem Zusammenhang auch Versammlungen und Plakataktionen durchgeführt hat,
durch die die bereits jetzt in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer als solche dargestellt werden, die deutschen Staatsangehörigen Arbeitsplätze wegnehmen, doch können diese früheren Aktivitäten nicht ohne konkreten
Anhaltspunkt zur Auslegung des Versammlungsmottos herangezogen werden. An solchen Anhaltspunkten fehlt es bei der hier allein möglichen summarischen Betrachtungsweise.
Der auf der Internet-Seite des Antragstellers zu findende Film, der für die Versammlung werben soll, vermag die Auffassung, es handele sich bei dem Versammlungsmotto eindeutig um eine Anlehnung an einen nationalsozialistischen
Sprachgebrauch nicht zu stützen. Selbst wenn zutreffen sollte, dass die beiden dort auftretenden aus dem Ausland nach Deutschland eingereisten Personen ein Schild mit polnischen Worten auf dem Rücken tragen, die ins Deutsche
übersetzt ‚polnischer Fremdarbeiter' bedeuten, liegt es eher fern, darin eine Anspielung auf polnische Zwangsarbeiter im Dritten Reich zu sehen. Die entsetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen sind allgemein
bekannt; eine Anspielung auf diese Lebensbedingungen und die darin zum Ausdruck kommende Ver- und Missachtung durch die im Film dargestellten Personen ist nicht zu erkennen. Es liegt jedenfalls näher, dass der Antragsteller
mit diesem Film und die Verwendung des Begriffs ‚Fremdarbeiter' im Versammlungsmotto seine Geringschätzung in Deutschland tätiger ausländischer Arbeitnehmer deutlich machen will.
Auch der Begriff ‚Invasion' ist mehrdeutig. Es handelt sich nicht zwingend um einen militärisch geprägten Begriff. Er wird vielmehr auch in einem nicht-militärischen Zusammenhang gebraucht. Dies ergibt sich aus der vom
Antragsgegner herangezogenen Quelle (Wikipedia). Dafür, dass der Antragsteller den Begriff eindeutig in einem militärischen Sinn benutzt, fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten im konkreten Kontext der Aussage. Allein dass
dem Begriff der Invasion eine aggressive Komponente innewohnt, weil damit der massenhafte Ansturm von außen gemeint ist, macht ihn nicht zu einem militärischen Begriff. Einen kriegerischen Bezug vermag auch nicht die
graphische Darstellung im Versammlungsaufruf im Internet zu vermitteln. Die dort verwendeten Pfeile sind zwar auch in der Darstellung militärischer Invasionen und von Kriegszügen üblich. Doch vermittelt die Gesamtdarstellung
mit einem Stoppschild, den Aufschriften auf den Pfeilen, dem Versammlungsmotto und dem dazugehörigen Text keine Assoziation mit einem Feldzug feindlicher Heere. Vielmehr wird dadurch der dem Wort ‚Invasion' innewohnende
Aggressionsgehalt graphisch verdeutlicht. Dies ist aber von einem kriegerischen, d.h. mit Waffengewalt und Tod und Zerstörung bringenden Ansturm zu unterscheiden. Die nicht-militärische Verwendung ergibt sich zudem aus dem
Zusammenhang mit dem Begriff des Fremdarbeiters im Motto der Versammlung. Im Motto wird aus beiden Worten eine Wortkombination gebildet, die auch als solche zu betrachten ist. Fremdarbeiter sind keine Soldaten. Der Senat
sieht allerdings die Aggressivität des Begriffs der ‚Fremdarbeiterinvasion', mit dem Abwehrinstinkte hervorgerufen werden sollen.
Dass mit dem Wort Invasion auch die innerhalb Deutschlands lebenden ausländischen Arbeitnehmer gemeint sind, erschließt sich nicht zwingend. Aus dem konkreten Anlass der Versammlung ergibt sich, dass es naheliegt, dies nicht
anzunehmen. Insoweit ist der hier zu entscheidende Einzelfall bereits auf der Ebene des Sachverhaltes anders gelagert als der Fall, der der Entscheidung des Senats vom 19.09.2009 (3 M 155/09 - NordÖR 2010, 116) zugrunde lag.
Sind somit mehrere Auslegungen einer Äußerung denkbar, ist nach der zitierten Rechtsprechung des BVerfG diejenige der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, die sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf
Meinungsfreiheit bewegt.
Der Senat sieht sich auch nicht in der Lage, der Auffassung zu folgen, dass generell bei Veranstaltungen des Antragstellers das Parteiprogramm der NPD zur Auslegung von Versammlungsmottos und zum Nachweis
nationalsozialistischer Gesinnung herangezogen werden kann. Dies verbietet die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Auslegung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dass im hier zu entscheidenden Einzelfall das
NPD-Parteiprogramm für die Auslegung des Versammlungsmottos heranzuziehen ist, kann der Senat nicht erkennen.
Bei dem hier entwickelten Verständnis des Versammlungsmottos ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Vorschrift des § 130 Abs. 1 StGB lautet in der jetzt geltenden Fassung:
‚(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1.gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem
Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2.die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung
beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.'
Voraussetzung einer Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB - auf eine andere Norm hat sich der Antragsgegner nicht gestützt, insbesondere nicht auf § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB - ist der Angriff auf die Menschenwürde anderer. Ein
solcher Angriff erfolgt durch Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung oder Verleumdung. Der Senat kann offenlassen, ob das Versammlungsmotto den Tatbestand einer böswilligen Verächtlichmachung erfüllt. Denn dadurch
muss zugleich die Menschenwürde der Betroffenen angegriffen werden. Dieser Angriff ist ein eigenständiges, den Tatbestand eingrenzendes Tatbestandsmerkmal, das erfüllt ist, wenn der Angriff den Menschen im Kern seiner
Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt oder ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch 28.
Auflage 2010 § 130 Rn. 6). Dafür genügt es nicht, wenn zwischen Ausländern und Deutschen differenziert wird; erforderlich ist, dass besonders qualifizierte Beeinträchtigungen vorliegen, die durch ein gesteigertes Maß an
Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der
unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (BGH U.v. 03.04.2008 - 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Menschenwürde 5).
Im vorliegenden Einzelfall vermag der Senat dem Versammlungsmotto einen solchen Angriff auf die Menschenwürde ausländischer Arbeitnehmer, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen, nicht zu entnehmen. Durch
das Versammlungsmotto wird objektiv die Befürchtung des Antragstellers zum Ausdruck gebracht, dass durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus einigen östlichen und nordöstlichen EU-Staaten die Gefahr besteht,
dass zahlreiche Angehörige dieser Gruppe nach Deutschland kommen werden und dadurch Arbeitsplätze für deutsche Staatsangehörige verloren gehen. Dass dies mit der drastischen, ausländerfeindlichen Formulierung
‚Fremdarbeiterinvasion' geschieht, lässt noch nicht erkennen, dass damit diesen ausländischen Arbeitnehmern ihr Menschsein abgesprochen wird. Der Senat verkennt nicht, dass sich von einem solchem Versammlungsmotto auch
Personen angesprochen fühlen dürften, in deren Weltbild ausländischen Staatsangehörigen anderer EU-Staaten das Menschsein abgesprochen wird, doch ist dies kein Grund, die Meinungsfreiheit des Antragstellers weiter als
verfassungsrechtlich geboten einzuschränken.
Der Senat hat des Weiteren, ohne dass dies im erstinstanzlichen Verfahren angesprochen worden ist, geprüft, ob der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Dies ist nach seiner Überzeugung nicht der Fall.
Der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt ein Aufstacheln zum Hass voraus. Dies liegt vor, wenn eine Einwirkung auf Sinne und Leidenschaften erfolgt, die objektiv geeignet und subjektiv dazu bestimmt ist, eine über die
bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die betreffende Gruppe oder den Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu steigern. Es muss sich um eine Stimmungsmache handeln, die den geistigen
Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen gegenüber der betroffenen Bevölkerungsgruppe liefert (Lenckner/Sternberg-Lieben a.a.O. Rn. 5a). Erforderlich ist eine besondere Intensität des Angriffs (BGH U.v. 03.04.2008 - 3 StR
394/07, a.a.O.). An dieser fehlt es vorliegend trotz des erkennbar ausländerfeindlichen Inhalts des Mottos. Die betroffenen Personengruppen werden zwar abfällig bezeichnet, doch ein darüber hinausgehender besonderer Grad an
Verachtung wird durch das Motto nicht deutlich.
Entsprechendes gilt für die anderen Tatbestandsalternativen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Der Senat hat die aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen für die Durchführung der Versammlung für erforderlich gehalten, um einen ordnungsgemäßen Gang der Versammlung sicherzustellen. Im Einzelnen ist zur Begründung
folgendes auszuführen:
Der Senat hat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragsgegners im Erörterungstermin keine rechtlich tragfähigen Gründe erkennen können, aus denen der Beginn der Versammlung an einen anderen Ort als den
angemeldeten Platz zu verlegen ist. Insbesondere hat der Antragsgegner keine auf Tatsachen gestützte Prognose vorlegen können, wonach der angemeldete Treffpunkt zu Beginn der Versammlung dazu führt, dass von dort aus dem
Kreis der Versammlungsteilnehmer strafbare Handlungen insbesondere gegen die Bewohner des mindestens 100 m entfernten Flüchtlingswohnheims begangen werden und dass die Polizei nicht in der Lage sein wird, die von ihr
angenommene Gefahrensituation zu beherrschen. Die vom Antragsgegner befürchteten Gewalttätigkeiten durch so genannte Gegendemonstranten können dem Antragsteller nicht zugerechnet werden und Anhaltspunkte für einen
polizeilichen Notstand liegen dem Senat nicht vor.
Hingegen ist der Zeitrahmen der Versammlung zu begrenzen. Nach den Einlassungen des Antragstellers wird der ungehinderte Demonstrationszug etwa drei Stunden dauern. Selbst wenn eventuelle, in GREIFSWALD bereits
öffentlich angekündigte und von der Polizei aufzulösende Blockadeaktionen berücksichtigt werden, kann die Versammlung im Zeitraum von 11.00 Uhr bis 20.00 Uhr durchgeführt werden. Mit Blick auf die danach einbrechende
Dunkelheit und die dadurch entstehenden Gefahrensituationen ist diese Auflage gerechtfertigt. Im Übrigen wird nach der Erklärung des Antragstellers im Erörterungstermin der Großteil der Versammlungsteilnehmer mit dem Zug
anreisen. Der letzte GREIFSWALD in Richtung Süden verlassende Zug geht um 20.37 Uhr am Bahnhof GREIFSWALD Süd ab.
Die weiteren Auflagen sind im Erörterungstermin mit den Beteiligten abgestimmt worden. Der Senat hält sie für sachgerecht und angemessen.
Klarstellend ist weiter auf Folgendes hinzuweisen: Maßgebend für die Frage, ob die Versammlung wegen Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden kann, weil die konkrete Gefahr besteht, dass der Straftatbestand
des § 130 Abs. 1 oder 2 StGB verwirklicht wird, ist - wie dargelegt - das Versammlungsmotto einschließlich der näheren weiteren Umstände. Wenn insoweit dieser Tatbestand nicht festgestellt werden kann, bedeutet dies nicht, dass
im Rahmen der Versammlung Äußerungen hinzunehmen wären, die die von dem Antragsteller bei der Formulierung des Mottos eingehaltenen Grenzen hin zu einer Verwirklichung des Straftatbestandes des § 130 StGB oder anderer
Straftatbestände überschreiten. Sollte eine solche Überschreitung festgestellt werden, müsste über ein versammlungsrechtliches Einschreiten bis hin zu einer Auflösung der Versammlung entschieden werden. ..."
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Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet
werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG,
sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der
Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege
verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei
vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).
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„... Der Kläger meldete am 11.12.2001 bei der Beklagten für den 8.6.2002 eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel und einen Aufzug unter dem Motto ‚Ruhm und Ehre den deutschen Wehrmachtsoldaten' für eine erwartete
Teilnehmerzahl von 2.000 Personen an.
Mit Bescheid vom 27.5.2001 verfügte die Beklagte zahlreiche Auflagen, gegen die der Kläger teilweise Widerspruch einlegte.
Nach Durchführung der Versammlung hat der Kläger am 27.8.2002 Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben, der das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24.11.2005 hinsichtlich vier Auflagen (Festlegung des Demonstrationsendes,
Mitführen von Seitentransparenten, Redeverbote für zwei Personen, Aufstellen von Toiletten) stattgegeben und die es hinsichtlich der VerbotsAuflagen Nr. 6 (Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischer
Kopfbedeckung), Nr. 7 (Mitführen von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln), Nr. 8 (Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt), Nr. 12 (sichtbares Tragen bestimmter Embleme oder
Tätowierungen, Tragen von Kleidungsstücken mit bestimmten Buchstaben- und Zahlenfolgen) und Nr. 13 (Rufen bestimmter Parolen) im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen hat:
Das Verbot des Tragens von militärischen Kopfbedeckungen, Springerstiefeln und Bomberjacken sei nicht zu beanstanden, da diese Bekleidung, sofern sie durch eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern getragen werde, gegen
das in § 3 VersammlG normierte Uniformverbot verstoße. Soweit die Zahl und Art der mitgeführten Fahnen und Plakattafeln beschränkt und Fackeln verboten würden, sei dies im Hinblick auf die konkrete Versammlung rechtmäßig.
Zur Begründung wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, wonach die Begrenzung geboten sei, um keine Erinnerungen an nationalsozialistische Kundgebungen aufkommen zu lassen. Dieser Eindruck könne
unabhängig von der Gestaltung der Fahnen durch deren massenweisen Einsatz hervorgerufen werden und sei darüber hinaus geeignet, unbefangene Beobachter zu verängstigen und Gegner der Veranstaltung bis hin zu wechselseitigen
Gewalttaten zu provozieren. Ergänzend wird auf die Erinnerung an nationalsozialistische Fackelzüge während des ‚Dritten Reichs' sowie darauf abgestellt, dass die Verwendung von Fackeln vor allem im Hinblick auf das
Versammlungsmotto die Assoziation an den Nationalsozialismus hervorgerufen hätte. Damit habe es sich um eine Modalität der Versammlung mit einer erheblichen Provokationswirkung gehandelt, die geeignet gewesen wäre, das
friedliche Zusammenleben der Bürger konkret zu beeinträchtigen. Gleiches gelte für das Verbot des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt. Hierdurch sollten Einschüchterungseffekte durch uniforme Militanz
und durch eine sich unmittelbar aufdrängende Assoziation mit Aufmärschen in den dreißiger Jahren verhindert werden. Auch die Untersagung der im Bescheid aufgeführten Parolen (‚Ruhm und Ehre der Waffen SS', ‚Wir sind wieder
da', ‚Wir kriegen euch', ‚Wir kriegen euch alle' sowie aller Parolen mit der Wortfolge ‚Nationaler Widerstand') sei unter dem Aspekt der Störung der öffentlichen Ordnung rechtmäßig. Der kämpferische und in militärische Begriffe
abgleitende Sprachgebrauch lege die die konkrete Befürchtung nahe, dass die Versammlungsteilnehmer versuchen würden, der Veranstaltung ein einschüchterndes Gepräge zu verleihen. Das gemeinsame Skandieren dieser Parolen
verfolge die Absicht, eine Überlegenheit des Deutschen Volkes im Sinne einer ausschließlichen Blutsgemeinschaft zu propagieren. Auf diese Weise werde eine militante, aggressive und fremdenfeindlichen Stimmung erzeugt, die die
öffentliche Ordnung unmittelbar gefährde. Jedenfalls die Gesamtheit dieser Parolen erwecke bei deren Verwendung durch die Teilnehmer dieser Versammlung den Eindruck, dass an den Nationalsozialismus in all seinen
Erscheinungsformen angeknüpft werde.
Gegen den klageabweisenden Teil des dem Kläger am 13.1.2006 zugestellten Urteils hat der Kläger am 17.1.2006 die durch das Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt,
zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt:
Das Tragen militärischer Kopfbedeckungen sowie von Bomberjacken und Springerstiefeln verstoße nicht gegen das Uniformverbot der §§ 3, 28 VersammlG. Es könne sich zwar um Uniformteile handeln, zwingend und im Streitfall
sei dem aber nicht so. Viele Teilnehmer verfügten über keine anderen Kleidungsstücke. Die Jacken und Stiefel seien zudem der englischen und amerikanischen Militärkleidung, nicht jedoch Uniformen aus der Zeit des Dritten Reiches
nachgebildet. Auch fehle die totale Gleichförmigkeit der Kleidung, wie sie für nationalsozialistische Aufmärsche kennzeichnend gewesen sei. Er sei im Übrigen damit verstanden, wenn die Auflage dahin beschränkt würde, dass
Bomberjacken mit dem Futter nach außen und Springerstiefel nur unter den Hosenbeinen getragen werden dürften. Die verbotene Anzahl von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen führe entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht dazu, dass die Versammlung wie ein nationalsozialistischer Aufmarsch aussehen würde. Derartige Aufmärsche hätten sich durch gleichförmige Regie des Hebens und Senkens der hundertfach mitgeführten
Hakenkreuzfahnen ausgezeichnet; demonstrationsübliche Plakatpappen seien nicht gezeigt worden. Bei den Versammlungen des Klägers gebe es weder eine einheitliche Regie noch einheitliche Fahnen, sondern ein buntes
Fahnenmeer, bestehend aus der Deutschlandfahne, den Fahnen der Bundesländer, schwarzen und sonstigen Fahnen. Die konkrete Versammlung habe aus etwa 2.000 Teilnehmern bestanden. Damit hätten nur 60 Personen eine Fahne
oder ein Plakat zeigen dürfen, die große Masse aber nicht. Dafür gebe es keinen sachgerechten Grund, zumal bei anderen Versammlungen, etwa von gewerkschaftlichen Veranstaltern, massenweise Gewerkschaftsfahnen getragen
würden. Fackeln seien ebenfalls keine typisch nationalsozialistischen Symbole oder Riten, sondern würde bei allen feierlichen Anlässen oder zu Versammlungen bei (anbrechender) Dunkelheit getragen und versinnbildlichten häufig -
und hier auch passend zum Versammlungsmotto - den Tod. Für das Verbot des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt gebe es keine Rechtsgrundlage. Es erhebe sich die Frage, wie bei einer Demonstration
anders als in unter Polizeischutz geformten Blöcken gelaufen werden solle; teilweiser Gleichschritt lasse sich bei 2.000 Personen nicht vermeiden. Zudem sei nochmals zu betonen, dass der Kläger nicht vorhabe, der Versammlung ein
militärisches Gepräge zu verleihen, indem er Gleichschritt anordne oder kommandiere. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht ferner der Auffassung, dass Embleme oder Tätowierungen, die ‚Hass' bedeuteten, wie Totenköpfe und das
Wort ‚Hass', oder Buchstabenkombinationen und Zahlenfolgen, sie NS, NSD, NSDA, NSDAP, SS, SA, ACAB, 14, 18 und 88 der Versammlung eine einschüchternde Wirkung verleihen würden. Diese Verbotsauflage sei zudem
unbestimmt. Die Zahlenfolgen 88 und 14 seien mehrdeutig. Dass man Hass auf etwas haben könne, z. B. auf Lügen mancher Politiker oder die Verteufelung der eigenen Vorfahren, sei eine Äußerung, die unter die Meinungsfreiheit
falle. Auch die verbotenen Parolen hätten keine einschüchternde, militante Wirkung und sprächen nicht die Überlegenheit des deutschen Volkes in Anknüpfung an den Nationalsozialismus aus. Nationaler Widerstand sei etwas
Passives und nichts Aktives. Mit dieser Parole werde nur gezeigt, dass die eigenen Anhänger standhaft bleiben sollten, an andere Personen sei diese unter die Meinungsfreiheit fallende Parole nicht gerichtet. ‚Wir sind wieder da'
bedeute lediglich, dass trotz zahlreicher Strafverfahren und Verbote der Kläger wiederum demonstriere und sich durch diese Verfahren nicht von seinen Auftritten in der Öffentlichkeit abhalten lasse. ‚Wir kriegen euch alle' sei eine
mehrdeutige, ebenfalls von der Meinungsfreiheit geschützte Aussage. Sie könne als Verfolgung gemeint sein, könne aber auch bedeuten, dass die Teilnehmer der Versammlung alle anderen, die noch nicht bei ihrer Versammlung
mitmachten, demnächst als Anhänger gewinnen oder ‚kriegen' würden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 24.11.2005 abzuändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 27.5.2002 hinsichtlich der Auflagen Nr. 6 (Verbot von Springerstiefeln,
Bomberjacken und militärischer Kopfbedeckung), Nr. 7 - Satz 2 (Begrenzung der Anzahl der Fahnen und Plakatpappen auf 30 Stück), Nr. 8 (Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen im Gleichschritt), Nr. I.12 (sichtbares Tragen
bestimmter Embleme oder Tätowierungen, Tragen von Kleidungsstücken mit bestimmten Buchstaben- und Zahlenfolgen), Nr. 12 (Verbot von Emblemen und Tätowierungen) und Nr. 13 (Verbot von Parolen) rechtswidrig war. Die
Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, seit den neunziger Jahren habe sich die NPD zur Verfolgung einer aktionistischeren Linie bewusst für Skinheads geöffnet und dadurch ihre Struktur und Bedeutung im Freistaat Sachsen ausgebaut. Sie
bediene sich des Gewaltbereitschaft signalisierenden Gestus der Skinhead-Bewegung. Das politische Selbstverständnis der NPD drücke sich vor allem durch eine positive Bezugnahme auf die nationalsozialistische Diktatur aus. Das
Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen stelle daher eine bewusste Uniformierung dar, die der Versammlung ein paramilitärisches und einschüchternde Gepräge verliehen. Das Tragen von
Fahnen oder Plakaten sei zwar an sich unbedenklich, würde hier aber wegen der politischen Wirkung eines Aufmarsches der NPD der Versammlung in ihrer Gesamtheit einen das friedliche Zusammenleben der Bürger bedrohenden
Charakter annehmen, da Assoziationen an den Nationalsozialismus geweckt würden, der von einem Klima der geistigen Gleichschaltung geprägt gewesen sei und Meinungen Andersdenkender zum Anlass für Verfolgung, Inhaftierung
und Ermordung genommen habe. Eine Versammlung, von deren Gesamtcharakter die Missachtung der Menschenwürde ausgehe, sei auch bei Beachtung der Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr durch Art. 8 GG
geschützt. Zur Rechtmäßigkeit des Verbots von Fackeln werde auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen. In der Gesamtschau der Versammlung, namentlich vor dem Hintergrund, dass sich die NPD für die
Überwindung der Bundesrepublik Deutschland einsetze und an deren Stelle eine autoritär geführte Volksgemeinschaft setzen wolle, gehe von einer im einzelnen zulässigen Meinungsäußerung und unbedenklichen Verhaltensweisen,
wie Marschieren in Blöcken, ein drohender Charakter für die schutzfähigen Anschauungen über ein friedliches Zusammenleben der Bürger aus. Auch das Verbot, während der Versammlung bestimmte Buchstabenfolgen oder
Zahlenreihen zu verwenden, sei im Zusammenhang mit den anderen Begleitumständen geeignet, die von der Versammlung konkret zu erwartenden Verstöße gegen strafrechtliche Normen sowie eine einschüchternde Wirkung und
damit einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Schließlich sei auch das Verbot bestimmter Parolen in der Gesamtschau der Auflagen zu betrachten. Das Skandieren der untersagten Parolen, die selbst
einen aggressiven, kämpferischen Duktus hätten, verliehe der Versammlung ein militantes Gepräge, das auf die überwiegend friedliche Bevölkerung einschüchternd wirke.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten des Senats und des Verwaltungsgerichts sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (1 Heftung) Bezug genommen. ...
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse zutreffend unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr
bejaht, die Klage aber hinsichtlich eines Teils der im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Auflagen zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Auflagen Nr. 7 (Verbot
von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln), Nr. 8 (Verbot des Marschierens in geschlossenen Blöcken, Zügen oder Reihen), Nr. 12, soweit damit das sichtbare Tragen von Emblemen oder Tätowierungen, die ‚Hass'
bedeuten sowie das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften verboten wird, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolgen wie ‚NS', ‚NSD', ‚NSDA', ‚NSDAP', ‚SS', ‚SA', ‚A.C.A.B', ‚14',
‚18', ‚88' ergeben kann, und Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen ‚Wir sind wieder da' und ‚Nationaler Widerstand' verboten wurde, rechtswidrig waren (1). Hinsichtlich der weiteren noch streitbefangenen Auflagen Nr. 6
(Verbot von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen) und Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen ‚Wir kriegen euch' und ‚Wir kriegen euch alle' verboten wurde, hat das Verwaltungsgericht die
Klage hingegen zu Recht abgewiesen, da diese rechtmäßig waren (2).
1. Die Klage hat im Hinblick auf die nachfolgend genannten Auflagen Erfolg. Denn diese Auflagen dienten nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen nicht der Abwehr einer unmittelbaren Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung und waren damit nicht von § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage gedeckt. Im Einzelnen:
a) Auflage Nr. 7 (Verbot von mehr als 30 Fahnen und Plakatpappen sowie von Fackeln)
Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Verwendung einer größeren als der zugelassenen Anzahl von Plakatpappen und Fahnen sowie durch das Mitführen von Fackeln war nicht erkennbar und wird von der Beklagten
selbst nicht geltend gemacht. Es erschließt sich auch nicht, warum hierdurch die öffentliche Ordnung unmittelbar hätte gefährdet sein können. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden,
deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Eine
Gefahr für die öffentliche Ordnung kann beispielsweise bestehen bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima potentieller Gewaltbereitschaft
erzeugt wird, oder wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken der vergangenen totalitären und
unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, NVwZ 2008, 671; BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, NVwZ 2004, 90). Vorliegend hat die zahlenmäßige Begrenzung von Plakatpappen und
Fahnen sowie das Verbot des Mitführens von Fackeln nicht der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung gedient, die in diesem Sinne aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgten.
Hinsichtlich der zahlenmäßigen Begrenzung der Plakatpappen folgt dies bereits daraus, dass es an jeglicher Begründung im angefochtenen Bescheid fehlt. Das Mitführen von Plakaten ist eine versammlungstypische Form
gemeinsamer Meinungskundgabe, aus der allein nicht jene versammlungsspezifischen Wirkungen abgeleitet werden können, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der
Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Soweit die Beklagte in der Berufungserwiderung vorträgt, bei dem Tragen von Plakaten - sowie auch
von Fahnen - gehe es um einzelne je für sich unbedenkliche Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit der Versammlung einen die schutzfähigen Anschauungen über ein friedliches Zusammenleben der Bürger bedrohenden Charakter
geben würden, da Assoziationen an den Nationalsozialismus geweckt würden, ergibt sich daraus keine nachvollziehbare Begründung für die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Auffassung, mehr
als jeweils 30 Plakate und Fahnen könnten unabhängig von ihrem Inhalt und ihrem nicht verbotenen Charakter Assoziationen zum Nationalsozialismus hervorrufen, ist ohne Bezug auf spezifische mit der Art und Weise der
Durchführung der Versammlung verbundene Gefahrenmomente schon im Ansatz nicht verständlich. Einschüchternde, aggressive oder sonst unfriedliche Begleitumstände, die die Gefahrenprognose der Beklagten tragen könnten,
wurden insoweit nicht festgestellt. Sie lassen sich jedenfalls nicht allein daraus ableiten, dass es eine rechtsextremistische, aber durch das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärte Partei ist, die eine größere
Anzahl von Plakaten und Fahnen mitführen will.
Die Rechtswidrigkeit des Verbots des Mitführens von Fackeln hat der Senat in seinem Urteil vom 4.6.2009 (3 B 59/06 - als Anlage für die Beklagte beigefügt) eingehend und im Wesentlichen damit begründet, dass ihnen ein
spezifisch nationalsozialistischer Symbolgehalt nicht zugeordnet werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf vollumfänglich Bezug genommen. Auch soweit das Verwaltungsgericht ergänzend auf das Motto der
Versammlung (‚Ruhm und Ehre den deutschen Wehrmachtsoldaten') abgestellt hat, ist eine abweichende Beurteilung nicht gerechtfertigt. Denn der Kläger verstand die Fackel als ein Sinnbild des Todes und wünschte ihren Einsatz mit
Bezug auf das Motto zum Gedenken an die Wehrmachtsoldaten, namentlich den im Krieg Gefallenen. Darin kann kein Ritus oder Symbol der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gesehen werden.
b) Rechtswidrig war auch die Auflage Nr. 8 (Verbot des Marschierens in geschlossenen Blöcken, Zügen oder Reihen). Zur Begründung wird in vollem Umfang auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 13.7.2009 (3 B
137/06) verwiesen. Die Berufungserwiderung der Beklagten gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
c) Die Auflage Nr. 12, mit der - soweit angegriffen - das sichtbare Tragen von Emblemen oder Tätowierungen, die ‚Hass' bedeuten (wie z. B.: Bilder von Totenköpfen, Schriftzug Hass usw.) sowie das Tragen von Bekleidungsstücken
mit Aufschriften verboten wird, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolgen wie ‚NS', ‚NSD', ‚NSDA', ‚NSDAP', ‚SS', ‚SA', ‚A.C.A.B', ‚14', ‚18', ‚88' ergeben kann, ist ebenfalls nicht von der
Rechtsgrundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG gedeckt.
aa) Was Embleme oder Tätowierungen mit der Bedeutung ‚Hass' anbetrifft, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Auflage Nr. 12 nicht angegriffen hat, soweit dadurch das sichtbare Tragen von Emblemen oder
Tätowierungen untersagt wurde, ‚die in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen'. Da dieser erste Teil der Auflage bereits die gegen § 86a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB verstoßende Verwendung des
Totenkopfs erfasst, der das Emblem der Waffen-SS auf der Schirmmütze darstellt oder ihm zum Verwechseln ähnlich ist, ist der allein angegriffene weitere Teil der Auflage dahin zu verstehen, dass mit ihm das sichtbare Tragen aller
anderen Totenkopfembleme verboten werden soll. Soweit damit der Totenkopf als Kennzeichen einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung, etwa der verbotenen Hells Angels Vereine in Hamburg oder Düsseldorf, erfasst wird,
kommt eine versammlungsrechtliche Auflage, die seine Verwendung untersagt, grundsätzlich zur Abwehr einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit in Form des Verstoßes gegen § 86a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1
Nr. 4 StGB in Betracht. Vorliegend fehlt es aber an der weiteren Voraussetzung des § 15 Abs. 1 VersammlG, dass konkrete Anhaltspunkte für eine derartige Gefahrenlage sprachen. Der angefochtene Bescheid enthält hierzu ebenso
wenig eine Begründung wie die Berufungserwiderung. Feststellungen zu konkreten Umständen, die die Annahme nahelegten, dass Versammlungsteilnehmer die Absicht hatten, die Kennzeichen verbotener Vereinigungen oder ihnen
zum Verwechseln ähnelnde Embleme zu tragen, wurden nicht getroffen. Soweit die Verwendung anderer Totenkopf- und Hasszeichen untersagt werden sollten, ist unterhalb der Schwelle eines Verstoßes gegen die öffentliche
Sicherheit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere dann, wenn die Versammlungsteilnehmer beabsichtigt hätten, durch das massenhaft sichtbare Tragen dieser Zeichen aggressiv
und provokativ aufzutreten, die Bürger einzuschüchtern oder Gewaltbereitschaft zu erzeugen, wäre eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung anzunehmen. Tragen Teilnehmer einer größeren Versammlung derartige
Zeichen dagegen nur vereinzelt oder als Ausdruck diffusen Hasses, ohne damit ein Klima der Gewaltdemonstration signalisieren zu wollen, so dürfte eine die öffentliche Ordnung gefährdende einschüchternde Wirkung auf
Unbeteiligte eher nicht zu gewärtigen sein. Konkrete Umstände, die ersteres erkennen ließen, waren jedoch im Zeitpunkt der Erteilung der Auflage weder festgestellt noch erkennbar.
bb) Zur Rechtswidrigkeit des Verbots des Tragens von Bekleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14, 18 oder 88 hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Berufungserwiderung der Beklagten an seiner im Urteil vom 13.7.2009
(3 B 137/06) begründeten Auffassung fest, dass die Verwendung dieser Zahlencodes weder zum Schutz der öffentlichen Sicherheit noch zum Schutz der öffentlichen Ordnung nach § 15 Abs. 1 VersammlG untersagt werden konnte.
Namentlich erfüllen diese Zahlenfolgen weder einen Straftatbestand nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 2 StGB, noch ist ihr Tragen auf Kleidungsstücken geeignet, die öffentliche Ordnung zu verletzen, da dies voraussetzen
würde, dass derartige Zeichen von einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt dem Nationalsozialismus zugeordnet werden, was nicht der Fall ist.
cc) Auch das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstabenfolgen wie ‚NS', ‚NSD', ‚NSDA', ‚NSDAP', ‚SS', ‚SA' und A.C.A.B. ergeben kann, durfte nicht auf § 15 Abs.
1 VersammlG gestützt werden. In dieser Fassung ist die Auflage kein angemessenes Mittel, um der Gefahr der Verwirklichung von Straftatbeständen vorzubeugen. Allerdings erfüllt das sichtbare Tragen nationalsozialistischer
Kennzeichen in einer Versammlung den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ebenso ist das sichtbare Tragen der Abkürzung A.C.A.B. als Beleidigung (§ 185 StGB) strafbar, wenn sie für die Parole ‚all cops are bastards'
verwendet wird und damit speziell ein oder mehrere der die Versammlung sichernden Polizeibeamten der verunglimpften Personengruppe zugeordnet werden sollen (vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.6.2008, NStZ-RR 2009, 50).
Die Auflage verbietet jedoch weder das Tragen von Bekleidungsstücken mit derartigen isolierten Aufschriften noch das durch teilweises Überdecken anderer Aufschriften erfolgende Offenlegen der verbotenen bzw. strafbaren
Abkürzungen. Vielmehr untersagt sie ein ohne dieses weitere Zutun erlaubtes Verhalten (vgl. zur fehlenden Strafbarkeit etwa des Tragens von Bekleidungsstücken der Marke CONSDAPLE: OLG Hamm, Beschl. v. 8.10.2003,
NStZ-RR 2004, 12). Soweit - was offen bleiben kann - genügende Anhaltspunkte dafür bestanden, dass eine erhebliche Anzahl von Teilnehmern der Versammlung Bekleidungsstücke in der beschriebenen Art tragen wollten, mag die
Untersagung schon des Tragens ein geeignetes und besonders effektives Mittel zur Vorbeugung von Straftaten gewesen sein. Im Interesse derjenigen Versammlungsteilnehmer, die eine strafbare Verwendung derartiger
Bekleidungstücke nicht beabsichtigten, hätte die Beklagte das Verbot aber auf die die Strafbarkeit erst auslösende Handlung des Überdeckens beschränken müssen.
d) Schließlich war die Auflage Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen ‚Wir sind wieder da' und ‚Nationaler Widerstand' verboten wurde, rechtswidrig. Bei beiden Parolen handelt es sich um Meinungsäußerungen, deren
Inhalt nicht im Rahmen von Art. 5 GG unterbunden und mit dem daher eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht gerechtfertigt werden kann (vgl. zur Parole ‚Nationaler Widerstand': BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.).
Im Ansatz zutreffend hat daher das Verwaltungsgericht die in § 15 Abs. 1 VersammlG vorausgesetzte Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der
Versammlung abzuleiten gesucht. Es hat jedoch zu Unrecht hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Gefahrenlage bejaht. Das Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform und gestattet es für sich
genommen nicht, auf jene versammlungsspezifischen Wirkungen zu schließen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die
öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Soweit die Beklagte annimmt, dass die untersagten Parolen selbst einen aggressiven, kämpferischen Duktus hätten und ihr Skandieren der Versammlung ein militantes Gepräge verliehe, das auf
die überwiegend friedliche Bevölkerung einschüchternd wirke, folgt dem der Senat für die Parolen ‚Wir kriegen euch' und ‚Wir kriegen euch alle' (siehe nachfolgend unter 2.b), nicht aber für die Parolen ‚Wir sind wieder da' und
‚Nationaler Widerstand'.
Die Auffassung der Beklagten und ihr folgend des Verwaltungsgerichts, die Parole ‚Nationaler Widerstand' sei gerechtfertigt, weil das rechtsextreme politische Spektrum in der Vergangenheit hierunter die Überlegenheit des deutschen
Volkes als eine Art ausschließlicher Blutsgemeinschaft propagiert habe, stellt auf den Inhalt der Aussage ab. Eine nachvollziehbare Begründung für die weitere Annahme, dass durch das Skandieren eine besonders militante, aggressive
und fremdenfeindliche Stimmung erzeugt werde, fehlt. Wenn die Parole bei vergleichbaren Veranstaltungen laut skandiert worden ist, hätte die Prüfung nahe gelegen, ob und warum Gefahren seinerzeit eingetreten waren und ob die
jetzige Prognose damit auf hinreichende Tatsachen gegründet ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.).
Die Parole ‚Wir sind wieder da!' soll nach dem angegriffenen Bescheid eine der Losungen der 1972 in den USA gegründeten NSDAP/AO sein, deren Ziel es sei, die Wiederzulassung der NSDAP in der Bundesrepublik Deutschland zu
verfolgen. Nach dem Verständnis des Klägers soll die Parole lediglich bedeuten, dass er trotz zahlreicher Strafverfahren und Verbote wiederum demonstriere und sich durch diese Verfahren nicht von seinen Auftritten in der
Öffentlichkeit abhalten lasse. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass die Parole in dieser inhaltlichen Bedeutung nicht untersagt werden kann. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch das Skandieren der
Parole mit der von der Beklagten angenommenen Bedeutung kann ebenfalls nicht angenommen werden. Die Annahme scheitert - ebenso wie bei der Verwendung der untersagten Zahlenfolgen (s. o. unter c)bb) - daran, dass diese
Bedeutung der Parole in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist und schon gar nicht dem Nationalsozialismus zugeordnet wird.
2. Die Klage hat im Hinblick auf folgende Auflagen keinen Erfolg:
a) Die Auflage Nr. 6 (Verbot von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischen Kopfbedeckungen) war rechtmäßig. Das Tragen dieser Kleidungsstücke verstößt gegen das in § 3 Abs. 1 VersammlG normierte Uniformverbot. Zur
Begründung wird vollumfänglich auf das Senatsurteil vom 4.6.2009 (3 B 59/06 - zu Bomberjacken und Springerstiefeln) verwiesen. Für militärische Kopfbedeckungen gilt Entsprechendes.
b) Die Auflage Nr. 13, soweit damit das Skandieren der Parolen ‚Wir kriegen euch' und ‚Wir kriegen euch alle' untersagt wird, war ebenfalls rechtmäßig. Entgegen den Ausführungen des Klägers ist diese Parole bei lebensnahem
Verständnis nicht mehrdeutig. Das Brüllen dieser Parolen wirkt offensichtlich aggressiv und einschüchternd; es schürt ein Klima der Gewaltbereitschaft und wird von Unbeteiligten mitnichten als Ausdruck der Hoffnung der
Skandierenden verstanden, sie als künftige Anhänger zu gewinnen. Es konnte folglich zum Schutz der öffentlichen Ordnung untersagt werden. ..." (OVG Sachsen, Urteil vom 28.07.2009 - 3 B 60/06)
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„... Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die Nebenbestimmungen der Untersagung des geschlossenen Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt (Nr.
I. 8) und des Tragens von Kleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14, 18 und 88 (Nr. I. 11 Satz 2) betrifft, da diese rechtswidrig waren und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit hat (§ 113
Abs. 1 Satz 4 VwGO). Im Übrigen hat es die Klage zu Recht abgewiesen.
1. a. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ausgegangen, soweit sie die Auflagen Nrn. I. 8, I. 9, I. 11 und I. 12 - teilweise (Untersagung der Losung ‚Ruhm und Ehre der
Waffen-SS') - des Bescheides betrifft. Zutreffend hat es insoweit das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bejaht. Zwar ist dieses Interesse, wie noch vom Verwaltungsgericht angenommen,
nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben, nachdem der Kläger am 22.7.2007 öffentlich im Internet mitgeteilt hat, dass er die von ihm vorsorglich gegenüber der Versammlungsbehörde bis 2014 zweimal
jährlich angemeldeten Demonstrationen abgesagt habe, und zugleich erklärt hat, dass die 17. Demonstration am 21.7.2007 für ihn persönlich die letzte in Leipzig gewesen sei. Jedoch ist insoweit das Feststellungsinteresse in
Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht für die Fortsetzungsfeststellungsklage in versammlungsrechtlichen Verfahren entwickelten Grundsätze gegeben. Dieses ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der
Versammlungsfreiheit im Fall der Durchführung einer Versammlung unter Auflagen dann zu bejahen, wenn durch diese Auflagen die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung wesentlich erschwert wird und
die Abweichungen nicht nur bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004, BVerfGE 110, 77, 89 ff.). Dies ist bei den Auflagen Nrn. I. 8 (geschlossenes Marschieren in
Blöcken, Zügen und Reihen oder im Gleichschritt), I. 9 (Vorlage der Liedtexte bis eine Stunde vor Versammlungsbeginn), I. 11 (Verbot des Tragens von Kleidungsstücken mit den Zahlen 14, 18 und 88) und - teilweise - I. 12
(Untersagung der Losung ‚ Ruhm und Ehre der Waffen - SS') der Fall.
b. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist dagegen unzulässig, soweit sie sich gegen die Auflage Nr. I. 15 (Leinen- und Maulkorbzwang für die mitgeführten Hunde sowie das Verbot des Mitführens bestimmter Hunde) richtet. Insofern,
wie ausgeführt, eine Wiederholungsgefahr nach der Erklärung des Klägers vom 22.7.2007 nicht (mehr) angenommen werden kann, setzt das Bestehen des erforderlichen Feststellungsinteresse die wesentliche Erschwerung des
kommunikativen Zwecks der Versammlung durch die Auflage voraus. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass das Mitführen dieser Tiere der gemeinschaftlichen Erörterung und der Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gedient hätte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01 - und 1 BvQ 30/01, NJW 2001, 2459, 2460; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007 a. a. O.). Diese Voraussetzung war ersichtlich nicht erfüllt. Das
verfügte Verbot des Mitführens von Hunden bestimmter Rassen und der angeordnete Leinen - und Maulkorbzwang für die sonstigen Hunde stand in keinem Zusammenhang mit dem Motto der Versammlung. Dies wird auch vom
Kläger, der sich lediglich auf die Unverhältnismäßigkeit der Auflage beruft, nicht behauptet. Ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG scheidet damit, wie auch das Verwaltungsgericht bei der
Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage festgestellt hat (vgl. Beschl. v. 2.10.2002 - 3 K 1535/02 -), von vornherein aus (vgl. BayVGH, Beschl. v. 13.10.2003 - 24 ZB 03.1711 - Rn. 22, zitiert nach juris). Da auch ein
Rehabilitierungsinteresse des Klägers nicht erkennbar ist, der allgemeinen Sicherheitsinteressen und dem Tierschutz dienenden Auflage insbesondere kein diskriminierender Charakter zukommt und sie ihn auch nicht in seinem
Persönlichkeitsrecht verletzt, fehlt es insoweit an dem für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Feststellungsinteresse.
2.a. Die Fortsetzungsfeststellungsklage hat Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung Nr. I. 8 (Untersagung des Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt) begehrt, da sie
rechtswidrig war.
Durch die Auflage wird in Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen. Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm ist nicht nur im Fall des Verbots oder der Auflösung der Versammlung berührt, sondern auch, wenn ihr verboten wird, in
bestimmter Weise Meinungsinhalte zu artikulieren. Hierdurch wird sie in ihrer, zugleich auch durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Möglichkeit beschränkt, in einer selbst bestimmten Weise an der öffentlichen Meinungsbildung durch
gemeinschaftliche Erörterung oder Kundgebung teilzuhaben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, NVwZ 2008, 671, 672). Hierzu gehören auch nonverbale, suggestive Formen der Kommunikation (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.4.1982,
MDR 1983, 22). Damit ist auch die Wahl einer bestimmten äußeren Form des Versammlungszugs, wie sie vorliegend Gegenstand der Auflage ist, durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt.
Eingriffe in dieses Grundrecht können nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei
einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, 352 ff.). Insofern die in der Auflage bezeichneten Formen der
Fortbewegungsweise des Demonstrationszuges nicht strafrechtlich oder sonst wie gesetzlich untersagt sind, ist sie nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung zulässig. Die
öffentliche Ordnung, d. h. ungeschriebene Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb
eines bestimmten Gebiets angesehen wird, scheidet als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots zwar nicht grundsätzlich aus (vgl. BVerfG, Beschl. v.
26.1.2001, NJW 2001, 1409, 1410). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung der Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden
Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 a. a. O.). Sie kann ebenfalls betroffen sein, wenn
einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Aufführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise aufgegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende
soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001 a. a. O. zum 27. Januar als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus) oder wenn ein Aufzug sich durch
sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003 - 1 BvQ - Rn. 24, zitiert nach juris). Dabei ist jedoch zu beachten, dass den versammlungsrechtlichen Auflagen die Aufgabe zukommt, den gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und
praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen (vgl. BVerfG, Beschl.
v. 5.9.2003 a. a. O. Rn. 29).
Nach diesen Maßstäben war die Auflage des Verbots des geschlossenen Marschierens in Blöcken, Zügen und Reihen und im Gleichschritt zu Unrecht verfügt worden. Der Senat folgt insoweit der vom Kläger zitierten Rechtsprechung
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschl. v. 3.5.2002 - 6 TG 1227/02 - ). Keine der o. g. Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung war nämlich erfüllt. Insbesondere
vermag der Senat nicht zu erkennen, dass durch die von der Auflage erfassten Formen der Fortbewegung die Versammlung eine Außenwirkung mit suggestiv-militanten Effekten in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz
hätten auslösen können, die den Erlass einer derartigen Auflage hätten rechtfertigen können. Hiergegen sprachen bereits die konkreten Umstände der Durchführung der Versammlung. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass die
vom Kläger angemeldete Versammlung unter einer engen polizeilichen Zugbegleitung (sog. ‚Wanderkessel') erfolgte, was zum einen bereits die Spielräume bei der Wahl der Form des Demonstrationszuges stark
eingeschränkt und zudem die äußere Wahrnehmbarkeit und damit auch eine etwaige einschüchternde Wirkung der Versammlung auf Dritte deutlich vermindert hat. Vor dem Hintergrund des bereits in dem Bescheid unter
Nr. I. 6 verfügten weitgefassten Uniformverbots, das auch das Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und militärischer Kopfbedeckung umfasste und so bereits entscheidend der Vermeidung der Auslösung der oben
beschriebenen psychologischen Effekte im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 23.4.1982 a. a. O.) bewirkt hat, war der Erlass einer derartigen Auflage nicht noch zusätzlich erforderlich. Der
Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch besonders provokative Formen des Marschierens, etwa durch Wahrung einer strengen militärischen Marschordnung in dem Demonstrationszug, wofür hier jedoch keine konkreten
Anhaltspunkte bestanden haben, kann ggf. durch besondere Auflagen Rechnung getragen werden.
b. Rechtswidrig war auch die in dem Bescheid unter Nr. I. 11 Satz 2 verfügte Auflage, soweit den Versammlungsteilnehmern das Tragen von Bekleidungsstücken mit den Zahlenfolgen 14,18 oder 88 untersagt worden ist.
Der Senat geht dabei aufgrund der Berufungsschrift davon aus, dass diese Auflage jedenfalls im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlich ist, soweit die Verwendung dieser sog. ‚klandestinen' Zahlencodes, nicht jedoch das
ebenfalls untersagte Zeigen bestimmter Buchstabenfolgen betroffen ist.
Die Versammlungsbehörde wie auch das Verwaltungsgericht haben hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zahlenkombination 18 in der Skinheadszene den ersten und den achten Buchstaben (Adolf Hitler) und die Kombination
88 jeweils den achten Buchstaben des Alphabets (Heil Hitler) kennzeichne. Die Zahl 14 stehe für die die Losung des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane der sog. ‚fourteen words' (‚We must secure the existence of our
race and a future for white children'). Nach Auffassung der Beklagten hätte das sichtbare Tragen derartiger Kleidungsstücke bei der Demonstration gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Dem Verwaltungsgericht zufolge habe die
konkrete Gefahr bestanden, dass die Zahl 14 von den Teilnehmern des Aufzuges als symbolischer Aufruf zur Begehung von Straftaten verstanden worden wäre.
Weder unter dem - vom Verwaltungsgericht angeführten - Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Sicherheit noch unter dem der - von der Beklagten als Untersagungsgrund herangezogenen - öffentlichen Ordnung erweist sich
dieser Auflagenteil als rechtmäßig.
Entgegen der (wohl) vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung fällt auch das sichtbare Tragen derartiger verschlüsselter Zeichen in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung,
diese Zeichen seien keine der Kommunikation dienenden Elemente, sondern Symbole, durch die der gewaltsame Abbruch von Kommunikation signalisiert werde, wird dem dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu Grunde
liegenden Kommunikationsbegriff nicht gerecht. Unter diesen fällt nämlich auch die Benutzung von verschlüsselten Zeichen, deren Bedeutung sich einer breiteren Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres erschließt. War der Schutzbereich
des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit damit eröffnet, war ein Verbot des sichtbaren Tragens dieser Zeichen nur bei Vorliegen der in § 15 Abs. 1 VersammlG genannten tatbestandlichen Voraussetzungen zulässig.
Die Voraussetzungen für die ein solches Verbot rechtfertigende unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit waren nicht gegeben. Dieser Begriff umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit,
Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare
Verletzung dieser Schutzgüter droht (vgl. BVerfGE 69, 315, 352). Hiervon konnte die Versammlungsbehörde - bei Berücksichtigung der ohne Weiteres zugänglichen strafgerichtlichen Rechtsprechung - nicht ausgehen. Insbesondere
fehlte es an einer Strafbarkeit der Verwendung dieser Zeichen nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Sie scheitert bereits daran, dass die Zahlenfolgen 14, 18 und 88 keine Kennzeichen oder Symbole einer nationalsozialistischen Organisation
waren. Auch handelt es sich nicht um Kennzeichen, die einem Originalkennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation ‚zum Verwechseln ähnlich' im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB sehen. Diese Voraussetzung ist nur dann
erfüllt, wenn es aus Sicht eines nicht besonders sachkundigen und nicht genau prüfenden Betrachters die typischen Merkmale aufweist, welche das äußere Erscheinungsbild des Kennzeichens einer der in § 86 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4
StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen prägen, und dadurch dessen Symbolgehalt vermittelt (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2002, NJW 2002, 3186). Dies ist bei den genannten Zahlenfolgen nicht der Fall (vgl. LG Osnabrück,
Urt. v. 21.4.2005 - 10 KLs 46/03 - m. w. N.). Ob eine Strafbarkeit nach der Regelung des § 130 Abs. 4 StGB n. F. gegeben ist, bedarf keiner Feststellung, da diese Strafnorm erst mit Art. 2 des Gesetzes vom 24.3.2005 (BGBl. I S. 969)
in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Soweit das Verwaltungsgericht eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darin erblickt, dass die Verwendung der Zahl 14 von den Teilnehmern des Aufzuges als Aufruf zur
Begehung von Straftaten hätte verstanden werden können, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Der Sinn und Zweck der Verwendung derartiger verschlüsselter Zeichen auf der Versammlung bestand ja gerade darin,
die Verwirklichung von Straftatbeständen durch Verwendung nicht strafbarer, jedoch im rechtsextremistischen Spektrum beliebter Zeichen bzw. Botschaften zu vermeiden. Ihre Verwendung ist so vielmehr Ausdruck des Willens der
Versammlungsteilnehmer, die Verwirklichung von Straftatbeständen zu verhindern. Für die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefährdungsprognose fehlt es so an tragfähigem Prognosematerial.
Ebenso wenig zulässig war eine Untersagung des Tragens von Kleidungsstücken mit diesen Ziffernfolgen zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Es ist nicht erkennbar, dass durch deren sichtbares Tragen die grundlegenden sozialen
und ethischen Anschauungen in erheblicher Weise verletzt worden waren. Dies setzt zunächst voraus, dass derartige Zeichen von einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt dem historischen Nationalsozialismus zugeordnet werden
können. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die durch die Zahlen 1 und 8 erfolgte verschlüsselte Verweisung auf den ersten und achten Buchstaben des Alphabets war und ist für einen großen Teil der Öffentlichkeit nicht erkennbar.
Dies gilt erst Recht für Zahl 14. Den darin enthaltenen Verweis auf die sog. ‚14 WORDS' des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane sowie deren Bedeutung ist nur Personenkreisen bekannt, die über eine besondere Sachkunde
verfügen, weil sie sich entweder intensiv mit dem Rechtsextremismus befassen oder selber der rechtsextremen Szene zugehörig sind. Damit wird eine Untersagung des sichtbaren Tragens dieser Zeichen nur bei Vorliegen besonderer
Ausnahmetatbestände möglich sein. Die oben dargelegte verfassungsrechtliche Schwelle, bei deren Überschreiten die Zulässigkeit eines Verbot des Tragens dieser Zahlenfolgen zum Schutz der öffentlichen Ordnung angenommen
werden könnte, war bei der hier vergleichsweise geringen kommunikativen Wirkung und Intensität des Tragens dieser Zeichen jedenfalls noch nicht berührt. Gefährdungen der öffentlichen Ordnung durch besonders provokative
Formen des Tragens dieser Zahlen, etwa in Übergröße, kann gegebenenfalls durch entsprechende Auflagen Rechnung getragen werden. Die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch das (sichtbare)
Tragen von Kleidungsstücken mit diesen Zahlenfolgen in einer öffentlichen Versammlung scheidet damit aus.
c. Zu Recht abgewiesen hat das Verwaltungsgericht die Klage, soweit sie sich gegen die unter Nr. I. 9 verfügte Auflage richtet, wonach die Liedtexte bis eine Stunde vor deren Vortrag einzureichen sind. Diese erweist sich als
rechtmäßig. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, welches von der Erforderlichkeit dieser Auflage ausgegangen ist, da seitens des Klägers unstreitig eine namentliche Benennung der Musikbands und
Liedermacher bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nicht erfolgt war. Auch im Berufungsverfahren wurde diese tatsächliche Feststellung des Gerichts nicht bestritten. Bei dieser Sachlage war es der Beklagten nicht möglich,
in die erforderliche Prüfung einzutreten, ob eine konkrete Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewärtigen war. Grundsätzlich erforderlich für die Zulässigkeit einer derartigen Auflage ist das Vorliegen einer
konkreten Gefährdungslage i. S. v. § 15 Abs. 1 VersammlG (vgl. Beschl. des Senats v. 4.4.2002, SächsVBl. 2002, 216; OVG LSA, Beschl. v. 3.8.2007 - 2 M 236/07 -, zitiert nach juris). Eine solche Gefährdungslage kann zwar
grundsätzlich nur angenommen werden, wenn hinsichtlich der jeweiligen Gruppe bzw. des jeweiligen Sängers konkrete Hinweise für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. öffentlichen Ordnung vorliegen. Handelt es sich
jedoch bei dem Anmelder der Versammlung bzw. deren Teilnehmern um Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, ist der Anmelder vor dem Hintergrund von bereits bei anderen von Rechtsextremisten
angemeldeten Versammlungen in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten (vgl. hierzu die Feststellung in OVG LSA a. a. O.) und aufgrund der vor diesem Hintergrund gegenüber der Versammlungsbehörde gesteigerten
Kooperationspflicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, 357) zunächst zur Benennung der auftretenden Musikgruppen und Einzelsänger verpflichtet, um so der Behörde eine Einschätzung der Gefahrenlage zu
ermöglichen. Kommt er, wie hier, dieser Verpflichtung nicht nach, verstößt es angesichts des dann für Versammlungsbehörde bestehenden Anlasses zu einer eingehenderen Prüfung der Sachlage nicht gegen das
Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn sie sich nicht auf die Aufforderung der Benennung der Gruppen und Sänger beschränkt, sondern vom Anmelder auch die Vorlage der Liedtexte binnen angemessener, d. h. noch einhaltbarer Frist vor
dem Vortrag der Liedtexte verlangt. Da bei einer solchen Konstellation nicht von vornherein auszuschließen ist, dass auch Gruppen und Liedermacher auftreten werden, die (möglicherweise) volksverhetzende Liedtexte in ihrem
Repertoire haben, muss es der Behörde möglich sein, innerhalb kürzester Zeit die Untersagung des Vortrages einzelner Liedtexte zu prüfen, ohne zugleich auf ein Auftrittsverbot zurückgreifen zu müssen. Die Auflage hat so im
Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip dem Umstand Rechnung getragen, dass - anders als bei einer rechtzeitigen Benennung der Vortragenden durch den Anmelder - keine Zeit mehr für gegebenenfalls erforderliche
Nachermittlungen seitens der Versammlungsbehörde bestanden hatte. Da vorliegend für den Kläger noch hinreichend, d. h. nach Erlass des Bescheides noch mehrere Tage Zeit verblieb, der Behörde die Texte vorzulegen, begegnet der
(angefochtene) Teil der Auflage keinen Bedenken.
d. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid unter Nr. I. 12 Satz 2 verfügte Auflage richtet, wonach das Rufen diverser Parolen, unter anderem der Parole ‚Ruhm und
Ehre der Waffen-SS' untersagt worden ist.
Die Klage ist in diesem Punkt bereits unzulässig, soweit sie andere als die sich auf die Waffen-SS beziehende Parolen betrifft. Der Kläger hat diesbezüglich das Feststellungsinteresse nicht dargetan. Dies erfordert, wie festgestellt, im
Fall der Durchführung einer Versammlung die Darlegung einer wesentlichen Erschwerung des kommunikativen Anliegens durch die Untersagung der jeweiligen Losung bzw. Wortfolge. Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht
Genüge getan. Während er in der Begründung seines Widerspruchs noch ausgeführt hatte, dass sich die Anfechtung der Auflage nur gegen das Verbot der Wortfolge ‚Deutscher Widerstand' (ggf. auch ‚Freier Deutscher Widerstand')
sowie die Parole ‚Zionisten - Mörder und Faschisten' richte, enthält die Klageschrift keine konkreten Ausführungen zu den einzelnen Losungen und Wortfolgen. Im Berufungsverfahren wird konkret nur die Untersagung der Parole
‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS' in Zusammenhang mit ihrer strafrechtlichen Zulässigkeit erwähnt. Damit ist - von der zuletzt genannten Losung abgesehen - nicht dargetan, durch welche Teile der Auflage die Versammlung sonst
noch konkret in ihren kommunikativen Belangen beeinträchtigt worden ist.
Zulässig ist damit die Fortsetzungsfeststellungsklage nur, soweit sie sich gegen die Untersagung der Losung ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS' richtet. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass diese Losung vom Kläger im
Widerspruchsverfahren nicht angefochten worden ist. Insofern sich die Auflage noch vor Eintritt ihrer Bestandskraft mit der Durchführung der Versammlung am 3.10.2002 erledigt hatte, war die Klage nicht an die für die
Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage vorgesehene Frist des § 74 VwGO gebunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.1999, BVerwGE 109, 203, 206). Damit konnte diese Parole noch nachträglich, ohne vorherige Durchführung eines
Vorverfahrens in die Fortsetzungsfeststellungsklage einbezogen werden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Zwar ist, worauf der Kläger zutreffend hinweist, das Rufen dieser Parole nicht nach § 86 a StGB strafbar. Sie ist weder der Parole der Waffen-SS (‚Meine/unsere Ehre heißt Treue') noch derjenigen der Hitlerjugend (‚Blut und Ehre')
zum Verwechseln ähnlich und erfüllt damit nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB (vgl. BGH, Urt. v. 28.7.2005 - 3 StR 60/05 - Rn. 5ff., zitiert nach juris). Ob das Rufen dieser Parole den mit Art. 2
des Gesetzes vom 24.3.2005 (BGBl. I S. 969) neu geschaffenen Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB verwirklicht, bedarf keiner Feststellung, da diese Strafnorm seinerzeit noch nicht in Kraft war. Zutreffend hat das
Verwaltungsgericht jedoch ausgeführt, dass die Untersagung deshalb rechtmäßig war, weil sie zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung geboten war. Das Rufen einer derartigen Parole, mit der eine
Organisation des nationalsozialistischen Regimes in dieser Form idealisiert und verherrlicht wird, stößt auf allgemeine Empörung und verletzt insbesondere die Angehörigen von Opfern in ihren Gefühlen (vgl. BGH a. a. O. Rn. 6). Da
ein Aufzug, in dem eine derartige die Waffen-SS verherrlichende Parole gerufen wird, zugleich den Eindruck einer Identifikation mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erweckt und durch das hiermit verbundene Wachrufen
der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003 a. a. O.), war entgegen der Auffassung des Klägers von einer die Auflage rechtfertigenden
unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung auszugehen. ..." (OVG Sachsen, Urteil vom 13.07.2009 - 3 B 137/06 - Wanderkessel - Kessel 6)
***
Für den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG, mit der eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgewehrt werden soll, kann vom Veranstalter eine Verwaltungsgebühr
erhoben werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2009 - 1 S 1678/07).
***
Die Bestimmung in § 1 III FStrG, wonach Bundesautobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind, schließt eine Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke nicht von vornherein aus. Die Entscheidung,
ob und ggf. unter welchen Auflagen ein Autobahnabschnitt für eine Versammlung frei gegeben wird, trifft die Versammlungsbehörde nach § 15 VersammlG nach Beteiligung der ansonsten für die Erteilung einer
Sondernutzungserlaubnis bzw. einer Erlaubnis nach § 29 II 1 StVO zuständigen Behörden (VGH Kassel, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08, NJW 2009, 312).
Das anlässlich des Castor-Transports im November 2004 im Wege der Allgemeinverfügung angeordnete präventive Versammlungsverbot ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ohne das zeitlich und räumlich beschränkte
Versammlungsverbot wäre es den Einsatzkräften der Polizei und des Bundesgrenzschutzes unter Berücksichtigung der Länge der Transportstrecke, des teilweise schwer überschaubaren Geländes und der zu erwartenden Zahl von
mehreren tausend Demonstranten voraussichtlich nicht möglich gewesen, die Durchführung des Castor-Transports ohne erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.05.2008 - 11
LC 138/06, DVBl 2008, 987)
Zu den Voraussetzungen einer auf § 15 VersG gestützten Allgemeinverfügung (in Anschluss an OVG Greifswald, Beschluss vom 31.05.2007 - 3 M 53/07 - in diesem Heft S. 290). Eine auf § 15 VersG gestützte Allgemeinverfügung
ist nur eingeschränkt anzuwenden, wenn ihre vollumfängliche Anwendung zu einer Grundrechtsverletzung führen würde, weil die Versammlung nach Art und Umfang eine von der der Allgemeinverfügung bereits zugrunde liegenden
Rechtsgüterabwägung abweichende Beurteilung erfordert (OVG Greifswald, Beschluss vom 01.06.2007 - 3 M 58/07, NordÖR 2007, 300).
Die im Zusammenhang mit dem G 8 - Gipfel erfolgte Übertragung von Zuständigkeiten auf die Polizeidirektion Rostock nach § 2 a der Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach dem Versammlungsgesetz i.d.F. der
Verordnung vom 19.01.2007 ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Ein Versammlungsverbot nach § 15 I VersG kann durch Allgemeinverfügung nach § 25 S. 2, 1. Alt. VwVfG M-V erlassen werden, wenn sie auf ein nach
objektiven Merkmalen bestimmbares Gesamtgeschehen ergeht und sich an eine Vielzahl von Veranstaltern richtet (hier G 8 - Gipfel). Zur Kollision des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG im Zusammenhang mit
einer Staatsveranstaltung (OVG Greifswald, Beschluss vom 31.05.2007 - 3 M 53/07, NordÖR 2007, 290).
Bereits zwei Personen können eine Versammlung im verfassungs- und versammlungsrechtlichen Sinne bilden. Eine stille Mahnwache, bei der politische Plakate mit rechtsgerichtetem Inhalt gezeigt werden, kann nicht allein unter
Hinweis auf den Charakter und die Würde des Volkstrauertags verboten werden; dies gilt auch dann, wenn die Mahnwache in der Nähe einer offiziellen Gedenkfeier veranstaltet wird (VGH Mannheim, Urteil vom 25.04.2007 - 1 S
2828/06, VBlBW 2008, 60).
Das Verbot einer rechtsextremen Versammlung zum "Gedenken an Rudolf Heß" in Wunsiedel 2005 war rechtmäßig, da eine Störung des öffentlichen Friedens i.S. des § 130 IV StGB konkret drohte (VGH München, Urteil vom
26.03.2007 - 24 B 06.1894, BayVerwBl 2008, 109).
Im Hinblick auf seine Funktion als Stellvertreter Hitlers ist eine Versammlung zu seinem Gedenken keine Veranstaltung zur Person Rudolf Heß, sondern eine Veranstaltung zumindest zur Billigung der NS-Gewalt- und
Willkürherrschaft. Die Abhaltung der verbotenen Gedenk-Veranstaltung würde auch die Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verletzen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Gesetz zur Änderung des
Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches die Möglichkeiten konkretisieren, gegen neonazistisch ausgerichtete Versammlungen unter freiem Himmel, insbesondere gegen solche wie die Aufmärsche in Wunsiedel, vorzugehen
(VGH München, Beschluss vom 10.08.2006 - 24 CS 06.1965, BayVerwBl 2006, 760).
***
Beschränkung einer Versammlung durch Sperrmaßnahmen der Polizei und Auflösung (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.11.2008 - OVG 1 B 5.06 - Eingrenzung der Nazi-Teilnehmer durch Absperrgitter - Kessel 5):
„... Die Klägerin ist die Jugendorganisation der NPD. Sie meldete Anfang November 2004 einen Aufzug mit Kundgebungen für den 8. Mai 2005 unter dem Motto ‚60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult' an. Der
Aufzug sollte ursprünglich vom Alexanderplatz über die Straße ‚Unter den Linden' am Holocaust-Mahnmal vorbei zum Brandenburger Tor führen, nach - gerichtlich bestätigten - Auflagen der Versammlungsbehörde sollte er bis zur
Friedrichstraße und dort bis zum Bahnhof (Endpunkt) verlaufen und erst Abschluss der für diesen Tag vorgesehenen Kranzniederlegung in der Neuen Wache nicht vor 14.00 Uhr beginnen. Nach Nichtbestätigung eines von der NPD
geplanten Aufzuges sollte der Aufzug des Klägers als gemeinsame Veranstaltung durchgeführt werden. Die geplante Demonstration der Klägerin war nur eine von einer Vielzahl vorgesehener Veranstaltungen zum 60. Jahrestag des
Kriegsendes im innerstädtischen Bereich; westlich des Brandenburger Tores veranstaltete der Berliner Senat mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Organisationen den ‚Tag der Demokratie', in der St. Hedwigs Kathedrale sollte am
späten Vormittag ein ökumenischer Gottesdienst stattfinden, an den sich die erwähnte Kranzniederlegung und ein Festakt im Deutschen Bundestag anschließen sollte, unter dem Motto ‚8. Mai - Tag der Befreiung' sollte ein sich als
Gegendemonstration begreifender Aufzug links-autonomer Gruppen nördlich der Spree bis an den Alexanderplatz führen. Am Tag der Veranstaltung errichtete die Polizei Sperren rund um den Sammelpunkt auf dem westlichen
Alexanderplatz und führte Einlasskontrollen der eintreffenden Demonstranten durch. Der Abmarsch und die Durchführung des Aufzuges wurden der Klägerin am späten Nachmittag untersagt, nachdem Veranstaltungsgegner die
Wegstrecke blockierten.
Mit der Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die polizeiliche Eingrenzung der Versammlungsteilnehmer am Startpunkt des Aufzuges durch Absperrgitter sowie die am Nachmittag erfolgte Untersagung des Aufzuges
rechtswidrig waren.
Bereits im Kooperationsgespräch mit der Klägerin am 23. März 2005 wies die Versammlungsbehörde darauf hin, dass bei der Wahl des Alexanderplatzes als Anfangspunkt des Aufzuges das Risiko bestehe, dass der Aufzug wegen der
dagegen zu erwartenden Proteste auf der angemeldeten Route tatsächlich nicht durchführbar sein könnte. Im Vorfeld des 8. Mai 2005 berichtete die Presse, die Berliner Regierung rufe so unverhohlen wie möglich zur
Gegendemonstration auf (TAZ vom 4./5. Mai 2005). Die Innenverwaltung setze auf den gesellschaftlich von einem breiten Spektrum angekündigten Zivilprotest. Der Innensenator wurde mit den Worten zitiert, er halte es für legitim,
dass sich friedliche Bürger in ‚der Nähe des rechtsextremistischen Aufzuges' sammelten. Laut TAZ Berlin vom 9. Mai 2005 erklärte der Regierende Bürgermeister in einer Rede am 7. Mai 2005 vor dem Brandenburger Tor mit Bezug
auf die Versammlung der Klägerin: ‚Wir sind aufgerufen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten.'
Am 8. Mai 2005 bemerkte die Versammlungsleitung der Klägerin während des Aufbaus der Technik, dass die Polizei das Gelände um den Versammlungsort am Alexanderplatz absperrte. Um den durch Absperrgitter abgegrenzten
Veranstaltungsraum befanden sich noch zwei weitere Sperrlinien. Der Versammlungsleiter der Klägerin forderte die Polizei mehrere Male auf, die Eingrenzung zu entfernen oder erheblich weiter zu fassen. Die Polizei stellte eine
Änderung in Aussicht, wenn eine Notwendigkeit dafür erkennbar werden würde.
Um 9.00 Uhr begann eine angemeldete Gegendemonstration am Bertolt-Brecht-Platz. Dieser Aufzug führte bis zur Kreuzung Alexanderplatz/Memhardtstraße/Karl-Liebknecht-Straße. Um 11:30 Uhr schätzte die Polizei die Zahl deren
Teilnehmer auf etwa 6.000 Personen, darunter etwa 1000 als gewaltbereit eingestufte Personen. Nach dem Beendigung dieses Demonstrationszuges gegen 13.00 Uhr wurden an vier Stellen in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes
durch jeweils 200-300 Mann starke Gruppen Vermummter Steine aufgenommen. In einem Fall kam es zu einem Barrikadenbau.
Um 11.06 Uhr verteilten Teilnehmer des Tages für Demokratie vor dem Brandenburger Tor Flugblätter, auf denen dazu aufgerufen wurde, sich um 13.00 Uhr am Alexanderplatz der klägerischen Versammlung in den Weg zu stellen.
Laut einer Zeitungsmeldung (TAZ Berlin vom 9. Mai 2005) erklärte um 11.10 Uhr ein Polizeisprecher am Alexanderplatz, die Polizei werde die Demonstration der Klägerin nicht ‚durchprügeln', wenn beispielsweise 5.000
Gegendemonstranten auf der Straße stünden.
Vor dem Abmarsch des Aufzuges der Klägerin kam es zu Verzögerungen, weil die Polizei dem Versammlungsleiter aufgab, nachträglich 26 Ordner festzulegen. Nach Angaben der Klägerin wurden Ordner wegen strafrechtlicher
Ermittlungsverfahren nicht akzeptiert. Nach Angaben der Beklagten waren von 29 benannten Ordnern nur drei erschienen. Die Überprüfung der Zuverlässigkeit und Geeignetheit der Ordner war nach Polizeiangaben um 13.42 Uhr
beendet. Der Zustrom von Teilnehmern der Versammlung der Klägerin dauerte nach Polizeiangaben bis 14.45 Uhr, als 3.325 Teilnehmer gezählt wurden.
In diesem Zeitraum ergab sich eine Lage außerhalb der abgesperrten Sammelzone, die die Polizei dazu veranlasste, den Abmarsch des Aufzuges hinauszuzögern. Nach deren Angaben wurden folgende Bewegungen von
Gegendemonstranten festgestellt:
13.13 Uhr: 100 vermummte Personen im Bereich Holzmarktstraße/Schillingstraße
13.15 Uhr: 600 Personen S-Bahn-Brücke Karl-Liebknecht-Straße
13.23 Uhr: 250 Punks S-Bahn-Brücke Rathausstraße
13.58 Uhr: 500 - 1000 Personen Friedrichstraße - Weidendamm
13.59 Uhr: 1100 Personen Liebknechtbrücke
14.03 Uhr: 3 U-Bahn-Waggons mit vermummten Personen U-Bahnhof Französische Straße; 100 Personen U-Bahnhof Märkisches Museum Richtung Mühlendamm
14.30 Uhr: Schloßbrücke wegen starken Drucks von Polizei aufgegeben
14.31 Uhr: 3.500 Personen auf Liebknechtbrücke - 1.000 Personen auf Mühlendammbrücke
14.42 Uhr: Wasserwerfer Mühlendammbrücke und Liebknechtbrücke
15.12 Uhr: mehrere Hundert Störer im und auf dem Palast der Republik
05.18 Uhr: im Bereich Liebknechtbrücke werden Brandsätze vorbereitet
15.33 Uhr: Sprechchöre auf klägerischer Versammlung, in die Bewegung zu gehen; Ordner legen Handschuhe an, ‚Schwarzer Block' formiert sich
15.37 Uhr: vor Liebknechtbrücke 3 Mal Lautsprecherwagen-Aufforderung, sich zu entfernen
15:39 Uhr: Kurzzeitiger Durchbruch von 15 Personen an der Mühlendamm-brücke
15:48 Uhr: Gegendemonstranten strömen Richtung Jannowitzbrücke
15:54 Uhr: klägerische Versammlung formiert sich zum Aufzug; Sprechchöre
Die Klägerin drängte auf einen Abmarsch. Dies wurde von der Polizei unter Hinweis auf die Blockade der Liebknechtbrücke versagt. Der Versammlungsleiter forderte die Polizei auf, gegen die Blockade vorzugehen. Es wurde ihm
zugesagt, dass ein Ansprechen der Blockadedemonstranten erfolgen solle. Kurz darauf, gegen 16.10 Uhr, teilte die Gesamtleitung der Polizei mit, dass sie eine Räumung der Strecke für unverhältnismäßig halte und deshalb der Aufzug
auf der ursprünglichen Strecke untersagt werde. Als dies um 16.18 Uhr über Lautsprecher auf der Versammlung der Klägerin bekannt gegeben wurde, kam es innerhalb der nächsten drei Minuten zu zwei Durchbruchversuchen von
Teilnehmern. Danach überreichte der Versammlungsleiter der Klägerin in Anwesenheit eines Rechtsanwalts dem Kontaktbeamten der Polizei eine Karte mit einer Ausweichroute über die Jannowitzbrücke. Diese Route wurde etwa 15
Minuten später unter Hinweis auf dort sich sammelnde Störer abgelehnt. Daraufhin forderte der Versammlungsleiter die Polizei auf, ihrerseits eine Ersatzroute vorzuschlagen. Gegen 17 Uhr teilte die Polizei mit, dass ein Abmarsch des
Aufzuges untersagt werde. Trotz Aufforderung lehnte es die Polizei ab, den polizeilichen Notstand zu erklären.
Laut einer Zeitungsmeldung (TAZ Berlin vom 9. Mai 2005) informierte die Polizei um 16.10 Uhr die Gegendemonstranten auf der Rathausbrücke über die Absage des klägerischen Aufzuges. Ein Polizist soll in die Menge gerufen
haben: ‚Danke für ihre Mitarbeit und den friedlichen Protest'. Am 10. Mai 2005 meldete der Tagesspiegel, der Regierende Bürgermeister habe das friedliche Engagement gegen die Demonstration der Klägerin gelobt.
Die Klägerin begründet ihr Feststellungsinteresse mit bestehender Wiederholungsgefahr, mit der Verletzung von Grundrechten aus den Art. 3, 5 und 8 GG und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Das Verhalten der Polizei sei
rechtswidrig gewesen. Das Demonstrationsrecht der Klägerin sei durch tatsächliche Einschränkungen faktisch unmöglich gemacht worden. Der Raum, auf dem mehrere tausend Menschen hätten ausharren müssen, sei ausgesprochen
eng gewesen. Teilnehmer der Veranstaltung seien daran gehindert worden, den abgesperrten Bereich zu verlassen. Die ‚Einkesselung' habe sich faktisch wie ein Totalverbot der Versammlung ausgewirkt, da unter diesen Bedingungen
eine ernsthafte kollektive Meinungskundgabe nicht mehr habe erfolgen können. Die Polizei habe niemals ernsthaft den Versuch unternommen, die Blockade an der Schlossbrücke zu durchbrechen. Einsatzkräfte seien erst tätig
geworden, als die Blockaden vollendet gewesen seien. Auch dann hätten sie es bei bloßen Warnungen an die Störer belassen. Die Maßnahmen, die stattgefunden hätten, seien inszeniert gewesen. Als sich die Blockade an der
Schlossbrücke abgezeichnet habe, hätte die Polizei die Gewalttäter vom Dach des Palastes der Republik entfernen und alle polizeilichen Mittel einsetzen müssen, um die Blockierer von der Straße zu entfernen. Friedliche Blockierer
hätten leicht abgedrängt werden können, etwa hätten Platzverweise und die vorübergehende Ingewahrsamnahme schon etwas bewirkt. Der Einsatz oder die Androhung von Zwangsmitteln hätte einen großen Teil der nicht
gewaltbereiten Personen veranlasst, die Straße zu räumen. Straftaten des gewaltbereiten Teils der Demonstranten hätte die Polizei verhindern müssen. Nicht einmal der Bau von Barrikaden durch 200 bis 300 vermummte Personen sei
unterbunden worden. Im Vorfeld habe es die Polizei unterlassen, blockadewillige Gegendemonstranten daran zu hindern, in den Bereich der Demonstrationsroute zu gelangen. Durch frühzeitiges Eingreifen hätte die Polizei verhindern
können, dass die Blockierer in den Bereich der Straße ‚Unter den Linden' gelangt wären. Einfache Polizeisperren am Brandenburger Tor und an den Seitenstraßen zu ‚Unter den Linden' hätten dazu gereicht. Zwischen 9 und 10 Uhr
morgens sei die Aufzugstrecke noch fast menschenleer gewesen. Es sei erklärungsbedürftig, warum die Polizei Gegendemonstranten vor Durchführung des Staatsaktes in der Neuen Wache ungehindert zur Schlossbrücke habe ziehen
lassen. Am Vorabend habe es ein Treffen der gewaltbereiten linken Szene im ‚Mehringhof' in Kreuzberg gegeben. Es sei davon auszugehen, dass dabei Mitarbeitern des Beklagten bekannt geworden sei, welche Maßnahmen von den
Störern geplant gewesen seien. Da die Veranstaltung der Klägerin die erste angemeldete Demonstration gewesen sei, hätten die Veranstaltungen der Störer räumlich so gelegt werden müssen, dass die Versammlung der Klägerin nicht
wirkungsvoll hätte gestört werden können. Die Polizei habe einen polizeilichen Notstand leichtfertig, wenn nicht vorsätzlich herbeigeführt. Der Beklagte habe in der Nähe des Versammlungsortes ein zweitägiges Straßenfest in dem
Wissen organisiert, dass dadurch Gegendemonstranten die Möglichkeit eröffnet worden sei, die Versammlungsstrecke der Klägerin zu blockieren. Der Leiter der Versammlungsbehörde habe Vertretern der Klägerin schon mehrere
Monate vor dem 8. Mai 2005 telefonisch angekündigt, dass der Aufzug vom Alexanderplatz nicht wegkommen werde. Es seien in der Spitze der Berliner Innenverwaltung Pläne ausgearbeitet worden, wie man die
JN-NPD-Demonstration durch Ermunterung von Störern praktisch undurchführbar machen könne. Mit seiner öffentlichen Äußerung am Vortage der Versammlung habe der Regierende Bürgermeister öffentlich zur Begehung von
Straftaten gemäß § 111 StGB, § 21 VersG aufgerufen. Die Bundesministerin Künast und der Bundestagsabgeordnete Ströbele hätten zur Blockade der Versammlung der Klägerin aufgefordert. Zur Verhinderung des Aufzuges habe es
ein Zusammenspiel der Polizei mit gewaltbereiten Demonstranten zur zielgerichteten Verhinderung des Aufzuges gegeben. Kein blockierender Demonstrant habe etwas befürchten müssen. Es sei schon im Vorfeld geäußert worden,
dass man wegen der JN-NPD-Kundgebungsteilnehmer nicht gewaltsam räumen werde. Polizisten hätten Beifall geklatscht, als die Versammlungsteilnehmer der Klägerin den Antreteplatz verlassen hätten.
Entgegen den Behauptungen des Beklagten habe kein Teilnehmer der Veranstaltung der Klägerin die unmittelbare Konfrontation mit Gegendemonstranten gesucht. Die Polizei habe lediglich das Lager der Klägerin daran gehindert,
sich in Bewegung zu setzen, während das Lager der gezielten Störer sich ungehindert habe bewegen können. Würde das Verhalten der Polizei gerichtlich gebilligt, so würden in der Zukunft derartige Versammlungen der Klägerin und
ihrer Mutterpartei faktisch unmöglich gemacht.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten: Die Absperrung des Antrete- und Kundgebungsplatzes habe einerseits dazu gedient, die Versammlungsteilnehmer vor Störern zu schützen und andererseits Störungen von ‚Rechts'
abzuwehren, wie sie am 1. Mai 2004 in Berlin, am 1. Mai 2005 in Leipzig und am 13. Februar 2005 in Dresden bei NPD-Kundgebungen festgestellt worden seien. Dazu sei eine Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten
etwa auf Wurfweite erforderlich, auch um eine Operationsfläche für Polizeieinsätze freizuhalten. Es sei ein ständiger Wechsel von und zum inneren Antreteplatz vor allem in Richtung Fernsehturm möglich gewesen. Die Anordnung,
die Versammlung der Klägerin nicht in einem Aufzug übergehen zu lassen, sei rechtmäßig gewesen. Es hätten sowohl die Voraussetzungen einer Auflage als auch eines Teilverbots vorgelegen, auch soweit die Klägerin als
Nicht-Störerin wegen der drohenden Gefahr durch Gegendemonstranten in Anspruch genommen worden sei. Die Klägerin habe die Zweifel an der Durchführbarkeit des angemeldeten Aufzugs gekannt. Seit dem Jahr 2000 sei es nur
einmal gelungen, einen rechtsextremistischen Aufzug in der Mitte Berlins wie angemeldet durchzuführen. Wegen des zeitgleich vor der ‚Neuen Wache' stattfindenden Staatsakts habe der Aufzug keinesfalls vor 14.00 Uhr in Bewegung
gehen können. Diese Prognosen hätten als zutreffend erwiesen. Der Beklagte habe keine vertretbare Möglichkeit gehabt, die Veranstaltung der Klägerin wie angemeldet zu gewährleisten. Gegen 15.00 Uhr seien neben den 3.500
Personen auf der Liebknechtbrücke und den 1.000 Personen auf der Mühlendammbrücke im gesamten westlichen Bereich um den Alexanderplatz herum mobile Kleingruppen unterwegs gewesen, wobei friedfertige
Gegendemonstranten nicht von gewaltbereiten Störern zu trennen gewesen seien. Bereits um 14.00 Uhr sei nach eigenen Beobachtungen des Terminsvertreters des Beklagten der Alexanderplatz nur noch über die Oranienburger Straße
zu verlassen gewesen. Die Friedrichstraße sei nicht mehr befahrbar gewesen. Auch im Bereich der Jannowitzbrücke habe eine erhebliche Fußgängerfrequenz geherrscht.
Die Chronologie der Ereignisse belege, dass der Aufzug in der angemeldeten Form bereits zu einem Zeitpunkt undurchführbar geworden sei, als sich die Versammlung der Klägerin noch in der Sammelphase befunden habe. Zu diesem
Zeitpunkt hätte eine Auflösung der Blockaden zur Durchsetzung des Aufzuges so erhebliche Gefahren für alle Beteiligten mit sich gebracht, dass die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten gewesen wären. Eine Ausweich-
oder Ersatzroute sei nicht in Betracht gekommen. Das gesamte Areal um den Alexanderplatz herum sei außerhalb der polizeilichen Absperrungen mit Gegendemonstranten besetzt gewesen. Wie der kurzfristige Zustrom zur
Jannowitzbrücke nach Gerüchten über eine Ersatzstrecke gezeigt habe, sei damit zu rechnen gewesen, dass der zu erwartenden Gegendruck zeitnah auch die Ersatzroute erfasst hätte. Es brauche Zeit und Vorbereitung, um einen
Aufzug von 3.000 Menschen mit Polizeibegleitung in Bewegung zu setzen. Diese Zeit hätten Gegendemonstranten zur Blockade jedweder Route nutzen können. Es habe zudem keine Örtlichkeit zur Verfügung gestanden, die die
Versammlungsteilnehmer zuzüglich der zu ihrem Schutz erforderlichen Einsatzkräfte einschließlich eines geordneten und zügigen Abtransportes hätte aufnehmen können. Der S-Bahnhof Jannowitzbrücke hätte beispielsweise diesen
Anforderungen nicht genügt. Es habe mit gewalttätigen Aktionen beider Seiten gerechnet werden müssen. In dieser Lage, in der beide Seiten mehrere tausend Personen stark gewesen seien und die unmittelbare Konfrontation gesucht
hätten, habe es der Beklagte nicht verantworten können, auch nur eines der Lager in eine geschlossene Bewegung gehen zu lassen.
Die Möglichkeit, die Aufzugstrecke von vornherein freizuhalten, habe schon wegen des Gottesdienstes in der St. Hedwigs Kathedrale und des anschließenden Festaktes vor der Neuen Wache nicht bestanden. Praktisch wäre ein
Freihalten der Strecke angesichts des Gegendrucks nur möglich gewesen, wenn die komplette östliche City südlich in Höhe der Leipziger Straße, nördlich in Höhe der Spree bzw. der Oranienburger Straße und westlich am Platz des
18. März gesperrt worden wäre. Diese Sperrung hätte den ganzen Tag über andauern müssen. Dies sei vom Versammlungsrecht der Klägerin nicht umfasst. Die Straße Unter den Linden hätte nicht isoliert freigehalten werden können,
insbesondere auch wegen der dort befindlichen Plätze.
Der Leiter der Versammlungsbehörde habe im Vorfeld der Versammlung lediglich auf die Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit Versammlungen rechtsextremer Gruppierungen hingewiesen. Soweit die Klägerin beanstande, dass
Polizeibeamte teilweise den Dialog mit den Gegendemonstranten gesucht hätten, so verkenne sie, dass auch mit Mitteln der Deeskalation versucht worden sei, dem Versammlungsrecht der Klägerin im Rahmen des nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Möglichen zu entsprechen.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 8. März 2006 festgestellt, dass die durch Absperrgitter der Polizei auf dem Alexanderplatz erfolgte Eingrenzung der Teilnehmer des für den 8. Mai 2005 angemeldeten Aufzugs der
Klägerin insoweit rechtswidrig war, als die für die Versammlungsteilnehmer zur Verfügung stehende Fläche zu klein war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Grunde nach sei es zulässig gewesen, den Versammlungsort durch drei Sperrlinien von gewaltbereiten Gegendemonstranten zu trennen, um bei etwaigen Durchbrüchen von beiden Seiten eine Distanz in Steinwurfweite und einen
Operationsraum für die Polizeieinsatzkräfte freizuhalten. Die Klägerin habe insoweit sowohl als Störer als auch als Nicht-Störer in Anspruch genommen werden können, weil einerseits eine nicht anders abwendbare Gefahr für Leib
und Leben der Versammlungsteilnehmer und der eingesetzten Polizeikräfte durch gewaltbereite Gegendemonstranten bestanden habe und die Erfahrungen mit Versammlungen der NPD am 1. Mai 2004 in Berlin sowie Anfang 2005 in
Dresden und Leipzig belegten, dass auch unter den Versammlungsteilnehmern Personen seien, die die direkte gewaltsame Konfrontation mit Gegendemonstranten suchten. Letzteres habe sich auch bestätigt, als es nach der Absage des
Aufzuges kurzzeitig zu Durchbruchsversuchen gekommen sei. Die Fläche innerhalb des inneren Sperrriegels sei indessen angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes zu eng bemessen worden. Die Polizei habe den Nachweis
nicht erbracht, dass die Begrenzung des Versammlungsorts unter freiem Himmel auf dieses enge Maß erforderlich gewesen sei. Insoweit sei es nicht Sache der Klägerin den Platzbedarf darzulegen; vielmehr müsse die Notwendigkeit
und Angemessenheit der vorgenommenen Beschränkung durch den Beklagten gerechtfertigt werden.
Der Abbruch des Aufzuges am Nachmittag des 8. Mai 2005 sei dagegen rechtmäßig. Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot unter Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer der Klägerin als Nicht-Störer hätten im
Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung vorgelegen. Ausnahmsweise sei ein Verbot zulässig, wenn die Polizei entweder nicht in der Lage sei, die öffentliche Sicherheit durch ein Vorgehen gegen gewaltbereite Gegendemonstranten
als Störer aufrecht zu erhalten (sog. echter polizeilicher Notstand), oder wenn Maßnahmen gegen die Störer eine größere Gefahr bzw. größere Schäden für Unbeteiligte hervorriefen als Maßnahmen gegen die Nichtstörer (sog. unechter
polizeilicher Notstand); letzteres sei dann der Fall, wenn die Polizei mit den vorhandenen Kräften zwar in der Lage sei, die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte durchzusetzen, hierzu aber Mittel wie z.B. Wasserwerfer,
Sonderwagen und Reizstoffe einsetzen müsste, die auch im Hinblick auf das zu schützende Versammlungsrecht außer Verhältnis stünden, und dabei Maßnahmen gegen Störer ergreifen müsste, die zu wesentlich größeren Schäden für
Unbeteiligte führten, d.h. die Schäden für die öffentliche Sicherheit bei einem Einschreiten gegen die Störer in einem extremen Missverhältnis zu den Nachteilen stehen würden, die im Vergleich dazu durch ein Vorgehen gegen die
friedliche Versammlung einträten. Gemessen daran hätten im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung am 8. Mai 2005 zwischen 14.00 bis 16.30 Uhr die tatsächlichen Voraussetzungen jedenfalls für die Annahme eines unechten
polizeilichen Notstandes vorgelegen, weil es unmöglich gewesen sei, die Sicherheit durch Inanspruchnahme der Störer des Aufzugs der Klägerin mit verhältnismäßigen Mitteln aufrecht zu erhalten. Als sich der Aufzug der Klägerin
frühestens hätte in Bewegung setzen können, gegen 14:45 Uhr, sei die Aufzugstrecke von Tausenden Gegendemonstranten versperrt gewesen. Auf der Liebknechtbrücke hätten sich 3.500 und auf der Mühlendammbrücke 1000
Personen aufgehalten. Zwar sei die Polizei verpflichtet gewesen, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung der Klägerin zu sorgen. Dies habe die Verpflichtung umfasst, Maßnahmen gegenüber den Störern zu
ergreifen. Dementsprechend habe der Beklagte Wasserwerfer auffahren lassen und zur Räumung der Brücke aufgefordert. Das Handlungsermessen der Polizei sei aber nicht derart reduziert gewesen, dass sie zu einer sinnlosen
Anwendung von Gewalt verpflichtet gewesen wäre. Die Brücken unter Anwendung von Gewalt zu räumen hätte zu einer Gefährdung von Leib oder Leben einer sehr großen Zahl von Menschen geführt. Wie der Beklagtenvertreter in
der mündlichen Verhandlung erläutert habe, wäre selbst der Einsatz von Wasserwerfern auf einer Brücke mit unkalkulierbaren Risiken verbunden gewesen. Die gesamte City Ost sei derart mit Menschen besetzt gewesen, dass die
Räumung einer einzelnen Brücke nicht dazu geführt hätte, dass die Aufzugstrecke frei geworden wäre. Im Übrigen wäre die Anwendung von Gewalt gegenüber der großen und dichten Menschenmenge rechtswidrig handelnder, aber
friedlich im Sitzstreik befindlicher Personen unverhältnismäßig gewesen. Eine geeignete Ersatzroute habe in diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden, weil auch mit deren Blockierung durch Gegendemonstranten zu rechnen
gewesen sei, ehe sich der Zug der Klägerin vollständig in Bewegung gesetzt hätte, so dass auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Versammlungsteilnehmern und Gegendemonstranten zu befürchten gewesen wären.
Es sei auch nicht zu erkennen, dass der Beklagte im Vorfeld der Versammlung der Klägerin Maßnahmen hätte treffen können und müssen, durch welche die im Zeitpunkt des Abbruchs der Versammlung die angespannte
Sicherheitslage hätte vermieden und die Durchführung des Aufzugs mit verhältnismäßigen polizeilichen Mitteln hätte gewährleistet werden können. Zwar sei eine staatliche Verpflichtung anzunehmen, die friedliche und waffenlose
Ausübung des Versammlungsrechts zu ermöglichen. Bei einer Lage, wo jeder rechtsextreme Aufzug, egal auf welcher Strecke, zu erheblichen Protesten führe und gewaltbereite Gegendemonstranten auf den Plan rufe, hänge es aber
von den Umständen im Einzelfall und der sich daraus ergebenden konkreten Gefahrenprognose ab, welche Schutzmaßnahmen die Polizei im Vorfeld treffen könne. Platzverweise gegenüber Personen, die sich in der Aufzugstrecke
aufhielten, seien nur zulässig, wenn sie als Störer erkennbar seien. Ohne solche Erkenntnisse könne die Route einer angemeldeten Versammlung nicht derart abgesperrt werden, dass es potentiellen Störern unmöglich gemacht werde,
in das Versammlungsgeschehen einzugreifen. Auch vorbeugende Aufenthaltsverbote gegenüber polizeibekannten Personen aus der den Veranstaltern einer Versammlung feindlich gesinnten Szene seien bei einer großen Zahl
gewaltbereiter Störer und einer noch größeren Zahl friedlicher Gegendemonstranten nicht ausreichend, um eine Gefahrensituation verhindern zu können, zumal dadurch Polizeieinsatzkräfte in großem Maße gebunden würden. Am 8.
Mai 2005, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, hätten im östlichen Innenstadtbereich nicht nur die Versammlung der Klägerin, sondern auch ein vom Berliner Senat veranstalteter ‚Tag für die Demokratie', eine Kranzniederlegung um
14:00 Uhr unter den Linden sowie Gegendemonstrationen gegen die Versammlung der Klägerin stattgefunden. In dieser Situation wäre eine Abriegelung der gesamten Wegstrecke des Aufzuges der Klägerin auch unter Einsatz einer
noch weit größeren Zahl von Polizeikräften unmöglich gewesen und hätte die Bewegungsfreiheit der übrigen Bürger in unzulässiger Weise beschränkt. Es sei angesichts der Plätze an der Straße Unter den Linden und angesichts der
Bedeutung des Bahnhofs Friedrichstraße für den öffentlichen Nahverkehr nicht mit verhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen, die Strecke freizuhalten.
Seine versammlungsrechtliche Neutralitätspflicht habe der Beklagte nicht verletzt. Die Berufung auf einen polizeilichen Notstand könne ihm daher nicht verwehrt werden. Äußerungen des Innensenators und des Regierenden
Bürgermeisters hielten sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen bzw. seien so unbestimmt gewesen, dass darin jedenfalls eine Aufforderung zur Blockade der Wegstrecke der Versammlung der Klägerin nicht gesehen werden könne.
Auch der Hinweis des Innensenators, dass man eine Demonstration nicht gegen Tausende friedlicher Demonstranten ‚durchknüppeln' werde, stelle eine zulässige Ermessenserwägung im Vorfeld dar.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren weiter. Das Einsperren der Versammlungsteilnehmer sei unabhängig von der dabei verbliebenen Innenfläche rechtswidrig
gewesen. Die Absperrung habe nicht der Trennung von Versammlungsteilnehmern und Gegendemonstranten gedient, sondern dem vorgefassten Plan des Beklagten entsprochen, den Aufzug nicht vom Ort kommen zu lassen. Diesem
Plan hätten auch die Aufrufe von Repräsentanten zur Teilnahme an der Gegendemonstration bzw. zur Sammlung in der Nähe der Versammlung der Klägerin gedient; genügend Gegendemonstranten seien als Alibi gebraucht worden,
um die von vornherein bestehende Zielsetzung zu verwirklichen. Die Argumentation des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Voraussetzungen einer Notstandslage, die eine Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer als
Nichtstörer zugelassen habe, sei nicht stichhaltig. Die Differenzierung des Verwaltungsgerichts zwischen gewaltbereiten Störern und friedlichen Blockierern sei nicht nachvollziehbar. Auch friedliche Bürger, die sich einer bestätigten
Versammlung in den Weg stellten, um die Versammlungsteilnehmer daran zu nötigen, die Versammlungsstrecke nicht ablaufen zu können, seien Rechtsbrecher, die sich nach Auffassung der Klägerin strafbar machten. Entgegen der
Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts sei es zulässig und je nach den Umständen auch geboten, Zufahrtstraßen zum Schutz einer bestätigten Versammlung zu sperren. Die Polizei habe sich neben den gegen die
Versammlungsteilnehmer gerichteten Absperrungen darauf beschränkt, gleichsam abzuwarten, bis die Versammlungsroute mit teilweise auch gewalttätigen Gegendemonstranten so voll gelaufen sei, dass der Aufzug nicht stattfinden konnte.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März 2006 zu ändern und festzustellen, dass
1. die durch Absperrgitter der Polizei auf dem Alexanderplatz erfolgte Eingrenzung der Teilnehmer des für den 8. Mai 2005 angemeldeten Aufzuges der Klägerin rechtswidrig war,
2. die vom Beklagten am selben Tage auf dem Alexanderplatz ausgesprochene Absage des Aufzuges Richtung Bahnhof Friedrichstraße rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung sei die vom Verwaltungsgericht zutreffend beurteilte Lage vor Ort und die konkrete
Gefahrenprognose im Zeitpunkt der zur Überprüfung gestellten Maßnahmen.
Der Senat hat die Leiter der Direktionen 1 und 3 der Berliner Polizei, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich die Aufzugroute lag, in der mündlichen Verhandlung angehört. Sie haben im Wesentlichen angegeben, dass das
Einsatzkonzept in beiden Bereichen darauf ausgerichtet gewesen sei, den Aufzug der Klägerin durchzuführen. Im Bereich der Polizeidirektion 3, die für die Wegstrecke Unter den Linden bis zur Friedrichstraße ab Liebknechtbrücke
zuständig gewesen sei, sei es jedoch nicht gelungen, die Wegstrecke gegen Veranstaltungsgegner effizient abzusichern. Man habe sich im Vorfeld gegen eine Komplettsperrung des gesamten Bereichs von etwa zwei Quadratkilometern
entschieden, weil damit nicht vertretbare Behinderungen des Verkehrsflusses innerhalb und außerhalb des Gebiets verbunden gewesen seien. Es habe auch keine rechtliche Handhabe dafür bestanden, bereits lange vor Beginn des
Aufzuges jedem Passanten, insbesondere auch Touristen, Anwohnern und Gewerbetreibenden, den Durchgang zu verweigern. Stattdessen sei eine Sperrung der Seitenstraßen zu der Aufzugroute der Klägerin zeitnah zur Durchführung
des Aufzuges durch die Einrichtung stationärer Sperren und Kontrollpunkte beabsichtigt gewesen. Dafür hätten ausreichende Kräfte (ca. 1300 Polizisten) und entsprechendes Gerät zu Verfügung gestanden. Über einen längeren
Zeitraum im Vorfeld hätten sich solche Maßnahmen gegen Störungswillige nicht aufrechterhalten lassen, weil ein Freihalten der Strecke erfahrungsgemäß Veranstaltungsgegner und Neugierige angezogen und damit die Gefahr von
Verletzung (sog. Pressing) erheblich gesteigert hätte. Tatsächlich habe man jedoch, nachdem man vermehrt sich in Bewegung befindliche potentielle Störergruppen in der Fläche des zu schützenden Raums ausgemacht habe, auf ein
Raumschutzkonzept mit mobilen Kontrollstellen umgestellt. Zeitgleich habe ein spontaner Aufzug der IG-Metall und ver.di vom Brandenburger Tor gen Osten begonnen, der zwecks Freihalten der Aufzugstrecke nach Süden von den
Linden abgedrängt und polizeilich habe begleitet werden müssen. Durch diese anderweitige Bindung von Einsatzkräften habe man mit den mobilen Kontrollen nicht verhindern können, dass immer mehr Veranstaltungsgegner auf die
Straße Unter den Linden und zu den Spreebrücken gelangt seien und diese schließlich blockiert hätten. Eine Räumung hätte erfordert, die Blockierer mit extremer Gewalt gegen die anströmenden weiteren Veranstaltungsgegner zu
treiben und sie seitlich abzudrängen. Der Zug der Klägerin hätte im Übrigen in Form eines sog. Wanderkessels durch die vorhandenen Menschenmassen gebracht werden müssen, zu dessen Sicherung nach Norden Kräfte vom
Alexanderplatz hätten abgezogen werden müssen, die dort weiterhin benötigt worden seien. Abgesehen von den drohenden Verletzungsfolgen für alle Beteiligten allein durch den polizeilichen Einsatz hätte ein störungsfreier Ablauf
des Aufzuges dadurch nicht gewährleistet werden können, weil sich die Abgedrängten innerhalb des Gebiets neu hätten sammeln können, um den Aufzug zu behindern. Der Senat hat weiter Videoaufzeichnungen des Beklagten von
der Mühlendammbrücke zur Zeit des Durchbruchs einer Gruppe von Veranstaltungsgegnern, der Liebknechtbrücke vor der Räumungsaufforderung und aus dem Bereich östlich der Bahnbrücke Karl-Liebknecht-Straße nach
Beendigung der angemeldeten Gegendemonstration angesehen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Verwaltungsstreitakte sowie der Akte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens (VG 1 A 103.04) auf den Verwaltungsvorgang des
Beklagten (4 Heftungen) verwiesen. ...
Die Berufung der Klägerinist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Teil des Streitgegenstandes, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist, zu Recht abgewiesen. Die sich letztlich versammlungsrechtlich
als Auflage im Sinne des § 15 VersammlG darstellende Beschränkung der Versammlung auf einen ortsfesten Verlauf auf dem westlichen Alexanderplatz war - ebenso wie die dort vorgenommenen Sperrmaßnahmen im Übrigen -
rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
Die Sperrmaßnahmen rund um den Fernsehturm bis hin zu den Seitenstraßen der Karl-Liebknecht-Straße, deren faktische Auswirkungen auf die Versammlung der Klägerin im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 Abs.
1 VwGO) auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen sind, waren - unbeschadet der rechtskräftig gewordenen erstinstanzlichen Feststellung - berechtigt. Der Versammlung der Klägerin drohten nach der Erkenntnislage Übergriffe durch etwa
1000 gewaltbereite Teilnehmer des Aufzuges, der am Vormittag vom Bertolt-Brecht-Platz nördlich der Spree bis nordöstlich des Alexanderplatzes geführt wurde, wie auch die Videoaufzeichnungen des Beklagten aus dem Bereich
östlich der Bahnbrücke Karl-Liebknecht-Straße nach Beendigung der angemeldeten Gegendemonstration, die einen Durchbruchversuch von Gegendemonstranten zeigen, eindrucksvoll deutlich gemacht haben . Die Abwehr dieser
unmittelbaren Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, nämlich Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer der Klägerin, rechtfertigte es, diese an sich polizeirechtlich gebotenen Absperrmaßnahmen in ihren faktisch
beschränkenden Auswirkungen auch für die Versammlung der Klägerin anzuordnen. Die Klägerin konnte insoweit allerdings auch selbst in Anspruch genommen werden, weil nach den erkennbaren Umständen auch mit gewaltbereiten
Teilnehmern aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer der Klägerin sicher gerechnet werden konnte, da sich das Potential der Teilnehmer von Großdemonstrationen der Klägerin im Wesentlichen aus demselben Personenkreis
rekrutiert und es im Verlauf vorangegangener Demonstrationen am 1. Mai 2004, am 13. Februar 2005 in Dresden und am 1. Mai 2005 in Leipzig zu gewalttätigen Ausschreitungen durch Angehörige dieses Personenkreises gekommen
war. Von einem versammlungsrechtlich unzulässigen Einschließen einer bestätigten, nicht aufgelösten Versammlung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1997 - 1 B 219.96 - NVwZ 1988, 250, Urteil vom 8. September 1981 - 1
C 88.77 - BVerwGE 64, 56; OVG NW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 - NVwZ 2001, 1970) kann in Ansehung der primär dem Schutz der Versammlung dienenden Maßnahmen keine Rede sein. Der Schutz der
Versammlung der Klägerin beschränkte sich im Übrigen, was die Sperrmaßnahmen nördlich und östlich der Karl-Liebknecht-Straße anging, auch nicht nur darauf, die Versammlung der Klägerin vor Übergriffen von
Gegendemonstranten zu schützen, sondern ermöglichte es zugleich, im Sinne einer Vorfeldmaßnahme den ersten Teil der Aufzugstrecke im Einsatzabschnitt der Direktion 1 bis zur Liebknechtbrücke freizuhalten.
Den Aufzug nicht beginnen zu lassen und schließlich zu untersagen, war auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG ebenfalls rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen
abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die
Anwendung dieser Bestimmung erfordert grundsätzlich, dass die Gefahr - auf der Grundlage einer durch Tatsachen, Sachverhalte und sonstiger Einzelheiten gestützten Prognose für dem Versammlungsrecht gleichwertige Schutzgüter
- von der Versammlung ausgeht, wobei die Unfriedlichkeit einzelner Teilnehmer der Versammlung regelmäßig für deren Totalverbot nicht ausreicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 u. 341/81 - BVerfGE 69,
315 <352 ff., 360 ff.>). Kommt es wegen der Durchführung der Versammlung zu Störungen durch Dritte, ist die Versammlung davor zu schützen und sind Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen die verantwortlichen Handlungsstörer
(§ 13 Abs. 1 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - ASOG Bln -), nicht gegen die Versammlung zu richten.
Mit der Blockade der Wegstrecke, die bereits um 12.30 auf der Liebknechtbrücke begann und bis 14.30 Uhr auf 3.500 Personen angewachsen war, war eine gegenwärtige und erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit, die auch
den Schutz des durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsrechts einschließt, gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Menschenansammlung, die die Wegstrecke blockierte, selbst als Spontanversammlung den Schutz des
Versammlungsgrundrechts für sich in Anspruch nehmen konnte, weil sie sich möglicherweise nicht nur auf die Absicht der Blockade der Wegstrecke beschränkte, sondern zugleich gemeinsam die Ablehnung der politischen
Betätigung der Klägerin unter deren Versammlungsmotto zum Ausdruck bringen wollte. Hätte es sich insoweit um eine Spontanversammlung gehandelt, hätte eine Räumung zunächst die Auflösung gemäß § 15 Abs. 3 VersammlG
vorausgesetzt, aber grundsätzlich nichts daran geändert, dass Maßnahmen mit dem Ziel der Durchführung des angemeldeten und bestätigten Aufzuges der Klägerin zunächst gegen die Blockierer der Wegstrecke als Verursacher der
Gefahr gemäß § 13 Abs. 1 ASOG Bln zu richten waren und erst gegen die Versammlung der Klägerin als nicht Verantwortliche unter der Voraussetzung gerichtet werden durften, dass Maßnahmen gegen den Gefahrverursacher nicht
möglich oder nicht erfolgversprechend waren, die Polizei die Gefahr nicht selbst oder durch Beauftragte abwenden konnte und die Versammlung ohne erhebliche eigene Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen
werden konnte (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ASOG Bln). Diese Voraussetzungen waren zu dem Zeitpunkt, als der Klägerin die Durchführung des Aufzuges untersagt wurde, jedoch gegeben. Der Senat hat sich davon durch die Auskünfte
der in der mündlichen Verhandlung gehörten leitenden Polizeibeamten und das vorhandene Bild- und Videomaterial überzeugt. Eine Räumung der Aufzugstrecke beginnend mit den auf der Liebknechtbrücke befindlichen Menschen
war danach nahezu undurchführbar, jedenfalls wegen der mit einem solchen Polizeieinsatz einhergehenden zu befürchtenden Folgen für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Leib und Leben, aber auch bedeutende
Sachwerte, nicht mehr verhältnismäßig, denn die zu befürchtenden Schäden standen in einem deutlichen Missverhältnis zu der damit erreichten Durchsetzung des Aufzuges der Klägerin. Die Blockade hätte nur mit körperlicher
Gewalt und deren Hilfsmitteln gebrochen werden können. Insofern hat der Direktor beim Polizeipräsidenten K. in der mündlichen Verhandlung erklärt, im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Räumung der Liebknechtbrücke
gegen 15.30 Uhr sei eine Entschlossenheit der Menge erkennbar geworden, Widerstand zu leisten, die den Einsatz ‚extremer' Gewalt zur Durchsetzung des Räumungsverlangens notwendig gemacht hätte. Zudem hätte die Wegstrecke -
unter Einsatz eines sog. Wanderkessels - nur gegen den weiteren Zustrom aus Richtung ‚Unter den Linden' freigemacht werden können und es sei wenig Raum für ein seitliches Abdrängen und für die Herstellung eines ausreichenden
Abstandes zum Aufzug der Klägerin und den diesen sichernden Polizeikräften vorhanden gewesen. Der Einsatz von Wasserwerfern im Brückenbereich und ein Abdrängen mit Fahrzeugen und Beamten hätte zu einer Kompression der
Menge geführt und habe Schadensereignisse befürchten lassen, wie man sie nach eine Panik in einer Menschenmenge auslösenden Unfallereignissen wie etwa dem Tribüneneinsturz im Brüsseler Heyselstadion gesehen habe. So sei
u.a. damit zu rechnen gewesen, dass einzelne Personen über die Brückengeländer gedrückt worden wären. In dieser Notstandslage konnte die Klägerin - wie ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich
ebenfalls konzediert hat - ein Einschreiten gegen die blockierende Menschenmenge zur Durchsetzung ihres Versammlungsrechts nicht mehr verlangen.
Der von der Klägerin erhobene Vorwurf, eine Vielzahl von Indizien spreche dafür, dass der Beklagte diese unechte polizeiliche Notstandslage zielgerichtet habe eintreten lassen, um die Versammlung der Klägerin nicht ‚vom Ort
kommen' zu lassen, so dass er sich auf die Notstandslage nicht berufen könne, ist demgegenüber nach der Überzeugung des Senats nicht berechtigt.
Die Ausgangsüberlegung der Klägerin, dass eine zielgerichtete Herbeiführung von nicht mehr beherrschbaren polizeilichen Lagen durch den Staat mit der Zielrichtung, die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme einer nicht
störenden Versammlung durch Auflagen oder ein Versammlungsverbot, mit der grundrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit und der Stellung der Polizei als Garant der rechtsstaatlichen Ordnung, die auch die
unparteiliche Wahrnehmung der Aufgaben zum Schutz von Versammlungen und Aufzügen einschließt, unvereinbar ist, ist jedoch als solche zutreffend.
Die Versammlungsbehörde ist Garant der Versammlungsfreiheit. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erschöpft sich nicht in einem Abwehrrecht, sondern setzt zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende
Organisations- und Verfahrensgestaltung; daraus erwächst die Forderung an die staatlichen Behörden, versammlungsfreundlich und insbesondere bei Großdemonstrationen nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen
zurückzubleiben und die Kooperation mit dem Veranstalter zu suchen, dem nach der abwehrrechtlichen Position weitgehende Selbstbestimmung über die Durchführung von Versammlungen verbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.
Mai 1985 a.a.O. S. 355 f). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die Versammlungsbehörde im Rahmen ihrer Kooperationspflicht gehalten ist, den Möglichkeiten nachzugehen, durch Modifikation
der Versammlungsmodalitäten Notstandslagen zu vermeiden und nach Wegen zu suchen, die Versammlung gegen Gefahren zu schützen, die nicht von ihr selbst ausgehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. August 2000 - 1
BvQ 23/00 - NJW 2000, 353, juris, Rn. 43). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter deutlich gemacht, dass Beschränkungen des Versammlungsrechts unter Berufung auf Notstandssituationen nur als ‚ultima ratio' in Betracht
kommen. Wenn zu erwarten sei, dass die Durchführung der Versammlung zu jedem Zeitpunkt zu Gegenaktionen und damit immer wieder zur Situation polizeilichen Notstands führen werde, bestehe das Risiko, dass der davon
betroffene Grundrechtsträger auf Dauer an der Verwirklichung seines Freiheitsrechts gehindert werde. Diese Situation könne entstehen, wenn jede Absicht zur Durchführung rechtsextremistischer Demonstrationen mit Gegenaktionen
gewaltbereiter Personen des linken politischen Spektrums beantwortet werde. Das Grundgesetz verwirklicht zwar eine auf Abwehr von Gefahren für die Demokratie gerichtete Ordnung; es bestehe aber auf der Einhaltung der Regeln
des Rechtsstaates, den es zu verteidigen gelte. Gewalt von ‚links' sei keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ‚rechts'. Drohten Gewalttaten als Gegenreaktion auf
Versammlungen, so sei es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 42; Beschluss vom
1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 - NVwZ 2000, 1429, juris, Rn. 16).
Auch wenn sich diese Ausführungen darauf beziehen, ob und in welcher Weise eine angemeldete Versammlung bestätigt werden kann, wenn beständig mit gewalttätigen Gegenaktionen zu rechnen ist, ist die Rolle von
Versammlungsbehörde und Polizei keine andere, wenn eine Versammlung bestätigt worden ist und unter solchen Umständen durchzuführen ist. Auch die polizeilichen Maßnahmen zur Begleitung von Demonstrationen, die
entsprechende Gegenaktionen hervorrufen, sind an den selben Maximen auszurichten, insbesondere ist auch dabei unparteiisch darauf hinzuwirken, dass das Versammlungsrecht entsprechend der bestätigten Bestimmung des
Veranstalters verwirklicht werden kann. Es ist für diese Verpflichtung auch nicht entscheidend, ob Störungen des Versammlungsablaufs nur durch gewaltbereite Personen zu erwarten sind oder zusätzlich durch weitgehend gewaltfreie
Protestformen, etwa Sitzblockaden o.ä., die nach der Einschränkung des Gewaltbegriffs (dazu BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718 u 719/89 sowie 722 und 723/89 - BVerfGE 92, 1 <16 ff. >) keine strafbare Nötigung
mehr darstellen, aber als Mittel zur Hinderung Dritter an der Durchführung einer von ihnen angemeldeten und bestätigten Versammlung auch unter Berufung auf das Versammlungsrecht nicht eingesetzt werden dürfen. Erschöpft sich
nämlich der kollektive Zweck einer Ansammlung darin, eine andere Versammlung zu verhindern, ist dies nicht mehr durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - BVerfGE 84, 197
<209>; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 15. Aufl., § 1, Rn. 254; Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, S. 140). Formen des gewaltfreien Protests setzen allerdings die Einschreitschwelle für den
Beklagten höher als gewaltsame Störungen. Liegen Erkenntnisse für gewaltfreie Gegenaktionen vor, sind jedoch angemessene präventive Maßnahmen zur frühzeitigen Abwehr solcher Störungen, wie sie etwa Absperr- und
Kontrollmaßnahmen darstellen, rechtlich nicht von vornherein zu beanstanden, auch wenn sie die Handlungs- und Bewegungsfreiheit unbeteiligter und nicht verantwortlicher Personen im öffentlichen Raum beeinträchtigen. Dies gilt
insbesondere für Lagen, in denen gewaltbereite von friedlichen Veranstaltungsgegnern und insgesamt nicht oder nur schwer von Unbeteiligten zu trennen sind, insbesondere eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Unbeteiligte und
friedliche Veranstaltungsgegner als Schutzschirm für die Ausübung von Gewalt missbraucht werden sollen. Ob weiträumige Absperrmaßnahmen in Betracht kommen, hängt zunächst von der Gefahrenprognose ab, für die auch
vergangene Erfahrungen im Zusammenhang mit Wegstreckenblockaden, Aufrufen zu Gegendemonstrationen und deren Befolgung nach den jeweils obwaltenden Umständen zu berücksichtigen sind. Ob solche Maßnahmen geeignet,
erforderlich und angemessen sind, insbesondere in der Abwägung zwischen dem Versammlungsrecht und den Rechten Dritter, den Bereich um eine Aufzugstrecke aufsuchen zu können, dem Versammlungsrecht der Vorrang
einzuräumen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten; vielmehr muss diese Abwägung stets nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommen werden. Dabei kommt dem Ort, der Verkehrsbedeutung der betreffenden Straßenzüge
für die Allgemeinheit, dem Vorhandensein von Geschäften und vom Publikum abhängigen Gewerbebetrieben, aber auch sonstigen konkreten Umständen im fraglichen Zeitraum, wie etwa die Durchführung von Veranstaltungen in
geschlossenen Räumen u.ä, erhebliche Bedeutung zu, weil sich daraus ergeben kann, dass verkehrsbeschränkende Maßnahmen und Absperrungen außer Verhältnis zu dem Zweck des Versammlungsschutzes stehen können,
Vorfeldmaßnahmen zum Schutz einer angemeldeten und bestätigten Versammlung also nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Grenzen gesetzt sind.
Auf dieser Grundlage muss die Einsatzplanung von vornherein darauf ausgerichtet werden, vorhersehbare Störungen der Versammlung effektiv bis an die Grenze des tatsächlich Möglichen und des rechtlich Zulässigen abzuwehren.
Das erfordert nicht nur ein Tätigwerden bei Auftreten von Störungen, sondern eine Umsetzung der schon bei Bestätigung der Versammlung anzustellenden Überlegungen, wie die Versammlung durchgeführt werden kann. Das schließt
auch vorbereitende Maßnahmen wie etwa eine vorsorgliche Sperrung von Verkehrsflächen ein, wenn diese sowohl von der Versammlung als Wegstrecke beansprucht werden als auch als ‚Aufmarschgebiet' - auch gewaltbereiter -
Gegner der Versammlung in Betracht kommen und rechtzeitige Maßnahmen geboten sind, um das Einsickern von Störern auf die Aufzugroute zu verhindern.
Es wird jedoch der Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe nicht gerecht, wenn jedes im Hinblick auf diese Anforderungen festzustellende Versäumnis oder Fehleinschätzung der Lage dazu führte, dass dem Beklagten die
Berufung auf eine daraus entstehende Notstandslage versagt wäre. Vielmehr kann die Inanspruchnahme einer Versammlung unter den dargestellten Voraussetzungen auch dann nicht beanstandet werden, wenn die Notstandssituation
infolge von polizeilichen Versäumnissen und Fehleinschätzungen der Lage verursacht oder jedenfalls mitverursacht wird (vgl. dazu bereits Senatsbeschluss vom 6. September 2007 - OVG 1 N 25.06 - BA S. 3 f.); der Beklagte kann
sich nur dann für die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen auf eine Notstandssituation nicht mehr berufen, wenn er diese Situation final und zielgerichtet herbeigeführt hat.
Die diesbezügliche Unterstellung der Klägerin, die Polizei hätte auf eine Notstandslage ‚hingearbeitet', hat keine hinreichende Grundlage. Sie beruht auf der Prämisse, dass die Behörde der Klägerin in Bezug auf die Anmeldung des
streitbefangenen Aufzuges von Anbeginn eine parteiliche Haltung eingenommen habe, in deren Licht die von der Klägerin für ihre Auffassung angeführten Indizien bewertet werden, und erschöpft sich deshalb auch in einer einseitigen
politischen Bewertung des Geschehens, die ungeeignet ist, den erhobenen Vorwurf rechtlich zu tragen. Im Einzelnen:
Die Klägerin blendet bei ihrer Betrachtung zunächst weitgehend aus, dass ihr Auftreten - und das ihrer Mutterpartei - regelmäßig den politischen Gegner und darunter ein organisiertes gewaltbereites Potenzial in einer Größenordnung
von über 1000 Personen ‚auf den Plan' ruft, weshalb ihre Versammlungen und Aufzüge enger Kooperation mit der Polizei bedürfen, um ihre sichere Durchführung einschließlich des Sammelns der Versammlungsteilnehmer am
Anfangspunkt und des Verlassens des Endpunktes zu gewährleisten. Diese Grundproblematik verschärft sich noch, wenn die Klägerin von ihrer grundrechtlichen Befugnis, Ort und Zeit der Versammlung zu bestimmen, in der Weise
Gebrauch macht, dass sie an einem historischen Datum wie dem Tage des Kriegsendes eine Aufzugroute wählt, die durch zentrale Innenstadtbereiche führt, die an einem Wochenende ohnehin stark frequentiert sind, und die eigene
Veranstaltung zusätzlich noch mit einer Reihe anderer Veranstaltungen offizieller Art und Veranstaltungen anderer politischer Lager einhergehen soll. Wird ein solcher Aufzug - zudem mit einem polarisierenden Motto, das absehbar
für bestimmte gesellschaftliche Kreise und politische Gruppierungen geradezu eine Herausforderung zu Gegenaktionen darstellt - wie im vorliegenden Fall frühzeitig angemeldet und erfährt er im unmittelbaren Vorfeld durch
gerichtliche Auseinandersetzungen um die zunächst geplante Wegstrecke vorbei am Holocaust-Mahnmal noch zusätzliche Publizität, so beschwört dies geradezu eine Lage herauf, in der eine Gewährleistung des Versammlungsrechts
in Ausfüllung der dargestellten Verpflichtung von Polizei und Versammlungsbehörde an die Grenzen des Möglichen stößt und dann in Abwägung mit den übrigen betroffenen Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
auch keine staatliche Verpflichtung mehr sein kann. In diesem Sinne lassen sich die Äußerungen des Leiters der Versammlungsbehörde begreifen, wenn er im Hinblick auf die hier gewählte Aufzugroute im Kooperationsgespräch am
23. März 2005 darauf hingewiesen hat, dass bei der Wahl des Alexanderplatzes als Abmarschpunkt das Risiko bestehe, dass der Aufzug wegen der zu erwartenden dagegen gerichteten Proteste tatsächlich nicht möglich sein könnte.
Wenn die Klägerin hier ihre Planung nur hinsichtlich einer Verlegung des Sammelplatzes von dem Bereich um die Weltzeituhr auf dem östlichen Alexanderplatz in den Bereich um den Fernsehturm modifiziert hat und sich
hinsichtlich der Wegstrecke gerichtlich bestätigten Auflagen beugen wollte, so ging sie - der Senat meint bewusst - das Risiko ein, dass die Durchführung des Aufzuges an mit verhältnismäßigen Mitteln nicht mehr überwindbaren
Schwierigkeiten scheitern könnte, um in der Folge dem Beklagten gegenüber den Vorwurf erheben zu können, es sei zum Schutz der grundrechtlichen Positionen der Klägerin nicht willens, jedenfalls nicht in der Lage gewesen.
Die Klägerin kann auch die Absperrmaßnahmen auf der westlichen Seite der Bahntrasse am Alexanderplatz nicht beanstanden, soweit die Polizei - wie bereits ausgeführt - auch das Ziel verfolgt hat, den Anfangsbereich der
Wegstrecke von Störern freizuhalten und dies - ganz im Sinne der von der Klägerin geforderten ‚Vorfeldmaßnahmen' - auch geleistet hat.
Der Senat hat darüber hinaus auch die Überzeugung gewonnen, dass die Polizei auch bestrebt war, die Wegstrecke im Übrigen freizumachen und für die Dauer des Aufzuges auch freizuhalten. Die vom zuständigen Polizeiführer der
Direktion 3 hierzu gegebenen Auskünfte lassen andere Schlussfolgerungen nicht zu. Auch er hat bekräftigt, dass die polizeiliche Einsatzkonzeption darauf ausgerichtet gewesen sei, den Aufzug ‚laufen zu lassen' und alles zu seinem
Schutz Gebotene zu unternehmen. Der Direktor beim Polizeipräsidenten Kr hat einleuchtend erläutert, dass eine großräumige Absperrung des Gebiets der Aufzugstrecke südlich ab der Leipziger Straße, nördlich an der Spree und
westlich am Brandenburger Tor wegen der massiven Auswirkungen auf den Straßenverkehr im an den gesperrten Bezirk angrenzenden Bereich, wegen der Vielzahl betroffener Anwohner und Gewerbebetriebe innerhalb des
Sperrbereichs sowie wegen des mit der Vielzahl der Veranstaltungen im Innenstadtbereich verbundenen immensen Zu- und Abstroms von Menschen als Handlungsalternative verworfen werden musste. Ebenso wenig sei eine enge
Sperrung direkt an der Straße Unter den Linden in Betracht gekommen, weil sie wegen der zu geringen Distanz zwischen potentiellen Störern und den Versammlungsteilnehmern eine sichere Durchführung des Aufzuges in einem sog.
Wanderkessel nicht gewährleistet hätte, und eine bereits frühzeitige Sperrung aufgrund der vorhandenen polizeilichen Erfahrungen bis zum Beginn des Aufzuges nicht hätte gehalten werden können. Außerdem wurde der betroffene
Sperrbereich unmittelbar vor dem Aufzug noch von dem ökumenischen Gottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale und der anschließenden Kranzniederlegung in der Neuen Wache beansprucht. Das schließlich gewählte
Einsatzkonzept sah die Einrichtung von Sperren in den Seitenstraßen südlich der Aufzugstrecke auf Höhe der Französischen Straße, Oberwallstraße und sodann über die Freiflächen am Werderschen Markt und den Schlossplatz sowie
westlich der Aufzugstrecke im Straßenzug Neustädtische Kirchstraße/Glinkastraße vor, die zeitnah zum Beginn des Aufzuges zu schließen und zu halten waren. Nach der Einschätzung des Polizeiführers waren ihm Einheiten mit
entsprechender Einsatzerfahrung im Umfang von 1.300 Beamten und hinreichendes Gerät zur Umsetzung dieses Einsatzkonzepts unterstellt. Schon bevor die Kontroll- und Sperrpunkte geschlossen werden konnten, hätten sich jedoch
- im Übrigen schwer auszumachende (‚wabernde Gruppen') - potentielle Störer innerhalb des freizuhaltenden Bereichs bewegt, weshalb die Konzeption statischer Sperren auf eine mobile Raumschutztaktik habe umgestellt werden
müssen, um potentielle Störergruppen aufzuspüren und des Platzes zu verweisen. Zeitgleich habe sich eine Spontandemonstration aus einer Gewerkschaftskundgebung von ver.di und der IG Metall vom Brandenburger Tor aus in
Richtung Alexanderplatz entwickelt, die keine erkennbare Versammlungsleitung besaß und polizeilich aus dem Bereich der Straße Unter den Linden ab Friedrichstraße habe ferngehalten werden müssen und nach Süden abgedrängt
werden sollte, was einen Teil der unterstellten Einsatzkräfte gebunden habe. Es sei deshalb nicht gelungen, die Aufzugroute wie geplant zu sichern; von Südwesten seien immer mehr Menschen in den Bereich der Spreebrücken
gelangt, schließlich seien die Menschen auch von Westen her über die Straße unter den Linden auf die Aufzugstrecke gelangt. Diese Darstellung lässt bei aller Zurückhaltung, die sich der Senat in polizeitaktischer Hinsicht auferlegen
muss, erkennen, dass die Abstimmung zwischen statischen und mobilem Raumschutz möglicherweise nicht hinreichend funktioniert hat, um die Wegstrecke des Aufzuges tatsächlich freizuhalten, insbesondere auch die neuralgischen
Punkte an den Spreebrücken und den Freiflächen am Werderschen Markt und im Bereich des Schlossplatzes und dem Bau des früheren Palasts der Republik genügend zu sichern. Immerhin zeigen die Videoaufnahmen aus dem
Bereich Liebknechtbrücke in Richtung Unter den Linden aus der Zeit der polizeilichen Aufforderung zur Räumung der Brücke, dass sich in der blockierenden Menge Personen befanden, die durch mitgeführte Gegenstände, etwa
Fahnen, auch im Vorfeld eindeutig als potentielle Störer zu identifizieren gewesen sein müssen. Auf dem Bildmaterial ist zu erkennen, dass der Bauzaun am Palast der Republik geöffnet war und Veranstaltungsgegner durch diese
Öffnung einströmen konnten. Es kann jedoch im einzelnen dahinstehen, ob sich hier Schwächen des Einsatzkonzepts offenbart haben oder lagebezogen mit den vorhandenen Kräften eine Durchsetzung der Einsatzplanung nicht mehr
möglich war; jedenfalls hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, es sei schon im Vorfeld im Sinne bewusst unzureichend gehaltener Vorfeldmaßnahmen beabsichtigt gewesen, eine Blockade der Wegstrecke des
Aufzuges zu ermöglichen. Vielmehr spricht viel dafür, dass die Absicht, die Wegstrecke freizumachen und zu halten, bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit dem angehaltenen, polizeilicherseits für ausreichend gehaltenen
Einsatzkonzept nicht mehr durchsetzbar war.
Die Äußerungen von Politikern zu dem geplanten Aufzug rechtfertigen die Bewertung der Klägerin ebenfalls nicht. Auch wenn es sich um staatliche Repräsentanten handelt, denen an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form
der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats gelegen sein sollte, kann ihnen ein Handeln als Teilnehmer in der politischen Auseinandersetzung und im Rahmen des
gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses anders als den zum Vollzug des Versammlungs- und des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes berufenen Amtsträgern nicht verwehrt werden, solange damit Grenzen des
rechtlich zulässigen und strafbaren Verhaltens - was hier, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht der Fall war - nicht überschritten werden. Die Klägerin übersieht insoweit, dass es auch dann, wenn es aus
dem politischen Lager Äußerungen gibt, die als Ermunterung verstanden werden können, sich ihrem Aufzug in den Weg zu stellen, immer noch einer Willensentscheidung des einzelnen Bürgers bedarf, an entsprechenden Aktionen
teilzunehmen. Diese Entschließung kann dem Beklagten in letzter Konsequenz nicht zugerechnet werden. ..."
***
Ein Versammlungsverbot kann als Allgemeinverfügung, das sich an eine Vielzahl von Veranstaltern, die es angeht, richtet, kann erlassen werden, wenn ein nach objektiven Merkmalen bestimmbares Gesamtgeschehen gegeben ist,
das die Voraussetzungen nach § 15 VersG erfüllt. Es ist nicht unverhältnismäßig zu verhindern, dass Demonstranten in emotionalisierende Nähe eines hochrangigen ausländischen politischen Besuchers, der besonders gefährdet ist,
gelangen; der angestrebte besondere Beachtungserfolg einer Demonstration unmittelbar in Sichtweite eines ausländischen Besuchers ist verfassungsrechtlich nicht gewährleistet (im Anschluss an BVerfG vom 10.9.1987 - 1 BvR
1112/87, NJW 1987, 3245; OVG Greifswald, Beschluss vom 12.07.2006 - 3 M 74/06, NordÖR 2006, 451).
***
Ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Versammlungsverbots kann nicht (mehr) aus einer drohenden Wiederholungsgefahr abgeleitet werden, wenn die zuständige behörde verbindlich
erklärt hat, an der dem Verbot zu Grunde liegenden tragenden Argumentation bzw. Rechtsauffassung zukünftig nicht mehr festzuhalten (VGH München, Urteil vom 22.05.2006 - 24 B 05.3099, BayVerwBl 2007, 373).
***
Die Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes ist grundsätzlich zulässig und verstößt nicht gegen Art. 8 Abs. 1 GG. Der Anmelder einer Versammlung kann für die Erteilung
von Auflagen, die er nicht veranlasst hat (hier: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine Gegendemonstration), nicht zu Gebühren herangezogen werden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.05.2006 - 7 A 10017/06.OVG):
„... Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem er zu Gebühren für die Erteilung von Auflagen für eine Versammlung herangezogen wird. Am 24. Februar 2005 meldete der Kläger eine Versammlung unter freiem Himmel
auf dem Sch.Platz in Z. an. Nach einem Erörterungsgespräch, an dem der Kläger, Vertreter der Beklagten und die Polizei teilnahmen, änderte die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2005 wegen einer zu erwartenden
Gegendemonstration den angemeldeten Versammlungsort und erteilte weitere Auflagen. Hierfür wurde eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 100,00 € erhoben. Gegen die Auflagen und die Kostenfestsetzung erhob der Kläger am 4.
März 2005 Widerspruch. Er sei lediglich bereit, Gebühren in Höhe von 25,00 € zu zahlen. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2005). Die Verwaltungsgebühr sei rechtmäßig. Vorfälle bei einer
anderen Versammlung in Trier im Dezember 2004 sowie eine angekündigte Gegendemonstration seien Anlass gewesen, die Versammlung und notwendige Auflagen mit der Polizei zu erörtern. Das Gespräch habe eine Stunde
gedauert. Auf der Grundlage dieser Besprechung seien die versammlungsrechtlichen Auflagen erlassen worden. Dafür seien weitere 1,5 Stunden erforderlich gewesen. Deshalb rechtfertige bereits der Verwaltungsaufwand die
festgesetzte Gebühr.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zur Zahlung verpflichtet, weil er die Verwaltungstätigkeit veranlasst habe bzw. sie zu seinen Gunsten vorgenommen
worden sei. Zwar berühre die Gebührenerhebung den Schutzbereich des Art. 8 des Grundgesetzes - GG -. Die Einschränkungen des Demonstrationsrechts seien aber zulässig. Die Höhe der Gebühren sei nicht geeignet, Bürger von der
Teilnahme an Versammlungen abzuschrecken. Der Gebührenregelung komme eine Lenkungsfunktion zu, weil die Veranstalter bzw. Teilnehmer von Demonstrationen zur Einhaltung der im Versammlungsgesetz geregelten Pflichten
angehalten würden. Die Gebühr sei ermessensfehlerfrei festgesetzt worden. Die Vorfälle bei der Trierer Versammlung sowie die angekündigte Gegendemonstration hätten Anlass gegeben, Sicherheitsvorkehrungen zu erörtern. Diese
seien schriftlich als Auflagen niedergelegt worden, wodurch ein überdurchschnittlicher Zeitaufwand entstanden sei. Eine Existenzvernichtung für den Kläger sei durch die Gebührenerhebung nicht zu befürchten. Er könne die
Stundung oder den Erlass der Gebührenforderung beantragen.
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, der Gebührentatbestand sei insgesamt unwirksam. Die finanzielle Schranke führe dazu, dass er sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht mehr
ausüben könne. Unabhängig davon wiederholten die Auflagen zum größten Teil die Gesetzeslage; hierfür dürften keine Gebühren erhoben werden. Der Kläger beantragt schriftsätzlich, unter Abänderung des Urteils des
Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 23. November 2005 den Gebührenbescheid der Beklagten vom 4. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 4. Mai 2005
aufzuheben. Die Beklagte verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält Gebühren für Auflagen, die vom Veranstalter einer Versammlung veranlasst worden sind, für gerechtfertigt. Die Gebührenerhebung verstoße nicht gegen das Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit. Etwas anderes gelte erst dann, wenn diese geeignet sei, von der Durchführung der Versammlung abzuhalten. Es gebe allerdings keinen Grund, denjenigen, der eine Störung für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung verursache, nicht zu den Kosten des damit verbundenen Verwaltungsaufwands heranzuziehen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. ...
Die Berufung ist zulässig und begründet. Dabei war von dem Antrag auszugehen, den Gebührenbescheid vom 4. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2005 aufzuheben, soweit die Gebühr einen Betrag von
25,00 € übersteigt. Dieser Antrag ist sachdienlich. Auf diesen hätte der Senat gemäß § 86 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in einer mündlichen Verhandlung hingewirkt, nachdem der Kläger bereits in seinem
Widerspruch zu erkennen gegeben hatte, lediglich zur Zahlung von 25,00 € bereit zu sein und der angefochtene Gebührenbescheid insoweit bestandskräftig geworden ist.
Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und den Kläger in eigenen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar ist die Rechtsgrundlage des
Gebührenbescheides mit höherrangigem Recht vereinbar (1.). Jedoch genügt die Gebührenerhebung im konkreten Fall nicht den gesetzlichen Anforderungen (2.).
Der Gebührenbescheid findet seine Rechtsgrundlage in §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 und 4, 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des Landesgebührengesetzes - LGebG - i.V.m. § 1 der Landesverordnung über die Gebühren der allgemeinen und
inneren Verwaltung einschließlich der Polizeiverwaltung (Besonderes Gebührenverzeichnis) vom 11. Dezember 2001 und der laufenden Nr. 5.3 der Anlage hierzu. Die laufende Nr. 5.3 der Anlage zum Besonderen
Gebührenverzeichnis bestimmt, dass für die Erteilung von Auflagen für eine Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersammlG - 25,00 € bis 150,00 € Gebühren erhoben
werden.
1. Dieser Gebührentatbestand verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Dem Verordnungsgeber ist eine Regelung, die den jeweiligen Kostenschuldner mit Gebühren für die Erteilung von Auflagen belastet, von Verfassungs wegen nicht verwehrt. Insbesondere steht das Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - einer Gebührenerhebung für die Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG grundsätzlich nicht entgegen. Für eine Kostenpflicht ist nämlich erst dann
Raum, wenn die Versammlung zu Recht, das heißt rechtmäßig oder bestandskräftig, beschränkt worden ist. Hierzu wird die zuständige Behörde nach § 15 Abs. 1 VersammlG ermächtigt, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der
Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. § 15 Abs. 1 VersammlG stellt sich damit als wirksame Beschränkung des
Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar, die Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel ausdrücklich zulässt. Dem vorgesehenen Gebührenrahmen von 25,00 € bis 150,00 € kommt keine ‚erdrosselnde', das heißt
versammlungsverhindernde Wirkung zu. Die Verwaltungsgebühr fällt nur dann an, wenn im Einzelfall aus Gründen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Auflagen erforderlich werden. Damit
ermöglicht die Erteilung von Auflagen durch die Versammlungsbehörde im Ergebnis erst die Durchführung der Versammlung. In diesem Zusammenhang lässt der Gebührenrahmen dem Kostengläubiger genügend Raum, um
einerseits dem mit der Amtshandlung verbundenen Verwaltungsaufwand, andererseits aber auch der im Lichte der Versammlungsfreiheit zu betrachtenden Bedeutung für den Gebührenschuldner bei der Bemessung der Gebühr
Rechnung zu tragen. Unabhängig davon kann im Einzelfall - etwa bei Mittellosigkeit der Veranstalters - nach der Erlassvorschrift des § 19 LGebG (in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Bestimmungen des Haushaltsrechts) von
einer Gebührenerhebung abgesehen werden.
Entgegen der Auffassung des Klägers entfaltet das Versammlungsgesetz keine Sperrwirkung für eine Gebührenerhebung. Es ist kein Rechtssatz ersichtlich, der das Versammlungsrecht im hier allein in Rede stehenden Bereich der
Erteilung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG bei erkennbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ‚gebührenfest' machen würde. Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
bestätigt, nach der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eine Kostenerstattungspflicht bei über das übliche Maß hinaus verunreinigten Straßen nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts nicht ausschließt (vgl. BVerwGE
80, 158 und BVerwGE 80, 164).
2. Erfolg hat die Berufung des Klägers allerdings deshalb, weil die Beklagte die Gebühr ermessensfehlerhaft festgesetzt hat. Das folgt aus gebührenrechtlichen Grundsätzen. Der Kläger ist nämlich nicht hinsichtlich jeder der
erteilten Auflagen Kostenschuldner. Insoweit liegen in seiner Person die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 LGebG nicht vor. Die Beklage durfte dem Kläger die vorgenommene Amtshandlung nicht in vollem Umfange zurechnen.
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 LGebG ist zur Zahlung der Kosten verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen wird. Dabei gilt eine Amtshandlung als vom Kostenschuldner veranlasst (§ 13 Abs.
1 Nr. 1, 1. Alternative LGebG), wenn sie dessen Pflichtenkreis zuzurechnen ist. Voraussetzung für die Begründung von Gebührenpflichten ist nämlich, dass zwischen der Kosten verursachenden Leistung der Verwaltung und dem
Gebührenschuldner eine besondere Beziehung besteht, die es gestattet, die Amtshandlung dem Gebührenschuldner individuell zuzurechnen. In dieser individuellen Zurechenbarkeit liegt die Rechtfertigung dafür, dass die
Amtshandlung nicht aus allgemeinen Steuermitteln, sondern ganz oder teilweise zu Lasten des Gebührenschuldners über Sonderlasten finanziert wird (st. Rspr.; vgl. nur BVerwGE 109, 272 [275 f.]). Der Veranstalter einer
Versammlung kann danach als Kostenschuldner regelmäßig nur dann herangezogen werden, wenn von ihm selbst oder den Teilnehmern ‚seiner' Versammlung nach den zur Zeit des Erlasses der Auflagenverfügung erkennbaren
Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet wird. Nur in diesem Falle lässt sich die Kosten verursachende Leistung der Verwaltung auch seinem
Pflichtenkreis zurechnen. Anderenfalls macht der Veranstalter allein von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch, das gerade nicht geeignet ist, eine gebührenpflichtige Amtshandlung auszulösen.
Die Erteilung versammlungsrechtlicher Auflagen stellt auch keine Amtshandlung zu Gunsten des Veranstalters einer Versammlung dar; dieser ist deshalb nicht Gebührenschuldner im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative
LGebG. Das Wesen der Auflage besteht darin, den Rechtskreis des Betroffenen einzuschränken. Auflagen sind als selbständig erzwingbare hoheitliche Anordnungen auf ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet. Ein
‚Mehrwert' für den Adressaten ist mit ihnen nicht verbunden. Das gilt auch unter Berücksichtigung des aus Art. 8 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts. Die Auflagen dienen als schonenderes Mittel vor einem regelmäßig als letzte
Möglichkeit in Betracht kommenden Versammlungsverbot dazu, die Ausübung der ohnehin grundrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit im Einzelfall zu sichern.
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte bei der Gebührenbemessung jedenfalls teilweise einen Verwaltungsaufwand zu Grunde gelegt, für den der Kläger unter keinem denkbaren Rechtsgrund als Kostenschuldner in Betracht kommt.
Das führt zu einer insgesamt fehlerhaften Festsetzung der streitigen Gebühr. Zwar sind die von der Beklagten in ihren Bescheid vom 4. März 2005 aufgenommenen Regelungen durchweg sinnvoll, um den bei der Versammlung tätigen
Einsatzkräften Leitlinien an die Hand zu geben und die Versammlungsteilnehmer über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Das gilt nicht nur für die Ergebnisse eines vorangegangenen Kooperationsgesprächs zwischen
Veranstalter, Polizei und Versammlungsbehörde, die etwa eine mit Blick auf eine Gegendemonstration gebotene Änderung des Versammlungsortes zum Gegenstand haben. Gleiches ist anzunehmen für bloße Hinweise auf
die Rechtslage, die in eine ‚Auflagenverfügung' aufgenommen werden Hiermit können im Einzelfall veranlasste versammlungsrechtliche Entscheidungen erheblich erleichtert werden. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand darf
jedoch bei der Gebührenerhebung nicht berücksichtigt werden. So liegt der Fall aber hier.
Die Beklagte hat auf der Grundlage des Ergebnisses des vorangegangenen Erörterungsgespräches den vom Kläger angemeldeten Versammlungsort entgegen seinem Willen verlegt. Den dadurch entstandenen Verwaltungsaufwand,
der die meiste Zeit der gesamten Amtshandlung in Anspruch genommen haben dürfte, hat sie als kostenpflichtige Verwaltungshandlung in die Gebührenbemessung einbezogen. Diese Amtshandlung hat der Kläger aber nicht
veranlasst. Der von der Anmeldung abweichende Versammlungsort wurde ihm nicht etwa deshalb zugewiesen, weil von der von ihm angemeldeten Versammlung eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu
erwarten war. Vielmehr hat die Beklagte in diesem Zusammenhang auf Erkenntnisse abgestellt, nach denen eine - ihrerseits von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte - Gegendemonstration stattfinden sollte. Aufgrund dieser
Gegendemonstration befürchtete sie für den Bereich der Innenstadt eine über das normale Maß hinausgehende Gefährdung der Versammlungsteilnehmer und der Bürger.
Darüber hinaus hat die Beklagte ihrer Gebührenbemessung insofern nicht ‚abrechnungsfähigen' Verwaltungsaufwand zugrunde gelegt, als sie in den Nummern 5, 8 und 9 der Verfügung vom 4. März 2005 mit den Hinweisen auf das
Verbot der Verunglimpfung von Personen, das Uniformverbot (vgl. § 3 Abs. 1 VersammlG) sowie das Schutzwaffenverbot (§ 17a VersammlG) zumindest teilweise die geltende Rechtslage lediglich wiedergegeben hat. Dabei handelt
es sich nicht um Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG, sodass insofern bereits der Gebührentatbestand nicht erfüllt ist.
Durfte die Beklagte danach den Verwaltungsaufwand für die Auflage betreffend den Versammlungsort und die genannten Hinweise der Bemessung der Gebühr nicht zu Grunde legen, so folgt bereits hieraus die Rechtswidrigkeit des
Gebührenbescheides. Einer Überprüfung der übrigen Regelungen auf ihre gebührenrechtliche Erheblichkeit bedurfte es deshalb nicht. ..."
***
Die Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Auflagen nach § 15 I des Versammlungsgesetzes ist grundsätzlich zulässig und verstößt nicht gegen Art. 8 I GG. Der Anmelder einer Versammlung kann für die Erteilung von
Auflagen, die er nicht veranlasst hat (hier: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine Gegendemonstration), nicht zu Gebühren herangezogen werden (OVG Koblenz, Urteil vom 16.05.2006 - 7 A 10017/06, NVwZ 2007, 2369).
Ein vollständiges Versammlungsverbot ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn - wie hier - die von gewaltbereiten Gegendemonstranten zu erwartenden Gefahren für die
öffentliche Sicherheit durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und andere Auflagen erheblich verringert werden können (OVG Lüneburg, Beschluss vom 05.05.2006 - 11 ME 117/06, NordÖR 2006, 310).
Werden mit schriftlichen Festsetzungen zum Ablauf einer angemeldeten Versammlung / Demonstration nur die Modalitäten im Hinblick auf abstrakte Gefahrentatbestände festgelegt, so handelt es sich nicht um „Auflagen" im
eigentlichen Sinne, die nach der Gebührenziffer 472 des Kostenverzeichnisses zur Verwaltungskostenordnung des Ministeriums des Innern und für Sport die Erhebung einer Verwaltungsgebühr rechtfertigen können (VGH Kassel,
Urteil vom 26.04.2006 - 5 UE 1567/05, NVwZ-RR 2007, 6).
***
Das Anketten an Bahngleiche ist, solange damit übergeordnete ideelle Ziele verfolgt werden, auch dann auf öffentliche Meinungskundgabe ausgerichtet, wenn es nach den Vorstellungen der Beteiligten primär dem Zweck dienen soll,
den über die Gleise geleiteten Transport zu verzögern. Die Grenze der Unfriedlichkeit, bis zu der Art. 8 GG die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe schützt, wird durch das Einlassen von Betonquadern ins Gleisbett nicht verletzt,
soweit dies lediglich der Erschwerung der Bergung an die Gleise angeketteter Versammlungsteilnehmer dient und keine nachhaltige Beschädigung des Gleiskörpers bewirkt. Die Entfernungspflicht ist Rechtsfolge der
Versammlungsauflösung, die der Versammlung erst ihren verfassungsrechtlichen Schutz nimmt. Erst wenn die Versammlungsteilnehmer ihrer Entfernungspflicht nicht genügen, sind Vollstreckungsmaßnahmen der Polizei zulässig.
Ein Ausschluss von der Versammlung liegt erst dann vor, wenn die zuständige Behörde dem einzelnen Versammlungsteilnehmer klar und unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr auf die Versammlungsfreiheit
berufen kann und sich aus der Versammlung zu entfernen hat. Die für das Vorliegen einer Störung nach § 18 III VersG erforderliche schwere Beeinträchtigung des Verlaufs der Versammlung liegt dann nicht vor, wenn das "störende"
Verhalten Kern der Versammlung ist und in Übereinstimmung mit dem Zweck der Versammlung steht (OVG Schleswig, Urteil vom 14.02.2006 - 4 LB 10/05, NordÖR 2006, 166):
„... Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu den Kosten der Räumung von Gleisanlagen durch den Bundesgrenzschutz.
Die Kläger nahmen am 03.03.1997 (Kläger zu 1) und Kläger zu 6)) in der Nähe der Ortschaft Dahlenburg, am 27.03.2001 (Klägerin zu 3)) im Bereich Hitzacker, am 27.03.2001 (Kläger zu 5)) in Höhe der Ortschaft Bavendorf, am
27./28.03.2001 (Kläger zu 1) und 4)) in der Nähe der Ortschaft S und am 15.05.2001 (Kläger zu 2)) in Stade an Blockaden von Zügen teil, die abgebrannte bzw. wiederaufbereitete atomare Brennelemente transportierten (sogenannte
Castor-Transporte). Sie ketteten sich in unterschiedlicher Weise an Gleisanlagen an und wurden vom Bundesgrenzschutz geborgen, damit die Transporte fortgesetzt werden konnten.
Das Grenzschutzpräsidium Nord zog die Kläger zu den Kosten der Aufwendungen der polizeilichen Maßnahmen heran, und zwar
- mit Bescheiden vom 02.10.2001 (zugestellt am 09.10.2001) die Kläger zu 1) und 6) als Gesamtschuldner in Höhe von 3.309,05 DM,
- mit Bescheid vom 19.12.2001 (zugestellt am 22.12.2001) die Klägerin zu 3) als Gesamtschuldnerin in Höhe von 2.348,33 DM,
- mit Bescheid vom 01.10.2001 (zugestellt am 04.10.2001) den Kläger zu 5) in Höhe von 543,04 DM,
- mit Bescheiden vom 30.08.2001 (zugestellt am 31.08.2001) die Kläger zu 1) und 4) als Gesamtschuldner in Höhe von 14.301,28 DM und
- mit Bescheid vom 11.10.2001 (zugestellt am 16.10.2001) den Kläger zu 2) als Gesamtschuldner in Höhe von 3.256,47 DM.
Die Kläger erhoben rechtzeitig Widersprüche, die das Grenzschutzpräsidium Nord zurückwies. Mit ihren innerhalb der Klagefrist erhobenen Klagen haben die Kläger im wesentlichen geltend gemacht:
Die Kläger zu 1), 3), 4) und 6):
Es habe sich bei den Blockaden, für die Polizei erkennbar, um Versammlungen gehandelt. Ihren Grundrechtsschutz verlören die Versammlungsteilnehmer erst durch die Auflösung der Versammlung. Dies gelte auch für verbotene
Versammlungen. Eine Auflösung habe nicht stattgefunden. Der Bundesgrenzschutz sei auch nicht zuständig gewesen. Ein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht sei daher nicht möglich. Dies gelte auch für die Heranziehung zu den
Kosten der Maßnahmen. Es werde bestritten, dass sich die Kläger nicht selbst hätten befreien können. Aufforderungen seien nicht ergangen. Es handele sich um Kosten der Strafverfolgung, die die Kläger nicht zu tragen hätten. Nach §
19 Abs. 2 Satz 1 BGSG könnten nur Mehrkosten verlangt werden. Die Kostenansätze seien überhöht. Eine gesamtschuldnerische Haftung für die Kosten der Befreiung Anderer komme rechtlich nicht in Betracht.
Die Kläger zu 2) und 5):
Die Kläger hätten auch ohne den Einsatz von Gewalt befreit werden können. Es sei kein Anwendungsfall des § 19 Abs. 2 BGSG gegeben. Die Kosten seien überhöht. Eigenaufwendungen der Verwaltung könnten nur über Gebühren
gedeckt werden. Insoweit fehle es an einer Rechtsgrundlage. Ein Erlass des Bundesinnenministers sei keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die Heranziehung der Kläger sei ermessensfehlerhaft. Die ihnen unterstellte Absicht, hohe
Kosten des Staates bei derartigen Transporten entstehen zu lassen, habe nicht bestanden. Den Klägern sei es um den Protest gegen die Transporte gegangen und sie hätten ihr Demonstrationsrecht wahrgenommen. Die Kläger haben
jeweils beantragt, den an sie gerichteten Leistungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist dem Vortrag der Kläger im Einzelnen entgegengetreten und hat sich insbesondere gegen die Auffassung der Kläger gewandt, dass die Blockadeaktionen unter dem Schutz des Art. 8 GG stünden. Art. 8 umfasse nicht
das Recht, von Privaten die Überlassung ihrer Grundstücke zu verlangen. Die Bahn AG sei nicht verpflichtet, Demonstrationen auf den Gleisen zu dulden. Nach den Regelungen der Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung (EBO) sei
das Betreten von Gleisen verboten. Diese Vorschriften schränkten in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein. Es liege auch keine Friedlichkeit der Versammlungen vor. Den
Störaktionen seien schwerwiegende Beschädigungen der Gleisanlagen vorausgegangen. Eine Versammlungsauflösung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Kläger sich nicht aus eigenen Kräften hätten befreien können. Eine
Aufforderung, den Ort zu verlassen, hätte aus eben diesem Grunde keinen Sinn gemacht. Der Bundesgrenzschutz sei im Einvernehmen mit der Landespolizei befugt gewesen, eine Versammlungsauflösung auszusprechen. Kosten i.S.d.
§ 19 Abs. 2 BGSG seien sämtliche Kosten, die durch die unmittelbare Ausführung entstanden seien. Die Auffassung, dass lediglich Mehrkosten zu ersetzen seien, finde im Gesetzt keine Grundlage.
Das Verwaltungsgericht hat den Klagen auf Aufhebung der Leistungsbescheide nebst Widerspruchsbescheiden durch Urteile vom 22.02.2005 stattgegeben.
Es ist der Auffassung gefolgt, dass wegen des Vorliegens von gemäß Art. 8 GG gestützten Versammlungen, die nicht aufgelöst worden seien, der Anwendungsbereich des BGSG nicht eröffnet sei.
Die Beklagte hat gegen die ihr am 03., 04. Und 10. Mai 2005 zugestellten Urteile am 20. und 23.05.2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen eingelegt und am 04.07.2005 (Montag) rechtzeitig begründet.
Der Senat hat die Verfahren mit Beschluss vom 24.11.2005 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Zur Begründung der Berufungen führt die Beklagte im wesentlichen aus:
Die Zielrichtung der an den Blockadeaktionen beteiligten Kläger sei über den Protest gegen die Transporte hinausgegangen. Es seien Vorrichtungen verwandt worden, durch die die Gleisanlagen beschädigt worden seien. Der
Aufenthalt auf Bahngleisen sei eine Ordnungswidrigkeit. Die Beteiligten hätten riskiert, dass die Transportzüge nicht rechtzeitig zum Stehen kommen.
Hinsichtlich des Klägers zu 2) hebt die Beklagte hervor, dass außer dem Kläger und seinem Begleiter sich zum Zeitpunkt der Ankunft des Transportzuges an der Blockadestelle um 01.45 Uhr nur Polizeikräfte dort aufgehalten hätten.
Die Aktion sei nicht zielorientiert auf eine öffentlich wirksame Meinungskundgabe gerichtet gewesen. Auch wenn später Pressevertreter hinzugekommen seien, sei es Hauptziel der Beteiligten gewesen, den Transport solange wie
möglich aufzuhalten.
Selbst wenn man geschützte Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG annehmen würde, bestünde kein Vorrang des Versammlungsrechts gegenüber dem BGSG, weil es nicht an einer Versammlungsauflösung mangele.
Wenn die Kläger von den Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes vor Beginn der technischen Arbeiten zur Befreiung darauf hingewiesen worden seien, dass die Aktionen rechtswidrig seien und sie befreit werden müssten, weil sie
sich nicht entfernen könnten, sei damit unmissverständlich klargestellt, dass die Aktionen nicht unter dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit stünden und die Kläger sich an diesem Ort nicht aufhalten dürften. Nichts
anderes geschehe bei einer ausdrücklichen Auflösungsverfügung.
Im übrigen seien die Kläger nicht in der Lage gewesen, den Ort zu verlassen. Sie hätten daher einer Auflösung nicht Folge leisten können. Das Erfordernis förmlicher Versammlungsauflösungen könne daher in den vorliegenden Fällen
nicht angenommen werden, weil niemand von einem Hoheitsträger zu einem Tun verpflichtet werden könne, zu dem er nicht im Stande sei. Die Beklagte beantragt, die Urteile des Verwaltungsgerichts vom 22.02.2005 aufzuheben und
die Klagen abzuweisen. Die Kläger beantragen, die Berufungen zurückzuweisen. Die Kläger verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere wenden sie sich gegen die Auffassung der Beklagten, das Blockadeinteresse übersteige
das kommunikative Interesse der Kläger. ...
Die Berufungen der Beklagten sind nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Recht stattgegeben. Die streitgegenständlichen Leistungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
Ein Kostenersatzanspruch gemäß § 19 Abs. 2 BGSG setzt die Rechtmäßigkeit der unmittelbaren Ausführung voraus (vgl. Rasch, § 5 a MEPolG, Rdnr. 8 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Die Blockadeaktionen der Kläger waren Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG. Art. 8 GG erlaubt Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel nur nach Maßgabe des Absatzes 2. Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen
Versammlungen richten sich dementsprechend nach dem Versammlungsgesetz. Das Versammlungsgesetz geht als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor. Ein auf allgemeines Polizeirecht gestützter Platzverweis und dessen
Vollzug scheidet aus, solange sich eine Person in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (siehe zusammenfassend BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 726/01 -, NVwZ 2005, 80).
Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfG, Beschl. v.
12.07.2001 - BvQ 28/01 und 1 BvQ 30/01 -, NJW 2001, 2459; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 und 1 BvR 2173/93 -, NJW 2002, 1031; Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Geschützt sind auch solche Veranstaltungen, bei denen die
Teilnehmer ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Weise als in verbaler Form, also auch z.B. in Form einer Sitzblockade, zum Ausdruck bringen (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, a.a.O.).
Maßgebend aus dem Blickwinkel des Art. 8 GG ist der Kommunikationszweck, den die Versammlung verfolgt. Vom Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger ist auch die Entscheidung erfasst, was sie anstreben. Den Gerichten
ist es verwehrt, das kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten. Eine solche Bewertung verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse
inhaltsneutral bleiben muss (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, a.a.O.).
Die Kläger wollten nach ihren übereinstimmenden Einlassungen mit den Blockaden Aufsehen erregen, um auf die Gefahren der Atomenergie aufmerksam zu machen und auf diese Weise am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung
teilhaben. Dies ist ihnen gelungen, wie die vorliegenden Presseberichte und die Funk- und Fernsehmeldungen belegen. Die Verwirklichung eines solchen Kommunikationsziels wird im Rahmen des Art. 8 GG geschützt (BVerfG,
Beschl. v. 24.10.2001, a.a.O.).
Zweifel an dem kommunikativen Anliegen der Kläger hat der Senat nicht. Die Kläger sind Aktivisten der Organisation ‚Robin Wood'. ‚Robin Wood' ist eine Umweltorganisation, die u.a. den Ausstieg aus der Atomenergie anstrebt
und sich gegen sogenannte ‚Castor-Transporte' wendet, weil sie die Behältersicherheit bezweifelt. Die mit der Blockade mehr oder weniger zwangsläufig verbundenen Verzögerungen der Transporte sind kein Selbstzweck. Sie dienen
allein der Aufmerksamkeitserregung. Entsprechendes gilt für die Kosten der Transportsicherung. Es kann ohne weiteres unterstellt werden, dass sowohl Demonstranten als auch Blockierer Kostensteigerungen, die infolge ihrer Proteste
und Aktionen entstehen, nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern auch begrüßen, weil dies die Wirtschaftlichkeit der Atomenergie berührt. Das kommunikative Anliegen der Blockierer wird dadurch aber nicht in Frage gestellt.
Sinn und Zweck der Aktionen bleibt die Kundgabe des eigenen politischen Standpunktes und die Einflussnahme auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.
Dies gilt auch im Hinblick auf die nächtliche Blockadeaktion vom 15.05.2001 in Stade, an der der Kläger zu 2) teilgenommen hat, und die die Beklagte insbesondere nach Ort und Zeit nicht als zielführend, auf eine öffentliche
Meinungskundgabe gerichtet ansieht. An dieser Aktion waren nicht nur die beiden angeketteten Personen, darunter der Kläger zu 2), beteiligt, sondern mindestens zwei weitere Helfer, die - nach den in den Verwaltungsvorgängen
befindlichen Presseberichten - ebenfalls später abgeführt wurden. Dem Vorliegen einer Versammlung steht weiterhin nicht entgegen, dass die Angeketteten angegeben haben, Zweck der Aktion sei das Aufhalten des
Castor-Transportzuges. Auch in diesem Fall war das kein Selbstzweck, was sich bereits aus den Angaben der Blockierer ergibt, sie handelten aus idealistischen Gründen in Verbindung mit Absichten der Umweltorganisation ‚Robin
Wood'. Im übrigen war diese Aktion - wie auch die weiteren streitgegenständlichen Aktionen - nicht auf die Meinungskundgabe an ein anwesendes Publikum gerichtet, sondern sollte medienwirksam werden, um auf diese Weise eine
breite Öffentlichkeit zu erreichen. Die zahlreich anwesenden Pressevertreter haben darüber berichtet. Ob die Blockierer die Pressevertreter zuvor unterrichtet haben oder auf Kenntnisnahme durch Ausschöpfung anderer Quellen
vertrauten, mag dahinstehen.
Auch wenn es das Recht der Grundrechtsträger ist, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, wird allgemein verbotenes Verhalten nicht dadurch rechtmäßig, dass es gemeinsam mit anderen in
Form einer Versammlung erfolgt. Art. 8 GG schafft insbesondere keinen Rechtfertigungsgrund für strafbares Verhalten. Kommt es zu Rechtsgüterkollisionen, ist das Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger durch Rechte
anderer beschränkt (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, a.a.O.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass rechtsverletzende Blockadeaktionen demonstrativen Charakters von vornherein nicht dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallen.
Anderes gilt nur dann, wenn nicht die Kundgebung einer Meinung oder die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen, sondern die Durchsetzung eigener Interessen (siehe hierzu BVerfG, Beschl. v.
24.10.2001, a.a.O.) oder die Realisierung dessen, was zu missbilligen ist, im Vordergrund stehen. Versammlungsrechtlich steht gemäß § 15 Abs. 1 VersG die Möglichkeit, Rechtsgüterkollisionen durch versammlungsrechtliche
Auflagen auszuschließen und durch Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen oder Versammlungen zu verbieten, wenn unmittelbar bevorstehende Gefahren nicht durch Auflagen oder durch sonstige,
den Behörden obliegende Schutzmaßnahmen zugunsten der Versammlung abgewehrt werden können. Versammlungen können gemäß § 15 Abs. 3 VersG (früher Abs. 2) aufgelöst werden, wenn sie nicht angemeldet sind, oder die
Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind. Verbotene Versammlungen sind aufzulösen (§ 15 Abs. 4, früher Abs. 3 VersG). Auch der Ausschluss einzelner Versammlungsmitglieder kommt in Betracht.
Art. 8 GG schützt die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe bis zur Grenze der Unfriedlichkeit. Die Unfriedlichkeit wird in der Verfassung auf einer gleichen Stufe wie das Mitführen von Waffen behandelt. Unfriedlich ist eine
Versammlung daher erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressiver Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter
kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, a.a.O.).
Soweit die Kläger nicht nur Schottersteine beseitigt haben, um sich an die Gleise anzuketten, sondern darüber hinaus Betonquader in den Gleiskörper eingelassen haben, kann darin noch nicht eine aggressive Ausschreitung gegen
Sachen im vorgenannten Sinne gesehen werden. Die Schwierigkeiten der Beseitigung der Betonquader bestanden in erster Linie deshalb, weil daran die Kläger angekettet waren. Eine nachhaltige Beschädigung des Gleiskörpers war
mit der Einlassung der Betonquader nicht verbunden. Die Transportzüge konnten offenkundig nach Bergung der Personen die betroffenen Gleisabschnitte ohne weiteres passieren.
Unterfielen danach die Blockadeaktionen dem Schutzbereich des Art. 8 GG, bestand dieser Schutz bis zu einer wirksamen Auflösung fort (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Eine Auflösung der Versammlungen im Sinne des
Versammlungsrechts hat nicht stattgefunden.
Zuständig für die Entscheidung nach § 15 Abs. 3 VersG (früher Abs. 2) ist die Landespolizei im institutionellen Sinne. Das Versammlungsgesetz führen die Länder als eigene Angelegenheiten aus (Art. 84 Abs. 1 GG). Für eine
subsidiäre Verfügungskompetenz des Bundesgrenzschutzes in den vorliegenden Fällen sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Sie scheidet aus, wenn - wie jedenfalls bei der Blockadeaktion am 15.05.2001 - Landespolizei vor Ort war.
Allein die Tatsache, dass gemeinsame Einsatzstäbe von Landespolizei und Bundesgrenzschutz eingerichtet wurden, genügt für eine Kompetenzzuweisung nicht.
Die Versammlungsauflösung ist ein Verwaltungsakt. Verbot und Auflösung einer Versammlung stellen die intensivsten Eingriffe in das Grundrecht des Art. 8 GG dar. Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die
Auflösungsverfügung, deren Nichtbefolgung nach § 26 VersG strafbewehrt ist, eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist (BVerfG,
Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Die Auflösung ist mithin keine bloße ‚Förmelei'. Eine wirksame Auflösungsverfügung nimmt der Versammlung den versammlungsrechtlichen Schutz. Die Entfernungspflicht ist Rechtsfolge der
Auflösung. Auch ein Platzverweis nach Polizeirecht kommt erst nach Auflösung der Versammlung in Betracht (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Erst wenn die Versammlungsteilnehmer ihrer Entfernungspflicht nicht genügen,
sind Vollstreckungsmaßnahmen der Polizei zulässig.
In den vorliegenden Fällen ist weder aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ersichtlich noch wird von der Beklagten vorgetragen, dass die Bundesgrenzschutzbeamten von dem Vorliegen von Versammlungen und demzufolge
von der Notwendigkeit deren Auflösungen durch Erlass von entsprechenden Verfügungen ausgingen. Wie unter diesen Umständen eindeutige und für die Adressaten unmissverständliche Auflösungsverfügungen ergangen sein können,
ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagte mutmaßt, dass die Beteiligten von den Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes vor Beginn der technischen Arbeiten ihrer Befreiung darauf hingewiesen wurden, dass die
Aktionen rechtswidrig seien und die Beteiligten mangels eigener Möglichkeiten, sich zu entfernen, von den technischen Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes befreit werden müssten, um den rechtswidrigen Zustand zu beenden, so
dass den Beteiligten unmissverständlich klargemacht worden sei, dass ihre Aktionen nicht unter dem Schutz ihres Grundrechts der Versammlungsfreiheit stehe und sie sich an diesem Ort nicht aufhalten dürften, reicht dies - entgegen
der Ansicht der Beklagten - für eine Versammlungsauflösung nicht aus. Die Ausführungen der Beklagten machen vielmehr deutlich, dass eine Auflösung nicht stattgefunden hat. Die Rechtswidrigkeit der Blockadeaktionen - woran der
Senat keinen Zweifel hat - berechtigt zur Auflösung. Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eröffnen der Versammlungspolizei das Ermessen, die Versammlung aufzulösen (§ 15 Abs. 3, früher Abs. 2 VersG). Selbst
verbotene Versammlungen sind aufzulösen (§ 15 Abs. 4, früher Abs. 3 VersG). Die Entfernungspflicht ist - wie bereits ausgeführt - Rechtsfolge der Auflösung. Hinweise auf die Rechtswidrigkeit der Versammlung und die
Entfernungspflicht können daher die Auflösung nicht ersetzen. Unerheblich ist deshalb in diesem Zusammenhang auch, ob die Kläger einer Entfernungspflicht hätten nachkommen können. Die fehlende Möglichkeit der
Selbstbefreiung gewinnt erst nach Erlass der Auflösungsverfügung für polizeiliche Folgemaßnahmen Bedeutung bei bestehender Entfernungspflicht, macht die Auflösungsverfügung jedoch nicht entbehrlich. Eine konkludente
Auflösung im Wege des Vollzugs ist aus den Gründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils unzulässig (siehe hierzu OVG Berlin, Beschl. v. 17.12.2002 - 8 N 129/02 -, NVwZ-RR 2003, 896 m.w.N.).
Nach alledem sieht der Senat keinen weiteren Aufklärungsbedarf, zumal sich der Vortrag der Beklagten in Mutmaßungen erschöpft und keine konkreten Angaben über die Äußerungen der Bundesgrenzschutzbeamten vor Ort enthält,
die die Annahme des Vorliegens von Auflösungsverfügungen rechtfertigen könnten.
Schließlich sind Adressaten der Versammlungsauflösung alle Versammlungsteilnehmer. An den Blockadeaktionen haben - ausweislich der vorliegenden Verwaltungsvorgänge - nicht nur die angeketteten Personen, sondern weitere
Personen teilgenommen. Lediglich dem Verwaltungsvorgang betreffend die Blockadeaktion vom 27./28.03.2001 in der Nähe von S lässt sich eine Teilnahme weiterer Personen mit Ausnahme der fünf Angeketteten nicht entnehmen.
Jedenfalls ist in den Aufforderungen an einzelne Personen, den Versammlungsort zu verlassen bzw. in den nur an die angeketteten Personen gerichteten Erklärungen, sie würden von den technischen Einsatzkräften des
Bundesgrenzschutzes befreit, um einen rechtswidrigen Zustand zu beenden, keine Auflösung der Versammlung als solche zu sehen (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.).
Die Kläger sind auch nicht rechtswirksam von Versammlungen ausgeschlossen worden.
Der Ausschluss einzelner Versammlungsteilnehmer ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch die Ausschlussverfügung muss ebenso wie die
Auflösung hinreichend bestimmt sein (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Dem Versammlungsteilnehmer muss klar sein, dass er sich nicht mehr auf die Versammlungsfreiheit berufen kann und sich aus der Versammlung zu
entfernen hat. Auch insoweit fehlen - aus den vorgenannten Gründen - Anhaltspunkte dafür, dass gegenüber den Klägern Ausschlussverfügungen ergangen sind, zumal die Bundesgrenzschutzbeamten nicht von dem Vorliegen von
Versammlungen ausgegangen sind.
Ungeachtet dessen fehlt es an den Voraussetzungen für einen Versammlungsausschluss. Nach § 18 Abs. 3 VersG kann die Polizei Teilnehmer, die die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. Darunter ist ein
Verhalten zu verstehen, das eine schwere Beeinträchtigung des Verlaufs der Veranstaltung darstellt (siehe BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, a.a.O.). Die Kläger haben die Versammlung nicht gestört. Sie waren vielmehr Kern der
Versammlung. Ihre Ankettung stand in Übereinstimmung mit dem Zweck der Versammlung.
Aus diesen Gründen ist die Bergung der Kläger auch nicht als sogenannte ‚Minusmaßnahme' rechtmäßig. Auch die Zulässigkeit teilnehmerbezogene Realakte kann nur aus den Bestimmungen des Versammlungsgesetzes abgeleitet
werden. Rechtswidrige Einzelaktionen von Teilnehmern können unterbunden werden, wenn der Versammlungszweck als solcher dadurch nicht in Frage gestellt wird. Ist jedoch der Kernbereich der Versammlung betroffen, kann nicht
durch Minusmaßnahmen die Versammlung faktisch beendet und damit die Auflösung umgangen werden.
Versammlungsuntypische Gefahren, die das Erfordernis der Auflösung der Versammlung entfallen lassen könnten, lagen nicht vor. Zum einen haben die Kläger die Ankettaktionen gerade deshalb durchgeführt, um die
Aufmerksamkeit der Presse zu erregen und eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, zum anderen sind die Maßnahmen zur Befreiung der Kläger erst vorgenommen worden, als die Transportzüge bereits zum Stillstand gekommen
waren. Konkrete Gefahrenlagen haben daher zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden.
Schließlich ist die unmittelbare Ausführung keine vollstreckungsrechtliche Maßnahme, die trotz eines rechtswidrigen Grundverwaltungsaktes rechtmäßig sein kann. Wären rechtswidrige Auflösungsverfügungen ergangen, wären die
Versammlungsteilnehmer gleichwohl verpflichtet gewesen, sich von den aufgelösten Versammlungen zu entfernen. Widersetzen sich die Versammlungsteilnehmer der Entfernungspflicht oder können sie dieser Pflicht nicht
nachkommen, ist der Einsatz von Zwangsmitteln zulässig (BVerfG, Beschl. v. 01.12.1992 - 1 BvR 88, 576/91 -, BVerfGE 87, 399, 409). Vorliegend fehlt es - wie dargelegt - an Auflösungsverfügungen. ..."
***
Die öffentliche Ordnung i.S.d. § 15 I VersG kann verletzt sein, wenn Rechtsextremisten am 28. 1., also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag des 27. 1., einen Aufzug mit Provokationswirkung
durchführen wollen. In einem solchen Fall kommt ein Versammlungsverbot in Betracht, wenn es unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen ist und Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht
ausreichen (hier bejaht). Zu den rechtlichen Folgen der Verweigerung eines Kooperationsgespräches durch den Versammlungsveranstalter (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.01.2006 - 11 ME 20/06, NordÖR 2006, 108):
„... Mit Schreiben vom 13./16. Januar 2006 meldete der Antragsteller für Sonnabend, den 28. Januar 2006, einen Aufzug mit Kundgebung in Lüneburg unter dem Thema ‚Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit
erkämpfen' in der Zeit von 12.00 bis 18.00 Uhr an. Nach Angaben des Antragstellers werden 200 Teilnehmer erwartet. Mit Verfügung vom 19. Januar 2006 verbot die Stadt Lüneburg - Antragsgegnerin - die geplante Versammlung
und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges wurde am 20. Januar 2006 neu gefasst. Der Antragsteller hat am 19. Januar 2006 Klage erhoben (3 A 23/06). Den gleichzeitig gestellten
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2006 abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die von dem Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht eine Abänderung des angefochtenen
Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die auf § 15 Abs. 1 VersG gestützte Verbotsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist und an ihrem Sofortvollzug ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Zur Begründung
hat es ausgeführt:
Bei Durchführung der angemeldeten Versammlung wäre die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet. Der geplante Aufzug mit Kundgebungen würde einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine nicht hinnehmbare Provokation
der grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland bedeuten. Der Antragsteller, der als bundesweit agierender Rechtsextremist bekannt sei, und seine Anhänger gehörten zum
neonazistischen Spektrum. Die Versammlung habe auch einen rechtsextremen Inhalt. Unter dem Slogan ‚Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen' gehe es - gleichsam spezifizierend - um das Motto ‚Weg mit § 130
StGB'. Dies sei von der Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung unter Hinweis auf verschiedene Internetseiten im einzelnen belegt worden. § 130 StGB stelle die Volksverhetzung unter Strafe. Durch die Forderung nach
Abschaffung dieser Vorschrift solle der Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft der Weg bereitet und so der öffentliche Frieden in der Gesellschaft gefährdet und gestört werden. Dies sei in direktem
Anschluss an den 27. Januar als besonderem Feiertag, der der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust diene, nicht hinnehmbar. Des weiteren habe der 28. Januar auch schon einen zeitlichen Bezug zu
dem ebenfalls nationalsozialistisch besetzten 30. Januar. Jedenfalls sei eine Ausstrahlung des 27. Januar auf den nächsten Tag mit der Folge, dass Versammlungen von Rechtsextremisten eine die öffentliche Ordnung störende
Provokationswirkung hätten, im vorliegenden Fall auch deshalb anzunehmen, weil in Lüneburg am 28. Januar besondere Veranstaltungen stattfänden, die in würdevoller Weise mit dem Holocaust-Gedenktag des 27. Januar verbunden
seien. Demgegenüber seien Auflagen hier nicht geeignet, die Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung auszuschließen oder erheblich zu vermindern. Entscheidend sei, dass der Antragsteller und seine Anhänger als
Mitglieder des rechtsextremen Spektrums eine Veranstaltung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag veranstalten wollten. Eine derartige Entscheidung sei vom Selbststimmungsrecht des
Veranstalters umfasst, so dass weder die Versammlungsbehörde noch das Gericht ihm die Möglichkeit nehmen könnten, selbst einen anderen Versammlungszeitpunkt auszuwählen.
Diese Begründung des Verwaltungsgerichts macht sich der Senat im wesentlichen zu eigen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Einwände des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vermögen eine abweichende Beurteilung nicht
zu rechtfertigen.
Der Antragsteller begründet seine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses vor allem damit, dass dieser von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (wie etwa Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE
69, 315, 353; Beschl. v. 1.5.2001, DVBl. 2001, 1134) abweiche. Danach sei eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung regelmäßig kein Grund für ein Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG; vielmehr sei ein Verstoß gegen
die öffentliche Sicherheit erforderlich. Des weiteren habe sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - (NJW 2001, 1409, 1410) berufen. Dieser
beziehe sich ausschließlich auf den 27. Januar, nicht aber auf den hier streitigen folgenden Tag. Sollte man der Argumentationslinie des Verwaltungsgerichts folgen, hieße das, dass letztlich fast eine ganze Woche im Jahr keine
Demonstration von politisch radikal rechts oder rechtsextrem ausgerichteten Personen erfolgen dürfte. Das sei im Lichte der Versammlungsfreiheit nicht hinnehmbar. Ferner werde das vom Verwaltungsgericht bestätigte
Versammlungsverbot gerade nicht durch den genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 gedeckt. Das Bundesverfassungsgericht habe stattdessen allein eine Auflage, nämlich eine Verschiebung der
geplanten Versammlung vom 27. Januar auf den 28. Januar 2001 für zulässig gehalten. Weshalb eine zeitliche Verschiebung der Versammlung als milderes Mittel nicht möglich sein sollte, habe das Verwaltungsgericht nicht
begründet. Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass sich die Auffassung des Verwaltungsgerichts im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befindet.
Zwar trifft es zu, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im allgemeinen nicht als ausreichend ansieht, um eine geplante Versammlung zu verbieten (vgl. etwa BVerfGE 69, 315,
353; Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.). Der Antragsteller übersieht aber, dass das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung im - bereits vom Verwaltungsgericht erwähnten - Senatsbeschluss vom 23. Juni 2004 (NJW 2004, 2814) wie
folgt präzisiert hat:
Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag so durchführen, dass von seiner
Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl 2001, S.
558). Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und
unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, S. 90 <91>). In solchen Fällen ist unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die Versammlung
verboten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <353>).
Ob das Bundesverfassungsgericht - wie weite Teile des Schrifttums annehmen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 VersG RdNr. 61; Scheidler, BayVBl 2005, 453, 455) - mit dieser
Klarstellung zugleich seine bisherige Rechtsprechung relativiert hat, mag dahinstehen. Aus den zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts geht jedenfalls hervor, dass ausnahmsweise auch ein Versammlungsverbot in
Betracht kommt, wenn es unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen ist und Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass hier
ein solcher Ausnahmefall vorliegt. Die dagegen erhobenen Bedenken des Antragstellers greifen nicht durch.
Der Antragsteller macht geltend, es mangele an einem Nachweis oder wirklich nachvollziehbaren Gründen, dass mit einer Versammlung zum Thema ‚Gegen Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen' eine Abschaffung
des kompletten § 130 StGB oder nur eines besonders umstrittenen Teils, wie beispielsweise des seit dem 1. April 2005 geltenden Abs. 4, gemeint sei. Bei der vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zitierten Internetseite
‚www.aaka.linke-seiten.de/reader' handele es sich um eine linksextreme Quelle. Äußerungen auf einer ihm feindlich gegenüberstehenden Internetseite müsse er sich nicht vorhalten lassen. Das Verwaltungsgericht habe insofern seine
Amtsermittlungspflicht verletzt, was Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit begründe. Diese Angriffe des Antragstellers gehen ins Leere.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, welcher Zweck mit der geplanten Veranstaltung beabsichtigt ist, auch auf Informationen aus dem Internet zurückgegriffen hat. Die von ihm
angeführte Internetseite ist auch verwertbar, weil die darin wiedergegebenen Informationen den Angaben in anderen Internetquellen entsprechen, die dem Antragsteller politisch nahe stehen. Dies hat die Antragsgegnerin im einzelnen
in der Verbotsverfügung belegt, worauf das Verwaltungsgericht sich ergänzend bezogen hat. Der Senat hat am 23. Januar 2006 eigene Recherchen im Internet angestellt und dabei folgendes ermittelt:
Auf der Internetseite ‚www.widerstandnord.com' finden sich Links zum ‚Aktionsbüro Norddeutschland'. Unter der Rubrik ‚Aktuelle Infos' wird mit Datum vom 16. Januar 2006 zu einer Demonstration in Lüneburg aufgerufen. Die
Überschrift lautet: ‚Am 28. Januar gemeinsam ein Zeichen setzen gegen staatliche Repression - den § 130 kippen!' Der anschließende Text führt u.a. aus:
‚Die für den 28. Januar geplante und angekündigte Demonstration in Celle bleibt unanfechtbar verboten ...
Es wurde daher umgehend in einer anderen niedersächsischen Stadt für den 28. Januar eine Demonstration gegen staatliche Repression angemeldet, nämlich in Lüneburg! So bleiben die geografische und politische Marschrichtung für
diesen Tag voll erhalten.
Alle Kräfte aus Nord- und Mitteldeutschland werden gebeten, für den 28.01. nach Lüneburg zu mobilisieren und zahlreich dort zu erscheinen! Wir wollen an diesem Tag auch in Lüneburg - zeitgleich mit den Demos in Dortmund und
Karlsruhe - ein sichtbares Zeichen gegen staatliche Repression setzen!'
Auf der Internetseite ‚www.widerstandnord.com/aktionsbuero/action/demo280106.htm' heißt es in einer Mitteilung vom 22. Januar 2006 unter dem Titel ‚Gegen staatliche Repression - den § 130 kippen':
‚Die Demonstration in Lüneburg ist eine Kampagnedemo und somit Teil eines größer angelegten Protestes gegen staatliche Repression. Am 28.01. finden zeitgleich auch Protestmärsche in Dortmund und Karlsruhe statt.
Der Protest gegen staatliche Repression ist für den nationalen Widerstand eine grundlegende Angelegenheit. Uns ist bewusst, dass dieses System uns ebenso ablehnt, wie wir dieses System. Denn dieses System ist nicht Deutschland!
Die Zustände hierzulande sind für uns unerträglich. Von der gemeinschaftsfeindlichen Ellenbogengesellschaft bis hin zur kulturzerstörenden Massenzuwanderung. Wir stellen uns mit unseren weltanschaulichen Grundsätzen von einer
nationalen und sozialistischen Volksgemeinschaft ganz bewusst außerhalb der herrschenden Gesellschaftsordnung. Dass dies unweigerlich eine politische Verfolgung durch staatliche Sicherheitsorgane nach sich zieht, liegt in der
Natur der Sache und als politische Freiheitskämpfer nehmen wir das in Kauf. Dennoch halten wir es für angebracht, auch der Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit mit Protesten deutlich zu machen, dass es hierzulande keine wirkliche
Meinungsfreiheit gibt, dafür aber eine immer faschistischer werdende Verfolgung Andersdenkender!
Alle norddeutschen Aktivisten des Widerstandes sind aufgerufen, am 28.01. in Lüneburg ein Zeichen gegen Repression und Verfolgung zu setzen!'
Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die geplante Demonstration Teil einer Kampagne von rechtsextremistischen Kreisen, in denen der Antragsteller eine maßgebende Rolle spielt, gegen angebliche
‚Repression und Verfolgung' ist, zu der ganz wesentlich die Abschaffung des § 130 StGB gehört. Zumindest geht aus den vorstehend wiedergegebenen Internetaufrufen nicht hervor, dass der Protest sich lediglich gegen die
Verschärfung dieser Vorschrift durch Einfügung des Abs. 4 mit Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2005 (BGBl I S. 969) richten soll. Das Verwaltungsgericht hat in diesem
Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Forderung nach Straffreiheit der Volksverhetzung in besonderer Weise geeignet ist, den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung in Deutschland zu provozieren. Dass die
Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 4 StGB noch nicht abschließend geklärt und wissenschaftlich umstritten ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.8.2005, NJW 2005, 3204 = DVBl 2005, 1262), kann selbstverständlich im Rahmen einer
Versammlung thematisiert werden. Eine derartige Kritik ist durch die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt. Im vorliegenden Fall darf aber nicht außer Acht bleiben, dass die geplante Demonstration -
zeitgleich mit Protestmärschen in Dortmund und Karlsruhe - nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag stattfinden soll. Ein derartiger unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang legt aufgrund der besonderen Umstände des Falles die
Vermutung nahe, dass der 28. Januar 2006 vom Antragsteller nur aus taktischem Kalkül gewählt worden ist, um einem für den 27. Januar 2006 drohenden Verbot zu entgehen. Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn einem
bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende
soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.) speziell für den 27. Januar als Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers
Auschwitz am 27. Januar 1945 angenommen und deshalb eine Entscheidung der zuständigen Versammlungsbehörde in Hamburg bestätigt, mit der eine von dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens angemeldete Demonstration
vom 27. Januar 2001 auf den 28. Januar 2001 zeitlich verlegt worden war. Das Bundesverfassungsgericht hat aber bisher nicht dazu Stellung genommen, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn eine rechtsextremistische
Demonstration in zeitlicher Nähe zu derartigen Tagen stattfinden soll. Nach Auffassung des Senats ist in solchen Fällen zu prüfen, ob der Zeitpunkt der geplanten Versammlung nur vorgeschoben ist, um in Wirklichkeit das Gedenken
an die Opfer des Nationalsozialismus zu entwürdigen. Von einer derartigen Täuschungsabsicht darf die Versammlungsbehörde jedoch nur ausgehen, wenn hierfür nachvollziehbare Anhaltspunkte bestehen (ebenso Hettich,
Versammlungsrecht in der kommunalen Praxis, 2003, RdNr. 146). Das ist hier nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich nur möglichen summarischen Prüfung der Fall.
Der Senat hat bereits dargelegt, dass der Antragsteller und seine Anhänger nach den bislang erkennbaren Umständen mit der geplanten Demonstration auf die Abschaffung des § 130 StGB abzielen, durch den gerade die Verbreitung,
Billigung und Verherrlichung des nationalsozialistischen Gedankenguts bekämpft werden soll. Insbesondere durch die Einfügung des Abs. 4 soll die Würde der Opfer des Holocaust und deren Hinterbliebener besser geschützt werden
(vgl. dazu etwa Scheidler, BayVBl. 2005, 453, 454, 456). Wenn die Forderung nach Straffreiheit der Volksverhetzung - wie hier - in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag erhoben wird, ist dies ebenfalls
geeignet, nicht nur die Ehre der Opfer des Nationalsozialismus zu missachten, sondern das Anstandsgefühl der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu verletzen und damit den öffentlichen Frieden gravierend zu
stören. Ob und ggf. wie lange eine solche Ausstrahlung des Holocaust-Gedenktages anzunehmen ist, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Entscheidung. Denn jedenfalls befindet sich der streitige 28. Januar noch in
unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Holocaust-Gedenktag.
Dass es dem Antragsteller und seinen Anhängern nicht allein um einen Protest gegen den § 130 StGB am 28. Januar 2006 geht, wird auch daran deutlich, dass er während des gesamten Verfahrens nicht dargelegt hat, worin sein
besonderes Interesse an der Durchführung der Versammlung gerade an diesem Tag besteht. Wenn - wie den angeführten Internetmitteilungen zu entnehmen ist - die Demonstration in Lüneburg ebenso wie die angekündigten
Protestmärsche in Dortmund und Karlsruhe Teil einer größer angelegten Kampagne gegen staatliche Repression und Verfolgung des ‚nationalen Widerstands' sein soll, ist es nicht verständlich, warum diese Versammlungen in
vergleichbarer Weise nicht zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden können, zumal es nicht um einen besonders aktuellen und insofern unwiederbringlichen Anlass geht.
Dass der Antragsteller offensichtlich nicht bereit ist, seine wahren Absichten zu offenbaren, kann auch aus seinem Verhalten im Zusammenhang mit dem von der Antragsgegnerin angebotenen Kooperationsgespräch
geschlossen werden. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller seine Teilnahme davon abhängig gemacht hat, dass das Gespräch auf Band aufgenommen wird. Nachdem die Antragsgegnerin dies abgelehnt hatte, war der
Antragsteller zu einem Kooperationsgespräch nicht bereit. Die Ablehnung einer Tonbandaufnahme durch die Versammlungsbehörde ist aber, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschl. v. 1. März 2002, NVwZ 2002,
982, festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch wenn das Beharren des Antragstellers darauf, an einem Kooperationsgespräch nur mit der Möglichkeit einer Tonbandaufnahme teilzunehmen, nicht
als Beleg seiner Unzuverlässigkeit als Veranstalter angesehen werden kann, da keine Rechtspflicht zur Kooperation besteht, geht die Verweigerung der Kooperation jedoch zu seinen Lasten mit der Folge, dass die
Schwelle für behördliches Eingreifen absinkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 1.3.2002, a.a.O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 RdNr. 51 - 54 m.w.Nachw.). Die Verweigerung der Kooperation kann außerdem - zusammen
mit anderen Umständen - Rückschlüsse auf die eigentlich bezweckten Intensionen des Veranstalters zulassen (vgl. Thür. OVG, Beschl. v. 12.4.2002 - 3 EO 261/02 -, NVwZ 2002, 208). Dies muss besonders dann gelten,
wenn - wie hier - Zweifel über den vom Veranstalter angegebenen Zweck der Versammlung bestehen. Denn vom Veranstalter kann eine wahrheitsgemäße Auskunft über die wesentlichen versammlungsbezogenen Fragen
erwartet werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 VersG RdNr. 53). Zwar ist es grundsätzlich das Recht des Veranstalters, Thema, Ort und Zeitpunkt der Versammlung selbst zu bestimmen. Kollidiert sein Grundrecht der
Versammlungsfreiheit aber mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision
rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit bleibt ihm nur die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge einer Kooperation mit der Verwaltungsbehörde einzubringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001, a.a.O.). Ist er dazu
nicht bereit, scheiden seine Angaben als Grundlage für die von der Behörde vorzunehmende Gefahrenprognose aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass der Veranstalter in Wahrheit eine
Versammlung plant, die eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedeutet (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 11.4.2002, DVBl. 2002, 970). Die mangelnde Kooperationsbereitschaft des
Antragstellers bestätigt deshalb die aus anderen Anhaltspunkten gewonnene Einschätzung, dass er vorrangig aus taktischen Gründen als Datum für die geplante Demonstration den 28. Januar 2006 gewählt hat. Durch
den unmittelbaren zeitlichen Bezug zum vorhergehenden Holocaust-Gedenktag verfolgt er offensichtlich mehrere Zwecke. Einerseits kann er seine Anhänger mobilisieren, öffentliche Aufmerksamkeit erregen und dabei zeitgleich das
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus missachten. Andererseits verbindet er damit die Hoffnung, dass ein Verbot nicht ausgesprochen werden wird, weil die Demonstration nicht direkt am Jahrestag der Befreiung des
Konzentrationslagers Auschwitz stattfinden soll. Ein derartiges Verhalten stellt nach Auffassung des Senats einen offensichtlichen Missbrauch des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar.
Soweit der Antragsteller rügt, dass das Verwaltungsgericht eine Ausstrahlung des 27. Januar 2006 auf den nächsten Tag auch mit besonderen Veranstaltungen in Lüneburg begründet hat, vermag dies der Beschwerde des Antragstellers
ebenso wenig zum Erfolg zu verhelfen. Wie aus einer Aufstellung der Antragsgegnerin hervorgeht, sind für den 28. Januar 2006 insgesamt sechs Informationsstände von SPD, Grünen und DGB auf öffentlichen Plätzen zum Thema
‚61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' angemeldet worden, die die Antragsgegnerin nach ihren Angaben im Schriftsatz vom 23. Januar 2006 auch genehmigt hat. Ob diese Informationsstände in den
Schutzbereich des Art. 8 GG fallen, was der Antragsteller für fraglich hält, ist unbeachtlich. Jedenfalls ist für die Informationsstände eine wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis erteilt worden. Unabhängig hiervon ist das Thema ‚61.
Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' dazu angetan, die Öffentlichkeit anzusprechen und Diskussionen anzuregen, so dass Initiatoren und Besucher auch eine Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes bilden
können (vgl. dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 RdNr.16; Hettich, a.a.O., RdNr. 52).
Was die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls angeführte Demonstration angeht, so ist dem Antragsteller Recht zu geben, dass diese Demonstration entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts nicht zum
Thema ‚61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz' angemeldet worden ist. Vielmehr handelt es sich um eine Demonstration des ‚Lüneburger Netzwerk gegen Rechts' mit dem Thema ‚Kein Naziaufmarsch in
Lüneburg - gemeinsam gegen Rassismus und Faschismus'. Dieses Versehen des Verwaltungsgerichts fällt aber nicht entscheidend ins Gewicht. Abgesehen davon, dass es sich bei diesem Argument des Verwaltungsgerichts lediglich
um eine Hilfserwägung handelt, ist zu beachten, dass in der Zeit vom 24. bis 30. Januar 2006 weitere Veranstaltungen durchgeführt werden, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet sind (vgl. die Berichte in
der Landeszeitung für die Lüneburger Heide vom 21./22.1.2006, S. 11 und vom 23.1.2006, S. 4). Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 23. Januar dazu mitgeteilt, dass während dieses Zeitraums eine bereits seit längerem
geplante Ausstellung mit dem Titel ‚Aus Niedersachsen nach Auschwitz - die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit' stattfindet. Diese Ausstellung wird begleitet von Filmen, Vorträgen und Lesungen sowie am 27. Januar von
einem Gedenkgottesdienst. Nach Auffassung des Senats würde es die Öffentlichkeit als erhebliche Provokation empfinden, wenn nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine Versammlung von Rechtsextremisten stattfinden
würde, die - wie im einzelnen ausgeführt - von der Zielsetzung her geeignet ist, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus zu verletzen. ..."
***
Bei einer Kollision von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen (hier: Art. 5 und Art. 8 GG) mehrerer Veranstalter ist es Aufgabe der zuständigen Versammlungsbehörde, diese Grundrechtspositionen in einen gerechten Ausgleich
zu bringen (VGH München, Beschluss vom 08.11.2005 - 24 CS 05.2916, BayVerwBl 2006, 185).
***
Eine ohne vorherige und mögliche Auflösung der Versammlung (hier: Demonstration gegen den Castor-Transport) erfolgte polizeiliche Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer ist rechtswidrig (OLG Celle, Beschluss vom
07.03.2005 - 22 W 7/05):
„... 1. Der Antragsteller war am 13.11.2001 in Hitzacker Teilnehmer eines aus etwa 150 Personen bestehenden Demonstrationszuges, der sich gegen den am selben Tage dort durchgeführten Castor-Transport richtete. Den vom LG
getroffenen Feststellungen zufolge war zumindest von einigen Teilnehmern eine Blockade des durch Hitzacker verlaufenden Bahngleises geplant. Das LG hat zum weiteren Ablauf der Demonstration folgenden Sachverhalt festgestellt:
Die Personengruppe bewegte sich durch Hitzacker und wurde dort durch Polizeikräfte seitlich begleitet. Vereinzelte Teilnehmer warfen sog. Krähenfüße auf die Fahrbahn, wodurch an einigen Einsatzfahrzeugen der Polizei
Reifenschäden verursacht wurden. Als einzelne Mitglieder der Demonstrationsgruppe ihr Gesicht verdeckten, setzten die Einsatzkräfte ihre Helme auf. Die Personengruppe erhöhte das Tempo und begab sich in das anliegende
Waldstück. Daraufhin lies der Leiter der ‚Festnahmeeinheit' die Gruppe in den Wald hinein verfolgen, es wurden ca. 120 Personen eingeschlossen und in Gewahrsam genommen, darunter auch der Antragsteller. Eine Auflösung des
Aufzuges erfolgte nicht. Bei der Gewahrsamnahme befand sich die Personengruppe noch ca. 1 km von der Bahnstrecke entfernt. Der Antragsteller wurde gegen Mittag in die Gefangenensammelstelle in Neu Tramm verbracht und am
14.11.2001 gegen 1.00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.
Der vom Antragsteller gegen diese Freiheitsentziehung gerichtete Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme wurde vom AG Dannenberg als unbegründet zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete
sofortige Beschwerde hat das LG Lüneburg die Entscheidung des AG aufgehoben und festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen rechtswidrig war, weil eine Auflösung der Versammlung nicht erfolgt war. Gegen diese
Entscheidung wendet sich die Polizeidirektion Lüneburg (vormals Bezirksregierung Lüneburg) mit der vom LG nach § 19 Abs. 2 S. 4 NdsGefAG zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.
2. Die weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG stand. Die Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes. Das LG ist rechtlich beanstandungsfrei zu der Feststellung
gelangt, dass die Freiheitsentziehung des Antragstellers rechtswidrig war. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird zum Vermeiden von Wiederholungen zunächst Bezug genommen.
Das LG hat bei seiner Entscheidung insb. rechtlich beanstandungsfrei darauf abgestellt, dass die durch Hitzacker ziehende Personengruppe eine durch Art. 8 GG grundsätzlich geschützte Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes
war und eine ohne deren Auflösung erfolgende Freiheitsentziehung nicht in Betracht kam. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Polizeidirektion Lüneburg erlaubt keine abweichende Beurteilung.
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung verboten werden, wenn die öffentliche Sicherheit hierdurch unmittelbar gefährdet wird. Nach § 15 Abs. 2 VersG kann eine Versammlung - oder ein Aufzug - aufgelöst werden, wenn
die Voraussetzungen zu einem Verbot gegeben sind. Nach § 15 Abs. 3 VersG ist eine verbotene Versammlung auszulösen. Eine Auflösung in diesem Sinne ist vorliegend zu keinem Zeitpunkt erfolgt.
a) Allein der Umstand, dass den getroffenen Feststellungen zufolge einzelne Teilnehmer sog. Krähenfüße oder Mülltonnen auf die Fahrbahn warfen und ihr Gesicht verdeckten, machte eine Auflösung der Versammlung hiernach
ebenso wenig entbehrlich wie das Ziel zumindest einiger Teilnehmer, eine Gleisblockade durchzuführen. Gewaltsame Handlungen nur einzelner Teilnehmer einer Demonstration führen nicht dazu, dass die gesamte Versammlung sich
außerhalb des Schutzbereichs aus Art. 8 GG bewegt. Das Ziel einer - fraglos rechtswidrigen (OVG Lüneburg NVwZRR 2004, 575; OLG Celle v. 29.1.2004 - 22 Ss 189/03) - Gleisblockade könnte allenfalls dazu führen, dass der
Charakter der Versammlung verbotener Natur war oder wurde. Dies macht eine Auflösung aber nicht entbehrlich (BVerwG NVwZ 1988, 250). Denn nach § 15 Abs. 3 VersG ist (auch) eine verbotene Versammlung aufzulösen. Der
Umstand des Verbotenseins einer Versammlung führt weder von sich heraus zu deren Beendigung, noch lässt er das Erfordernis einer Auflösung entfallen; vielmehr setzt eine Auflösung nach § 15 VersG den Tatbestand des
Verbotenseins der Versammlung oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erst voraus. Eine ohne Auflösung einer Versammlung erfolgte Freiheitsentziehung aus Gründen präventivpolizeilicher Gefahrenabwehr
ist rechtswidrig (OVG NW NVwZ 2001, 1315).
b) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, die Personengruppe habe sich zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme bereits selbst aufgelöst gehabt, weshalb es einer Auflösung nicht mehr bedurft habe, findet dies in den vom LG getroffenen
Feststellungen, an die der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich gebunden ist, keine Stütze. Das LG ist den getroffenen Feststellungen zufolge erkennbar von nur einer Gruppe ausgegangen, die sich - nach
zwischenzeitlicher Teilung - durch Hitzacker bewegte (und hierbei von Polizeikräften seitlich begleitet wurde), aus der heraus Krähenfüße auf die Fahrbahn geworfen wurden, die das Tempo erhöhte und die sich in das anliegende
Waldstück begab, die von Einsatzkräften verfolgt und die dort in einer Stärke von 120 Personen eingeschlossen wurde. Eine Selbstauflösung der Gruppe zum Zeitpunkt der Gewahrsamnahme ist hiernach nicht erkennbar.
c) Soweit die Polizeidirektion vorträgt, es habe während der gesamten Phase praktisch zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, eine Auflösungsverfügung zu erlassen, greift auch dieser Einwand nicht durch. Weshalb der
Erlass sowie eine - wie auch immer geartete - Kundgabe einer Auflösungsverfügung praktisch nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Den getroffenen Feststellungen zufolge war es den Einsatzkräften möglich, die
Personengruppe einzuschließen - und sodann in Gewahrsam zu nehmen. Anhaltspunkte für die Annahme, eine Auflösung der Versammlung sei in dieser Phase nicht möglich gewesen, finden sich weder in den Gründen der
angefochtenen Entscheidung, noch werden sie im Rahmen der weiteren Beschwerde vorgetragen. Der Senat verkennt nicht, dass das Geschehen am Tag eines Castor-Transports und der hiergegen gerichteten, teilweise auch massiv
gewalttätigen Demonstrationen einer Vielzahl von Personen und teils gut organisierten Personengruppen von einer gewissen Hektik geprägt ist und häufig auch pragmatisches Vorgehen der Einsatzkräfte erfordert. Das kann die
Bestimmungen des Art. 8 GG einschränkenden Versammlungsgesetzes aber nicht außer Kraft setzen. Ein ‚allgemeines Tohuwabohu und Gerenne' - das sich den vom LG getroffenen Feststellungen überdies nicht entnehmen lässt -
macht eine Auflösung weder von vornherein unmöglich, noch insb. überflüssig.
Hiernach ist nicht erkennbar, weshalb nicht zumindest vor der Entscheidung, die bereits eingeschlossene, d.h. von Polizeikräften bereits umstellte und somit am Fortlaufen gehinderte Personengruppe in Gewahrsam zu nehmen, nicht
auch die Möglichkeit bestanden haben soll, eine Entscheidung über die Auflösung zu treffen und die Teilnehmer hierauf hinzuweisen - mit der Folge, dass alle Teilnehmer sich nunmehr zu entfernen haben. Dies gilt umso mehr, als
den getroffenen Feststellungen zufolge die Personengruppe sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1 km von den Bahngleisen und dem dort angeordneten Verbotskorridor entfernt befand, weshalb eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit auch nicht unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund kam auch die Annahme einer konkludenten Auflösung durch zeitgleichen Einschluss der Personengruppe (OVG Berlin NVwZRR 2003, 896; OVG NW NVwZ
2001, 1315) nicht in Betracht. Erst nach erfolgter Auflösung und für den Fall, dass trotz der Auflösung sämtliche oder einzelne Personen sich nicht - dauerhaft - entfernen, sondern weiter in Richtung des Bahnkörpers sich bewegen,
wären auf Polizeirecht gestützte freiheitsentziehende Maßnahmen zulässig gewesen. ..."
*** (VG, LG)
Die Verwendung von akustischer Verstärkungstechnik zur Wiedergabe von Wort und Musik kann vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst sein, selbst wenn hierdurch Musikdarbietungen auf einem in 50 m Entfernung
stattfindenden Markt gehört werden können (VG Magdeburg, Beschluss vom 20.08.2014 - 1 B 915/14).
***
Ein Versammlungsteilnehmer, der selbst nicht unmittelbarer Adressat einer versammlungsbehördlichen Maßnahme ist, ist jedenfalls dann klagebefugt, wenn durch die versammlungsbehördliche Maßnahme die Fortsetzung der
Versammlung unterbunden wird. Ob eine Versammlung vorliegt, richtet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten, nicht nach der (ex ante ) Einschätzung der Versammlungsbehörde (VG Lüneburg, Urteil vom 30.07.2014 - 5 A 87/13):
„... Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit von polizeilichen Maßnahmen im Vorfeld des Castor-Transportes.
Am 29. Oktober 2011 - dem sogenannten Castorstrecken-Aktionstag etwa einen Monat vor dem Castor-Transport im Jahr 2011 - traf sich die Klägerin gegen 14:00 Uhr mit mindestens sechs weiteren Personen in einem Waldstück im
‚Tiergarten' in Lüneburg an der Bahnlinie Lüneburg-Dannenberg in der Nähe eines Bahnübergangs. Die Gruppe hielt sich zunächst bei einer Bank etwa acht Meter entfernt von dem Bahnübergang auf, packte mitgeführte Gegenstände,
insbesondere Kletterausrüstungen, aus und nahm sodann mitgebrachte Nahrungsmittel zu sich. Hierbei wurde die Gruppe aus einer Entfernung von etwa zwanzig Metern von mehreren Polizeibeamten beobachtet und von einem der
Beamten auch gefilmt. Einer der Polizeibeamten näherte sich der Gruppe einmal bis auf etwa zwei Meter, sprach diese jedoch nicht an.
Bereits am Vormittag desselben Tages hatte auf dem Bahnhofsvorplatz in Lüneburg eine Demonstration gegen den Castor-Transport stattgefunden. Am Rande dieser Demonstration hatte die Klägerin gemeinsam mit weiteren
Personen, die nunmehr ebenfalls zumindest zum Teil an dem genannten Treffen in dem Waldstück teilnahmen, Dächer auf dem Bahnhofsgelände erklettert und dort Transparente gegen den Castor-Transport entrollt. Obwohl diese
Aktivitäten der Klägerin und ihrer Begleiter nicht Teil der auf dem Bahnhofsvorplatz stattfindenden Demonstration und auch nicht gesondert als Demonstration angemeldet gewesen waren, war die Beklagte davon ausgegangen, dass
eine Gefahrenlage nicht bestehe und hatte aus diesem Grunde nicht eingegriffen.
Etwa 30 bis 45 Minuten nach dem Beginn des Treffens in dem Waldstück begab sich die Gruppe auf die andere Seite der Gleise und dort zu einer etwa zwölf Meter von der Schienentrasse entfernten Eiche. Nach weiteren 10 bis 15
Minuten hatten die meisten Teilnehmer des Treffens Kletterausrüstungen angelegt, die Klägerin begann bereits, den Baum zu besteigen. Als die Klägerin sich schon in einiger Höhe befand - vom Erdboden aus außer Reichweite -,
traten die Polizeibeamten, die das Geschehen bisher nur beobachtet hatten, an die an der Eiche stehende Gruppe heran. Dabei wurden Videoaufzeichnungen von der Gruppe angefertigt. Die Gruppenmitglieder wurden aufgefordert, ihre
Personalien anzugeben und die Kletterausrüstungen herauszugeben. Die Kletterausrüstungen seien sichergestellt. Die Identitätsfeststellung sowie die Sicherstellung führten zu hitzigen Diskussionen und Wortwechseln zwischen der
Gruppe und den Polizeibeamten. Einem der Gruppenmitglieder wurde ein Platzverweis erteilt. Die noch immer in etwa fünf Metern Höhe auf dem Baum befindliche Klägerin merkte den Polizeibeamten gegenüber an, ihre Sicherheit
werde durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter gefährdet. Ihr könne niemand mehr zur Hilfe kommen.
Nach Abstimmung mit ihrer Einsatzleitung ignorierten die vor Ort anwesenden Polizeibeamten die noch immer auf dem Baum befindliche und den Beamten bekannte Klägerin. Die Klägerin verblieb noch eine Weile auf dem Baum,
hängte dort ein gelbes ‚X' aus Holz - das Zeichen des Widerstandes gegen die Castor-Transporte - auf und kletterte gegen 17:00 Uhr sodann wieder zu Boden. Die Polizeibeamten hatten die Örtlichkeiten zu diesem Zeitpunkt seit etwa
einer halben Stunde wieder verlassen. Die durch die Beklagte angefertigten Videoaufnahmen wurden im Weiteren wieder gelöscht.
Die Klägerin hat am 14. November 2011 Klage erhoben.
Sie behauptet, zu Beginn des Treffens seien neben den Kletterausrüstungen auch gelbe ‚Xe' aus Holz sowie Plakate ausgepackt worden. Diese seien für Passanten und auch die Polizeibeamten ohne Weiteres sichtbar gewesen. Das
Besteigen des Baumes durch die Gruppe habe nicht nur eine reine Kletterübung sein, sondern auch dem Abhalten einer Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG dienen sollen. Dies sei auch aus den Gesprächen innerhalb der Gruppe
hervorgegangen, die in normaler und damit für die Polizeibeamten hörbarer Lautstärke geführt worden seien. Überdies habe sie die Polizeibeamten aus dem Baum heraus während der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer
Begleiter wiederholt darauf hingewiesen, dass die Durchführung einer Versammlung auf dem Baum beabsichtigt gewesen sei und diese nun durch die Beamten verhindert würde. Weiter behauptet sie, durch die Sicherstellung der
Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sei ihre Sicherheit gefährdet worden. Wäre sie auf dem Baum in Not geraten, hätte ihr niemand zügig zu Hilfe kommen können.
Die Klägerin meint, ihr Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG sei durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter verletzt worden. Gleiches gelte im Hinblick auf die Identitätsfeststellungen bei den übrigen Gruppenmitgliedern.
Ferner sei auch das Filmen der Gruppe nicht zulässig gewesen. Die Gruppe habe sich friedlich verhalten und es sei nicht anzunehmen gewesen, dass von ihr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe.
Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die polizeilichen Maßnahmen gegen die Versammlung, an der die Klägerin teilnahm, am 29. Oktober 2011 durch die Landes- und Bundespolizei von ca. 14:00 bis ca. 17:00 Uhr rechtswidrig
waren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, gelbe ‚Xe' oder Plakate seien von der Gruppe nicht in nach außen sichtbarer Weise mitgeführt worden. Die Gruppe habe auch sonst nicht den Eindruck vermittelt, als würde sie eine Versammlung abhalten oder abhalten
wollen. Die Teilnehmer des Treffens seien sogar ausdrücklich nach dem Vorliegen einer Versammlung gefragt worden und hätten dieses verneint.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig: Da eine Versammlung nicht vorgelegen habe, seien Rechte der Klägerin durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter nicht berührt. Soweit die Klägerin
nur gelegentlich von den Filmaufnahmen erfasst worden sei, fehle es an einem für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen Feststellungsinteresse. Insbesondere liege weder eine Wiederholungsgefahr noch ein schwerwiegender und
tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Die Sicherstellung der Kletterausrüstungen sei aber jedenfalls zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bahnverkehr erforderlich gewesen. Vom Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr
habe die Beklagte insbesondere im Hinblick auf ‚Kletteraktionen' der Klägerin in der Vergangenheit - so etwa das Abseilen von einer Brücke im Jahr 2008, durch das der regionale Bahnverkehr für mehrere Stunden behindert gewesen
sei - ausgehen müssen. Das Filmen der Gruppe sei nach deren heftiger Reaktion auf die Identitätsfeststellung und die Sicherstellung gerechtfertigt gewesen, da mit Straftaten gegen die Polizeibeamten habe gerechnet werden müssen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B., C., D., E. und F.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. Juli 2014 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. ...
Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist teilweise zulässig und, soweit sie zulässig ist, auch begründet.
Gegenstand der Klage sind ausschließlich Maßnahmen der Beklagten, nicht auch solche der Bundespolizei. Klagegegner ist daher auch allein die Beklagte, nicht zugleich die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das
Bundesministerium des Innern, dieses wiederum vertreten durch die Bundespolizeidirektion. Denn das Begehren der Klägerin ist dahingehend auszulegen, dass ausschließlich Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Beklagten begehrt
wird. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin in ihren Anträgen die Bundespolizei teils erwähnt. Die zunächst anwaltlich nicht vertretene Klägerin hat zwar zumindest ausdrücklich keinen Klagegegner benannt. Sie wendet sich
aber zum einen im Einzelnen ausschließlich gegen von der Beklagten durchgeführte Maßnahmen; konkrete Maßnahmen der Bundespolizei werden nicht benannt. Zum anderen hat das Gericht ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung am
14. November 2011 ausschließlich die Beklagte als Klagegegner geführt und nicht auch die Bundesrepublik in das Verfahren einbezogen. Dies war der Klägerin ab Erhalt des gerichtlichen Eingangsschreibens vom 17. November 2011
ersichtlich. Wenn die Klägerin die Bundesrepublik als Beklagte hätte einbeziehen wollen, hätte es ihr im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflichten oblegen, klarzustellen, dass ihre Klage sich auch gegen die Bundesrepublik
richten sollte. Hierzu wäre die Klägerin, die zwar keine formale juristische Ausbildung durchlaufen hat, in juristischen Angelegenheiten aber durchaus - wie nicht zuletzt ihr schriftsätzlicher Vortrag im vorliegenden Verfahren zeigt -
nicht unbewandert ist, ohne Zweifel in der Lage gewesen. Spätestens ihr Prozessbevollmächtigter, der ihr durch den Prozesskostenhilfebeschluss vom 24. Januar 2014 beigeordnet wurde, hätte eine entsprechende Klarstellung leisten
können und müssen. So hat die Klägerin das Verfahren aber insgesamt sehenden Auges über etwa 21 Monate nur gegen die Beklagte geführt und erst wenige Minuten vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung durch ihren
Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass sich ihres Erachtens die Klage auch gegen ‚die Bundespolizei' richte. Eine entsprechende Klageänderung hat die Klägerin nicht erklärt.
I. Die Klage ist zulässig, soweit die Klägerin sich gegen die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter (I.2.a) sowie gegen das Anfertigen von Videoaufzeichnungen von ihr selbst (I.2.b) wendet; im Übrigen ist sie
unzulässig (I.2.c).
1. Es kann dahinstehen, inwieweit den von der Klägerin angegriffenen Maßnahmen - den Identitätsfeststellungen hinsichtlich der Begleiter der Klägerin, den Sicherstellungen der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter und dem
Anfertigen von Videoaufzeichnungen - Verwaltungsaktqualität zukommt. Da die in Rede stehenden Maßnahmen - gleich ob Verwaltungs- oder Realakt - sich tatsächlich erledigt haben, können sie als staatliches Handeln zum
Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) oder einer erweiterten Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) gemacht werden. Hinsichtlich ihrer hier maßgeblichen
Zulässigkeitsvoraussetzungen, Klagebefugnis und (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse, sind beide Klagearten aber wesentlich gleich (ebenfalls offen gelassen: BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 - 6 C 26/03 -, NJW 2005, 454; Urt. v.
28.03.2012 - 6 C 12/11 -, juris, Rn. 15; VG Lüneburg, Urt. v. 30.03.2004 - 3 A 116/02 -, NVwZ-RR 2005, 248, 249; VG Göttingen, Urt. v. 21.11.2012 - 1 A 14/11 -, juris, Rn. 11).
2. Die Klägerin weist die in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie des Anfertigens von Videoaufzeichnungen von
ihr selbst auf; im Übrigen fehlt es der Klägerin an einer Klagebefugnis.
Eine Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (analog) besteht, wenn ein Kläger geltend machen kann, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt (worden) zu sein. Durch die Klagebefugnis als Sachentscheidungsvoraussetzung
sollen Popularklagen ausgeschlossen und unnötige Inanspruchnahmen Beklagter vermieden werden (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42, Rn. 59).
a. Es erscheint zumindest möglich, dass die Klägerin durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie die Anfertigung von Videoaufzeichnungen von ihr selbst in eigenen Rechten aus Art. 8 Abs. 1 GG und § 1
Abs. 1 NVersG verletzt wurde. Denn im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin lag eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG vor.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Der
Schutzbereich ist dabei nicht nur dann betroffen, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch dann, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (BVerfG, Beschl.
v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 14; VG Göttingen, Urt. v. 06.11.2013 - 1 A 98/12 -, juris, Rn. 19).
aa. Eine Versammlung ist gemäß § 2 Abs. 1 NVersG eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zusammenkunft von mindesten zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten
Erörterung oder Kundgebung (ebenso zum Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG BVerfG, Beschl. v. 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 - juris, Rn. 12; Beschl. v. 10.12.2010 - 1 BvR 1402/06 - juris, Rn. 19; Beschl. v. 19.12.2007 - 1
BvR 2793/04 - juris, Rn. 14). Die Klägerin und ihre Begleiter hatten die Absicht, sich an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie an der Castor-Transportstrecke befindliche Bäume erklettern und an diesen gelbe
Kreuze in X-Form als Symbol für die Ablehnung der Atomenergie im Allgemeinen und der Castor-Transporte in das Wendland im Speziellen anbringen. Das Handeln der Klägerin und ihrer Begleiter stellt sich dabei als Kundgebung -
eine Zusammenkunft, mittels derer die Teilnehmer ihre gemeinsame Überzeugung zeigen (Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 25) - dar.
Dem Versammlungscharakter des Zusammentreffens steht nicht entgegen, dass das Erklettern von Bäumen und Anbringen gelber Kreuze in X-Form zum Zwecke der gemeinsamen Meinungskundgabe eine eher ungewöhnliche Form
der Versammlung darstellt. Denn hinsichtlich der Art und Weise der Ausgestaltung der Versammlung besteht Typenfreiheit, die Versammlungsfreiheit umfasst als spezifisches Kommunikationsgrundrecht auch die Befugnis zum
Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.05.2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris, Rn. 29; VG Frankfurt, Beschl. v. 06.08.2012 - 5 L 2558/12.F -, juris, Rn. 19; Dietel/Gintzel/Kniesel,
VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 54; Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 29).
Ebenfalls unschädlich ist, dass die Versammlung der zuständigen Behörde im Vorfeld nicht angezeigt wurde. Dabei kann offen bleiben, ob eine Anzeige gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NVersG 48 Stunden vor Bekanntgabe der
Versammlung möglich und daher Pflicht war, ob eine Eilversammlung vorlag, die gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 NVersG (nur) unverzüglich hätte angezeigt werden müssen, oder ob es sich bei der Versammlung der Klägerin und ihrer
Begleiter um eine Spontanversammlung gehandelt hat, bei der keine Anzeigepflicht bestand (§ 5 Abs. 5 NVersG). Denn selbst wenn eine Anzeigepflicht bestanden hätte, aber nicht erfüllt worden wäre, ließe eine solche Verletzung der
Anzeigepflicht den Versammlungscharakter einer Zusammenkunft unberührt (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, juris, Rn. 89; Ullrich, NVersG, 2011, § 5, Rn. 23).
bb. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen zum Vorliegen einer Versammlung führende Tatsachen
gegeben waren. Die Zeugen D., E. und F. haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend geschildert, dass man sich getroffen habe, um gegen den Castor-Transport zu protestieren und hierbei das Klettern zu üben. Dabei
haben die Zeugen D. und E. hervorgehoben, dass man sich am 29. Oktober getroffen habe, weil dies der ‚Castorstrecken-Aktionstag' gewesen sei. Dass die Klägerin und ihre Begleiter die Absicht hatten, durch eine Kundgabe
gemeinsam an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben, wird nachhaltig durch den Umstand gestützt, dass die Klägerin und ihre Begleiter gelbe Holzkreuze in X-Form und auch mindestens ein mit einer gegen den
Castor-Transport gerichteten Aufschrift versehenes Plakat mit sich führten.
Dass die Gruppe um die Klägerin (mindestens) ein Protestplakat dabei hatte, wurde von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Dass die Gruppe außerdem mehrere gelbe Holzkreuze in X-Form in nach außen hin sichtbarer Weise mit
sich führte, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die Zeugen D., E. und F. haben übereinstimmend angegeben, die Gruppe um die Klägerin habe gelbe Holzkreuze in X-Form mit sich
geführt. Glaubhaft erscheinen diese Aussagen insbesondere deshalb, weil diese drei Zeugen unabhängig voneinander angegeben haben, dass die Kreuze eine Größe gehabt hätten, die es ausgeschlossen habe, sie in Rucksäcken zu
transportieren. Außerdem haben die Zeugen D., E. und F. ebenfalls übereinstimmend angegeben, dass die Kreuze am Vortag gefertigt worden seien. Die Zeugen D. und E. haben zudem konkrete Angaben zur Größe der Kreuze
gemacht, die einander in etwa entsprachen.
Zwar haben sowohl der Zeuge B. als auch der Zeuge C. angegeben, sie hätten Holzkreuze am 29. Oktober 2011 nicht wahrgenommen oder könnten sich nicht erinnern, an diesem Tag bei der Gruppe um die Klägerin solche Kreuze
gesehen zu haben. Der Zeuge C. hat indes angegeben, dass er bei Sichtung der von ihm angefertigten Videoaufzeichnungen durchaus ein gelbes Holzkreuz in dem Baum, auf dem sich die Klägerin befand, habe erkennen können. Er
wisse lediglich nicht, ob es sich hierbei um ein schon zuvor vorhandenes oder erst am 29. Oktober 2011 durch die Klägerin angebrachtes Holzkreuz gehandelt habe. Dafür, dass es sich bei dem von dem Zeugen C. beschriebenen
Holzkreuz um ein am 29. Oktober 2011 angebrachtes handelt, spricht die Angabe des Zeugen E., wonach die Klägerin bereits vor dem Ende des Einsatzes der Beklagten ein Holzkreuz in dem von ihr erkletterten Baum befestigt habe.
Letztlich kann aber offen bleiben, wann das Holzkreuz angebracht wurde. Denn maßgeblich ist, dass ein solches mitgeführt wurde und die Gruppe die Absicht hatte, durch dessen Anbringung an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben.
Im Übrigen spricht auch das von der Klägerin mit dem Schriftsatz vom 4. März 2012 vorgelegte Foto, auf dem sowohl im Gras liegende Holzkreuze in X-Form als auch Polizeibeamte erkennbar sind, dafür, dass die Gruppe um die
Klägerin Holzkreuze der genannten Art mit sich geführt hat.
Demgegenüber ergeben sich Zweifel im Hinblick auf die Angaben der Zeugen B. und C., weil diese sich nur teilweise an Einzelheiten der Geschehnisse am fraglichen Tag erinnern konnten und sich im Übrigen die Aussagen dieser
Zeugen nicht widerspruchsfrei ineinander fügen. So haben zwar beide Zeugen angegeben, es habe zwischen den Polizeibeamten und der Gruppe um die Klägerin Diskussionen gegeben. Der Zeuge B. hat allerdings gemeint, diese
Diskussionen hätten sich in erster Linie auf die sichergestellten Kletterausrüstungen bezogen, während der Zeuge C. ausgeführt hat, die Diskussionen hätten primär den Identitätsfeststellungen gegolten. Ferner stehen die Aussagen der
Zeugen B. und C. in Widerspruch, soweit es um den Zeitpunkt des Eintreffens des G. geht. Der Zeuge B. hat ausgeführt, sein Bericht vom 21. November 2011 sei (unter anderem) richtig, soweit dort die Schilderung der Sachlage
gegenüber dem H. dargestellt ist. Ausgeführt wird in dem besagten Bericht, der Zeuge B. sei zum Zeugen Brauer zurückgekehrt, um die Sachlage zu schildern, hieraufhin habe der H. die Sicherstellung angeordnet. Der Zeuge B. habe
sich sodann wieder zu der Gruppe um die Klägerin begeben, wobei die Klägerin zwischenzeitlich einen Baum erklommen habe. Nach den Ausführungen des Zeugen C. verhielt es sich dagegen so, dass die Klägerin zunächst auf einen
Baum geklettert und der H. - abweichend von der Darstellung des Zeugen B. - erst später vor Ort eingetroffen sei.
Für das Vorliegen einer Versammlung spricht außerdem, dass die Gruppe um die Klägerin gegenüber den Beamten der Beklagten auch angegeben hat, eine Versammlung durchführen zu wollen. Zwar bedarf es einer ausdrücklichen
Berufung der Teilnehmer einer Versammlung auf das Versammlungsgrundrecht nicht. Dass die Gruppe um die Klägerin angegeben hat, eine Versammlung durchführen zu wollen, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber
ebenfalls zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar hat die Beklagte schriftsätzlich vorgetragen, es sei ausdrücklich gefragt worden, ob eine Versammlung stattfinden solle. Keiner der befragten Zeugen - insbesondere auch nicht die
Zeugen B. und C. - konnte sich allerdings an eine derartige Frage erinnern. Die Zeugen D., E. und F. haben dagegen ausgesagt, es sei ausdrücklich auf das Vorliegen einer Versammlung hingewiesen worden. Sehr eindrücklich
erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen F., nach welcher dieser sich daran erinnere, dem Zeugen B. gesagt zu haben, dieser störe ‚wieder einmal' eine Versammlung. Zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin
D., E. und F. trägt außerdem maßgeblich bei, dass sie jeweils geschildert haben, es sei die Rede davon gewesen, dass man sich vor Gericht wiedersehen werde.
Die Annahme, dass Gespräche über das Vorliegen einer Versammlung stattfanden, wird auch durch den von der Beklagten mit der Klageerwiderung übersandten Bericht des G. vom 29. Oktober 2011 gestützt, in dem angegeben ist,
die Klägerin habe das Erklimmen des Baumes zu einer ‚politischen Aktion' erklärt.
Für die Absicht zur gemeinsamen Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung durch eine besondere Form der Kundgebung spricht hier zudem, dass die Zusammenkunft am sogenannten Castorstrecken-Aktionstag und auch an der
Strecke des Castor-Transportes sowie unter Beteiligung der Klägerin stattfand, die auch der Beklagten nicht etwa als reine Klettersportlerin, sondern als ‚Kletteraktivistin' (vgl. etwa Bericht des G. vom 28. November 2011) bekannt
war und ist.
cc. Die Versammlung hatte im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Beklagten auch bereits begonnen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NVersG bestimmt die Leiterin oder der Leiter den Ablauf der Versammlung. Dieses Mitbestimmungsrecht
umfasst auch das Recht zur Festsetzung des Beginns der Versammlung (LT-Drs. 16/2075, S. 22; Ullrich, NVersG, 2011, § 7, Rn. 15; Miller, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 7, Rn. 9; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl.
2008, § 5, Rn. 4; Ott/Wächtler/Heinold, VersG, 7. Aufl. 2010, § 8, Rn. 1). Zwar wurde ein Leiter gegenüber der Beklagten nicht benannt. Grundsätzlich ist als Leiter einer Versammlung deren Veranstalter anzusehen
(Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 7, Rn. 10). Ist ein solcher - wie hier - nicht eindeutig feststellbar, kann aus der tatsächlichen Wahrnehmung typischer Aufgaben eines Leiters auf die Leitereigenschaft geschlossen
werden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.09.1977 - 5 Ss 296/77-256/77 I -, juris, Rn. 5; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 7, Rn. 10). Eine solche Wahrnehmung von typischen Aufgaben eines Leiters ist vorliegend am
ehesten bei der Klägerin zu erkennen, die als erste einen Baum bestiegen und hierdurch ihre Begleiter angehalten hat, ebenfalls mit dem Klettern zu beginnen. Außerdem dürfte die Klägerin aufgrund ihrer besonderen Klettererfahrung
eine gewisse Führungsposition innegehabt haben. Spätestens mit dem Erklimmen des Baumes hat die Klägerin das Signal gegeben, dass die Versammlung nunmehr beginne.
Aber auch dann, wenn man die Auffassung vertritt, die Tätigkeit der Klägerin sei von eher untergeordneter Bedeutung und sie sei nicht als Leiterin anzusehen, hätte die Versammlung rein tatsächlich bereits begonnen, als die Beklagte
einschritt - möglicherweise schon, als die Gruppe die Gleise überquerte, spätestens aber, als die Klägerin den Baum zu erklimmen begann. Das Klettern sollte gerade Teil und besondere Ausdrucksform der Kundgebung sein. Für den
Beginn einer Versammlung bedarf es keiner formellen Eröffnung durch einen Versammlungsleiter, ebenso ist der rein tatsächliche Beginn einer Versammlung möglich. Anderenfalls bestünde die Möglichkeit, dass eine
Spontanversammlung, als welche auch die hier in Rede stehende Versammlung einzustufen sein könnte, gar nicht beginnen kann. Denn § 7 Abs. 1 Satz 1 NVersG bestimmt, dass jede nach § 5 anzuzeigende Versammlung unter freiem
Himmel eine Leiterin oder einen Leiter haben muss. Da Spontanversammlungen nach § 5 Abs. 5 NVersG nicht der Anzeigepflicht unterliegen, besteht hier auch nicht die Pflicht zur Bestellung eines Leiters (LT-Drs. 16/2075, S. 22),
der die Spontanversammlung eröffnen könnte.
dd. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sinngemäß geäußerten Auffassung ist der Klägerin auch nicht etwa deshalb ein Berufen auf Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG verwehrt, weil die vor Ort
handelnden Beamten das Zusammentreffen der Gruppe um die Klägerin nicht als Versammlung wahrgenommen hätten, es im Polizeirecht aber stets auf die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten ankomme. Denn die ex-ante-Sicht des
handelnden Beamten ist nicht für die Frage maßgeblich, welche Rechte einem Betroffenen zustehen; die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines (Grund-)Rechtes richtet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten. Von
Bedeutung ist die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten vielmehr bezüglich der Frage nach dem Vorliegen von ein hoheitliches Einschreiten erfordernden Gegebenheiten, dem Vorliegen einer Gefahr (vgl. hierzu etwa Denninger, in:
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D, Rn. 47). Ob ein bestimmtes Verhalten in den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechtes fällt, ist jedoch unabhängig davon zu beantworten, ob eine Gefahr gegeben
ist; insbesondere steht das Vorliegen einer Gefahr nicht der Eröffnung des Schutzbereiches eines Grundrechtes entgegen. Besteht eine Gefahr, ist vielmehr zu prüfen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang deren
Vorliegen einen Eingriff in den objektiv zu bestimmenden grundrechtlichen Schutzbereich zu rechtfertigen vermag.
b. Klagebefugt ist die Klägerin ferner, soweit sie sich gegen die durch die Beklagte von ihr gefertigten Videoaufzeichnungen wendet. Insoweit besteht zum einen die Möglichkeit der Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 8
Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG. Das Anfertigen der Videoaufzeichnungen hatte möglicherweise die Eignung, eine Einschüchterungswirkung zu erzeugen, die dazu veranlassen konnte, der Versammlung entweder vollständig fern zu
bleiben oder sich im Rahmen der Versammlung in einer Art und Weise zu verhalten, die den handelnden Beamten genehm erschien. Darüber hinaus ist auch eine Verletzung des Rechtes der Klägerin auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) denkbar. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin - nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten - nur ‚bei Gelegenheit' des Anfertigens von
Videoaufzeichnungen anderer Teilnehmer erfasst wurde. Denn eine Absicht, die Klägerin zu filmen, ist nicht Voraussetzung für eine (mögliche) Rechtsverletzung. Soweit andere Teilnehmer der Veranstaltung von den
Videoaufzeichnungen erfasst wurden, liegt dagegen keine Klagebefugnis vor. Dass insoweit in diesem konkreten Fall eine einschüchternde Wirkung vom Anfertigen der Aufnahmen ausging und mithin eine Verletzung von Rechten
der Klägerin möglich wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
c. Dagegen fehlt es der Klägerin an der gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderlichen Klagebefugnis hinsichtlich der Identitätsfeststellungen bezüglich ihrer Begleiter. Die Identitätsfeststellungen bezogen sich nicht auf die
Klägerin selbst. Mangels Adressatenstellung der Klägerin käme die Herleitung einer Klagebefugnis vorliegend - wie auch hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen - allein aus der Möglichkeit einer Verletzung der Rechte
der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG in Betracht. Eine solche Verletzung kann jedoch in jeder Hinsicht ausgeschlossen werden. Anders als durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen wurde durch die
Identitätsfeststellungen die Durchführung der Versammlung nicht unterbunden, wesentlich erschwert oder auch nur erheblich verzögert. Denkt man die Sicherstellung der Kletterausrüstungen hinweg, so hätte der Fortgang
der Versammlung sich durch die Identitätsfeststellungen nur geringfügig und - auch im Hinblick auf die Gesamtdauer des Zusammentreffens einschließlich der Versammlung - in zu vernachlässigendem Umfang verzögert. Selbst wenn
diese geringfügige Verzögerung von der Klägerin als lästig empfunden worden sein sollte, wurde die Schwelle zu einem Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch die Identitätsfeststellungen nicht überschritten. Ein Eingriff wäre erst
dann zu bejahen, wenn die Identitätsfeststellungen in einer für die Ermittlung der Identität der Begleiter der Klägerin nicht erforderlichen Weise erfolgt wären (vgl. VG Frankfurt, Beschl. v. 09.05.2014 - 5 K 2483/13.F -, juris, Rn. 12),
die Identitätsfeststellungen mithin z.B. unnötig umständlich oder zeitraubend gestaltet worden wären. Hierfür ist vorliegend indes nichts ersichtlich. Dass eine erhebliche Verzögerung allein durch die Identitätsfeststellungen nicht
eintrat, ergibt sich nicht zuletzt im Hinblick zum einen darauf, dass die Klägerin und ihre Begleiter sich einige Zeit ließen, bevor sie sich nach ihrem Eintreffen vor Ort daran machten, die Versammlung zu beginnen, ein fester Zeitplan
folglich nicht bestand. Zum anderen war die Gruppe auch nicht etwa darauf angewiesen, die Versammlung zu einer bestimmten Uhrzeit durchzuführen, um deren Zweck zu erreichen.
Eine Klagebefugnis der Klägerin bezüglich der Identitätsfeststellungen lässt sich auch nicht begründen, indem man - wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung - anführt, dass die Identitätsfeststellungen sich als Teil eines
einheitlichen Lebenssachverhaltes dargestellt hätten, der auch die Sicherstellungen und das Anfertigen der Videoaufzeichnungen umfasst und der insgesamt die Eignung aufgewiesen hätte, einschüchternd auf Versammlungsteilnehmer
zu wirken. Die Identitätsfeststellungen waren zwar Teil eines Gesamtgeschehens im Sinne von aufeinander folgenden Ereignissen, zu denen auch die Sicherstellungen und das Anfertigen der Videoaufzeichnungen zählten; die
Zugehörigkeit zu einem solchen Gesamtgeschehen verbindet die Einzelmaßnahmen jedoch noch nicht zu einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Vielmehr waren die Einzelmaßnahmen von der Beklagten auch als solche - jeweils
einzeln - gewollt und wurden auch einzeln und insbesondere auch als Einzelmaßnahmen erkennbar durchgeführt. Sie unterliegen aus diesem Grunde einer jeweils eigenständigen rechtlichen Prüfung.
3. Das notwendige Feststellungsinteresse liegt bezüglich der Maßnahmen, hinsichtlich derer die Klägerin klagebefugt ist - der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sowie des Anfertigens von Videoaufnahmen von ihr
- vor. Es erscheint zwar fraglich, ob sich das Feststellungsinteresse auf eine Wiederholungsgefahr stützen lässt. Denn die Bejahung einer Wiederholungsgefahr setzte voraus, dass die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer
vergleichbaren Versammlung durch die Betroffenen besteht und außerdem deutlich ist, dass die Behörde an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, Rn. 22). Vorliegend kann
aber erstens die erneute Durchführung eines Castor-Transportes nach Gorleben, der Anlass für die geplante Versammlung war, nicht abgesehen werden. Zweitens hat die Beklagte ihr Vorgehen auf die tatsächliche Annahme gestützt,
die Klägerin und ihre Begleiter hätten ausschließlich ein ‚Klettertraining' durchführen wollen, weshalb ihres Erachtens keine grundrechtlich geschützte Versammlung vorgelegen habe. Ursache für den vorliegenden Rechtsstreit sind
damit vielmehr divergierende Tatsachen- als Rechtseinschätzungen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nochmals einer vergleichbaren Fehleinschätzung unterliegen wird, sind nicht hinreichend konkret ersichtlich.
Letztlich kann die Frage nach dem Vorliegen einer Wiederholungsgefahr aber offenbleiben. Denn nach dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes muss die Möglichkeit bestehen, einen Grundrechtseingriff gerichtlich
prüfen zu lassen, wenn die Grundrechtsausübung entweder unmöglich gemacht oder wenigstens erheblich beeinträchtigt wurde (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 36 ff.). Im Falle der Verneinung des
Feststellungsinteresses wäre der Klägerin ein Rechtsschutz gegen die Sicherstellungen aber versagt. Der Klägerin wurde durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter die Möglichkeit genommen, eine bereits
begonnene Versammlung fortzusetzen. Damit war ihr Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG im Kern und nicht nur unerheblich in Randbereichen betroffen. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in derart
gelagerten Fällen die Bejahung eines Feststellungsinteresses (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, NJW 2004, 2510, 2511 f.; BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12/97 -, juris, Rn. 13). Dies gilt insbesondere im
Hinblick auf - hier streitgegenständliche - polizeiliche Maßnahmen (BVerwG, Urt. v. 29.04.1997 - 1 C 2/95 -, juris, Rn. 21).
Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Anfertigens der Videoaufzeichnungen. Betroffenes Grundrecht ist insoweit nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern daneben
ebenfalls das Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. VGH BW, Urt. v. 26.01.1998 - 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761, 762; VG Berlin, Urt. v. 05.07.2010 - 1 K 905.09 -, juris, Rn. 13) und § 1 Abs. 1 NVersG.
II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet.
Die am 29. Oktober 2011 von der Beklagten im Tiergarten in Lüneburg an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg durchgeführten Sicherstellungen von Kletterausrüstungen sowie das Anfertigen von Videoaufzeichnungen von
der Klägerin waren rechtswidrig.
1. Der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG und des § 1 Abs. 1 NVersG war für die von der Klägerin und ihren Begleitern geplante und bereits begonnene Kundgabe aus den bereits dargelegten Gründen eröffnet. Sowohl die
Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin als auch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin stellten einen Eingriff in diesen Schutzbereich dar.
a. Infolge der Sicherstellung der Klettererausrüstungen konnten die Begleiter der Klägerin nicht mehr wie vorgesehen in an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg befindliche Bäume steigen und dort als Zeichen ihrer
Ablehnung der Atomindustrie und der Castor-Transporte die am Tag zuvor angefertigten gelben Holzkreuze in X-Form anbringen. Die weitere Durchführung der Versammlung wurde damit tatsächlich unterbunden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, einen Baum zu erklimmen, dort über den Einsatz der Beklagten hinaus zu verbleiben und auch (mindestens) ein gelbes Holzkreuz anzubringen. Denn sowohl Art. 8
Abs. 1 GG als auch § 1 Abs. 1 NVersG geben ein Recht, sich zu versammeln. § 1 Abs. 1 NVersG formuliert sogar noch deutlicher ‚mit anderen Personen zu versammeln'. Wenn die Beklagte sich entschied, die Klägerin in dem Baum
zu belassen und ihr die Möglichkeit zu geben, dort weiter ungehindert tätig zu werden, so mag zwar die Meinungsfreiheit der Klägerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. GG uneingeschränkt geblieben sein; bei der
Versammlungsfreiheit handelt es sich aber gerade um die ‚Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe' (BVerfG, Beschl. v. 15.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 63; BVerfG, Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 131),
die durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der Klägerin beschränkt wurde.
b. Auch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin stellt einen Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG dar. Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nicht erst dann zu
bejahen, wenn die Versammlung verboten, aufgelöst oder - wie hier - anderweitig unterbunden wird, sondern schon dann, wenn die Art und Weise der Durchführung der Versammlung durch hoheitliche Maßnahmen
beschränkt wird oder von diesen eine Wirkung ausgeht, die den Einzelnen davon abhalten kann, von seiner Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 15;
VerfGH Berlin, Urt. v. 11. April 2014 - 129/13 -, juris, Rn. 48). Wer aber damit rechnen muss, dass seine Teilnahme an einer Versammlung durch Videoaufzeichnungen behördlich festgehalten wird und sich hieraus die Gefahr
persönlicher Nachteile ergibt, wird einen Verzicht auf die Ausübung seiner Versammlungsfreiheit in Betracht ziehen. Auf diesem Wege wird nicht nur die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Grundrechtsinhabers verkürzt, sondern
auch das Gemeinwohl beeinträchtigt, das auf die kollektive öffentliche Meinungskundgabe als elementare Bedingung eines auf die Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen
Gemeinwesens angewiesen ist (BVerfG, Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 131; VerfGH Berlin, Urt. v. 11. April 2014 - 129/13 -, juris, Rn. 48).
2. Eine die vorgenannten Eingriffe rechtfertigende gesetzliche Grundlage besteht nicht.
a. Hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ergibt sich eine Rechtfertigung weder aus den Bestimmungen des NVersG noch aus denen des Nds.SOG.
aa. Die Sicherstellung ließ sich nicht auf den von der Beklagten zuletzt angeführten § 10 Abs. 2 Satz 2 NVersG stützen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1, 2 NVersG kann die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Verbote nach den §§ 3
und 9 NVersG sowie zur Abwehr erheblicher Störungen der Ordnung der Versammlung durch teilnehmende Personen Gegenstände sicherstellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Eingriffsnorm waren vorliegend nicht erfüllt.
Im Zeitpunkt der Sicherstellung war weder ein Bedürfnis zur Durchsetzung eines Verbotes nach § 3 NVersG noch zur Durchsetzung eines Verbotes nach § 9 NVersG erkennbar. Insbesondere sprach nichts dafür, dass gegen das Verbot
verstoßen worden war oder verstoßen werden würde, Waffen oder sonstige Gegenstände, die zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, in der Versammlung zur Verwendung bereitzuhalten oder zu verteilen (§ 3 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 NVersG). Die Beklagte ging in ihrer Gefahrenprognose zwar davon aus, dass ein beeinträchtigendes Einwirken der Klägerin und ihrer Begleiter auf den Schienenverkehr zu befürchten sei. Umstände, die einen Verstoß
gegen das vorgenannte Verbot befürchten ließen, hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen; solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
Weiter gestattet § 10 Abs. 2 Satz 2 NVersG auch ein Tätigwerden zur Abwehr erheblicher Störungen der Ordnung der Versammlung durch teilnehmende Personen. Zur Abwehr einer solchen Gefahr hat die Beklagte jedoch ersichtlich
nicht gehandelt.
bb. Ferner kommt als Rechtsgrundlage für den Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin auch § 8 Abs. 1 NVersG nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem
Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestand im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten
jedoch nicht.
Der Gefahrenbegriff des NVersG ist dem des allgemeinen Polizeirechts nachgebildet (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 18; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 23). Grundsätzlich wird demnach das Vorliegen
einer Sachlage verlangt, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 2 Nr. 1 lit. a Nds.SOG). Das in § 8 Abs.
1 NVersG zusätzlich enthaltene Merkmal der Unmittelbarkeit führt dazu, dass die Anforderungen an die Sicherheit der Beurteilungsgrundlage und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erhöht werden, es bedarf nicht
lediglich einer hinreichenden, sondern einer hohen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 19; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 24; ebenso zu § 15 VersG: BVerfG,
Kammerbeschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 91, 93). Der Schadenseintritt muss ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten sein (BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C
21/07 -, juris, Rn. 14 zu § 15 VersG).
Diese Voraussetzungen erfüllende Umstände lagen im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen nicht vor. Die Gefahrenprognose der Beklagten stellte allein darauf ab, dass die Klägerin ihrer Meinung bevorzugt im
Zusammenhang mit Kletteraktionen Ausdruck verleiht, das Geschehen am ‚Castorstrecken-Aktionstag' sowie in einem Waldstück stattfand und die Klägerin im Jahr 2008 den Schienenverkehr durch das Abseilen von einer Brücke
lahmgelegt hatte. Dazu ist festzuhalten, dass die beiden erstgenannten Umstände - das Klettern als bevorzugtes Protestmittel der Klägerin sowie das Stattfinden der Zusammenkunft am Castorstrecken-Aktionstag - nicht die Eignung
aufweisen, auf einen Schadenseintritt hinzudeuten. Ein - wie die Beklagte es in ihrer Gefahrenprognose nennt - ‚Protestieren' stellt regelmäßig gerade die Ausübung der Versammlungsfreiheit, nicht aber einen Verstoß gegen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich des Datums des in Rede stehenden Ereignisses: Die Beklagte führt hierzu in ihrer Gefahrenprognose selbst aus, dass an diesem Tag ‚bundesweit beworbener
Protest gegen die bevorstehenden Castortransporte' geübt werde. Konkrete Hinweise auf eine von der Versammlung ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind insoweit nicht ersichtlich. Vielmehr hatte die
Klägerin sich bereits am Vormittag des 29. Oktober 2014 kletternd an Bahnanlagen betätigt, ohne dass die Beklagte hierin eine Gefahr gesehen hätte. Gleiches gilt im Hinblick auf die Tatsache, dass die Gruppe um die Klägerin sich
für die Durchführung ihrer Versammlung in ein Waldstück begeben hatte. Da das Ziel der Versammlung gerade sein sollte, gelbe Holzkreuze in X-Form an an der Castor-Transportstrecke gelegenen Bäumen anzubringen, war das
Aufsuchen eines Waldstückes an der Zugstrecke Lüneburg-Dannenberg naheliegend. Im Übrigen liegt das betroffene Waldstück im Lüneburger Stadtgebiet und ist damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als abgelegen zu
bezeichnen. Schließlich führt auch das Lahmlegen des Bahnverkehrs durch die Klägerin im Jahr 2008 nicht dazu, dass im Jahr 2011 - drei Jahre später - mit gewissheitsnaher Wahrscheinlichkeit von dem Eintritt eines Schadens für die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung auszugehen war, wenn die Klägerin einen Baum - keine Brücke - an der Zugstrecke erklimmt, auf der in etwa einem Monat der Castor-Transport stattfinden sollte. Mit einer derartigen
Argumentation ließe sich ein Vorgehen gegen jede in der Nähe der Castor-Transportstrecke stattfindende Versammlung, an der die Klägerin teilnimmt, stets und ohne weitere Untermauerung rechtfertigen. Zudem ist nicht erkennbar,
woraus konkret sich eine Gefährdung oder ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung hätte ergeben sollen. Insbesondere die von der Beklagten schriftsätzlich angesprochene Möglichkeit eines Überspannens der
Schienenstrecke von auf beiden Seiten der Gleise gelegenen Bäumen aus findet zum einen in der Gefahrenprognose der Beklagten keinerlei Erwähnung. Zum anderen hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht
ersichtlich, mit welchen Hilfsmitteln dieses Überspannen hätte erfolgen sollen. Ein solches Überspannen hätte im Übrigen vorausgesetzt, dass mindestens eine Person aus der Gruppe um die Klägerin einen auf der gegenüberliegenden
Seite der Schienentrasse befindlichen Baum erklimmt. Hierfür sprach im Zeitpunkt der Sicherstellung jedoch nichts.
Aber selbst wenn man annehmen wollte, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 NVersG seien erfüllt, ließe sich der Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin gleichwohl nicht auf diese Norm stützen. Denn die
Beklagte ging bis zuletzt davon aus, dass eine Versammlung nicht vorgelegen habe. Auf Grundlage dieser Annahme hat sie die Sicherstellung der Kletterausrüstungen vorgenommen. Ein Handeln gemäß § 8 Abs. 1 NVersG setzt zwar
ebenso wie ein Handeln auf Grundlage des von der Beklagten ursprünglich als Rechtsgrundlage angeführten § 26 Nr. 1 Nds.SOG (siehe dazu sogleich II.2.a.dd.) eine Ermessensentscheidung voraus. Die jeweils in diese
Ermessensentscheidung einzubeziehenden Aspekte unterscheiden sich jedoch ganz wesentlich. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 8 Abs. 1 NVersG muss der handelnde Hoheitsträger sich darüber bewusst sein, dass er verkürzend
in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 GG sowie § 1 Abs. 1 NVersG eingreift; auf eine Entscheidung im Rahmen des § 26 Nr. 1 Nds.SOG trifft dies nicht zu. Kommt als Grundlage eines hoheitlichen Handelns allein § 8 Abs. 1 NVersG in
Betracht, stellt der handelnde Hoheitsträger in seine Ermessensentscheidung aber nicht ein, dass er durch sein Handeln in die Versammlungsfreiheit eingreift, so liegt eine zur Rechtswidrigkeit seines Handelns führende
Ermessensunterschreitung vor. Für den Fall, dass die Beklagte die Sicherstellung der Kletterausrüstungen auf § 8 Abs. 1 NVersG stützen wollte, hätte sie einen solchen Ermessensfehler auch nicht nachträglich geheilt (§ 114 Satz 2 VwGO).
cc. Eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit der Klägerin ist des Weiteren auch nicht auf Grundlage des § 8 Abs. 2 NVersG möglich. Diese Bestimmung sieht vor, dass die zuständige Behörde eine Versammlung
verbieten oder auflösen kann, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Insoweit gelten die zu § 8 Abs. 1 NVersG gemachten Ausführungen entsprechend.
dd. Der von der Beklagten ursprünglich ausdrücklich - so in der Klageerwiderung vom 26. Januar 2012, aber auch nach dem Bericht des Zeugen B. vom 21. November 2011 - als Rechtsgrundlage angeführte § 26 Nr. 1 Nds.SOG findet
auf den in Rede stehenden Eingriff keine Anwendung. Versammlungsbezogene Gefahrenabwehrmaßnahmen richten sich nach dem NVersG. Dessen im Verhältnis zu den Regelungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts speziellen
Voraussetzungen für Versammlungen einschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Das NVersG geht dem Nds.SOG als lex specialis vor mit der Folge, dass auf die Bestimmungen des
Nds.SOG gestützte Maßnahme gegen eine Person unzulässig sind, solange diese sich in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.12.2010 - 1 BvR 1402/06
-, juris, Rn. 28; BVerfG, Kammerbeschl. v. 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06 -, juris, Rn. 43; BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01 -, juris, Rn. 18; Dietel/ Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 192). § 26 Nr.
1 Nds.SOG findet auch nicht etwa deshalb Anwendung, weil es sich bei der Sicherstellung der Kletterausrüstungen um eine Maßnahme im Vorfeld der eigentlichen Versammlung gehandelt hätte. Vielmehr hatte die Versammlung -
wie dargelegt - bereits begonnen. Es hatte nicht nur die Klägerin schon einen Baum bestiegen, sondern auch mehrere andere Teilnehmer hatten ihre Kletterausrüstungen bereits angelegt und waren im Begriff, mit dem Klettern zu
beginnen. Die Kletterausrüstungen waren, um die Versammlung in der geplanten Art und Weise durchführen zu können, zwingend erforderlich.
Auf die ex-ante-Sicht der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Wie ausgeführt bestimmt sich der Umfang grundrechtlichen Schutzes nach rein objektiven Kriterien. Ebenso objektiv ist die Frage nach den
Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich und damit auch nach der einschlägigen Rechtgrundlage eines hoheitlichen Handelns zu beantworten. Bestätigung findet dies auch darin,
dass, wenn für die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsgrundlage tatsächlich die ex-ante-Sicht der Beklagten maßgeblich wäre, der Umfang grundrechtlichen Schutzes durch die ex-ante-Sicht der Beklagten bestimmt würde.
b. Als den Eingriff durch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin rechtfertigende Rechtsgrundlage käme § 12 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. NVersG in Betracht. Die Norm sieht vor, dass die Polizei Bild- und
Tonaufzeichnungen von einer bestimmten Person in einer Versammlung unter freiem Himmel offen anfertigen kann, um eine von dieser Person verursachte erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Diese
Voraussetzungen waren jedoch nicht erfüllt. Die Beklagte hat nicht Videoaufzeichnungen von einer bestimmten Person, sondern von sämtlichen Teilnehmern der Versammlung angefertigt. Auch Hinweise auf das Bestehen einer
erheblichen Gefahr - einer Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut wie den Bestand des Staates, das Leben, die Gesundheit, die Freiheit oder nicht unwesentliche Vermögenswerte sowie andere strafrechtlich geschützte Güter (§ 2 Nr. 1
lit. c Nds.SOG) - lagen, entsprechend den oben gemachten Ausführungen, nicht vor.
Weiter rechtfertigt § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG das Anfertigen der Aufzeichnungen von der Klägerin nicht. Hiernach kann die Polizei eine unübersichtliche Versammlung und ihr Umfeld mittels Bild- und Tonübertragungen offen
beobachten, wenn dies zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist. Die Regelung gestattet gerade nur ein speicherungsloses Übermitteln, nicht aber das von
der Beklagten durchgeführte Aufzeichnen (vgl. LT-Drs. 16/2075, S. 35).
Des Weiteren lässt sich das Anfertigen der Videoaufzeichnungen von der Klägerin nicht auf § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG stützen. Diese Norm gestattet die Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten
teilnehmenden Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Eine erhebliche Gefahr lag aber - wie dargestellt - nicht vor.
Schließlich scheidet auch ein Rückgriff auf den von der Beklagten in ihrer Gefahrenprognose als Rechtsgrundlage für das Anfertigen der Videoaufzeichnung angeführten § 32 Nds.SOG aufgrund der bereits dargelegten Spezialität des
NVersG gegenüber dem Nds.SOG aus. § 32 Abs. 1 Satz 1 Nds.SOG sieht sogar ausdrücklich vor, dass die Bestimmung nur auf öffentliche Veranstaltungen oder Ansammlungen Anwendung findet, die nicht dem NVersG unterliegen.
3. Gründe, aus denen die Berufung gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen wäre, bestehen aus Sicht der Kammer entgegen den Ausführungen der Beklagten nicht. Insbesondere misst die Kammer
der Sache im Hinblick auf die besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, deren erneutes Eintreten nicht erwartet werden kann, keine grundsätzliche Bedeutung bei. Die vorliegende Entscheidung weicht auch hinsichtlich ihres
Verständnisses von der Weite der Klagebefugnis in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten nicht von obergerichtlicher Rechtsprechung ab und lässt insbesondere keine ‚versammlungsrechtliche Popularklage' zu. ..."
***
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Beschränkung von Versammlungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung allein wegen der Art und Weise ihrer Durchführung möglich; eine Beschränkung wegen
des Inhalts der mit ihnen verbundenen Äußerungen ist ausgeschlossen. Da durch die Untersagung des Abspielens der ersten Strophe des "Liedes der Deutschen" auch die Meinungsfreiheit aus Art 5 Abs 1 GG betroffen ist, kann nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diese Untersagung nicht mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden (VG Saarland, Urteil vom 14.07.2014 - 1 K 507/13).
***
„... 2. Die Klage ist auch begründet. Die mit der Fortsetzungsfeststellungsklage angegriffenen Beschränkungen waren rechtswidrig und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
a. Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 7.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465, ber. 532). Danach kann die zuständige Behörde eine
Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
Der Begriff der ‚öffentlichen Sicherheit' umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter ‚öffentlicher Ordnung' wird die Gesamtheit der ungeschriebenen
Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - BVerfGE 69, 315, 352).
Die ‚unmittelbare Gefährdung' i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
Wenn diese Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Beschränkung vorliegen, räumt das Gesetz der Versammlungsbehörde Ermessen hinsichtlich ihres Einschreitens und der Wahl ihrer Mittel ein, bei dessen Betätigung sie
den hohen Rang der Versammlungsfreiheit zu beachten und die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat.
Diesem Maßstab werden die Erwägungen, die der Beklagte den angegriffenen Beschränkungen zugrunde gelegt hat, nicht gerecht.
b. Die Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine Teilnehmeranzahl von mehr als 50 Personen ist ermessensfehlerhaft ergangen.
Zwar lässt der Tatbestand des § 8 Abs. 1 NVersG nach den vorstehenden Maßgaben grundsätzlich Beschränkungen der von der Versammlung ausgehenden Lautstärke zu, die den Schutz der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter
Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten vor schädlichen Umwelteinwirkungen gewährleisten sollen. Zumindest die von dem Beklagten angestellten Ermessenserwägungen vermögen eine
Beschränkung in dem hier verfügten Umfang jedoch nicht zu tragen; die Beschränkung erweist sich infolgedessen als unverhältnismäßig.
Zu den Anforderungen an eine an die Zahl der Versammlungsteilnehmer anknüpfende Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel hatte die Kammer (Beschluss vom 28.7.2006 - 10 B 4435/06 -) bereits im Jahr 2006 zu
einer mit der Versammlung des Klägers vergleichbaren, ebenfalls in Bad Nenndorf durchgeführten Versammlung ausgeführt:
‚Die Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das Recht, seine Meinung zu äußern, sondern schützt auch die damit bezweckte Wirkung auf andere (BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198, 210). Der
Grundrechtsträger ist daher grundsätzlich auch frei, die Mittel seiner Meinungsäußerung selbst zu bestimmen. Für Demonstrationen kann als unbestritten gelten, dass Meinungskundgebungen anlässlich von Versammlungen und
Aufzügen nicht nur die Demonstrationsteilnehmer selbst erreichen sollen, sondern dass es gerade auch Aufgabe der Demonstration ist, auf das Anliegen aufmerksam zu machen; den Demonstranten muss deshalb vor allem erlaubt sein,
zufällig Vorübergehende anzusprechen (VG Hannover, Urt. v. 26.01.1981 - 6 A 105/78 -). Auf der anderen Seite bietet das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht keine Rechtfertigung dafür, durch
Technikeinsatz Aufmerksamkeit von Unbeteiligten zu erzwingen. Trotz ihres Rechtes auf Meinungskundgabe und dessen ‚Wirkung auf andere' haben die Demonstranten kein Recht auf Beachtungserfolg. Diese widerstreitenden
Interessen - der positiven Versammlungsfreiheit der Demonstrationsteilnehmer und der negativen Versammlungsfreiheit Unbeteiligter - erfordern einen schonenden Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz.
Bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die grundlegende Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Die grundrechtlich geschützte
Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 69, 315
(353)). Bei Eingriffen zum Schutz der Rechtspositionen Dritter sind die versammlungsrechtlichen Befugnisnormen stets im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und Maßnahmen auf das zu beschränken, was
zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 69, 315 (349); Dietel/ Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 81). Welche durch die Versammlung auftretenden Rechtsbeeinträchtigungen jeweils hingenommen werden
müssen, ist im Einzelfall in Ansehung der gegebenen Tatsachen festzustellen (Dietel/ Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 83 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Auflage nicht gerecht. Die Begrenzung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine Teilnehmerzahl von mehr als 50 Personen kann entgegen der Auffassung des Antragsgegners
nicht darauf gestützt werden, dass Personen bis zu dieser Anzahl - wie eine Beobachtung im Bereich der Stadt Hannover ergeben habe - ohne Schwierigkeiten auch ohne elektroakustische Verstärkung erreicht werden können. Diese
erkennbar schematische Betrachtungsweise lässt offensichtlich die konkreten Rahmenbedingungen und örtlichen Gegebenheiten, wie beispielsweise auftretenden Straßenlärm oder die Lärmentwicklung durch zu erwartende
Gegendemonstranten, außer Betracht (vgl. auch VG Stuttgart, Beschl. v. 13.01.2006 - 5 K 496/06). Sie übersieht zudem, dass sich eine Versammlung - wie bereits ausgeführt - gerade nicht nur an die Versammlungsteilnehmer, sondern
auch an die Öffentlichkeit richtet. Darüber hinaus lässt sich aus dem bloßen Einsatz elektroakustischer Mittel auch bei weniger als 51 Versammlungsteilnehmern keine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
erkennen. Das Abstellen auf das Überschreiten einer Personengrenze für den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel mag zwar praktikabel sein, birgt jedoch die Gefahr, dass weniger populäre Meinungen, die eine geringere Zahl von
Versammlungsteilnehmern ansprechen, auch einen geringeren Schutz durch Art. 8 Abs. 1 GG erfahren, indem sie auch nur in eingeschränktem Maße an die Öffentlichkeit gerichtet werden können. Über die Schaffung einer bloßen
Teilnehmergrenze würde damit der Minderheitenschutz unterlaufen. Abzustellen ist daher nicht allein auf die Zahl der Teilnehmer, sondern auch auf die konkrete Situation des Demonstrationsortes.
Im Rahmen einer Gesamtschau zu berücksichtigende Anhaltspunkte sind dabei unter anderem der zu erwartende Lärm durch nahen Straßenverkehr oder zu erwartende Gegendemonstranten, die umgebenden Nutzungen -
Gewerbebetriebe sind in der Regel weniger schutzwürdig als Wohnbebauung -, die Häufigkeit von Demonstrationen an dem beantragten Ort - ständiger Lärm durch zahlreiche Demonstrationen kann von den Anwohnern als erhebliche
Belästigung empfunden werden -, die Tiefe des Raumes, in den der Schall abgestrahlt wird - je weiter eine Abstrahlung möglich ist, desto mehr Unbeteiligte werden in ihrer Ruhe gestört -, die Lage und damit in der Regel
zusammenhängend die Frequentierung des Versammlungsortes - je mehr Passanten einen Versammlungsort passieren (müssen), desto eher ist eine erste Ansprache dieser Personen auch ohne die Zuhilfenahme elektroakustischer
Mittel möglich - und schließlich die Dauer der Lärmbelästigung, die bei einem Aufzug kürzer und damit eher zumutbar ist, als bei einer Kundgebung an einem gleichbleibenden Ort.'
Diese grundsätzlichen Erwägungen beanspruchen nach wie vor Geltung. Der Beklagte hat ihnen lediglich insoweit Rechnung getragen, als er die örtlichen Gegebenheiten darauf geprüft hat, ob örtliche Lärmemissionen die
Durchführung der Versammlung und die Kundgabe des kommunikativen Anliegens erschweren könnten. Darüber hinaus gehende Lärmimmissionen durch etwaige Gegendemonstrationen, die den Einsatz von Megaphonen durch die
Versammlungsteilnehmer des Klägers erforderlich machen könnten, hat der Beklagte bei seiner Abwägung ebenso wenig berücksichtigt wie das konkrete Lärmschutzbedürfnis der jeweiligen Umgebung. Dass mit einer Versammlung
regelmäßig nicht nur die Demonstrationsteilnehmer selbst erreicht werden sollen, sondern das Anliegen gerade auch Dritten gegenüber kundgegeben werden soll, hat der Beklagte formal erwähnt, aber nicht mit erkennbarem Gewicht
in der Abwägung berücksichtigt. Schon aus den vorstehenden Erwägungen erweist sich die Beschränkung als defizitär.
Vollumfänglich auf den vorliegenden Fall übertragbar sind im Übrigen die weiteren Ausführungen der Kammer in dem Beschluss vom 28. Juli 2006 - a. a. O. - zur Ermessensausübung des Beklagten und damaligen Antragsgegners:
‚Soweit durch den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel - also auch Megaphone - eine Lärmbelästigung erwartet wird ... , kann diese ... durch eine Beschränkung der Beschallung unterbunden werden, wie sie der Antragsgegner für die
Beschallung durch die Lautsprecheranlage auch vorgenommen hat ... . Einer Untersagung elektroakustischer Hilfsmittel auch bei unter 51 Versammlungsteilnehmern bedarf es daher nicht.
Der Hinweis des Antragsgegners auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsordnung, nach dem der Betrieb von Lautsprechern verboten ist, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise
abgelenkt oder belästigt werden können, greift nicht. Ernsthafte Behinderungen des Straßenverkehrs sind im vorliegenden Fall nicht zu erwarten, weil das Gericht davon ausgeht, dass die Straßen in diesem Bereich anlässlich des
Aufzuges ohnehin zumindest für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt sein werden. Eine Ablenkung oder Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere von Passanten, ist nicht ohne weiteres erkennbar (ebenso VG Stuttgart,
Beschl. v. 13.01.2006 - 5 K 496/06).'
Soweit der Beklagte diese Ausführungen (nur) dahingehend aufgreift, dass die Sperrung des Aufzugsbereichs für den Straßenverkehr die Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf mehr als 50
Versammlungsteilnehmer gerade rechtfertige, weil dadurch störender Straßenlärm ausgeschlossen sei, ist die Begründung der Beschränkung in sich widersprüchlich und nicht tragfähig, weil der Beklagte gleichzeitig zur
Rechtfertigung der Beschränkung erneut auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 StVO verweist.
c. Die darüber hinaus angefochtene Beschränkung, die verwendete Lautsprecheranlage (einem maximalen Schalldruckpegel von 90 dB(A) in einem Meter Abstand vor der Lärmquelle) ‚entsprechend zu plombieren', erweist sich
jedenfalls hinsichtlich der ihr zugrunde liegenden Gefahrenprognose als defizitär.
aa. Im Hinblick auf die Bestimmtheit dieser Beschränkung geht die Kammer zunächst davon aus, dass mit ‚plombieren' ausschließlich das Anbringen einer Plombe gemeint ist; das ist üblicherweise eine Weichmetallscheibe, die
mittels einer speziellen Zange auf einen Plombierdraht gepresst wird und diesen gegen unbemerktes Öffnen sichert. Dass die Plombe durch eine besonders qualifizierte Person - etwa einen öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen oder einen Notar - angebracht werden müsste, ist weder dem Beschränkungstenor noch der Begründung zu entnehmen. Gleiches gilt für eine etwaige Einmessung der verwendeten Lautsprecheranlage.
Die ergänzende Begründung des Beklagten in der Klageerwiderung - ‚sollte jedoch tatsächlich aus technischen Gründen eine Plombierung nicht möglich sein, kann ein Limiter (Schallpegelbegrenzer) eingebaut werden' - gibt sodann
Anlass zu der Klarstellung, dass die Verwendung eines Limiters eine technische Maßnahme zur Begrenzung des Schalldruckpegels einer Lautsprecheranlage auf einen bestimmten - einstellbaren - Wert darstellt. Die ausschließliche
Verwendung eines Limiters ist deshalb ungeeignet, nachträgliche Veränderungen der maximalen Lautstärke zu verhindern; dies geschieht erst durch das Anbringen einer Plombe an dem Limiter. Ein Limiter allein ist demnach kein
Ersatz für eine Plombe. Das Anbringen einer Plombe am Lautstärkeregler ohne Einsatz eines Limiters dagegen verhindert nicht nur das Überschreiten des festgesetzten Maximalschalldruckpegels, sondern auch dessen Unterschreiten,
ohne dass der Beklagte derartiges angeordnet hätte. Es bestehen insofern schon Zweifel daran, dass der Beklagte bei Erlass der Beschränkung konkrete, zutreffende Vorstellungen darüber hatte, was dem Kläger damit konkret
aufgegeben worden ist.
bb. Eine das Plombierungsgebot tragende ‚unmittelbare Gefährdung' i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG ist nicht schon darin zu sehen, dass von der Versammlung ausgehender Lärm die Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter
Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten beeinträchtigen kann. Denn das Plombierungsgebot trifft bei isolierter Betrachtung keine Aussage über das noch vertretbare bzw. von Dritten hinzunehmende
Schallpegelniveau. Es dient nur mittelbar dem Lärmschutz, indem es die Einhaltung der zugleich verfügten Schalldruckpegelbegrenzung sichert. Aufgrund dieser Kopplung setzt die Rechtmäßigkeit des Plombierungsgebots zunächst
die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Schalldruckpegelbegrenzung voraus; aufgrund der mit der Plombierung einhergehenden eigenen Beschwer ist das Plombierungsgebot sodann als selbständige Beschränkung seinerseits
vollumfänglich an § 8 Abs. 1 NVersG zu messen.
(1) Die dem Plombierungsgebot zugrunde liegende Schalldruckpegelbegrenzung ist für sich genommen geeignet, Gefahren für der Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz
befindlichen Polizeibeamten abzuwehren. Sie erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Das Nds. Oberverwaltungsgericht hatte hierzu schon mit Beschluss vom 10. Oktober 2010 - 11 LA 298/10 - ausgeführt:
‚Der Schutz unbeteiligter Dritter vor Immissionen, die von einer Versammlung ausgehen, greift vielmehr schon unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr ein. Wie der Kläger im Ansatz selbst zutreffend
ausführt, umfasst nämlich die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Absatz I VersammlG Auflagen zulässig sind, die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen - soweit hier erheblich - auch die Bestimmungen
des Bundesimmissionsschutzgesetzes (insbesondere zu Gunsten von Anrainern einer Versammlung) sowie des Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für niedersächsische Landesbeamte und damit auch für Polizeibeamte im
Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt, vgl. § 82 NdsBG. Und diese Normen bieten eben schon Schutz vor erheblichen Lärmbelästigungen, d. h. unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr, wie sich
im Einzelnen aus den folgenden Ausführungen ergibt:
Nach § 22 Absatz I Nr. 1 i. V. mit § 3 Absatz I BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass nicht nur Gefahren, sondern auch erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die
Allgemeinheit oder die Nachbarschaft verhindert werden, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Wie das BVerwG wiederholt entschieden hat (vgl. etwa für Feuerwehrsirenen: BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2396
= NVwZ 1988, 918 L; sowie für das Glockenschlagen: BVerwG, NJW 1992, 2779 m. w. Nachw.), sind diese Bestimmungen auch auf Anlagen im Sinne des BImSchG, zu denen grundsätzlich auch Lautsprecher gehören (vgl. Jarass,
BImSchG, 8. Aufl., § 3 Rdnr. 72, § 22 Rdnr. 10), anzuwenden, die gerade dazu bestimmt sind, eine möglichst hohe Lautstärke zu erzeugen und damit verbunden Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Verwendungszweck führt nicht zum
Ausschluss vom Schutzbereich des Bundesimmissionsschutzgesetzes, sondern ist vielmehr bei der einzelfallbezogenen Bestimmung des zu wahrenden Lärmpegels zu berücksichtigen. Hierfür wiederum können insbesondere die
Maximalwerte der TA Lärm als Richtschnur dienen (vgl. BVerwG, NJW 1992, 2779; NVwZ 1997, 390 f.; Kutschweidt, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, BImSchG, § 3 Rdnr. 20 h). Ein Grund, von dieser Rechtsprechung allgemein
auszugehen, besteht verfassungsrechtlich nicht.'
Ergänzend hierzu hatte die Kammer bereits im Eilverfahren ausgeführt, dass die Festsetzung eines maximalen Schalldruckpegels und der gewählte Maximalwert von 90 dB(A) geeignet und erforderlich sind, Anrainer und begleitende
Polizeibeamte vor unzumutbaren Lärmimmissionen zu schützen und zugleich dem Kläger die Kundgabe seines kommunikativen Anliegens zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Lautstärke weise im Übrigen keinen Bezug
mehr zum inhaltlichen Anliegen der als Trauermarsch konzipierten Versammlung auf. An dieser Einschätzung hält die Kammer auch nach nochmaliger Prüfung im Hauptsacheverfahren fest.
(2) Die Begrenzung des maximal zulässigen Schalldruckpegels erweist sich jedoch nicht nur als geeignet und erforderlich, sondern regelmäßig auch als hinreichend zur Abwehr der in Betracht genommenen Gefahren. Das
Plombierungsgebot bedarf deshalb einer eigenen Gefahrenprognose dahingehend, dass ohne diese Beschränkung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Begrenzung des Schalldruckpegels nicht eingehalten würde. Auch dahingehend
müssen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage vorliegen, mithin eine Gefährdung nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen oder der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher
Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen auch hier nicht aus.
Die Begründung des Plombierungsgebots in dem angegriffenen Bescheid lässt nicht erkennen, dass der Beklagte die mit der Plombierung verbundene eigenständige Beschwer und die daraus erwachsenden Anforderungen überhaupt
wahrgenommen hat. Denn der Beklagte hat im Rahmen seiner Begründung nur die Schallpegelbegrenzung erwähnt und hierzu auf vorherige Entscheidungen der Kammer verwiesen. Ausführungen zur Rechtfertigung des
Plombierungsgebots enthält die Begründung des angegriffenen Bescheides nicht. Ebenso wenig hat der Beklagte in tatsächlicher Hinsicht konkrete Erkenntnisse oder Verdachtsmomente angeführt, die hinreichende Anhaltspunkte für
eine Gefahrenlage böten.
Die bei der Entscheidung des Beklagten zugrunde gelegte Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg trifft insofern keine Aussage, sondern führt lediglich an, dass ‚die Beschränkungen aus den
Auflagenbescheiden zu den Versammlungen am 14. August 2010 [...] grundsätzlich Bestand haben [sollten]', ohne darauf einzugehen, dass bei einer gleichartigen Versammlung im Vorjahr der Lautstärkeregler mit einem Klebeband
gegen unbefugte Veränderung gesichert worden ist.
Dass die Sicherung der Lärmschutzauflage durch ein einfaches Klebeband ‚nur aufgrund eines Entgegenkommens des [Beklagten] akzeptiert worden ist, um einer von der Polizei befürchteten Eskalation im Falle des Stilllegens der
Lautsprecheranlage entgegen zu wirken', wie das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 5. August 2011 - 11 ME 240/11 - ausgeführt hat, ändert nichts daran, dass sich diese Maßnahme im konkreten Fall als
geeignetes milderes Mittel gegenüber der Verplombung der Anlage oder eines zwischengeschalteten Limiters erwiesen hat. Die gegenteilige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, diese Form der Sicherung habe
sich als ‚offensichtlich unzureichend' erwiesen, weil in der Vergangenheit ‚gegen die Auflage verstoßen' worden sei, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Dass der Kläger im Vorjahr der streitgegenständlichen Versammlung das
Plombierungsgebot nicht befolgt hat und mit einer unplombierten Anlage erschienen ist, die dann durch Klebeband gesichert worden ist, begründet keine Gefahrenprognose dahingehend, dass der Kläger auch die zugrundeliegende
Schalldruckpegelbegrenzung nicht einhalten würde. Entsprechende Erkenntnisse hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung weder konkret formuliert noch belegt; sie ergeben sich auch nicht aus den Akten. Die in der
Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg hinsichtlich der Person des Klägers als Versammlungsleiter erwähnten mehr als 20 Strafverfahren betreffen, soweit aus den aufgeführten Aktenzeichen und
Verfahrensgegenständen ersichtlich, keine Sachverhalte aus dem Vorjahr oder im Zusammenhang mit früheren Versammlungen in Bad Nenndorf.
Selbst wenn sich die Sicherung der Lautsprecheranlage durch Klebeband in der Vergangenheit tatsächlich als ungeeignet erwiesen hätte, wäre das Verplombungsgebot in der von dem Beklagten gewählten Formulierung
unverhältnismäßig. Denn es bestand erkennbar kein Bedarf, eine Plombe vorzuschreiben. Hinreichenden Schutz hätte auch ein manipulationssicheres Klebesiegel geboten, das nicht entfernt werden kann, ohne dabei zerstört zu werden.
Die Kontrolle eines solchen Siegels wäre den Einsatzkräften der Polizei während und nach der Versammlung jederzeit möglich; darin unterscheidet sich die Versammlungssituation von der Einpegelung stationärer Anlagen wie etwa in
Diskotheken. Demgegenüber bietet die mit der Beschränkung vorgeschriebene Plombe bei deutlich höherem Aufwand keinen erkennbaren Sicherheitsmehrwert.
Auch wenn der Beklagte die Beschränkung (nur) auf die Erwägung hätte stützen wollen, dass nicht der Kläger selbst, sondern unbefugte Teilnehmer seiner Versammlung die Lautsprecheranlage verstellen könnten, wäre das
Plombierungsgebot unverhältnismäßig. Denn ein weniger belastendes Mittel hätte schon darin gelegen, dass der Kläger das Lautsprecherfahrzeug hätte abschließen oder die Lautsprecheranlage einschließen können, um andere
Versammlungsteilnehmer gar nicht erst in deren Nähe gelangen zu lassen.
III. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des streitig entschiedenen Klagebegehrens aus § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist über die Kostenlast gem. § 161
Abs. 2 Satz 1 VWGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Insofern beruht die Kostenquote zulasten des Beklagten auf dem Umstand, dass der Beklagte hinsichtlich der Beschränkungen unter Ziffer 2. (Gebot, je 20 Teilnehmer
einen Ordner zu stellen und diese am Vortag zu benennen) und Ziffer 11. (Verbot von Parolen mit der Wortfolge ‚nationaler Widerstand') mit der Abhilfe zugleich die Kostenübernahme erklärt hat. Soweit der Kläger mit seiner
Erledigungserklärung davon Abstand genommen hat, die Verpflichtung zur Benennung von Ordnern an sich, die Festsetzung der Versammlungszeit und -dauer und die Schalldruckpegelbegrenzung des Trommelschlags weiter
anzugreifen, kommt die Erledigungserklärung einer Klagerücknahme gleich; entsprechend entspricht die Kostenentscheidung hinsichtlich dieser Teile des Klagebegehrens der gesetzlichen Kostenfolge einer Klagerücknahme gem. §
155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
IV. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu, weil die Erforderlichkeit und der jeweils zulässige Inhalt
versammlungsrechtlicher Beschränkungen nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom - 11 LA 298/10 -). Die Kammer weicht mit der Entscheidung auch nicht im
Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von einer Entscheidung der dort genannten Gerichte ab. Eine Divergenz in diesem Sinne ist nur gegeben, wenn das Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen (d. h. abstrakten) Rechtssatz abweicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.7.1988 - BVerwG 1 B 44.88 -, juris;
Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr 32). Die von der Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts im Eilverfahren - 11 ME 240/11 - abweichende Beurteilung der Angemessenheit des Plombierungsgebots beschränkt sich demgegenüber
auf die konkrete Anwendung solcher abstrakten Rechtssätze. ..." (VG Hannover, Urteil vom 19.05.2014 - 10 A 2881/11)
***
Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Anhaltens des Aufzugs >>Blockupy 2013<< ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das polizeiliche Anhalten des Aufzugs >>Blockupy 2013<< war als Minusmaßnahme zu
einer Auflösung versammlungsrechtlich gerechtfertigt (VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2014 - 5 K 2334/13.F - Skandal-Urteil zu Blockupy 2013):
„... Der Kläger meldete mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 und 8. Januar 2013 für den 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main eine Demonstration unter dem Motto „Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und
Troika' an. Die Veranstaltung sollte um 10.00 Uhr beginnen und um 18.00 Uhr enden, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer wurde mit ca. 20.000 Personen angegeben.
Mit Verfügung vom 16. Mai 2013 erteilte die Versammlungsbehörde eine Vielzahl von Auflagen, die vom Kläger einzuhalten seien. Unter anderem legte die Versammlungsbehörde eine andere Demonstrationsroute als die von dem
Kläger gewünschte fest (die allerdings der ursprünglich von dem Kläger angemeldeten Route entsprach). Die später von dem Kläger gewünschte Route lehnte die Versammlungsbehörde mit der Begründung ab, dass bezüglich dieser
modifizierten Route, die nur in Wurfweite an der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbeiführe, seitens des Beklagten aus Sicherheitsgründen Bedenken bestünden. Das Verwaltungsgericht Frankfurt stellte mit Beschluss vom 28. Mai
2013 - 5 L 2209/13.F - die aufschiebende Wirkung eines von dem Kläger gegen die Auflageverfügung eingelegten Widerspruches bezüglich der geänderten Route wieder her, bezüglich anderer angegriffener Auflagen lehnte es den
Eilantrag ab. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde der Stadt Frankfurt am Main wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Mai 2013 - 2 B 1274/13 - zurück. In dieser Entscheidung führte der Hessische
Verwaltungsgerichtshof - in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - aus, dass auch bei der letztjährigen Demonstration sogenannte ‚schwarze Blöcke' präsent gewesen seien, ohne dass es
zu schwerwiegenden Übergriffen gegen Polizeibeamte oder massive Sachbeschädigungen gekommen wäre. Allein der Umstand, dass die Demonstrationsroute anders verlaufe und - im Gegensatz zum letzten Jahr - in ‚Wurfweite' an
der EZB vorbeiführe, vermöge die Gefährdungsprognose nicht wesentlich zu verändern. Vielmehr müssten Tatsachen aus dem Kreis der wahrscheinlichen Demonstrationsteilnehmer dazu kommen, die Hinweise auf eine
Gewaltbereitschaft - im Unterschied zum letztjährigen Demonstrationszug - liefern könnten.
Am 1. Juni 2013 setzte sich dann der Demonstrationszug um 12.25 Uhr vom Baseler Platz in Frankfurt aus in Bewegung. Unstreitig fuhr relativ nahe der Spitze dieses Demonstrationszuges ein (angemeldeter) Lautsprecherwagen, vor
und hinter dem sich zwei Blöcke bildeten. Nachdem diese beiden Blöcke (einschließlich des Lautsprecherwagens) von der Wilhelm-Leuschner-Straße kommend vollständig in die Hofstraße gezogen waren, wurden sie um 12.49 Uhr
durch das Einziehen von zwei Polizeiketten nach vorne und hinten von den anderen Versammlungsteilnehmern getrennt und angehalten. Es kam dann in der Folge zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu Kontakten, die aber zu
keinem Ergebnis führten. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde nach dem Scheitern der Verhandlungen entschieden, die umschlossenen Aufzugteilnehmer von der Versammlung auszuschließen. Nach dem Vortrag des Beklagten
wurde der (Teil-)Ausschluss um 14.37 Uhr dem Kläger und durch Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr den umschlossenen Aufzugsteilnehmern bekannt gemacht. Ein - unstreitig - von dem
Gesamteinsatzleiter mehrfach gemachtes Angebot, den hinter der zweiten Polizeikette befindlichen Aufzugsteil mit der Aufzugspitze zusammenzuführen, damit diese beiden Teile den Aufzug fortsetzen könnten, lehnte der Kläger ab.
Im weiteren Verlauf wurde dann die Identität der insgesamt 943 eingeschlossenen Personen festgestellt, was aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsstreitverfahrens ist.
Am 6. Juni 2013 hat der Kläger vorliegende Klage erhoben.
Zur Zulässigkeit der erhobenen (Fortsetzungsfeststellungs-)Klage trägt der Kläger vor, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergäbe sich aus der Intensität des Grundrechtseingriffes und der bestehenden Wiederholungsgefahr. Zur
weiteren Begründung seiner Klage hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass das Anhalten der Demonstration ohne Rechtsgrundlage erfolgt sei, insbesondere nachdem der Demonstration die Route an der EZB vorbei ausdrücklich
zugestanden worden sei. Darüber hinaus sei diese Maßnahme unverhältnismäßig. Die von der Polizei dargestellte Gefahrenlage beruhe auf zweifelhafter und unvollständiger Darstellung von Sachverhalten und Geschehensabläufen, die
zudem selektiv ausgewählt worden seien. Dies umfasse die Lagebewertung im Vorfeld sowie Erkenntnisse des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes. Die Grundlagen der Gefahrenprognose seien fehlerhaft ermittelt.
Gefahrenmomente durch Schutzschilde, Brillen, Schirme u.ä. hätten nicht bestanden, vielmehr seien dies Instrumente der Meinungsäußerung. Hinsichtlich eines ‚Schwarzen Blockes' sei der Vortrag der Beklagten zu bestreiten, die
Bilder zeigten eine bunte Mischung unterschiedlicher Menschen und Gruppen. Es habe keine Ausschreitungen gegeben, auch der Protest vom Vortag sei friedlich verlaufen.
Nach Hinweis der Polizei auf einen angeblich vermummten Block von 150 Personen habe der Kläger mit den weiteren Leitern seiner Demonstration gesprochen, die sich bei dem vorderen Lautsprecherwagen aufgehalten hätten und
die rückgemeldet hätten, dass es diesen Block 150 vermummter Personen nicht gäbe. Der Kläger habe immer Kontakt zur Demonstrationsleitung gehabt.
Die Eingeschlossenen hätten später den Bedingungen der Polizei für die Beendigung der Einkesselung mit Ausnahme einer Personen- und Taschenkontrolle zugestimmt, welche zu einer unzumutbaren Verzögerung geführt hätte.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Anhalten der von dem Kläger für den 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main unter dem Motto ‚Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika' angemeldeten
Demonstration um 12:45 Uhr in der Hofstraße (Hinterausgang Schauspiel Frankfurt) rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main, hilfsweise an das Oberlandesgericht Frankfurt am
Main, zu verweisen, höchsthilfsweise, die Klage abzuweisen.
Er weist zunächst daraufhin, dass - unstreitig - in der Auflagenverfügung vom 16. Mai 2013 dem Kläger aufgegeben worden sei, als Versammlungsleiter Verstöße gegen die angeordneten Auflagen unverzüglich zu unterbinden. Nach
Nr. 12 der verfügten Auflagen hätten Transparente mit Ausnahme der Fronttransparente maximal drei Meter lang sein dürfen, nicht aneinandergeknotet werden dürfen und habe der Abstand zwischen den Transparenten mindestens
1,50 Meter betragen müssen. Nach Nr. 13 der Auflagen sei das Mitführen von Seilen untersagt gewesen, in Nr. 16 das Abtrennen oder Verbrennen von Gegenständen jeglicher Art untersagt worden.
Bereits vor Beginn der streitgegenständlichen Versammlung hätten umfangreiche Erkenntnisse vorgelegen, aufgrund derer mit einem gewaltsamen Verlauf hätte gerechnet werden müssen. Dies folge auch aus einer Bewertung der
hiesigen Staatschutzdienststelle, wonach mit gewalttätigen Ausschreitungen zu rechnen sei. Dabei habe sich die Staatschutzdienststelle bei ihrer Bewertung auch auf eine am 31. März 2012 durchgeführte Demonstration der
Frankfurter Antifa bzw. des ‚…ums Ganze!'-Bündnis, an der sich etwa 1000 als gewalttätig eingestufte Personen beteiligt hätten und bei der es zu einem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil eines Polizeibeamten gekommen sei, bezogen.
In einer aktuellen Lagebewertung vom 1. Juni 2013, 9.00 Uhr, habe das Hessische Landeskriminalamt ausgeführt, dass die prognostizierte führende und organisatorische Rolle der ‚Autonomen Antifa (f)' als Teil des ‚…ums
Ganze!'-Bündnisses sich über den gesamten Tagesverlauf des 31. Mai 2013 bestätigt habe und damit zu rechnen sei, dass die ‚Autonome Antifa (f)' diese Funktion auch im Rahmen der Großdemonstration am 1. Juni 2013 einnehmen
werde. Darüber hinaus seien der Einsatzleitung am frühen Morgen des 1. Juni 2013 dienstlich (als Verschlusssache) konkrete Erkenntnisse in Bezug auf einen unfriedlichen Verlauf der Demonstration übermittelt worden.
Aufgrund der Lagebewertung im Vorfeld, der Ereignisse im Laufe der Aktionswoche und der aktuellen Erkenntnisse am frühen Vormittag habe mit einer Vielzahl gewaltbereiter Täter gerechnet werden müssen.
Nachdem am Demonstrationstage gegen 12.00 Uhr bei Versammlungsteilnehmern Schutzbewaffnung (verteilt vom Lautsprecherwagen) sowie Vermummungsgegenstände festgestellt worden seien, sei der Kläger hierauf hingewiesen
worden. Der Kläger habe zugesagt, hiergegen einzuschreiten. Um 12.25 Uhr habe sich der Aufzug in Bewegung gesetzt, um 12.32 Uhr habe der Kläger dem Verbindungsbeamten mitteilen lassen, er habe das Abnehmen der
Vermummung angeordnet. Nach Aufzugsbeginn hätten sich vor und hinter dem Lautsprecherwagen Blöcke gebildet. Der Block vor dem Lautsprecherwagen habe Transparente mit sich geführt, die in U-Form um den Block verlaufen
und mit Seilen und Fahnenstangen miteinander verbunden/verknotet gewesen seien. Die Angehörigen dieses Blockes hätten Schutzbrillen und selbstgefertigte Plastikvisiere getragen, die das ganze Gesicht abgedeckt hätten, später
seien Regenschirme verteilt und geöffnet worden, so dass sich auch ein Sichtschutz nach oben ergeben hätte.
Der Block hinter dem Lautsprecherwagen habe ebenfalls an beiden Seiten verbundene/verknotete Transparente mit sich geführt, die Teilnehmer seien komplett schwarz gekleidet gewesen und der Umfang der Vermummung habe
fortlaufend zugenommen, auch hier seien Plastikvisiere getragen worden.
Um 12.37 Uhr hätten polizeiliche Einsatzkräfte festgestellt, dass auf der Aufzugsstrecke im Bereich Berliner Straße/Höhe Kornmarkt der Asphalt einer Verkehrsinsel aufgebrochen worden sei und größere Steine herumgelegen hätten,
die offensichtlich zum Mitnehmen und Einsatz als Wurfgeschosse bestimmt gewesen seien. Kurz darauf seien aus beiden Blöcken erste pyrotechnische Gegenstände gezündet und auf eingesetzte uniformierte Einsatzkräfte geworfen
worden, es sei auch zu Flaschenwürfen und Farbbeutelwürfen gekommen. Der Aufzug hinter dem zweiten Block habe nahezu durchweg aus friedlichen und unauffälligen Versammlungsteilnehmern bestanden. Polizeiliches Ziel sei es
gewesen, für diese Teilnehmer den Gebrauch der Versammlungsfreiheit weiterhin zu gewährleisten, gleiches habe für die aus ca. 70 bis 90 Personen bestehende Aufzugsspitze gegolten.
Da diese geschilderte Sachlage sich als Erfüllung von Straftatbeständen nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes, als Verstoß gegen Auflagen sowie als versuchte gefährliche bzw. schwere Körperverletzung und
Landfriedensbruch (Werfen von Flaschen, Farbbeuteln und Knallkörpern sowie das Zünden von Pyrotechnik gegen eingesetzte Polizeibeamte) dargestellt habe, der geschilderte Geschehensablauf zugleich die Annahme begründet
habe, dass aus der Menge heraus zeitnah weitere Straftaten gegen Leib, Leben und Eigentum sowie die öffentliche Ordnung begangen würden und eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestanden habe,
habe der polizeiliche Gesamteinsatzleiter im Einvernehmen mit der Versammlungsbehörde der Stadt B-Stadt zunächst entschieden, der Gefahrenabwehr Vorrang einzuräumen. In der Folge seien die beiden Blöcke, nachdem sie, von
der Untermainanlage her kommend, komplett in die Hofstraße gezogen seien, um 12.49 Uhr durch Einziehen von zwei Polizeiketten nach vorne und hinten von der Masse der friedlichen Versammlungsteilnehmer getrennt und daran
gehindert worden, sich einer möglichen späteren Strafverfolgung zu entziehen. Diese Maßnahme habe strafprozessuale Maßnahmen sichern und vorbereiten sollen, Rechtsgrundlage hierfür sei § 163b StPO gewesen.
Unmittelbar nach der Umschließung habe der Gesamteinsatzleiter Verhandlungen mit dem Kläger aufgenommen, um die Fortsetzung des nun vorläufig zum Stehen gekommenen Aufzugs zu ermöglichen. Es sei angeboten worden, die
Separierung des Aufzugsteils in der Hofstraße zu beenden und dem gesamten Aufzug einschließlich der separierten Teilnehmer die ungehinderte Fortsetzung der Versammlung zu ermöglichen, wenn die separierten Teilnehmer alle
mitgeführten verbotenen Gegenstände ablegten und beim Verlassen des abgesperrten Bereichs eine polizeiliche Durchlassstelle zu Kontrollzwecken passierten. In diesem Falle sei der Verzicht auf Personalienfeststellung in Aussicht
gestellt worden. Auch habe die hiesige Behörde zwischen 12.49 Uhr und 12.55 Uhr wiederholt Lautsprecherdurchsagen an den Aufzug gerichtet, in dem sie die Gründe für die Umschließung erläutert habe.
Nachdem im Ergebnis Verhandlungen zwischen dem Kläger und dem Beklagten gescheitert seien - die Eingeschlossenen wollten sich keiner polizeilichen Kontrollen unterziehen, die Polizei bestand hierauf angesichts einer für sie
bestehenden Wahrscheinlichkeit, dass gefährliche Gegenstände weiterhin am Körper oder in der Bekleidung mitgeführt würden - sei um 14.37 Uhr der Teilausschluss der umschlossenen Versammlungsteilnehmer verfügt und dies dem
Kläger um 14.37 Uhr und durch Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr den Betroffenen bekannt gegeben worden. Ein - erneutes - Angebot des Gesamteinsatzleiters an den Kläger, den hinter der zweiten
Polizeikette befindlichen Aufzugsteil mit der Aufzugsspitze zusammen zu führen, habe der Kläger - wie bereits zuvor - abgelehnt.
Der Teilausschluss sei nach § 19 Abs.4 VersG auf Grund der festgestellten Gefahrenlage rechtmäßig gewesen. Es sei davon auszugehen gewesen, dass die Störer ihr strafbares und ordnungswidriges Verhalten hätten fortsetzen wollen,
der Kläger habe erkennbar auf diese Gruppe keinen Einfluss gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Behördenakte verwiesen. Der Beklagte hat verschiedene DVDs mit Aufnahmen des Demonstrationszuges vorgelegt, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren und zum Teil in der mündlichen Verhandlung vorgeführt wurden. ...
Im vorliegenden Falle ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 VwGO handelt. Dem Antrag des Beklagten auf Verweisung des Rechtsstreites - der erstmals
in der mündlichen Verhandlung gestellt wurde und über den demzufolge im Urteil (mit) zu entscheiden ist - an das Amtsgericht, hilfsweise das Oberlandesgericht, war deshalb nicht zu entsprechen.
Der Kläger begehrt mit seinem Klageantrag die Feststellung, dass das ‚Anhalten' der von ihm angemeldeten Demonstration am 1. Juni 2013 in B-Stadt unter dem Motto ‚Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und
Troika' rechtswidrig war. Das ‚Anhalten' des ordnungsgemäß angemeldeten Demonstrationszuges erfolgte um 12.49 Uhr durch das Einziehen von zwei Polizeiketten vor bzw. hinter dem Lautsprecherwagen, wodurch die vor und
hinter diesem Lautsprecherwagen befindlichen Demonstrationsteilnehmer - die zu Blöcken formiert waren - von dem Rest der Demonstrationsteilnehmer getrennt wurden. Dies führte zwangsläufig dazu, dass der hinter diesen nunmehr
eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmern befindliche Teil des Demonstrationszuges zum Stehen kam. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist sowohl nach Klageantrag als auch nach dem wesentlichen Inhalt der
Klagebegründung der Vorgang des ‚Anhaltens' und die Rechtmäßigkeit dieser polizeilichen Maßnahme selbst, nicht weitere Umstände wie eventuelle Konflikte zwischen Polizei und Demonstrationsteilnehmern und das Verhalten
einzelner Beamter und einzelner Demonstrationsteilnehmer.
Dieses Anhalten des Demonstrationszuges ist zum Zeitpunkt des Anhaltens als eine Maßnahme anzusehen, die sich gegen den im Fortgang befindlichen Demonstrationszug bzw. eines Teils hiervon richtete. Da zum Zeitpunkt des
Anhaltens dieses Demonstrationszuges die Versammlung weder aufgelöst noch ein Teil der Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen war, ist grundsätzlich bei der rechtlichen Beurteilung dieser polizeilichen Maßnahme
aufgrund der Polizeifestigkeit des Versammlungsrechtes - wonach bei Maßnahmen gegen eine nicht aufgelöste Versammlung grundsätzlich nur polizeiliche Maßnahmen nach dem Versammlungsgesetz in Frage kommen - allein auf
Vorschriften nach dem Versammlungsgesetz (VersG) abzustellen.
Soweit der Beklagte vorgetragen hat, Grund für das Anhalten bzw. das Einschließen dieses Teils der Versammlung seien aus diesem Teil heraus begangene Straftaten nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, 2 VersG, der mangelnde
Abstand zwischen den Transparenten, das Verknoten von Transparenten u.a., das Werfen von Flaschen, Farbbeuteln und Knallkörpern sowie das Zünden von Pyrotechnik gegen eingesetzte Polizeibeamte gewesen und somit ein
umfassender und massiver Anfangsverdacht von Straftaten, was in der rechtlichen Beurteilung zur Folge habe, dass die Einkesselung der beiden Blöcke - das Anhalten - allein repressiven Charakter gehabt habe, um die aus diesen
Blöcken begangenen Straftaten zu verfolgen und dies wiederum zur Folge habe, dass im vorliegenden Verfahren der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben sei, vermag dem das Gericht nicht zu folgen.
Der Beklagte hat selbst vorgetragen (S. 11 der Klageerwiderung), dass aufgrund der begangenen Straftaten ‚in der Gesamtbetrachtung … mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewalttätige Ausschreitungen im weiteren
Verlauf des Aufzuges zu erwarten (waren)' und die streitgegenständliche Maßnahme (auch) hiermit begründet. Aus dieser Stellungnahme geht deutlich hervor, dass ein wesentliches Motiv für die Einkesselung der beiden Blöcke - das
Anhalten der Demonstration - war, weitere gewalttätige Ausschreitungen im weiteren Verlauf des Aufzuges zu verhindern. Eine derartige Verhinderung weiterer Straftaten hat aber präventiven Charakter.
Der - überwiegend - präventive Charakter des Anhaltens des Demonstrationszuges folgt nach Überzeugung des Gerichts auch aus dem Umstand, dass auf der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten und in der
mündlichen Verhandlung abgespielten Videodatei der DVD Nr. 1, Datei: 00031_1, 00002-burn.avi unmittelbar nach dem Einziehen der Polizeiketten folgende Durchsage zu hören ist:
‚Meine Damen und Herren, wir informieren Sie über die Vorgänge, die im hinteren Bereich Ihres Aufzuges stattfinden. In diesem Bereich hat sich ein 'schwarzer Block' gebildet, aus dem heraus Straftaten, Pyrotechnik, in Richtung
Polizeikräfte geworfen wurden. Weiterhin haben diese Personen Schutzbewaffnung angelegt und auf Aufforderung auch Ihres Versammlungsleiters nicht abgelegt. Ich bitte Sie, unterlassen Sie das Abbrennen von pyrotechnischer
[unverständliches Wort].'
Etwa fünf Minuten, nachdem der Demonstrationszug durch das Einziehen der beiden Polizeiketten gestoppt war, ist eine weitere Durchsage der Polizei zu hören. Diese lautete, nachdem eine allgemeine Information über den
Einschluss von Personen verkündet wurde, weiter:
‚Die Personen, die wir momentan abgeschnitten haben, können den Demonstrationszug weiter führen, wenn sie ihre Schutzbewaffnung und Vermummung ablegen.'
Eine Durchsage ähnlichen Inhalts wurde dann später wiederholt.
Aus dem Inhalt dieser Durchsagen an die Demonstrationsteilnehmer folgt nach Ansicht des Gerichts zwingend der - zumindest überwiegend - präventive Charakter dieser Maßnahme. Das Angebot an die eingekesselten
Demonstrationsteilnehmer, den Demonstrationszug nach Ablegen der Vermummung und der Schutzbewaffnung auf der geplanten Route fortzusetzen, macht deutlich, dass es der Polizei hier zunächst nicht um Strafverfolgung,
sondern um Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit, um die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes, um einen weiteren störungsfreien Verlauf der Demonstration und somit um Gefahrenabwehr ging. Die
Störung der öffentlichen Sicherheit sollte und konnte durch Ablegen der Vermummung und Schutzbewaffnung beseitigt werden. Hätte die Beklagte rein repressiv gehandelt oder handeln wollen, also Straftaten verfolgen wollen, wäre
eine Fortsetzung des Zuges durch die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer vor der Durchführung weiterer der Durchsetzung der Strafverfolgung dienender Maßnahmen ausgeschlossen gewesen. Unter rein repressiven
Gesichtspunkten haben diese Durchsagen der Polizei, gerichtet an die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer, keinen Sinn.
Stellt sich das polizeiliche Handeln somit zumindest auch - und überwiegend - als präventive Maßnahme dar, so ist jedenfalls der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Insoweit schließt sich das Gericht der - soweit ersichtlich ganz
überwiegenden - Meinung an, wonach bei doppelfunktionalem Tätigwerden der Polizei jedenfalls der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Das angerufene Gericht hat sodann gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen
in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten den Rechtsstreit zu überprüfen (vgl. hierzu auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 05.07.2006, Az.: 5 E 585/06; OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.11.2013, Az.: 11 OB 263/13).
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.
Das ‚Anhalten' des Demonstrationszuges stellt sich für den Kläger, der den Demonstrationszug angemeldet hat und verantwortlicher Versammlungsleiter war, als belastende Maßnahme dar, die sich mittlerweile erledigt hat.
Dabei kann dahinstehen, ob in diesem Fall die Klage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage oder als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft ist (hierzu:
BVerwG, Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 -, juris Rdnr. 15 = NJW 2012, 2676), denn das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung besteht. Dabei kann das
Feststellungsinteresse sowohl mit einem erheblichen Eingriff in eine grundgesetzlich besonders geschützte Rechtsposition des Klägers als Leiter einer Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG) als auch damit begründet werden, dass bei - dem
Kläger als Versammlungsleiter - belastenden Maßnahmen, die sich ihrer Natur nach bereits zwangsläufig vor Erhebung einer Klage erledigt haben - so wie im vorliegenden Falle - aufgrund eines effektiven Rechtsschutzes
grundsätzlich die gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahmen durch ein Gericht gewährleistet sein muss (vgl. hierzu: Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 113 Anm. 145).
Die Klage ist aber nicht begründet. Das Anhalten des Demonstrationszuges durch die Polizei am 1. Juni 2013 um 12.49 Uhr durch das Einziehen von zwei Polizeiketten vor und hinter dem Lautsprecherwagen, was zur Abtrennung der
sich dort befindlichen beiden Blöcke vom Rest des Demonstrationszuges führte, war rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten als Versammlungsleiter:
Zunächst besteht an der Zuständigkeit des Polizeipräsidiums Frankfurt als Polizeibehörde für die streitgegenständlichen Maßnahme gerichtlicherseits kein Zweifel. Hierbei ergibt sich die Zuständigkeit je nach Sicht der Dinge aus § 2
Satz 1 HSOG, da die Abwehr der Gefahr durch die zuständige Versammlungsbehörde - die allgemeine Ordnungsbehörde - mangels eigener sachlicher und personeller Mittel nicht rechtzeitig möglich war oder - da nach dem Vortrag
des Beklagten die Maßnahme in enger Abstimmung mit der Versammlungsbehörde erfolgte - gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 HSOG als rechtmäßige Vollzugshilfe, da zur Durchführung ordnungsbehördlicher Maßnahmen
Vollzugshandlungen erforderlich waren, die diese Behörde - die allgemeine Ordnungsbehörde - mangels ausreichender eigener befugter Bediensteter nicht selbst vornehmen konnte.
Das polizeiliche Anhalten des Demonstrationszuges war auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nach § 15 Abs. 3 VersG als Minusmaßnahme zu einer Auflösung liegen vor. Die öffentliche
Sicherheit war nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen unmittelbar gefährdet. Das polizeiliche Einschreiten war auch verhältnismäßig. Dies auch deshalb, da der Kläger seinen Pflichten nach §§ 8, 19
Abs. 1 VersG, als Leiter des Aufzuges für Ordnung zu sorgen, nicht nachkommen wollte oder nicht nachkommen konnte.
Der Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 3 VersG steht nicht entgegen, dass nach der Begründung des Beklagten im vorliegenden Verfahren die streitgegenständliche Maßnahme allein auf § 163b StPO gestützt
gewesen sein soll. Wie aus den obigen Ausführungen zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes folgt, spielten bei der Entscheidung der Polizei, den Demonstrationszug anzuhalten, gefahrenabwehrende, präventive Gesichtspunkte
eine wesentliche Rolle, hat die Polizei somit ersichtlich auch die Voraussetzungen für ein Einschreiten auf präventiver Grundlage geprüft.
Ausgangspunkt der rechtlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Maßnahme ist Art. 8 Abs.1 GG. Hiernach haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nach
Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer seiner grundlegenden Entscheidungen (Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - ‚Brokdorf II', BVerfGE 69, 315 <343>) hierzu ausgeführt:
‚Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und
untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich
ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers.'
In den weiteren Gründen dieser Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungsäußerung als unentbehrliche und
grundlegende Elemente eines demokratischen Gemeinwesens.
Allerdings gilt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht uneingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1985 weiter ausgeführt (a.a.O. S. 348):
‚Trotz ihres hohen Ranges ist die Versammlungsfreiheit nicht vorbehaltslos gewährleistet. Art. 8 GG garantiert lediglich das Recht, sich 'friedlich und ohne Waffen zu versammeln' …, und stellt zudem dieses Recht für
Veranstaltungen unter freiem Himmel unter Gesetzesvorbehalt. Damit trägt die Verfassung dem Umstand Rechnung, daß für die Ausübung der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel wegen der Berührung mit der Außenwelt ein
besonderer, namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung zu schaffen, andererseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren.'
Die streitgegenständliche Maßnahme, das Anhalten des Demonstrationszuges, erweist sich unter Berücksichtigung dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze als rechtmäßig.
Dabei richten sich Maßnahmen gegen Versammlungen in erster Linie nach dem Versammlungsgesetz. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seiner Entscheidung vom 16. November 2010 - 6 B 58/10 - (Buchholz 402.44 VersG
Nr. 18) ausgeführt:
‚Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit. Soweit das Versammlungsgesetz abschließende
Regelungen hinsichtlich der polizeilichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es daher als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor …'
Wie oben ausgeführt, folgt aus den Durchsagen der Polizei und auch aus dem Vortrag des Beklagten selbst im vorliegenden Verfahren, dass die streitgegenständliche Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer Durchführung zumindest
überwiegend präventiven Charakter hatte und somit der Gefahrenabwehr diente. Demzufolge sind entsprechend den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes wie des Bundesverfassungsgerichts als eingriffsermächtigende
Normen in erster Linie nicht Normen strafrechtlicher oder strafprozessualer Natur, sondern präventiver, gefahrenabwehrender Natur und somit in erster Linie Vorschriften des Versammlungsgesetzes heranzuziehen.
Die rechtliche Bewertung des Anhaltens des Demonstrationszuges durch die Polizei führt nach Ansicht des erkennenden Gerichts zu dem Ergebnis, dass diese Maßnahme als Minusmaßnahme von § 15 Abs. 3 VersG gedeckt ist.
Nach § 15 Abs. 3 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn ‚die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. 1 oder 2 dieser Vorschrift gegeben sind.' Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die
zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 15 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung lediglich die Auflösung der Versammlung regelt. Das Anhalten der Versammlung stellt
sich aber als rechtmäßige Minusmaßnahme nach § 15 Abs. 3 VersG zu einer Auflösung dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1981 - 1 C 88.77 -, BVerwGE 64, 55 (58) = Juris Rdnr. 37). In dieser Entscheidung hat das
Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass die Auflösung einer ordnungsgemäß angemeldeten und nicht verbotenen Versammlung sich nur als das letzte und äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren darstellt. Ist
die Auflösung hierzu nicht erforderlich oder unverhältnismäßig, so kann die zuständige Behörde sich der ihr nach geltenden Recht zustehenden polizeilichen Befugnisse zur Abwehr unmittelbarer Gefahren bedienen und im konkreten
Fall das Mittel, das zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und nicht unangemessen ist, heranziehen. Dies insbesondere auch deshalb, um damit den Schutz des ungestörten Versammlungsablaufes und die Wahrnehmung des
Demonstrationsrechtes für die übrigen Teilnehmer zu gewährleisten (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O., S. 361 f.). In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass dann, wenn kollektive
Unfriedlichkeit nicht zu befürchten ist, also nicht damit zu rechnen ist, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf
anstreben oder zumindest billigen, für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben müsse, wenn einzelne andere Demonstranten oder
eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand,
Demonstrationen ‚umzufunktionieren' und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen.
Nach diesen oben dargelegten Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes war das Anhalten der Demonstration durch den Einzug der zwei Polizeiketten und die Separierung der beiden vor bzw.
hinter dem Lautsprecherwagen befindlichen Blöcke als Minusmaßnahme im Sinne von § 15 Abs. 3 VersG gerechtfertigt und somit rechtmäßig.
Für eine Bewertung der Rechtmäßigkeit kommt es entsprechend § 15 Abs. 1 VersG auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen an. Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sind somit die Umstände, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung, das heißt im konkreten Falle die (tatsächlichen) Umstände, die
zum Zeitpunkt des Einziehens der Polizeiketten um 12.49 Uhr vorgelegen haben. Es kommt demzufolge nicht darauf an, ob es Schriftwechsel, Vermerke, Protokolle usw. zu oder von Vorgängen gibt, die sich in den Tagen vor der
Demonstration oder am frühen Vormittag des 1. Juni 2013 abgespielt haben, wie das Einsatzkonzept der Polizei insgesamt am 31. Mai 2013 (dem Tag vor der Demonstration) oder am 1. Juni 2013 vor Beginn des Demonstrationszuges
um 12.25 Uhr ausgesehen hat, welche Einsatzpläne für Gefangenentransportbusse, Anzahl und Ausfall von Gewahrsamseinrichtungen usw. es gegeben hat. Es kommt weiter nicht darauf an, welche Funkprotokolle es geben mag oder
nicht, was vor dem Beginn der Demonstration besprochen wurde oder nicht, welche Erkenntnisse dem Beklagten bezüglich der Vorgänge der Demonstration am 31. März 2012 vorgelegen haben, welche Daten in den
Gewalttäterdateien wie ‚LIMO' gespeichert sind usw. und wie die Demonstrationen am Vortag verlaufen sind. All dies spielt jedenfalls im vorliegenden Verfahren für die rechtliche Bewertung der streitgegenständlichen polizeilichen
Maßnahme keine Rolle, so dass die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten und auf die Vorlage von Behördenvorgängen, die sich auf Umstände vor Beginn des Demonstrationszuges beziehen, gerichteten
Beweisanträge entsprechend § 244 Abs. 3 StPO zurückzuweisen waren. Der Beweisantrag Nr. 1 zielt im Wesentlichen auf eine über den Streitgegenstand hinausgehende Ausforschung und betrifft im Übrigen Geschehnisse, die für die
Entscheidung schlicht unerheblich sind. Entsprechendes gilt für den Beweisantrag Nr. 2 insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des Geschehens am 31. März 2012. Es ist für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden
Maßnahme auch ohne Bedeutung, ob der Beklagte von vornherein plante, den Demonstrationszug anzuhalten - wovon der Kläger ausgeht, was der Beklagte aber bestreitet - oder nicht. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der
streitgegenständlichen Maßnahme sind im vorliegenden Verfahren gemäß § 15 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 3 VersG allein die zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung - mithin des Zeitpunkts des Einziehens der Polizeiketten -
erkennbaren und vorliegenden Umstände, die das Gericht zu überprüfen hat.
Aus obigen Gründen spielt es bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites auch keine Rolle, ob - wie von dem Kläger vorgetragen - auf Grund seiner Intervention kurz vor dem Start des Demonstrationszuges die Anzahl der
vermummten Personen sich deutlich verringerte. Soweit die Frage der Vermummung von Demonstrationsteilnehmern bei der Entscheidung dieses Rechtsstreites eine Rolle spielt, kommt es ebenfalls auf die Umstände zum Zeitpunkt
des Anhaltens des Zuges an. Auch der Beweisantrag Nr. 4 war deshalb abzulehnen.
Diese am 1. Juni 2013 um 12.49 Uhr vorliegenden Umstände rechtfertigten das polizeiliche Vorgehen.
Die tatsächlichen Umstände des Demonstrationsverlaufs bis zum Einzug der beiden Polizeiketten sind auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten und der Klägerbevollmächtigten zur Verfügung gestellten vier
DVDs zu sehen, die von dem Beklagten in dem vorliegenden Verfahren dem Gericht vorgelegt worden sind. Es handelt sich hierbei um die DVDs mit der Überschrift ‚Blockupy 2013, 01.06.2013', die mit den Ziffern 1 - 4
durchnummeriert sind. Diese vier DVDs, eine weitere DVD, die spätere, nach Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer aufgezeichnete Vorgänge zeigt, sowie einen (standardisierten, auch in anderen die ‚Blockupy'-Demonstration
vom 1. Juni 2013 betreffende Verwaltungsstreitverfahren vorgelegten ) 82-seitigen Verwaltungsvorgang, sind von dem Beklagten im vorliegenden Verfahren als ‚Behördenakten' vorgelegt worden. Die Klägervertreterin hatte Einsicht
in sämtliche dieser Datenträger bzw. Akten und somit vollständige Akteneinsicht. Weitere Verwaltungsvorgänge hat weder der Beklagte vorgelegt noch sind sie vom Gericht angefordert, weil für nötig befunden worden.
Das Gericht hat zusammen mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zunächst wesentliche Teile der DVD Nr. 3 (Aufnahme des Demonstrationszuges durch ein in einem Hubschrauber befindliches Filmteam von oben von
12.30 Uhr bis nach dem Einzug der Polizeiketten), der DVD Nr. 1 (Einzug der vorderen Polizeikette, gefilmt von der Seite und von vorne) und verschiedenen Dateien, die sich auf der DVD Nr. 4 befinden, in Augenschein genommen.
Diese in der Verhandlung abgespielten Videodateien zeichnen ein realistisches Bild von der Lage, wie sie sich bis zum Anhalten des Zuges und im Zeitpunkt des Anhaltens des Zuges dargestellt hat. Dass diese von der Polizei
gemachten Filmaufnahmen nicht den soweit dort dokumentierten tatsächlichen Geschehensverlauf wiedergeben, wird weder vom Kläger behauptet noch ist dies für das Gericht in irgendeiner Art und Weise erkennbar. Dass der
Beklagte (insbesondere auf der DVD Nr. 4) Vorgänge über Geschehnisse zusammengestellt hat, die nach seiner Ansicht für das polizeiliche Handeln besondere Relevanz haben, liegt in der Natur der Sache und ist auch keine
unzulässige Manipulation. Es ist unstreitig - und von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten -, dass die Geschehnisse, so wie sie filmisch festgehalten wurden, so stattgefunden haben. Der Hinweis des Klägers, es
handele sich hierbei nur um das Verhalten einer bestimmten, zahlenmäßig begrenzten Gruppe und der weitere größte Teil der Versammlungsteilnehmer habe ein anderes Verhalten an den Tag gelegt, ist ebenfalls unstreitig. Der
Beklagte hat keine weiteren für die Entscheidung dieses Rechtsstreites relevanten Vorgänge als die dokumentierten behauptet, und auch das Gericht geht davon aus, dass es demzufolge keine weiteren, das Anhalten des
Demonstrationszugs begründenden Vorfälle gegeben hat.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts rechtfertigen die auf den Videodateien zum Zeitpunkt des Einzugs der beiden Polizeiketten festgehaltenen, erkennbaren Geschehnisse die streitgegenständliche Maßnahme.
Es ist auf den Dateien deutlich zu sehen, dass sich zum Zeitpunkt des Einziehens der beiden Polizeiketten vor und hinter dem Lautsprecherwagen eine nach vorn und zu den Seiten, weniger nach hinten, klar abgrenzbare Gruppe von
Teilnehmern in ‚Schildkrötenformation' geordnet hatte. Die vor dem Lautsprecherwagen befindliche Gruppe - hierbei dürfte es sich um etwas weniger als die Hälfte der insgesamt eingeschlossenen 943 Teilnehmer gehandelt haben -
hatte sich nach den Seiten mit Transparenten begrenzt und teilweise Schirme aufgespannt. Dies hatte zur Folge, da die vorderen und seitlichen Transparente bis zu bzw. über die Köpfe der darin befindlichen Demonstrationsteilnehmer
gezogen waren und die Sicht von oben durch die aufgespannten Schirme verdeckt wurde, dass dieser vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block zwar bunt anzusehen, aber nicht einzusehen war. Auch Aufnahmen von oben lassen
nur einen sehr eingeschränkten Blick in diesen von den anderen Versammlungsteilnehmern strikt abgegrenzten, monolithisch wirkenden Block zu. Allerdings ist auf einem Video, DVD 4, Datei Nr.5 mit dem Titel ‚Aufteilung vorderer
Teil des Zuges von oben', das in der mündlichen Verhandlung abgespielt wurde und das den Zeitpunkt kurz vor dem Anhalten bzw. vor dem Einzug der beiden Polizeiketten betrifft, zu erkennen, dass sich in diesem vorderen Block
eine nicht unerhebliche Zahl von schwarz gekleideten Personen Gesichtsmasken überzieht oder bereits vermummt ist. Es ist im Weiteren zu erkennen, dass sich Personen in diesem vorderen Block vor den Gesichtern einen
Plastikschutz angebracht haben und Schutzschilder tragen. Jedoch sind die vermummten oder schutzbewaffneten Personen, die sich in dem vorderen Block aufhalten, aufgrund der geschilderten Nicht-Einsehbarkeit dieses Blockes nur
teilweise bzw. eingeschränkt zu erkennen. Dies ist besonders eindrucksvoll dokumentiert auf dem Video DVD 4, Datei Nr. 13, mit dem Titel ‚ Schwarzer Block Abschirmung nach außen'. Hier ist die optische Abgrenzung des
vorderen Blockes nach Außen durch Transparente und Schirme auch in Nahaufnahme dargestellt; es ist zu sehen, dass sich hinter den Transparenten und unter den Schirmen eine Vielzahl schwarz gekleideter und/oder vermummter
Personen befinden, die aber nur teilweise zu erkennen sind. Auf diesem Video sind auch Schutzschilder zu sehen. Schließlich ist bezüglich des vorderen Blockes noch festzustellen, dass kurz vor dem Anhalten des
Demonstrationszuges aus diesem Block zweimal Pyrotechnik abgefeuert oder geworfen wird.
Der hinter dem Lautsprecherwagen befindliche Teil ist in seinem vorderen Bereich ebenfalls durch ca. mannshohe Transparente seitlich klar abgegrenzt. In diesem Block befinden sich überwiegend in auffallender Weise schwarz
gekleidete Versammlungsteilnehmer, zum Teil vermummt, zum Teil nicht, zu sehen auf dem Video DVD 4, Datei Nr. 7, mit dem Titel ‚Schwarzer Block hinter LKW'.
Diese festgestellten Umstände rechtfertigen nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedenfalls die streitgegenständliche Maßnahme; angesichts dieser Umstände war das Anhalten des Demonstrationszuges und das damit zwangsläufig
verbundene Einkesseln der Demonstrationsteilnehmer rechtmäßig und insbesondere auch verhältnismäßig.
Zum einen lagen erhebliche Verstöße gegen die in der Auflagenverfügung der Versammlungsbehörde der Stadt Frankfurt am Main vom 16. Mai 2013 gemachten und sowohl von dem Verwaltungsgericht Frankfurt als auch von dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof als rechtmäßig befundenen Auflagen vor.
In der Auflagenverfügung ist unter anderem bestimmt:
12. Transparente, mit Ausnahme des Fronttransparents, dürfen maximal 3 m lang sein. Sie dürfen nicht aneinander geknotet werden und der Abstand zwischen jedem Transparent muss mindestens 1,50 m betragen. Transparente dürfe
nicht so getragen werden, dass sie als Sichtschutz für die Versammlungsteilnehmer dienen können.
13. Das Mitführen von Seilen ist untersagt. …
16. Das Abbrennen oder Verbrennen von Gegenständen jeglicher Art wird untersagt (der Genuss handelsüblicher Tabakwaren ist davon nicht erfasst). Auch ist es verboten, während der gesamten Veranstaltung pyrotechnische
Erzeugnisse mitzuführen. …
18. Getränke dürfen während der gesamten Veranstaltung nur in Kunststoffbehältnissen oder Tetra-Packungen mitgeführt werden. Das Mitführen von Glasflaschen ist verboten.
Insbesondere die in dem Block vor dem Lautsprecherwagen befindlichen Demonstrationsteilnehmer verstießen mit ihrem Verhalten massiv gegen die Auflage Nr. 12 und wohl auch Nr. 13, da zumindest nach äußerem Anschein die
verschiedenen Transparente fest miteinander verbunden waren, was wohl nur durch Seile möglich ist. Aber auch Verstöße bezüglich Nr. 16 und 18 der Auflagen sind durch die Videoaufnahmen belegt. So ist auf einer Aufnahme zu
sehen, dass es aus dem vorderen Block zu Flaschenwürfen gekommen ist.
Auch haben eine erhebliche Zahl der Demonstrationsteilnehmer im vorderen und hinteren Block durch die Vermummung eine Straftat gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG, und zumindest eine Vielzahl von Demonstrationsteilnehmer im
vorderen Block durch das Mitführen von Schutzbewaffnung - die Plastikschilder und Schutzschilder - eine Straftat nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersG begangen, wonach es verboten ist, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem
Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, mit sich zu führen.
Es mag zutreffend sein, dass - wie vom Kläger gerügt - ein bloßer Auflagenverstoß nicht zur Einkesselung von Demonstrationsteilnehmern bzw. zum Anhalten eines Demonstrationszuges führen kann oder darf. Es mag weiterhin
zutreffen, dass die Vermummung Einzelner nach den oben dargelegten von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen nicht dazu führen kann, andere Teilnehmer der Demonstration durch ein Blockieren des gesamten
Demonstrationszuges ihr Demonstrationsrecht zu nehmen. Die streitgegenständliche Maßnahme ist aber nicht durch einen bloßen Auflagenverstoß oder die Vermummung Einzelner gerechtfertigt, sondern durch die Gesamtumstände
und die sich hieraus ergebenden Weiterungen. Die Auflage Nr. 12, wonach ein Sichtschutz durch Transparente untersagt war, ist hier nicht als einfache Auflage abzutun, um dann weiter zu argumentieren, ein Verstoß hiergegen könne
keinesfalls - auch im Zusammenspiel mit anderen Verstößen - die streitgegenständliche Maßnahme rechtfertigen.
Es fällt bei der rechtlichen Beurteilung der streitgegenständlichen Maßnahme besonders ins Gewicht, dass durch das Aufziehen der seitlichen mannshohen Transparente und das Aufspannen der Schirme - seien es nun Regen- oder
Sonnenschirme - durch die in dem vorderen Block befindlichen Demonstrationsteilnehmer ein Raum geschaffen wurde, der sich der Kontrolle von Außen durch die Polizei fast vollständig entzog.
Hierdurch wurde eine Situation geschaffen, die von der Polizei zu Recht als eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesehen werden musste, die so nicht akzeptiert werden konnte. Erkennbar befanden sich in diesem
vorderen Block eine erhebliche Anzahl auffallend schwarz gekleideter und teilweise vermummter Personen. Erkennbar demonstrierten sämtliche sich in diesem vorderen Teil befindlichen Demonstrationsteilnehmer, dass sie sich
weder an die Auflagenverfügung noch an die Vorschriften des Versammlungsgesetzes halten wollten oder sich daran gebunden fühlten. Soweit Personen in diesem Block nicht selbst vermummt waren oder Schutzbewaffnung mit sich
führten, so unterstützten sie durch die hochgehaltenen Transparente und mitgeführten Schirme erkennbar das Verhalten von Personen, die sich strafbar machten bzw. solidarisierten sich hiermit, indem sie diese Personen vor den
Blicken der Polizei verbargen. Die Versammlungsteilnehmer in diesen Bereichen vermittelten den klaren Eindruck, dass sie sich von dem überwiegenden Teil der nachfolgenden Teilnehmer abgesondert hatten und zugleich durch ihre
Vermummung zielgerichtet bemüht waren, einer eigenen Identifikation entgegenzuwirken sowie ein Verbergen in der Anonymität der Masse zu erreichen bzw. dies unterstützten. Es wird von dem Beklagten in der Substanz
unbestritten vorgetragen, dass vom Lautsprecherwagen Durchsagen kamen wie: ‚Heute lassen wir es krachen' oder ‚…wir hauen euch die Stadt kaputt.' Der Kläger hat in seiner Klageerwiderung - die er in der mündlichen Verhandlung
vorgelegt hat - diesen Vortrag des Beklagten nicht substantiiert bestritten, sondern hierzu lediglich vorgetragen, der Beklagte habe keinen ausreichend konkreten Sachverhalt vorgetragen, und aggressive Meinungsäußerungen seien
nicht geeignet, eine Gefahrenprognose zu stützen. Letzteres mag in dieser Allgemeinheit zutreffen, sieht man jedoch diese aggressive Meinungsäußerungen - die von dem Beklagten auf Seite 8 der Klageerwiderung unter Hinweis auf
nachfolgende englische und italienische Übersetzungen substantiiert dargelegt werden - im Zusammenhang mit dem oben aufgezeigten Verhalten bzw. Verhältnissen, so verlassen diese Drohungen den Bereich der reinen Rhetorik und
können bei einer Gefahrenprognose nicht mehr ignoriert werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Demonstrationszug in wenigen hundert Metern die EZB - ein besonderes Angriffsziel für fundamentalistische Gruppen -
erreichen würde.
Für die Polizeibeamten war nicht abzusehen und zu erkennen, was sich in dem nicht einsehbaren Raum abspielte, ob dort Vorbereitungshandlungen für einen Angriff nach außen vorbereitet wurden oder nicht. Angesichts des gezeigten
Verhaltens dieser Demonstrationsteilnehmer durfte man durchaus mit allem rechnen.
Das Gericht teilt hier nicht die Ansicht des Klägers, dass es sich bei den oben geschilderten Umständen um eine harmlose Demonstrationsform kreativer, bunter Art handelte und hierin lediglich ein besonderer politischer
Gestaltungswille zum Ausdruck kam. Das Gericht erachtet eine solche Einschätzung schlichtweg als lebensfremd. Allein aus dem Umstand, dass sich - wie vom Kläger vorgetragen - die an der Durchführung der Demonstration
beteiligten Gruppen auf eine gewaltfreie Demonstration geeinigt haben sollen - was vom Gericht nicht angezweifelt wird -, kann nicht geschlossen werden, dass tatsächlich alle Demonstrationsteilnehmer dann auch gewaltfrei sind.
Dies haben andere Demonstrationen in anderen deutschen Städten eindrucksvoll bewiesen. Auch ist es nach Ansicht des Gerichts im Gegensatz zum Vorbringen des Klägers nicht ohne Bedeutung, dass die Polizei im weiteren Verlauf
der Aufzugsstrecke feststellte, dass eine Verkehrsinsel aufgebrochen war und größere Steine herumlagen, die als Wurfgeschosse gebraucht werden konnten. Insgesamt handelte es sich um eine Gefahrensituation, die die Polizei zum
gefahrenabwehrenden Handeln veranlassen musste.
Es ist zwar zutreffend, dass - wie vom Kläger vorgetragen - bisher nichts weiter Schlimmeres geschehen war. Präventives Handeln bedeutet aber nicht, dass erst dann eingegriffen wird, wenn der Schaden eingetreten ist, sondern dass
eingegriffen wird, wenn ausreichend Umstände darauf hindeuten, dass ein erheblicher Schaden eintreten wird. Solche Umstände lagen vor.
Insbesondere der vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block hatte durch die Schaffung eines uneinsehbaren sozusagen abgedunkelten Raumes einen Zustand geschaffen, der es der Polizei unmöglich machte, festzustellen, was sich
in diesem Raum abspielte. Die Polizei war nicht in der Lage konkret einzuschätzen, ob und inwieweit dort Straftaten oder gewalttätige Aktionen vorbereitet wurden oder nicht; dies war aber zum Schutz von Leib und Leben sowie des
Eigentums Dritter zwingend erforderlich. Die Polizei, die auf der einen Seite den Schutz des Versammlungsrechtes zu gewährleisten hat, der auf der anderen Seite aber auch den Schutz der öffentlichen Sicherheit , d.h. der Schutz von
Leben und Gesundheit und von Eigentum und Vermögen Dritter obliegt, muss in der Lage sein, alle für die öffentliche Sicherheit relevanten Vorgänge im öffentlichen Straßenraum während einer Demonstration, die ein gewisses
Gefährdungspotential in sich tragen, zu erkennen und zu bewerten. Auf Grund des gezeigten Verhaltens der Demonstrationsteilnehmer war die Annahme, es drohten erhebliche, nicht kalkulierbare Gefahren, realistisch, lebensnah und angebracht.
Der Schluss, dass in einem gezielt rechtswidrig geschaffenen, nicht einsehbaren Raum, in dem sich eine erhebliche Anzahl vermummter Personen aufhält, Taten vorbereitet werden, die bei Einsehbarkeit und rechtzeitigem Erkennen zu
einem sofortigen Einschreiten der Polizei führten würden, ist naheliegend und folgerichtig, denn aus welchem Grund sonst sollten sich die Demonstrationsteilnehmer so verhalten.
Gleiches gilt für den abgeschnittenen hinteren Teil. Die dort befindliche überwiegende Anzahl auffallend schwarz gekleideter und teilweise vermummter Personen ließ ohne weiteres den Schluss zu, dass bei Aktionen des vorderen
Teils sich die hinter dem Lautsprecherwagen befindlichen Teile diesen Aktionen anschließen würden. Es ist zwar zutreffend, dass der Punkt des Einzugs der Polizeikette im hinteren Teil sich nicht zwingend aus den Umständen
herleiten lässt. Zutreffend hat der Kläger darauf hingewiesen, dass ausweislich der Bildaufnahmen sich sowohl vor als auch hinter der Polizeikette ähnliche Personen - ähnliche Kleidung, ähnliches Verhalten - befanden. Da aber der
hintere, in Formation befindliche Teil des Demonstrationszuges mehr oder weniger nahtlos in den nicht formiert marschierenden folgenden Teil der Versammlung überging, war hier kein derart abgegrenzter Block vorhanden wie vor
den Lautsprecherwagen. Von daher war es nicht zu vermeiden, dass ein bestimmter Einzugspunkt ausgewählt wurde, der aber auch einige Meter davor oder dahinter hätte liegen können. Als völlig willkürlich und somit rechtswidrig
stellt sich für das Gericht der Punkt des Einzugs der hinteren Polizeikette jedenfalls nicht dar.
Die Maßnahme war auch verhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ergibt sich nach Ansicht des Gerichts insbesondere aus Folgendem:
Es ist zunächst unstreitig - diese Durchsage wurde im Gerichtssaal vorgespielt und war auch vor Ort gut verständlich -, dass kurz nach dem Anhalten des Demonstrationszuges die Polizei den eingekesselten Demonstrationsteilnehmern
durch direkte Ansprache das Angebot machte, nach Ablegen der Vermummung - wozu auch das Ablegen der mannshohen Seitentransparente gehörte - und Ablegen der Schutzbewaffnung den Demonstrationszug weiterführen zu
können. Erkennbar erfolgte auf dieses Angebot der Polizei, das einige Minuten später wiederholt wurde, von Seiten der eingekesselten (vorderen) Demonstrationsteilnehmer keine Reaktion derart, dass der rechtswidrige Zustand
beendet oder auch nur verändert wurde. Vielmehr ist eine Aufforderung aus dem Lautsprecherwagen zu hören, die Polizei selbst solle ihrerseits die Vermummung ablegen. Die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer hatten es selbst
in der Hand, ihr auflagenwidriges und gesetzwidriges Verhalten zu beenden, um den Demonstrationszug weiter zu führen. Sie gingen auf dieses Angebot nicht ein.
Keine Rolle spielte hierbei, dass nach dem Vortrag des Klägers - der dann mit der Polizei in Verhandlungen trat - die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer dieses Angebot dann doch angenommen haben sollen, die Polizei jedoch
noch eine Durchlasskontrolle forderte. Das Gericht sieht das Bestehen der Polizei auf eine solche Durchlasskontrolle - ohne Identitätsfeststellung - weder als menschenunwürdig noch sonstwie rechtswidrig, sondern als erforderlich und
rechtmäßig an. Angesichts des gezeigten Verhaltens war sicherzustellen, dass nicht in mitgeführter Kleidung oder in den Rucksäcken weitere Gegenstände verborgen waren, die kurz danach wieder zu ähnlichen Zuständen, wie
festgestellt, führten. Dass dies eine bestimmte Zeit in Anspruch genommen hätte, liegt auf der Hand, dass dies den Zeitrahmen der Demonstration vollständig gesprengt hätte, ist Spekulation und wenig wahrscheinlich. Dies kann aber
auch dahinstehen, da die Demonstrationsteilnehmer selbst Veranlassung hierfür gegeben haben.
Festzuhalten bleibt, dass die Polizei den eingekesselten Demonstrationsteilnehmern unmittelbar und durch direkte Ansprache zu zumutbaren, erforderlichen Bedingungen anbot, die Einkesselung, das Anhalten des
Demonstrationszuges, zu beenden und ihnen hierdurch, ohne ihre Identität festzustellen, nach Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes ermöglichen wollte, ungehindert den Demonstrationszug fortzusetzen. Die durch die vorgelegten
Bildaufnahmen belegte Zurückweisung dieses Angebotes der Polizei durch die Demonstrationsteilnehmer, indem diese ihr Verhalten, die Abschirmung nach außen in keiner Weise veränderten, sondern unverändert in dem
geschaffenen Zustand verharrten, rechtfertigte es, die Einkesselung bis zu dem dann erfolgten Ausschluss beizubehalten.
Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme folgt weiter insbesondere auch aus dem Umstand, dass die Polizei die Kooperation mit dem Kläger als Versammlungsleiter suchte und mit ihm über das weitere Vorgehen Verhandlungen
aufnahm, der Kläger aber erkennbar auf die sich rechtswidrig verhaltenden Versammlungsteilnehmer zwecks Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes keinen Einfluss nehmen wollte oder nehmen konnte, somit seinen sich aus
§§ 8, 19 Abs.1 VersG ergebenden Pflichten, für einen ordnungsgemäßen Ablauf des Aufzuges zu sorgen, nicht nachkam. Der Kläger hat diesbezüglich in seiner Klagebegründung vorgetragen und auch in der mündlichen Verhandlung
erläutert, dass er zwar Versammlungsleiter gewesen sei, es neben ihm aber noch eine demokratisch verfasste ‚Demonstrationsleitung' gegeben habe. Alle Maßnahmen seien innerhalb der Demonstrationsleitung demokratisch
abgestimmt und entschieden worden. Er hat weiter vorgetragen, dass er nach dem Hinweis der Polizei auf einen angeblich vermummten Block von 150 Personen mit den weiteren Leitern seiner Demonstration gesprochen habe, die
sich beim vorderen Lautsprecherwagen aufgehalten hätten und einen direkten Blick auf die vermeintliche ‚Gruppe' gehabt hätten. Er habe die Rückmeldung bekommen, dass es diesen Block 150 vermummter Personen nicht gäbe. Es
gäbe einzelne Personen mit Sonnenbrillen, Kapuzen, auch Tücher, aber keine umfassende Vermummung, schon gar keine Gruppe von 150 umfassend Vermummten, einen ‚Block'. Er habe immer Kontakt zu der Demonstrationsleitung
gehabt und sei über diese informiert gewesen, wie sich die Situation um den Lautsprecherwagen dargestellt habe.
Aus dieser Einlassung des Klägers lässt sich der Schluss ziehen, dass der Kläger, der davon spricht, immer Kontakt zur ‚Demonstrationsleitung' gehabt zu haben, sich selbst nicht als Demonstrationsleiter, als Versammlungsleiter im
Sinne von §§ 8, 19 Abs.1 VersG mit den sich hieraus ergebenden Befugnissen, aber auch Pflichten, betrachtet hat. Des Weiteren folgt aber aus dieser Einlassung für das Gericht auch, dass der Kläger sich offenkundig nicht selbst über
die Verhältnisse, wie sie sich vor, insbesondere aber auch nach der Einkesselung dargestellt haben, informiert hat. Er hat es offensichtlich nicht für nötig befunden, während der über eineinhalb Stunden - bis zum Ausschluss -
dauernden Einkesselung der Demonstrationsteilnehmer sich selbst einen persönlichen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen und entsprechend auf die Demonstrationsteilnehmer einzuwirken. Das Gericht hat deshalb ganz
erhebliche Zweifel, ob der Kläger willens und in der Lage war, auf die sich rechtswidrig verhaltenden eingekesselten Demonstrationsteilnehmer einzuwirken. Er hat dies in der mündlichen Verhandlung zwar zunächst behauptet, dann
aber unter Hinweis auf die demokratische Verfasstheit der Versammlungsleitung wieder relativiert. Die Einschätzung der Polizei, der Kläger habe keinen Einfluss, keinen Zugriff auf die eingekesselten und teilweise vermummten, sich
rechtswidrig verhaltenden Versammlungsteilnehmer gehabt, ist auch nach diesem Vortrag des Klägers realistisch. Auch für das Gericht ist es schwer nachvollziehbar, dass der Kläger auf der einen Seite in der mündlichen Verhandlung
beteuert hat, auch er hätte sich gewünscht, dass die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer sich anders, den Auflagen entsprechend, verhielten - auch wenn er diese Verstöße als nicht gravierend angesehen hat -, andererseits aber
trotz ausreichender Zeit nicht einmal selbst persönlich den Versuch unternommen hat, als verantwortlicher Versammlungsleiter auf die Gruppe einzuwirken. Bezogen auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führt dies zu der
Bewertung durch das Gericht, dass angesichts dieses Verhaltens des Klägers die Polizei hier nicht einfach auf irgendwelche Zusagen oder Beteuerungen des Klägers vertrauen konnte, sondern sich durch eine Durchlasskontrolle selbst
davon überzeugen musste, ob im (möglichen) weiteren Verlauf des Demonstrationszuges Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgeschlossen waren.
Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist für das Gericht weiterhin von Bedeutung, dass die Polizei den Ort der Einkesselung der beiden Blöcke so wählte, dass die anderen Teilnehmer der Versammlung in die
Lage gesetzt wurden, ihren Demonstrationszug nach einer Umgehung der eingekesselten Demonstrationsteilnehmer auf der weiteren, geplanten Demonstrationsroute fortzusetzen. Wie auf der bei Blatt 60 der Behördenakte
befindlichen Karte zu sehen ist, war eine Umgehung des in der Hofstraße eingekesselten Teils durch Abschwenken in die Untermainanlage, Abbiegen in den Untermainkai und dann nach links zurück auf die ursprüngliche
Demonstrationsstrecke leicht möglich. Auch auf den Hubschrauberaufnahmen ist zu erkennen, wie diese Umleitungsstrecke ausgesehen hätte.
Es kann hier dahinstehen, inwieweit die Umleitungsstrecke durch Einsatzfahrzeuge der Polizei zugestellt war (die Bildaufnahmen aus der Hubschrauberperspektive - die zwar in der mündlichen Verhandlung nicht abgespielt wurden,
die aber nichts desto trotz in ihrer Gesamtheit Gegenstand der mündlichen Verhandlung und dem Kläger und seiner Bevollmächtigten bekannt waren - bestätigen etwas derartiges nicht). Einem entsprechenden Beweisantrag, dem
Beweisantrag Nr. 3, musste das Gericht aber schon deshalb nicht nachgehen, da selbst in dem Falle, dass dort Einsatzfahrzeuge der Polizei gestanden hätten, bei einer Akzeptanz der angebotenen Umleitungsstrecke diese schnell hätten
entfernt werden können und keine Umstände ersichtlich sind, die hiergegen sprechen könnten. Die Polizei hat durch die gewählte Maßnahme, den gewählten Ort, demzufolge ein wesentliches Kriterium der Rechtmäßigkeit einer
polizeilichen Maßnahme gegen Teilnehmer einer Versammlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt, nämlich dass in Fällen, in denen nicht zu befürchten ist, dass eine Demonstration im Ganzen einen
unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der
Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleibt, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder durch eine Minderheit zu rechnen ist. Durch das Angebot und das Bereithalten einer (kurzen) Umleitung hat die Polizei dafür gesorgt,
dass die anderen Versammlungsteilnehmer ihr Versammlungsrecht hätten ausüben können. Wenn die anderen Versammlungsteilnehmer sich entschieden haben, aus Solidarität mit den Eingekesselten - möglicherweise in Unkenntnis
der tatsächlichen Verhältnisse - die Umgehungsstrecke nicht zu akzeptieren und hinter dem eingekesselten Teil zu verharren, so liegt dies in deren Verantwortung und nicht in der Verantwortung der Polizei. Die Möglichkeit der
Wahrnehmung ihres Demonstrationsfestes war diesen Teilnehmern jedenfalls gegeben, die Umgehung, der kurze Umweg, war auch zumutbar.
Schließlich waren andere, ebenso geeignete, aber mildere Mittel der Gefahrenabwehr nicht gegeben.
Erweist sich somit die streitgegenständliche Maßnahme der Polizei, das Anhalten des Demonstrationszuges um 12.49 Uhr und auch bis zum Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer als Minusmaßnahme zu einer Auflösung nach §
15 Abs.3 VersG als rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen durch die Polizei auf repressiver Grundlage gegeben waren und ist die Klage
demzufolge mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
BESCHLUSS
Der Streitwert wird auf 5 000 Euro festgesetzt.
GRÜNDE
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG, wonach dann, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen ist. ..."
***
Der Verwaltungsrechtsweg ist auch für die Überprüfung von Folgemaßnahmen einer Einkesselung von Versammlungsteilnehmern eröffnet, da für diese nicht ausschließlich repressive Ermächtigungen in Betracht kommen (VG
Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2014 - 5 K 659/14.F):
„... I. Der Kläger begehrt mit seiner am 27. Februar 2014 erhobenen Klage festzustellen, dass
1. die Einkesselung des Klägers durch Beamte des Beklagten am 1.Juni 2013 um ca. 12.50 Uhr in der Hofstraße in Frankfurt am Main rechtswidrig gewesen ist,
2. der Ausschluss des Klägers aus der Versammlung „Blockupy Frankfurt - Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika" rechtswidrig gewesen ist,
3. die mit der Einkesselung verbundene Freiheitsentziehung des Klägers am 1. Juni 2013 von ca. 12.50 Uhr bis ca. 19.00 Uhr rechtswidrig gewesen ist,
4. die bei Gelegenheit der Einkesselung erfolgte Feststellung der Personalien des Klägers durch Beamte des Beklagten rechtwidrig gewesen ist,
5. die bei Gelegenheit der Einkesselung erfolgte Abtastung und Durchsuchung des Klägers sowie dessen Rucksacks durch Beamte des Beklagten rechtwidrig gewesen ist,
6. die bei Gelegenheit der Einkesselung erfolgte Videographierung des Klägers durch Beamte des Beklagten rechtwidrig gewesen ist,
Der Beklagte hat mit seiner Klageerwiderung vom 20. März 2014 beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main, hilfsweise an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, zu verweisen.
II. Über die Zulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtswegs ist nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO vorab zu entscheiden, da der Beklagte die Zulässigkeit gerügt hat.
Für die Begehren zu 1. bis 6. ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, denn eine abdrängende Sonderzuweisung besteht weder entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2, 3 i.V.m. § 162 StPO zugunsten des
Amtsgerichts (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. August 1998 - 5 ARs (VS) 1/97 -, BGHSt 44, 171 = juris Rdnr. 17) noch nach § 23 Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG zugunsten des Oberlandesgerichts:
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich
zugewiesen sind. Demzufolge ist der Verwaltungsrechtsweg für Klagen, die sich gegen präventiv-polizeiliche Maßnahmen richten, eröffnet; die ordentliche Gerichtsbarkeit ist hingegen zuständig, wenn strafverfahrensrechtliche
Ermittlungen in Streit stehen (hierzu grundsätzlich: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 3. Dezember 1974 - I C 11.73 -, BVerwGE 47, 255). Die präventiven und repressiven Aufgaben der Polizei stehen prinzipiell
nebeneinander, auch wenn eine polizeiliche Maßnahme im Einzelfall der Erfüllung beider Aufgaben dienen kann. Dementsprechend überschneiden sich die Regelungen des Polizeirechts und der Strafprozessordnung grundsätzlich
nicht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Juni 2001 - 6 B 25.01 -, NVwZ 2001, 1285 <1286> = juris Rdnr. 5) und ist die rechtswegbestimmende Frage, welcher Zweck mit einer polizeilichen Maßnahme verfolgt
wurde, einheitlich anhand ihres Schwerpunkts zu beantworten. Indes liegt dem die Annahme zugrunde, dass sich der Anlass des polizeilichen Einschreitens für den Betroffenen regelmäßig unschwer erkennen lasse oder von der Polizei
bekanntgegeben werde. Ansonsten kommt es darauf an, wie sich der konkrete Lebenssachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt. Ergibt sich nach diesen Kriterien für
den Betroffenen keine eindeutige Zuordnung zu einer repressiven oder präventiven Zielrichtung, spricht viel dafür, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, wenn zumindest auch eine präventiv-polizeiliche
Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt. Denn für die Frage der Rechtswegeröffnung genügt es in Fällen der rechtlichen Kumulation, wenn die den Rechtsweg begründende Norm möglicherweise anwendbar ist (vgl. Ehlers, in:
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, Stand: April 2013,, § 41 mit § 17 GVG Rdnr. 34); alles Weitere ist eine Frage der konkreten Umstände (Ehlers, a.a.O., § 40 Rdnr. 217) und bedarf so der Klärung in der mündlichen
Verhandlung, nicht einer Festlegung im Zwischenstreit über die Rechtswegeröffnung.
1. Das Einziehen zweier Polizeiketten in den Aufzug um 12.49 Uhr - angekündigter Klageantrag zu 1) -, mit dem die Teilnehmer an ihrer weiteren Fortbewegung gehindert wurden, stellt sich als eine derartige doppelfunktionale
Maßnahme dar. Das Einziehen der beiden Polizeiketten beruhte nicht auf einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung, sondern dem Entschluss des Gesamteinsatzleiters. Eine Festlegung auf eine bestimmte Eingriffsermächtigung
gegenüber den Betroffenen ist hier auch ausweislich der Videoaufzeichnungen nicht festzustellen. Doch selbst wenn man nicht der Ansicht folgte, in diesem Fall stehe dem Kläger ein Wahlrecht zu (vgl. Sodan, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. Aufl. - 2010, § 40 Rdnr. 618), das der Kläger hier mit dem Beschreiten des Verwaltungsrechtswegs ausgeübt habe, stand vorliegend bei objektiver Betrachtung der Schutz des ungestörten Versammlungsablaufs im
Vordergrund (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - sub C III 3 b, BVerfGE 69, 315 <361> = juris Rdnr. 92). Das Einziehen der beiden Polizeiketten richtete sich
unzweifelhaft gegen eine Versammlung, da für den Versammlungsbegriff die Frage, ob ein Teil der Versammlung unfriedlich und damit - primär vom Versammlungsleiter, andernfalls durch die Polizei - auszuschließen sei,
unerheblich ist. Für die Beurteilung kommen daher versammlungsrechtliche Pflichten und Befugnisse jedenfalls in Betracht. Dagegen liegt ein Berufen auf strafverfahrensrechtliche Befugnisse, wie die einer vorläufigen Festnahme
nach § 127 Abs. 2 StPO - schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und dem allgemeinen polizeilichen Grundsatz „Prävention vor Repression" -, fern. Selbst der Beklagte geht auf S. 10 seiner Klageerwiderung davon aus, dass „der
geschilderte Geschehensablauf … gleichzeitig die Annahme [begründete], dass aus der Menge heraus zeitnah weitere Straftaten gegen Leib, Leben und Eigentum sowie gegen die öffentliche Ordnung nach §§ 125 ff. StGB begangen
würden", was entscheidend für eine präventive Betrachtung spricht.
2. Für den Ausschluss des Klägers aus der Versammlung - angekündigter Klageantrag zu 2) - kommen nur versammlungsrechtliche Befugnisse aus § 17a Abs. 4 Satz 2, § 19 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes, nicht aber
strafprozessuale Ermächtigungen in Betracht.
3. Die Freiheitsentziehung des Klägers in der Zeit von 12.49 Uhr bis ca. 19.00 Uhr - angekündigter Klageantrag zu 3) - ist Folge des Einziehens der beiden Polizeiketten, teilt so deren Rechtsnatur und wäre nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 des
Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) als Minusmaßnahme zu einer Auflösung des gesamten Aufzugs (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. September 1981 - 1 C 88.77 -, BVerwGE 64,
55 <58> = juris Rdnr. 37) zu prüfen, womit eine präventive Ermächtigung in Betracht kommt. Darüber hinaus - und entscheidend - ist der weitere Geschehensablauf zu betrachten, von dessen Einbeziehung in die polizeiliche
Lagebeurteilung, die dem Entschluss zugrunde lag, zwei Polizeiketten einzuziehen, auszugehen ist. Nach dem ausdrücklichen Vorbringen auf S. 13 ff der Klageerwiderung habe der Schwerpunkt sodann wieder auf der Prävention
gelegen, wobei die Polizei mit dem Angebot, beim Verlassen des abgesperrten Bereichs eine polizeiliche Durchlassstelle zu passieren, um zu kontrollieren, ob verbotene Gegenstände abgelegt worden seien, dafür aber auf Feststellung
der Personalien zu verzichten, ein Verfahren vorgeschlagen hätte, das bei einer einmal getroffenen Entscheidung für ein repressives Vorgehen im Hinblick auf § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 258a StGB schwerlich zu rechtfertigen wäre,
jedenfalls aber eine Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft erfordert hätte. Die „Chronologische Übersicht über den Einsatzverlauf ‚Großdemonstration Blockupy 2013' am 01.06.2013", Behördenakten Bl. 44 ff., dokumentiert in
dieser Phase indes keine derartige Abstimmung, sondern vielmehr um 14.37 Uhr eine „enge Absprache" und um 15.01 Uhr eine „Weisung" der Versammlungsbehörde zum weiteren Vorgehen. Ob die Rechtsnatur der
Freiheitsentziehung nach dem Ausschluss des Klägers aus der Versammlung sich objektiv änderte und von einer präventiven Gewahrsamnahme in eine repressive Festnahme umschlug, ist für die Rechtswegfrage unerheblich, da es
sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handelte, der nicht künstlich aufgespalten werden kann, und das angerufene Verwaltungsgericht den Rechtsstreit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO unter allen in
Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat, sofern der zu ihm beschrittene Rechtsweg für einen Klagegrund zulässig ist; eine Ausnahme gilt nur für die Fälle, in denen das Grundgesetz den ordentlichen
Rechtsweg vorschreibt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23. Februar 1990 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, Bundesrats-Drucksache 135/90, S. 114). Die dadurch
angeordnete umfassende Prüfung erstreckt sich somit auch auf rechtliche Gesichtspunkte, für die an sich ein anderer Rechtsweg gegeben wäre.
Dass der Kläger vor der Rechtshängigkeit dieser Klage bereits einen Antrag auf (nachträgliche) richterliche Entscheidung beim Amtsgericht Frankfurt am Main gestellt habe, der eine verwaltungsgerichtliche
Fortsetzungsfeststellungsklage ausschlösse, ist weder angeführt noch sonst ersichtlich.
4. Die Identitätsfeststellung des Klägers - angekündigter Klageantrag zu 4) - wäre nicht allein daraus zu rechtfertigen, dass hier nach § 163b StPO die Persönlichkeit eines Betroffenen eindeutig festgelegt werden sollte, um ihn später in
einem Strafverfahren jederzeit zuverlässig und ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten erreichen zu können, sondern könnte ebenso gut mit ihrem „Entreißen aus der Anonymität" nach § 18 Abs. 1, 3 HSOG präventiven Zwecken
gedient haben. Es entspricht nämlich allgemeiner Erfahrung, dass eine Person, die weiß, dass ihre Identität einer - auch für die Verfolgung von Straftaten zuständigen - Stelle bekannt ist, sich im Zweifel eher normgerecht verhält als
eine Person, die sich im Schutze der Anonymität sieht. Für diese Betrachtung spricht, dass der Kläger nicht etwa überwacht das Gebiet der Stadt Frankfurt am Main verließ, sondern ihm ein Aufenthaltsverbot erteilt wurde, so dass mit
seiner weiteren, nicht ständig polizeilich überwachten vorübergehenden Anwesenheit noch zu rechnen war. Unabhängig davon führt der Beklagte zwar die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger an, zeigt aber nicht einmal
ansatzweise auf, welches konkrete Verhalten des Klägers am 1. Juni 2013 - über den Aufenthalt im umschlossenen Bereich hinaus - einen Tatverdacht etwa nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 des Versammlungsgesetzes begründet habe.
5. Entsprechendes gilt für die Durchsuchung des Klägers sowie des von ihm mitgeführten Rucksacks - angekündigter Klageantrag zu 5) -, die nicht allein aus der Suche nach Beweismitteln für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren,
sondern ebenso nach § 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 37 Abs. 1 Nr. 1 HSOG präventiv gesehen werden könnte.
6. Schließlich kommt für die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers durch Videographie - angekündigter Klageantrag zu 6) - nicht ausschließlich die repressive Ermächtigung des § 81b Alt. 1 StPO in Betracht, sondern gerade
dann, wenn ein konkreter Schuldvorwurf nicht erhoben werden könnte, die präventive des § 19 Abs. 2 Nr. 2 HSOG. ..."
***
Zur Frage, ob eine öffentliche Versammlung, auf der für die Ideen des Salafismus geworben wird, wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten werden darf (VG Bremen, Beschluss vom 30.05.2014 - 5 V 703/14):
„... Das hier ausgesprochene Versammlungsverbot findet in § 15 Abs. 1 VersG keine Rechtsgrundlage. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten
Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Der
Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen (BVerfGE 69, 315). Eine unmittelbare Gefährdung liegt vor, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe ist, dass er jederzeit, unter Umständen sofort, eintreten kann (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15.
Aufl., § 15, RdNr. 28). Für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) strenge
Anforderungen (vgl. BVerfG, B. v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07 = NJW 2007, 2167, 2168). Der Prognosemaßstab der „unmittelbaren Gefährdung" erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen
Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 = NJW 2001, 1407, 1408 und B. v. 06.06.2007, a. a. O., S. 2168). Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter
Bezug der Erkenntnisse oder Tatsachen zu der geplanten Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.05.2001, Az. 1 BvQ 21/01 = NJW 2001, 2078, 2079).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es lässt sich aufgrund der durch die Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung mitgeteilten Umstände nicht feststellen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei der Durchführung
der angemeldeten Veranstaltung unmittelbar gefährdet wäre. Die Versammlungsbehörde stützt ihr Verbot auf eine Darstellung der Ziele des Salafismus, die ihrer Auffassung nach verfassungsfeindlich seien und auch von den
Hauptrednern Pierre Vogel und Sven Lau im Rahmen der Versammlung propagiert würden. Für ein Versammlungsverbot genügt es jedoch nicht, dass auf einer Versammlung auftretende Redner möglicherweise Auffassungen
vertreten, die mit der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes nicht in Einklang stehen.
Wird ein Versammlung aufgrund der Inhalte, die im Rahmen ihrer Durchführung verbreiten werden sollen, verboten, so ist das Versammlungsverbot nicht nur an Art. 8 GG, sondern ebenso an Art. 5 GG zu messen. Art. 8 GG schützt
die kollektive Meinungskundgabe, der Inhalt der Äußerung wird hingegen durch Art. 5 GG geschützt. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG nicht unterbunden werden kann, kann auch kein
Versammlungsverbot rechtfertigen (vgl. BVerfG NJW, 2004, 2814 <2815>; NVwZ 2006, 586 <588>). Die Meinungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Die Unterbindung einer Meinungskundgabe kommt
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit grundsätzlich erst in Betracht, wenn durch die Meinungsäußerung strafrechtliche Normen verletzt werden. Die Äußerung verfassungsfeindlicher Auffassungen ist für sich
genommen hinzunehmen, solange durch die Äußerung keine Straftatbestände verwirklicht werden. Auch Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Bestandteilen ist ebenso erlaubt wie die Äußerung von Forderungen, tragende
Bestandteile der demokratischen Grundordnung zu ändern. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ist ein Recht zum Schutz von Minderheiten und darf deshalb nicht unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die
geäußerten Meinungsinhalte den herrschenden sozialen oder ethischen Anschauungen entsprechen (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 - 1 BvQ 19/04, juris; Hess. VGH, B. v. 05.09.2013 - 2 B 1903/13, juris). Beschränkungen der
Meinungsäußerungsfreiheit hat der Gesetzgeber in den Strafgesetzen festgelegt. Dementsprechend wird etwa § 111 StGB bestimmt, dass auf Kundgebungen nicht öffentlich zu Straftaten aufgefordert werden darf. Auch der § 130 StGB
stellt eine Grenze für die Äußerung radikaler Auffassungen dar. Werden demgegenüber strafrechtliche Normen nicht verletzt, so kann die Versammlung jedenfalls nicht in Anknüpfung an die zu erwartenden Meinungsinhalte
unterbunden werden.
Nach diesen Maßstäben liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass durch die im Rahmen der Versammlung zu erwartenden Meinungskundgaben Strafgesetze verletzt werden könnten. Das gilt zunächst
für das Versammlungsmotto, das allgemein auf die Religion des Islam abstellt, ohne bereits durch die Wahl des Themas eine radikale Tendenz erkennen zu lassen. Auch für den Hauptredner Pierre Vogel werden keine Tatsachen oder
Umstände benannt, die darauf schließen lassen könnten, dass er im Rahmen seines Auftritts bei der Versammlung Meinungen äußern könnte, die einen Straftatbestand erfüllen. Die Antragsgegnerin hat weder eine der bisherigen
Veranstaltungen noch Internetauftritte benennen können, bei denen Pierre Vogel strafrechtlich relevante Äußerungen getätigt hätte. Die Verfügung wird vor diesem Hintergrund auch in erster Linie darauf gestützt, dass Sven Lau
wiederholt für den Jihad in Syrien geworben und dadurch auch Strafgesetze verletzt habe. Eine Bezeichnung, durch welche Äußerung konkret Straftatbestände verwirklicht worden sind, findet aber auch insoweit in der
Verbotsverfügung nicht statt. Vielmehr räumt auch die Antragsgegnerin in der Begründung der Verfügung ein, dass ein Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst (§ 109h StGB) und
der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) aufgehoben worden sei, nachdem der Bundesgerichtshof die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung des § 89a StGB konkretisiert habe.
Auch die Anklage sei danach fallen gelassen worden. Die Antragsgegnerin hat auch nicht vorgetragen, dass aktuell ein anderes strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Sven Lau geführt wird.
Schließlich sind auch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes des Landes Nordrhein-Westfalen nicht geeignet, eine andere Bewertung der Gefahrenlage zu rechtfertigen. Sie erschöpfen sich in einer Zusammenstellung von
Äußerungen, die eine fundamentalistische Tendenz aufweisen und sich nach ihren Inhalten auch in den Kontext der salafistischen Ideologie einordnen lassen. Es ist aber nicht erkennbar und wird auch von der Antragsgegnerin nicht
dargelegt, inwiefern durch die im Einzelnen in der Verbotsverfügung wiedergegebenen Äußerungen gegen Strafgesetze verstoßen worden ist. Die Äußerungen sind - auch wenn sie zutreffend wiedergegeben sein sollten - eher
allgemein gehalten und beinhalten keinen konkreten Aufruf, sich am Jihad in Syrien zu beteiligen. Vielmehr enthalten die Äußerungen deutliche Relativierungen, wie etwa die Aussage, dass es sich bei den Kämpfern in Syrien im
Allgemeinen um Freiheitskämpfer handele, man aber über die ein oder andere extreme Ansicht diskutieren könne. Ausdrücklich weist er in demselben Interview darauf hin, dass er niemanden aufrufe, sich auf den Weg zu machen. Er
kenne nicht die Situation oder das Elternhaus der Betreffenden. Eine Anwerbung für einen fremden Wehrdienst nach § 109h StGB liegt in solchen Äußerungen schon deshalb nicht, weil sie nicht auf eine konkrete Verpflichtung des
Adressaten der Äußerung gerichtet sind. Das ist aber zwingende Voraussetzung für die Strafbarkeit nach dieser Norm. Auch für eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB im Rahmen der Versammlung ist derzeit
nichts erkennbar. Dann müsste es sich um eine Kundgabe mit einem eindeutigen Appellcharakter handeln. Bereits daran fehlt es, jedenfalls nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen über die Veranstaltungen, die in anderen
deutschen Städten stattgefunden haben. Schließlich besteht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch kein Anhalt dafür, dass Straftaten nach § 89a StGB verwirklicht werden könnten. Äußerungen auf Versammlungen stellen
bereits keine der in § 89a Abs. 2 StGB abschließend aufgezählten Vorbereitungshandlungen dar. Aber auch soweit hier Spendensammlungen im Zusammenhang mit Veranstaltungen in Rede stehen, auf den Sven Lau als Redner
aufgetreten sein soll, ist nicht ersichtlich, dass hierdurch der Tatbestand der Norm nach der einschränkenden Auslegung durch den Bundesgerichtshof noch erfüllt sein könnte (vgl. BGH, B. v. 08.05.2014 - 3 StR 243/13, juris). ..."
***
„... 2. Die Klage ist auch begründet. Die mit der Fortsetzungsfeststellungsklage angegriffenen Beschränkungen waren rechtswidrig und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
a. Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 7.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465, ber. 532). Danach kann die zuständige Behörde eine
Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
Der Begriff der ‚öffentlichen Sicherheit' umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter ‚öffentlicher Ordnung' wird die Gesamtheit der ungeschriebenen
Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - BVerfGE 69, 315, 352).
Die ‚unmittelbare Gefährdung' i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
Wenn diese Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Beschränkung vorliegen, räumt das Gesetz der Versammlungsbehörde Ermessen hinsichtlich ihres Einschreitens und der Wahl ihrer Mittel ein, bei dessen Betätigung sie
den hohen Rang der Versammlungsfreiheit zu beachten und die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat.
Diesem Maßstab werden die Erwägungen, die der Beklagte den angegriffenen Beschränkungen zugrunde gelegt hat, nicht gerecht.
b. Die Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine Teilnehmeranzahl von mehr als 50 Personen ist ermessensfehlerhaft ergangen.
Zwar lässt der Tatbestand des § 8 Abs. 1 NVersG nach den vorstehenden Maßgaben grundsätzlich Beschränkungen der von der Versammlung ausgehenden Lautstärke zu, die den Schutz der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter
Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten vor schädlichen Umwelteinwirkungen gewährleisten sollen. Zumindest die von dem Beklagten angestellten Ermessenserwägungen vermögen eine
Beschränkung in dem hier verfügten Umfang jedoch nicht zu tragen; die Beschränkung erweist sich infolgedessen als unverhältnismäßig.
Zu den Anforderungen an eine an die Zahl der Versammlungsteilnehmer anknüpfende Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel hatte die Kammer (Beschluss vom 28.7.2006 - 10 B 4435/06 -) bereits im Jahr 2006 zu
einer mit der Versammlung des Klägers vergleichbaren, ebenfalls in Bad Nenndorf durchgeführten Versammlung ausgeführt:
‚Die Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das Recht, seine Meinung zu äußern, sondern schützt auch die damit bezweckte Wirkung auf andere (BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198, 210). Der
Grundrechtsträger ist daher grundsätzlich auch frei, die Mittel seiner Meinungsäußerung selbst zu bestimmen. Für Demonstrationen kann als unbestritten gelten, dass Meinungskundgebungen anlässlich von Versammlungen und
Aufzügen nicht nur die Demonstrationsteilnehmer selbst erreichen sollen, sondern dass es gerade auch Aufgabe der Demonstration ist, auf das Anliegen aufmerksam zu machen; den Demonstranten muss deshalb vor allem erlaubt sein,
zufällig Vorübergehende anzusprechen (VG Hannover, Urt. v. 26.01.1981 - 6 A 105/78 -). Auf der anderen Seite bietet das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht keine Rechtfertigung dafür, durch
Technikeinsatz Aufmerksamkeit von Unbeteiligten zu erzwingen. Trotz ihres Rechtes auf Meinungskundgabe und dessen ‚Wirkung auf andere' haben die Demonstranten kein Recht auf Beachtungserfolg. Diese widerstreitenden
Interessen - der positiven Versammlungsfreiheit der Demonstrationsteilnehmer und der negativen Versammlungsfreiheit Unbeteiligter - erfordern einen schonenden Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz.
Bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die grundlegende Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Die grundrechtlich geschützte
Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 69, 315
(353)). Bei Eingriffen zum Schutz der Rechtspositionen Dritter sind die versammlungsrechtlichen Befugnisnormen stets im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und Maßnahmen auf das zu beschränken, was
zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 69, 315 (349); Dietel/ Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 81). Welche durch die Versammlung auftretenden Rechtsbeeinträchtigungen jeweils hingenommen werden
müssen, ist im Einzelfall in Ansehung der gegebenen Tatsachen festzustellen (Dietel/ Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 83 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Auflage nicht gerecht. Die Begrenzung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine Teilnehmerzahl von mehr als 50 Personen kann entgegen der Auffassung des Antragsgegners
nicht darauf gestützt werden, dass Personen bis zu dieser Anzahl - wie eine Beobachtung im Bereich der Stadt Hannover ergeben habe - ohne Schwierigkeiten auch ohne elektroakustische Verstärkung erreicht werden können. Diese
erkennbar schematische Betrachtungsweise lässt offensichtlich die konkreten Rahmenbedingungen und örtlichen Gegebenheiten, wie beispielsweise auftretenden Straßenlärm oder die Lärmentwicklung durch zu erwartende
Gegendemonstranten, außer Betracht (vgl. auch VG Stuttgart, Beschl. v. 13.01.2006 - 5 K 496/06). Sie übersieht zudem, dass sich eine Versammlung - wie bereits ausgeführt - gerade nicht nur an die Versammlungsteilnehmer, sondern
auch an die Öffentlichkeit richtet. Darüber hinaus lässt sich aus dem bloßen Einsatz elektroakustischer Mittel auch bei weniger als 51 Versammlungsteilnehmern keine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
erkennen. Das Abstellen auf das Überschreiten einer Personengrenze für den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel mag zwar praktikabel sein, birgt jedoch die Gefahr, dass weniger populäre Meinungen, die eine geringere Zahl von
Versammlungsteilnehmern ansprechen, auch einen geringeren Schutz durch Art. 8 Abs. 1 GG erfahren, indem sie auch nur in eingeschränktem Maße an die Öffentlichkeit gerichtet werden können. Über die Schaffung einer bloßen
Teilnehmergrenze würde damit der Minderheitenschutz unterlaufen. Abzustellen ist daher nicht allein auf die Zahl der Teilnehmer, sondern auch auf die konkrete Situation des Demonstrationsortes.
Im Rahmen einer Gesamtschau zu berücksichtigende Anhaltspunkte sind dabei unter anderem der zu erwartende Lärm durch nahen Straßenverkehr oder zu erwartende Gegendemonstranten, die umgebenden Nutzungen -
Gewerbebetriebe sind in der Regel weniger schutzwürdig als Wohnbebauung -, die Häufigkeit von Demonstrationen an dem beantragten Ort - ständiger Lärm durch zahlreiche Demonstrationen kann von den Anwohnern als erhebliche
Belästigung empfunden werden -, die Tiefe des Raumes, in den der Schall abgestrahlt wird - je weiter eine Abstrahlung möglich ist, desto mehr Unbeteiligte werden in ihrer Ruhe gestört -, die Lage und damit in der Regel
zusammenhängend die Frequentierung des Versammlungsortes - je mehr Passanten einen Versammlungsort passieren (müssen), desto eher ist eine erste Ansprache dieser Personen auch ohne die Zuhilfenahme elektroakustischer
Mittel möglich - und schließlich die Dauer der Lärmbelästigung, die bei einem Aufzug kürzer und damit eher zumutbar ist, als bei einer Kundgebung an einem gleichbleibenden Ort.'
Diese grundsätzlichen Erwägungen beanspruchen nach wie vor Geltung. Der Beklagte hat ihnen lediglich insoweit Rechnung getragen, als er die örtlichen Gegebenheiten darauf geprüft hat, ob örtliche Lärmemissionen die
Durchführung der Versammlung und die Kundgabe des kommunikativen Anliegens erschweren könnten. Darüber hinaus gehende Lärmimmissionen durch etwaige Gegendemonstrationen, die den Einsatz von Megaphonen durch die
Versammlungsteilnehmer des Klägers erforderlich machen könnten, hat der Beklagte bei seiner Abwägung ebenso wenig berücksichtigt wie das konkrete Lärmschutzbedürfnis der jeweiligen Umgebung. Dass mit einer Versammlung
regelmäßig nicht nur die Demonstrationsteilnehmer selbst erreicht werden sollen, sondern das Anliegen gerade auch Dritten gegenüber kundgegeben werden soll, hat der Beklagte formal erwähnt, aber nicht mit erkennbarem Gewicht
in der Abwägung berücksichtigt. Schon aus den vorstehenden Erwägungen erweist sich die Beschränkung als defizitär.
Vollumfänglich auf den vorliegenden Fall übertragbar sind im Übrigen die weiteren Ausführungen der Kammer in dem Beschluss vom 28. Juli 2006 - a. a. O. - zur Ermessensausübung des Beklagten und damaligen Antragsgegners:
‚Soweit durch den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel - also auch Megaphone - eine Lärmbelästigung erwartet wird ... , kann diese ... durch eine Beschränkung der Beschallung unterbunden werden, wie sie der Antragsgegner für die
Beschallung durch die Lautsprecheranlage auch vorgenommen hat ... . Einer Untersagung elektroakustischer Hilfsmittel auch bei unter 51 Versammlungsteilnehmern bedarf es daher nicht.
Der Hinweis des Antragsgegners auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsordnung, nach dem der Betrieb von Lautsprechern verboten ist, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise
abgelenkt oder belästigt werden können, greift nicht. Ernsthafte Behinderungen des Straßenverkehrs sind im vorliegenden Fall nicht zu erwarten, weil das Gericht davon ausgeht, dass die Straßen in diesem Bereich anlässlich des
Aufzuges ohnehin zumindest für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt sein werden. Eine Ablenkung oder Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere von Passanten, ist nicht ohne weiteres erkennbar (ebenso VG Stuttgart,
Beschl. v. 13.01.2006 - 5 K 496/06).'
Soweit der Beklagte diese Ausführungen (nur) dahingehend aufgreift, dass die Sperrung des Aufzugsbereichs für den Straßenverkehr die Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf mehr als 50
Versammlungsteilnehmer gerade rechtfertige, weil dadurch störender Straßenlärm ausgeschlossen sei, ist die Begründung der Beschränkung in sich widersprüchlich und nicht tragfähig, weil der Beklagte gleichzeitig zur
Rechtfertigung der Beschränkung erneut auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 StVO verweist.
c. Die darüber hinaus angefochtene Beschränkung, die verwendete Lautsprecheranlage (einem maximalen Schalldruckpegel von 90 dB(A) in einem Meter Abstand vor der Lärmquelle) ‚entsprechend zu plombieren', erweist sich
jedenfalls hinsichtlich der ihr zugrunde liegenden Gefahrenprognose als defizitär.
aa. Im Hinblick auf die Bestimmtheit dieser Beschränkung geht die Kammer zunächst davon aus, dass mit ‚plombieren' ausschließlich das Anbringen einer Plombe gemeint ist; das ist üblicherweise eine Weichmetallscheibe, die
mittels einer speziellen Zange auf einen Plombierdraht gepresst wird und diesen gegen unbemerktes Öffnen sichert. Dass die Plombe durch eine besonders qualifizierte Person - etwa einen öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen oder einen Notar - angebracht werden müsste, ist weder dem Beschränkungstenor noch der Begründung zu entnehmen. Gleiches gilt für eine etwaige Einmessung der verwendeten Lautsprecheranlage.
Die ergänzende Begründung des Beklagten in der Klageerwiderung - ‚sollte jedoch tatsächlich aus technischen Gründen eine Plombierung nicht möglich sein, kann ein Limiter (Schallpegelbegrenzer) eingebaut werden' - gibt sodann
Anlass zu der Klarstellung, dass die Verwendung eines Limiters eine technische Maßnahme zur Begrenzung des Schalldruckpegels einer Lautsprecheranlage auf einen bestimmten - einstellbaren - Wert darstellt. Die ausschließliche
Verwendung eines Limiters ist deshalb ungeeignet, nachträgliche Veränderungen der maximalen Lautstärke zu verhindern; dies geschieht erst durch das Anbringen einer Plombe an dem Limiter. Ein Limiter allein ist demnach kein
Ersatz für eine Plombe. Das Anbringen einer Plombe am Lautstärkeregler ohne Einsatz eines Limiters dagegen verhindert nicht nur das Überschreiten des festgesetzten Maximalschalldruckpegels, sondern auch dessen Unterschreiten,
ohne dass der Beklagte derartiges angeordnet hätte. Es bestehen insofern schon Zweifel daran, dass der Beklagte bei Erlass der Beschränkung konkrete, zutreffende Vorstellungen darüber hatte, was dem Kläger damit konkret
aufgegeben worden ist.
bb. Eine das Plombierungsgebot tragende ‚unmittelbare Gefährdung' i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG ist nicht schon darin zu sehen, dass von der Versammlung ausgehender Lärm die Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter
Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten beeinträchtigen kann. Denn das Plombierungsgebot trifft bei isolierter Betrachtung keine Aussage über das noch vertretbare bzw. von Dritten hinzunehmende
Schallpegelniveau. Es dient nur mittelbar dem Lärmschutz, indem es die Einhaltung der zugleich verfügten Schalldruckpegelbegrenzung sichert. Aufgrund dieser Kopplung setzt die Rechtmäßigkeit des Plombierungsgebots zunächst
die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Schalldruckpegelbegrenzung voraus; aufgrund der mit der Plombierung einhergehenden eigenen Beschwer ist das Plombierungsgebot sodann als selbständige Beschränkung seinerseits
vollumfänglich an § 8 Abs. 1 NVersG zu messen.
(1) Die dem Plombierungsgebot zugrunde liegende Schalldruckpegelbegrenzung ist für sich genommen geeignet, Gefahren für der Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz
befindlichen Polizeibeamten abzuwehren. Sie erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Das Nds. Oberverwaltungsgericht hatte hierzu schon mit Beschluss vom 10. Oktober 2010 - 11 LA 298/10 - ausgeführt:
‚Der Schutz unbeteiligter Dritter vor Immissionen, die von einer Versammlung ausgehen, greift vielmehr schon unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr ein. Wie der Kläger im Ansatz selbst zutreffend
ausführt, umfasst nämlich die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Absatz I VersammlG Auflagen zulässig sind, die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen - soweit hier erheblich - auch die Bestimmungen
des Bundesimmissionsschutzgesetzes (insbesondere zu Gunsten von Anrainern einer Versammlung) sowie des Arbeitsschutzrechts, das grundsätzlich auch für niedersächsische Landesbeamte und damit auch für Polizeibeamte im
Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt, vgl. § 82 NdsBG. Und diese Normen bieten eben schon Schutz vor erheblichen Lärmbelästigungen, d. h. unterhalb der Schwelle der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr, wie sich
im Einzelnen aus den folgenden Ausführungen ergibt:
Nach § 22 Absatz I Nr. 1 i. V. mit § 3 Absatz I BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass nicht nur Gefahren, sondern auch erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die
Allgemeinheit oder die Nachbarschaft verhindert werden, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Wie das BVerwG wiederholt entschieden hat (vgl. etwa für Feuerwehrsirenen: BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2396
= NVwZ 1988, 918 L; sowie für das Glockenschlagen: BVerwG, NJW 1992, 2779 m. w. Nachw.), sind diese Bestimmungen auch auf Anlagen im Sinne des BImSchG, zu denen grundsätzlich auch Lautsprecher gehören (vgl. Jarass,
BImSchG, 8. Aufl., § 3 Rdnr. 72, § 22 Rdnr. 10), anzuwenden, die gerade dazu bestimmt sind, eine möglichst hohe Lautstärke zu erzeugen und damit verbunden Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Verwendungszweck führt nicht zum
Ausschluss vom Schutzbereich des Bundesimmissionsschutzgesetzes, sondern ist vielmehr bei der einzelfallbezogenen Bestimmung des zu wahrenden Lärmpegels zu berücksichtigen. Hierfür wiederum können insbesondere die
Maximalwerte der TA Lärm als Richtschnur dienen (vgl. BVerwG, NJW 1992, 2779; NVwZ 1997, 390 f.; Kutschweidt, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, BImSchG, § 3 Rdnr. 20 h). Ein Grund, von dieser Rechtsprechung allgemein
auszugehen, besteht verfassungsrechtlich nicht.'
Ergänzend hierzu hatte die Kammer bereits im Eilverfahren ausgeführt, dass die Festsetzung eines maximalen Schalldruckpegels und der gewählte Maximalwert von 90 dB(A) geeignet und erforderlich sind, Anrainer und begleitende
Polizeibeamte vor unzumutbaren Lärmimmissionen zu schützen und zugleich dem Kläger die Kundgabe seines kommunikativen Anliegens zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Lautstärke weise im Übrigen keinen Bezug
mehr zum inhaltlichen Anliegen der als Trauermarsch konzipierten Versammlung auf. An dieser Einschätzung hält die Kammer auch nach nochmaliger Prüfung im Hauptsacheverfahren fest.
(2) Die Begrenzung des maximal zulässigen Schalldruckpegels erweist sich jedoch nicht nur als geeignet und erforderlich, sondern regelmäßig auch als hinreichend zur Abwehr der in Betracht genommenen Gefahren. Das
Plombierungsgebot bedarf deshalb einer eigenen Gefahrenprognose dahingehend, dass ohne diese Beschränkung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Begrenzung des Schalldruckpegels nicht eingehalten würde. Auch dahingehend
müssen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage vorliegen, mithin eine Gefährdung nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen oder der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher
Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen auch hier nicht aus.
Die Begründung des Plombierungsgebots in dem angegriffenen Bescheid lässt nicht erkennen, dass der Beklagte die mit der Plombierung verbundene eigenständige Beschwer und die daraus erwachsenden Anforderungen überhaupt
wahrgenommen hat. Denn der Beklagte hat im Rahmen seiner Begründung nur die Schallpegelbegrenzung erwähnt und hierzu auf vorherige Entscheidungen der Kammer verwiesen. Ausführungen zur Rechtfertigung des
Plombierungsgebots enthält die Begründung des angegriffenen Bescheides nicht. Ebenso wenig hat der Beklagte in tatsächlicher Hinsicht konkrete Erkenntnisse oder Verdachtsmomente angeführt, die hinreichende Anhaltspunkte für
eine Gefahrenlage böten.
Die bei der Entscheidung des Beklagten zugrunde gelegte Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg trifft insofern keine Aussage, sondern führt lediglich an, dass ‚die Beschränkungen aus den
Auflagenbescheiden zu den Versammlungen am 14. August 2010 [...] grundsätzlich Bestand haben [sollten]', ohne darauf einzugehen, dass bei einer gleichartigen Versammlung im Vorjahr der Lautstärkeregler mit einem Klebeband
gegen unbefugte Veränderung gesichert worden ist.
Dass die Sicherung der Lärmschutzauflage durch ein einfaches Klebeband ‚nur aufgrund eines Entgegenkommens des [Beklagten] akzeptiert worden ist, um einer von der Polizei befürchteten Eskalation im Falle des Stilllegens der
Lautsprecheranlage entgegen zu wirken', wie das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 5. August 2011 - 11 ME 240/11 - ausgeführt hat, ändert nichts daran, dass sich diese Maßnahme im konkreten Fall als
geeignetes milderes Mittel gegenüber der Verplombung der Anlage oder eines zwischengeschalteten Limiters erwiesen hat. Die gegenteilige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, diese Form der Sicherung habe
sich als ‚offensichtlich unzureichend' erwiesen, weil in der Vergangenheit ‚gegen die Auflage verstoßen' worden sei, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Dass der Kläger im Vorjahr der streitgegenständlichen Versammlung das
Plombierungsgebot nicht befolgt hat und mit einer unplombierten Anlage erschienen ist, die dann durch Klebeband gesichert worden ist, begründet keine Gefahrenprognose dahingehend, dass der Kläger auch die zugrundeliegende
Schalldruckpegelbegrenzung nicht einhalten würde. Entsprechende Erkenntnisse hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung weder konkret formuliert noch belegt; sie ergeben sich auch nicht aus den Akten. Die in der
Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg hinsichtlich der Person des Klägers als Versammlungsleiter erwähnten mehr als 20 Strafverfahren betreffen, soweit aus den aufgeführten Aktenzeichen und
Verfahrensgegenständen ersichtlich, keine Sachverhalte aus dem Vorjahr oder im Zusammenhang mit früheren Versammlungen in Bad Nenndorf.
Selbst wenn sich die Sicherung der Lautsprecheranlage durch Klebeband in der Vergangenheit tatsächlich als ungeeignet erwiesen hätte, wäre das Verplombungsgebot in der von dem Beklagten gewählten Formulierung
unverhältnismäßig. Denn es bestand erkennbar kein Bedarf, eine Plombe vorzuschreiben. Hinreichenden Schutz hätte auch ein manipulationssicheres Klebesiegel geboten, das nicht entfernt werden kann, ohne dabei zerstört zu werden.
Die Kontrolle eines solchen Siegels wäre den Einsatzkräften der Polizei während und nach der Versammlung jederzeit möglich; darin unterscheidet sich die Versammlungssituation von der Einpegelung stationärer Anlagen wie etwa in
Diskotheken. Demgegenüber bietet die mit der Beschränkung vorgeschriebene Plombe bei deutlich höherem Aufwand keinen erkennbaren Sicherheitsmehrwert.
Auch wenn der Beklagte die Beschränkung (nur) auf die Erwägung hätte stützen wollen, dass nicht der Kläger selbst, sondern unbefugte Teilnehmer seiner Versammlung die Lautsprecheranlage verstellen könnten, wäre das
Plombierungsgebot unverhältnismäßig. Denn ein weniger belastendes Mittel hätte schon darin gelegen, dass der Kläger das Lautsprecherfahrzeug hätte abschließen oder die Lautsprecheranlage einschließen können, um andere
Versammlungsteilnehmer gar nicht erst in deren Nähe gelangen zu lassen.
III. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des streitig entschiedenen Klagebegehrens aus § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist über die Kostenlast gem. § 161
Abs. 2 Satz 1 VWGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Insofern beruht die Kostenquote zulasten des Beklagten auf dem Umstand, dass der Beklagte hinsichtlich der Beschränkungen unter Ziffer 2. (Gebot, je 20 Teilnehmer
einen Ordner zu stellen und diese am Vortag zu benennen) und Ziffer 11. (Verbot von Parolen mit der Wortfolge ‚nationaler Widerstand') mit der Abhilfe zugleich die Kostenübernahme erklärt hat. Soweit der Kläger mit seiner
Erledigungserklärung davon Abstand genommen hat, die Verpflichtung zur Benennung von Ordnern an sich, die Festsetzung der Versammlungszeit und -dauer und die Schalldruckpegelbegrenzung des Trommelschlags weiter
anzugreifen, kommt die Erledigungserklärung einer Klagerücknahme gleich; entsprechend entspricht die Kostenentscheidung hinsichtlich dieser Teile des Klagebegehrens der gesetzlichen Kostenfolge einer Klagerücknahme gem. §
155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
IV. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu, weil die Erforderlichkeit und der jeweils zulässige Inhalt
versammlungsrechtlicher Beschränkungen nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom - 11 LA 298/10 -). Die Kammer weicht mit der Entscheidung auch nicht im
Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von einer Entscheidung der dort genannten Gerichte ab. Eine Divergenz in diesem Sinne ist nur gegeben, wenn das Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen (d. h. abstrakten) Rechtssatz abweicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.7.1988 - BVerwG 1 B 44.88 -, juris;
Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr 32). Die von der Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts im Eilverfahren - 11 ME 240/11 - abweichende Beurteilung der Angemessenheit des Plombierungsgebots beschränkt sich demgegenüber
auf die konkrete Anwendung solcher abstrakten Rechtssätze. ..." (VG Hannover, Urteil vom 19.05.2014 - 10 A 2881/11)
***
„... II. Die Klage ist indes unbegründet. Weder auf den Haupt- noch auf den Hilfsantrag ist die begehrte Feststellung auszusprechen.
1. Dass die Polizei des Beklagten den Platz vor dem Wincklerbad nicht so rechtzeitig geräumt hat, dass die Kundgebung des Klägers dort noch innerhalb des vom Gericht verfügten Versammlungszeitraums (14.00 Uhr bis 20.00 Uhr)
stattfinden konnte, stellt kein rechtswidriges Unterlassen dar (a). Auch das aktive Vorgehen der Einsatzkräfte erweist sich als noch rechtmäßig (b).
a) Die Polizei hat am 3. August 2013 keine Handlungen unterlassen, zu denen sie rechtlich verpflichtet gewesen wäre.
Zwar lagen angesichts des Personenzusammenschlusses vor dem Wincklerbad die Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten vor, weil die Blockade einer nicht verbotenen Versammlung auch dann gegen das Störungsverbot
des § 4 NVersG verstößt und zugleich eine Straftat nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 NVersG darstellt, wenn die Teilnehmer der Blockade ihrerseits ein kommunikatives Anliegen verfolgen und deshalb unter den Schutz der
Versammlungsfreiheit fallen sollten. Die Polizei hat in diesem Fall die Befugnis, die Versammlung aufzulösen (§ 8 Abs. 2 NVersG) und zur Durchsetzung der aus § 8 Abs. 2 Satz 3 NVersG folgenden Pflicht der Teilnehmer, sich
unverzüglich zu entfernen, Platzverweise auszusprechen (§ 17 Nds. SOG) und erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen.
In Anbetracht des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit war auch das Entschließungsermessen der Polizei - die Entscheidung, ob überhaupt eingeschritten werden soll - auf eine Pflicht zum Einschreiten reduziert. Das gilt auch
angesichts des Umstands, dass die Einsatzleitung der Blockade ihrerseits zunächst den Schutz der Versammlungsfreiheit zugebilligt hat. Denn der Grundsatz der praktischen Konkordanz gebietet, widerstreitende Grundrechte
bestmöglich zur Geltung zu bringen. Nachdem die Teilnehmer der Blockade im Rahmen der angezeigten Gegendemonstration den für die kommunikativen Anliegen beider Versammlungen relevanten Platz vor dem Wincklerbad
hatten in Anspruch nehmen können, war diese Möglichkeit nunmehr auch der Versammlung des Klägers zuzubilligen, wie es die Kammer in ihrem Beschluss vom 23. Juli 2013 verfügt hatte.
Mit dem Entschließungsermessen war zugleich das Auswahlermessen der Polizei zumindest darauf reduziert, gegenüber den Personen, die den Platz blockiert hielten, Platzverweise auszusprechen und diese erforderlichenfalls mit
Zwangsmitteln durchzusetzen. Soweit die Einsatzleitung diesen Personen ihrerseits den Schutz der Versammlungsfreiheit zubilligte, folgt aus dieser Ermessensreduzierung auch das Gebot, die Versammlung aufzulösen, falls die
Teilnehmer nicht freiwillig weiterziehen.
Dass das Entschließungsermessen und das Auswahlermessen auf eine Pflicht zur Räumung der Kreuzung vor dem Wincklerbad reduziert waren, hat die Polizei auch erkannt. Die damit einhergehende Verpflichtung hat sie
wahrgenommen, indem sie gegenüber dem Zusammenschluss zuerst eine beschränkende Verfügung, dann eine Auflösungsverfügung erlassen hat, schließlich Platzverweise erteilt und diese durchgesetzt hat.
Die Bindung des Ermessens der Polizei geht indes nicht so weit, dass die Einsatzkräfte auf konkrete polizeiliche Mittel festgelegt gewesen wären. Ebenso wenig folgt aus der Pflicht zum Einschreiten eine Pflicht, einen konkreten
Erfolg zu erzielen und dazu jedes erdenkliche Mittel einzusetzen.
Eine solche Pflicht lässt sich auch aus dem Beschluss der Kammer im Eilverfahren nicht begründen. Die Kammer ist bei der Formulierung, der Kläger und sein Anhang dürften die Einmündung der Poststraße in die Bahnhofstraße
‚nicht vor 16.00 Uhr' passieren, von der Einschätzung der Leiterin des Vorbereitungsstabes der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg Frau B. ausgegangen, dass die Einsatzkräfte in der Lage sein würden, etwaige Blockaden binnen
zwei Stunden zu räumen. Mit der im Eilverfahren ausgesprochenen Maßgabe hat die Kammer aber keine Anordnung getroffen, die Räumung selbst dann bis 16.00 Uhr durchzuführen, wenn sich die tatsächliche Lage anders darstellen
sollte als erwartet.
Ebenso wenig waren die Einsatzkräfte verpflichtet, gegen die Teilnehmer der Blockade mit allen gesetzlich vorgesehenen Zwangsmitteln vorzugehen. Im Gegenteil hatte die Polizei neben der Versammlungsfreiheit des Klägers auch
die Grundrechte der Teilnehmer der Blockade, insbesondere deren Recht auf körperliche Unversehrtheit zu wahren. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeiführung davon abgesehen hat, Hilfsmittel der
körperlichen Gewalt (Dienstpferde, Reizstoffe, Wasserwerfer) oder Waffen (Schlagstöcke) einzusetzen. Denn der Einsatz dieser Hilfsmittel und Waffen begründet ein erhebliches Verletzungsrisiko und wäre gegen passive Blockierer
kaum verhältnismäßig gewesen. Trotz ihres hohen Rangs als konkurrierendem Schutzgut tritt die Versammlungsfreiheit des Klägers und der Teilnehmer an seiner Versammlung gegenüber der körperlichen Unversehrtheit der
Teilnehmer an der Blockade zurück. Das gilt jedenfalls, solange - wie hier - von den Teilnehmern der Blockade keine gewalttätigen Handlungen ausgingen, die ihrerseits die körperliche Unversehrtheit Dritter gefährdet hätten.
(b) Auch das aktive Vorgehen der Einsatzkräfte erweist sich sowohl bei einer Gesamtwürdigung als auch bei Einzelbetrachtung als - noch - rechtmäßig.
Wenngleich die Entscheidung der Kammer im Eilverfahren keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Ermessensausübung enthält, musste die Polizei bei der Ausübung ihres Ermessens allerdings mit hinreichendem Gewicht
berücksichtigen, dass die Kammer gerade aufgrund der Prognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg die aufschiebende Wirkung der Klage nicht auch dahingehend wieder hergestellt hatte, zuerst dem Kläger und seinen
Versammlungsteilnehmern eine Kundgebung vor dem Wincklerbad zu ermöglichen. Dabei hatte die Kammer durchaus zur Kenntnis genommen, dass die in der mündlichen Verhandlung über den Eilantrag geäußerte Einschätzung der
Leiterin des Vorbereitungsstabes zur Möglichkeit und der zu erwartenden Dauer einer Räumung etwaiger Blockaden von den bis dahin schriftlich vorgelegten Gefahrenprognosen abwich. Diese Abweichung wurde allerdings - für die
Kammer plausibel - damit erklärt, dass aus den Reihen der Gegendemonstration des DGB keine flächendeckenden Blockaden erwartet würden und die polizeiliche Taktik darauf gerichtet sei, gewaltbereite und blockadewillige Störer
von der Versammlung des DGB strikt zu trennen.
Von dieser Einsatztaktik ist die Polizei indes abgerückt, als die Einsatzkräfte einer Gruppe von ca. 260 Teilnehmern einer anderen Versammlung den Zugang zu der Großveranstaltung des DGB gewährt haben, bevor diese den Platz
vor dem Wincklerbad erreicht hatte. Den erwarteten Teilnehmerkreis dieser Versammlung hatte die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg in der Fortschreibung ihrer Gefahrenprognose vom 8. Juli 2013 aufgrund von Erfahrungen
aus dem Vorjahr als linksextrem und gewaltgeneigt/gewaltbereit eingeschätzt. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Teilnehmer der Versammlung versuchen würden, durch Blockaden oder gewalttätige
Aktionen den Aufzug des Klägers zu stören. Auch am Versammlungstag erkannten die Einsatzkräfte vor Ort den Zulauf dieser Gruppe als problematisch; nach der Aussage des Gesamteinsatzleiters der Polizei in der mündlichen
Verhandlung ging die Polizeiführung jedoch zunächst davon aus, dass schon der Versammlungsleiter der Großveranstaltung des DGB der Gruppe den Zugang verwehren würde.
Dass der Versammlungsleiter der Versammlung des DGB der Gruppe den Zugang zu seiner Versammlung gestattete, hat der Gesamteinsatzleiter der Polizei in seiner Vernehmung als ‚überraschend' bezeichnet. Gleichwohl haben die
Einsatzkräfte die Entscheidung des Versammlungsleiters des DGB-Aufzuges hingenommen, ohne Maßnahmen in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Die Polizei hat damit nicht nur die eigene polizeiliche Einschätzung hintangestellt,
sondern ist zugleich von ihrer Taktik abgerückt, den bürgerlich-friedlichen Protest und gewaltbereite Gegendemonstranten nach Möglichkeit zu trennen. Soweit sich die Einsatzkräfte gehindert sahen, dieser Personengruppe den
Zugang zu der Versammlung des DGB zu verwehren, nachdem deren Versammlungsleiter den Zugang gestattet hatte, dürfte darin eine Fehleinschätzung liegen. Mit § 10 Abs. 3 NVersG, wonach die zuständige Behörde Personen die
Teilnahme an einer Versammlung untersagen oder diese von der Versammlung ausschließen kann, wenn dies zur Durchsetzung der Verbote nach den §§ 3 und 9 unerlässlich ist, sieht das Versammlungsrecht eine Rechtsgrundlage vor,
die an die Entscheidung des Versammlungsleiters nicht gebunden ist. Daneben war auch eine beschränkende Verfügung auf Grundlage von § 8 Abs. 1 NVersG gegenüber der den Zugang begehrenden Gruppe denkbar, weil nach der
Einschätzung der Einsatzkräfte vor Ort die Gefahr von Störungen der Versammlung des Klägers von ihr ausging. Ob die strengen tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Eingriffsermächtigungen vorlagen, lässt sich im Nachhinein
nicht mehr feststellen; ebenso wenig ist aber erkennbar, dass die Einsatzkräfte diese Rechtsgrundlagen erkannt und geprüft haben. Der Gesamteinsatzleiter der Polizei hat hierzu in der mündlichen Verhandlung lediglich ausgesagt, dass
Maßnahmen zur Unterbindung des Zusammenschlusses überlegt, aber in Abwägung mit der Versammlungsfreiheit der Personengruppe verworfen worden seien.
Rechtswidrig wäre die Gestattung des Zusammenschlusses der Gruppe mit dem Aufzug des DGB allerdings nur gewesen, wenn wiederum das Entschließungsermessen der Polizei insoweit auf eine Pflicht reduziert gewesen wäre, den
Zusammenschluss zu verhindern; und selbst dann hätte dies nicht die Rechtswidrigkeit des übrigen Einsatzes zur Folge gehabt, solange die tatsächlichen Umstände die weitere Ermessensausübung trugen.
Aus der Entscheidung, den Zusammenschluss zu gestatten, und aus der dem Gericht gegenüber geäußerten Prognose über die Dauer einer etwaigen Räumung folgte allerdings eine Ermessensbindung der Polizei zumindest
dahingehend, die Räumung unverzüglich anzugehen und nicht ohne Not zu verzögern. Diesen Anforderungen wird das Vorgehen der Einsatzkräfte jedoch - noch - gerecht.
Dabei kann dahin stehen, ob es sich rückblickend als rechtlich tragfähig erweist, die Ansammlung vor dem Wincklerbad als Versammlung einzustufen. Denn maßgeblich ist insofern - wie bei der Beurteilung einer Gefahrenlage - die
ex-ante-Sicht der Einsatzkräfte vor Ort. Anderes könnte in Anlehnung an die zur sogen. Schein- oder Putativgefahr entwickelten Grundsätze nur gelten, wenn ein idealtypisch urteilender Beamter unter Zugrundelegung der objektiven
Tatsachenlage keinesfalls zur Annahme einer Versammlung gekommen wäre, die Einstufung der Blockade als Versammlung mithin auf einer unvertretbaren Fehleinschätzung beruht. Das ist hier nicht erkennbar.
Grundsätzlich erstreckt sich der Schutz des Art. 8 GG nicht auf Personen, die nicht die Absicht haben, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern diese verhindern wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.6.1991 - 1 BvR 772/90 -,
BVerfGE 84, 203 <209 f.>). Dagegen kann auch die Blockade einer Versammlung ihrerseits unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallen, wenn die Teilnehmer über die Blockade hinaus einen kommunikativen Zweck verfolgen
(vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 28.2.2007 - 5 A 685/05 - www.dbovg.niedersachsen.de); dieser kommunikative Zweck wird selbst dann als ausreichend erachtet, wenn er sich darauf richtet, mit der eigenen Versammlung den
angemeldeten Versammlungsort der anderen Versammlung ‚physisch in Beschlag zu nehmen' und sich damit im Kern wiederum auf die Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung beschränkt (vgl. VG Berlin, Urteil vom
23.2.2005 - 1 A 188.02 - juris Rn. 21). Vor diesem Hintergrund werden mitunter auch kurzfristige gewaltfreie demonstrative Blockaden noch als Versammlung betrachtet (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl.,
Rn. 209 zu § 15; Rusterberg, in: NJW 2011, 2999 <3002>).
Der Gesamteinsatzleiter der Polizei ging nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlungen nach Rücksprache mit dem Einsatzabschnittsleiter davon aus, dass sich der Teilnehmerkreis der Blockade durchaus heterogen
zusammensetzte, die Teilnehmer aber gleichwohl gemeinsam handelten und sie demnach ein gemeinsames kommunikatives Anliegen einte, über die bloße Verhinderung der Versammlung des Klägers hinaus die Instrumentalisierung
des Wincklerbads zu kritisieren. Angesichts dessen ist die rechtliche Bewertung der Blockade als Versammlung aus der Perspektive der vor Ort eingesetzten Beamten vertretbar, zumal die Polizei bei ihrer Einschätzung offenkundig
nicht davon ausgegangen ist, dass aufgrund dieser Einschätzung eine Blockade auf Dauer zulässig wäre.
Es ist sodann nicht zu beanstanden, dass die Polizei, bevor sie die Protestversammlung aufgelöst hat, zunächst eine beschränkende Verfügung mit der Maßgabe erlassen hat, sich in Sichtweite zu entfernen. Der Gesamteinsatzleiter der
Polizei hat diese Maßnahme dahingehend begründet, dass er rechtssicher habe agieren wollen und taktisch die Bereitschaft der Teilnehmer der Blockade habe prüfen wollen, den Platz freiwillig zu räumen. Mit diesen Erwägungen war
die Beschränkung als milderes Mittel gegenüber einer Auflösung der Versammlung sowohl verhältnismäßig als auch polizeitaktisch vertretbar. Denn die Polizei gab den Teilnehmern der Blockade dadurch die Möglichkeit, ihr
kommunikatives Anliegen in unmittelbarer Nähe zum Ausdruck zu bringen, ohne die Blockade fortzusetzen. Da nach der Lageeinschätzung der Einsatzkräfte vor Ort ca. 250 Teilnehmer der Blockade dem sogenannten bürgerlichen
Spektrum zuzuordnen waren, war diese Erwägung auch nicht offenkundig aussichtslos. Selbst wenn nur einige Teilnehmer der Blockade dem gefolgt wären, hätte auch die Durchsetzung der Räumung gegenüber den verbliebenen
Teilnehmern der Blockade erheblich weniger Zeit in Anspruch nehmen können.
Auch dass der Einsatzabschnittsleiter die Aufforderung zur räumlichen Verlegung wiederholt und bis zum Erlass der Auflösungsverfügung 23 Minuten - bis 14.52 Uhr - gewartet hat, ist im Hinblick auf polizeitaktische Gesichtspunkte
noch vertretbar und deshalb von Rechts wegen nicht zu beanstanden. In rechtlicher Hinsicht war es geboten, die beschränkende Verfügung so bekannt zu geben, dass alle Teilnehmer der Blockade davon Kenntnis erhalten konnten.
Wiederholte Durchsagen, die nach dem Einsatzprotokoll um 14.24 Uhr, 14.34 Uhr, 14.40 Uhr und 14.45 Uhr erfolgt sind, erweisen sich vor diesem Hintergrund nicht als grundsätzlich ermessensfehlerhaft. Dass die vierfache
Wiederholung unter idealtypischen Umständen nicht erforderlich gewesen wäre, macht sie nicht rechtswidrig. Zudem lagen zwischen den letzten Aufforderungen, die Versammlung zu verlegen, nur jeweils 5-6 Minuten.
Entsprechendes gilt für die Auflösungsverfügung, die nach dem Einsatzprotokoll um 14.51 Uhr ausgesprochen und um 15.02 Uhr sowie um 15.13 Uhr wiederholt worden ist. Die Bekanntgabe der Auflösungsverfügung löst gem. § 8
Abs. 2 Satz 3 NVersG die Pflicht der Teilnehmer der aufgelösten Versammlung aus, sich unverzüglich zu entfernen. Eine Auflösungsverfügung muss deshalb eindeutig und unmissverständlich sein; auch sie muss ggf. wiederholt
werden, um eine wirksame Bekanntgabe an alle Teilnehmer zu gewährleisten. Kommen die Teilnehmer der aufgelösten Versammlung der Pflicht, sich zu entfernen, nicht nach, kann diese Pflicht erst dann zwangsweise durchgesetzt
werden, wenn ein Platzverweis ergangen ist. Dieser setzt allerdings gem. § 17 Abs. 1 Nds. SOG eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus, die nicht schon mit der Auflösung der Versammlung eintritt, sondern erst dann, wenn
die Teilnehmer der aufgelösten Versammlung der Pflicht, sich unverzüglich zu entfernen, nicht nachkommen. Denn mit dieser Pflicht korrespondiert zugleich das entsprechende Recht, den Versammlungsort zunächst ungehindert und
ohne Zwang zu verlassen. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass die Polizei erst mit der Wiederholung der Auflösungsverfügung auch Platzverweise ausgesprochen hat.
Soweit eine Verzögerung bei der Räumung dadurch eingetreten ist, dass die Einsatzkräfte (erst unmittelbar) vor dem Wegtragen der Teilnehmer der Blockade Schaulustige und Passanten abgedrängt haben, ist auch dies von Rechts
wegen nicht zu beanstanden. Denn bis zum Beginn der tatsächlichen Räumung ging von diesen Personen keine Gefahr aus. Sie nahmen weder an der Sitzblockade teil, noch behinderten sie polizeiliche Maßnahmen. Die
Voraussetzungen für die Erteilung von Platzverweisen gegenüber diesen Personen lagen deshalb bis zum Beginn der Räumung nicht vor.
Die Wahl der Einsatztaktik bei der Räumung, die der Gesamteinsatzleiter der Polizei in der mündlichen Verhandlung als ‚schonend, aber konsequent' bezeichnet hat, lässt keine Ermessensfehler erkennen. Der Gesamteinsatzleiter hat
in seiner Vernehmung nachvollziehbar dargelegt, dass die vorhandenen, kurzfristig durch die Verlegung zweier Hundertschaften verstärkten Polizeikräfte für eine Räumung nach diesen Maßgaben ausreichend waren und der
‚kleinräumige und enge' Einsatzraum auch bei einem Einsatz weiterer Kräfte keine signifikante Beschleunigung der Räumung ermöglicht hätte. Die Einschätzung, dass bei einer ‚unruhigen' Räumung bereits geräumte Teilnehmer der
Blockade wieder in diese hätten einsickern können, vermag die Kammer ebenfalls nachzuvollziehen.
Auch sonst sind in der Wahl einer Deeskalationsstrategie keine Rechts- oder Ermessensfehler zu erkennen. Nachdem bereits um 14.20 Uhr beobachtet worden war, dass sich einige der Teilnehmer der Blockade vermummt hatten und
die Einsatzkräfte außerdem eine Solidarisierung der Teilnehmer der Sitzblockade mit den an der Pyramide festgeketteten Personen ausgemacht hatten, musste die Polizeiführung davon ausgehen, dass zumindest die dem gewaltbereiten
linkautonomen oder linksextremen Spektrum zuzuordnenden Teilnehmer der Blockade bei einer kompromisslosen Räumung mit Gewalttätigkeiten hätten reagieren können. Wäre die Lage dabei außer Kontrolle geraten, wäre eine
Räumung nur mit erheblich größerem Personaleinsatz und dem massiven Einsatz von Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt (Dienstpferden, Reizstoffen, Wasserwerfern) und von Waffen (Schlagstöcken) möglich gewesen, der bei
hoher Verletzungsgefahr für alle - einschließlich der friedlichen - Beteiligten keinen schnelleren Räumungserfolg garantiert hätte.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Polizeiführung mit der Wahl ihrer Einsatztaktik die Versammlungsfreiheit des Klägers in ihrer Bedeutung verkannt hätte. Dabei ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Polizei
der körperlichen Unversehrtheit der friedlichen Teilnehmer an der Blockade und der Einsatzkräfte höheren Wert beigemessen hat als der Versammlungsfreiheit des Klägers. Die Polizei hat außerdem schon während der Räumung
Maßnahmen getroffen, um die Auswirkungen der Blockade auf die Versammlung des Klägers zu mildern. So hat sie unter Hinnahme eines geringeren Abstandes zwischen den Gruppierungen mit Fahrzeugen eine neue Sperre in der
Poststraße errichtet und den Kläger soweit vorrücken lassen, dass er das Wincklerbad in Sichtweite hatte. Als seine Zwischenkundgebung durch Lärm der Blockadeteilnehmer gestört wurde, haben die Einsatzkräfte diese zur Ruhe
aufgefordert und erwogen, die dem Kläger gegenüber verfügte Beschränkung auf einen Schalldruckpegel von maximal 90 dB(A) im Abstand von einem Meter vor den Lautsprechern zu lockern, um ihn sein Anliegen hörbar
vorbringen zu lassen.
Ermessensfehlerhaft wird das Vorgehen der Polizei schließlich auch nicht dadurch, dass sie während der Räumung mobile Toiletten und Getränke herbeigeschafft hat. Soweit die Bereitstellung von Mobiltoiletten betroffen ist, ist
schon nicht erkennbar, dass hierdurch die Räumung gezielt verzögert worden wäre. Denn um die Toiletten aufzusuchen, hätten die Teilnehmer der Blockade freiwillig aufstehen müssen; dass die Einsatzkräfte ihnen sodann gestattet
hätten, sich wieder in die Blockade zu setzen, ist weder vorgetragen noch nach dem tatsächlichen Ablauf der Räumung ersichtlich.
Auch die Ausgabe von Getränken ist noch vertretbar. Denn die Teilnehmer der Blockade waren bei großer Hitze ohne Schatten der Sonne ausgesetzt, so dass ihnen ohne die Ausgabe von Getränken gesundheitliche Schäden drohten.
Der Einwand des Klägers, die Teilnehmer der Blockade hätten sich dieser Gefahr selbst und eigenverantwortlich ausgesetzt, geht ebenso wie seine Forderung nach einer gewaltsamen Räumung fehl. Der Gesamteinsatzleiter der Polizei
hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass die Teilnehmer der Blockade den Platz vor dem Wincklerbad jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr eigenständig verlassen konnten, als ihnen die Einsatzabschnittsleitung
die Einleitung von Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz eröffnet hatte. Die Teilnehmer der Blockade konnten daher den Platz nicht mehr selbständig verlassen und Schatten aufsuchen oder sich mit
Getränken versorgen, sondern mussten sich zuerst einer polizeilichen Identitätsfeststellung in den dafür eingerichteten Bearbeiterstraßen unterziehen.
Tatsächlich hat es sich in dieser Situation allerdings nicht unmittelbar aufgedrängt, die Getränke auch an die noch sitzenden Teilnehmer der Blockade auszugeben und nicht erst im Bereich der Bearbeiterstraßen vorzuhalten. Diese
Entscheidung erweist sich indes nicht als offensichtlich pflichtwidrig - vielmehr hatten die Einsatzkräfte auch bei der Räumung die Verhältnismäßigkeit zu wahren und unnötige Gesundheitsgefahren zu vermeiden - und lässt auch
keine bewusste Verzögerung der Räumung erkennen. Wie bereits ausgeführt, hält sich die polizeiliche Taktik, Verzögerungen durch Deeskalationsmaßnahmen in Kauf zu nehmen und im Gegenzug eine höhere Akzeptanz und damit
die zügige reibungslose Durchführung der Räumung zu erreichen und Solidarisierungseffekte zwischen passiven Blockierern und gewaltbereiten Störern zu verhindern, noch im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensbetätigung. Die
Annahme des Klägers, dass die Räumung durch ein ‚Austrocknen' der Blockade schneller vonstatten gegangen wäre, bleibt dagegen spekulativ.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen bleibt auch der Hilfsantrag ohne Erfolg. ..." (VG Hannover, Urteil vom 19.05.2014 - 10 A 6312/13)
***
Allein die Personenidentität der handelnden Akteure einer Versammlungsanmeldung lässt nicht den Rückschluss zu, es handele sich bei der Versammlung um die Fortführung oder Unterstützung einer verbotenen Vereinigung.
Versammlung als Wahlkampfveranstaltung (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 28.04.2014 - 14 L 663/14):
„... Der am 25. April 2014 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sinngemäß gestellte und kurzfristig zu bescheidende Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers - 14 K 1975/14 - gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 14. April 2014 betreffend die Versammlung am Abend des 30. April 2014 in der Form eines
Fackelmarsches mit Fahnen und Transparenten und dem Thema ‚Am 25. Mai in X. zur Kommunalwahl ‚ S. ‚ wählen!' wiederherzustellen,
hat mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe Erfolg.
Die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus.
Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des Beschlusses gleichen Rubrums vom 24. April 2014 - 14 L 641/14 - sowie die Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein - Westfalen vom
heutigen Tage -5 B 474/14 - Bezug genommen.
Ergänzend ist folgendes auszuführen:
Der Prüfungsmaßstab für die Interessenabwägung ist vorliegend der gleiche wie bei einer auf einen einmaligen Anlass bezogenen Veranstaltung.
Anders als bei der vom Antragsteller für den 1. Mai angemeldeten Versammlung begegnet es vorliegend keinen durchgreifenden Zweifeln, dass es sich bei der Versammlung um eine Wahlkampfveranstaltung handeln soll. Das Motto
der Versammlung lautet: ‚Am 25. Mai in X. zur Kommunalwahl S. wählen!' Da die Versammlung in der sogenannten ‚heißen Phase des Wahlkampfs' innerhalb von sechs Wochen vor der Kommunalwahl stattfindet und der
Antragsteller als Partei bei der Kommunalwahl in E. nach unwidersprochenen eigenen Angaben flächendeckend antritt und offenbar auch zur Wahl zugelassen ist, ist ein Bezug der Versammlung zum Kommunalwahlkampf naheliegend.
Diese Annahme ist auch nicht tatsachengestützt widerlegt. Der Einwand des Antragsgegners in der Begründung der Verbotsverfügung, ‚die beabsichtigte Versammlung entspreche nicht den Aktivitäten einer Partei im
Kommunalwahlkampf', vermag diesen Eindruck nicht zu erschüttern. Es obliegt allein den Parteien, im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung ihren Wahlkampf zu gestalten. Für die Frage, ob es sich um eine Wahlkampfveranstaltung
handelt, kann deshalb nicht ausschließlich darauf abgestellt werden, welche Aktivitäten andere Parteien im Wahlkampf entfalten oder welche als allgemeinüblich angesehen werden. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass der
Wille des Antragstellers, eine Wahlkampfveranstaltung durchzuführen, objektiv nach außen zum Ausdruck kommt, wie hier z.B. durch das Motto der Versammlung.
Insofern ist auch in diesem Verfahren wegen der Bedeutung der Art. 8 Abs. 1 und Art. 21 GG und aufgrund des Zusammenhangs der Versammlung mit dem Wahlkampf des Antragstellers als nicht verbotener Partei schon im
Eilverfahren dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Denn es ist offensichtlich, dass eine
rechtskräftige Entscheidung über die konkret angemeldete Versammlung im Hauptsacheverfahren nicht mehr vor dem Termin der angemeldeten Versammlung und auch nicht vor dem in der Versammlung thematisierten Wahltermin
am 25. Mai 2014 erfolgen wird.
Nach diesem Abwägungsmaßstab überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit am sofortigen Vollzug der Verbotsverfügung das Interesse des Antragstellers am Suspensiveffekt der von ihm erhobenen Klage nicht, weil sich die im
wesentlichen auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) gestützte Verbotsverfügung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtswidrig darstellt und am Vollzug rechtswidriger Verwaltungsakte
kein öffentliches Interesse bestehen kann.
Soweit der Antragsgegner in der Verbotsverfügung und auch in der Antragserwiderung ausführt, die angemeldete Versammlung setze als ‚Vorabendveranstaltung' zur Versammlung am 1. Mai eine Tradition der verbotenen
Vereinigung ‚Nationaler Widerstand E. ‚ fort und diene deshalb allein dazu, den Zusammenhalt innerhalb dieser verbotenen Gruppe zu fördern, vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen.
Der Antragsgegner stellt tragend darauf ab, dass vor jeder in E. von der verbotenen Vereinigung ‚Nationaler Widerstand E.' durchgeführten Großveranstaltung zum 1. Mai und dem sogenannten ‚Antikriegstag' eine
Vorabendveranstaltung durchgeführt wurde. Diese Feststellung mag für die Anfang September veranstalteten Demonstrationen zum ‚Antikriegstag' zutreffen, ist aber für den 1. Mai in E. nicht belegt. So führt auch der Antragsgegner
in seiner Verbotsverfügung im zeitlichen Zusammenhang mit dem 1. Mai lediglich eine Demonstration in S1. am 28. April 2007 an. Da die verbotene Vereinigung ‚Nationaler Widerstand E. ‚ zwischen 2007 und 2012, dem Jahr in
dem sie verboten wurde, in E. keine Versammlungen für den 1. Mai anmeldete, ist davon auszugehen, dass es in dieser Zeit im Vorfeld des 1. Mai auch keine ‚Vorabendveranstaltungen' gegeben hat. Weder wurden vom Antragsgegner
solche Veranstaltungen genannt, noch sind dem Gericht solche für diesen Zeitraum im Umfeld des 1. Mai anderweitig bekannt geworden.
Ein Anknüpfen an Versammlungen und Traditionen der verbotenen Vereinigung durch die hier im Streit stehende Versammlung ist daher nicht zu erkennen.
Es ist auch nicht hinreichend tatsachengestützt belegt, dass die E1. Bürgerschaft diese Versammlung der verbotenen Vereinigung ‚Nationaler Widerstand E.' zuordnet. Wie der Antragsgegner selbst ausführt, werden diese
Veranstaltungen in E. auch von interessierten Bürgern in erster Linie nicht der verbotenen Vereinigung zugeordnet, sondern allgemein der ‚Rechten Szene'. Dies reicht aber - wie in dem oben genannten Beschluss bereits ausgeführt -
nicht aus, um einen identitätsstiftenden Zusammenhang der Versammlung mit der verbotenen Vereinigung zu begründen.
Auch aus dem vom Antragsgegner angeführten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts,
BVerfG, Beschluss vom 31. August 2012 - 1 BvR 1840/12 -, vorgehend OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2012- 5 B 1025/12, Juris und Beschluss der erkennenden Kammer vom 29. August 2012 - 14 L 1048/12 -, sämtlich Juris,
lässt sich nichts anderes ableiten. Zum Einen ergaben sich die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen schwierigen Abgrenzungsfragen auch aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe des Vereinsverbots zu der beabsichtigten
Versammlung. Zum Anderen handelte es sich bei dem dort in Rede stehenden ‚Antikriegstag' am 1. September 2012 nebst der ebenfalls verbotenen ‚Vorabendveranstaltung' am 31. August 2012 um für die verbotene Vereinigung
identitätsstiftende Veranstaltungen, weil sie nach der Wertung der Kammer und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen durch ein Vorstandsmitglied des jetzigen Antragstellers in seiner Eigenschaft als
Vertreter der verbotenen Vereinigung und nicht als Privatperson angemeldet wurden. Außerdem handelte es sich um Versammlungen, für die - anders als bei der hier in Rede stehenden Demonstration - festzustellen war, dass sie auch
vor deren Verbot eine, wenn nicht gar die sinnstiftende Veranstaltung der verbotenen Vereinigung war. Mit dieser Bedeutung speziell des ‚Antikriegstages' für die verbotene Vereinigung hat sich auch das Bundesverfassungsgericht in
seiner Folgenabwägung befasst.
Ähnlich verhält es sich mit der vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen getroffenen Entscheidung über das Verbot von durch die Kreisverbände B. und I. der Partei DIE S. für den 5. und 6. April 2013 in T.
angemeldeten Versammlungen.
OVG NRW, Beschluss vom 4. April 2013 - 5 B 332/13 -, Juris.
Auch hier ging es um Versammlungen, bei denen neben der Personenidentität der handelnden Akteure der Veranstalter zahlreiche andere Tatsachen dafür sprachen, dass es sich um die Fortsetzung zuvor begründeter Traditionen
handelte, die alleine dem Zweck dienten, den Zusammenhalt der Mitglieder der verbotenen Vereinigung ‚Kameradschaft B1. Land' zu fördern.
Damit ist die vorliegende Konstellation jedoch nicht zu vergleichen. Anmelder der hier in Rede stehenden Demonstration ist der Landesverband einer nicht verbotenen Partei. Zwar ist es gerichtsbekannt, dass die Vorstandsmitglieder
des Antragstellers weitestgehend personenidentisch mit den Führungspersönlichkeiten der verbotenen Vereinigung ‚Nationaler Widerstand E. ‚ sind.
Allein diese Personenidentität führt jedoch nicht zwingend dazu, dass in der hier streitigen Versammlung die vom Antragsgegner angeführte Unterstützung der verbotenen Vereinigung im Sinne eines identitätsstiftenden und den
Zusammenhalt fördernden Ereignisses zu sehen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der oben zitierten Entscheidung dazu ausgeführt, dass
‚die schwierige materiellrechtliche Frage, ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die organisationsbezogene Entscheidung eines Vereinsverbots über Zurechnungen die vormaligen verantwortlichen
Personen des verbotenen Vereins im Ergebnis auch darin einschränken kann, Versammlungen zu veranstalten, die an sich gesetzlich nicht zu beanstanden sind [ ... ] nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden werden
kann, sondern gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu beantworten ist.'
Aus den vorstehenden Erwägungen lässt sich jedenfalls schließen, dass im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung nicht davon ausgegangen werden kann, dass allein die Personenidentität der handelnden Akteure die
Annahme einer unzulässigen Fortführung oder Förderung einer verbotenen Vereinigung i.S.d. § 20 VereinsG rechtfertigt, die das Verbot einer Versammlung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit trägt.
Über diese Personenidentität hinausgehende Tatsachen, die für eine solche unzulässige Fortführung oder Förderung der verbotenen Vereinigung sprechen, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und belegt.
Das hier streitgegenständliche Verbot kann auch nicht rechtmäßig auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gestützt werden, weil der Antragsteller dem Aufzug nach Meinung des Antragsgegners durch die Verwendung von
Fackeln ein einschüchterndes oder bedrohendes Gepräge gibt.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass die öffentliche Ordnung auch durch die Art und Weise der Kundgebung einer Meinung verletzt werden kann, etwa durch aggressives, die Grundlagen des
verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer, und es den insoweit beachtlichen sozialen und ethischen Anschauungen über die
Grundvoraussetzungen eines geordneten menschlichen Zusammenlebens zuwiderläuft, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch
Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert oder provoziert.
vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.September 2003- 1 BvQ 32/03 , Juris, Rdnr. 24.
Eine solche erhebliche Provokationswirkung ist vorstehend aber nicht zu bestätigen. Fackelzüge finden aus den unterschiedlichsten Anlässen statt, ohne dass in der Bevölkerung, insbesondere an herausragenden historischen Daten,
allein aufgrund der Verwendung von Fackeln Bezüge zu den nationalsozialistischen Aufzügen hergestellt würden.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 16. November 2007 - 3 B 447/07 -, juris (zur Verwendung von Fackeln am Volkstrauertag); vgl. auch Sächsisches Oberverwal-tungsgericht, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 B 59/06 -, Juris, Rdnr.
31 f; vgl. auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2012- 1 S 358/12 -.
Fackeln werden nicht nur an Gedenk- und Feiertagen wie dem Volkstrauertag, sondern auch zu sonstigen feierlichen Anlässen, wie dem ‚großen Zapfenstreich' oder feierlichen Gelöbnissen, auch von einer unzweifelhaft demokratisch
legitimierten Organisation wie der Bundeswehr verwendet.
Vgl. bspw. zur Verwendung von Fackeln am Volkstrauertag 2009 durch das Wachbataillon der Bundeswehr: http://www.google.de/imgres?imgurl=http://www.thw-friedrichshain-kreuzberg.de/
und zum Abschied des Wachbataillons aus Siegburg,:
Bonner Generalanzeiger vom 28. April 2014, ‚Mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedete sich das Wachbataillon',
Sonstige Besonderheiten der gemeinschaftlichen Meinungskundgabe, etwa ‚aggressiver Begleitumstände', die ein ‚Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft' erzeugen und die verfügte Auflage tragen könnten,
vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 S 358/12 -,
hat der Antragsgegner für die in Rede stehende Versammlung nicht substantiiert.
Wie bereits im Beschluss der Kammer vom 24. April 2014 - 14 L 641/14 ausgeführt, auf den die Kammer zur Begründung auch insoweit Bezug nimmt, ist es dem Antragsgegner im Übrigen unbenommen, solchen Gefahren für die
öffentliche Ordnung durch entsprechende geeignete Auflagen, etwa zur Begrenzung der Zahl der Fackeln oder zum sonstigen Ablauf des Aufzuges entgegenzutreten.
Das Mitführen von Fackeln begründet vorliegend auch keine das Verbot der Versammlung rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Davon geht offenbar auch der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung aus, indem er
dort ausführt, dass derartigen Gefahren auch durch Auflagen begegnet werden könne.
Aufgrund der Kürze der Zeit zwischen dieser Entscheidung der Kammer und dem Versammlungstermin erscheint es geboten, zur Sicherheit der Teilnehmer an dem Fackelzug sowie zum Schutz Dritter die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung der Klage von der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe im Sinne des § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO abhängig zu machen. Der Antragsgegner kann daher versammlungsrechtliche Auflagen ( z.B. zur Anzahl der
mitgeführten Fackeln sowie zur Wegstrecke des Aufzugs, Versammlungsleitung, Anzahl der Ordner, Art und Anzahl von mitgeführten Transparenten / Fahnen, Lautsprechereinsatz, Vermummungs- und Uniformverbot etc.) erlassen. ..."
***
Eine unzulässige Fortführung oder Förderung einer verbotenen Vereinigung durch eine Versammlung kann nicht schon deshalb angenommen werden, weil sich eine neu gegründete Partei im eigenen Namen ebenso wie eine verbotene
Vereinigung mit vergleichbaren Zielsetzungen der Ausdrucksform einer Versammlung bedient. Auch zur Vermeidung von Gefahren für die öffentliche Ordnung kommen in Erster Linie Auflagen in Betracht. Erst wenn diese zur
Gefahrenabwehr nicht ausreichen, kann eine Versammlung verboten werden. Der Inhalt von Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht zur Rechtfertigung vom Maßnahmen
herangezogen werden, die das Grundrecht des Art 8 GG beschränken (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 24.04.2014 - 14 L 641/14).
***
Ab Beginn einer Versammlung ist ausschließlich die Polizei für den Vollzug des BayVersG sachlich zuständig, damit u. a. für die Entscheidung über die Auflösung einer Versammlung. Dies gilt auch bei sog. Dauerversammlungen
(entgegen IMS vom 27.6.2013 - IE4-1204; VG Regensburg, Beschluss vom 01.04.2014 - RN 9 K 14.508).
***
Das Gericht hält daran fest, dass zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Anhaltens einer sich fortbewegenden Versammlung (Aufzug) durch das Einziehen zweier Polizeiketten, um so von der Polizei als problematisch eingestufte
Personen zu separieren, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (Entgegen: VGH Kassel, Beschluss vom 24. Februar 2014, 8 F 263/14 u.a.). Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung ist
davon auszugehen, dass das Anhalten des Blockupy Aufzugs am 1. Juni 2013 als Minusmaßnahme zu einer Auflösung gerechtfertigt war (VG Frankfurt, Beschluss vom 10.03.2014 - 5 K 4350/13.F):
„... I. Der Antragsteller begehrt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine beabsichtigte Klage gegen das Land Hessen, mit der er gerichtlich festzustellen beantragt, dass
- die vollständige Umschließung des Teils der Versammlung ‚Blockupy Frankfurt - Widerstand im Herzen des Europäischen Krisenregimes - Internationale Demonstration', in dem er sich aufgehalten hat, am 1. Juni 2013 in Frankfurt
am Main,
- die Platzverweisung, welche die Polizei ihm gegenüber am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main ausgesprochen hat,
rechtswidrig gewesen seien.
Dem Gegner des beabsichtigen Klageverfahrens ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon das Polizeipräsidium Frankfurt am Main mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 Gebrauch gemacht hat.
II. Zwar liegen die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Prozesskostenhilfebewilligung vor, doch fehlt der beabsichtigten Klage bei der im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren allein möglichen
summarischen Betrachtung teilweise die hinreichende Erfolgsaussicht:
1. Soweit der Antrag die vollständige Umschließung des Demonstrationszugs betrifft, ist eine Prozesskostenhilfebewilligung abzulehnen. Dies folgt jedoch nicht bereits daraus, dass für diesen Teil des Streits nicht der
Verwaltungsrechtsweg offenstehe (a.) und eine Verweisung im Prozesskostenhilfeverfahren ausgeschlossen ist (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, Stand: April 2013, § 41 mit Vorbem. § 17 GVG, Rdnr. 20),
sondern aus der fehlenden hinreichenden Erfolgsaussicht (b.).
a. Entgegen der Sicht des möglichen Beklagten sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in den Verfahren 8 F 263/14 u.a. ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Insoweit gilt, was das Gericht in seinem
den Beteiligten bekannten Beschluss vom 11. Dezember 2013 - 5 K 2637/.F - (abrufbar über www.lareda.hessenrecht.hessen.de) ausgeführt hat. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof nimmt den durch die Videoaufzeichnungen und
das Verlaufsprotokoll belegten tatsächlichen Ablauf nicht hinreichend zur Kenntnis, sondern stützt sich lediglich auf dessen Interpretation im schriftsätzlichen Vorbringen des möglichen Beklagten, die von der Annahme getragen zu
sein scheint, eine Rechtfertigung des polizeilichen Vorgehens sei allein auf repressiver Grundlage möglich, und verkennt sowohl den Regelungsmechanismus von § 17a Abs. 2 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO wie den Umstand, dass
sich der Streit um den Schutz des durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Versammlungsrechts dreht:
Für die Frage der Rechtswegeröffnung genügt es in Fällen der rechtlichen Kumulation, wenn die den Rechtsweg begründende Norm - hier die des § 15 Abs. 3 des Versammlungsgesetzes - möglicherweise anwendbar ist (vgl. Ehlers,
a.a.O., § 41 mit § 17 GVG Rdnr. 34); alles Weitere ist eine Frage der konkreten Umstände (Ehlers, a.a.O., § 40 Rdnr. 217) und bedarf so der Klärung in der mündlichen Verhandlung, nicht einer Festlegung im Zwischenstreit über die
Rechtswegeröffnung. Sämtliche hier getroffenen polizeilichen Maßnahmen sind indes wenigstens doppelfunktional, könnten also ebenso auf eine präventive Ermächtigung gestützt werden, wodurch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet
ist. Der 8. Senat verkennt - möglicherweise im Hinblick auf die für das Versammlungsrecht bestehende Zuständigkeit des 2. Senats - die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, unter deren Prämisse der gesamte
Geschehensablauf am 1. Juni 2013 steht und die selbst in straf- und strafverfahrensrechtlicher Hinsicht zu beachten ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06
-, Rdnr. 18 ff.), sowie dass dessen Schranken zuvörderst verwaltungs-, nicht strafrechtlicher Natur sind.
b. b. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist insoweit jedoch nach § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO abzulehnen, denn die Umschließung war bei vorläufiger Betrachtung nach § 15 Abs. 3 des Versammlungsgesetzes als
Minusmaßnahme zu einer Auflösung (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. September 1981 - 1 C 88.77 -, BVerwGE 64, 55 <58> = juris Rdnr. 37) gerechtfertigt. Danach kann die zuständige Behörde sich zur Abwehr der von
einem Aufzug ausgehenden unmittelbaren Gefahren aller ihr nach geltendem Recht zur Abwehr unmittelbarer Gefahren zustehenden polizeilichen Befugnisse bedienen und im konkreten Fall das Mittel einsetzen, das sich angesichts
der konkreten Gefahrenlage als zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und angemessen erweist, auch um damit den Schutz des ungestörten Versammlungsablaufs für die übrigen Teilnehmer (vgl. Bundesverfassungsgericht,
Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - sub C III 3 b, BVerfGE 69, 315 <361> = juris Rdnr. 92) zu gewährleisten. Damit kommt sogar eine Gewahrsamnahme von störenden Teilen einer Versammlung in
Betracht.
Die vorliegenden Bildaufnahmen belegen, dass sich im Demonstrationszug zum Zeitpunkt des Einziehens der beiden Polizeiketten um 12.49 Uhr vor und hinter dem Lautsprecherwagen eine nach vorn und zu den Seiten, weniger nach
hinten, klar abgrenzbare Gruppe von Teilnehmern in ‚Schildkrötenformation' geordnet hatte, indem sie sich auch nach den Seiten mit Transparenten begrenzten, Schirme aufspannten und wenigstens teilweise vermummten sowie
Schutzbewaffnung annahmen. Damit verstieß ein Großteil dieser Versammlungsteilnehmer nicht nur gegen versammlungsbehördliche Auflagen, was eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 des Versammlungsgesetzes
darstellte, sondern auch gegen Strafandrohungen jedenfalls aus § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 des Versammlungsgesetzes. So ist auf der von dem möglichen Beklagten vorgelegten DVD Nr. 4, Datei Vts 08.1, gut zu erkennen, dass sich -
kurz vor der Umschließung - vor dem Lautsprecherwagen ein durch ein vorderes und mehrere seitliche, hohe Transparente abgegrenzter und so als geschlossene Formation auftretender Block gebildet hatte. Zunächst in dessen
vorderen Teil, später dann im gesamten, von der Umschließung betroffenen Bereich, hatten Versammlungsteilnehmer zahlreiche Regenschirme aufgespannt - ohne dass hierfür ein wetterbedingter Anlass bestand -, die eine Einsicht in
diese Gruppierung erschwerten, wenn nicht zum Teil unmöglich machte. In dieser Video-Datei ist ebenso deutlich - von oben gefilmt - zu erkennen, wie sich eine erhebliche Anzahl in der in diesem Block befindlichen Personen
vermummte, indem sie sich, bereits schwarz gekleidet, schwarze Masken zumindest über den größten Teil ihrer Gesichter zogen, des Weiteren, dass sich hinter dem Lautsprecherwagen eine erhebliche Anzahl in auffallender Weise
schwarz gekleideter Versammlungsteilnehmer befand, zum Teil ebenfalls seitlich klar abgegrenzt durch hohe Transparente. Auch dort hatten sich die Teilnehmer als Block formiert, erschienen teilweise vermummt und mit
Schutzbewaffnung versehen. In der ebenfalls auf der DVD Nr. 4 befindlichen Datei Vts 06.1 ist zu sehen, dass um 12.46 Uhr, also kurz vor der Umschließung, aus dem vorderen Block einzelne Pyrotechnik abgefeuert oder bei nicht
unerheblicher Rauchentwicklung zur Seite geschleudert wurde. Auch in der Videoaufzeichnung DVD Nr. 2, Datei 01.1, ist zunächst der durch die Transparente und Regenschirme praktisch nicht einsehbare, massiv und abgegrenzt
wirkende, vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block zu erkennen, ebenso das Abfeuern von Pyrotechnik hieraus. Ebenso ist bei einigen Versammlungsteilnehmern passive Bewaffnung (Schutzschilder, Plastikschutz) festzustellen
(gleich der Datei 01.2). Die Versammlungsteilnehmer in diesen Bereichen vermittelten den klaren Eindruck, dass sie sich von dem überwiegenden Teil der nachfolgenden Teilnehmer in der geschilderten Weise abgesondert hatten und
zugleich durch ihre Vermummung zielgerichtet bemüht waren, einer eigenen Identifikation entgegenzuwirken sowie ein Verbergen in der Anonymität der Masse zu erreichen. Darüber hinaus machte die durch Transparente und
Schutzschilder erreichte Geschlossenheit der Formation es für die Polizei faktisch unmöglich, ohne Eigengefährdung etwa mit Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten in diese Blöcke einzudringen, um aus der Menge heraus
begangene Straftaten zu verhindern oder durch Ergreifen von Straftätern die Begehung weiterer Straftaten zu unterbinden und so möglicherweise auf andere Art und Weise die vorhandene unmittelbare Gefahr zu beseitigen. Aufgrund
des dokumentierten äußeren Erscheinungsbildes dieser Formation drängt sich auf, dass aus ihr heraus im weiteren Streckenverlauf, der in die Nähe des derzeitigen Sitzes der Europäischen Zentralbank geführt hätte, nicht nur
versammlungsspezifische Straftaten begangen worden wären. Dass diesem Verhalten, das die Grenze zur Unfriedlichkeit zu überschreiten begann, seitens des Versammlungsleiters, insbesondere durch Ordner, entgegengewirkt worden
wäre, ist nicht ersichtlich. Ein polizeiliches Einschreiten zum Schutz der Versammlungsfreiheit derjenigen Personen, die sich räumlich vor dieser Gruppierung befanden, sowie der ganz überwiegenden Zahl der Teilnehmer des
Aufzugs, die sich hinter dieser Gruppierung befand, war bei vorläufiger Betrachtung somit geboten. Dabei erscheint das gewählte Mittel des Separierens dieser Gruppierung durch Einziehen zweier Polizeiketten auch dann vertretbar,
wenn berücksichtigt wird, dass es hierdurch zu einem Anhalten des Aufzugs kommen musste. Da die Dokumentation des weiteren Geschehens nichts dafür erkennen lässt, dass die separierte Gruppe ihr unfriedliches Verhalten - etwa
durch das Auflösen der ‚Schildkrötenformation', Ablegen von Vermummungen und Schutzbewaffnung - änderte, somit bei vorläufiger Beurteilung - nach dem allgemeinen polizeilichen Grundsatz ‚Prävention vor Repression' -
weiterhin von der Möglichkeit eines polizeilichen Ausschlusses nach § 19 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes auszugehen war, hing die Aufhebung dieser Separierung und Ermöglichung der weiteren Teilnahme der betroffenen
Personen am Aufzug davon ab, ob der polizeiliche Gesamteinsatzleiter mit dem Versammlungsleiter und dieser mit einem ‚Plenum' der Gruppierung sich auf Minusmaßnahmen zu einem Ausschluss verständigen konnten oder nicht.
Eine derartige Verständigung kam nicht zustande, so dass mit Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr der Ausschluss von der Versammlung verfügt wurde. Danach standen gegenüber den separierten
Personen wieder die Befugnisse des allgemeinen Polizeirechts zur Verfügung.
Der Antragsteller hat auch nicht aufgezeigt, dass er quasi als bloß Unbeteiligter zu den separierten Personen geraten sei - was im hinteren Bereich sowie bei vereinzelten Personen jenseits der seitlichen Transparente möglich erscheint
-, sich um ein Verlassen der Abgrenzung bemüht habe und ihm diese verwehrt worden sei. Er hat auf gerichtliche Nachfrage lediglich bekräftigt, sich im umschlossenen Bereich aufgehalten zu haben, ohne dies zu präzisieren. Bei
vorläufiger Betrachtung ist deshalb davon auszugehen, dass er entweder zu den aktiven Störern oder zumindest zu deren Unterstützern zählte, denn, wie oben ausgeführt, aus den vorgelegten Bild- und Tonaufnahmen ergibt sich mit
hinreichender Deutlichkeit, dass zumindest der weit überwiegende Teil der separierten Teilnehmer der Versammlung ein unfriedliches, zum Teil auch strafrechtlich relevantes Verhalten zeigte, aus dem eine unmittelbare Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit folgte. Dass der Antragsteller nach außen hin erkennbar deutlich gemacht hätte, sich von diesem Verhalten zu distanzieren, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
2. Soweit der Antrag die verfügte Platzverweisung betrifft, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Hier bedarf der Klärung, ob die Voraussetzungen eines Aufenthaltsverbots nach § 31 Abs. 3 HSOG vorgelegen haben oder, im Fall einer
möglichen Umdeutung in eine Platzverweisung nach § 31 Abs. 1 HSOG, ob die gesetzte Rechtsfolge des Verbots, sich im weitaus größten Teil der Frankfurter Innenstadt aufzuhalten, von der Eingriffsbefugnis, die insoweit lediglich
von einem ‚Ort' spricht und damit lokal begrenzter zu verstehen sein könnte, gedeckt ist. Der Antragsteller hat auch ungeachtet der zwischenzeitlich eingetretenen Unwirksamkeit dieser Regelung ein berechtigtes Interesse an der
Klärung, ob die Beschränkung der Freiheit seiner Person gerechtfertigt war. ..."
***
Verbot und Auflagen (VG Würzburg, Urteil vom 19.12.2013 - W 5 K 13.265)
„... I. Es wird festgestellt, dass Nr. 1, Nr. 2.12, Nr. 2.13 (soweit vorgegeben wird, dass die Ordner den Zug an der Spitze und am Ende zu begleiten und zu begrenzen haben), Nrn. 2.14, Spiegelstrich 3, Klammerzusatz und 2.19 (soweit
das Verbot der Verwendung von schwarz-weiß-roten Fahnen und von Parteifahnen betroffen ist), Nrn. 2.20 und 2.21 (soweit die Anzahl schwarzer Fahnen auf zehn und die Gesamtzahl der Fahnen auf eine pro 15 Teilnehmer
beschränkt wird), Nr. 2.25 und Nr. 2.30 des Bescheids der Stadt Würzburg vom 28. März 2013 rechtswidrig gewesen sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. ...
1. Am 26. März 2013 meldete der Kläger für ein „... Bündnis ... eine Versammlung mit dem Thema „Arm trotz Arbeit - Kapitalismus zerschlagen!" für den 30. März 2013 bei der Beklagten an.
2. Mit Bescheid vom 28. März 2013 verbot die Beklagte die angezeigte Versammlung (Nr. 1). Für den Fall, dass bis zum vorgesehenen Beginn der Versammlung hinsichtlich des Versammlungsverbots durch ein Gericht die
aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt werden sollte, setzte die Beklagte u.a. folgende Beschränkungen fest:
„2.12 Eine ausreichende Zahl volljähriger Ordner, mindestens 10, ist einzusetzen. Wenn die Teilnehmerzahl 150 übersteigt, sind je weitere 20 Teilnehmer ein zusätzlicher Ordner zu stellen".
„2.13 … Die Ordner haben den Zug an der Spitze, am Ende und seitlich zu begleiten und zu begrenzen. …"
„2.14 Als Kundgebungsmittel sind zugelassen:
… - Fahnen (schwarz, Länderfahnen) …"
„2.18 … Ein Verknoten der Transparente sowie das Mitführen von Transparenten, die eine Länge von 3 m überschreiten, ist untersagt. …"
„2.19 Fahnen mit Gestaltungen bzw. Symbolen, die als Ersatzsymbole für nationalsozialistische Symbole bzw. Identifikationsmerkmale der rechtsextremistischen Szene gelten (z.B. Keltenkreuzfahnen, Reichskriegsflagge,
schwarz-weiß-rote Fahnen, Fahnen mit dem Symbol der „schwarzen Sonne") sind untersagt."
„2.20 Schwarze Fahnen sind zulässig, allerdings wird die Anzahl auf maximal 10 beschränkt."
„2.21 Pro 15 Teilnehmer darf, unter Anrechnung der schwarzen Fahnen, maximal eine Fahne mitgeführt werden …"
„2.3 Die Verwendung von sog. Knüppelfahnen ist untersagt."
„2.25 Das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstaben bzw. Zahlenfolgen wie „NS", „NSD", „NSDAP", „S", „SS", „SA", „ACAB", „14", „18", „88" oder die
Abkürzung bzw. erkennbare Abkürzungsteile weiterer verbotener Parteien oder Gruppierungen ergeben können, ist verboten."
„2.30 Der Versammlungsleiter ist verpflichtet, der Stadt Würzburg, Fachabteilung Ordnungsaufgaben … bis spätestens 29.03.2013, 12:00 Uhr, eine Liste mit den Rednern (Name, Geburtsdatum, Anschrift), die während der
Versammlung auftreten, vorzulegen."
„2.36 Das Fotografieren von Gegendemonstranten bzw. anderen unbeteiligten Personen oder eine diesem Verhalten ähnliche Geste ist verboten."
Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, durch die angezeigte Versammlung sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet. Der Kläger sei dem überregionalen Netzwerk „..." zuzuordnen. Aus diesem
Netzwerk würden sich auch die Versammlungsteilnehmer rekrutieren. Die radikale Ausrichtung der Gruppierung indiziere bereits eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Eine weitere Gefährdung ergebe sich aus der
Wahl der Kundgebungsorte und dem Verlauf des Aufzugs im öffentlichen Raum sowie aus den Kundgebungsmitteln. Die Sicherheit und Leichtigkeit des (Fußgänger-)Verkehrs sowie die Rechtspositionen der Anlieger und
unbeteiligter Dritter seien gefährdet. Am Dominikanerplatz finde zeitgleich mit der geplanten Versammlung eine seit längerem angemeldete kostenlose Koran-Verteilung statt. Eine weitere Gefährdung wichtiger Rechtsgüter stelle das
zu erwartende Zusammentreffen der geplanten Versammlung mit anderen Versammlungen und Veranstaltungen dar, die zeitlich früher angemeldet gewesen seien. Gegen eine vorausgegangene Demonstration des rechtsextremen
Spektrums im Jahre 2005 habe sich aus mehreren Lagern Widerstand formiert. Trotz einer versuchten zeitlichen und räumlichen Trennung sei es seinerzeit zu massiven Störaktionen durch das linke Spektrum gekommen. Aufgrund der
Vielzahl an Veranstaltungen am Versammlungstag bayernweit und im Bundesgebiet stünden Polizeikräfte nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien Konfrontationen zwischen
dem linken und dem rechten Lager zu erwarten. Am Veranstaltungstag, dem Karsamstag, sei die Würzburger Innenstadt dicht gedrängt und überfüllt.
Hilfsweise, für den Fall, dass das Versammlungsverbot aufgehoben würde, müssten zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zumindest die festgesetzten Auflagen beachtet werden.
So sei der Einsatz von sieben Ordnern erforderlich, um einen störungsfreien Verlauf des Aufzuges, der sich über eine so lange Strecke erstrecke, und der geplanten Kundgebungen zu gewährleisten. Der Versammlungszug sei,
gemessen an der Teilnehmerzahl, kompakt zu halten.
Das Bundesverfassungsgericht habe mit „Beschluss vom 29. März 2009" ausgeführt, dass das Mitführen von schwarzen Fahnen nicht generell zu untersagen sei. Erst wenn der Gesamteindruck als Identifikationsmerkmal mit der
rechtsextremen Szene anzusehen sei, könne das Mitführen untersagt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe die Anzahl der Fahnen in dem genannten „Urteil" auf 10 beschränkt. Die Beschränkung der Zahl aller Fahnen im
Bescheid diene dem Zweck, zu verhindern, dass der Aufzug an die Fahnenaufmärsche aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnere. Aus der gleichen Intention heraus müssten die Fahnen innerhalb der Versammlung oder des
Aufzuges unregelmäßig verstreut getragen werden. Die Beschränkungen seien auch erforderlich, um eine Identifizierung mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verhindern. Weiterhin werde der
Gefahr vorgebeugt, dass aus einem geschützten Aufzug ein unzulässiger, an die Zeiten des Nationalsozialismus erinnernder Aufmarsch werde.
Die Begrenzung der Transparentstangen und anderer Kundgebungsmittel sei erforderlich, damit die Gegenstände nicht als gefährliche Gegenstände, gemeinhin auch als Hieb- und Stoßwaffen, für gewalttätige Auseinandersetzungen
gebraucht werden könnten. Außerdem könnten zu hohe Stangen mit den auf der Strecke befindlichen Straßenbahnoberleitungen kollidieren und zu Schäden führen. Sog. Knüppelplakate, d.h. Plakate, die zusammengerollt als Knüppel
und somit wie eine Waffe eingesetzt werden könnten, seien bei der Versammlung zu verbieten.
Die Beschränkungen hinsichtlich der Bekleidung sowie des Tragens von Emblemen und Tätowierungen seien erforderlich, da alle Bestrebungen, welche die nationalsozialistische Diktatur und deren Wertordnung glorifizierten,
billigten, verharmlosten oder sonst wiederbelebten, für die Mehrheit der Bevölkerung so unerträglich seien, dass sie die öffentliche Ordnung in einem erheblichen Maße selbst dann gefährdeten, wenn mit ihnen die Schwelle der
Strafbarkeit noch nicht erreicht sei.
Es stelle weiter eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, wenn Versammlungsteilnehmer bei Tragen bestimmter Kleidungsmarken die Buchstabenfolge zum Teil so überdeckten, dass dann verschiedene Buchstabenkombinationen,
wie z.B. „NS", „NSD", „NSDA" oder „NSDAP", „SS", „SA" oder „ACAB", zur Schau getragen würden. Gleiches gelte für Zahlenkombinationen, die in der rechten Szene eine beliebte Verschlüsselung für strafrechtlich relevante
Begriffe, Grußformeln oder Organisationszeichen darstellten.
Durch das Fotografieren und den Versuch der Individualisierung werde eine einschüchternde Wirkung erzielt. Hierdurch werde Druck auf die betroffenen Personen ausgeübt. Auf den weiteren Inhalt des Bescheides wird Bezug genommen.
2. Am 29. März 2013 ließ der Kläger bei Gericht Klage erheben mit dem Antrag:
„1. Ziffer 1 des Bescheides der Beklagten vom 28. März 2013 … wird aufgehoben (Versammlungsverbot).
2. Ziffer 2.12 des o.g. Bescheides wird aufgehoben hinsichtlich der Mindestanzahl der Ordner.
3. Ziffer 2.13 des o.g. Bescheides wird aufgehoben hinsichtlich der Vorgabe, dass Ordner an der Spitze und am Ende des Zuges zu laufen hätten.
4. Ziffer 2.14 in Verbindung mit Ziffer 2.19 des o.g. Bescheides werden aufgehoben, soweit darin ein Verbot der Verwendung von schwarz-weiß-roten Fahnen und von Parteifahnen verfügt wurde.
5. Ziffer 2.18 des o.g. Bescheides wird aufgehoben, soweit darin die Länge der Seitentransparente auf höchstens 3 m beschränkt wurde.
6. Ziffer 2.20 in Verbindung mit Ziffer 2.21 des o.g. Bescheides werden aufgehoben, soweit darin eine Anrechnung der auf 10 beschränkten schwarzen Fahnen auf die Gesamtzahl erfolgt und die Gesamtzahl der Fahnen auf eine pro 15
Teilnehmer beschränkt wurde.
7. Ziffer 2.3 des o.g. Bescheides wird aufgehoben.
8. Ziffer 2.25 des o.g. Bescheides wird aufgehoben.
9. Ziffer 2.30 des o.g. Bescheides wird aufgehoben.
10. Ziffer 2.36 des o.g. Bescheides wird aufgehoben."
Zur Klagebegründung wurde vorgetragen, das Versammlungsverbot sei verfassungswidrig, weil es das aus Art. 8 GG resultierende Versammlungsgrundrecht verletze. Die Bewertung von Personen und vermuteten Zusammenschlüssen
nach ihrer Gesinnung sei irrelevant. Sollten vermutete Gegendemonstranten eine Gefahr darstellen, seien selbstverständlich diese als Störer von der Polizei entsprechend zu behandeln. Dabei sei auch die Beklagte als zuständige
Versammlungsbehörde gefragt. Verfolgten konkurrierende Versammlungen versammlungsfremde Zwecke, wie Blockade und Störung anderer Versammlungen, seien diese zu verbieten. Abgesehen davon enthalte die
Bescheidbegründung keinen tragbaren Grund dafür, weshalb die Versammlung als ultima ratio verboten werden müsse.
Die Anordnung zur Ordnerzahl habe rechtswidrig beschränkenden Charakter. Der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs sei ein Ordnerverhältnis von einem zu 25 Teilnehmern zu entnehmen. Für die erwartete
Teilnehmerzahl von 90 Personen seien dann höchstens vier Ordner zu stellen.
Es müsse dem Versammlungsleiter überlassen bleiben, wo er die Ordner am besten einsetze. Ordner an der Spitze und am Ende des Zugs seien beobachtungstechnisch unzweckmäßig. Auch die Vorgabe, die Ordner müssten den Zug
begrenzen, greife rechtswidrig in das grundsätzliche Selbstorganisationsrecht des Versammlungsleiters ein.
Ebenso rechtswidrig in das Selbstdarstellungsrecht der Versammlung greife das Verbot von schwarz-weiß-roten Fahnen und von Parteifahnen ein. Es gebe keinen Grund, die Farben des Deutschen Reichs aus der Öffentlichkeit zu
verbannen. Die dazu gegebene Begründung im Bescheid sei absurd. Ebenso wenig sei ein Verbot von Parteifahnen einzusehen. Die Versammlung müsse das legitime und auch legale Ziel verfolgen dürfen, ihre Meinung auch nach
außen in Gemeinschaft mit möglichst allen deutschen Parteien darstellen zu dürfen.
Rechtswidrig sei auch die Beschränkung der Länge der Seitentransparente auf 3 m. Ein versammlungsrechtlich relevantes, schutzwürdiges Interesse für diese Anordnung sei nicht ersichtlich.
Unzulässig sei die Beschränkung der Fahnenzahl insgesamt sowie die Beschränkung der schwarzen Fahnen. Nach der behördlichen Verfügung dürften bei 90 Teilnehmern insgesamt lediglich sechs Fahnen, unabhängig von der Farbe,
mitgeführt werden, weil die schwarzen Fahnen auf die Gesamtzahl angerechnet würden. Dies widerspreche jedoch dem Argument des Bundesverfassungsgerichts in der von der Behörde zitierten Entscheidung, welches auf die
angeblich einschüchternde Wirkung einer zu großen Zahl von schwarzen Fahnen abstelle. Hinzu kommende bunte Fahnen konterkarierten diese angeblich einschüchternde Wirkung dann ja wieder, so dass die Anrechnung nicht
einzusehen sei.
Das Verbot sog. Knüppelfahnen verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Es sei unklar, was „Knüppelfahnen" überhaupt seien und wer diese so nenne.
Nicht ansatzweise verständlich sei das unbegründete Verbot der im Bescheid genannten bestimmten Buchstabenfolgen. Die heutige Mode, insbesondere für jüngere Menschen, habe Oberbekleidung mit allen erdenklichen Aufschriften
im Angebot. Es werde schon nicht ersichtlich, was sich hinter den Kombinationen überhaupt verbergen solle. Die breite Bevölkerungsmehrheit verbinde überhaupt nichts mit zufällig sichtbaren Buchstaben- oder Zahlenkombinationen
auf einem Kleidungsstück. Die entsprechende Auflage sei absurd.
Bei der angeforderten Liste mit Daten der Redner handele es sich um Vorzensur. Die Verfügung werde schon nicht ansatzweise begründet. Sie beschränke den Versammlungsleiter in seiner Gestaltungsfreiheit, habe überdies
einschüchternden Charakter und greife die Rede- und Meinungsfreiheit direkt an. Außerdem unterbinde sie jegliche Flexibilität von Rednerauftritten.
Rechtswidrig sei auch das Verbot des Fotografierens von Gegendemonstranten und von ähnlichen Gesten. Übersichtsaufnahmen von Versammlungen seien bekanntermaßen jedermann erlaubt, selbst die Veröffentlichung derselben
verstoße nicht gegen Persönlichkeitsrechte. Die Versammlungsteilnehmer hätten zudem ein Interesse daran, schon alleine zum Zwecke der Dokumentation von Straftaten aus den Reihen der Gegendemonstranten, diese zu
fotografieren. Solche Straftaten befürchte die Beklagte ja offenbar selbst. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Polizei scheine hierbei sehr schwach ausgeprägt zu sein. ...
3. Mit Beschluss vom 29. März 2013 Nr. W 5 S 13.264 ordnete das Verwaltungsgericht Würzburg die aufschiebende Wirkung der Klage überwiegend an. Auf den weiteren Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.
4. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das ausgesprochene Versammlungsverbot entspreche dem pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Auch die hilfsweise ergangenen
Beschränkungen seien rechtmäßig und verhältnismäßig. Ergänzend zur Bescheidbegründung werde vorgetragen, der Kläger habe nicht den aus Hessen zusätzlich zu erwartenden Bus mit ca. 50 Anhängern erwähnt oder nachgemeldet.
Hier sei eventuell auch mit weiteren „verschwiegenen" Teilnehmern der Demonstration zu rechnen, daher sei die Ordnerzahl mit den Vorgaben so rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Der Ordnereinsatz bei einer
Demonstration/Versammlung sei individuell festzusetzen und folge insbesondere aus der Gefahrenprognose zur Versammlung. Die Anzahl der eingesetzten Ordner habe die Gefahren für die öffentliche Sicherheit auszuschließen, im
Einzelfall könne die Zahl der Ordner, die bei der Beklagten im Regelfall fünf Ordner pro 100 Versammlungsteilnehmer betrage, nach oben oder unten variieren. Die Anzahl der Ordner habe lediglich angemessen zu sein. Im
vorliegenden Fall sei aufgrund der im Vorfeld erheblichen Aufmerksamkeit durch Medien und durch die Öffentlichkeit im Allgemeinen eine große und breite Bewegung und Mobilisierung von Gegendemonstranten zu erwarten
gewesen. Dies ergebe sich auch aus der polizeilichen Gefahrenprognose. Auch im Nachhinein sei festzustellen, dass der Versammlungszug des Klägers durch Versammlungsteilnehmer aus dem linken und bürgerlichen Lager behindert
und anfangs auch durch einen Sitzstreik aufgehalten worden sei. Dies sei zwar nicht der durch den Kläger angemeldeten Versammlung anzurechnen, sei aber Grund dafür, die Regelordnerzahl in angemessener Art und Weise zu
erhöhen. Im Bescheid sei dafür nach Rücksprache mit der Polizei eine Mindestzahl von 10 Ordnern vorgegeben worden, in der Begründung des Bescheids sei die Anzahl von 7 Ordnern lediglich irrtümlich genannt worden. Bezüglich
der Fahnen und Seitentransparente, der Bekleidung und des Fotografierens werde auf die Bescheidbegründung verwiesen. Insbesondere das Fotografieren sei eine massive Einschüchterung aller Bürger und eventueller
Gegendemonstranten. Die Knüppelfahnen seien zumindest im Kooperationsgespräch den Vertretern der Versammlung sehr wohl bekannt und geläufig. Der Bescheid gehe von diesem Kenntnisstand aus. Hierbei handele es sich um die
neuesten, zweckentfremdeten Gegenstände, die bei Demonstrationen mitgeführt würden. Es sei nicht erklärlich, warum mit einer Rednerliste eine Zensur einhergehe. Es werde nicht nach Redeinhalten gefragt, sondern lediglich die
Länge und die Redner würden abgefragt, wie bei anderen Demonstrationen auch. ...
6. Die einschlägigen Behördenakten lagen dem Gericht vor. Die Verfahrensakte W 5 S 13.264 wurde beigezogen. ...
Entscheidungsgründe: 1. Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
2. Die Klage ist zulässig. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft. Die streitgegenständliche Versammlung ist beendet, so dass eine Erledigung der Streitsache eingetreten ist.
Dem Kläger steht das notwendige besondere Feststellungsinteresse zu. Er kann nicht auf den im Sofortverfahren gefundenen Rechtsschutz verwiesen werden, weil die Beklagte die angegriffenen Bescheidregelungen nach wie vor für
rechtmäßig hält und der Kläger damit rechnen muss, im Falle künftiger Versammlungsanmeldungen mit den nämlichen Bescheidregelungen überzogen zu werden. Dass der Kläger die zunächst erhobene Anfechtungsklage nicht
ausdrücklich auf die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hat, spielt keine Rolle (§ 88 VwGO).
3. Die Klage ist überwiegend begründet.
4. Das in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides ausgesprochene Versammlungsverbot ist rechtswidrig. Es lässt sich nicht auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtfertigen. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde
eine Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommen Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt von
ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird, rechtfertigt demgegenüber im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (BVerfG, B.v. 19.12.2007 Nr. 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671). Die Versammlungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische
Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (st. Rspr. des BVerfG, zuletzt B.v. 20.12.2012 Nr. 1 BvR 2794/10,
DVBl. 2013, 267, m.w.N.).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, B.v. 07.04.2001 Nr. 1 BvQ 17/01, 1 BvQ 18/01, NJW 2001, 2072).
Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der „erkennbaren Umstände" bezeichnete Prognosebasis
setzt tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001 Nr. 1 BvQ 8/01, NJW 2001, 1407). Der Prognosemaßstab der „unmittelbaren
Gefährdung" erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder
Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001 Nr. 1 BvQ 21/01, NJW 2001, 2078). Nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit setzt das Verbot einer Versammlung als Ultima Ratio in jedem Fall voraus, dass das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft ist (BVerfG, B.v. 05.09.2003 Nr. 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004, 90).
Ausgehend hiervon erweist sich das Versammlungsverbot vorliegend als erkennbar rechtswidrig.
Verkehrsbeeinträchtigungen, Beeinträchtigungen von Passanten, Anliegern und Gewerbetreibenden, Lärmbelästigungen und dergleichen sind der Versammlung und dem Demonstrationszug immanent und grundsätzlich hinzunehmen
(vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., RdNr. 188 zu § 15).
Nicht gerechtfertigt werden kann das Verbot mit den Sicherheitsbedenken der Beklagten bezüglich der vom Kläger angemeldeten Aufzugstrecke. Insofern kommt anstatt eines Totalverbots jedenfalls als milderes Mittel eine Änderung
der geplanten Wegstrecke in Betracht.
Auch die von der Beklagten besorgte Gefahr von Auseinandersetzungen und Ausschreitungen trägt das Verbot nicht. Die diesbezüglichen Befürchtungen der Beklagten sind spekulativ. Dass Ausschreitungen und Straftaten nicht oder
nicht endgültig ausgeschlossen werden können, rechtfertigt ein Versammlungsverbot nicht. Durchgreifende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Polizei nicht in der Lage wäre, etwaige Konfrontationen mit Dritten zu verhindern,
erkennt die Kammer auch unter Berücksichtigung der Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums Unterfranken nicht. Als Grundlage der versammlungsbehördlichen Gefahreneinschätzung sind aber konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (BVerfG, B.v. 20.12.2012, a.a.O.). Dies setzt
voraus, dass die Versammlungsbehörde und die Polizei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit andernfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte
hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wären. Dies erscheint hier eher fernliegend.
Abgesehen davon sind über bloße Vermutungen hinausgehende Annahmen zu unfriedlichem Verhalten von Teilnehmern der angemeldeten Versammlung nicht zu erkennen. Soweit sich der Veranstalter und die
Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen. Behördliche
Maßnahmen sind dann primär gegen die Störer zu richten (BVerfG, B.v. 20.12.2012, a.a.O., m.w.N.). Dies gilt auch und gerade bei Blockadeaktionen gegen die Versammlung.
Nach alledem reichen die von der Beklagten angeführten Gründe, sowohl für sich betrachtet als auch bei Zusammenschau, nicht für ein Versammlungsverbot nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG aus.
5. Als rechtswidrig erweist sich auch Nr. 2.12 des angefochtenen Bescheides, der zufolge für die Versammlung mindestens zehn Ordner und wenn die Teilnehmerzahl 150 übersteigt, je weitere 20 Teilnehmer ein zusätzlicher Ordner
einzusetzen waren. Nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs ist grundsätzlich ein Ordner pro angefangene 25 Teilnehmer als ausreichend anzusehen (vgl. B.v. 23.10.2008 Nr. 10 ZB 07.2665, vgl. auch
Merk/Wächtler in Wächtler/Heinhold/Merk, Bayer. Versammlungsgesetz, RdNr. 104 aE zu Art. 15). Dem folgt die erkennende Kammer in ständiger Rechtsprechung (VG Würzburg, U.v. 12.03.2009 Nr. W 5 K 08.1758, B.v.
24.04.2012 Nr. W 5 S 13.347; U.v. 25.10.2012 Nr. W 5 K 12.54, B.v. 29.03.2013 Nr. W 5 S 13.264). Die in Nr. 2.12 des angegriffenen Bescheides verfügte Ordnerzahl geht deutlich darüber hinaus. Für die Regelung findet sich im
Bescheid keine Begründung. Im Gegenteil wird in den Bescheidgründen davon ausgegangen, dass der Einsatz von sieben Ordnern ausreicht (Seite 14 des Bescheides). Der Bescheid trägt die getroffene Regelung nicht (vgl. zum
Begründungserfordernis bei Eingriffen in die Versammlungsfreiheit durch Verfügung hoher Ordnerzahlen VG Würzburg, B.v. 21.03.2011 Nr. W 5 S 11.219). Es ist auch nicht so, dass die Umstände der konkreten Versammlung eine
Abweichung von der Regel zwingend erfordert hätten. Zwar trifft es zu, dass die Versammlung des Klägers eine erhebliche öffentliche, auch mediale, Aufmerksamkeit hervorrief. Auch war in der Tat mit einer großen Anzahl von
Gegendemonstranten zu rechnen. Das alleine rechtfertigt aber noch nicht die hohe Ordnerzahl. Etwas anderes mag gelten, wenn in einer Versammlung ein Fahrzeug oder sonstiges Beiwerk mitgeführt wird, von dem erhöhte
Sicherheitsrisiken ausgehen (vgl. etwa die Fallkonstellation, die dem Urteil der Kammer vom 25.10.2012 Nr. W 5 K 12.54 zugrunde lag). Vorliegend sieht die Kammer keine durchgreifenden Anhaltspunkte, um vom Grundsatz „ein
Ordner pro angefangene 25 Versammlungsteilnehmer" abzuweichen. Die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 BayVersG liegen nicht vor.
6. Keinen Bestand haben kann auch Nr. 2.13 Satz 3 des Bescheids, der zufolge die Ordner den Zug an der Spitze, am Ende und seitlich zu begleiten und zu begrenzen hatten.
Grundsätzlich ist es Sache des Versammlungsleiters, an welcher Stelle des Aufzugs er sich der Ordner bedient. Der Ordnereinsatz muss flexibel gestaltbar sein. Eine Begrenzung der Versammlung durch Ordner ist auch nicht
sinnstiftend, weil die Versammlung jederzeit verlassen werden und zu ihr jederzeit hinzugetreten werden können muss (vgl. VG Würzburg, B.v. 29.03.2013 Nr. W 5 S 13.264).
7. Nr. 2.14, Spiegelstrich 3, Klammerzusatz und Nr. 2.19 des angegriffenen Bescheides sind rechtswidrig, soweit die Verwendung von schwarz-weiß-roten Fahnen und von Parteifahnen verboten wird. Nr. 2.20 und Nr. 2.21 des
Bescheids sind rechtswidrig, soweit die Anzahl der schwarzen Fahnen auf zehn beschränkt wird und soweit verfügt wird, pro 15 Teilnehmer dürfe, unter Anrechnung der schwarzen Fahnen, maximal eine Fahne mitgeführt werden.
Mit dem Zeigen von symbolträchtigen Gegenständen wie einer Fahne wird von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht (BVerfG, B.v. 29.03.2002 Nr. 1 BvQ 9/02, NVwZ 2002, 983). Beschränkungen, die mit dem Inhalt einer
Meinungsäußerung begründet werden, sind am Maßstab des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GG zu beurteilen. Die Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes schlechthin konstituierend. Es gilt die
Vermutung zugunsten freier Rede in öffentlichen Angelegenheiten. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Eine Grenze
besteht nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GG, soweit Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind. Davon kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden. Das Mitführen
von schwarzen und schwarz-weiß-roten Fahnen sowie von Fahnen nicht verbotener Parteien erfüllt weder den Tatbestand der Volksverhetzung des § 130 StGB noch den Straftatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die
Verwendung von Kennzeichen bestimmter politischer Organisationen unter Strafe stellt. Der schwarzen Fahne fehlt es schon an einem eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogenen Symbolgehalt (BVerfG, B.v. 29.03.2002,
a.a.O.). Zur schwarz-weiß-roten Fahne besteht zwar eine Affinität des äußersten rechten Randes des politischen Spektrums; dies macht die schwarz-weiß-rote Fahne aber nicht zum Kennzeichen einer verbotenen
nationalsozialistischen Organisation i.S.v. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB (VGH Baden-Württemberg, B.v. 15.06.2005, Nr. 1 S 2718/04, NJW 2006, 635). Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände ist das Zeigen dieser Fahne auch nicht
gem. § 130 StGB strafbar (BayVGH, B.v. 18.05.2006 Nr. 24 CS 06.1290; OVG Thüringen, B.v. 13.03.1998 Nr. 2 ZEO 341/98; VG Würzburg, B.v. 26.04.2010 Nr. W 5 S 10.330).
Überschreiten die zu erwartenden Meinungsäußerungen die Schwelle zur Strafbarkeit nicht, sind beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung nur möglich, wenn sich die prognostizierte Gefahr nicht aus dem
Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt. Eine solche Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung kann nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa gegeben sein bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und
potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Ein solcher Sachverhalt ist gegeben, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch
Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. Art. 8 GG schützt zwar Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischen oder in vergleichbarer Weise
aggressiven und einschüchternden Begleitumständen (BVerfG, B.v. 05.09.2003, Nr. 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004, 90; B.v. 19.12.2007 Nr. 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671; VG Würzburg, a.a.O.).
Maßgeblich für eine solche Beurteilung ist das Gesamtgepräge einer Demonstration. Dabei ist davon auszugehen, dass das Mitführen von schwarzen und schwarz-weiß-roten Fahnen sowie von Parteifahnen einen Umstand darstellen
kann, der im Zusammenwirken mit anderen Elementen einem Demonstrationszug ein einschüchterndes, aggressives und an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft erinnerndes Gepräge verleihen kann. Auch mag das Mitführen
einer übergroßen Anzahl solcher Fahnen geeignet sein, an die Fahnenaufmärsche zur Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern und einschüchternd auf die Bevölkerung zu wirken. Derartiges ist im vorliegenden Fall angesichts der
zahlreichen hilfsweise von der Beklagten verfügten und vom Kläger nicht angegriffenen Auflagen allerdings nicht zu erwarten. Ungeachtet der Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen im Einzelnen, die vorliegend nicht Gegenstand der
gerichtlichen Überprüfung sind, ist hinreichend gewährleistet, dass ein Einschüchterungseffekt durch eine sich unmittelbar aufdrängende Assoziation mit Aufmärschen des NS-Regimes oder der Eindruck eines paramilitärischen
Aufmarsches nicht entstehen kann. In Anbetracht dieser umfangreichen Beschränkungen ist das reine Mitführen von schwarz-weiß-roten Fahnen und mehr als zehn schwarzen Fahnen sowie von Parteifahnen vorliegend nicht geeignet,
das Gepräge der Demonstration abschließend in dem Sinne zu bestimmen, dass es die Identifikation mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hervorruft und andere Bürger einschüchtert (vgl. zum
Mitführen der Reichskriegsflagge: BayVGH, B.v. 18.05.2006 Nr. 24 CS 06.1290; OVG Thüringen, B.v. 13.03.1998, a.a.O.; VG Augsburg, U.v. 04.04.2007 Nr. Au 4 K 06.1058). Tatsächliche Anhaltspunkte für eine einschüchternde
Wirkung wurden auch seitens der Beklagten nicht benannt. Die verfügten Beschränkungen können deshalb so keinen Bestand haben.
Den von der Beklagten zur Begründung ihrer Verfügung angeführten Beschluss des BVerfG vom 29.03.2009 gibt es im Übrigen nicht. Soweit der Beschluss vom 29.03.2002 Nr. 1 BvQ 9/02 gemeint ist, stellt sich der dieser
Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt grundsätzlich anders dar. Der seinerzeitige Kläger hatte beim BVerfG angeregt, die Zahl der Fahnen gegebenenfalls festzulegen.
8. Nr. 2.25 des angegriffenen Bescheids, der das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken der Buchstaben bzw. Zahlenfolgen bestimmte Buchstaben- oder Zahlenfolgen ergeben
können, verbietet, ist rechtswidrig.
Ein gesetzliches Verbot zum Zeigen der genannten Buchstaben- und Zahlenkombinationen besteht nicht, sie erfüllen namentlich weder einen Straftatbestand nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 Satz 2 StGB noch ist ihr Tragen geeignet, die
öffentliche Ordnung zu verletzen. Soweit die Zahlenkombinationen „14", „18" und „88" genannt sind, erscheint eine Auflage zum Schutz der öffentlichen Ordnung schon deswegen nicht erforderlich, weil eine breitere Öffentlichkeit
diese Zahlen weder dem Nationalsozialismus überhaupt zuordnen kann noch ihre Bedeutung kennt (vgl. VG Bayreuth, B.v. 16.08.2011 Nr. B 1 K 09.124 m.w.N.).
Auch das Verbot von Kleidung mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstabenkombinationen „NS", „NSD", „NSDAP", „SS", „SA" und „ACAB" herstellen lassen, kann nicht auf Art. 15 BayVersG
gestützt werden. Das sichtbare Tragen von nationalsozialistischen Kennzeichen in einer Versammlung erfüllt zwar den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ebenso wäre das sichtbare Tragen der Abkürzung „ACAB" als
Beleidigung ( § 185 StGB) strafbar, wenn sie für die Parole „all cops are bastards" verwendet wird und damit speziell die die Versammlung begleitenden Polizeibeamten verunglimpft werden sollen (VG Bayreuth, a.a.O., Sächsisches
OVG U.v. 28.07.2009 Nr. 3 B 60/06; OLG Stuttgart, B.v. 23.06.2008 Nr. 1 Ss 329/08, NStZ-RR 2009,50). Die Auflage richtet sich jedoch nicht einmal konkret gegen das Tragen dieser verbotenen Aufschriften. Sie ist vielmehr so
weit gefasst, dass damit praktisch das Tragen jeder Bekleidung mit Aufschriften untersagt wird, weil sich aus einer Vielzahl von beliebigen Beschriftungen diese Buchstaben- oder Zahlenkombinationen herstellen lassen. Sie untersagt
damit ein ohne weiteres Zutun (Verdecken, Abkleben etc.) erlaubtes Verhalten (vgl. dazu Sächsisches OVG vom 28.07.2009, a.a.O.). Dass Anhaltspunkte vorliegen, nach denen in der streitgegenständlichen Versammlung eine
erhebliche Anzahl von Teilnehmern Bekleidungsstücke in der beschriebenen Art tragen wollte, ist im Bescheid ebenso wenig dargelegt wie begründet wird, weshalb dadurch eine einschüchternde Wirkung erzielt werden kann. Dabei
ist bereits fraglich, ob die aufgeführten Buchstabenkombinationen überhaupt dazu geeignet sind. Dies mag dann der Fall sein, wenn die Versammlungsteilnehmer einer rechtsradikalen Versammlung durch das massenhafte Tragen
derartiger Aufschriften den Eindruck erwecken wollen, dass sie in der Nachfolge ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen stehen. Davon kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Der streitgegenständliche Bescheid
enthält auch keine weitere Begründung für die verhängte Auflage.
9. Nr. 2.30 des angegriffenen Bescheides, der den Versammlungsleiter verpflichtet, der Beklagten bis spätestens 29. März 2013, 21:00 Uhr, eine Liste mit den Rednern (Name, Geburtsdatum, Anschrift) vorzulegen, ist rechtswidrig.
Die Vorlage einer Rednerliste kann nicht verlangt werden. Garant der Gestaltungsfreiheit bezüglich der Redebeiträge ist Art. 5 Abs. 1 GG (Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., RdNr. 46 zu § 1 sowie RdNr. 100 zu
§ 15). Eine Rednerliste kann wegen des grundsätzlich wirkenden Zensurverbots jedenfalls dann nicht verlangt werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass durch Äußerungen eines Redners die öffentliche Sicherheit
unmittelbar und nennenswert gefährdet würde (vgl. dazu ausführlich VG Würzburg, U.v. 12.03.2009 Nr. W 5 K 08.1758 m.w.N. sowie VG Würzburg, U.v. 17.05.2001 Nr. W 5 K 00.1345).
10. Keinen Rechtsbedenken begegnet hingegen Nr. 2.18 des angegriffenen Bescheides, welche die Länge von Seitentransparenten auf 3 m beschränkt.
Der mit der Einschränkung verbundene Eingriff in das Versammlungsrecht ist allenfalls marginal (BayVGH, B.v. 09.12.2005 Nr. 24 CS 05.3215). Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits in einem Urteil vom 3.
November 1997 (Nr. 24 B 95.3713, BayVBl 1998, 565) ausgeführt, dass es grundsätzlich möglich ist, auch hinsichtlich der Mitführung von Transparenten Auflagen zu treffen. In seinem Beschluss vom 5. Februar 2004 Nr. 24 CS
04.347 wurde selbst das Verbot des Mitführens von Längstransparenten für rechtmäßig erachtet.
Es erscheint vorliegend angesichts der Umstände der Versammlung mit einer Korridorlösung zum Schutze der Versammlung vor Beeinträchtigungen durch Gegendemonstrationen sachgerecht, wenn nicht geboten, die Verwendung
von Längstransparenten zu begrenzen. Zudem wird es nur so möglich gemacht, etwa störende Teilnehmer aus der Menge entfernen zu können, ohne größere Behinderungen befürchten zu müssen. Transparente in Längsrichtung sind
geeignet, Maßnahmen von Trägern von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Da, wie bereits dargelegt, mit der Längenbegrenzung verwendeter Seitentransparente eine nur unerhebliche und verhältnismäßige Belastung der
Versammlungsteilnehmer verbunden ist, findet ein nennenswerter Eingriff in die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit durch die angegriffene Bescheidregelung nicht statt. Angesichts der geringen Belastung einerseits und der
möglichen Gefahren einerseits erscheint es deshalb hinnehmbar, die Länge etwaiger Seitentransparente zu limitieren.
11. Auch Nr. 2.3 des angefochtenen Bescheides, der sog. Knüppelfahnen verbietet, begegnet keinen Bedenken. Bezüglich der Regelung zur Mindestlänge von Plakatstangen hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass es
aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchaus sachgerecht und notwendig erscheint, die Länge und Stärke von Stangen, die bei einer Veranstaltung mitgeführt werden, zu regeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass
Gegenstände mitgeführt werden, die, ohne dass dies für Zwecke der Versammlung erforderlich wäre, als Waffen genutzt und herangezogen werden können. Art. 15 BayVersG erlaubt es, solche Gefahren abzuwehren (BayVGH, B.v.
09.12.2005 Nr. 24 CS 05.3215). Gleiches gilt für sog. Knüppelfahnen, also Fahnen, deren Stangen als Knüppel genutzt werden können (zum Begriff vgl. im Übrigen S. 16 der Bescheidgründe: „Knüppelplakate"). Konkreter
Anhaltspunkte für eine unfriedliche Verwendung von Versammlungsutensilien bedarf es nicht, weil die Gefährlichkeit auf der Hand liegt. Die Einschränkung der Versammlungsteilnehmer ist im Übrigen auch hier marginal.
12. Nr. 2.36 des angegriffenen Bescheides, der das Fotografieren von Gegendemonstranten und unbeteiligten Personen verbietet, ist rechtmäßig.
Auch die mit diesem Verbot verfügte Einschränkung der Versammlungsteilnehmer ist geringfügig. Abgesehen davon konnte die Beklagte die beanstandete Regelung zur Abwehr der Gefahr der Begehung von Straftaten nach den §§ 22
und 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 19.06.2013 Nr. 11 LA 1/13) treffen. Rechte wie linke Extremisten sind dazu übergegangen, Fotografien der jeweiligen Gegner - gegebenenfalls unterlegt mit
Name und Adresse - in Internetbeiträgen zu veröffentlichen (sog. Outingaktionen - vgl. Ullrich, „Typische Rechtsfragen bei Demonstration und Gegendemonstration/Gegenaktionen", Nr. III. Vermummung und wechselseitiges
Fotografieren, DVBl 2012, 666). Es ist grundsätzlich nicht erlaubt, Fotografien von Dritten ohne deren Einwilligung zu fertigen (Ullrich, a.a.O., m.w.N.). Die Sicherheitsbehörden sind im Rahmen der Gefahrenabwehr befugt, die
rechtswidrige Anfertigung solcher Fotografien zu verhindern (Ullrich, a.a.O.). § 23 KunstUrhG erlaubt demgegenüber nur das Fotografieren einer Demonstration, nicht aber das gezielte Aufnehmen einzelner Teilnehmer (Ulrich,
a.a.O., m.w.N.).
Es ist auch nicht Sache der Versammlungsteilnehmer, sondern der Polizei, Straftaten Dritter zu dokumentieren. Die in der Klagebegründung aufgeführten Interessen sind versammlungsrechtlich nicht geschützt.
13. Nach alledem war die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides der Beklagten, wie tenoriert, festzustellen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. ..."
***
"... Der Kläger wendet sich gegen ein versammlungsrechtliches Verbot. Er meldete mit Schreiben vom 4. September 2013 bei der Beklagten eine Versammlung für den 7. September 2013 zum Thema „...!" an. Die Teilnehmerzahl
wurde mit 20 angegeben. Als Veranstaltungsort war der ...platz am ... genannt, alternativ der ...platz oder der Platz an der Ecke ...gasse/...straße. In der Gefährdungsbewertung vom 5. September 2013 führte das Polizeipräsidium ... aus,
auf Grund der aktuellen Baustellensituation sei der ...platz in ... für die Kundgebung als ungeeignet einzustufen. Im Gegensatz dazu würden andere Plätze in der Innenstadt als deutlich weniger problematisch eingestuft. Die
Erfahrungen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass der ...platz mit Abstand die günstigsten einsatztaktischen Rahmenbedingungen biete. Den Behördenakten ist weiter zu entnehmen, dass an den vom Kläger benannten Plätzen
(außer am ...platz) zum gewünschten Zeitraum bereits Info-Veranstaltungen anderer Veranstalter angemeldet worden waren. ...
2. Die Klage ist möglicherweise auch teilweise begründet.
a) Keine Bedenken rechtlicher Art bestehen dabei zunächst an dem in Ziffer 1. Satz 1 ausgesprochenen Verbot der Versammlung an den vom Kläger zunächst beantragten Plätzen.
Nach Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen lagen - wie auch der Bevollmächtigte des Klägers selbst einräumt - vor. Der ...platz am ... sowie der Platz an der Ecke
...gasse/...straße/...straße waren bereits durch zuvor angemeldete und „genehmigte" Veranstaltungen belegt. Der ...platz stand als geeigneter Versammlungsort angesichts der zum Zeitpunkt der geplanten Versammlung gegebenen
Situation (Baustellenlager) nicht zur Verfügung. Auf die nachvollziehbaren Ausführungen hierzu in der polizeilichen Gefährdungsbewertung vom 5. September 2013 kann Bezug genommen werden.
b) Fraglich ist hingegen, ob auch das in Ziffer 1. Satz 2 ausgesprochene Verbot jeder Ersatzveranstaltung im Stadtgebiet am 7. September 2013 (versehentlich ist im Bescheid auf Grund eines Schreibfehlers der 4.9.2013 genannt)
rechtmäßig erfolgte.
Zwischen den Beteiligten ist weitgehend unstreitig, dass die geplante Versammlung am ...platz hätte durchgeführt werden können. Dort wäre auch nach Einschätzung der Polizei mit wesentlichen Beeinträchtigungen nicht zu rechnen
gewesen. Jedenfalls ist den Behördenakten kein Anhaltspunkt für die Annahme zu entnehmen, dass es bei der Durchführung der Versammlung am ...platz zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
gekommen wäre. Nicht zu folgen vermag die Kammer der Annahme im angegriffenen Bescheid, die Beklagte und die Polizei als Sicherheitsbehörden könnten für eine Vielzahl zu erwartender Personen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung nicht sicherstellen. Hierfür liegen, jedenfalls soweit damit die Annahme verbunden ist, weitere Veranstaltungen dürften im Stadtgebiet nicht stattfinden, keinerlei verwertbare Anhaltspunkte vor.
Zu klären sein wird im Hauptsacheverfahren, ob dem Kläger vor dem angemeldeten Versammlungszeitpunkt der Ersatzplatz hätte angeboten werden müssen. Den Behördenakten ist hierzu nichts zu entnehmen. Danach haben weder
ein Kooperationsgespräch noch eine Anhörung stattgefunden. Der Schutz des Art. 8 GG hätte eine solche Verfahrensweise aber möglicherweise geboten. In gleicher Weise finden sich im angegriffenen Bescheid, jedenfalls soweit es
das Verbot der Versammlung betrifft, keinerlei Ausführungen zur Frage, ob ein anderer Platz im Stadtgebiet zur Verfügung steht. Auch insoweit wird zu prüfen sein, ob die Beklagte von ihrem Ermessen in ausreichendem Umfang
Gebrauch gemacht hat. ..." (VG Augsburg, Beschluss vom 22.11.2013 - Au 1 K 13.1499)
***
"... Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Antrag zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die streitgegenständlichen Auflagen erscheinen nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen
Rechten. Das Gericht schließt sich insoweit zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst der überzeugenden Begründung des angefochtenen Bescheides sowie den sehr ausführlichen und nachvollziehbar begründeten
Darlegungen in der unter I. wiedergegebenen Antragserwiderung des Landratsamts Wunsiedel i. F. an und sieht insoweit von einer gesonderten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend ist zur
Sache sowie zum Antragsvorbringen noch folgendes auszuführen:
Die streitgegenständlichen Auflagen für die Kundgebung am 16.11.2013 sind rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Auffassung der Kammer ist das Landratsamt Wunsiedel i. F. zu Recht vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei einer Durchführung der Versammlung ohne diese Auflagen ausgegangen und hat diese in nicht zu beanstandender Weise gemäß Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BayVersG verfügt. Auch das
Gericht geht aufgrund der gesamten Vorgeschichte, insbesondere auch des Ablaufs der Kundgebungen in Wunsiedel in den letzten Jahren, davon aus, dass der Antragsteller und seine Gesinnungsgenossen beabsichtigen, die
Kundgebungen in Wunsiedel als Ersatz für die verbotenen Heß-Gedenkkundgebungen auszugestalten und ihnen ein entsprechendes Gepräge zu verleihen. Dies zeigen auch die seitens des Antragsgegners vorgelegten Ausdrucke aus
dem Internet mit Teilnahmeaufrufen des Freien Netzes Süd - zu dem der Antragsteller als maßgeblicher Repräsentant zu rechnen ist - deutlich auf, indem dort das (aufgelassene) Grab von Rudolf Heß und ein Gedenken an jene
„Helden der nationalen Bewegung, die sich im Laufe der Geschichte für die Freiheit Deutschlands aufopferten" angesprochen werden. Wie die Kammer zu früheren Heß-Kundgebungen mehrfach rechtskräftig entschieden hat und wie
dies vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (insbesondere BayVGH, U.v. 26.3.2007 - 24 B 06.1894 - BayVBl 2008, 109), dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, U.v. 25.6.2008 - 6 C 21.07 - NJW 2009, 98 und BayVBl 2009,
50) und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 - NJW 2010, 47 und BayVBl 2010, 234) rechtskräftig bestätigt wurde, wird der Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB, durch Kundgebungen zum
Gedenken an Rudolf Heß in Wunsiedel erfüllt. Würde, wie offenbar vom Antragsteller beabsichtigt (auf Seite 3 der Antragsschrift wird deutlich ausgeführt, dass „man auch Rudolf Heß als Helden oder auch Märtyrer betrachten und
ihn als solchen auch öffentlich bezeichnen und erwähnen" kann!) bei der streitgegenständlichen Versammlung an Rudolf Heß gedacht - sei es explizit oder auch in Anspielungen -, so würde diese Kundgebung eindeutig einen
Charakter annehmen, wie ihn die früher durchgeführten Heß-Gedenkkundgebungen aufwiesen und gegen § 130 Abs. 4 StGB verstoßen. Um dies zu unterbinden, hat die Versammlungsbehörde die angefochtenen Auflagen
beanstandungsfrei verfügt. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 13. November 2009 - 10 CS 09.2811 - zu einer gleichartigen Kundgebung in Wunsiedel das Verbot der Versammlung
nur unter der Maßgabe verfügt, „jede Form der Erwähnung von Rudolf Heß zu unterlassen". Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 - (u.a. NJW 2000, 3053) im Hinblick auf
die Gefahr einer Umwidmung einer Veranstaltung in eine Heß-Kundgebung angeordnet, dass „Aussagen zum Todestag von Rudolf Heß" unterbleiben müssen.
Soweit seitens des Antragstellers geltend gemacht wird, dass in strafrechtlichen Entscheidungen zur Errichtung von Rudolf-Heß-Gedenkstätten eine Strafbarkeit verneint worden sei, weist die Versammlungsbehörde zu Recht darauf
hin, dass dies mit der Durchführung einer Kundgebung in Wunsiedel unter Bezugnahme auf Rudolf Heß nicht vergleichbar ist, da letztere viel stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht und eine Durchführung mit einem solchen
Gepräge insbesondere auch von den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Angehörigen als Verherrlichung einer der führenden Personen und Ideologen des Nationalsozialismus, sowie damit einhergehend zumindest als Billigung
der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft gesehen und bewertet werden würde. ..." (VG Bayreuth, Beschluss vom 15.11.2013 - B 1 S 13.821)
***
Die Auflage, eine Versammlung auf einen anderen Tag zu verlegen, kann im Einzelfall einem Verbot der Versammlung gleichkommen. Die konkrete Gefahr durch die Versammlung veranlasster gewalttätiger Auseinandersetzungen
kann dem Charakter eines Gedenktages so sehr widersprechen, dass die dadurch verursache Störung der öffentlichen Ordnung ein Verbot der Versammlung rechtfertigt. Es ist Aufgabe der Polizeibehörde tatsachengestützte
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr darzulegen. Bloße Vermutungen reichen nicht aus (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.11.2013 - 14 L 1550/13)
***
Zur Gefahrenprognose bei Änderung des Streckenverlaufs der Versammlung. Demonstration gegen die Beschränkung der Reisefreiheit von Fußballfans Fanmarschverbot (VG Bremen, Beschluss vom 01.11.2013 - 5 V 1993/13):
„... Rechtsgrundlage für die Verfügung ist § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG). Danach kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach
den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit
umfasst die Unverletzlichkeit zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (BVerfGE 69, 315).
Eine unmittelbare Gefährdung liegt vor, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe ist, dass er jederzeit, unter Umständen sofort, eintreten kann (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl., § 15, Rdnr. 28). Für die
versammlungsrechtliche Gefahrenprognose gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) strenge Anforderungen (vgl. BVerfG, B. v.
06.06.2007 - 1 BvR 1423/07 = NJW 2007, 2167, 2168). Der Prognosemaßstab der ‚unmittelbaren Gefährdung' erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 = NJW 2001, 1407, 1408 und B. v. 06.06.2007, a. a. O., S. 2168). Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder
Tatsachen zu der geplanten Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.05.2001, Az. 1 BvQ 21/01 = NJW 2001, 2078, 2079).
Gemessen daran sind die angegriffenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen und Auflagen in der Verfügung vom 30.10.2013 voraussichtlich nicht zu beanstanden. Bei summarischer Prüfung ist das Gericht der Überzeugung,
dass die Durchführung des Aufzuges in der angemeldeten Form und ohne die angefochtenen Beschränkungen zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen würde.
a) Die Veränderung des Streckenverlaufs zur Vermeidung eines Aufeinandertreffens rivalisierender Fangruppen wird sich aller Voraussicht nach als rechtlich unbedenklich erweisen.
aa) Entgegen der von der Antragsgegnerin in ihrer Verfügung gewählten Formulierung handelt es sich bei der Untersagung des angemeldeten und des alternativ vom Antragsteller begehrten Streckenverlaufs nicht um ein
versammlungsrechtliches Verbot, sondern lediglich um eine beschränkende Verfügung. Wenn eine geplante Versammlung für den vorgesehenen Ort oder für die vorgesehene Zeit untersagt wird, liegt kein Verbot, sondern lediglich
eine Beschränkung der Gestaltungsfreiheit vor. Die Versammlung darf an einem anderen Ort stattfinden. Es liegt im Ermessen der Behörde, den Veranstalter auf einen Veranstaltungsort zu verweisen, an dem eine möglichst
störungsfreie Durchführung einigermaßen gewährleistet werden kann. Eine zeitliche oder örtliche Verschiebung der Versammlung kommt nur dann einem Verbot gleich, wenn das mit der Versammlung verbundene Anliegen von
einem bestimmten symbolhaften Zeitpunkt oder Ort unlösbar abhängig ist, so dass sie bei zeitlicher oder örtlicher Verlegung ihren Sinn verliert (Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Auflage, 1994,
§ 15 Rdnr. 36). Eine solche Feststellung kann in Hinblick auf die hier angemeldete Versammlung nicht getroffen werden. Der vom Veranstalter gewünschte zeitliche Zusammenhang zwischen der Versammlung und dem
Bundesligaspiel SV Werder Bremen gegen A-Stadt 96 ist nach wie vor gewahrt. In zeitlicher Hinsicht sind gegenüber der Anmeldung keine Veränderungen vorgenommen worden. In örtlicher Hinsicht kann nach dem Motto der
Versammlung ein zwingender Zusammenhang mit dem Weserstadion nicht angenommen werden. Dem Anliegen der Versammlungsteilnehmer, die Kritik an den aus ihrer Sicht von den Bremer Ordnungsbehörden praktizierten
‚Beschränkungen der Reisefreiheit für Fußballfans', die in der Unterbindung von Fanmärschen zum Weserstation erblickt werden, kann auch dadurch hinreichend Ausdruck verliehen werden, dass die dafür verantwortlichen Behörden
Ziel der Demonstrationszüge sind. Der Aufzug führt zudem über Straßen und Stadtteile, die aufgrund der Wohnbevölkerung und vor allem auch unter dem Blickwinkel der auf diesen Straßen sonst üblichen Verkehrsfrequenz eine
ausreichende öffentliche Wahrnehmung ermöglichen.
bb) Die in der Veränderung des Streckenverlaufs liegende Beschränkung der Versammlung erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG.
(1) Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei der
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung oder mit einem
anderen Streckenverlauf durchgeführt werden darf. Unter Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings bei dem Erlass von solchen Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen. Auch bei solch geringeren Eingriffen in die Versammlungsfreiheit sind als Grundlage der Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich (vgl. BVerfG, B. v.
20.12.2012 - 1 BvR 2794/10, DVBl. 2013, 367 ff.).
Nach gegenwärtiger Erkenntnis wäre bei einer Durchführung des Aufzuges mit dem angemeldeten Streckenverlauf von einer unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen.
Das Gericht hält insoweit die Einschätzung der Gefährdungssituation durch die Antragsgegnerin für nachvollziehbar. Die Gefährdungseinschätzung wird durch die dargelegten Geschehnisse, die sich im Zusammenhang mit den
Bundesligaspielen zwischen dem SV Werder Bremen und A-Stadt 96 ereignet haben, in tatsächlicher Hinsicht ausreichend belegt. Die polizeilichen Feststellungen belegen hinreichend, dass es seit 2009 regelmäßig zu gewaltbereiten
Auseinandersetzungen mit aus A-Stadt angereisten Fans im Zusammenhang mit den Bundesligaspielen gekommen ist. So seien bei einem Fanmarsch 2009 Flaschenwürfe auf Polizeivollzugsbeamte erfolgt. Außerdem sei es zu
diversen Sachbeschädigungen gekommen. Noch im gleichen Jahr sei nach dem Spiel versucht worden, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Im Jahr 2011 seien zahlreiche Ingewahrsamnahmen gewaltbereiter Fußballfans aus
A-Stadt erfolgt. Beim Verlassen des Fanbereichs nach Spielende sei es zu Übergriffen auf Ordnungskräfte gekommen. Im darauf folgenden Jahr seien so genannte Ultras von A-Stadt 96 festgehalten und pyrotechnische Gegenstände
sichergestellt worden. Schließlich seien im Februar dieses Jahres ca. 400 H96-Fans auf dem Weg nach Bremen in Achim aus dem Zug gestiegen, um den Shuttle-Verkehr ab Bremen Hauptbahnhof zu umgehen. Auch hier sei es zu
Ausschreitungen mit der Bundespolizei gekommen.
Das Gericht hat keinen Anlass diese auf polizeilichen Feststellungen beruhenden Darlegungen der Antragsgegnerin in Frage zu stellen. Sie werden vom Antragsteller auch nicht subtantiiert bestritten. Eines Belegs durch Vorlage jeder
einzelnen Strafanzeige und unzähliger Polizeiberichte bedarf es insoweit nicht. Die Antragsgegnerin ist im Eilverfahren zunächst gehalten, konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte für ihre Gefahrenprognose zu benennen. Dieser
Verpflichtung ist sie durch die eingehende Schilderung der einzelnen Vorkommnisse nachgekommen.
Der Antragsteller geht auch fehl in der Annahme, dass diese Ereignisse keinen Zusammenhang mit der von ihm angemeldeten Veranstaltung aufwiesen. Es liegt auf der Hand, dass eine Demonstration unter dem Motto ‚Reisefreiheit
für Fußballfans' in einem zeitlichen Zusammenhang mit einem Auswärtsspiel von A-Stadt 96 in Bremen sich gezielt gegen die Maßnahmen bremischer Ordnungsbehörde gegen auswärtige Fußballfans richtet. Deshalb steht auch zu
erwarten, dass sich gerade diejenigen Fußballfans von A-Stadt 96 der Versammlung als Teilnehmer anschließen werden, die in der Vergangenheit von diesen Maßnahmen betroffen gewesen sind. Da von diesen Gruppierungen in der
Vergangenheit immer wieder gewaltbereite Aktionen ausgegangen sind, spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch im Rahmen der Versammlung von einzelnen Teilnehmern Straftaten zu befürchten sind. Es ist
davon auszugehen, dass gewaltbereite Personen aus dem Schutz des Aufzuges heraus die Gelegenheit suchen werden, um Sachbeschädigungen zu begehen, aber auch um die unmittelbare körperliche Konfrontation mit der Polizei und
gegnerischen Fans zu suchen und somit die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Damit liegen auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderten erkennbaren Umstände vor, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung rechtfertigen.
Für die Gefährdungsprognose ist außerdem von Belang, dass sich nach Einschätzung der Polizei ebenso im Lager der Bremer Fußballfans gewaltbereite Gruppierungen befinden, die ein Aufeinandertreffen mit dem verfeindeten
Fanlager für gegenseitige Provokationen und letztlich auch körperliche Auseinandersetzungen nutzen könnten. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Antragsgegnerin vor diesem Hintergrund ein Aufeinandertreffen der beiden
verfeindeten Fanlager zur Vermeidung gewaltsamer Auseinandersetzung unbedingt unterbinden möchte. Die mit den Fantransporten zum Weserstadion für erforderlich gehaltene Gewährleistung eines sicheren Zugangs der
auswärtigen Fans zum Weserstadion soll nach Einschätzung der Antragsgegnerin auch nicht in Hinblick auf angemeldete Versammlung aufgegeben werden.
Eine besondere Gefahrenlage entsteht vorliegend schließlich daraus, dass im Umfeld des Weserstadions ein Demonstrationszug gegnerischer Fans nach den nachvollziehbaren Darlegungen der Antragsgegnerin nicht gesichert werden
könnte. Die örtlichen Verhältnisse mit einer bis an das Weserstadion heranreichenden dichten Bebauung, engen Straßen, Unterführungen sowie zahlreichen Gaststätten mit Außenbewirtung lassen eine weiträumige Absicherung der
Versammlungsteilnehmer und eine schnelles und massives Einschreiten gegen Störer nicht zu. Das gilt insbesondere wenige Stunden vor Spielbeginn, wenn sich um das Weserstadion bereits zahlreiche Besucher einfinden und
Massenansammlungen zu Verkehrsbeeinträchtigungen führen. In diesem Zeitraum ist die Sicherheitssituation bereits ohne einen Demonstrationsaufzug auswärtiger Fußballfans hinreichen angespannt.
(2) Die Antragsgegnerin hat die versammlungsrechtliche Auflage auch zu Recht gegen den Antragsteller als Anmelder gerichtet. Zwar ist der Antragsteller vorliegend als Nichtstörer anzusehen, weil nicht davon auszugehen ist, dass
ein überwiegender Teil der Versammlungsteilnehmer sich unfriedlich verhalten wird. Wenn nur wenige (potentielle) Teilnehmer gewalttätig sind, rechtfertigt dies grundsätzlich kein Versammlungsverbot. Denn anderenfalls hätten
einige Gewalttäter es in der Hand, die Veranstaltung umzufunktionieren, sodass dann praktisch jede größere Versammlung verboten werden könnte (BVerfG, NJW 2007, 2167, 2170). Ist zu erwarten, dass der Veranstalter und sein
Anhang sich überwiegend friedlich verhalten und Störungen lediglich einzelnen Teilnehmern oder von Außenstehenden (Gegendemonstrationen, Störergruppen) ausgehen, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer
richten und es darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes gegen die Versammlung als ganzes eingeschritten werden (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341). Dies setzt voraus, dass die
Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuziehen, zum Schutz der von dem
Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10).
Die Antragsgegnerin hat eingehend dargelegt, dass ein Schutz der Demonstration auch bei einem Aufgebot mehrerer Hundertschaften unter den örtlichen Gegebenheit im Umfeld des Weserstadions und zudem in den Stunden vor dem
Spielbeginn nicht möglich sei. Der vom Antragsteller begehrte Streckenverlauf ließe sich nur realisieren, wenn die Demonstration gerade nicht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Bundesligaspiel beabsichtigt gewesen wäre. Eine
Sicherung der Demonstration, insbesondere eine Verhinderung des Aufeinandertreffens gegnerischer Fangruppen wäre mit angemeldeten Streckenverlauf nur möglich gewesen, wenn die Bremer Fans und letztlich nahezu alle
Zuschauer für den Zeitraum der Demonstration weiträumig von der Veranstaltung ferngehalten werden könnten. Das ist aber gerade bei der Hamburger Straße und allen weiteren Straßen im Umfeld des Weserstadion wenige Stunden
vor Spielbeginn schon aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar. Die Polizei wäre bei dem geplanten Routenverlauf voraussichtlich trotz der massiven Polizeipräsenz nicht in der Lage, Störer von Nichtstörern zu trennen und
die drohenden Gefahren abzuwenden. Die von der Antragsgegnerin angeführte räumliche Enge des betroffenen Bereiches und die hohe Anzahl der in diesem Bereich zu erwartenden Besucher lassen einen Aufzug auswärtiger wie auch
heimischer Fangruppen nicht zu.
(3) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die verfügte Streckenänderung ist geeignet, die drohenden Gefahren abzuwenden. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Die verfügte Streckenänderung erscheint auch angemessen, d.h.
verhältnismäßig im engeren Sinne. Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn eine Versammlung verboten wird oder nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahe
kommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.06.2007, Az. 1 BvR 1423/07, NJW
2007, 2167). Durch die verfügte Streckenänderung wird der Zweck der Versammlung vorliegend jedoch nicht vereitelt. Mit der Alternativroute wird dem Antragsteller immer noch ein angemessenes Forum für seine kollektive
kritische Meinungskundgabe gegenüber der Behandlung auswärtiger Fans in Bremen geboten. Der Aufzug darf weiterhin im zeitlichen und räumlichen Kontext zum Bundesligaspiel stattfinden.
b) Die Verfügung ist auch insoweit rechtlich nicht zu beanstanden, als darin dem Veranstalter aufgegeben wird, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Ordner pro 30 Teilnehmer namentlich zu bezeichnen.
Als Rechtsgrundlage ist auch für diese Auflage § 15 VersG heranzuziehen, dessen Voraussetzungen nach den vorstehenden Ausführungen gegeben sind. Die durch beschränkende Verfügung angeordnete Verwendung von Ordnern
bedurfte auch nach § 18 Abs. 2 Satz 1 VersG polizeilicher Genehmigung. Denn der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die Verwendung von Ordnern vom Veranstalter bei der Anmeldung
beantragt wird. Für eine solche enge Auslegung besteht weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift Anlass. Vielmehr erscheint die polizeiliche Genehmigung von Ordnern gerade im Falle eine wie hier
zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit angeordneten Bereitstellung von Ordnern erforderlich. Die Genehmigung von bestimmten Ordnern kann versagt werden, wenn diese Ordner unzuverlässig oder
ungeeignet sind. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit hängt aber davon ab, ob die betreffende Person Gewähr dafür bietet, dass sie ihre Aufgaben als Ordner ordnungsgemäß erfüllt. Die Aufgabe des Ordners besteht in der Mitwirkung
bei der Abwehr von unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die aus der Versammlung drohen. Hinreichende Tatsachen für die Annahme der Unzuverlässigkeit können sich insbesondere einschlägigen Vorstrafen
ergeben. Die hiernach erforderliche Prüfung der Zuverlässigkeit der einzelnen Ordner sowie ihrer Volljährigkeit ist indes nur möglich, wenn die Identität der Ordner der Versammlungsbehörde mitgeteilt wird (vgl. insoweit ausführlich
OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.02.2010 - 7 A 11095/09; besonders eingehend VG Freiburg, Urt. v. 17.05.2010 - 3 K 464/09; demgegenüber ohne nähere Begründung ablehnend VG Gießen, B. v. 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI).
Soweit der Antragsteller demgegenüber auf Kommentarliteratur zu § 9 VersG verweist, lässt sich dies nicht auf die Ordnerproblematik bei Aufzügen unter freiem Himmel übertragen. Besondere Gefahrenlagen können intensive
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Dementsprechend vermögen besondere Gefahrenlagen - wie sie hier gegeben sind - auch die Forderung nach namentlicher Bezeichnung der Ordner zu begründen.
Auch die Anzahl der geforderten Ordner ist in Anbetracht der Gefahrenlage nicht zu bestanden. Sie kann insbesondere nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Bei einer erwarteten Teilnehmeranzahl von 700 wären 23 Ordner
zu benennen. Damit werden für den Veranstalter keine unüberwindbaren Hürden aufgebaut.
3. Schließlich besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, denn diese dient der Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter, insbesondere Leib und Leben der
Besucher des Bundesligaspiels, die bei einer Durchführung des Aufzuges mit unverändertem Streckenverlauf eintreten könnten. Das Interesse des Antragstellers, seinen Aufzug wie geplant durchzuführen, muss gegenüber diesem
öffentlichen Interesse zurücktreten. ..."
***
Der Auftritt mehrerer sog. Rechtsrock Bands bei einem regionalen Treffen eines NPD Kreisverbands kann zu einer unmittelbaren Gefährdung des geistigen und seelischen Wohls von Kindern und Jugendlichen führen. Zur Zulässigkeit
einer versammlungsrechtlichen Auflage, die zur Gewährleistung des Jugendschutzes die Teilnahme von Kindern unter 14 Jahren verbietet und Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren die Teilnahme nur in Begleitung
erziehungsberechtigter oder erziehungsbeauftragter Personen erlaubt (VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 22.10.2013 - 5 K 185/13.NW):
"... Der klagende NPD-Kreisverband begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Auflage im Zusammenhang mit einer von ihm durchgeführten Veranstaltung. Er meldete am 17. September 2012 ein sog. „Pfalztreffen 2012
/Familienfest" für 13. Oktober 2012, 14.00 bis 20.00 Uhr, bei der beklagten Stadt als Versammlung an. Als Ort war der …park vorgesehen, die erwartete Teilnehmerzahl wurde mit 200 angegeben. Verschiedene Bands
(Lunikoffverschwörung, Legion Condor, Aufbruch, infestus und Ns Soundsystem) waren als „musikalische Umrahmung" vorgesehen, außerdem vier Redner. Von den Teilnehmern sollte ein Eintrittspreis von 15 bzw. 18 Euro erhoben
werden. ...
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig. Der angefochtene Verwaltungsakt hatte sich mit der Durchführung der Veranstaltung
am 13. Oktober 2012 bereits erledigt. Eine Überprüfung in einem Widerspruchsverfahren mit dem Ziel der Aufhebung des Verwaltungsakts war daher nicht mehr möglich.
Der Kläger kann auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung geltend machen. Zum einen stellen nämlich Auflagen, die die Teilnahme an einer politischen Versammlung beschränken, einen Eingriff in das Grundrecht
auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG dar, auf das er sich beruft. Zum andern greift auch der Aspekt der Wiederholungsgefahr, denn der Kläger hat zu erkennen gegeben, dass er solche „Pfalztreffen" im Gebiet der Beklagten erneut
veranstalten möchte, während die Beklagte vorträgt, sie werde dies auch in Zukunft, wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht ohne Auflagen hinnehmen.
In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg. Die Auflage Ziffer 6 im Bescheid vom 12. Oktober 2012 war nicht rechtswidrig und verletzte daher den Kläger nicht in seinen Rechten aus Art. 8 Grundgesetz.
Zunächst hält die Kammer an der schon im Beschluss vom 11. Oktober 2012 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geäußerten Auffassung fest, dass die vom Kläger als Kreisverband der NPD als Versammlung angemeldete
Veranstaltung „Pfalztreffen/Familienfest" auch nach den Grundsätzen des Versammlungsrechts zu behandeln ist.
Eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Grundgesetz ist dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist und dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Das war hier der Fall. Es handelte sich zwar weder um eine Demonstration noch um eine Kundgebung zu einem spezifischen politischen Thema oder im Rahmen eines Wahlkampfs oder
einer ähnlichen Kampagne. Es mischten sich in ihr vielmehr Elemente der politischen Meinungskundgabe mit der familiären Atmosphäre einer ungezwungenen Zusammenkunft unter Gleichgesinnten („Familienfest"). Von einem
privaten Fest unterschied sich die Veranstaltung aber zunächst dadurch, dass sie sich an Mitglieder und Anhänger einer politischen Partei, nämlich der NPD, und deren Familienangehörigen richtete, und dass ferner ausdrücklich auch
Redebeiträge vorgesehen waren, und zwar von regionalen Funktionären der Partei sowie einem Gastredner aus Norwegen. Hauptattraktion sollten aber die Darbietungen mehrerer in der rechten Szene beheimateter und dort bekannter
Musikgruppen sein (sog. Rechtsrock-Bands).
Soweit die Beklagte die Veranstaltung deswegen und wegen der verlangten Eintrittspreise als kommerzielle Unterhaltungsveranstaltung betrachtet, ist einzuräumen, dass die äußeren Umstände in gewisser Weise der kommerziellen
Veranstaltung etwa eines kleineren regionalen Open-Air-Rockkonzerts ähneln. Der mit dem Auftritt der Musikgruppen ohne Zweifel verbundene Unterhaltungsfaktor steht jedoch dem überwiegend politischen Charakter der
Veranstaltung nicht entgegen. Im Gegenteil verstärken und prägen die Bands diesen Charakter. Denn ihre Musik transportiert in ihren Texten ihrerseits eine politische Botschaft. Sie soll die Zuhörer entweder in ihrer schon
bestehenden politischen Auffassung bestärken, bestätigen und zusammenführen oder neue Anhänger für die rechts-nationale politische Richtung gewinnen. Auf diese Weise stellt gerade die Musik solcher Bands ein wichtiges
Propaganda-Instrument dar (so in Bezug auf Skinhead-Konzerte VGH-Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Juli 2010 - juris - und BVerwG, Beschluss vom 16. November 2010, 6 B 58/10 - juris -). Hinsichtlich der Band
„Lunikoff-Verschwörung", der Hauptattraktion der Veranstaltung, lässt sich z.B. dem online-Lexikon „"Wikipedia" entnehmen, dass ihr Sänger Michael Regener zuvor Mitglied der Band „Landser" war, die dort als die „bis zu ihrer
Auflösung im Jahre 2003 bundesweit erfolgreichste sowie bekannteste Musikgruppe aus dem neonazistischen Milieu" bezeichnet wird. Die Band „Lunikoff-Verschwörung" tritt häufig im Zusammenhang mit Veranstaltungen der NPD
auf und beteiligte sich auch an den sog. Schulhof-CDs der NPD in den Wahlkämpfen 2004 und 2009 (Quelle: Wikipedia). Die Tonträger solcher Rechtsrock-Bands sind daher auch immer wieder Prüfgegenstand der Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Medien, weil die Möglichkeit besteht, dass sie zum Rassenhass anreizen oder den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen, z.B. für dessen autoritäres Führerprinzip oder für Kriegsbereitschaft
werben oder Adolf Hitler und andere prominente nationalsozialistische Personen als Vorbilder oder auch als tragische Helden darstellen (vgl. dazu den Internetauftritt der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Stichwort „Indizierungsverfahren").
Wenn so aber die Musikdarbietungen der Bands (auch) ein Instrument zur politischen Meinungsbildung bzw. ideologischen Beeinflussung der Teilnehmer der Veranstaltung am 13. Oktober 2012 in Pirmasens waren, ist es
unerheblich, ob die Redebeiträge nur einen untergeordneten Zeitraum der Gesamtveranstaltung ausgefüllt haben. Insgesamt überwog der Versammlungscharakter den auch geselligen und unterhaltenden Charakter dieses „Pfalztreffens".
Die Auflagen im Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2012 müssen sich daher an § 15 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) messen lassen. Danach kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug u.a. von
bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar
gefährdet ist.
Diese Voraussetzungen waren bei der allein streitgegenständlichen Auflage Nr. 6 erfüllt.
Dies gilt zunächst, soweit darin Kindern unter 14 Jahren der Zutritt zur Veranstaltung vollständig untersagt wurde. Die Teilnahme bzw. Zulassung von Kindern hätte gegen die Vorschriften des Jugendschutzgesetzes verstoßen und
damit die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen,
aber auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. März 2013, 7 A 11277/12.OVG unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2008, 6 C 21.07, BVerwGE 131,216).
Das Jugendschutzgesetz ist dabei gerade im Hinblick auf öffentliche Veranstaltungen und im Zusammenhang mit eventuell jugendgefährdenden Medien (Schriften, Filmen, Tonträgern) von besonderer Bedeutung, um Kinder und
Jugendliche vor Schäden für ihr geistiges und seelisches Wohl zu bewahren. Gem. § 7 Jugendschutzgesetz kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Veranstalter Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit bei einer
öffentlichen Veranstaltung nicht gestatten darf, wenn von ihr eine Gefährdung für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen ausgeht. Die Beklagte hat zu Recht eine unmittelbare Gefährdung des
geistigen und seelischen Wohls von Kindern unter 14 Jahren darin gesehen, dass diese die Darbietungen der auftretenden Rechtsrock-Gruppen miterleben und dem davon ausgehenden Einfluss direkt ausgesetzt sind. Kinder sind bis zu
diesem Alter nämlich gar nicht oder noch nicht ausreichend in der Lage, sich dem Einfluss zu entziehen, der von der Kombination aus lauter und emotionsgeladener Musik und ideologisch-propagandistischen Texten einer bestimmten
Richtung ausgeht. Dies gilt in besonderer Weise bei Live-Darbietungen. Auch größeren Kindern ist unter solchen Umständen eine kritische Auseinandersetzung mit den Textinhalten nicht möglich; sie sind ihnen weitgehend schutzlos
ausgesetzt. Gerade in der Atmosphäre eines „Familienfestes" ist nicht zu erwarten, dass sie eine innere Distanz bewahren können und nicht mitgerissen werden von der allgemeinen Stimmung, die die ausschließlich deutsch
gesungenen Texte, die auch Kinder jedenfalls akustisch verstehen, als gut und richtig und bejahenswert erscheinen lässt.
Dafür, dass die Musikstücke der angekündigten Bands jugendgefährdende Inhalte haben würden, konnte sich die Beklagte auf hinreichend konkrete Anhaltspunkte stützen. Dies wird schon dadurch belegt, dass vier der dann vom
Kläger noch kurzfristig eingereichten Liedtexte, die zur Aufführung kommen sollten, bereits tatsächlich indiziert waren. Der Kläger selbst wusste also anscheinend nicht, welche Lieder aus Gründen des Jugendschutzes schon förmlich
beanstandet waren. Er konnte damit als Veranstalter nicht gewährleisten, dass keine indizierten Texte dargeboten werden. Dazu kommt aber auch, dass aus der Sicht bei Erlass der Verfügung nicht auszuschließen war, dass bei einer
Live-Darbietung neue Texte gesungen würden, die noch nicht zur Überprüfung der Bundesprüfstelle standen. Letztlich war es auch der Beklagten in der Kürze der Zeit nicht mehr möglich, zu der Vielzahl der eingereichten Texte noch
verlässliche Auskunft hinsichtlich der Indizierung zu bekommen bzw. selbst zu beurteilen, ob noch nicht geprüfte Texte als jugendgefährdend eingestuft werden müssten. Unter diesen Umständen war es geboten, den Schutz der
Kinder auf die geschehene Weise wirksam sicherzustellen.
Bei der Auslegung der Vorschriften über den Jugendschutz, durch die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG beschränkt wird, muss zweifellos auch die Bedeutung des Versammlungsgrundrechts
berücksichtigt werden (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. März 2013, a.a.O. zur Beschränkung des Versammlungsrechts aufgrund § 6 Nr. 1 des Landesfeiertagsgesetzes). Es darf nicht in unverhältnismäßiger Weise
eingeschränkt werden. Eine unverhältnismäßige Beschränkung des Versammlungsgrundrechts ist mit der Auflage Nr. 6 jedoch nicht verbunden. Es kann hier dahinstehen, in welchem Umfang auch Kindern ein eigenes Recht auf
Versammlungsfreiheit zusteht. Dabei dürfte es im Einzelnen auf das Ziel der jeweiligen Versammlung ankommen und außerdem darauf, ob Kinder von dem Anliegen, das mit der Versammlung verfolgt wird, betroffen sind oder es
sich zu eigen machen können, was im Wesentlichen vom altersbedingten Verständnishorizont der Kinder abhängt.
Hier hatte die Veranstaltung kein bestimmtes politisches Motto und keinerlei erkennbaren Bezug auf Themen, die Kindern am Herzen liegen könnten oder sie unmittelbar betreffen. Der Kläger macht demgemäß auch nicht geltend,
dass das Versammlungsgrundrecht von Kindern unzulässig eingeschränkt worden sei, sondern stellt darauf ab, dass es deren Eltern wegen des Verbots, Kinder mitzubringen, zum Teil nicht möglich gewesen sei, an der Veranstaltung
teilzunehmen, weil sie ihre Kinder nicht alleine lassen konnten. Abgesehen davon, dass sich im konkreten Fall offenbar die Beklagte selbst genötigt sah, eine Kinderbetreuungsmöglichkeit zu organisieren, ist die faktische
Beschränkung der Versammlungsfreiheit der betroffenen Eltern nur eine mittelbare Konsequenz der zum Jugendschutz ergangenen Auflage, die nicht unverhältnismäßig ist. Eltern können auch sonst ihre kleineren Kinder aus Gründen
des Jugendschutzes nicht überallhin mitnehmen, auch z.B. nicht ins Kino, wenn der betreffende Filme nicht ab 12 Jahren freigegeben ist (vgl. § 11 Abs. 2 und 3 Jugendschutzgesetz), sondern müssen für solche Fälle entweder eine
andere Betreuung ihrer Kinder sicherstellen, die Kinder alleine lassen oder auf den Besuch der Veranstaltung verzichten. Die Beklagte hat mit ihrer Auflage jedenfalls keiner erwachsenen Person die Teilnahme an dieser Veranstaltung
verboten oder unmöglich gemacht.
Die Auflage Nr. 6 ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, soweit sie Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren betrifft. Ihnen wurde die Teilnahme nicht untersagt, sondern sie wurde nur von der Begleitung eines Erziehungsberechtigten
oder einer erziehungsbeauftragten Person abhängig gemacht. Auch dies war als verhältnismäßige Beschränkung der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt, und zwar ebenfalls aus Gründen des Jugendschutzes. Wie oben schon
ausgeführt wurde, bestand nämlich durchaus die unmittelbare Gefahr, dass in dem zur Aufführung kommenden Lied-Repertoire der insgesamt fünf auftretenden Bands Texte enthalten sein würden, die mehr oder weniger offen zum
Rassenhass anreizen oder in der einen oder anderen Weise den Nationalsozialismus verherrlichen. Soweit solche Texte die Kriterien erfüllen, die zu einer Indizierung der Tonträger führen würden, auf denen sie verbreitet werden,
besteht auch bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren die Gefahr eines negativen Einflusses auf ihr geistiges und seelisches Wohl.
Die Auflage Nr. 7 Satz 2, wonach keine indizierten Lieder gespielt werden durften, sollte dies zwar ebenfalls verhindern. Sie wäre aber - entgegen der Auffassung des Klägers - alleine nicht ausreichend gewesen, um den Schutz der
Jugendlichen sicherzustellen. Es mag sein, dass die Gruppierungen der NPD generell darum bemüht sind, sich bei ihren Versammlungen an die Auflagen zu halten und strafrechtlich relevante Verhaltensweisen zu vermeiden. Die oben
aufgezeigte Unsicherheit des Klägers selbst - aber auch der Beklagten -, welche Texte tatsächlich indiziert sind, und die Möglichkeit, dass neue Texte - auch spontan - zur Aufführung kommen, werden mit dem pauschalen Verbot,
indizierte Texte vorzutragen, aber nicht zuverlässig genug unterbunden. Deshalb war es sachgerecht und notwendig, jedenfalls sicherzustellen, dass Jugendliche nicht ohne elterliche Zustimmung und nicht ohne von den Eltern
autorisierte Begleitung die Veranstaltung besuchen durften. Dadurch wurde auch - ohne dass die Beklagte darauf ausdrücklich abhob - dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG Rechnung getragen, das dem eigenen Versammlungsrecht
der Jugendlichen zulässige Grenzen setzt.
Die vorgeschriebene Begleitung eines Erziehungsberechtigten oder einer erziehungsbeauftragten Person war zum Schutz der Jugendlichen geeignet und erforderlich, aber auch ausreichend. Dadurch, dass die begleitenden Erwachsenen
dieselben Inhalte zur Kenntnis nahmen wie die Jugendlichen, war damit zumindest die Möglichkeit eröffnet, dass Eltern und jugendliche Kinder später darüber sprechen konnten und die Eltern auch Gelegenheit hatten, ggf. auf
Gefahren hinzuweisen. Das reicht aus, um den Jugendschutz so weit zu gewährleisten, wie es die Beklagte im Rahmen des Versammlungsrechts leisten kann.
Nicht ausgereicht hätte allerdings die - hier nur zusätzliche - Begründung zur Auflage Ziffer 6, die Begleitung Erwachsener sei auch deshalb nötig, weil die allgemeine Gefahr bestehe, dass durch Tumulte oder körperbetonte Tänze im
Publikum ernstliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit entstünden, was von einem Jugendlichen noch nicht ausreichend überschaut werden könne. Insoweit hat es jedenfalls am Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Sinne
von § 15 VersammlG gefehlt. Dieser Begriff stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch an den Wahrscheinlich-keitsgrad. Als Grundlage der behördlichen Gefahrenprognose sind
konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Mai 2011, 7 B 10627/11, NVwZ 2011, 1280 und juris, m. Nachw. zur
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts). An solchen nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten hat es vorliegend aber schon angesichts der niedrigen Teilnehmerzahl und dem
Umstand, dass die Veranstaltung im Freien und nicht etwa in einem engen Saal stattfand, gefehlt. Die Beklagte hat dazu auch nichts Konkretes angeführt. ..."
***
Verbot einer Versammlung und ausländerfeindliche Äußerungen (VG Frankfurt, Beschluss vom 10.09.2013 - 5 L 3380/13.F):
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 10. September 2013 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. September 2013 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Demonstration auf
dem Markplatz in I-Stadt von 16 Uhr bis 20 Uhr stattfinden kann. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. ...
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 10. September 2013 gegen die Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Hanau vom 9. September 2013 ist mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen
Maßgabe wiederherzustellen.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, da das Interesse der Antragstellerin, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen
Vollziehung überwiegt. Bei einer summarischen Betrachtung der Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. September 2013 erweist sich diese als rechtswidrig:
Die Antragsgegnerin hat mit obiger Verfügung die von der Antragstellerin angemeldete Versammlung für den 11. September 2013 auf dem Marktplatz in I-Sadt verboten. Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann
die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umstände die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Dies vermag die Kammer bei summarischer Betrachtung der Sach- und Rechtslage nicht erkennen.
Die Antragsgegnerin hat ihre Verbotsverfügung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die angekündigte Versammlung insbesondere deshalb zu verbieten sei, da aufgrund von Äußerungen bei der Kundgebung am 27. August 2013, der
Kundgebung am selben Tag in H-Stadt und dem wiederholten Aufstellen von Plakaten mit volksverhetzendem Inhalt der Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB und der Beleidigung gemäß §§ 185 ff.
StGB erfüllt seien.
Die hierzu in der Verfügung aufgeführten Äußerungen bzw. der wiedergegebene Inhalt der Wahlplakate vermögen diese rechtliche Einschätzung der Antragsgegnerin nicht zu belegen. Es ist nicht ersichtlich, dass aus der geplanten
Versammlung heraus die Verübung von Straftaten gemäß § 130 StGB oder §§ 185 f. StGB zu befürchten ist.
Die zur Ankündigung dieser Demonstration ‚J' benutzte Parole sowie die auf der Versammlung vom 27. August 2013 von dem K der L, M., gemachten zitierten Äußerungen zielen zwar sicherlich auf die Emotionalisierung der
politischen Auseinandersetzung ab. Sachverhalte werden verkürzt, pointiert und provozierend dargestellt. Auch haben die am 27. August 2013 getätigten Äußerungen (‚Jeder Ausländer, der hier beschäftigt ist, nimmt einem aufrechten
Deutschen den Arbeitsplatz weg', ‚Jeder Ausländer, der nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, muss in sein Heimatland abgeschoben werden', ‚muslimische Landnahme' u.a.) eine ausländerfeindliche Grundrichtung und
widersprechen damit den für die freiheitliche demokratische Ordnung grundlegenden Erwartungen der Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern.
Jedoch hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes in ihrem Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17, 18/01 - ausdrücklich klargestellt, dass ausländerfeindliche Äußerungen im Strafgesetzbuch nicht schon
als solche unter Strafe gestellt sind. Auch ist die von der Antragstellerin gewählte verkürzte, pointierte und provozierende Meinungsäußerung in der politischen Auseinandersetzung ein übliches Mittel. Dabei darf auch nicht verkannt
werden, dass in Hessen nicht nur die Bundes-, sondern auch die Landtagswahl bevorsteht, für die die Antragstellerin kandidiert, so dass ihr an einer möglichst breiten Öffentlichkeitswirkung gelegen sein dürfte. Unter Beachtung dieser
Rechtsprechung sind die gemachten Äußerungen hinzunehmen, sie sind Teil der politischen Auseinandersetzung und dürften auch die Ängste von Teilen der Bevölkerung artikulieren. Diese mag man nicht teilen, ihre Artikulierung in
der gewählten Form ist aber bei summarischer Betrachtung nicht als Volksverhetzung anzusehen.
Auch die weiteren am 27. August 2013 getätigten Äußerungen wie zum Beispiel ‚Die Stadtoberen haben dieses Pack hierher gebracht, um unsere demokratische Kundgebung zu stören', mögen zugespitzt sein, überschreiten jedoch
noch nicht die Grenze der Beleidigung. Dabei ist auch mit zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich in der öffentlichen Diskussion selbst noch ähnlichen oder heftigeren Angriffen und Ausdrücken ausgesetzt sieht.
Soweit die Antragstellerin auf die von der Antragstellerin aufgestellten Plakate u.a. mit dem Motto ‚Geld für die Oma - statt für Sinti und Roma' und deren volksverhetzenden Inhalt verweist, teilt die erkennende Kammer die Ansicht
des Verwaltungsgerichts Kassel in seinem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 9. September 2013 - 4 L 1117/13 -, dass diese Parole den Tatbestand der Volksverhetzung zumindest bei einer summarischen Betrachtung der Sach-
und Rechtslage nicht erfüllt. Vielmehr weist dieses Motto pointiert auf die in der Öffentlichkeit durchaus kontrovers geführte Diskussion des Umgangs mit derzeit in deutschen Städten befindlichen rumänischen und bulgarischen
Staatsangehörigen hin. Eine - auch überspitzte - Auseinandersetzung mit diesem die Öffentlichkeit bewegenden Thema muss in Deutschland erlaubt sein. Gleiches gilt für die Parole ‚Maria statt Scharia' sowie die Forderung, dass
‚über Deutschland … weder Halbmond noch Davidstern hängen' dürften. Auch hier vermag das Gericht bei summarischer Betrachtung nicht festzustellen, dass der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Zum einen kommt hier
eine in Teilen der deutschen Bevölkerung bestehende Ablehnung der Regeln der Scharia pointiert zum Ausdruck, zum anderen wird nicht die religiöse Minderheit als solche, sondern ihre befürchtete Dominanz kritisiert.
Bei der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht berücksichtigt, dass nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin bis 14 Uhr auf dem Marktplatz in I-Stadt ein Markt stattfindet. Aufgrund der Kürze der Zeit kann
dieser Markt nicht mehr verlegt werden. Aus diesem Grunde ist - um eine erforderliche Karenzzeit zwischen Marktende und Versammlungsbeginn herzustellen - der Beginn der Versammlung nach dem Ermessen des Gerichts erst ab
16 Uhr zu ermöglichen. ..."
***
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 2. September 2013 gegen die Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 2. September 2013 wird wiederhergestellt. ... Der Antrag,
nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das Versammlungsverbot der Antragsgegnerin wiederherzustellen, hat Erfolg.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Sofortvollzug eines Versammlungsverbots im konkreten Fall in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung aus Art. 8
Abs. 1 GG führt. Im vorliegenden Fall kommt das Gericht nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass die angefochtene Verfügung sich als offensichtlich
rechtswidrig erweist:
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der
Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot oder eine beschränkende Verfügung im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter
in Betracht. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der
staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der
Versammlungsfreiheit darf die Behörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersammlG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe eines Schadenseintritts und damit auch strenge Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne,
dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt nur dann vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersammlG genügt deshalb auch nicht eine theoretisch mögliche Gefahr. Die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen,
der Eintritt der Störung also mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf ‚erkennbaren Umständen' beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer
Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai1985 - 1 BvR 233/81, 341/81 - ‚Brokdorf', BVerfGE 69, 315 und bei juris RdNr. 80; Beschluss der 1.
Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, m.w.N., juris, insbes. RdNr. 17).
Die Antragsgegnerin geht in ihrer Verbotsverfügung davon aus, dass die angemeldete Versammlung eine salafistische Veranstaltung sei. Nach dem Hessischen Verfassungsschutzbericht 2012 handele es sich bei dem Salafismus um
eine extremistische Ideologie innerhalb des Islamismus. Die salafistische Ideologie sei als verfassungsfeindlich einzustufen, sie wende sich gegen das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Volkssouveränität und verstoße gegen den
Gedanken der Völkerverständigung und des Gleichheitsgrundsatzes. Das politische Ziel der Salafisten sei die Einführung und Umsetzung des islamischen Rechts und nach der vertretenen Ideologie führe dies zu einer Benachteiligung
von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen sowie zu einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit und zur Außerkraftsetzung grundlegender Menschenrechte. Ein Teil der Salafisten sei davon überzeugt, dass die Errichtung
eines islamistischen Gottesstaates im Sinne ihrer Ideologie nur durch den bewaffneten Kampf möglich sei. Bei Durchführung der angemeldeten Versammlung müsse davon ausgegangen werden, dass es zu einer unmittelbaren
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch zweifelsfrei verfassungsfeindliche Äußerungen in Form von Werbung für den radikalen Salafismus komme. Aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts - so die
Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung weiter - gehe hervor, dass ausnahmsweise auch ein Versammlungsverbot in Betracht komme, wenn es unter Berücksichtigung von Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter
angemessen sei und Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichten.
Wie bereits eingangs dargelegt, hat das Bundesverfassungsgericht in der von der Antragsgegnerin angesprochenen ‚Brokdorf.Entscheidung' ausgeführt,
- dass Verbote und Auflösungen im Wesentlichen nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht kommen können,
- dass Verbot oder Auflösung als ultima ratio voraussetzen, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist und
- dass Verbote und Auflösungen nur bei einer ‚unmittelbaren Gefährdung' der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach den Informationen des Verfassungsschutzes in der salafistischen Szene von weiten Teilen der gewaltsame Jihad befürwortet wird
und dass eine Reihe salafistischer und islamistischer Organisationen inzwischen verboten worden sind
(www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/was-ist-islamismus/salafistische-bestrebungen).
In ihrer vorliegenden Verbotsverfügung stützt sich die Antragsgegnerin aber lediglich auf allgemeine Erkenntnisse über salafistische Ziele. Unmittelbar konkrete und überprüfbare Anhaltspunkte für eine Gefährdungslage durch die
hier geplante Veranstaltung am bevorstehenden Samstag in G-Stadt werden nicht genannt. Insoweit sind in Bezug auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nachweisbare Tatsachen als Grundlage
einer Gefahrenprognose nicht hinreichend angeführt worden. Auch die nachgereichte DVD enthält keinerlei entscheidungserhebliche Aufzeichnungen.
Sollte sich eine Änderung der sich bisher bietenden Sachlage bzw. der Einschätzung einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersammlG im Verlauf der Veranstaltung ergeben, bleiben der Antragsgegnerin oder im Fall
deren Verhinderung der Polizei die sich aus dem Versammlungsgesetz ergebenden Eingriffsmöglichkeiten. ..." (VG Frankfurt, Beschluss vom 04.09.2013 - 5 L 3277/13.F)
***
„... I. Die Antragstellerin wendet sich gegen zwei Nebenbestimmungen in einem versammlungsrechtlichen Bescheid.
1. Die Antragstellerin meldete für den frühen Nachmittag des 3. September 2013 eine dreistündige Kundgebung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin mit etwa 10 bis 25 Teilnehmern an.
Die Antragsgegnerin machte mit Bescheid vom 29. August 2013 die Durchführung der Kundgebung von der Beachtung mehrerer Beschränkungen und Auflagen abhängig. Diese haben unter anderem folgenden Wortlaut:
Auflage 1 i:
‚Verherrlichende oder verharmlosende Aussagen zu verbotenen Organisationen haben zu unterbleiben. Ein völkischer Nationalismus oder eine elitäre Rassenideologie darf nicht bekundet werden'.
Auflage 1 j:
‚Der Einsatz von Lautsprecheranlagen, Mikrofonen und Musikinstrumenten bzw. -anlagen wird unter folgenden Auflagen bestätigt: (…) Die Lautstärke ist in Absprache mit der Polizei so einzustellen, dass dadurch
Verkehrsteilnehmer nicht abgelenkt und Anwohner sowie die in den umliegenden Gebäuden und Geschäften tätigen Personen nicht mehr als nach den Umständen unvermeidbar belästigt bzw. in ihrer Arbeit gestört werden. Der
Lautsprecher ist so auszurichten, dass eine direkte Beschallung von Gebäuden in unmittelbarer Nähe vermieden wird.'
Zur Begründung des Bescheids ist ausgeführt, dass die getroffenen Anordnungen geeignet und erforderlich sind, um einen störungsfreien Ablauf der Veranstaltung und die Einhaltung der öffentlichen Ordnung sicherzustellen.
Der Bescheid vom 29. August 2013 wurde durch Bescheid vom 2. September 2013 hinsichtlich der beiden vorgenannten Auflagen zur Konkretisierung dieser Auflagen ergänzt. Auf den Ergänzungsbescheid wird Bezug genommen.
2. Die Antragstellerin ließ gegen diese beiden Auflagen durch ihren Bevollmächtigten am 30. August 2013 im Verfahren Au 1 K 13.1317 Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist.
Gleichzeitig begehrt sie im vorliegenden Verfahren die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Auflage zum Einsatz von Kundgebungsmitteln rechtlich zu unbestimmt sei. Welcher Lärm zulässig sei, sei im Bescheid weder durch einen Grenzwert noch durch eine Regelung zum Einsatz
von Megaphon oder Lautsprechern klar erkennbar. Die Versammlungsbehörde überlasse damit die Einschränkung oder das Verbot der Versammlung der vor Ort tätigen Polizei, was unzulässig sei. Es bedürfe eines konkret
festgesetzten Lärmwertes, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die in Ziffer 1 i) verwendeten Begriffe ‚völkischer Nationalismus' bzw. ‚elitäre Rassenideologie' seien rechtlich zu unbestimmt. Die Auflage verstoße damit gegen die im
Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG gewährleistete Meinungsfreiheit. Die Auflage sei deshalb rechtswidrig und aufzuheben. ...
II. Der zulässig erhobene Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand des Antrags ist die sofortige Vollziehbarkeit der Auflagen 1 i) und 1 j) im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. August 2013 in der Form, die diese Auflagen durch den Ergänzungsbescheid vom 2. September 2013
gefunden haben. Diese sind nach Auffassung der Kammer selbständig anfechtbar. Auch ohne diese beiden Bestimmungen kann der die Versammlung beschränkende Bescheid Bestand haben. Beide Auflagen enthalten auch eine
mögliche Belastung für die Antragstellerin.
2. Der Antrag ist nicht begründet, weil das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Auflagen nicht überwiegt. Maßgeblich
hierfür ist, dass die Klage aller Voraussicht nach in der Hauptsache erfolglos bleiben wird. Die beiden angegriffenen Auflagen sind rechtmäßig und verletzen die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Nach Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zurzeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Mit den beiden Auflagen wird eine Gefährdung geschützter Rechtsgüter in verhältnismäßiger Art und Weise verhindert.
aa) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, mit Beschränkungen einer Versammlung nicht stärker in die Versammlungsfreiheit einzugreifen, als dies zur Abwehr der unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung erforderlich ist (BayVGH, U.v.25.5.2010 - 10 BV 09.1480 - juris Rn. 20). Dies bedeutet, dass jegliche Beschränkungen dort ihre Grenze finden, wo sie das Recht des Veranstalters auf Durchführung der Versammlung
unzumutbar beeinträchtigen.
bb) Die Auflage 1 i) ist mit dem Recht der Antragstellerin auf die Durchführung einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Grundgesetz (GG) vereinbar.
Die von der Antragsgegnerin angemeldete Versammlung unterfällt dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Dieses Recht darf die Antragsgegnerin nach Art. 8 Abs. 2 GG beschränken, wenn diese Beschränkung durch Gesetz oder
auf Grund eines Gesetzes vorgesehen ist. Insoweit ist vorliegend die Auflage der Antragsgegnerin auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützt.
Durch den Ergänzungsbescheid vom 2. September 2013 hat die Antragsgegnerin klargestellt, dass das Verbot der Bekundung ‚völkischen Nationalismus' bzw. ‚elitärer Rassenideologie' dazu dient, durch § 130 Strafgesetzbuch (StGB)
mit Strafe bewehrte volksverhetzende Äußerungen zu verhindern. Diese Auflage stellt damit zwar einen Eingriff in das jedermann gewährleistete Recht auf Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dar. Damit wird
jedoch keine Äußerung der Meinung schlechthin verboten. Vielmehr geht aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung nunmehr eindeutig hervor, dass damit die durch das allgemeine Strafgesetz verbotene Meinungsäußerung, die zu
Rechtsgutsverletzungen bei den strafrechtlich geschützten Gruppen oder Personen führt, unterbunden wird. Mit dieser Regelung verfolgt die Antragsgegnerin damit einen legitimen Zweck, der das Recht der Antragstellerin nicht
unzumutbar beeinträchtigt (vgl. im Einzelnen zur Beschränkung der Meinungsfreiheit: BVerfG, B.v. 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 - BVerfGE 124, 300/320 ff (332)).
Damit kann auch dahingestellt bleiben, ob dieser Regelungsgehalt bereits Gegenstand der ursprünglichen Formulierung im Bescheid vom 29. August 2013 gewesen ist. Denn jedenfalls jetzt ist zur Überzeugung der Kammer
klargestellt, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Unterbindung von Straftaten ein Verbot volksverhetzender Äußerungen erlassen hat, das sich als verhältnismäßige Beschränkung der Versammlungsfreiheit darstellt.
cc) Die Auflage 1 j) in der Form, die sie durch den Ergänzungsbescheid vom 2. September 2013 erhalten hat, stellt ebenfalls eine verhältnismäßige Beschränkung der Versammlung der Antragstellerin dar.
Mit der Auflage in der Form, die sie durch den Ergänzungsbescheid vom 2. September 2013 gefunden hat, hat die Antragsgegnerin dem Antragsbegehren (Antragsschriftsatz vom 30.8.2013, S. 4 Mitte; Bl. 5 der Gerichtsakte)
insoweit entsprochen, als nunmehr ein Lärmgrenzwert festgesetzt worden ist. Dass die Antragstellerin dies nunmehr im Schriftsatz vom 2. September 2013 als unzulässige Verschärfung und als für sie nicht kontrollierbar ansieht, ist
vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
Mit der Festsetzung eines Lärmgrenzwertes am Immissionsort der unmittelbaren Nachbarschaft im Ergänzungsbescheid vom 2. September 2013 hat die Antragsgegnerin in Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen der
Nachbarschaft und dem Interesse der Antragstellerin an der ungehinderten Durchführung ihrer Versammlung dem Recht auf Versammlungsfreiheit Genüge getan. Die Antragstellerin verkennt, dass die bei der Versammlung
auftretenden kurzzeitigen Geräuschspitzen nach dem Regelungsgehalt der Auflage ausdrücklich als zulässig angesehen werden. Eine dauerhafte Beschallung der Umgebung durch Lautsprecher etc. während der gesamten
dreistündigen Versammlung ist demgegenüber nicht notwendig. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Veranstalter der Kundgebung durch einen sachgerechten Einsatz der von ihm genutzten Kundgebungsmittel die im Kerngebiet
der Antragsgegnerin normal zu erwartenden Lärmbelastungen nicht dauerhaft überschreitet. ..." (VG Augsburg, Beschluss vom 03.09.2013 - Au 1 S 13.1318)
***
„... I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. August 2013 wird insoweit angeordnet, als in Ziffer 2. des Bescheids vom 30. August 2013 der Antragstellerin auch die Durchführung
von Ersatzveranstaltungen am 2. September 2013 im Stadtgebiet ... unter freiem Himmel verboten worden ist. Ziffer 3.1 des Bescheids vom 30. August 2013 wird insoweit geändert, als als Ort der Ersatzveranstaltung der
...platz im Stadtgebiet ... festgesetzt wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. ...
I. Die Antragstellerin, eine politische Partei, wendet sich gegen ein sofort vollziehbares Versammlungsverbot. Mit Schreiben vom 27. August 2013 meldete die Antragstellerin eine Kundgebung in ... unter dem Thema „Asylflut und
Eurowahn stoppen - NPD in den Bundestag" an. Die Kundgebung soll am 2. September 2013 von 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr stattfinden. Kundgebungsort soll der zentrale ...platz im Stadtgebiet ... sein. Zu der Kundgebung werden 10 bis
25 Teilnehmer erwartet. Am 29. August 2013 fand ein Kooperationsgespräch mit der Polizeiinspektion ..., der Stadtverwaltung ... und dem Landratsamt ... statt, an dem trotz Einladung kein Vertreter der Antragstellerin
teilgenommen hat.
Mit Bescheid vom 30. August 2013 wurde die Kundgebung am 2. September 2013 auf dem ...platz in ... verboten (Ziffer 1 des Bescheids). In Ziffer 2 bestimmte der Antragsgegner, dass das Verbot auch für jede Art von
Ersatzveranstaltungen am 2. September 2013 im Stadtgebiet ... gelte. Für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird, wurde in Ziffer 3.1 als Ausweichort der „..."-Parkplatz, ... Allee/... Straße, festgelegt. Zur
Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, die angezeigte Versammlung und das Versammlungsthema stelle eine bewusste Provokation von Mitbürgern ausländischer Herkunft dar. Auseinandersetzungen würden
vom Veranstalter bewusst in Kauf genommen bzw. herausgefordert. Aufgrund der Gesamtstruktur der geplanten Veranstaltung sei mit der Verübung von Straftaten wie Volksverhetzung oder Beleidigung zu rechnen. Auch
Gegendemonstrationen seien zu befürchten. Die Kundgebung sei Bestandteil der von der Antragstellerin organisierten „Deutschlandfahrt 2013", in deren bisherigem Verlauf es bereits zu Eskalationen und Gegendemonstrationen sowie
der Verbreitung ausländerfeindlicher Parolen gekommen sei. Auflagen könnten die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht verhindern. Zudem stehe der als Versammlungsort beantragte ...platz in ... wegen einer
Wahlkampfveranstaltung einer anderen Partei nicht zur Verfügung. Auch andere Plätze seien bereits belegt, so dass als Versammlungsort nur der ... -Parkplatz in der ... Allee in Frage komme. Ein anderer innenstadtnaher Platz stehe
nicht zur Verfügung. Der ... -Platz sei durch seine Verkehrsanbindung gut zu erreichen und gewährleiste ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, da es sich bei der ... Allee um eine stark frequentierte Straße handle. Sie befinde sich in
unmittelbarer Nähe des Bahnhofs und des Zentralen Busbahnhofs.
Am 30. August 2013 ließ die Antragstellerin dagegen Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Az. Au 1 K 13.1313).
Am selben Tag wurde beantragt: Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 30. August 2013 wird wiederhergestellt. Hilfsweise: Die aufschiebende Wirkung wird
mit der Modifikation wiederhergestellt, dass als Versammlungsort der ...platz zugewiesen wird. Hilfsweise: Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen Ziffer 3.1 des Bescheids (Verlegung auf den Park &
Ride-Parkplatz) wird angeordnet.
Das Motto der Veranstaltung habe einen aktuellen Hintergrund und keinerlei Bezug zu historischen Themen des Dritten Reiches. Die Antragstellerin nehme als Partei ihren gesetzlichen und verfassungsmäßigen Auftrag wahr. Der
Antragsgegner lege keine konkreten Umstände dar, die für ein besonderes Gefahrenpotenzial sprächen. Vielmehr verweise der Bescheid nur generell auf mögliche Sicherheitsgefahren durch Gegendemonstrationen. Hier wären jedoch
primär die Störer selbst in Anspruch zu nehmen. Unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei der Antragsgegner gezwungen gewesen zu prüfen, ob die Versammlung unter Modifikationen stattfinden könne.
Die Darlegungs- und Beweislast für einen polizeilichen Notstand, der allein ein Verbot wegen Störungen Dritter rechtfertigen könne, liege beim Antragsgegner. Das Recht auf Versammlungsfreiheit sehe eine Inhaltskontrolle nicht vor.
Die Antragstellerin sei keine verbotene Partei, so dass der Hinweis auf die „wehrhafte Demokratie" fehl gehe. Auf der Deutschlandfahrt seien bislang 30 Versammlungen abgehalten worden. In ... sei es wegen Äußerungen des Redners
zu einer Auflösung der Versammlung gekommen. Dies sei jedoch rechtswidrig gewesen und werde im Rahmen einer Klage geprüft werden. Die Verbotsverfügung könne keine Meinung als solche verbieten, sondern stets nur die Art
und Weise von deren Kommunikation. Es sei Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass unerwünschte oder geschmacklich fragwürdige Meinungen nicht per se aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit fielen. Auf die
entsprechende Rechtsprechung werde verwiesen. Die Antragstellerin sei für ein telefonisches Kooperationsgespräch zur Verfügung gestanden, was sie in der Anmeldung zum Ausdruck gebracht habe. Das Ergebnis des
Kooperationsgesprächs sei jedoch nicht telefonisch kommuniziert worden. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass der angemeldete Kundgebungsort groß genug sei, so dass eine parallele Veranstaltung der CSU der Kundgebung
nicht entgegenstehe. Zudem sei nicht zu erkennen, weshalb dieser Veranstaltung eine Priorität eingeräumt werde. Der ...platz sei durch die Kirche optisch so gegliedert, dass zwei Veranstaltungen räumlich getrennt stattfinden könnten.
Als Alternative komme für die Antragstellerin lediglich der ...platz in Frage. Zu diesem verhalte sich der Bescheid nicht. Ein außerhalb der Stadt gelegener ... -Parkplatz werde dem Anliegen der Antragstellerin nicht gerecht. Dort
herrsche kein kommunikatives Forum. Die Antragstellerin werde unter vorgeschobenen und inhaltlich nicht gegebenen Gründen aus dem Innenstadtbereich abgeschoben. Die Versammlungsfreiheit verbürge die Durchführung von
Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr stattfinde sowie das Recht, selbst über den Veranstaltungsort zu bestimmen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich mit E-mail vom 2. September 2013 zu dem Antrag dahingehend, dass der ...platz aufgrund bereits genehmigter Veranstaltungen des Ortsverbands einer Partei nicht zur Verfügung stehe. Der ...platz
werde für eine Leistungsschau des Baubetriebshofs benötigt. ...
II. Der zulässig erhobene Antrag hat in der Sache zum Teil Erfolg.
1. Bei der hier nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung waren die Interessen der Antragstellerin und des Antragsgegners gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der
Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können. Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8
des Grundgesetzes (GG) ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
2. Ausgehend hiervon fällt die Entscheidung im Wesentlichen zu Lasten des Antragsgegners aus. Das in Ziffer 1 des Bescheids des Antragsgegners vom 30. August 2013 enthaltene Verbot der Kundgebung der Antragstellerin auf dem
...platz in ... wird voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden sein (dazu nachfolgend zu a)). Soweit der Antragsgegner in Ziffer 2 des Bescheids auch jede Ersatzveranstaltung am 2. September 2013 untersagt hat, wird die
Hauptsacheklage bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich erfolgreich sein (dazu nachfolgend zu b)).
a) Grundlage eines Verbots kann vorliegend nur Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) sein. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn diese nach
den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet. Diese Gefährdung bedarf im Hinblick auf die
verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG der Konkretisierung insoweit, als zum einen der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter zum Inhalt hat, die in ihrer Bedeutung
dem Grundrecht zumindest gleichwertig sind, und zum anderen eine Verletzung dieser Güter aufgrund des Begriffs der „Unmittelbarkeit" bei der Durchführung der verbotenen Versammlung hinreichend wahrscheinlich ist
(grundlegend dazu vgl. BVerfG, B. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - BVerfGE 69, 315, 352 f. - Brockdorf II).
Vorliegend ist für die anzustellende Gefahrenprognose, auf welche die Entscheidung über die unbeschränkte oder die mit Auflagen versehene Genehmigung der Kundgebung bzw. deren Verbot zu stützen ist (BVerfG, B. v. 14.5.1985
a.a.O., S. 354; st.Rspr. zuletzt etwa 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG, B. v. 4.9.2010 - 1 BvR 2298/10 - juris Rn. 6) von den nachfolgenden Tatsachen auszugehen:
Der als Kundgebungsort vorgesehene ...platz war nach dem im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Umständen bereits durch einen nach Straßen- und Wegerecht genehmigten Informationsstand des
Ortsverbandes einer Partei sowie eine nach Art. 19 LStVG genehmigte Veranstaltung belegt. Beides wurde bereits vor der Anmeldung der streitgegenständlichen Kundgebung genehmigt. Bereits mit Bescheid vom 20. August 2013
wurde eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis für einen Informationsstand auf dem ...platz erteilt. Die zusätzliche Veranstaltung nach Art. 19 LStVG mit Musikdarbietungen und Kinderhüpfburg wurde am 19. August 2013
angezeigt. Der entsprechende Bescheid weist zwar den 19. August 2013 als Veranstaltungsdatum aus. Das Gericht hält jedoch das Vorbringen des Antragsgegners, wonach es sich hierbei um ein Schreibversehen handelt, für
nachvollziehbar, da aufgrund des mit der Veranstaltung verbundenen Aufwands eine Durchführung am Tag der Anzeige nicht praktikabel wäre. Nähere Ermittlungen des Sachverhalts sind im vorliegenden Eilverfahren aufgrund der
Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Unter Berücksichtigung dieser tatsächlichen Situation und der bereits angezeigten und genehmigten Veranstaltung ist die Gefahrenprognose, die zusammenfassend zum Ergebnis
gelangt, dass der ...platz als räumlich ungeeignet für die angemeldete Veranstaltung der Antragstellerin eingeschätzt wird, nachvollziehbar. Ist damit aber eine ordnungsgemäße Durchführung der Kundgebung der Antragstellerin nicht
zu gewährleisten und besteht deshalb die konkrete Gefahr der Störung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung dieser Kundgebung, ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Antragsgegner diese Veranstaltung auf dem ...platz in
Ziffer 1 des Bescheids vom 30. August 2013 untersagt hat. Die Klage wird insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben, die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war deshalb abzulehnen.
b) Soweit der Antragsgegner in Ziffer 2 des Bescheids vom 30. August 2013 auch jede Ersatzveranstaltung am 2. September 2013 untersagt, wird dieses Verbot voraussichtlich im Klageverfahren aufzuheben sein.
Weder die Befürchtung ausländerfeindlicher Parolen noch angekündigte Gegendemonstrationen rechtfertigen in der Regel das Verbot einer Versammlung. Die inhaltliche Ausrichtung einer Versammlung unterhalb der
Strafbarkeitsschwelle ist grundsätzlich keine Grundlage für ein Versammlungsverbot, weil dadurch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht (VG Augsburg, B.v. 28.4.2009 - Au 1 S 05.525). Die
Prognose, die Kundgebung würde zur Begehung von Straftaten benutzt, hat der Antragsgegner durch keine konkreten Darlegungen begründet. Vielmehr enthält der Bescheid hierzu nur einen pauschalen, nicht näher begründeten
Hinweis auf die Gesamtstruktur der Veranstaltung. Auch einer angespannten Sicherheitslage durch angekündigte Gegendemonstrationen ist primär durch geeignete Auflagen Rechnung zu tragen. Eine Verbotsverfügung kann hier nur
Ultima Ratio sein. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt dabei bei der Behörde. Diese hat im Bescheid keine hinreichenden
Ausführungen dazu gemacht, dass angesichts der Gegendemonstrationen trotz der Möglichkeit polizeilichen Einschreitens die öffentliche Sicherheit und Ordnung konkret gefährdet ist.
Die aktuelle Gefahrenprognose des Antragsgegners bezieht sich nur auf eine Versammlung der Antragstellerin auf dem ...platz, der zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits anderweitig belegt ist. Unter Beachtung des Schutzes aus Art. 8
GG ist der Antragsgegner gehalten zu prüfen, inwieweit durch Auflagen und Beschränkungen der Antragstellerin die Durchführung der von ihr angemeldeten Versammlung ermöglicht werden kann. Dabei ist, sollte eine Durchführung
an anderer Stelle oder zu einer anderen Zeit möglich sein, die Versammlungsbehörde gehalten, einen Ersatzort festzusetzen, wenn so einerseits die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit möglich ist und andererseits die
Antragstellerin von ihrem Grundrecht ausreichend Gebrauch machen kann. Da Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich dem Veranstalter das Recht einräumt, den Zeitpunkt und den Ort der Versammlung selbst zu bestimmen, ist es zur
Gewährleistung des geringstmöglichen Eingriffs geboten, den vom Veranstalter genannten Alternativstandort vorrangig zu prüfen und gegebenenfalls zuzulassen.
Der vom Antragsgegner festgelegte alternative Standort (...-Parkplatz, ... Allee/... Straße, Ziffer 3.1 des Bescheids) ist nur bedingt geeignet, vom Versammlungsrecht ausreichend Gebrauch zu machen, da er sich in einer Randlage
befindet. Er ist nicht in gleicher Weise geeignet wie der ...platz, die beabsichtigte Öffentlichkeitswirkung der Wahlkampfveranstaltung zu erzielen. Er liegt zwar in der Nähe des Bahnhofs und des Busbahnhofs als zentrale
Umsteigeplätze. Er dient jedoch vorrangig dem Durchgangsverkehr, so dass es hier weitaus schwieriger als in der Innenstadt sein dürfte, Passanten im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung zu erreichen.
Nach der dem Gericht nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nur der von der Antragstellerin als Alternative genannte ...platz mit dem ...platz in seiner Eignung für Kundgebungen vergleichbar. Auf diesem
findet nach dem Vorbringen des Antragsgegners eine Veranstaltung („Leistungsschau von Fahrzeugen und Maschinen des städtischen Baubetriebshofs, insbesondere von Schneepflügen und einer Kanalkamera") statt. Aus den von der
Antragstellerin vorgelegten Presseausschnitten ergibt sich, dass diese „Leistungsschau" entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners kurzfristig im Hinblick auf die Kundgebung der Antragstellerin anberaumt wurde. Der
Antragsgegner legt zu dieser Veranstaltung keinerlei nähere Einzelheiten dar, so dass weder geprüft werden kann, seit wann diese geplant war noch in welchem Zeitrahmen und mit welchem Platzbedarf sie stattfindet.
Nach alledem war im Rahmen der gebotenen Abwägung dem Interesse der Antragstellerin an der Durchführung der Kundgebung im innerstädtischen Bereich der Vorrang einzuräumen. Hinsichtlich des ...platzes sind
Sicherheitsbedenken weder vorgetragen noch trotz der wohl kurzfristig anberaumten Veranstaltung des städtischen Bauhofs ersichtlich. Im Rahmen der nur möglichen summarischen Überprüfung der Sachlage ist deshalb davon
auszugehen, dass Sicherheitsbedenken nicht bestehen. Unter diesen Umständen war dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit der Vorrang einzuräumen, zumal der Antragsgegner qualifiziert nichts vorgetragen hat, was zwingend
gegen eine Versammlung der Antragstellerin auf dem ...platz spricht ..." (VG Augsburg, Beschluss vom 02.09.2013 - Au 1 S 13.1314).
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Ob bei der Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet wird, ist nach den zur Zeit des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Umständen zu beurteilen. Diese Beurteilung muss
sich insoweit auf hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen. Dass eine Gefahr lediglich nicht ausgeschlossen werden kann oder dass eine Gefahr für den Fall des Eintritts eines noch ungewissen Ereignisses befürchtet wird, reicht
schon nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 VersammlG nicht aus und wird darüber hinaus den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht gerecht. Die Frage des
Verbots einer Versammlung oder die Entscheidung, ob die Versammlung beschränkt werden kann, hat sich allein an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu orientieren; dies ist keine politische Entscheidung. Die
Verwaltungsgerichte haben allein zu überprüfen, ob die Ordnungsbehörde die Versammlung der Antragstellerin zu Recht verboten hat. Ob eine Partei nicht rechtsstaatlich ist und als solche behandelt werden muss, entscheidet weder
ein Oberbürgermeister noch ein Verwaltungsgericht; diese Entscheidung ist nach Art. 20 Abs. 2 GG allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten(VG Darmstadt, Beschluss vom 23.08. 2013 - 3 L 1146/13.DA).
***
Zur Frage der Rechtmäßigkeit bestimmter versammlungsrechtlicher Auflagen (Verbot des Mitführens und Verwendens von brennbaren Flüssigkeiten und offenem Feuer, des Mitführens von Hunden, des Mitführens von Getränken in
anderen Behältnissen als Plastikbehältnissen und Tetrapackungen sowie des Konsums von Alkohols und ferner einer Schallschutzauflage; VG Karlsruhe, Beschluss vom16.08.2013 - 1 K 2068/13):
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Auflagen 8, 10, 11, 15 und 16 im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.08.2013 wird wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. ...
Die Anträge des Antragstellers bedürfen der sachdienlichen Auslegung. Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 13.08.2013 hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den
Auflagenbescheid der Antragsgegnerin vom 30.07.2013 wiederherzustellen. Mit Schriftsatz vom 16.08.2013 hat deren Unterbevollmächtigter beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Bescheide der Antragsgegnerin vom 13.08.2013 und vom 15.08.2013 wiederherzustellen. Dabei sieht er in diesen Bescheiden eine Konkretisierung des Bescheids vom 30.07.2013. Dem vermag jedoch das Gericht nicht zu folgen,
vielmehr handelt es sich um zwei Bescheide mit unterschiedlichem Regelungsgehalt, da aufgrund der unterschiedlichen Wegeführungen unterschiedliche Versammlungen genehmigt wurden. Somit sind beide Bescheide Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens.
Soweit im Schriftsatz vom 16.08.2013 beantragt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 13.08.2013 und 15.08.2013 wiederherzustellen, legt das Gericht
den Antrag sachdienlich dahin aus, dass begehrt wird, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.08.2013, geändert durch Bescheid vom 15.08.2013 wiederherzustellen. Soweit im
Folgenden die Auflagen 5 Abs. 2-4 für unstreitig gestellt wurden und hinsichtlich der Auflagen 1, 2, 3, 4, 5 Abs. 1, 6, 7, 9, 12 - 14 der Rechtsstreit im Hinblick auf die Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 15.08.2013 für erledigt
erklärt wurde, legt das Gericht den Antrag dahin aus, dass Gegenstand des Verfahrens hinsichtlich des Bescheides vom 13.08.2013 nur die Auflagen 8, 10, 11, 15 und 16 sind.
Der somit sachdienlich dahin auszulegende Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Widersprüche gegen die Auflagen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.07.2013 und gegen die Auflagen 8, 10, 11, 15 und
16 im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.08.2013 wiederherzustellen, ist hinsichtlich des den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.07.2013 betreffenden Teils unzulässig, hinsichtlich der angegriffenen Auflagen im Bescheid der
Antragsgegnerin vom 13.08.2013 jedoch zulässig und begründet.
Bezüglich der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Auflagen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.07.2013 fehlt es dem Antragsteller an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da er die
Wegeführung der geplanten Versammlung geändert hat und die Antragsgegnerin die Anmeldung der Versammlung in der geänderten Form bestätigt hat. Damit ist der Bescheid vom 30.07.2013 hinfällig geworden.
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt im vorliegenden Rechtsstreit, da die Antragsgegnerin in formell ordnungsgemäßer Weise (§ 80 Abs. 3 VwGO) die
sofortige Vollziehung ihrer Verfügung vom 13.08.2013 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. In diesem Fall kann jedoch das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise
wiederherstellen, wenn bei der im Rahmen dieser Bestimmung vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse des Antragstellers, einstweilen von der Verfügung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung überwiegt. Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Gericht Veranlassung, dem Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, da erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Auflagen bestehen
und daher das private Interesse des Antragsstellers, von der Vollziehung der Maßnahmen verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Als belastende staatliche Maßnahme bedürfen die angegriffenen Auflagen einer Ermächtigungsgrundlage.Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung gesetzliche Verpflichtungen wiederholt. Der
Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines
Verwaltungsakts handeln darf. Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter
Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird. Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu
schaffen. Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze.Vorliegend richtet sich ein Teil der
Auflagen, nämlich die Auflagen 8, 10 und 15, nach ihrem materiellen Regelungsgehalt auch an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhalten die an ihn gerichteten Verbote darüber hinaus das
Gebot, für deren Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes Verbot verstoßen.Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe
als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt, kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen
Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.Wie die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung noch einmal ausdrücklich bekräftigt hat, sind die angegriffenen Auflagen
als versammlungsrechtliche Auflagen im Sinn des § 15 Abs. 1 VersammlG und nicht als bloße vorsorgende Maßnahmen, die den reibungslosen Ablauf der Versammlung gewährleisten sollen und mit denen kein Grundrechtseingriff
verbunden ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19.07.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671; Beschluss vom 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 -, NVwZ 2007, 1183), zu verstehen. Hintergrund dieser Vorgehensweise dürfte sein, an
eine Verletzung dieser Auflagen durch die Teilnehmer der Versammlung und des an den Leiter der Versammlung gerichteten Gebots, für deren Einhaltung zu sorgen (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom
02.08.2012, - 1 S 618/12 -, VBlBW 2012, 473), die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Sanktionen zu knüpfen (§ 15 Abs. 3, § 19 Abs. 3, § 25 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersammlG). In dem danach als Ermächtigungsgrundlage
allein in Betracht kommenden § 15 Abs. 1 VersammlG finden die angegriffenen Auflagen aber keine Stütze.
Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben,
Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird,
wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht.Eine unmittelbare Gefahr liegt vor, wenn ein Zustand besteht, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der
Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt (vgl. zum Ganzen: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, a.a.O., m.w.N.).Der Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 15 Abs. 1 VersammlG stellt dabei besondere
Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, d. h. einen Sachverhalt, bei dem der Eintritt eines Schadens ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die
Behörde beim Erlass von beschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte
erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2010, - 7 A 11095/09 -, LKRZ 2010, 155 m. w. N.).
Hieran gemessen sind keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dargelegt oder sonst ersichtlich für die Annahme, der Eintritt eines Schadens an einem der geschützten Rechtsgüter sei mit der erforderlichen hohen
Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Weder das Mitführen und Verwenden von brennbaren Flüssigkeiten und von offenem Feuer noch das Mitführen von Hunden noch das Mitführen von Getränken in anderen Behältnissen als Plastikbehältnissen und Tetrapackungen
noch der Konsum von alkoholischen Getränken (Auflagen 8, 10 und 15) verstoßen per se gegen geltendes Recht und stellen daher keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Weshalb durch diese die öffentliche Sicherheit im
Rahmen einer Versammlung unmittelbar gefährdet wird, wird weder im angegriffenen Bescheid noch in der Antragserwiderung mit konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkten dargelegt. Hinsichtlich des Mitführens von
brennbaren Flüssigkeiten und von offenem Feuer wird lediglich auf die allgemeine Gefahr abgehoben, dass Feuer innerhalb der Versammlung zu einer erheblichen Gefährdung für Leib und Leben der versammelten Menschen oder
unbeteiligter Personen führen kann. Anhaltspunkte dafür, dass bei der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung mit brennbaren Flüssigkeiten und mit offenem Feuer ein Feuer innerhalb der Versammlung entfacht werden soll,
sind weder dargelegt noch ersichtlich. Auch hinsichtlich des Mitführens von Hunden wird nicht dargelegt, dass der Eintritt eines Schadens ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist, sondern mit allgemeinen Befürchtungen und Erwartungen
argumentiert. Es wird darauf abgehoben, dass (allgemein) Hunde innerhalb größerer Menschenansammlungen in Stresssituation geraten können, dass bei einer dicht gedrängten Versammlung, bei der es ggfs. auch sehr laut werde, es
nicht auszuschließen sei, dass es zu Situationen kommen könne, in denen andere Versammlungsteilnehmer oder Polizeibeamte durch mitgeführte Hunde - infolge der tierischen Unberechenbarkeit - gebissen würden, und dass ferner
die Gefahr bestehe, dass zwischen zwei oder mehreren Hunden, die mit ihrem Halter an der Versammlung teilnehmen, es zu Auseinandersetzungen kommen könnte, durch die auch Dritte verletzt werden oder sich zumindest bedroht
fühlen könnten. Hinsichtlich des Verbotes von Glasflaschen wird ebenfalls nur auf allgemeine Gefahrenlagen abgestellt. Dass im vorliegenden Fall mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass Glasflaschen als Wurfgeschosse
eingesetzt werden, wird weder dargelegt noch ist dies ersichtlich. Ebenfalls ist nicht dargelegt und nicht ersichtlich, dass die Teilnehmer an der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung in einer Weise Alkohol konsumierten, die
zu einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen könnte. Ferner fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass infolge der Versammlung mehr Glasflaschen auf den Straßen, die beim Aufzug begangen werden,
oder am Kundgebungsort zu Bruch gingen als üblich. Auch insoweit wird nur auf das allgemeine Verletzungsrisiko, das zerbrochene Flaschen darstellten, abgehoben.
Auch hinsichtlich der Auflage 11 dürfte es an einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung fehlen. In der Antragserwiderung hat die Antragstellerin diesbezüglich auf eine sehr hohe Besucherdichte in der
Einkaufsmetropole Mannheim zu dem angemeldeten Zeitpunkt und die aufgrund zahlreicher Baustellen beengte Mannheimer Innenstadt abgehoben. Weshalb neben den den Aufzug und die Versammlung begleitenden Polizeibeamten
ein Einsatz von Ordnern bei einer Teilnehmerzahl von ca. 200 - 300 Personen zur Abwendung von unmittelbar drohenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit erforderlich sein soll, ist weder dargelegt noch erkennbar. Der Verlauf
des Aufzugs und der Kundgebungsort sind mit den Polizeibehörden abgestimmt, ohne dass insoweit Sicherheitsbedenken geäußert wurden. Soweit die Antragsgegnerin in der angegriffenen Verfügung und in der Antragserwiderung
ausgeführt hat, Ordner dienten der vorbeugenden Gefahrenabwehr und seien bei potentiell störungsanfälligen Versammlungen - wie hier - unverzichtbar, ohne dass die Versammlungsbehörde insoweit eine besondere
Gefahrenprognose begründen müsste, verkennt sie zum einen das Erfordernis einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beim Erlass einer solchen Auflage (vgl.: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,
a.a.O.), zum anderen wird nicht dargelegt, weshalb die vom Antragsteller angemeldete Versammlung potenziell störungsanfällig sein soll. Dies ist auch nicht erkennbar, zumal eine vergleichbare Veranstaltung in Kehl ausweislich der
Berichterstattung, etwa in der Badischen Zeitung vom 10.06.2013, friedlich verlief.
Auch Auflage 16 unterliegt rechtlichen Bedenken. Ein Verstoß gegen die Betreiberpflichten aus § 22 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BImSchG stellt zwar eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Um mit einer Auflage
auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG die Einhaltung dieser Pflichten sicherzustellen, bedarf es konkreter Anhaltspunkte, dass der Veranstalter der Versammlung oder des Aufzuges diesen nicht nachkommen wird.
Ausweislich der Anmeldung der Versammlung sollen eine kleine Lautsprecheranlage am Kundgebungsort und gegebenenfalls ein Megaphon zur Information der Teilnehmer zum Einsatz kommen. Sowohl im angegriffenen Bescheid
als auch in der Antragserwiderung fehlt es bereits an nachvollziehbaren Darlegungen, dass der in der Innenstadt von Mannheim, wohl einem festgesetzten oder einem faktischen Kerngebiet, maßgebliche Lärmrichtwert von 60
dB(A) - gemessen vor dem Fenster der nächstgelegenen Wohnung - bei der Durchführung einer zweistündigen Veranstaltung im Tagesmittel überschritten werden wird oder könnte. Des Weiteren hat die Antragsgegnerin bei dieser
Verfügung übersehen, dass die vom Antragsteller angemeldete Versammlung nicht die einzige Lärmquelle in der Innenstadt von Mannheim ist. Eine isoliert von der öffentlichen Versammlung ausgehende Lautstärke, die gesondert
betrachtet werden könnte, gibt es nicht, vielmehr summiert sich der Schalldruck unterschiedlicher Lärmquellen. Würden die Lärmrichtwerte der TA-Lärm tatsächlich überschritten, so wäre dies auf eine Vielzahl von Lärmquellen
zurückzuführen. Hier einseitig den Veranstalter einer öffentlichen Versammlung in die Pflicht zu nehmen, würde dem Gewährsleistungsgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG nicht gerecht. Soweit dem Antragsteller aufgegeben wurde, dass
vereinzelte Lärmspitzen einen Maximalwert von 90 db(A) gemessen in 1 m Abstand von der Emissionsquelle nicht überschreiten dürfen und dies mit Gesundheitsgefahren für Passanten und den Aufzug begleitenden Polizeibeamten
begründet wurde, liegen auch insoweit die tatbestandlichen Voraussetzung des § 15 Abs. 1 VersammlG nicht vor. Abgesehen davon, dass sowohl Passanten als auch Polizeibeamten ein Wegrücken von den Lautsprechern möglich ist
und schon dann der Schalldruck erheblich abnimmt, sind Gehörsschäden bei kurzfristiger Einwirkung erst ab 120 dB(A), gemessen am Ohr, zu befürchten. Dies entspricht, da eine Erhöhung von 10 dB(A) einer Verdoppelung der
Lautstärke entspricht, der achtfachen Lautstärke, die bei 90 dB(A) wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass der angegebene Wert, bei dem Schäden zu befürchten sind, sich auf den Messpunkt ‚menschliches Ohr' bezieht und mit
jeder Verdoppelung des Abstandes der Schalldruck um etwa 6 dB(A) sinkt (vgl. Zum Ganzen: http://de.wikipedia.org/wiki/Schalldruckpegel).
Auf die Verhältnismäßigkeit und inhaltliche Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 LVwVfG) der Auflagen im Einzelnen kommt es, da bereits der Tatbestand des § 15 Abs. 1 VersammlG nicht erfüllt ist, nicht weiter an.
Sollte sich herausstellen, dass die Versammlung von den Angaben der Anmeldung abweicht oder dass die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 gegeben sind, so bleibt die Möglichkeit unbenommen, die
Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersammlG aufzulösen oder einzelne Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung auszuschließen (§ 18 Abs. 3, § 19 Abs. 3 VersammlG). ..."
***
„... I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 8. August 2013 gegen Nr. 1, Nr. 3.6 (soweit vorgeschrieben wird, dass eine abschließende Auflistung der Redner vorzulegen ist), Nr. 3.7 Sätze 2 und 3, Nr. 3.9
(soweit die Breite von Transparenten auf 250 cm begrenzt wird) und Nr. 3.21 des Bescheids des Landratsamtes Main-Spessart vom 8. August 2013 wird angeordnet. Hinsichtlich der Nr. 3.1 Sätze 1 und 2 wird die aufschiebende
Wirkung der Klage mit der Maßgabe angeordnet, dass ein Ordner pro angefangene 25 Teilnehmer zu stellen ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. ...
1. Das Verbot der Versammlung (Nr. 1) lässt sich nicht auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtfertigen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommen Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt von
ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird, rechtfertigt demgegenüber im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (BVerfG, B.v. 19.12.2007 Nr. 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671). Die Versammlungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische
Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (st. Rspr. des BVerfG, zuletzt B.v. 20.12.2012 Nr. 1 BvR 2794/10,
DVBl. 2013, 267, m.w.N.).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, B.v. 07.04.2001 Nr. 1 BvQ 17/01, 1 BvQ 18/01, NJW 2001, 2072).
Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der ‚erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis
setzt tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001 Nr. 1 BvQ 8/01, NJW 2001, 1407). Der Prognosemaßstab der ‚unmittelbaren
Gefährdung' erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder
Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001 Nr. 1 BvQ 21/01, NJW 2001, 2078). Nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit setzt das Verbot einer Versammlung als Ultima Ratio in jedem Fall voraus, dass das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft ist (BVerfG, B.v. 05.09.2003 Nr. 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004, 90).
Ausgehend hiervon erweist sich das Versammlungsverbot vorliegend als offenkundig rechtswidrig.
Die vom Landratsamt besorgte Gefahr von Konfrontationen mit Gegendemonstranten und Ausschreitungen trägt das Verbot nicht. Die diesbezüglichen Befürchtungen der Behörde sind spekulativ. Dass Ausschreitungen und Straftaten
nicht oder nicht endgültig ausgeschlossen werden können, rechtfertigt ein Versammlungsverbot nicht. Durchgreifende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Polizei nicht in der Lage wäre, etwaige Konfrontationen mit Dritten zu
verhindern, erkennt die Kammer auch angesichts der angekündigten Gegendemonstration nicht. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Gegen die friedliche
Versammlung selbst kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (BVerfG, B.v. 20.12.2012 Nr. 1 BvR 2794/10, a.a.O.). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde und
die Polizei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit andernfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten
Versammlung nicht in der Lage wären. Dies erscheint hier eher fernliegend.
Soweit das Landratsamt darauf abstellt, dass die Person des Versammlungsleiters nicht für einen friedlichen und gewaltfreien Versammlungsverlauf Sorge tragen kann, rechtfertigt dies nicht das ausgesprochene Versammlungsverbot.
Grundsätzlich kann ein Verbot einer Versammlung darauf gestützt werden, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehene Person nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der
Versammlung verfügt (vgl. VG Karlsruhe, Az.: 3 K 1245/13).
Nach Art. 3 Abs. 1 BayVersG leitet der Veranstalter die Versammlung. Der Versammlungsleiter hat gem. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayVersG während der Versammlung für Ordnung und für den ordnungsgemäßen Ablauf zu
sorgen. Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz zwar keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass
er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem
persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., § 7 Rdnr. 8).
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Wird ein Versammlungsverbot darauf gestützt, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die
erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen, so müssen dafür konkrete Tatsachen bezeichnet werden, die die behördliche oder gerichtliche Annahme mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen (vgl. VG Karlsruhe, a.a.O.).
Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 8. August 2013 in Bezug auf den Antragsteller als Versammlungsleiter nicht.
Zwar wird in der Verfügung ausgeführt, der Antragsteller sei nach Information des Polizeipräsidiums Unterfranken in der rechten Szene fest verankert und es bestünden Kontakte zum überregionalen Netzwerk Freies Netz Süd, dessen
radikale Ausrichtung bereits eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung indiziere. Zudem werde derzeit ein mögliches Vereinsverbot des Freien Netz Süd geprüft, aufgrund dessen Anfang Juli in diesem Zusammenhang
landesweite Durchsuchungen (u.a. auch beim Antragsteller) stattgefunden hätten.
Es finden sich aber sowohl in der Verfügung als auch in der Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums Unterfranken keine näheren Angaben zum Ausgang der Vereinsverbotes und auch keine konkreten Hinweise auf begangene und
abgeurteilte Straftaten des Antragstellers (insbesondere nicht in Zusammenhang mit einer Versammlung).
Die strafrechtliche Verfolgung der von Herrn M... W... im Rahmen des im Jahr 2011 stattgefunden Veranstaltung ‚4. Nationaler Frankentag' getroffenen Aussagen lässt keinen nachvollziehbaren Schluss auf die Zuverlässigkeit und
Eignung des Antragstellers für die Funktion des Versammlungsleiters zu. Insbesondere war der Antragsteller seiner Zeit nicht Veranstalter und/oder Veranstaltungsleiter.
Auch die Bekanntschaft des Antragstellers mit Herrn R... M..., sowie der Umstand, dass dieser am Veranstaltungstag Geburtstag hat, können an der Eignung zur Gewährleistung des friedlichen Verlaufs der Versammlung keine
konkreten Zweifel begründen.
In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass bei der Einschätzung des künftigen Verhaltens von Personen oder der mutmaßlichen Gefährlichkeit einzelner Personen oder Personengruppen die Gefahrenprognose im Rahmen des
§ 15 BayVersG nicht zu einer faktischen Grundrechtsverwirkung für einzelne Personen oder Personengruppen führen darf (Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 15 Rn. 118).
Inwieweit die - nicht näher bekannten - Bands zu einem unfriedlichen Verlauf der Versammlung führen sollen, lässt der Verbotsbescheid in seinen Gründen offen. Die pauschale Behauptung ohne konkrete Hinweise trägt jedoch nicht
das Versammlungsverbot.
Selbst wenn die Versammlung - wie vom Landratsamt angenommen - eine Ersatzveranstaltung für die mit Bescheid vom 05.08.2013 von der Gemeinde Roden untersagte Vergnügungsveranstaltung nach Art. 19 LStVG darstellt, lässt
dies allein keinen Rückschluss darauf zu, dass strafrechtlich relevante Äußerungen oder Handlungen auf der vorliegend zu beurteilenden Versammlung auftreten werden.
Nach alledem reichen die vom Landratsamt angeführten Gründe, sowohl für sich betrachtet als auch bei Zusammenschau, nicht für ein Versammlungsverbot nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG aus.
2. Nr. 3.1 Sätze 1 und 2 sind rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des BayVGH, der die Kammer folgt, ist grundsätzlich ein Ordner pro angefangene 25 Teilnehmer als ausreichend anzusehen (vgl. B.v. 23.10.2008 Nr. 10 ZB
07.2665; vgl. auch Merk/Wächtler in Wächtler/Heinhold/Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, RdNr. 104 aE zu Art. 15). Besondere Umstände, welche die Verpflichtung zum Einsatz einer größeren Zahl von Ordnern
rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.
Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung hat die Kammer eine entsprechende Änderung tenoriert.
3. Nr. 3.6 ist insoweit rechtswidrig, als eine abschließende Auflistung der Redner vorzulegen ist.
Garant der Gestaltungsfreiheit bezüglich der Redebeiträge ist Art. 5 Abs. 1 GG (Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 46 zu § 1 sowie RdNr. 100 zu § 15). Eine Rednerliste kann wegen des grundsätzlich wirkenden Zensurverbots
jedenfalls dann nicht verlangt werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass durch Äußerungen eines Redners die öffentliche Sicherheit unmittelbar und nennenswert gefährdet würde (vgl. dazu ausführlich VG
Würzburg, U.v. 12.03.2009 Nr. W 5 K 08.1758, m.w.N. sowie zuletzt VG Würzburg, B. v. 29.03.2013 Nr. W 5 S 13.264; vgl. auch VG Würzburg, U.v. 17.05.2001 Nr. W 5 K 00.1345).
4. Die Verpflichtung in Nr. 3.6 zur Vorlage einer Auflistung der auftretenden Bands ist ebenso wenig zu beanstanden wie die Verpflichtung in Nr. 3.7 Satz 1 zur Vorlage der Liedtexte.
Ausweislich der Angaben des Antragsstellers in der Versammlungsanmeldung und dem Koordinationsgespräch vom 10. August 2013 sind u.a. musikalische Redebeiträge in Form von Bandauftritten auf der Versammlung geplant.
Dabei schwankt die Zahl der vorgesehenen Musikbands laut Aussage des Antragsstellers zwischen ein bis acht Gruppierungen, wobei durchaus auch die Bands auftreten könnten, die für das ‚Europa-Erwacht-Festival' vorgesehen
gewesen seien.
Wenn auch nur lose, sieht sich die streitgegenständliche Versammlung doch in einem gewissen Zusammenhang mit der inzwischen verbotenen Veranstaltung ‚Europa-Erwacht-Festival', welche für den 10.08.2013 in Roden angezeigt
worden war. Neben den zeitlichen und örtlichen Parallelen hat der Antragsteller selbst - durch die Aussage, dass bei Stattfinden des Festivals die Sinnhaftigkeit der Versammlung in Frage gestellt sei - einen Kontext hergestellt. Es
kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest teilweise Bands bei der Versammlung spielen werden, die ursprünglich für das ‚Europa-Erwacht-Festival' geplant gewesen sind.
Zudem sieht sich die Veranstaltung in Verbindung zum ‚4. Nationalen Frankentag', der 2011 ebenfalls in der Gemeinde Roden stattgefunden hat.
Die der erkennenden Kammer aus vorangegangenen Verfahren (insbesondere W 5 S 11.608 und W 5 S 11.618) bekannten Texte von Liedern etwa der im Rahmen der verbotenen Veranstaltung vorgesehenen Band L... V... sowie die
polizeilichen Erkenntnisse zu den für das verbotene Festival geplanten Musikbands lassen die Vorlage der vorgesehenen Liedtexte angezeigt erscheinen.
Der Einwand des Antragstellers, er wisse am Vorabend der Versammlung um 20:00 Uhr nicht, welche Bands auftreten werden, kann nicht überzeugen. Aus Sicht der erkennenden Kammer muss der Versammlungsleiter am Abend vor
einer zehnstündigen Versammlung in der Lage sein, die Namen der auftretenden Bands zu benennen.
Der Antragsteller übersieht im Übrigen, dass sich die Mitteilungspflicht auf die Namen und Liedtexte der geplanten Musikbands beschränkt. Einzelne (spontane) Musikbeiträge sind davon nicht umfasst.
5. Nr. 3.7 Sätze 2 und 3 sind rechtswidrig. Die Auflagen verstoßen gegen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters. Der Veranstalter einer Versammlung gibt deren zeitlichen Rahmen vor, er bestimmt grundsätzlich auch über
den Ablauf der Versammlung (vgl. VG Würzburg, B. v. 24. April 2013 Nr. W 5 S 13.347). Eine so genaue Regulierung des Versammlungsablaufs, wie ihn das Landratsamt in seinem Bescheid anstrebt, läuft dem Versammlungsrecht
zuwider. Der Charakter einer Versammlung erscheint nicht gefährdet, wenn über den im Bescheid festgelegten Zeitraum und abweichend von dem im Bescheid festgelegten Ablauf musikalische Beiträge erfolgen.
6. Nr. 3.8 des Bescheides ist bei summarischer Prüfung insgesamt nicht zu beanstanden. Das Landratsamt verpflichtet den Antragsteller zu Recht in Anlehnung an die Vorgaben der Nr. 6.3 der TA Lärm, einen Beurteilungspegel von
70 dB(A) einzuhalten. Der Antragsteller übersieht, dass sich die Einschränkung nur auf Livemusik und das Abspielen von Musikbeiträgen bezieht, nicht aber auf Redebeiträge. Der Antragsteller übersieht weiter, dass der festgesetzte
Beurteilungspegel nicht dem für Geräuschspitzen zulässigen Spitzenpegel (Nr. 6.3 TA Lärm) entspricht, der um 20 dB(A) über dem Beurteilungspegel liegen kann. Die Sicherstellung der Einhaltung des Beurteilungspegels durch
einen Pegelbegrenzer ist Sache des Antragstellers. Solche Pegelbegrenzer sind bei Musikanlagen inzwischen Standard. Dass der Antragsteller auch statt eines Pegelbegrenzers eine Einpegelung der Musikanlage durch einen
Sachverständigen vornehmen lassen kann, stellt für ihn nur eine weitere Alternative dar. Der Antragsteller muss berücksichtigen, dass er eine über 10 Stunden angesetzte Versammlung mit Musikdarbietungen in einem Wohngebiet
durchführen will. Das Versammlungsrecht wirkt nicht unbeschränkt. Insbesondere sind Gesundheitsbeeinträchtigungen von Anwohnern geeignet, limitierend zu wirken. Auf die darüber hinaus bestehenden Vorgaben der Richtlinie
2003/10/EG über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (Lärm) und der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung
(LärmVibrationsArbSchV) wird Bezug genommen.
7. Nr. 3.9 ist rechtswidrig, soweit die Breite von Transparenten auf 250 cm begrenzt wird. Es ist keine Gefahr für die Kundgebungsteilnehmer der geplanten stehenden Versammlung oder sonstige Personen ersichtlich. Dass von
größeren Transparenten eine Gefährdung ausgehen könnte, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Auch der Bescheid enthält zu dem Zweck der Anordnung keinerlei Begründung. Zur Vermeidung von zweckwidrigen Verwendungen
erscheint es ausreichend, die Länge, die Stärke und das Material der Haltestangen zu beschränken.
8. Nr. 3.13 ist rechtmäßig, soweit eine Beschränkung auf Kaltverpflegung angeordnet ist. Betätigungen, die der demokratischen Meinungsbildung nicht wesensimmanent sind, werden nicht vom Versammlungsrecht geschützt (vgl.
auch Kanther, Zur Infrastruktur von Versammlungen: Vom Imbissstand bis zum Toilettenwagen, NVwZ 01, 1239; VG Stuttgart, B.v. 23.08.2006 Nr. 5 K 3128/06). Weder der Schutz des Art. 8 GG noch der des BayVersG reicht so
weit, dass daraus beliebige günstige (bequemere) Rahmenbedingungen für eine Versammlung hergeleitet werden könnten (VG Würzburg, U. v. 14.03.2013 Nr. W 5 K 12.555). Die Sicherstellung warmer Mahlzeiten bei einer
Versammlung unter freiem Himmel ist vom Versammlungsgrundrecht nicht umfasst.
9. Keinen Bestand haben kann Nr. 3.21 des angegriffenen Bescheids. Ein gesetzliches Verbot zum Zeigen der genannten Buchstaben- und Zahlenkombinationen besteht nicht, sie erfüllen namentlich weder einen Straftatbestand nach §
86a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 Satz 2 StGB noch ist ihr Tragen geeignet, die öffentliche Ordnung zu verletzen. Soweit die Zahlenkombinationen ‚14', ‚18', ‚28' und ‚88' genannt sind, erscheint eine Auflage zum Schutz der öffentlichen
Ordnung schon deswegen nicht erforderlich, weil eine breitere Öffentlichkeit diese Zahlen weder dem Nationalsozialismus überhaupt zuordnen kann noch ihre Bedeutung kennt (vgl. VG Bayreuth, B.v. 16.08.2011 Nr. B 1 K 09.124 m.w.N.).
Auch das Verbot von Kleidung mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises Überdecken die Buchstabenkombinationen wie ‚NS', ‚NSDAP' oder dergleichen herstellen lassen, kann nicht auf Art. 15 BayVersG gestützt werden.
Das sichtbare Tragen von nationalsozialistischen Kennzeichen in einer Versammlung erfüllt zwar den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Auflage richtet sich jedoch nicht konkret gegen das Tragen dieser verbotenen
Aufschriften. Sie ist vielmehr so weit gefasst, dass damit praktisch das Tragen jeder Bekleidung mit Aufschriften untersagt wird, weil sich aus einer Vielzahl von beliebigen Beschriftungen diese Buchstaben- oder
Zahlenkombinationen herstellen lassen. Sie untersagt damit ein ohne weiteres Zutun (Verdecken, Abkleben etc.) erlaubtes Verhalten.
Dass Anhaltspunkte vorliegen, nach denen in der streitgegenständlichen Versammlung eine erhebliche Anzahl von Teilnehmern Bekleidungsstücke in der beschriebenen Art tragen wollte, ist im Bescheid ebenso wenig dargelegt wie
begründet wird, weshalb dadurch eine einschüchternde Wirkung erzielt werden kann. Dabei ist bereits fraglich, ob die aufgeführten Buchstabenkombinationen überhaupt dazu geeignet sind. Dies mag dann der Fall sein, wenn die
Versammlungsteilnehmer einer rechtsradikalen Versammlung durch das massenhafte Tragen derartiger Aufschriften den Eindruck erwecken wollen, dass sie in der Nachfolge ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen stehen.
Davon kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Der streitgegenständliche Bescheid enthält auch keine weitere Begründung für die verhängte Auflage. ..." (VG Würzburg, Beschluss vom 09.08.2013 - W 5 S 13.680)
***
„... Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31. Juli 2013 (Ziff. 1 und Ziff. 5) wiederherzustellen, ist ohne Erfolg.
Die mit dem versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid unter Ziff. 1 erfolgte Untersagung des Aufstellens und Betreibens von Verkaufsständen sowie eines Standes des ‚Berliner Wassertisches' im Rahmen der
Abschlussveranstaltung der Hanfparade 2013, sofern nicht ordnungsbehördliche Erlaubnisse vorliegen, ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden (nachfolgend 1.).
Gleiches gilt für die ebenfalls unter Ziff. 1 des Auflagenbescheides geregelte Untersagung der Einrichtung eines abgezäunten Bereichs hinter der Bühne und das damit zusammenhängende Aufstellen von zwei Pavillons ohne
entsprechende ordnungsbehördliche Erlaubnis (nachfolgend 2.) sowie für die gemäß Ziff. 5 erforderliche schriftliche Benennung eines speziellen Wagenverantwortlichen und dessen Personalien durch den Veranstalter bzw.
Versammlungsleiter (nachfolgend 3.). Deshalb überwiegt in allen diesen Punkten das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des Bescheides verschont zu bleiben
(§ 80 Abs. 5 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Auflagen ist § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur
Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass -
unabhängig von der Frage der Einordnung einer Veranstaltung als Versammlung im allgemeinen - einzelne Ausstattungsgegenstände oder sonstige Elemente, die nicht unmittelbar dem Versammlungszweck dienen, auf der Grundlage
des § 15 Abs. 1 VersG von der Versammlungsbehörde untersagt werden können, sofern nicht eine ordnungsbehördliche (insb. straßenrechtliche) Erlaubnis vorliegt. Das Aufstellen von Verkaufsständen gehört dabei in der Regel nicht
zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten und deshalb auch nach dem Versammlungsgesetz ohne Erlaubnis zulässigen Tätigkeiten (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. August 2012 - OVG 1 S 111.12; OVG Berlin,
Beschluss vom 8. Juli 1999, LKV 1999, 372; VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Dezember 1993, NVwZ-RR 1994, 370; Beschluss der Kammer vom 9. August 2012 - VG 1 L 188.12). Denn solche erwerbswirtschaftlichen
Betätigungen stehen grundsätzlich nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum
Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, BVerfGE 69, 315 [342ff.]; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, BVerwGE 82, 34 [39]).
Auch die vom Antragsteller geplanten Verkaufsstände (einschließlich der Verzehrstände) dienen nicht unmittelbar dem Versammlungszweck. Dies gilt gleichermaßen für solche Verkaufsstände, an denen Hanfprodukte oder in ‚Head-
und Growshops' Produkte mit Bezug zur Hanfpflanze (z.B. Konsumzubehör) verkauft werden sollen. Denn auch sie sollen dazu dienen, Waren zu ‚präsentieren' (vgl. Seite 2 des Schreibens des Antragstellers vom 25. Juli 2013, Bl. 22
d.A.). Eine solche Präsentation von Waren ist einseitig als Verkaufsangebot angelegt und verfolgt daher nicht den Zweck, auf die kollektive Meinungsbildung und -äußerung Einfluss zu nehmen (Urteil der Kammer vom 11. Dezember
2012 - VG 1 K 354.11 - Seite 13 des Umdrucks).
Die geplanten Verzehrstände sind auch nicht zwingend für die Durchführung der Versammlung erforderlich und aus diesem Grund versammlungsbezogen. Den Veranstaltungsteilnehmern steht es nämlich frei, eigene Verpflegung von
Anfang an mitzuführen oder in unmittelbarer Nähe befindliche anderweitige Nahversorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. August 2012 - OVG 1 S 111.12; Beschluss der
Kammer vom 9. August 2012 - VG 1 L 188.12). Weshalb es für die Eigenverpflegung nach Meinung des Antragstellers ‚prall gefüllter Taschen' bedarf, die bei Einsatzkräften Irritationen auslösen würden, ist nicht nachvollziehbar.
Soweit der Antragsgegner das Aufstellen des Standes des ‚Berliner Wassertisches' untersagt hat, ist dies nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar soll dort - nach den Angaben des Antragstellers im 2.
Veranstaltergespräch (Bl. 77 d.A.) - Wasser unentgeltlich angeboten werden und ist ein solches Angebot in der Regel versammlungsbezogen, weil damit typischerweise kein anderer Zweck verfolgt wird, als die Teilnahme an der
Veranstaltung zum Zwecke der Meinungsbildung und -kundgabe physisch zu gewährleisten (vgl. Urteil der Kammer vom 11. Dezember 2012 - VG 1 K 354.11 - Seite 12 des Umdrucks, zur Ausgabe von Wasser zum
Selbstkostenpreis). Hier liegt der Fall jedoch anders, weil der ‚Berliner Wassertisch' die Ausgabe von Wasser offenbar dazu nutzen will, auf den Bürgerentscheid zur Privatisierung der Wasserbetriebe aufmerksam zu machen. Damit
aber geht es ihm gerade nicht - zumindest nicht in erster Linie - darum, die Meinungsbildung und -kundgabe in Bezug auf die Legalisierung von Hanf zu gewährleisten.
Eine andere Beurteilung der vom Antragsteller vorgesehenen Stände folgt auch nicht aus dem Urteil der Kammer vom 11. Dezember 2012 (VG 1 K 354.11). In diesem Verfahren war allein die Frage zu entscheiden, ob die
Abschlussveranstaltung der ‚Hanfparade 2011' nach ihrem Gesamtgepräge als Versammlung anzusehen war. Dies hat die Kammer bejaht, ohne damit festzustellen, dass jedes einzelne Element dieser Veranstaltung, unabhängig von
seinem inneren Zusammenhang mit dem Versammlungszweck, den Schutz des Art. 8 GG genießt. Die ständige Rechtsprechung, nach der nicht versammlungsbezogene Stände und sonstige Aufbauten (z.B. Zelte, Pavillons)
straßenrechtlich erlaubnispflichtig sind, wird mit dem Urteil nicht in Frage gestellt.
2. Auch die Einrichtung eines abgezäunten Bereichs hinter der Bühne mit zwei Pavillons dient nicht unmittelbar dem Versammlungszweck. Eine für die Durchführung der Versammlung begehrte Infrastruktur unterfällt dem
Schutzbereich von Art. 8 GG nur dann, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe
wesensnotwendig sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2012 - OVG 1 S 108.12). Dafür ist nichts ersichtlich. Der abgezäunte Bereich ist entgegen der Auffassung des Antragstellers weder notwendig, um -
mithilfe darin aufgestellter Pavillons - Bühnentechnik zu schützen, noch, um Transparente aufhängen zu können, die für auf der Rückseite der Bühne ankommende Versammlungsteilnehmer gut sichtbar sind. Insoweit hat der
Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht (vgl. zuletzt Schriftsatz vom 8. August 2013), weshalb Transparente nicht ebenso gut an der Rückseite der Bühne befestigt werden können. Ein Pavillon ist darüber hinaus insofern
entbehrlich, als die Technik, sofern nicht ohnehin eine sichere Unterbringung auf der Bühne möglich ist, durch Abdeckungen gegen Witterungseinflüsse geschützt werden kann; ferner kann der Schutz gegen herandrängende
Versammlungsteilnehmer statt durch einen Zaun durch eine entsprechende Anzahl von Ordnern, ggf. mithilfe von Flatterbändern, gewährleistet werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2012 - OVG 1 S
134.12; Beschluss der Kammer vom 28. September 2012 - VG 1 L 254.12).
3. Schließlich unterliegt auch die Verpflichtung des Antragstellers bzw. Versammlungsleiters zur Benennung eines Wagenverantwortlichen einschließlich der vollständigen Personalien keinen Rechtmäßigkeitsbedenken. § 15 Abs. 1
VersG findet auch hier Anwendung. Der Einwand des Antragstellers, der Wagenverantwortliche diene allein dem Versammlungsleiter bei der Durchführung seiner Aufgaben und gerade nicht der Versammlungsbehörde, greift nicht
durch. Soweit § 19 Abs. 1 Satz 1 VersG die Verantwortlichkeit des Versammlungsleiters für den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung begründet, wozu er sich gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 VersG der Hilfe von Ordnern bedienen
darf, schließen diese Vorschriften die Erteilung einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG zur Bestellung eines speziellen Ordners als Wagenverantwortlichen für ein Fahrzeug nicht aus (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juni
2010 - OVG 1 N 82.09). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG liegen vor, weil durch das beabsichtigte Mitführen von insgesamt 12 bis 15 Kraftfahrzeugen bis 7,5 Tonnen eine unmittelbare Gefährdung insbesondere
für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer verbunden ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 29. April 2009 - 1 A 115.07). Die Auflage ist entgegen der Auffassung des Antragstellers schließlich auch insoweit verhältnismäßig,
als sie eine Pflicht zur vollständigen Angabe der Personalien des Wagenverantwortlichen enthält. Denn nur mit Kenntnis der vollständigen Personalien ist die Polizei in der Lage, dessen Zuverlässigkeit zu überprüfen (vgl. OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juni 2010 - OVG 1 N 82.09). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 09.08.2013 - 1 L 230.13)
***
Zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Routenänderung im Hinblick auf eine Gegenversammlung (VG Hannover, Beschluss vom 29.07.2013 - 10 B 5753/13):
„... Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19.07.2013 wird wiederhergestellt, soweit sie sich gegen Ziffer 8 Absatz 2 des Bescheides und die Wendung in Ziffer 5 ‚oder
in den Augen der breiten Öffentlichkeit einen solchen Eindruck hervorrufen können' richtet. Darüber hinaus wird die aufschiebende Wirkung der Klage mit folgender Maßgabe wieder hergestellt:
Die Versammlung nimmt den im Bescheid vom 19.07.2013 festgelegten Verlauf. Abweichend hiervon kann die Versammlung von der Poststraße in die Bahnhofstraße geführt werden, wo vor dem Wincklerbad eine
Zwischenkundgebung abgehalten werden kann.
Die Versammlung beginnt um 14:00 Uhr und endet um 20:00 Uhr. Die Einmündung der Poststraße in die Bahnhofstraße darf nicht vor 16:00 Uhr passiert werden.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsteller trägt 1/4, der Antragsgegner trägt 3/4 der Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Der Wert des Streitgegenstandes
wird auf 5.000.00 Euro festgesetzt. ...
I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegenüber versammlungsrechtlichen Beschränkungen.
Der Antragsteller meldete am 19.09.2009 für das ‚Gedenkbündnis Bad Nenndorf' einen Aufzug unter dem Motto ‚Gefangen, gefoltert, gemordet - Damals, wie heute: Besatzer raus!' an, die am 03.08.2013 in Bad Nenndorf stattfinden
soll. Seit 2006 werden in Bad Nenndorf Anfang August sogenannte Trauermärsche durchgeführt, mit denen die Nutzung des Wincklerbades durch die britischen Besatzungskräfte in den Jahren 1945 bis 1947 als Verhörzentrum und
Gefangenenlager thematisiert wird. Parallel zu diesen Versammlungen werden jährlich ebenfalls wiederkehrende Gegendemonstrationen veranstaltet.
Die für den 03.08.2013 geplante Versammlung des Antragstellers soll um 11.00 Uhr beginnen und bis 21.30 Uhr dauern. Erwartet werden etwa 500 Teilnehmer. Angezeigt wurde folgender Aufzugsweg:
Bahnhofsvorplatz, Bahnhofstraße zum Wincklerbad, Kramerstraße, Wilhelmstraße, Bahnhofstraße zurück zur Kurhausstraße, Am Thermalbad, Horster Straße, Kreuzstraße, über Bornstraße zurück zum Bahnhof.
Kundgebungen sollen in der Bahnhofstraße in Höhe Poststraße, An der Kreuzung Am Thermalbad/ Horster Straße und am Bahnhofsvorplatz stattfinden.
Mit Schreiben vom 28.11.2012 zeigte der Beigeladene zu 1) für den 03.08.2013 eine Versammlung an, die in der Zeit von 10.30 Uhr bis 18.00 Uhr stattfinden soll. Angezeigt wurde folgender Aufzugsweg:
Bornstraße/ Nähe Bahnhof (Auftaktkundgebung), Bornstraße, Kreuzstraße, Hauptstraße, Kurhausstraße, Mahnmal zur Reichspogromnacht (Zwischen-kundgebung), Kurpark, Parkstraße, Lehnhast, Lindenallee, Wilhelmstraße,
Doudevillestraße, Horster Straße, Grünfläche Horster Straße/ Parkplatz vor der Sporthalle (Abschlusskundgebung).
Für die Initiative ‚Bad Nenndorf ist bunt - Bündnis gegen Rechtsextremismus e.V.' zeigte deren 2. Vorsitzende am 05.06.2013 für den 03.08.2013 eine Versammlung an, die in der Zeit von 11.30 Uhr bis 20.00 Uhr stattfinden soll.
Angezeigt wurde folgender Aufzugsweg:
Bahnhofstraße/Höhe Kleines Gymnasium (Auftaktkundgebung), Bahnhofstraße, Wincklerbad (12.30 Uhr bis 20.00 Uhr Kundgebung mit Kulturprogramm).
Unter dem 05.07.2013 teilte der Beigeladene zu 1) dem Antragsgegner unter Bezugnahme auf das am 04.07.2013 durchgeführte Kooperationsgespräch mit, statt der bisher vom DGB - Region Niedersachsen-Mitte, Bad Nenndorf ist
bunt e.V., der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke sowie H. (Kreisverband Schaumburg Bündnis 90/Die Grünen) für den 03.08.2013 in Bad Nenndorf angemeldeten Veranstaltungen hätten sich sämtliche Veranstalter darauf
geeinigt, nur eine einzige Veranstaltung durchzuführen. Die Veranstaltung beginne um 10.30 Uhr an der Bornstraße und führe über Hauptstraße, Kurhausstraße, Kleines Gymnasium Nenndorf/Bahnhofstraße zum
Wincklerbad/Bahnhofstraße. Es seien mehrere Zwischenkundgebungen und eine Abschlusskundgebung vor dem Wincklerbad in der Bahnhofstraße bis 20:00 Uhr geplant. Erwartet würden bis zu 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Am 11.07.2013 zeigte der Beigeladene zu 2) ebenfalls für den 03.08.2013 in Bad Nenndorf eine Versammlung an, die von 9:00 Uhr bis 20:00 dauern und folgenden Verlauf nehmen soll:
Bornstraße (Auftaktkundgebung), Martin-Luther-Straße, Mittelwiese, Hauptstraße (durch die Fußgängerzone), Parkstraße, Bahnhofstraße. Zwischenkundgebungen sollen am Eingang zum Kurpark (Ecke Kurhausstraße/Hauptstraße)
und an der Einmündung der Parkstraße in die Bahnhofstraße stattfinden; eine Abschlusskundgebung ist für die Ecke Bahnhofstraße/ Kramerstraße geplant.
Mit Bescheid vom 19.07.2013 bestätigte der Antragsgegner dem Antragsteller die Anzeige einer Versammlung für den 03.08.2013 und verfügte u.a. folgende Beschränkungen:
Der Zeitraum der Durchführung der Versammlung wird auf 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr festgelegt. Die Versammlung ist durch den Versammlungsleiter bzw. seinen Stellvertreter spätestens um 18:00 Uhr zu beenden.
Die Aufzugsroute muss folgenden Verlauf nehmen:
Bornstraße, Höhe Bahnhof (Auftaktkundgebung) - Bornstraße - Kreuzstraße - Horster Straße - Am Thermalbad - Kampstraße - Hauptstraße (Fußgängerzone) - vor Haus Kassel rechts in die Poststraße - Poststraße zum Wincklerbad
(dort Zwischenkundgebung, ausgehend von der Bahnhofstraße ab Beginn der Grenze des Grundstücks Poststraße 2) - Poststraße Richtung Hauptstraße (Fußgängerzone) - Hauptstraße (Fußgängerzone) - Kampstraße - Am Thermalbad -
Horster Straße (Zwischenkundgebung Kreuzung Am Thermalbad/Horster Straße) - Horster Straße - Kreuzstraße - Bornstraße - Bornstraße, Höhe Bahnhof (Abschlusskundgebung). ...
5. Die Versammlungsteilnehmer dürfen keine Embleme oder Tätowierungen sichtbar tragen, die in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen, ‚Hass' bedeuten (z. B. Bilder von Totenköpfen, Schriftzug ‚Hass') oder in den
Augen der breiten Öffentlichkeit einen solchen Eindruck hervorrufen können. Das Tragen von Bekleidungsstücken mit Aufschriften, aus denen durch teilweises Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolge wie ‚NS', ‚NSD',
‚NSDA', ‚NSDAP', ‚SS', ‚SA', ‚A.C.A.B.', ‚14', ‚18', ‚88' oder die Abkürzungen bzw. erkennbare Abkürzungsteile weiterer verbotener Parteien oder Gruppierungen ergeben kann, ist verboten. ...
8. ... Die Redner und Rednerinnen sind eine Stunde vor Beginn der Versammlung gegenüber der Polizei oder Versammlungsbehörde zu benennen.
Zur Begründung heißt es u.a.: Eine weitere Versammlung an diesem Tage habe einen engen zeitlichen und örtlichen Bezug zum Wincklerbad, auch dieser sei im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens die Gelegenheit zu geben, die
bestimmende Örtlichkeit des Versammlungszwecks im Rahmen der Routenführung gerade an diesem Tag zu erreichen, da auch hier der Demonstrationsgrund liege. Um dem Erstanmelderprinzip gerecht zu werden, sei auch für die
Versammlung des Antragstellers explizit sichergestellt, dass die gewünschte Kundgebung am Wincklerbad stattfinde. Das Erstanmel-derprinzip umfasse grundsätzlich nicht vollumfänglich jegliche Gesichtspunkte der angezeigten
Demonstration. Im Rahmen der Abwägung grundrechtlicher Interessen aller Beteiligten und im Wege der praktischen Konkordanz könne eine gesetzliche Regelung im Versammlungsrecht, die eine unbeschränkte Anmeldung bzw.
Anzeige für Jahre im Voraus möglich mache, nicht die Grundrechte Dritter einschränken, die Gleiches für sich in Anspruch nehmen wollten. Dem Erstanmelderprinzip sei hinsichtlich des Ortsbezugs hinreichend Rechnung getragen
worden. Aufgrund der weitaus geringeren Teilnehmerzahl der Versammlung des Antragstellers sei auch aus rechtlicher Sicht eine Routenänderung im Hinblick auf Rettungswege, polizeiliches Schutzkonzept und praktische
Durchführbarkeit des Versammlungsgeschehens verfahrensfehlerfrei. Dem Einwand, die Poststraße sei mangels ausreichender Größe nicht für die Zwischen-kundgebung geeignet, sei entgegenzuhalten, dass die dem Antragsteller
zugewiesene Fläche tendenziell größer sei als das in den Vorjahren genutzte Areal. Dass der Demonstrationszug an dieser Stelle etwas in die Länge gezogen werde, behindere niemanden in seiner Versammlungsfreiheit, da es jedem
Versammlungsteilnehmer möglich sei, die Inhalte der Versammlung wahrzunehmen. Aufgrund ihrer Lage und baulichen Beschaffenheit seien die Kramer- und Wilhelmstraße im Hinblick auf die versammlungsrechtliche
Gesamtsituation am 03.08.2013 nicht für den vom Antragsteller geplanten Aufzug geeignet.
Rechtsextremisten zeigten ihre Gesinnung durch ihr zum Teil nahezu einheitliches Erscheinungsbild. Zudem würden innerhalb dieser Szene Kleidungsstücke bestimmter Marken bevorzugt. Hierbei sei nicht der modische Aspekt
entscheidend, sondern vielmehr die Tatsache, dass abhängig davon, wie dieses Kleidungsstück getragen werde, verschiedene Buchstabenkonstellationen erschienen, wie z.B. NS, NSD, NSDA oder NSDAP. Neben diesen
Buchstabenkombinationen würden in der Szene auch Zahlenkombinationen verwendet. So bedeute die Zahlenkombination 88 ‚Heil Hitler'; die 8 beziffere den 8. Buchstaben des Alphabets - H. Das sichtbare Tragen derartiger
Kleidungsstücke bei der Demonstration des Antragstellers sei daher zu untersagen.
Die Verpflichtung, Redner und Rednerinnen vor Beginn der Veranstaltung zu benennen, sei erforderlich, um feststellen zu können, ob der Auftritt von Rednern oder Rednerinnen geplant sei, von denen Äußerungen mit strafbarem
Inhalt zu erwarten seien. Anlässlich der Demonstration am 02.08.2008 in Bad Nenndorf sei gegen einen Redner ein Strafbefehl durch das Amtsgericht Stadthagen wegen Volksverhetzung ergangen.
Mit Bescheid vom 19.07.2013 bestätigte der Antragsgegner dem Beigeladenen zu 1) die von ihm angezeigte Versammlung und verfügte u.a. folgende Beschränkungen:
Die Versammlung beginnt um 10:30 Uhr.
Die Aufzugsroute muss folgenden Verlauf nehmen:
- Mündungsbereich der Fußgängerzone in die Horster bzw. Hauptstraße (Auftaktkundgebung), Hauptstraße (Fußgängerzone), Kurhausstraße bis zum jüdischen Mahnmal (Zwischenkundgebung), Kurhausstraße, Bahnhofstraße bis zur
Außenstelle des Gymnasiums Bad Nenndorf (sog. Kleines Gymnasium, Bahnhofstraße 60, 31542 Bad Nenndorf, Zwischenkundgebung), Bahnhofstraße bis zum Wincklerbad (Abschlusskundgebung, Bahnhofstraße 11, in der Höhe des
Café Frenkel, bis Bahnhofstraße 15, Friseur Rehse).
- Die Zwischenkundgebung am jüdischen Mahnmal ist ausschließlich in der Kurhausstraße abzuhalten, dabei ist die Einmündung zur Fußgängerzone freizuhalten.
- Die Kurhausstraße muss bis 11:30 Uhr in Richtung Bahnhofstraße verlassen worden sein.
- Die Versammlung hat sich insbesondere im Bereich der Fußgängerzone ständig fortzubewegen.
Mit Bescheid vom 24.07.2013 bestätigte der Antragsgegner dem Beigeladenen zu 2) die von ihm angezeigte Versammlung und verfügte u.a. folgende Beschränkungen:
Die Versammlung beginnt um 09:00 Uhr und endet um 20:00 Uhr.
Die Aufzugsroute muss folgenden Verlauf nehmen:
Beginn Bahnhofstraße, vom Bahnhof aus gesehen (Auftaktkundgebung) - Bahnhofstraße Richtung Innenstadt - Parkplatz am Sportzentrum - Große Kreissporthalle (Bahnhofstraße 65) / Vereinsheim des VfL Bad Nenndorf bzw.
Mehrgenerationenhaus (Bahnhofstraße 67), Abschlusskundgebung
- Die Bahnhofstraße muss um 10:00 Uhr verlassen worden sein.
Der Antragsteller hat am 22.07.2013 Klage gegen den Bescheid vom 19.07.2013 erhoben (10 A 5752/13), soweit mit ihm eine bestimmte Aufzugsstrecke angeordnet wurde. Ferner wendet er sich gegen Ziffer 5 und Ziffer 8, 2. Absatz
des Bescheides. Im Umfang der Klageerhebung hat er zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend: Ganz offensichtlich habe sich der Antragsgegner bei der Festlegung der
Aufzugsstrecke in nicht zu übersehender parteiischer Weise vom Gedanken an eine allmähliche ‚Austrocknung' des Trauermarsches leiten lassen. Der Platz vor dem Wincklerbad nehme im Rahmen des Sinnes seiner Versammlung
eine zentrale Bedeutung ein, da ja gerade an Vorgänge in diesem Gebäude erinnert werden solle. Demgegenüber richte sich die Gegenversammlung einfach nur gegen ‚Nazis'; das Wincklerbad spiele hierbei keine Rolle. 2012 habe der
Trauerzug in der breiten Bahnhofstraße an einer dort platzierten Betonpyramide vorbeigeführt werden können. Das werde in den nunmehr vom Antragsgegner verfügten Straßen nicht möglich sein. Die Wegstrecke von der Hauptstraße
in die Poststraße sei kein öffentlichkeitswirksamer Weg, sondern ein für den Kraftverkehr gesperrter Parkweg. Die Trennung der beiden konkurrierenden Versammlungen sei auch in zeitlicher Hinsicht zu gewährleisten. Die
Gegenveranstaltung solle um 10:30 Uhr beginnen, der Trauermarsch um 12:00 Uhr. Die üblichen Kontrollen seiner Teilnehmer, die Einteilung der Ordner, das Verlesen der Auflagen und die Auftaktkundgebung ließen einen Beginn
des Aufzugs vor 16:00 Uhr nicht erwarten. Der Trauermarsch würde also erst sechs Stunden nach der Gegenveranstaltung am Wincklerbad erscheinen können. Der Antragsgegner werde durch entsprechende Auflagen gewährleisten
können, dass bis dahin der Bereich vor dem Wincklerbad geräumt sei. Der Antragsteller sei sogar bereit, den Beginn seiner Versammlung um weitere zwei Stunden nach hinten zu verlegen. Im Kern gehe es dem Antragsteller um eine
repräsentative Aufzugsstrecke, die vor das Wincklerbad führe und er die Versammlung nicht hinter diesem in einer schmalen Seitenstraße quasi am Katzentisch abhalten müsse. Den Versammlungsteilnehmern sei zu ermöglichen, den
Bezugspunkt ihrer Versammlung vor Augen zu haben. Das sei beim momentanen Standort nur eingeschränkt für die Spitze des Zuges möglich.
Die Ziffer 5 des Bescheides sei völlig unbestimmt. Kein Ordner könne die Einhaltung dieser Anordnung gewährleisten. Was die Zahlen- und Buchstabenkombinationen angehe, sei die Auflage erheblich zu weit, da bei der modernen,
jugendtypischen Bekleidung gar nicht absehbar sei, welche Kombinationen sich ergeben könnten. Die Anordnung, Redner spätestens 1 Stunde vor Redebeginn zu melden, verstoße gegen das Zensurverbot.
Der in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Antragsteller beantragt schriftsätzlich, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19.07.2013 hinsichtlich der angeordneten
Streckenführung, der Ziffer 5 und der Ziffer 8, zweiter Absatz wiederherzustellen. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung beruft er sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides, die polizeiliche Gefahrenprognose vom 19.07.2013 sowie die Stellungnahme der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vom 24.07.2013 und trägt
ergänzend vor, entgegen der Auffassung des Antragstellers habe das Motto der Versammlung des Beigeladenen zu 1) sowohl einen engen örtlichen Bezug zum Wincklerbad als auch einen zeitlichen Bezug zum 03.08.2013. Das ergebe
sich bereits aus dessen Motto ‚Friedlicher Protest gegen die jährlichen Naziaufmärsche vor dem Wincklerbad'. Nach der Rechtsprechung würde die Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder einer Versammlung dem
Anliegen, die Versammlungsfreiheit grundsätzlichen allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen, widersprechen. Hier sei, wie in dem angefochtenen Bescheid dargelegt, der erforderliche Interessenausgleich vorgenommen und versucht
worden, mit der gebotenen inhaltlichen Neutralität eine sachgerechte Lösung herbeizuführen. Die Behauptung des Antragstellers, die Gegendemonstration des Beigeladenen zu 1) diene dem Zweck, seine Versammlung zu verhindern,
treffe nicht zu. Hinsichtlich der Blockadeaufrufe sei klarzustellen, dass die zitierte Webseite der Initiative ‚Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf' und nicht dem Beigeladenen zu 1) zuzuordnen sei. Dieser habe öffentlich zu einer
friedlichen Demonstration aufgerufen und sich auch in den Kooperationsgesprächen deutlich von den Blockadeaufrufen distanziert. Die Bedenken des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Ziffer 5 des Bescheides seien im
Wesentlichen unbegründet, wie sich aus einer früheren Entscheidung des VG Hannover ergebe. Auch die Forderung, dass sich die Redner spätestens eine Stunde vor Redebeginn bei der Polizei zu melden hätten, sei rechtmäßig. Sie sei
erforderlich, um feststellen zu können, ob der Auftritt von Rednern geplant sei, von denen Äußerungen mit strafbarem Inhalt zu erwarten seien. Im Hinblick auf die Verurteilung eines Redners anlässlich der Demonstration am
02.08.2008 wegen Volksverhetzung sei die Befürchtung gerechtfertigt, dass es auch in diesem Jahr zu Reden mit strafbarem Inhalt kommen könne.
Der Beigeladene zu 1) tritt dem Vorbringen des Antragstellers mit näherer Begründung entgegen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Der Beigeladene zu 2) hat sich nicht geäußert.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
II. Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.
Die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs einzubeziehen sind.
Hierbei ist bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der angegriffenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in
der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -,
BVerfGE 69, 315, 363f. - ‚Brockdorf II'), in die wiederum die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt hier das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Sofortvollzug in den aus dem Tenor ersichtlichen Punkten. Maßgeblich für die Interessenabwägung ist dabei,
dass die Klage des Antragstellers nach derzeitigem Sachstand voraussichtlich nur in diesem Umfang Erfolg haben wird. Die versammlungsrechtlichen Beschränkungen werden sich aller Voraussicht nach nur teilweise als rechtmäßig erweisen.
Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung
unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
Der Begriff der ‚öffentlichen Sicherheit' umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter ‚öffentlicher Ordnung' wird die Gesamtheit der ungeschriebenen
Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird (BVerfGE 69, 315, 352).
Die ‚unmittelbare Gefährdung' i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfGE 69, 315, 353 f.; BVerfGE 87, 399, 409; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008,
671, 672; BVerfG, Beschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 - NJW 2010, 141, 142). Gefordert sind vielmehr konkrete ordnungsbehördliche Erkenntnisse als Grundlage der Gefahrenprognose, so z.B. je nach Gefahrentyp über die Zahl
und den Kreis der zu erwartenden Versammlungsteilnehmer, über Aufrufe zu Gewalttaten oder sonstige konkrete Indizien für befürchtete Straftaten (BVerfG, Beschl. v. 21.04.2000 - 1 BvQ 10/00 -, NVwZ-RR 2000, 554, 555).
Der vom Antragsgegner im angefochtenen Bescheid verfügte Routenverlauf des vom Antragsteller angezeigten Aufzugs ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Soweit die Abweichung von der angezeigten Route darauf beruht, dass
der Antragsgegner die vom Beigeladenen zu 1) angezeigte Versammlung mit dem im Tatbestand wiedergegebenen Routenverlauf bestätigt hat, hält dies einer rechtlichen Überprüfung stand.
Es ist im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit des Antragstellers nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner der Versammlung des Antragstellers nicht allein deshalb den Vorrang bei der Benutzung der Bahnhofstraße und hier
insbesondere im Bereich vor dem Wincklerbad eingeräumt hat, weil die Anmeldung schon vorlag, bevor die Pläne für die konkrete Ausgestaltung der Gegenversammlung Niederschlag in einer Versammlungsanzeige gefunden hatten.
Zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört zwar die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht aber durch Rechte anderer
beschränkt sein. In diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung
der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Auflagen hergestellt werden (vgl. BVerfGE 104, 92, 111; BVerfG,
Beschl. v. 06.05.2005 - 1 BvR 961/05 -, NVwZ 2005, 1055, 1056). Der Prioritätsgrundsatz wird erst maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an
diesem Ort zu verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Veranstaltung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später
angemeldeten Versammlung gegeben hat. Aufrufe zu Versammlungen reagieren häufig auf aktuelle Anstöße. Kommt es zu konkurrierenden Nutzungswünschen, ist eine praktische Konkordanz bei der Ausübung der Grundrechte
unterschiedlicher Grundrechtsträger herzustellen. Dabei kann die Behörde aus hinreichend gewichtigen Gründen unter strikter Berücksichtigung des Grundsatzes inhaltlicher Neutralität von der zeitlichen Reihenfolge der Anmeldung
einer Versammlung abweichen (BVerfG, NVwZ 2005, 1055, 1057).
Die Versammlung des Beigeladenen zu 1) ist zwar nicht darauf gerichtet, die Versammlung des Antragstellers zu verhindern, sie zielt aber doch darauf ab, in diesem Jahr selbst Teile der Bahnhofstraße und dort insbesondere den Platz
vor dem Wincklerbad nutzen zu können und damit eine gleichzeitige Nutzung durch den Antragsteller auszuschließen. Motiv hierfür ist die Absicht, der - aus Sicht des Beigeladenen zu 1) - einseitig negativen Darstellung des
Wincklerbades durch die Trauermärsche der rechten Szene entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass sich mit dem Wincklerbad mehr verbindet als dessen Funktion als Verhörzentrum und Gefangenenlager in den Jahren 1945 bis
1947. Wie aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich ist und durch die Äußerungen der Vertreter des Beigeladenen zu 1) in der mündlichen Verhandlung bekräftigt wurde, will man durch eine Versammlung am Wincklerbad als dem
maßgeblichen Bezugspunkt der unterschiedlichen Sichtweisen einer breiten Öffentlichkeit deutlich machen, dass das Wincklerbad heute ein modernes Gesundheitszentrum ist, dessen Rolle in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
keiner Thematisierung durch die rechte Szene bedarf. Damit gewinnt der Raum vor dem Wincklerbad auch für die Versammlung des Beigeladenen zu 1) eine prägende Bedeutung, die der Antragsgegner bei seiner Entscheidung, in
welcher Weise die konfligierenden Routenanzeigen bestätigt werden können, zu berücksichtigen hat. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller sehr frühzeitig lange im Voraus - bis zum Jahr 2030 - Versammlungen für den ersten
Samstag im August auf der streitgegenständlichen Route angezeigt hat, was die - versammlungsrechtlich nicht billigenswerte - Absicht vermuten lässt, Gegenversammlungen auf dieser Strecke zu verhindern.
Als rechtlich nicht tragfähig erweist sich allerdings die Entscheidung des Antragsgegners, dem Antragsteller lediglich eine Zwischenkundgebung neben dem Wincklerbad in der Poststraße zu genehmigen. Wie sich insbesondere in der
mündlichen Verhandlung ergeben hat, ist es vielmehr möglich, sowohl dem Beigeladenen zu 1) als auch dem Antragsteller eine dem jeweiligen Anliegen gerecht werdende Versammlung in der Bahnhofstraße vor dem Wincklerbad zu
ermöglichen. Die Versammlung des Beigeladenen zu 1) soll um 10:30 Uhr beginnen und mit einer Kundgebung in der Bahnhofstraße vor dem Wincklerbad enden. Der Beginn dieser Kundgebung ist für 12:30 Uhr vorgesehen.
Angesichts dieser vom Beigeladenen zu 1) selbst gesetzten zeitlichen Vorgaben ist es nach Auffassung der Kammer zumutbar, die Versammlung um 14:00 Uhr zu beenden, um die nachfolgende Nutzung des Bereichs der
Abschlusskundgebung durch den Antragsteller zu ermöglichen. Wie sich aus der Stellungnahme der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Einsatzleiterin Frau Arnhold von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg ergibt,
ist nach polizeilicher Einschätzung damit zu rechnen, dass jedenfalls zwei Stunden nach Beendigung der Versammlung des Beigeladenen zu 1) der Raum vor dem Wincklerbad für die Versammlung des Antragstellers zur Verfügung
stehen wird, selbst wenn Teilnehmer der Versammlung nach deren Beendigung noch dort verbleiben sollten. Kann sonach eine Zwischenversammlung des Antragstellers vor dem Wincklerbad um 16:00 Uhr beginnen, ist es
gerechtfertigt, den Beginn seiner Versammlung auf 14:00 Uhr festzusetzen und zusätzlich anzuordnen, dass die Einmündung von der Poststraße in die Bahnhofstraße erst ab 16:00 Uhr passiert werden darf. Unter Berücksichtigung des
Routenverlaufs und der Absicht, eine Auftaktkundgebung durchzuführen, ermöglichen diese zeitlichen Vorgaben dem Antragsteller eine weitgehend seinen Vorstellungen entsprechende Versammlung; dies gilt auch dann, wenn es zu
einer Verzögerung des Versammlungsbeginns etwa durch langdauernde Kontrollen oder Blockademaßnahmen kommen sollte. Er erhält eine repräsentative Aufzugsstrecke, die vor das Wincklerbad führt, wie es seinem in der
Antragschrift formulierten Kernanliegen entspricht.
Schließlich steht der vom Antragsgegner bestätigten Routenführung auch nicht entgegen, dass diese über eine kurze Strecke mit der dem Beigeladenen zu 1) bestätigten Route identisch ist. Selbst wenn es in diesem Bereich zu
Blockademaßnahmen kommen sollte, ist angesichts des großen zeitlichen Versatzes der Versammlung des Antragstellers damit zu rechnen, dass die Strecke bis dahin freigeräumt ist. Im Übrigen hat die Polizeiinspektion
Nienburg/Schaumburg in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, die Versammlung des Antragstellers selbst bei einer Blockade im Bereich der Fußgängerzone in die Poststraße führen zu können.
Soweit der Antragsgegner mit Ziffer 5 des Bescheides vom 19.07.2013 angeordnet hat, dass die Versammlungsteilnehmer keine Embleme oder Tätowierungen sichtbar tragen dürfen, die in den Augen der breiten Öffentlichkeit den
Eindruck hervorrufen können, in Verbindung mit dem Nationalsozialismus zu stehen oder ‚Hass' zu bedeuten, ist die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, weil sich dieses Verbot als rechtswidrig erweist. Der übrige,
ebenfalls vom Antragsteller angegriffene Verfügungsteil ist rechtmäßig, so dass der Antrag insoweit abzuweisen ist. Die Kammer hat mit Urteil vom 17.12.2007 (10 A 3583/06) zu einer inhaltsgleichen Verfügung ausgeführt:
‚Die Verfügung war zu unbestimmt. Inhaltlich hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG setzt voraus, dass insbesondere für den Adressaten des Verwaltungsakts die von der Behörde getroffene Regelung so
vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann (Vgl. BVerwG, Urteil v. 29. September 1992, - 1 C 36.89 - juris). Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des
Bescheides, insbesondere aus seiner Begründung, unzweifelhaft erkennen lässt (BVerwG, Urteil v. 25. April 2001 - 6 C 6/00 - (BVerwGE 114, 160 (166 ff.) ). Dies ist hinsichtlich des Inhalts der genannten Verfügung nicht der Fall.
Für den Betroffenen war unklar und nicht erkennbar, was in den Augen der breiten Öffentlichkeit den Eindruck erwecken könnte, ‚Hass' zu bedeuten. Unklar war auch, wer mit der ‚breiten Öffentlichkeit' gemeint war. Dies ergab sich
auch nicht im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt der Verfügung.
8. Die Verfügung, dass die Versammlungsteilnehmer keine Embleme oder Tätowierungen mit Bildern von Totenköpfen oder dem Schriftzug ‚Hass' sowie keine Bekleidungsstücke mit Aufschriften, aus denen sich durch teilweises
Überdecken die Buchstaben- bzw. Zahlenfolgen ‚NS', ‚NSD', NSDA', NSDAP', ‚SS', ‚SA', ‚ACAB', ‚18', ‚88' oder die Abkürzung bzw. erkennbare Abkürzungsteile weiterer verbotener Parteien oder Gruppierungen ergeben kann bzw.
können, tragen durften, war rechtmäßig.
Diese Auflagen rechtfertigen sich wegen der ansonsten ernsthaft bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die Untersagung des Schriftzuges ‚Hass' ist darauf zurückzuführen, dass dieser Begriff in der
rechtsextremistischen Szene als Abkürzung für Begriffe wie ‚Ausländerhass', ‚Judenhass' oder ‚Nationalhass' zu verstehen ist. Durch das sichtbare Tragen des Schriftzuges bei der Versammlung bestand die Gefahr der Erfüllung des
Straftatbestandes des § 130 StGB (Volksverhetzung). Sofern die Auflage in der rechtsextremistischen Szene verwendete und nicht verbotene Ersatzsymbole bzw. Identifikationsmerkmale wie z.B. die Darstellung von Totenköpfen u.ä.
betraf, bestand die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch eine einschüchternde Wirkung auf die Bevölkerung. Im Übrigen bestand die Gefahr, dass durch das gezielte Zurschaustellen der in der Verfügung
genannten oder bedeutungsähnlicher Buchstaben- oder Zahlenfolgen auf Kleidungsstücken im Rahmen der Versammlung des Klägers der Straftatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Verwenden von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, insbesondere einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation) erfüllt und damit die öffentliche Sicherheit gefährdet worden wäre.'
Der Vortrag der Beteiligten in diesem Verfahren bietet keine Veranlassung, von dieser Bewertung abzurücken.
Die unter Ziffer 8 zweiter Absatz des Bescheides vom 19.07.2013 enthaltene Forderung, die Redner und Rednerinnen eine Stunde vor Beginn der Versammlung gegenüber der Polizei oder Versammlungsbehörde zu benennen, dürfte
sich im Klageverfahren als rechtswidrig erweisen, so dass insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen ist.
Die Rechtmäßigkeit einer solchen Beschränkung setzt voraus, dass die durch Tatsachen gestützte Befürchtung besteht, durch Äußerungen eines Redners werde die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar und nennenswert
gefährdet. Zur Begründung einer derartigen Gefahr weist der Antragsgegner darauf hin, im Gefolge einer Versammlung in Bad Nenndorf im Jahr 2008 sei es wegen eines Redebeitrags zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen
Volksverhetzung gekommen. Auch wenn man von der Richtigkeit dieses Vortrags ausgeht, fehlt es an dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zu der Versammlung des Antragstellers, um ohne Hinzutreten weiterer - hier nicht
benannter - Umstände die Vorlage einer Rednerliste zu verlangen. Unbenommen hiervon bleibt der Versammlungsbehörde die Befugnis, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Redner mit einem Redeverbot zu belegen.
Die Entscheidung über die Kostenverteilung beruht auf § 155 Absatz 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt den Umfang des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens. Anlass, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 162
Abs. 3 für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht. ..."
***
„... I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12. Juli 2013 gegen die Ziffern 05 und 06 des Bescheids des Landratsamts ... vom 12. Juli 2013 wird angeordnet. ...
I. Der Antragsteller wendet sich gegen zwei Nebenbestimmungen in einem versammlungsrechtlichen Bescheid.
Er meldete für den 15. Juli 2013 eine einstündige Kundgebung in der Zeit zwischen 15.00 und 18.00 Uhr in ... mit etwa 10 bis 25 Teilnehmern an. Das Landratsamt ... machte mit Bescheid vom 12. Juli 2013 die Durchführung der
Kundgebung von der Beachtung mehrerer Beschränkungen und Auflagen abhängig. Unter anderem wurde festgelegt, dass nur bestimmte Kundgebungsmittel zugelassen werden (Auflage 05) und dass andere Gegenstände wie z.B.
Megaphone, Lautsprecheranlage, Musikwiedergabegeräte etc. als Kundgebungsmittel ausdrücklich nicht zugelassen sind (Auflage 06). Zur Begründung ist ausgeführt, aufgrund des geringen Abstands zum direkt angrenzenden
Bürgerspital sei aus immissionsschutzrechtlicher Sicht die Übertragung von Musik und die Verwendung von lautstarken Hilfsmitteln nicht zulässig.
Der Antragsteller ließ gegen diese beiden Auflagen durch seinen Bevollmächtigten am 12. Juli 2013 im Verfahren Au 1 K 13.1018 Klage erheben. Gleichzeitig begehrt er vorliegenden einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung ist
ausgeführt, die Versammlungsfreiheit umfasse auch das Recht des Versammlungsleiters, die Kundgebungsmittel zu wählen. Zu den üblichen Mitteln würden auch Lautsprecheranlagen etc. gehören. Es sei nicht ansatzweise ersichtlich,
inwiefern die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch deren Verwendung beeinträchtigt werden könnte.
Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 12.7.2013 wiederherzustellen. Der Antragsgegner hat fernmündlich die Ablehnung des Antrags beantragt. Das Landratsamt ... verwies zur
Begründung auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid. ...
II. Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
1. Gegenstand des Antrags ist die sofortige Vollziehbarkeit der Auflagen Nr. 05 und 06 im Bescheid vom 12. Juli 2013. Diese sind nach Auffassung der Kammer selbständig anfechtbar. Auch ohne diese beiden Bestimmungen kann
der die Versammlung beschränkende Bescheid Bestand haben. Beide Auflagen enthalten auch eine Belastung für den Antragsteller. Die Auflage 05 schreibt ihm nämlich vor, dass nur bestimmte und damit keine anderen
Kundgebungsmittel verwendet werden dürfen.
2. Der Antrag ist begründet, weil das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse überwiegt. Maßgeblich hierfür ist, dass seine Klage aller Voraussicht nach in der
Hauptsache Erfolg haben wird. Die beiden angegriffenen Auflagen sind rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Nach Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine das Verbot der genannten Kundgebungsmittel rechtfertigende unmittelbare Gefährdung geschützter Rechtsgüter ist nicht erkennbar.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, mit Beschränkungen einer Versammlung nicht stärker in die Versammlungsfreiheit einzugreifen, als dies zur Abwehr der unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung erforderlich ist (BayVGH, U.v.25.5.2010 - 10 BV 09.1480). Dies bedeutet, dass jegliche Beschränkungen dort ihre Grenze finden, wo sie das Recht des Veranstalters auf Durchführung der Versammlung unzumutbar beeinträchtigen.
Die hier in Frage stehende Verwendung von Lautsprechern stellt ein zentrales Mittel öffentlicher Kundgebungen dar. Durch sie wird die in aller Regel beabsichtigte Öffentlichkeitswirkung einer Versammlung erst erreicht. Schon aus
diesem Grund sind bei der Beschränkung solcher Mittel strenge Maßstäbe anzulegen. Daneben ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters zu beachten, das neben der Wahl des Versammlungsmottos, des Zeitpunkts und des Orts
der Versammlung auch die Art und Weise, wie der Veranstalter auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluss nehmen will, umfasst (BayVGH a.a.O.).
Auf der anderen Seite sind erhebliche Beeinträchtigungen für geschützte Rechtsgüter nicht erkennbar. Die zu erwartenden Belästigungen insbesondere für die Bewohner des nahe gelegenen Altenheims sind zeitlich begrenzt. Es
handelt sich um eine einstündige Veranstaltung an einem Wochentag nachmittags zwischen 15.00 Uhr und 18.00 Uhr. Die Bewohner des Heims sind somit nur für einen überschaubaren Zeitraum den Kundgebungsgeräuschen
ausgesetzt. Sie können sich dem durch Verschließen der Fenster oder einen zeitweiligen Aufenthalt in anderen, der Versammlung abgewandten Räumen entziehen. Auch ist nicht zu erwarten, dass der Veranstalter der Kundgebung
eine Lautstärke oder solche Kundgebungsmittel wählt, die deutlich ohne nachvollziehbaren Grund über das normale in einer Innenstadt zu erwartende Maß hinausgehen.
In der Gesamtschau rechtfertigen es die prognostizierten Belastungen nicht, die Verwendung wesentlicher Kundgebungsmittel gänzlich zu verbieten.
c) Offen kann daneben bleiben, ob die Ermessensbetätigung des Landratsamts im Rahmen des durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmens auf Bedenken stößt. Auf der Seite 4 des Bescheides werden die Auflagen,
welche vom Antragsteller angegriffen werden, alleine damit begründet, dass die Musikübertragung aus „immissionsschutzrechtlicher Sicht" nicht zulässig ist. Dieser Ansatz rechtfertigt nicht die Beschränkung einer Versammlung.
Notwendig hierfür ist vielmehr die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 15 Abs. 1 BayVersG). Die Behörde hat somit möglicherweise ihrer Entscheidung einen falschen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt.
In gleicher Weise kann vorliegend offen bleiben, ob der Behörde die Möglichkeit offen steht, durch eine zusätzliche Auflage die von der Versammlung ausgehenden Lärmbelästigungen nicht gänzlich zu verbieten, sondern zu
beschränken. Denkbar ist hier etwa die Vorgabe einer Obergrenze für die Lärmwerte. ..." (VG Augsburg, Beschluss vom 12.07.2013 - Au 1 S 13.1016)
***
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:
Dem Antragsteller als Veranstalter der Versammlung am 25.05.2013 ist es untersagt, ... zum Versammlungsleiter oder stellvertretenden Versammlungsleiter zu bestimmen. Weitere Auflagen bleiben der Antragsgegnerin vorbehalten. ...
I. Am 03.04.2013 meldete der Antragsteller für den 25.05.2013 eine Versammlung (Aufzug mit Auftakt-, Zwischen- und Schlusskundgebung) unter freiem Himmel mit dem Thema "Freiheit für alle politischen Gefangenen!" - „Für die
Wahrung des Artikel 5 Grundgesetz" an.
Nach Durchführung eines Kooperationsgesprächs und nach Einholung von Informationen verbot die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 21.05.2013 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die geplante Versammlung.
Hiergegen legte der Antragsteller am 22.05.2013 Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013
wiederherzustellen. Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen. Sie hält die angegriffene Verfügung für rechtmäßig. ...
II. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die - mit ausreichender Begründung (§ 80 Abs. 3 VwGO) - für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013
wiederherzustellen, ist zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO) und mit der im Tenor genannten Maßgabe auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, dass die
angefochtene Verbotsverfügung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Diese Abwägung führt hier zu dem
Ergebnis, dass dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz mit der genannten Maßgabe zu gewähren ist. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der angefochtene Bescheid bei der im vorliegenden Verfahren lediglich gebotenen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig sein dürfte.
Ermächtigungsgrundlage für das Verbot der Versammlung ist § 15 Abs. 1 VersG. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig
machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst der
Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl.
BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315). Von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist dann auszugehen, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe ist, dass er
jederzeit, unter Umständen sofort, eintreten kann (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Auflage, § 15 Rdnr. 27 ff.). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde beim Erlass von
einschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Erforderlich sind daher zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare konkrete und nachvollziehbare tatsächliche
Anhaltspunkte, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris).
Die Antragsgegnerin stützt das Versammlungsverbot auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und leitet dies in erster Linie aus der mangelnden Zuverlässigkeit des Antragstellers sowie des in der Anmeldung der
Versammlung als stellvertretender Versammlungsleiter genannten ... her.
Grundsätzlich kann ein Verbot einer Versammlung darauf gestützt werden, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der
Versammlung verfügen. Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den
Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung und bei Aufzügen für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersG, § 19 Abs. 1 VersG). Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz
zwar keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit
entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den
ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl., § 7 Rdnr. 8). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur nach den Umständen des
Einzelfalls entschieden werden. Wird ein Versammlungsverbot darauf gestützt, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in
der Versammlung verfügen, so müssen dafür konkrete Tatsachen bezeichnet werden, die die behördliche oder gerichtliche Annahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen. Hinweise auf strafrechtliche
Ermittlungen ohne Angabe des Ausgangs dieser Verfahren und auf Rechtsverstöße bei Veranstaltungen in anderen Orten ohne konkreten Bezug zu den Beteiligten der verbotenen Versammlung erfüllen diese Voraussetzungen
regelmäßig nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -, juris).
Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 in Bezug auf den Antragsteller als Versammlungsleiter nicht. Zwar wird in der Verfügung ausgeführt, der Antragsteller werde nach
Einschätzung der betroffenen Polizeidienststellen als „gewalttätig" geführt, zumal zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und Volksverhetzung, teilweise auch Verurteilungen vorlägen. Es finden
sich aber sowohl in der Verfügung als auch in der Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe keine nähere Angaben zum Ausgang der Ermittlungsverfahren und auch keine Hinweise auf die im Fall der Verurteilungen
verhängten Strafen. Die in der Erkenntnismitteilung genannte Verurteilung aus dem Jahr 1994 wegen Landfriedensbruch kann schon im Hinblick darauf, dass die der Verurteilung zugrunde liegende Tat nahezu zwanzig Jahre zurück
liegen dürfte, einer bei Erlass der Verbotsverfügung anzustellenden Prognose über die versammlungsrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht mehr zugrunde gelegt werden. Das gilt im Ergebnis auch für die Verurteilung im
Jahr 2011 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte: Mangels näherer Angaben zum Strafmaß und den konkreten Tatumständen lässt auch diese Verurteilung keinen nachvollziehbaren Schluss auf die Zuverlässigkeit und
Eignung des Antragstellers für die Funktion des Versammlungsleiters zu.
Anders stellt sich die Sachlage hingegen für den als stellvertretenden Versammlungsleiter benannten ... dar. Dass die Antragsgegnerin ihm die Eignung für die Funktion des stellvertretenden Versammlungsleiters abgesprochen hat, ist
nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Laut Erkenntnismitteilung liegen bezüglich seiner Person zwei Verurteilungen aus den Jahren 2011 und 2012 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen und wegen gefährlicher Körperverletzung vor. Diese lassen ohne Weiteres den Schluss zu, dass es an der Bereitschaft und Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung fehlt. Im Hinblick darauf hält
die Kammer die aus dem Tenor ersichtliche Maßgabe für geboten. Diese Einschätzung wird durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung des als stellvertretenden Versammlungsleiters benannten ... nicht in Frage gestellt.
Die Antragsgegnerin begründet das Versammlungsverbot des Weiteren damit, dass die angemeldete Versammlung schon nach ihrem Thema der Verherrlichung bzw. Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und
Willkürherrschaft diene, so dass spätestens ihre Durchführung selbst den Straftatbestand des § 130 StGB erfülle. Diese Erwägungen sind aber nicht geeignet, die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu
tragen und so das Versammlungsverbot zu rechtfertigen.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung wegen des Inhalts des Mottos, unter das die Versammlung gestellt ist, verboten werden kann (vgl. dazu BVerfG,
Beschl. v. 01.12.2007 - 1 BvR 3041/07 -, juris). Danach gilt: Soll eine Versammlung wegen des angemeldeten Mottos - also wegen dessen Inhalt und wegen der zu erwartenden Äußerungen von Versammlungsteilnehmern - verboten
werden, ist das Verbot auch am Maßstab des Rechts auf freie Meinungsäußerung des Art. 5 Abs. 1 GG zu messen. Denn der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht unterbunden
werden darf, kann auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG beschränken. Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen erfolgt
insbesondere durch die in § 130 StGB geregelten Straftatbestände der Volksverhetzung (zur Vereinbarkeit von § 130 Abs. 4 StGB mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG siehe BVerfG, Beschl. v. 04.11.2007 - 1 BvR 2150/08 -, juris). Werden die
entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch
mit Auswirkungen auf Versammlungen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich aus dem Motto der Versammlung aber nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass es aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer zu Äußerungen
kommen wird, die gegen die Straftatbestände des § 130 StGB verstoßen. Weder das Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen!" noch das Motto „Für die Wahrung des Artikel 5 Grundgesetz" sind nach ihrem objektiven
Sinngehalt für eine solche Prognose geeignet. Dies gilt auch, wenn man die weiteren dem Veranstalter der Versammlung zurechenbaren Umstände heranzieht, wie etwa die auf der Internetseite ... verfügbaren Äußerungen in Bild- und
Schriftform. ..." (VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.05.2013 - 3 K 1245/13)
***
Einzelfallentscheidung, wonach das vollständige Verbot eines Demonstrationsaufzugs unverhältnismäßig ist, zeitliche und örtliche Beschränkungen hingegen rechtmäßig sind ( VG Braunschweig, Beschluss vom 10.05.2013 - 5 B 79/13):
„...Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2013 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:
1. Die vom Antragsteller für den 1. Juni 2013 angezeigte Versammlung findet in der Zeit von 12.00 Uhr bis 18.00 Uhr auf folgender Route statt: Vorplatz des Museums Phaeno (Willy-Brandt-Platz) - dort Möglichkeit zur
Auftaktkundgebung -, An der Vorburg, Maybachweg, Daimlerstraße, Lerchenweg, Dieselstraße, Robert-Bosch-Weg, Daimlerstraße, Maybachweg, An der Vorburg, Vorplatz des Museum Phaeno (Willy-Brandt-Platz) - dort
Möglichkeit zur Abschlusskundgebung.
2. Der Antragsgegnerin bleibt es vorbehalten, dem Antragsteller weitere Beschränkungen für die Durchführung der Versammlung zu erteilen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin zu zwei Dritteln und der Antragsteller zu einem Drittel; die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro
festgesetzt. ...
I. Der Antragsteller wendet sich im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Untersagung eines von ihm angezeigten Demonstrationsaufzuges.
Unter dem 30. Mai 2012 zeigte der Antragsteller der Antragsgegnerin an, dass er beabsichtige, am 1. Juni 2013 einen Demonstrationsaufzug durchzuführen unter dem Motto: ‚Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen
Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft'. Der Aufzug solle um 12 Uhr beginnen und gegen 22 Uhr enden. Die Anzahl der Teilnehmer/-innen gab der Antragsteller mit 700 an. Als Kundgebungsmittel sollten ein
Lautsprecherwagen (LKW) und ein Lautsprecher-/ Rüstwagen (Kleinbus) sowie Handmegaphone, Fahnen, Flugblätter, Trageschilder und Transparente mitgeführt werden. Die Versammlung solle mit einer circa einstündigen
Auftaktkundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz beginnen und der Aufzug anschließend folgenden Verlauf nehmen: Richtung Porschestraße (über den Zentralen Omnibusbahnhof - im Folgenden: ZOB), Porschestraße, Kleiststraße,
Lessingstraße, Laagbergstraße bis Brandenburger Platz, Stadtwaldstraße über Hochring bis Röntgenstraße, Braunschweiger Straße, nach rechts auf die Siemensstraße bis zur Friedrich-Ebert-Straße, Rothenfelder Straße, Porschestraße,
Heßlinger Straße, Willy-Brandt-Platz/Bahnhofsvorplatz. Zwischenkundgebungen seien am Brandenburger Platz (von circa 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr) und an der Kreuzung Siemensstraße/Friedrich-Ebert-Straße (circa 19:00 Uhr bis
20:00 Uhr) vorgesehen. Enden solle die Versammlung mit einer Schlusskundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz von circa 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr.
Am 24. Oktober 2012 zeigte der Beigeladene für die Gewerkschaft IG Metall, Verwaltungsstelle Wolfsburg, der Antragsgegnerin an, dass die Gewerkschaft am 1. Juni 2013 in der Zeit von 0:00 Uhr bis 24:00 unter dem Motto
‚Wolfsburg ist bunt - Schulterschluss Wolfsburger Demokraten' diverse stationäre Veranstaltungen ohne Aufzug durchführen wolle. Als Veranstaltungsorte wurden u.a. der im Eigentum der Volkswagen AG (im Folgenden: VW AG)
stehende Parkplatz nördlich der Heinrich-Nordhoff-Straße und westlich des Hotels ‚Tryp' sowie diverse weitere, im Wesentlichen im Innenstadtbereich von Wolfsburg gelegene Standorte angezeigt (vgl. Bl. 18 f., 29 und 32 der Beiakte
C). Die Teilnehmerzahl wurde mit 5.000 beziffert.
Unter dem 28. Februar 2013 zeigte der Beigeladene für die Gewerkschaft IG Metall, Verwaltungsstelle Wolfsburg, der Antragsgegnerin an, dass die Gewerkschaft am 1. Juni 2013 gegen 11.00 Uhr den ‚Marsch der
Volkswagen-Gesamtjugendvertretung' mit circa 5.000 Teilnehmern veranstalten wolle. Dieser solle auf der Strecke Eisarena Allerpark - Oebisfelder Straße - Berliner Brücke - Heßlinger Straße - Nordkopf - zum Parkplatz des Hotels
‚Tryp' stattfinden. Dem gehe das alljährliche Treffen der Volkswagen-Gesamtjugendvertretung in der Eisarena im Allerpark voraus.
Am 8. März 2013 fand ein Kooperationsgespräch zu der vom Antragsteller angezeigten Versammlung statt, an dem Vertreter der Polizei teilnahmen. Es wurde u.a. erörtert, dass erfahrungsgemäß ca. 80% der Versammlungsteilnehmer
mit dem Zug anreisen würden und dies Sicherungsmaßnahmen schon im Vorfeld erforderlich mache. Die Antragsgegnerin und die Vertreter der Polizei wiesen darauf hin, dass die angezeigte Route sich unter verkehrlichen
Gesichtspunkten in mehrfacher Hinsicht als problematisch darstelle, z.B. im Hinblick auf das Erfordernis, dass die Zufahrt zum Klinikum ungehindert möglich bleiben müsse. Die Antragstellerseite akzeptierte, den Nordring zum
Klinikum sowie die Zufahrt der Feuerwehr über die Siemensstraße aus der Strecke heraus zu nehmen; sie verzichtete demgegenüber aber nicht auf eine Einbeziehung des ZOB am Nordkopf, da die Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber
dem Demonstrationsrecht zurückzutreten habe. Die Antragstellerseite schlug folgende modifizierte Streckenführung vor: die ursprünglich angezeigte Route bis zum Brandenburger Platz, von dort wieder zurück über die
Laagbergstraße, Heinrich-Heine-Straße über die Kreuzung Heinrich-Heine-Straße/Ecke Schillerstraße zum Kunstmuseum, zwischen dem Kunstmuseum und dem Parkhaus des Hotels ‚Holliday Inn' in die Bebelstraße Richtung
Friedrich-Ebert-Straße, anschließend über die Friedrich-Ebert-Straße auf der ursprünglich angezeigten Route zurück zum Bahnhofsvorplatz. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gesprächsvermerk der Antragsgegnerin (Bl. 88 ff. der
Beiakte A) Bezug genommen.
Unter dem 19. März 2013 nahm die Berufsfeuerwehr Wolfsburg eine Einschätzung der Situation am 1. Juni 2013 vor. Sie führte u.a. aus, dass es aus brandschutztechnischen Erwägungen unerlässlich sei, die Erreichbarkeit innerhalb
des Stadtgebiets bzw. der Stadt- und Ortsteile nicht zu beeinträchtigen. Dies gelte auch für den Bereich der Kernstadt. Bei einem Haus-oder Wohnungsbrand bestehe ein Zeitfenster für die Fahrtstrecke der Feuerwehr zum Brandort von
maximal sieben Minuten. Verzögere sich die Anfahrt darüber hinaus, verringere dies die Überlebenschancen Betroffener drastisch. Weil Wolfsburg nur über eine Wache der Berufsfeuerwehr verfüge, sei es auch ohne Beeinträchtigung
der Fahrwege - gerade in Bezug auf die westlichen Stadtteile - schwierig sicherzustellen, dass die Rettungsfristen gewahrt werden könnten. Zusätzliche Verzögerungen durch die angezeigten Versammlungen seien deswegen zu
vermeiden. Im Bereich des Rettungsdienstes liege die ‚Hilfsfrist' bei 15 Minuten im gesamten Stadtgebiet. Es sei daher auch unter dem Gesichtspunkt des Rettungsdienstes unerlässlich, dass die Erreichbarkeit innerhalb des
Stadtgebiets bzw. der Stadt- und Ortsteile nicht beeinträchtigt werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme (Bl. 95 ff. der Beiakte A) Bezug genommen. Auf einen Hinweis der Antragsgegnerin, dass die
Heinrich-Nordhoff-Straße wegen der Veranstaltung der IG Metall vollgesperrt werden müsse (vgl. Bl. 93 der Beiakte A), ergänzte die Berufsfeuerwehr Wolfsburg unter dem 20. März 2013 ihre Stellungnahme und führte aus, dass dies
eine massive Beeinträchtigung in der fristgerechten Erreichbarkeit der westlichen Stadt- und Ortsteile darstelle und eine Umfahrung dieser Vollsperrung über den Berliner Ring, die Rothenfelder Straße übergehend in die Kleiststraße,
Lessingstraße und die Saarstraße zurück auf die Heinrich-Nordhoff-Straße jederzeit und vollumfänglich sichergestellt sein müsse (vgl. Bl. 114 der Beiakte A).
Mit E-Mail vom 19. März 2013, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Bl. 98 der Beiakte A), beantwortete die Bundespolizei die Anfrage der Antragsgegnerin aufgrund der im Kooperationsgespräch erörterten
voraussichtlichen Anreise zahlreicher Teilnehmer mit dem Zug und schilderte die erforderlichen Maßnahmen.
Unter dem 20. März 2013 nahm die Polizeiinspektion Wolfsburg/Helmstedt eine Gefahrenanalyse vor, die neben der vom Antragsteller angezeigten Versammlung weitere zu diesem Zeitpunkt angezeigte bzw. bekannte
Versammlungen und Veranstaltungen am 1. Juni 2013 berücksichtigte, insbesondere die zwei von der IG Metall angezeigten Versammlungen sowie einen Landesdelegiertentag der Frauenunion im Kongresspark Wolfsburg vom 31.
Mai bis zum 1. Juni 2013 mit einer unbekannten Teilnehmerzahl sowie eine ‚Silent Noise' - Party zum 75. Geburtstag der Stadt Wolfsburg am Hollerplatz von 19:00 Uhr bis 24:00 Uhr mit circa 1.000 erwarteten Teilnehmern. Die
Polizei legte u.a. dar, dass verschiedene Antifa-Gruppen im Internet zur Blockade des vom Antragsteller angezeigten Aufzugs aufriefen. Es werde zum Demonstrieren, Stören, Blockieren und Verhindern ‚mit allen Mitteln' aufgerufen.
Dies ließe Straftaten sowie Verstöße gegen das niedersächsische Versammlungsgesetz erwarten. Auf der Grundlage polizeilicher Erkenntnisse auch aus früheren ähnlichen Veranstaltungen beschrieb die Polizei ein Gefahrenszenario
für den 1. Juni 2013 zu Orten bzw. Passagen der vom Antragsteller angezeigten und im Koordinationsgespräch modifizierten Route und kam zu dem Ergebnis, dass beide Streckenführungen auch unter besonderer Berücksichtigung
der herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes (GG) aus polizeilicher Sicht nicht umsetzbar seien. Hiergegen spräche insbesondere, dass der Innenstadtkern von Wolfsburg umschlossen würde
und die Sicherungsmaßnahmen, die aufgrund zu erwartender massiver Störaktionen erforderlichen würden, das öffentliche Leben in der Stadt zum Erliegen brächten. Außerdem würden erforderliche Rettungswege versperrt; dies
begründe Gefahren für Leib und Leben u.a. der Bevölkerung, weil eine ärztliche Versorgung der Bevölkerung nicht mehr hinreichend sicher gewährleisten werden könne. Aus polizeilicher Sicht sei es erforderlich, die rivalisierenden
Lager strikt voneinander getrennt zu halten. Dies sei im Innenstadtkern von Wolfsburg nicht zu gewährleisten. Im Hinblick auf die den Innenstadtkern einschließende Aufzugsstrecke gebe es zu viele Punkte, an denen die baulichen
Gegebenheiten zu eng seien; außerdem sei zu erwarten, dass sich Brennpunkte permanent verlagerten. Faktisch reichten die in der Innenstadt von Wolfsburg vorhandenen Flächen nicht aus, um ausreichende Freiflächen zwischen dem
Versammlungsaufzug des Antragstellers und dem rivalisierenden Lager und darüber hinaus Korridore zum Verlegen von Einsatzkräften der Polizei freizuhalten. Für als besonders konfliktträchtig erkannte Orte bzw. Passagen entlang
der vom Antragsteller angezeigten Route bzw. der im Koordinationsgespräch modifizierten Aufzugsstrecke wurden die Gefahrenaspekte im Einzelnen detailliert beschrieben. Insoweit wird auf die Stellungnahme der Polizeiinspektion
Wolfsburg/Helmstedt verwiesen (vgl. Bl. 118 ff. der Beiakte A).
Mit Verfügung vom 28. März 2013 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Durchführung der von ihm angezeigten Versammlung. Sie begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Die Durchführung der Versammlung
führe zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG nicht anders als durch das Verbot der Versammlung
abgewehrt werden könne.
Es sei davon auszugehen, dass bei Durchführung der Versammlung am 1. Juni 2013 die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs erheblich beeinträchtigt und die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Teilhabe am
öffentlichen Verkehr für eine Vielzahl von Personen nahezu ausgeschlossen sei. Dies resultiere insbesondere aus der jeweils doppelten Inanspruchnahme des am Hauptbahnhof gelegenen Willy-Brandt-Platzes sowie des ZOB am
Nordkopf zu Beginn und zum Ende des geplanten Demonstrationszuges. Hierdurch seien die zentralen Knotenpunkte für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr in Wolfsburg betroffen. Dieser Bereich werde gerade Samstags stark
beansprucht wegen des direkt am Willy-Brandt-Platz gelegenen Museums Phaeno, des in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hauptbahnhof gelegenen Designer-Outlet-Wolfsburg, des Wochenmarkts am Rathausplatz, des
Kunstmuseums am Hollerplatz und der Autostadt, die allein Samstags circa 15.000 Besucher erwarte, von denen viele mit der Bahn anreisten. Am 1. Juni 2013 sei darüber hinaus mit einem erhöhten Besucherstrom zu rechnen, weil
die Autostadt ihren 13. Geburtstag begehe, eine Ausstellung im weltweit größten Automobilmuseum eröffne und eine Tanzveranstaltung mit circa 1.500 Gästen durchführe. Darüber hinaus feiere die Stadt Wolfsburg am Abend auf
dem Hollerplatz im Zuge ihres 75. Stadtjubiläums eine Silent-Noise-Party. Zu dieser würden etwa 1.000 Besucher, die auch aus der Region und auch mit Bus und Bahn anreisen würden, erwartet. Die IG Metall rechne für ihre
Versammlung ‚Wolfsburg ist bunt - Schulterschluss der Wolfsburger Demokraten' mit ca. 5.000 Teilnehmern, hinzu kämen noch ca. 5.000 Teilnehmer des Volkswagen-Gesamtjugendvertretungstreffens.
Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der öffentliche Verkehr in der Stadt nahezu zum Erliegen käme. Denn durch die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit zwingend erforderliche Trennung der rivalisierenden Lager
müssten bereits ab den frühen Morgenstunden bis zum Abschluss der Veranstaltung in den Abendstunden die Flächen am Bahnhof gesperrt und gesichert werden, sodass die zentralen Verkehrsknotenpunkte nicht genutzt werden
könnten. Dies ginge weit über das bei Versammlungen übliche Maß der Verkehrsbeeinträchtigung hinaus und sei deswegen auch in Anbetracht des hohen Schutzgutes der Versammlungsfreiheit nicht hinzunehmen. Es überwiege
insoweit das Recht der zahlreichen Besucher der Stadt auf eine möglichst ungestörten Teilhabe am öffentlichen Verkehr aus Art. 2 Abs. 1 GG, die auch nach der Anzahl deutlich gegenüber den erwarteten circa 700 Teilnehmern der
Versammlung überwiegten. Die Aufzugsroute begründe zudem eine erhebliche Begegnungs- und Konfliktgefahr mit den gewaltbereiten Gegnern der Versammlung des Antragstellers. Die Polizei weise in ihrer Gefahrenanalyse
ausdrücklich darauf hin, dass sich gewaltbereite Linksautonome in für die Polizei kaum zu kontrollierender Weise unter die bürgerliche Klientel mischen und sodann Aktionen durchführen könnten. Aus diesem Grunde müssten die
Angehörigen der rivalisierenden Lager strikt getrennt werden. Die gewählte kreisförmige Innenstadtroute mache eine Umsetzung dieses Trennungsgebotes aber nahezu unmöglich. Es stehe deshalb ernsthaft zu befürchten, dass es zu
Konfrontationen der Konfliktparteien im Innenstadtbereich kommen werde. Hieraus ergebe sich eine Gefahr für Leib und Leben nicht nur für den Antragsteller und seine Anhänger, sondern insbesondere auch für unbeteiligte Dritte.
Aufgrund der zu sichernden ringförmigen Aufzugsroute werde das öffentliche Leben, insbesondere auch der Einzelhandel in diesem Bereich der Kerninnenstadt faktisch zum Erliegen kommen.
Schließlich gebiete auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein Verbot der angemeldeten Versammlung. Aufgrund der zu sichernden Route würden weite Teile der Not- und
Unfallrettung der Stadt Wolfsburg unmöglich gemacht, jedenfalls erheblich und wesentlich erschwert werden. Das System der Not- und Unfallrettung sei von der einzigen Berufsfeuerwehrwache der Stadt Wolfsburg in der
Dieselstraße abhängig. Die Durchführung der Versammlung führe im Ergebnis dazu, dass die Straßenverbindung insbesondere in die westlichen Stadtteile für die Not- und Unfallrettung nicht hinreichend sichergestellt werden könne.
Die Anfahrt zum einzigen Klinikum in Wolfsburg werde durch die angezeigte Versammlungsroute, insbesondere die Zwischenkundgebung am Brandenburger Platz, unmöglich gemacht. Das Klinikum sei von Norden nur über die
Stadtwaldstraße und über den Hochring erreichbar. Umwege, die im Falle der Sperrung des Brandenburger Platzes gefahren werden müssten, gefährdeten Menschenleben. Auch werde die Innenstadt - insbesondere der umschlossene
Bereich aufgrund der geplanten Routenführung und der zur Sicherheit der Versammlung des Antragstellers erforderlichen polizeilichen Absperrmaßnahmen für die Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Notfallrettung nicht, jedenfalls
nicht ohne Weiteres passierbar. Soweit die Versammlung über den Sara-Frenkel-Platz (Porschestraße an der Ecke zur Poststraße) verlaufen solle, sei dies auf der Grundlage von § 8 Abs. 4 Nr. 1 NVersG zu verbieten. Der im Jahr 2010
in Anwesenheit von Frau Sara Frenkel eingeweihte Platz erinnere an deren unermüdlichen Einsatz für Kinder von Zwangsarbeitern, die während der Zeit der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft in
menschenverachtender Weise misshandelt wurden und zu Tode kamen. Im Gedenken an dieses Unrecht käme gerade diesem Ort besondere Symbolkraft zu, da er im Zentrum der Stadt Wolfsburg liege, die selbst zu Zeiten der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gegründet worden sei. Die Art und Weise der Durchführung der Versammlung des Antragstellers sowie ihr Motto, zu der mit einem Flyer aufgerufen werde, in dem in der Bundesrepublik
Deutschland lebende Ausländer als den ‚Volkstod' bringende Menschen dargestellt würden, verletze die Würde der ausländischen Opfer der Zwangsarbeit und gefährde den öffentlichen Frieden unmittelbar. Wegen der weiteren
Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid vom 28. März 2013 (Bl. 140 ff. der Beiakte A) verwiesen. Die Antragsgegnerin ordnete die sofortige Vollziehung dieser Untersagungsverfügung an und führte zur Begründung aus,
das überwiegende öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergebe sich daraus, dass eine Klage gegen die Untersagungsverfügung aufschiebende Wirkung hätte und mit einem Abschluss eines gerichtlichen
Verfahrens vor dem angezeigten Versammlungstermin nicht zu rechnen sei.
Hiergegen hat der Antragsteller am 18. April 2013 Klage erhoben (gerichtliches Aktenzeichen: 5 A 78/13) und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung trägt er vor,
dass von seiner streitgegenständlichen Versammlung Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter nicht ausgingen. Vielmehr sei anlässlich einer solchen Versammlung mit Störungen durch Andersdenkende - Gegendemonstranten
meist linksextremistischer Ausrichtung - zu rechnen, ohne dass seine Versammlung dafür Zweckveranlasser sei. Es seien zunächst einmal grundsätzlich alle Mittel gegen die originären Störer anzuwenden, bevor er aufgrund
polizeilichen Notstandes als Nichtstörer in Anspruch genommen werden könne. Über einen drohenden polizeilichen Notstand sei aber in dem Bescheid der Antragsgegnerin nichts ausgeführt. Soweit die Antragsgegnerin sich auf den
Schutz von Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs beziehe, sei dies nicht zutreffend, weil eine Demonstration generell eine Beeinträchtigung für Verkehrsteilnehmer und dies hinzunehmen sei. Wenn die
Antragsgegnerin den Bahnhof freihalten wolle, könne seine Demonstration auch weitab vom Bahnhof irgendwo in der Stadt beginnen. Das operative Problem dabei sei nur, dass die Versammlungsteilnehmer der angemeldeten
Versammlung das Recht hätten, mit der Bahn anzureisen und die Polizei dann die Pflicht treffe, sie in geeigneter Weise zum Versammlungsort zu bringen. Vom Versammlungsrecht seien nämlich auch die sichere Anreise sowie die
sichere Abreise geschützt. Da an üblichen Sonnabenden auch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ca. 15.000 Besucher nach Wolfsburg kämen, seien die erwarteten Besucherzahlen des Tanzclubs mit 1.500 und der
Silent-Noise-Party mit 1.000 Besuchern lediglich eine geringfügige Steigerung. Soweit bei Gegendemonstrationen mit 5.000 Teilnehmern gerechnet werde, hätte die Antragsgegnerin zunächst einmal die Gegendemonstrationen zu
verbieten, die den erkennbaren Zweck hätte, seine Demonstration zu be- oder gar zu verhindern. Bereits im Hinblick auf das Prinzip zeitlicher Priorität sei seine Rechtsposition stärker. Auch die von der Antragsgegnerin angeführte
Notwendigkeit der Sperrung von Straßenzügen bestehe nicht, wenn die gegnerische Demonstration untersagt würde. Der Antragsgegnerin stehe es zudem frei, Gegendemonstranten mit Platzverweisen zu belegen. Der linksautonome
Personenkreis sei leicht zu erkennen, weil er durch szenetypisches Outfit auffalle. Soweit die Antragsgegnerin anführe, dass die allgemeine Handlungsfreiheit Dritter gestört werde, sei darauf hinzuweisen, dass das Versammlungsrecht
aus Artikel 8 GG einen höheren Rang genieße als die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 GG. Die alternative Route aus dem Kooperationsgespräch vom 8. März 2012 werde die Vorbereitungen und die Teilnahme an der
Silent-Noise-Party nicht stören. Auch das Argument, dass die von ihm nunmehr genannte Route in weiten Teilen der Stadt Wolfsburg die Not- und Unfallrettung unmöglich machen werde, lasse sich nicht halten. Die angemeldete
Demonstration bestehe aus 700 Teilnehmern, zur überwiegenden Anzahl aus politisch aktiven Menschen, die ein hohes Maß an Disziplin aufwiesen und gewohnt seien, Anweisungen eigener Ordner zu folgen. Deshalb werde dieser
Personenkreis in jedem Fall schnellstens eine Gasse für die Durchfahrt eines RTW freimachen. Darüber hinausgehende Probleme entstünden ebenfalls nur durch die Gegendemonstranten, die erfahrungsgemäß auch den Einsatz von
Feuerwehr und anderen Rettungskräften behindern würden. Dies könne nicht zu Lasten seiner Demonstration gehen. Der Sara-Frenkel-Platz könne in der Weise umgangen werden, dass dann die andere Straßenseite der Porschestraße
für die Demonstration genutzt werde oder die Demonstration einen Schwenk um jenen Teil der Porschestraße mache, der gegenüber des Sara-Frenkel-Platzes liege. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die
Antragsschrift (Bl. 1 ff. der Gerichtsakte) verwiesen. Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2013 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie tritt dem Eilantrag unter Bezugnahme im Wesentlichen unter Bezugnahme auf ihren Bescheid vom 28. März 2013 entgegen. Mit Schreiben vom 30. April 2013 hat das
beschließende Gericht die Antragsgegnerin gebeten vorsorglich darzulegen, ob im Stadtgebiet von Wolfsburg geeignete andere Strecken für den streitgegenständlichen Versammlungsaufzug oder aber ein Ort für eine stationäre
Kundgebung zur Verfügung stehen bzw. ob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch andere bzw. zusätzliche Beschränkungen der streitgegenständlichen Versammlung (z.B. in zeitlicher Hinsicht) milder als durch deren
vollständige Untersagung hinreichend abgewendet werden kann. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 30. April 2013 Bezug genommen (Bl. 87 der Gerichtsakte).
Mit Schreiben vom 7. Mai 2013 hat die Antragsgegnerin im Wesentlichen wie folgt ergänzend Stellung genommen: Auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erneuten Besprechung der Sicherheitslage mit der örtlichen und
der Bundespolizei sowie der Feuerwehr vom 2. Mai 2013 sei weiterhin davon auszugehen, dass nur durch ein Verbot der Versammlung des Antragstellers mit dieser einhergehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit abgewehrt
werden könnten. Bei Durchführung der vom Antragsteller angezeigten Versammlung wäre in jedem Fall der Hauptbahnhof (zu Beginn und zum Ende) Versammlungsort. Denn die Versammlungsteilnehmer würden ganz überwiegend
mit der Bahn anreisen und ihr Transport mit Bussen vom Hauptbahnhof an einen anderen im Stadtgebiet gelegenen Versammlungsort sei nach überzeugender Einschätzung der Polizei gefährlicher als ein am Bahnhof beginnender
Aufzug zu Fuß. Der Hauptbahnhof müsste in diesem Zusammenhang ganztägig weiträumig abgesperrt werden, um die zwingend erforderliche Trennung der rivalisierenden Gruppen sicherzustellen. Im Ergebnis brächte dies den
öffentlichen Verkehr am Hauptbahnhof sowie am aufgrund der örtlichen Nähe zwangsläufig mitbetroffenen Zentralen Omnibusbahnhof gänzlich zum Erliegen. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung unbeteiligter Dritte sei
unverhältnismäßig, zumal am 1. Juni 2013 mit einem erheblichen, gegenüber ‚normalen' Samstagen zusätzlich erhöhten Verkehrs- bzw. Passantenaufkommen zu rechnen sei.
Für den Fall, dass das Gericht ihre Einschätzung nicht teile, könne sie vorsorglich eine Aufzugsroute benennen, die eine halbwegs gesicherte Durchführung der Versammlung gewährleiste, sofern sie während der gesamten Dauer der
Veranstaltung vollständig und nicht nur abschnittsweise, jeweils nach dem Fortschreiten des Demonstrationsaufzugs, von Polizeikräften gesichert werde. Diese Route verlaufe wie folgt: Vorplatz des Museums Phaeno
(Willy-Brandt-Platz) mit einer Auftaktkundgebung, An der Vorburg, Maybachweg, Daimlerstraße, Lerchenweg, Dieselstraße, Robert-Bosch-Weg, Daimlerstraße, Maybachweg, An der Vorburg, Vorplatz des Museum Phaeno
(Willy-Brandt-Platz) mit einer Abschlusskundgebung. Diesem Routenvorschlag lägen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Es sei auf der Grundlage der Stellungnahme der Bundespolizei davon auszugehen, dass die
Teilnehmer der Versammlungsveranstaltungen, die mit der Bahn anreisten, bereits am Hauptbahnhof Wolfsburg bzw. im Vorfeld bzw. in den Abfahrtsbahnhöfen und in den Zügen getrennt werden könnten und den Bahnhof über
unterschiedliche Ausgänge in östliche und westliche Richtung verlassen könnten. Unbeteiligte Dritte, z.B. Besucher der Autostadt könnten den Bahnhof, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, durch den westlichen oder u.U. über den
nördlichen Ausgang verlassen. Voraussetzung sei allerdings, dass der Bahnhof und der Bahnhofsvorplatz als Haupteinsatz- und Aufstellungsort der Polizei diene und deswegen von sämtlichen Versammlungsteilnehmern frei bliebe.
Hierdurch sei zugleich eine Pufferzone zwischen den rivalisierenden Lagern geschaffen. Dies hätte aber zur Folge, dass eine direkte Verbindung zwischen dem Hauptbahn- und dem Zentralen Omnibusbahnhof nicht mehr gegeben sei,
was zu einer erheblichen Einschränkung des öffentlichen Personenverkehrs führen würde. Die Trennung der rivalisierenden Lager sei anschließend bei Durchführung der Veranstaltung zwingend aufrecht zu erhalten. Aus diesem
Grund scheide eine Bewegung des vom Antragsteller angezeigten Versammlungsaufzugs in westlicher Richtung aus, weil dort - auf dem Parkplatz der VW AG an der Heinrich-Nordhoff-Straße - die Hauptaktions- und
Kundgebungsfläche der IG Metall sei. Eine Bewegung des Demonstrationsaufzuges in südlicher Richtung sei ebenfalls nicht möglich. Dies betreffe insbesondere einen Zug über die Porschestraße in den Innenstadtkern. In diesem
äußerst kompakten Bereich von Wolfsburg könne die Polizei ein Einsickern von gewaltbereiten Störern und damit eine Eskalation, wie sie beispielsweise bei dem vom Antragsteller im vergangenen Jahr in Hamburg durchgeführten
Aufzug stattgefunden habe, nicht sicher verhindern. Die Innenstadt vollständig abzusperren sei nicht möglich. Eine nur abschnittsweise Sperrung biete erhebliche Möglichkeiten für Stör- und Blockadeaktionen, zumal sich potentielle
Störer mit dem üblichen Fußgängerströmen unerkannt in den Versammlungsbereich begeben könnten. Eine Routenführung über die Porschestraße passiere zudem den Sara-Frenkel-Platz mit den von ihr bereits im angefochtenen
Bescheid beschriebenen negativen Auswirkungen. Führte die Aufzugsroute über die Porschestraße nach Süden, wäre schließlich der Zentrale Omnibusbahnhof betroffen und käme der Busverkehr vollständig zum Erliegen. Dieser sei
durch die vorgeschlagene Alternativroute bereits nur stark eingeschränkt möglich, weil ein direktes Pendeln zwischen dem Hauptbahnhof und dem ZOB unmöglich gemacht würde und Busse nicht in Richtung Nordost (über die
Heßlinger Straße) und Nordwest (über den Willy-Brandt-Platz) fahren könnten. Angesichts dessen könne der Demonstrationsaufzug des Antragstellers nur nach Osten geführt werden. Eine Kollision mit dem Aufzug der
Volkswagen-Gesamtjugendvertretung sei insoweit nicht zu befürchten, weil diese Versammlung zurückgezogen worden sei, nachdem sie, die Antragsgegnerin, darauf hingewiesen habe, dass eine Route über die Berliner Brücke aus
Gründen der Gefahrenabwehr untersagt werden müsse. Der Aufzug des Antragstellers könne aber nicht über die Heßlinger Straße geführt werden, weil diese in den sog. St.-Annen-Knoten münde, der ausweislich der Stellungnahmen
der Berufsfeuerwehr vom 6. Mai 2013 sowie der Polizei vom 3. Mai 2013 unbedingt freizuhalten sei, weil er die zentrale Hauptverbindungsachse in sämtliche Richtung sei und direkt daneben in der Dieselstraße die (einzige) Wache
der Wolfsburger Berufsfeuerwehr liege. Eine Unterquerung des St.-Annen-Knotens durch das vorhandene Fußgängertunnelsystem sei nach Einschätzung der Polizei zu gefährlich, weil dies zu schmal sei und Vorkommnisse wie bei
Durchführung der Love-Parade in Duisburg im Jahr 2010 nicht sicher ausgeschlossen werden könnten. Es sei schließlich ausgeschlossen, vor Erreichen des St.-Annen-Knotens von der Heßfelder Straße nach Süden in die
Allessandro-Volta-Straße oder die Straße Rothenfelder Markt abzubiegen. Die Allessandro-Volta-Straße sei bereits zu schmal, um die Sicherheit des Aufzugs gewährleisten zu können. Außerdem führe sie auf die Rothenfelder Straße.
Diese sei als wegen der erforderlichen Sperrungen des Bahnhofsvorplatzes und der Heinrich-Nordhoff-Straße die einzige Verbindungsstraße in west-östlicher Richtung und zwingend freizuhalten, um die Not- und Unfallrettung in die
Innenstadt und die westlichen Stadtteile sicherzustellen. Entsprechendes gelte für die Straße Rothenfelder Markt. Die Inanspruchnahme der Dieselstraße in westlicher Richtung sei noch vertretbar und ermögliche, dass der Aufzug
einen Rundweg nehme. Weil die Durchführung der Veranstaltung des Antragstellers mit einer massiven Beeinträchtigung des öffentlichen Personennahverkehrs verbunden sei, müsse sie um 17.00 Uhr beendet sein, um die Anreise für
die Teilnehmer der Silent-Noise-Party zu ermöglichen. Die Antragsgegnerin hat sich auf ergänzende Stellungnahme der Polizeiinspektion Wolfsburg/Helmstedt vom 3. Mai 2013, der Bundespolizeiinspektion Hannover vom 5. Mai
2013 und der Berufsfeuerwehr Wolfsburg vom 6. Mai 2013 bezogen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Bl. 110 ff. der Gerichtsakte).
Mit Schreiben vom 10. Mai 2013 hat der Antragsteller hierauf im Wesentlichen wie folgt erwidert: Die Veranstaltungen der IG Metall seien reine Gegenveranstaltungen zu seiner Versammlung und deswegen weniger schutzwürdig.
Vorrangig vor einem Vorgehen gegen seine Versammlung sei gegen diese, bspw. durch eine Verlegung auf einen anderen Tag, vorzugehen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, weswegen nicht seine Demonstration vom
Hauptbahnhof nach Westen, in Richtung der ursprünglich angezeigten Aufzugsroute, abgeleitet werden könne und die Gegenveranstaltung östlich vom Hauptbahnhof stattfinde. Die Antragsgegnerin und die Polizeibehörden schätzten
die Auswirkungen seiner Veranstaltung auf die Rettungswege für Feuerwehr und Fahrzeuge der Unfallrettung unrealistisch ein. Sein vergleichsweise kleiner Aufzug benötige nur kurze Zeit, um Risikostellen, beispielsweise
Kreuzungsbereiche, zu passieren. Darüber hinaus seien die Teilnehmer seiner Veranstaltung diszipliniert, sodass eine Blockade von Rettungsmaßnahmen nicht zu erwarten sei. Entsprechendes gelte für das befürchtete Einsickern von
Störern. Diese könnten anhand ihres Erscheinungsbildes bzw., weil sie überwiegend in den polizeilichen Datenbanken erfasst seien, gut erkannt werden. Die von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 7. Mai 2013 benannte Route
entspreche nicht den Anforderungen an eine hinreichende Öffentlichkeitswirkung für eine Demonstration. Die zeitliche Beschränkung bis 17.00 Uhr lasse sich nicht mit einem ungestörten Ablauf der Silent-Noise-Party begründen.
Eine Party sei nur nach Art. 2 Abs. 1 GG und deswegen weniger schutzwürdig als seine Versammlung. Zudem sei durchaus vorstellbar, dass bei einer Befristung seiner Versammlung bis 17.00 Uhr einige hundert der Teilnehmer seiner
Versammlung im Anschluss die Silent-Noise-Party aufsuchen würden. Dies könne ihnen nicht untersagt werden.
Mit Beschluss vom 30. April 2013 hat das Gericht Herrn D., der die Veranstaltungen für die IG Metall am 1. Juni 2013 angezeigt hatte, nach § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen. Der Beigeladene hat sich nicht zum Verfahren geäußert.
Nach Auskunft der Antragsgegnerin hat er die Anzeige einer Versammlung der Volkswagen-Gesamtjugendvertretung mit Aufzug u.a. über die Berliner Brücke unter dem 3. Mai 2013 zurückgezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten
wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakten verwiesen.
II. Der zulässige Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.
Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO ist aus materiell-rechtlichen Gründen erfolgreich, wenn das Interesse des Antragstellers, den Vollzug eines Verwaltungsaktes vor einer
abschließenden gerichtlichen Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit zunächst zu verhindern, gegenüber dem Interesse der Behörde oder sonstiger Dritter an einem sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes überwiegt. Dies ist regelmäßig
der Fall, soweit sich die angefochtene Verfügung bereits nach der im Eilverfahren möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung als voraussichtlich rechtswidrig erweist. Hiervon ist hinsichtlich der Verfügung der
Antragsgegnerin vom 28. März 2013 auszugehen, soweit sie es dem Antragsteller vollständig untersagt hat, die Versammlung mit Demonstrationsaufzug am 1. Juni 2013 durchzuführen, und sie ihm nicht ermöglicht hat, den
Demonstrationsaufzug in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu veranstalten.
Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr
nicht anders abgewehrt werden kann. Nach § 8 Abs. 1 NVersG kann die zuständige Behörde Beschränkungen zu einer angezeigten Versammlung verfügen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
abzuwehren. Wegen des durch Art. 8 GG bewirkten Schutzes von Versammlungen und der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung gerade auch im Hinblick auf den Schutz
von Minderheiten darf eine Versammlung nur ausnahmsweise verboten werden. Das Ermessen der Versammlungsbehörde ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung
unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen deshalb Umstände vorliegen, die eine Gefährdung von der
Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgütern der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Die behördliche Gefahrenprognose muss sich auf nachweisbare Tatsachen stützen; bloße Vermutungen
reichen nicht aus (vgl. VG Braunschweig, U. v. 26.09.2012 - 5 A 96/11 -, juris Rn. 23 m.w.N). Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine
möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form
führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.06.2011 - 11 ME 164/11 -, juris Rn. 13 m.w.N.).
Ein Versammlungsverbot ist darüber hinaus als ‚ultima ratio' nur zulässig, wenn die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend sicher abgewehrt werden kann, indem die Versammlungsbehörde die Durchführung der
Versammlung beschränkt und hierdurch die Versammlungsfreiheit in geringerem Ausmaß einschränkt als durch das Verbot (vgl. VG Braunschweig, U. v. 26.09.2012 - 5 A 96/11 -, juris Rn. 23 m.w.N.). Solche Beschränkungen sind in
örtlicher Hinsicht (durch Verlegung der angezeigten Route eines Aufzugs oder ggf. durch die Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung) sowie in zeitlicher Hinsicht denkbar. Zwar umfasst die Versammlungsfreiheit nach Art. 8
Abs. 1 GG grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung zu entscheiden. Kommt es jedoch zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht durch
Rechte anderer beschränkt sein. In diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei
der Planung der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Beschränkungen hergestellt werden. Dem Veranstalter
steht hierbei kein Bestimmungsrecht darüber zu, mit welchem Gewicht die Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit
gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt vielmehr der Versammlungsbehörde (vgl. VG Braunschweig, U. v. 26.09.2012 - 5 A 96/11 -, juris Rn. 27 m.w.N.). Hat die
Versammlungsbehörde die erforderlichen Beschränkungen hingegen nicht erlassen und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5
Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.06.2011 - 11 ME 164/11 -, juris Rn. 27 m.w.N.).
Nach diesem Maßstab hat die Antragsgegnerin es dem Antragsteller zu Recht untersagt, den Demonstrationsaufzug auf der von ihm ursprünglich angezeigten bzw. im Koordinationsgespräch vom 8. März 2013 variierten Strecke zu
führen. Denn bei der Durchführung der Demonstration auf diesen Routen käme es zu einer Gefährdung bzw. Beeinträchtigung von Rechtsgütern, die gleichwertig zu der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des
Antragstellers aus Art. 8 GG stehen. Die danach gebotene Abwägung der miteinander kollidierenden Rechtsgüter führt dazu, dass dem Antragsteller die Durchführung des Demonstrationsaufzugs in der ursprünglich angezeigten bzw.
im Koordinationsgespräch modifizierten Art und Weise zu untersagen ist. Das Totalverbot der Versammlung hingegen ist unverhältnismäßig, weil sich die Gefährdungen bzw. Beeinträchtigungen bei Durchführung der Versammlung
durch die aus dem Tenor ersichtlichen Beschränkungen auf ein im Hinblick auf die hohe Bedeutung der Versammlungsfreiheit hinzunehmendes Maß reduzieren lassen. Die danach gebotene Beschränkung hat das beschließende
Gericht als Auflage nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO ausgesprochen, weil angesichts des nahen Termins der Versammlung der Erlass durch die Antragsgegnerin nicht abgewartet werden kann.
Die Durchführung des Demonstrationsaufzugs auf der ursprünglich angezeigten bzw. im Koordinationsgespräch modifizierten Strecke lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefährdung bzw. Beeinträchtigung von Rechtsgütern
unbeteiligter Dritter erwarten, die gleichwertig zu der Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 GG stehen.
Dies betrifft zunächst das Recht auf Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG. Weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass bei Durchführung der Versammlung auf den vom
Antragsteller angezeigten Streckenvarianten Rettungswege der Berufsfeuerwehr sowie Rettungswege zum Klinikum der Stadt Wolfsburg beeinträchtigt würden, begründete dies die konkrete Gefahr, dass im Notfall Rettungsfristen
nicht gewahrt werden könnten und hierdurch die Gesundheit und ggf. sogar das Leben unbeteiligter Dritter gefährdet würden.
Das Gericht teilt mit der - auf den Gefährdungseinschätzungen der Polizei und der Feuerwehr beruhenden - Gefahrenprognose der Antragsgegnerin die Einschätzung, dass es erforderlich ist, die Veranstaltung des Antragstellers durch
Absperrungen einschließlich einer zwischenliegenden Pufferzone räumlich zu sichern und diese Sicherung über die gesamte Dauer der Veranstaltung (und nicht nur abschnittsweise je nach dem Fortschreiten des Aufzugs) aufrecht zu
erhalten. Nur eine solche Sicherung kann hinreichend sicher ausschließen, dass gegen die Veranstaltung des Antragstellers gerichtete (illegale) Stör- und Blockadeaktionen diese massiv beeinträchtigen oder sogar verhindern und es
infolge von solchen Aktionen zu einer massiven Eskalation der Lage käme, die gewalttätige Ausschreitungen gegen Menschen und Gegenstände beinhaltete. Es ist damit zu rechnen, dass massive Stör- und Blockadeaktionen gegen die
Versammlung des Antragstellers geplant sind. Die Polizeiinspektion Wolfsburg / Helmstedt weist in ihrer Gefährdungseinschätzung vom 20. März 2013, ergänzt durch die Stellungnahme vom 3. Mai 2013, insoweit zu Recht darauf
hin, dass in der gewaltbereiten, linksautonomen Szene hierfür mobilisiert wird (vgl. bspw. den Aufruf ‚Keine Zukunft für Nazis! Den Naziaufmarsch in Wolfsburg verhindern!', Bl. 133 ff. der Beiakte A) und dass dies die Begehung
von Straftaten und gewalttätigen Aktionen befürchten lässt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Einschätzung der Polizei, dass jedenfalls circa 400-500 gewaltbereite Störer dem Aufruf folgen werden, überzogen ist. Das ganz erhebliche
Konflikt- und Gewaltpotenzial hat sich in früheren Jahren bei Veranstaltungen des Antragsstellers in anderen Städten Norddeutschlands zum selben Motto gezeigt und zum Teil auch realisiert (z.B. bei der Veranstaltung ‚Tag der
deutschen Zukunft' 2012 Hamburg, anlässlich derer es trotz massiven Polizeiaufgebots zu teilweise schwerwiegenden Störaktionen gekommen war, die u.a. Körperverletzungen auch bei Polizeikräften und Sachbeschädigungen zur
Folge hatten). Ein geordneter Ablauf des Demonstrationsaufzugs des Antragstellers könnte in diesem Fall nicht mehr gewährleistet werden. Es drohte vielmehr eine Eskalation der Situation, die ggf. eine direkte Konfrontation der
rivalisierenden Gruppen mit äußerst schwerwiegenden Folgen für alle Beteiligten und unbeteiligte Dritte befürchten ließe. Die polizeiliche Gefährdungseinschätzung vom 20. März 2013 legt überzeugend dar, dass Teilnehmer der
antragstellerischen Versammlung einen zuvor geübten Verzicht auf eine gewalttätige Auseinandersetzung ohne Umschweife aufzugeben drohen, sofern es zu einer derartigen direkten Konfrontation mit dem rivalisierenden Lager
käme. Zu Recht berücksichtigt die Polizei in ihrer Gefährdungseinschätzung schließlich auch, dass sich auch dem ‚bürgerlichen Spektrum' angehörige Demonstranten Blockadeaktionen anzuschließen drohen, sofern hierzu die
Gelegenheit bestünde. Die polizeiliche Einschätzung, dass die Gefahr eines unkontrollierbar eskalierenden Verlaufs nur durch strikte räumliche Trennung der rivalisierenden Lager mittels Absperrungen einschließlich einer Pufferzone
und eines Freihaltens der Aufzugstrecke während der gesamten Dauer des Aufzugs hinreichend effektiv abgewendet werden kann, begegnet angesichts dieser Gesamtlage keinen durchgreifenden Bedenken.
Der Antragsteller dringt hiergegen nicht mit dem Einwand durch, dass es der Antragsgegnerin bzw. der Polizei vorrangig obliege, inhaltlich gegen seine Demonstration ausgerichtete Veranstaltungen zu verbieten. Es ist nicht davon
auszugehen, dass die beschriebenen Stör- und Blockadeaktionen durch Verbote effektiv verhindert und die zur Sicherung des Aufzugs erforderlichen Maßnahmen deswegen reduziert werden könnten, zumal solche Aktionen bereits
kraft Gesetzes gemäß § 4 NVersG verboten und gemäß § 20 und § 21 NVersG Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten sind. Vielmehr ist von der Bereitschaft aufseiten gewaltbereiter Störer auszugehen, gegen behördliche Anordnungen
bzw. gesetzliche Verbote zu verstoßen. Der Antragsteller dringt auch nicht mit den Einwand durch, dass eine nur abschnittsweise Sicherung der von ihm beabsichtigten Aufzugsstrecke zur Sicherung der Lage ausreicht. Die
polizeiliche Einschätzung, dass das vorübergehende Öffnen von Streckenabschnitten zu (massiven) Blockadeaktionen genutzt würde, und dies das hohe Risiko einer erheblichen Eskalation der Situation mit sich brächte, ist -
angesichts des zuvor dargelegten Konfliktpotenzials - plausibel und vom Antragsteller nicht substantiiert in Frage gestellt.
Dies zugrunde gelegt, ist zunächst die vom Antragsteller für beide (die ursprünglich angezeigte und die im Koordinationsgespräch modifizierte) Streckenführungen erforderliche Inanspruchnahme der Kleist-, Lessing- und der
Laagbergstraße einschließlich der Nutzung des Brandenburger Platzes mit einer Beeinträchtigung von Rettungswegen der Feuerwehr und der Notfallrettung und deswegen mit der konkreten Gefahr, dass Rettungsfristen im Notfall
nicht gewahrt werden können, verbunden. Nach den überzeugenden Darlegungen der Berufsfeuerwehr Wolfsburg in den Stellungnahmen vom 19. und 20. März 2013 beeinträchtigt die Inanspruchnahme dieser Streckenabschnitte
insbesondere ihre im Hinblick auf die Rettungsfristen ohnehin kritischen Rettungswege in die westlichen Stadtteile sowie die Zufahrt zum Klinikum der Stadt Wolfsburg insbesondere aus nordwestlicher Richtung. Über die
Heinrich-Nordhoff-Straße kann der Rettungsweg der Berufsfeuerwehr in westlicher Richtung am 1. Juni 2013 nicht verlaufen. Wegen der Maßnahmen, die zur Sicherung der Veranstaltung des Antragstellers im Bereich des
Hauptbahnhofs bzw. am Willy-Brandt-Platz (vor dem Museum Phaeno) erforderlich werden, sowie aufgrund von Störaktionen in diesem Bereich sind insoweit erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen zu befürchten und schließt
darüber hinaus - im weiteren Verlauf - die vom Beigeladenen angezeigte Versammlung auf dem der VW AG gehörenden Parkplatz mit circa 10.000 erwarteten Teilnehmern die verlässliche Benutzung der Straße durch Rettungskräfte
aus. Soweit der Antragsteller ursprünglich darüber hinaus die Benutzung der Stadtwaldstraße, des Hochrings, der Röntgen- und der Braunschweiger Straße angezeigt hatte, steht dieser Route zusätzlich entgegen, dass die dort zur
Sicherung der Aufzugsstrecke erforderlichen Maßnahmen die ungehinderte Zufahrt zum Klinikum Wolfsburg aus weiteren Fahrtrichtungen beeinträchtigten.
Der Antragsteller dringt insoweit nicht mit den Einwand durch, die Einhaltung der Rettungsfristen sei nicht gefährdet, weil die Teilnehmer seiner Versammlung diszipliniert seien und Anordnungen der Versammlungsordner Folge
leisteten, sodass im Notfall Rettungsfahrzeuge durch den Aufzug hindurchfahren könnten. Denn die beschriebenen Beeinträchtigungen der Rettungswege resultieren nicht vorrangig daraus, dass Straßen durch die Teilnehmer des
Aufzugs blockiert wären. Vielmehr wirkt sich insbesondere aus, dass umfangreiche, wenig flexible Absperrmaßnahmen zum Schutz vor Stör- und Blockadeaktionen erforderlich würden, die im Notfall nicht umgehend - zumal nicht
ohne das Risiko, dass diese ‚Lücken' in der Sicherung des Aufzugs zu Störaktionen genutzt würden - beseitigt werden könnten, und darüber hinaus trotz solcher Sicherungsmaßnahmen Blockaden und andere Störmaßnahmen nicht
gänzlich ausgeschlossen werden können. Da die Absperrmaßnahmen wie bereits dargelegt schon im Vorfeld des Aufzugs erfolgen müssen und ein abschnittsweises Absperren nicht hinreichend erfolgsversprechend ist, dringt der
Antragsteller auch nicht mit seinem Einwand durch, sein Aufzug bewege sich mit einer Geschwindigkeit von circa 4 km/h, sodass er kritische Gefahrenstellen zügig passieren könne.
Bei einer Streckenführung des Aufzugs über die Porschestraße in den Innenstadtkern und die Fußgängerzone von Wolfsburg droht eine Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zusätzlich durch eine Gefährdung von Leib und
Leben (auch) Unbeteiligter wegen zu befürchtender gewalttätiger Ausschreitungen. Das Gericht teilt insoweit die Gefährdungseinschätzungen der Antragsgegnerin und der Polizei. Letztere hat insbesondere in der Stellungnahme vom
3. Mai 2013 nachvollziehbar dargelegt, dass die erforderliche Trennung der rivalisierenden Gruppierungen in diesem Bereich nicht gewährleistet werden könne. Insoweit wirken sich die räumliche Enge, die eine großräumige
Trennung mit Pufferzonen unmöglich macht, und die Unübersichtlichkeit des Bereichs aus, die gute Möglichkeiten eröffnet, dass Störer sich (auch in Ladengeschäfte) zurückzuziehen und an anderer Stelle erneut Aktionen starten (vgl.
insoweit auch VG Braunschweig, B. v. 14.10.2003 - 5 B 458/03 -, n.v.). Eine vollständige Absperrung dieses Bereichs ist technisch nicht umsetzbar. Insbesondere wäre dies im Hinblick auf die entgegenstehenden, grundrechtlich nach
Art. 2 Abs. 1, Art. 12 und Art. 14 GG geschützten Positionen der Gewerbetreibenden und ihrer Kunden sowie sonstiger Passanten im Innenstadtbereich trotz des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG
unverhältnismäßig. Das Gericht geht deswegen mit der polizeilichen Einschätzung davon aus, dass ein ‚Einsickern' von Störern nicht effektiv verhindert werden könnte. Entgegen der Annahme des Antragstellers dürften Störer auch
nicht bereits durch ihr Äußeres (z.B. szenetypische Kleidung, Irokesenschnitt) hinreichend sicher zu erkennen sein. Dies mag auf Einzelne, aber bereits nicht auf die überwiegende Mehrzahl zutreffen. Auch Personenkontrollen können
Störungen in diesem Bereich nicht hinreichend effektiv verhindern, zumal nicht davon auszugehen ist, dass sämtliche zu Störaktionen bereite Gegner des Aufzugs polizeilich aktenkundig sind und nach vorstehenden Ausführungen
flächendeckende Personenkontrollen in diesem Bereich nicht effektiv umsetzbar sind. Zusätzlich erschwerend wirkt sich nach Einschätzung des Gerichts bei einer Streckenführung über die Porschestraße in den Bereich der Innenstadt
aus, dass diese Route den Sara-Frenkel-Platz tangierte. Unabhängig davon, ob insoweit die Voraussetzungen von § 8 Abs. 4 Nr. 1 NVersG erfüllt wären, geht die Polizei in der Stellungnahme vom 20. März 2013 zu Recht davon aus,
dass dies als besondere Provokation empfunden würde. Dies rechtfertigt die Annahme, dass hier in besonderer Weise mit Gegenmaßnahmen zu rechnen wäre.
Schließlich drohen bei Durchführung des Aufzugs in beiden vom Antragsteller angezeigten Streckenvarianten massive Beeinträchtigungen des öffentlichen Verkehrs in Wolfsburg am 1. Juni 2012. Die Teilhabe hieran ist
grundrechtlich nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und dessen Beeinträchtigung kann der Durchführung einer Versammlung in der vom Veranstalter beabsichtigten Weise entgegenstehen (vgl. Sächsisches OVG, B. v. 04.04.2002 - 3 BS
103/02 -, juris Rn. 5 ff.; Nds. OVG, B. v. 01.06.2011 - 11 ME 164/11 -, juris Rn. 24). Die in vorliegenden Fall besonders umfangreichen Störungen des Verkehrs resultieren nach der überzeugenden Darstellung in der polizeilichen
Gefahrenanalyse vom 20. März 2013 insbesondere daraus, dass einerseits mit dem Hauptbahnhof und dem Zentralen Omnibusbusbahnhof (ZOB) am sog. Nordkopf die Knotenpunkte des öffentlichen Personenverkehrs in Wolfsburg
betroffen wären. Aufgrund der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen wäre der Zugang zum Hauptbahnhof stark beeinträchtigt. Der Busbahnhof müsste bei einer Route über die Porschestraße gänzlich geschlossen werden und ist selbst
bei der im Tenor ausgesprochenen Routenführung nur erheblich eingeschränkt nutzbar, weil sich Sicherungsmaßnahmen bis in diesen Bereich erstrecken können und jedenfalls verhindern, dass Busse den Bereich in nordöstlicher und
nordwestlicher Richtung verlassen können. Die vom Antragsteller angezeigten Streckenführungen führten darüber hinaus dazu, dass der Innenstadtbereich faktisch umschlossen würde, was den Zugang bzw. die Zufahrt auch auf
anderen Wegstrecken als über den ZOB erheblich behinderte.
In der Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG aufseiten des Antragstellers und der Teilnehmer seiner Versammlung einerseits und den zuvor dargelegten Beeinträchtigungen und Gefährdungen
unbeteiligter Dritter andererseits hat die Antragsgegnerin es dem Antragsteller zu Recht untersagt, den Demonstrationsaufzug auf den von ihm angezeigten Streckenvarianten zu führen. Zulasten der vom Antragsteller angezeigten
Versammlung wirkt sich insbesondere aus, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit unbeteiligter Dritter einerseits überragend wichtige Schutzgüter gefährdet sind, die Versammlungsfreiheit des Antragsstellers
andererseits zwar beeinträchtigt, aber nicht vollends ausgeschlossen wird, weil die Durchführung der Versammlung in der aus dem Tenor ersichtlichen Umfang möglich bleibt. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass von den massiven
Beeinträchtigungen des öffentlichen Personenverkehrs eine weitaus größere Anzahl unbeteiligter Personen betroffen wäre als Versammlungsteilnehmer aufseiten der antragstellerischen Veranstaltung (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel;
Versammlungsgesetz, 16. Aufl., § 15 Rn. 189). Zwar weist der Antragsteller in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass seine Versammlung die beschriebenen Gefährdungen nicht - im Sinne des Ordnungsrechts - unmittelbar
veranlasst hat und er deswegen nicht als verantwortlicher ‚Störer' herangezogen werden kann. Wie bereits dargestellt, macht dies aber die Abwägung mit Rechtsgütern und Positionen unbeteiligter Dritter, die bei Durchführung der
Versammlung jedenfalls faktisch beeinträchtigt werden, nicht entbehrlich. Dies ist nicht mit einer Inanspruchnahme des Antragstellers als ordnungsrechtlich Verantwortlichem gleichzusetzen.
Die vollständige Untersagung der vom Antragsteller angezeigten Versammlung ist hingegen aller Voraussicht nach rechtswidrig. Das Totalverbot der Versammlung ist unverhältnismäßig, weil sich die Gefährdungen bzw.
Beeinträchtigungen unbeteiligter Dritter bei Durchführung der Versammlung mit den aus dem Tenor ersichtlichen Beschränkungen soweit reduzieren lassen, dass sie in der Abwägung der betroffenen Positionen im Hinblick auf die
hohe Bedeutung der Versammlungsfreiheit hinzunehmen sind.
Nach den überzeugenden Gefährdungseinschätzungen in den Stellungnahmen der Polizeiinspektion Wolfsburg / Helmstedt vom 3. Mai 2013, der Bundespolizei vom 5. Mai 2013 und der Berufsfeuerwehr Wolfsburg vom 6. Mai 2013
ist es möglich, den Demonstrationsaufzug auf dieser Strecke zu führen, ohne dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinträchtigung der Rettungswege von Feuerwehr und Notfallrettungswagen bzw. sonstigen Leibes- oder
Lebensgefahren wegen eines gewalttätigen eskalierenden Verlaufs der Versammlung infolge von Störaktionen kommt. Nach der Stellungnahme der Bundespolizei kann die Trennung der rivalisierenden Gruppen, soweit diese
erwartungsgemäß zum überwiegenden Teil mit der Bahn anreisen, bereits im Vorfeld sichergestellt und im Bahnhof von Wolfsburg fortgesetzt werden. Auch unbeteiligten Dritten, beispielsweise der hohen Zahl an Besuchern der
Innenstadt von Wolfsburg sowie der Autostadt oder des nahgelegenen DOW bleibt hiernach, wenn auch unter Inkaufnahme von Einschränkungen und Wartezeiten am Bahnhof, die Anreise mit der Bahn möglich. Ein gewalttätiger
Verlauf der Versammlung infolge erfolgreicher Störaktionen kann den plausiblen Angaben der Polizei zufolge hinreichend sicher ausgeschlossen werden, insbesondere weil die räumliche Trennung der rivalisierenden Gruppen
einschließlich einer Pufferzone, die Bewegungsspielräume für Polizeikräfte schafft, ermöglicht wird. Die aus dem Tenor ersichtliche Route beeinträchtigt schließlich keine unbedingt freizuhaltenden Rettungswege von Feuerwehr
sowie Notfallrettung.
Es ist hingegen nicht ersichtlich, dass eine andere Streckenführung die betroffenen Schutzgüter und Rechtspositionen in sachgerechterer Weise zu einem angemessen Ausgleich bringen kann. Das Gericht teilt insoweit zunächst die
plausibel begründete Einschätzung der Polizei in ihrem Schreiben vom 3. Mai 2013, dass der Transport der Teilnehmer der vom Antragsteller angezeigten Veranstaltung mit Bussen vom Hauptbahnhof zu einem abweichenden Startort
eines Aufzugs mit nicht hinnehmbaren Gefahren verbunden wäre und deswegen ausscheiden muss.
Soweit der Antragsteller darauf dringt, dass seine Veranstaltung nach der Ankunft der Teilnehmer am Hauptbahnhof nicht in Richtung Osten auf den Willy-Brandt-Platz (vor dem Museum Phaeno), sondern in westlicher Richtung auf
die Heinrich-Nordhoff-Straße abgeleitet werden solle und im Gegenzug die Veranstaltung des Beigeladenen nach Osten, folgt das Gericht dem nicht. Dies ist nicht sachgerecht. Hiergegen spricht bereits, dass der Antragsteller von
Beginn an bereits mit der Anzeige vom 30. Mai 2012 eine Auftaktkundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz beabsichtigt hatte, der Beigeladene hingegen von vornherein den im Eigentum der VW AG stehenden Parkplatz an der
Heinrich-Nordhoff-Straße als Veranstaltungsort einer stationären Kundgebung benannt hatte. Die aus dem Tenor ersichtliche Streckenführung ermöglicht demnach beiden Versammlungen, Kundgebungen auf den von vornherein
beabsichtigten Plätzen durchzuführen. Eine nachträgliche Änderung der Zuordnung wie nunmehr vom Antragsteller in Rede gebracht, ist auch deshalb nicht sachgerecht, weil nicht ersichtlich ist, dass in östlicher Richtung vom
Hauptbahnhof ein geeigneter Ort für die stationäre Kundgebung des Beigeladenen vorhanden ist. Jedenfalls der Willy-Brandt-Platz vor dem Museum Phaeno ist zur Aufnahme der erwarteten circa 10.000 Teilnehmer zu klein. Er ist
hingegen geeignet, die circa 700 Teilnehmer der vom Antragsteller angezeigten Versammlung aufzunehmen. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die VW AG dem Antragsteller den Parkplatz, auf dem die Veranstaltung des
Beigeladenen stattfindet, für die Durchführung seiner Versammlung überlassen würde. Schließlich ist festzuhalten, dass auch die Ableitung der Versammlung des Antragstellers in westlicher Richtung keine für ihn wesentlich
günstigere Sachlage herbeiführen würde. Auch in diesem Fall wären die von ihm angezeigten beiden Streckenführungen insbesondere wegen der Auswirkungen auf die o.g. Rettungswege von Feuerwehr und Notfallrettung nicht gangbar.
Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, dass vom Hauptbahnhof aus in östlicher Richtung eine abweichende Routenführung eher sachgerecht ist als die im Tenor ausgesprochene. Insbesondere führten eine Inanspruchnahme der
Heßlinger-Straße, der Allesandro-Volta-Straße oder des Rothenfelder Marktes zu Beeinträchtigungen der Rettungswege von Feuerwehr und Notfallrettung und sind deswegen in der Abwägung der betroffenen Belange als nicht
sachgerecht auszuschließen.
Die Antragsgegnerin hat im Schreiben vom 7. Mai 2013 überzeugend dargelegt, dass eine Beeinträchtigung unbedingt freizuhaltender Rettungswege der Feuerwehr zunächst für den Fall anzunehmen sei, dass der Demonstrationszug
vom Willy-Brandt-Platz über die Heßlinger-Straße Richtung Osten geführt würde, weil hiermit eine Inanspruchnahme und infolge der Sicherungsmaßnahmen bzw. evtl. Störaktionen auch eine Beeinträchtigung des sog.
St.-Annen-Knotens verbunden wäre. Das Gericht teilt insoweit die polizeiliche Einschätzung aus deren Stellungnahme vom 3. Mai 2013, dass eine Unterquerung des St.-Annen-Knotens durch die dortigen Fußgängertunnel bereits
aufgrund der räumlichen Enge zu gefährlich ist und darüber hinaus wegen der Möglichkeit, den Aufzug durch Blockaden zum Stehen zu bringen und eine Eskalation der Lage zu bewirken, aus ordnungsbehördlicher Sicht nicht
verantwortet werden kann. Der St.-Annen-Knoten ist, wie die Berufsfeuerwehr in ihrer Stellungnahme vom 6. Mai 2013 überzeugend dargelegt hat, zwingend von Beeinträchtigungen freizuhalten, damit der Rettungsschutz
gewährleistet werden kann, weil er in unmittelbarer Nähe zur Feuerwache liegt und für das Ausrücken der Feuerwehr in nahezu sämtliche Richtung beansprucht wird. Schließlich hat die Antragsgegnerin im Schreiben vom 7. Mai
2013 auf der Grundlage der Stellungnahme der Berufsfeuerwehr vom 6. Mai 2013 zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass eine Aufzugsstrecke vom Willy-Brandt-Platz über die Porschestraße bzw. von der Heßlinger Straße in
die Allesandro-Volta-Straße oder den Rothenfelder Markt Rettungswege der Feuerwehr beeinträchtigen würde, weil sie in die Kleiststraße bzw. die Rothenfelder Straße münde und diese, wie zuvor bereits dargelegt, u.a. als
Rettungsweg der Feuerwehr in die Innenstadt bzw. in westlich gelegene Stadtteile freizuhalten ist. Eine Aufzugsroute über die Porschestraße scheidet nach vorstehenden Darlegungen außerdem aus, weil dort die Sicherheit nicht des
Aufzugs nicht gewährleistet und eine gewalttätige Eskalation nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann.
Eine abweichende Route ist schließlich auch nicht im Hinblick auf den Einwand des Antragstellers geboten, es müsse vorrangig die Veranstaltung des Beigeladenen verboten oder zeitlich (um einen Tag) verschoben werden, bevor der
von ihm angezeigten Versammlung Beschränkungen auferlegt werden dürften. Denn, so der Antragsteller weiter, seine Versammlung sei zeitlich vor derjenigen des Beigeladenen angezeigt. Letztere hätte außerdem (nur) die
Verhinderung seiner Veranstaltung zum Ziel; dies würde sie jedenfalls billigend in Kauf nehmen. Mit diesem Einwand dringt der Antragsteller nicht durch. Denn die Versammlung des Beigeladenen genießt, auch wenn sie zeitlich
nach derjenigen des Antragstellers und in Reaktion hierauf geplant und angezeigt worden ist, ebenfalls den Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. Ullrich, NVersG, § 8 Rn. 137 m.w.N.; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl., Art. 8 Rn
10). Sie verfolgt das legitime Ziel, der vom Antragsteller und seinem Anhang vertretenen Meinung eine abweichende, die Integration ausländischer Mitbürger bejahende Meinung entgegenzusetzen. Sie ist somit Ausdruck der
engagiert geführten öffentlichen Auseinandersetzung verschiedener Meinungen, die Art. 8 GG gerade ermöglichen soll. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Versammlung des Beigeladenen ausschließlich dem Zweck
dient, die Versammlung des Antragstellers zu verhindern, und sie deswegen vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht umfasst wäre. Solche Anhaltspunkte hat der Antragsteller nicht aufzeigen können. Insbesondere genügt
hierfür nicht der Einwand, ein namentlich nicht benannter, bei der IG Metall eingeschleuster Informant habe von einer ‚internen' Veranstaltung berichtet, auf der konkrete Blockadepunkte festgelegt worden seien. Unabhängig davon,
dass sich bereits der Wahrheitsgehalt dieser Angabe nicht überprüfen lässt, ist darüber hinaus nicht ersichtlich, inwieweit die ‚interne' Veranstaltung geeignet sein kann, Inhalt, Ausrichtung und Gesamtcharakter der mit circa 10.000
erwarteten Teilnehmern sehr großen Versammlung maßgeblich zu beeinflussen, selbst wenn dort von einzelnen Versammlungsteilnehmern Blockadeaktionen besprochen sein sollten. Eine zeitliche Verschiebung der Versammlung des
Beigeladenen ist schließlich auch deswegen sachwidrig, weil es ihr Zweck, der Versammlung des Antragstellers eine abweichende Meinung entgegenzusetzen, gerade erfordert, in räumlicher und zeitlicher Nähe zu dieser stattzufinden
(vgl. auch Ullrich, NVersG, § 8 Rn. 67). Unabhängig hiervon ist nicht ersichtlich, dass ein Verbot oder eine zeitliche Verschiebung der Versammlung des Beigeladenen ein wesentlich anderes, für den Antragsteller günstigeres
Abwägungsergebnis bewirken könnte. Weil insbesondere gewaltbereite Störer sich hierdurch nicht von dem Versuch abhalten ließen, die Versammlung des Antragstellers zu verhindern oder zu beeinträchtigen, wären in gleichem
Ausmaß Sicherungsmaßnahmen für dessen Aufzug erforderlich. In der Folge wären auch die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen unbeteiligter Dritter weitgehend unverändert zu befürchten.
Die aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtliche Streckenführung genügt schließlich den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts an einen Kundgebungsort bzw. eine -route (vgl. BVerfG, B. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris Rn.
40). Insbesondere schließt sie nicht aus, öffentliche Aufmerksamkeit für die geplante Versammlung und die hiermit beabsichtigte Meinungskundgabe zu erreichen. Maßgeblich spricht hierfür zunächst, dass die Versammlung auf dem
Vorplatz des Museums Phaeno sehr zentral im Innenstadtbereich von Wolfsburg beginnt und dort auch endet. Hier ist eine äußerst gute Öffentlichkeitswirkung zu erzielen, zumal mit dem Hauptbahnhof, dem Phaeno selbst und der
Autostadt zentrale und publikumswirksame Einrichtungen in unmittelbarer Nähe liegen. Durch Kundgebungen zu Beginn und zum Ende der Veranstaltung ist es der Versammlung bzw. ihren Teilnehmern hier sehr gut möglich, ihr
Anliegen öffentlichkeitswirksam darzustellen. Auch die Aufzugsroute ermöglicht eine Öffentlichkeitswirkung. Zwar führt sie zu einem nicht unerheblichen Teil durch ein vorwiegend gewerblich genutztes Gebiet. Allerdings ist eine
Öffentlichkeitswirkung hier nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Bereich des DOW, das zweimal passiert wird, ist im Hinblick auf die insbesondere an einem Samstag sehr hohen Besucherzahlen mit einer erheblichen
Öffentlichkeitswirkung zu rechnen. Verstärkte öffentlichkeitswirksame Passagen sind außerdem im Bereich der Berliner Brücke sowie auf der Dieselstraße festzustellen. Die Annahme des Antragstellers, der Aufzug werde auf die
‚grüne Wiese' verbannt, geht deswegen fehl.
Es ist sachgerecht, die Durchführung der Versammlung wie aus dem Tenor ersichtlich auch in zeitlicher Hinsicht bis maximal 18.00 Uhr zu beschränken. In der Abwägung der betroffenen Belange ist der - von der Antragsgegnerin
angeführte - Beginn der ‚Silent-Noise-Party' um 19.00 Uhr insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung. Vielmehr wirkt sich aus, dass auch die Durchführung der Versammlung auf der aus dem Tenor ersichtlichen Route den
öffentlichen Personenverkehr in Wolfsburg schwerwiegend beeinträchtigen wird. Insbesondere kann der ZOB nur eingeschränkt angefahren werden und ist deswegen zu erwarten, dass der Busverkehr erheblich beeinträchtigt wird.
Darüber hinaus wird ein Übergang vom Hauptbahnhof zum ZOB nur sehr eingeschränkt möglich sein. Schließlich wird der Betrieb des Hauptbahnhofs beeinträchtigt sein und wird es zu Beeinträchtigungen entlang der Aufzugsstrecke
- und somit auch im Bereich des DOW - kommen. In der gebotenen Abwägung ist insoweit einerseits zu berücksichtigen, dass hierdurch eine - gegenüber der Anzahl der Teilnehmer der vom Antragsteller angezeigten Versammlung
deutliche höhere - Anzahl von Bürgern und Besuchern der Stadt Wolfsburg in grundrechtlich geschützten Positionen betroffen ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller im Koordinationsgespräch vom 8. März
2013 dargelegt hat, dass die Zeitangaben in der Anzeige vom 30. Mai 2012 nur ungefähre Größen seien, deren Einhaltung davon abhänge, ob es zu Störungen komme. Bei einem reibungslosen Ablauf könne das Ende der
Veranstaltung auch früher als angegeben ausfallen. Insoweit kann berücksichtigt werden, dass die nach dem Tenor des Beschlusses zugelassene Aufzugsstrecke mit circa 3,8 Kilometern kürzer ausfällt als die vom Antragsteller
ursprünglich angezeigte Route und dass aufgrund der dort möglichen Sicherungsmaßnahmen wirksame Blockade- und Störaktionen unwahrscheinlich sind. Angesichts dessen ist - auf der Grundlage der vom Antragsteller im Schreiben
vom 10. Mai 2013 genannten Geschwindigkeit von 4 km/h - die Annahme gerechtfertigt, dass der Demonstrationsaufzug die Strecke in circa einer Stunde zurücklegen kann. Demnach bleibt es dem Antragsteller trotz der im Tenor
ausgesprochenen zeitlichen Beschränkung aller Voraussicht nach möglich, neben dem Demonstrationsaufzug wie in der Anzeige vom 30. Mai 2012 dargelegt Kundgebungen mit einer Gesamtdauer von circa 5 Stunden durchzuführen.
Angesichts dessen ist ein überwiegendes Interesse des Antragstellers, die Versammlung zeitlich länger als bis 18.00 Uhr abzuhalten, nicht ersichtlich, sondern vielmehr die Befristung zum Schutz der unbeteiligten Bürger und Besucher
der Stadt vor unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen geboten.
Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus an dem Totalverbot der Versammlung festhält und dem Antragsteller nicht ermöglicht, die Versammlung mit den aus dem Tenor ersichtlichen Beschränkungen durchzuführen, ist dies unter
Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen aller Voraussicht nach rechtswidrig. Zwar weist die Antragsgegnerin im Schreiben vom 7. Mai 2013 zu Recht auf die Beeinträchtigungen des öffentlichen Personenverkehrs hin, die
mit der Veranstaltung auch dann noch einhergehen, wenn sie mit den zuvor dargelegten zeitlichen und örtlichen Beschränkungen durchgeführt wird. Angesichts der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit sowie unter
Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller bzw. die von ihm angezeigte Versammlung nicht als ordnungsrechtlich verantwortliche Störer in Anspruch genommen werden, sondern die Beeinträchtigungen unbeteiligter
Dritter nur mittelbare Folge von Störaktionen gegen die Versammlung des Antragsstellers sind, sind diese Beeinträchtigungen allerdings hinzunehmen. Die Versammlung des Antragstellers vollständig zu untersagen, entspricht nicht
dem Gebot, die betroffenen Belange sachgerecht und mit dem Ziel ihres größtmöglichen Schutzes gegeneinander abzuwägen. Weil die Versammlung des Antragstellers nach dem Tenor dieses Beschlusses bis maximal 18.00 Uhr
geführt werden darf, hält sich die Beeinträchtigung der öffentlichen Belange auch in zeitlicher Hinsicht in einem vertretbaren Maß.
Der Antragsgegnerin bleibt es vorbehalten, dem Antragsteller unter den Voraussetzungen von § 8 Abs. 2 NVersG weitere Beschränkungen für die Durchführung der Versammlung zu erteilen (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.06.2011 - 11 ME
164/11 -, juris Rn. 35 m.w.N.). ..."
***
Versammlungsrecht, Auflagen und Nichtstörer (VG Frankfurt, Beschluss vom 26.04.2013 - 5 L 1978/13.F):
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 24. April 2013 gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 12. April 2013 in der Gestalt vom
24. April 2013 wird hinsichtlich der Auflagen 1.2, 1.10,1.14,1.16 und 1.18 wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin und die Antragsgegnerin je zur Hälfte zu
tragen. Der Streitwert wird auf 5.000.- € festgesetzt. ....
I. Die Antragstellerin meldete mit Schreiben vom 18. Mai 2012, bei dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main am 23. Mai 2012 eingegangen, eine Demonstration für den 1. Mai 2013 an. Geplant sei eine stationäre
Kundgebung für den Zeitraum von 10.00 bis 19.00 Uhr vor dem H, dem Standort der Europäischen Zentralbank (EZB), I-Straße mit dem Motto ‚J'. Es würden ca. 500 Versammlungsteilnehmer erwartet.
Seit dem 16. Mai 2011 liegt der Antragsgegnerin eine Anmeldung des K (...)-L - zu einer Demonstration am 1. Mai 2013 vor. Es sind acht Auftaktkundgebungen um 9.30 Uhr geplant. Die Demonstrationszüge sollen ab 9.45 Uhr in
Sternmärschen durch die Stadt ziehen. Die Abschlusskundgebung soll vor dem M stattfinden. In dem Kooperationsgespräch, welches am 18. März 2013 stattfand, wurde seitens des K die Bereitschaft erklärt, Änderungen der
Demonstrationsroute hinzunehmen, wenn sie durch die Einhaltung eines Sicherheitsbereiches um die Europäische Zentralbank (EZB) erforderlich würden. Am 14. Februar 2013 meldete die N für den 1. Mai 2013 eine Demonstration
rund um den Neubau der EZB im Stadtteil P der Stadt Frankfurt an, mit dem Motto: ‚O'. Daneben sind weitere Demonstrationen in anderen Stadtteilen angemeldet, die Protest gegen die Kundgebung der A1 zum Gegenstand haben.
Am 1. Mai 2013 findet in Frankfurt und Umgebung das traditionelle Radrennen ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt' statt. Teile der Strecke führen durch die Innenstadt. Dort finden auf einem Rundkurs auch weitere
Rennfahrten z.B. des Nachwuchses und der Breitensportler statt. Betroffen hiervon sind die Taunusanlage, die Taunusstraße, die Neue Mainzer Straße, die Hochstraße, das Eschenheimer Tor und die Bockenheimer Anlage.
Am 25. März 2013 fand ein Kooperationsgespräch mit der Antragstellerin statt. Das Motto der Kundgebung lautet nunmehr: ‚P' Seitens der Antragsgegnerin wurde auf die Bedenken hinsichtlich der Sicherheitslage im Bereich der EZB
und auf den Umstand, dass neben der Demonstration des K auch ein Radrennen in der Innenstadt stattfinde, hingewiesen. Über den Inhalt des Gespräches vertreten die Beteiligten unterschiedliche Auffassungen.
In einer Stellungnahme an die Antragsgegnerin vertrat das Polizeipräsidium Frankfurt am Main die Auffassung, dass rund um die EZB am 1. Mai eine Sicherheitszone eingerichtet werden müsse, um ihre Funktionsfähigkeit zu
erhalten. In der Stellungnahme vom 3. April 2013 nahm das Polizeipräsidium Frankfurt am Main eine Gefährdungsbewertung der geplanten Veranstaltung der Antragstellerin vor. Das Polizeipräsidium kam zu dem Ergebnis, dass die
Durchführung einer Veranstaltung der Antragstellerin im innerstädtischen Bereich (innerhalb des Alleenrings) unter Einbeziehung der anderen Veranstaltungen, der Wechselwirkungen der Veranstaltungen und deren Teilnehmer
zueinander und den daraus resultierenden Gefahrenmomenten im innerstädtischen Bereich aus polizeilicher Sicht nicht möglich sei. Im Internet sei zu Gegendemonstrationen aufgerufen worden. Es sei aufgrund der Erfahrungen in der
Vergangenheit damit zu rechnen, dass es zu erheblichen Ausschreitungen militanter Gegendemonstranten käme. Zur Verhinderung, dass gewaltbereite Störer einsickerten und gewaltbereite Gruppierungen aufeinander träfen, sei ein
umfangreiches Sperrkonzept zwingend geboten. Dies sei in der engen Innenstadt nicht möglich, weil am 1. Mai neben der Kundgebung des K auch eine Radrennveranstaltung stattfinde, die eine erheblich Zuschauermenge anziehen
werde. An diesem Tag sei unter Einbeziehung aller Veranstaltungen mit ca. 200.000 Besuchern in der Innenstadt zu rechnen. Es bestünden auch für unbeteiligte Dritte erhebliche Gefahren. Die Anreise der Kundgebungsteilnehmer der
Antragstellerin solle mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen. Es sei zu erwarten, dass auch die Gegendemonstranten die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen würden. Infolge der zu erwartenden Gegendemonstranten seien die
Sicherheit des Bahnverkehrs in und am Frankfurter Hauptbahnhof und die Sicherheit der Kundgebungsteilnehmer der Antragstellerin bei der An- und Abreise nicht zu gewährleisten. Die polizeilichen Maßnahmen im und am Bahnhof
könnten mit Beginn der Kundgebung auch nicht enden, weil während der gesamten Zeit mit Störungen durch gewaltbereite Demonstranten zu rechnen sei. Dies bedinge erhebliche Störung des Bahnverkehrs. Soweit eine
Alternativörtlichkeit zu benennen wäre, käme außerhalb des innerstädtischen Bereichs die Baustelle des Neubaus der EZB an der Q-Straße im Frankfurter Stadtteil P in Betracht (Behördenvorgang Beiakte I Seite 38).
Mit Bescheid vom 12. April 2013 verbot die Antragsgegnerin unter Ziffer 1 die Durchführung der angemeldeten Kundgebung im Bereich der I-Straße am 1. Mai 2013 in der Zeit von 10.00 bis 19.00 Uhr. Unter Ziffer 2 ordnete sie die
sofortige Vollziehung von Ziffer 1 der Verfügung an. Die Antragstellerin legte, anwaltlich vertreten, am 19. April 2013 Widerspruch gegen den Bescheid ein. Nach Anhörung änderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24. April
2013 die Verfügung unter Ziffer 1.1. Die angemeldete Kundgebung könne am 1. Mai 2013 auf der Straßenfläche R-Straße (rückwärtiger Bereich der S-Bahnstation S) stattfinden. Mit ergänzenden Auflagen setzte sie unter Ziffer 1.2
für die Durchführung der Kundgebung den Zeitraum zwischen 12.00 Uhr und 15.00 Uhr fest. In Auflage Ziffer 1.10 wurde das Führen von Flaggen außer der Bundesflagge, der Europafahne und der Fahnen der deutschen
Bundesländer, in Auflage Ziffer 1.14 die Verwendung bestimmter Begriffe, in Auflage Ziffer 1.16, die Verwendung ‚ähnlicher Parolen' untersagt. In Auflage Ziffer 1.18 wurde verlangt, der Versammlungsbehörde 48 Stunden vor
Beginn der Kundgebung die zum Vortrag kommenden Liedtexte der musikalischen Darbietungen vorzulegen. Die Antragsgegnerin ordnete Sofortvollzug der Verfügung an. Zur Begründung führte sie aus, bei Durchführung der
Versammlung an dem angemeldeten Ort I-Straße am 1. Mai 2013 sei eine unmittelbare konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben. Wegen einer Vielzahl an Veranstaltungen an diesem Tag in der
Innenstadt und den zu erwartenden Ausschreitungen durch gewaltbereite Gegendemonstranten sei die Sicherheit, die die strikte Trennung der demonstrierenden Gruppen erfordere, wegen der räumlichen Enge in der Innenstadt nicht zu
gewährleisten, ohne dass Rechtsgüter unbeteiligter Dritter gefährdet würden. Der gewählte Standort habe einen Bezug zum Thema der Kundgebung und trage dem Umstand Rechnung, dass auch in der Nähe des Neubaus der EZB
andere Demonstrationen stattfänden. Eine räumliche Trennung sei deshalb auch dort vonnöten. Die Begrenzung der Dauer der Kundgebung sei aus Sicherheitsgründen erforderlich. Die weiteren Auflagen seien verfügt, um Störungen
der öffentlichen Ordnung zu begegnen.
Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 24. April 2013 Widerspruch gegen Ziffer 1.1, 1.2, und 1.18 ein; gegen Ziffer 1.10, soweit das Führen anderer als der dort genannten Fahnen und Flaggen untersagt worden war, gegen Ziffer
1.14, soweit in Parolen die Verwendung der Begriffe ‚national', ‚marschieren', ‚deutsch' und ‚Widerstand' in jeglicher Verknüpfung verboten werde, und gegen Ziffer 1.16, soweit von ‚ähnlichen Parolen' ohne genaue Bestimmung, um
welche es sich handele, die Rede sei. Am 25. April 2013 hat die Antragstellerin Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt.
Sie habe einen Anspruch auf Durchführung der Versammlung an dem angemeldeten Ort. Der in der Auflagenverfügung zugewiesene Kundgebungsort habe keinen Bezug zu der Kundgebung und sei deshalb ungeeignet. Die durch
Widerspruch angegriffenen Auflagen seien rechtswidrig. Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. April 2013 gegen die Auflagenverfügung vom 24. April 2013, zugegangen am 24. April
2013, wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid. Ein anderer Standort als der nunmehr bestimmte sei nicht in Betracht gekommen, weil auch dort das
Radrennen entlangführe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 24. April 2013 gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 12. April 2013 in der Gestalt des
Änderungsbescheides vom 24. April 2013 ist bezüglich der Auflagen Ziffer 1.2, 1.10 1.14, 1.16 und 1.18 wiederherzustellen, im Übrigen ist der Antrag abzulehnen:
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer
sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht darauf, dass der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbots in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt, den
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist nach Möglichkeit nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 1 BvR 2794/10, zitiert nach juris).
Soweit in der Auflage Ziffer 1.2 die Dauer der Veranstaltung begrenzt wird, ist die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtswidrig.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler
Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; BVerwG, Urteil vom 15. Juni
2008 - 6 C 21.07 -, juris, Rn. 13 = BVerwGE 131, 216). Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Das für beschränkende
Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose
stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, 1 BvR 2793/04, zitiert nach juris).
Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters umfasst auch die Zeitdauer der Veranstaltung (vgl BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2007, 1 BvR 1423/07, zitiert nach juris). Die Begründung in dem angefochtenen Bescheid, dass die
Dauer der Veranstaltung aus Gründen der Sicherheit der Kundgebungsteilnehmer begrenzt werden muss, überzeugt die Kammer deshalb nicht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb mit der Länge der Kundgebung die Angriffsbereitschaft
der Gegendemonstranten steigen wird und weshalb die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage sein werden, die befürchteten Ausschreitungen zu unterbinden.
Soweit sich der Widerspruch der Antragstellerin gegen das in der Auflage 1.10 verfügte Verbot, Fahnen mitzuführen, richtet, die nicht die Bundesfahne, die Fahnen der deutschen Bundesländer und die Europafahne ist, ist die
aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Die Verfügung ist insoweit offensichtlich rechtswidrig, weil für das Verbot anderer Fahnen, wie zum Beispiel der A1-Fahne, die Rechtsgrundlage fehlt. Ansonsten besteht unmittelbar die
Beschränkung aus § 86a StGB, die das Gericht für ausreichend hält.
Das in der Auflage Ziffer 1.14 verfügte Verbot von Parolen mit ‚national', ‚marschieren', ‚deutsch' und ‚Widerstand' in jeglicher Verknüpfung ist ebenfalls offensichtlich rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem
Beschluss vom 19. Dezember 2007, 1 BVR 2793/04, zitiert nach juris, nochmals darauf hingewiesen, dass § 15 Abs. 1 VersG dem Schutz schlechthin geschützter Rechtsgüter dient, unabhängig davon, ob sie durch
Meinungsäußerungen oder auf andere Weise gefährdet werden. Allerdings bedarf § 15 Abs. 1 VersG aus verfassungsrechtlichen Gründen einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung
als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen wird (vgl. BVerfGE 111, 147 <155 ff.>). Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung zieht die Antragsgegnerin jedoch zur
Begründung dieser Auflage heran.
Die in Ziffer 1.16 verfügte Auflage, die das Skandieren ‚ähnlicher Parolen' verbietet, erweist sich als zu unbestimmt und deshalb rechtswidrig, so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder herzustellen ist.
Für Auflage Ziffer 1.18 findet sich weder eine Rechtsgrundlage noch eine Veranlassung. Erforderlichenfalls müsste vor Ort entschieden und eingegriffen werden. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist deshalb wiederherzustellen.
Im Übrigen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Auflage Ziffer 1.1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 12. April 2013, in der Gestalt des
Änderungsbescheides vom 24. April 2013, abzulehnen. Die angegriffene Verfügung erweist sich insoweit als rechtmäßig. Die Antragsgegnerin ist ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die geplante Kundgebung nicht, wie
von der Antragstellerin angemeldet, in der Innenstadt, I-Straße, vor dem sogenannten H und derzeitigen Standort der EZB stattfinden kann, sondern die Kundgebung in die R-Straße in die Nähe des Neubaus der EZB zu verlegen ist.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin besteht zwar für die Inanspruchnahme einer Sicherheitszone rund um den derzeitigen Standort der EZB keine Rechtsgrundlage. Gleichwohl sind die Voraussetzungen für die
Einschränkung der Wahl des Standortes, den die Antragsgegnerin durch die Auflage 1.1 in dem Bescheid vom 12. April 2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 24. April 2013 verfügt hat, gegeben. Die von dem
Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 10.05.2006 (1 BvQ 14/06) aufgestellten Anforderungen an die Inanspruchnahme der Nichtstörer, hier der Versammlung der Antragstellerin, sind erfüllt. Für den 1. Mai 2013 rechnet
die Polizei aufgrund der Aufrufe hierzu im Internet und den Erfahrungen der Vergangenheit mit dem Erscheinen gewaltbereiter Gegendemonstranten in großer Zahl. Diese werden, ebenso wie die Kundgebungsteilnehmer der
Antragstellerin, vorwiegend mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Zugleich findet an diesem Tag in der Innenstadt ein traditionelles Radrennen statt, das erhebliche Verkehrseinschränkungen notwendig macht und eine Vielzahl
an Besuchern anziehen wird, sowie Demonstrationen der Gewerkschaften, die seit langem geplant und angemeldet sind. Letztere haben auch den Protest gegen die geplante Kundgebung der Antragstellerin zum Gegenstand. Aufgrund
der räumlichen Enge der Innenstadt und aufgrund der Vielzahl der Besucher sieht die Polizei, für die Kammer nachvollziehbar, die erforderliche Trennung der Kundgebungsteilnehmer von den (teilweise) gewaltbereiten
Gegendemonstranten weder bei der An- noch der Abreise noch für die Dauer der Kundgebung mit polizeilichen Mitteln als herstellbar an, ohne Rechtsgüter unbeteiligter Dritter erheblich zu beeinträchtigen. Es besteht die konkrete
Gefahr, dass unbeteiligte Dritte durch den Versuch der Gegendemonstranten, polizeiliche Absperrungen zu überwinden, verletzt werden. Auch droht die Gefahr von Sachbeschädigungen. Desweiteren ist zu berücksichtigen, dass bei
An- und Abreise, die über den Frankfurter Hauptbahnhof stattfinden muss, Reisende und Fahrzeuge der Bahn durch gewalttätige Auseinandersetzungen verletzt bzw. beschädigt werden. Diesen Gefahren kann die Polizei nicht durch
die Heranziehung weiterer Polizeikräfte begegnen, weil hierdurch die Konkurrenz der räumlichen Beanspruchung der Innenstadt nicht beseitigt werden kann.
Der mit der Auflage Ziffer 1.1 verfügte Standort der Kundgebung genügt den Anforderungen des Versammlungsrechtes. Er ist in der unmittelbaren Nähe des, den Frankfurter T durch Architektur, Größe und Lage prägenden, nahezu
fertiggestellten Neubaus der EZB gelegen. Infolge der umfangreichen Berichterstattung ist dieser Bau den Medien und der Bevölkerung als der künftige Sitz der EZB bekannt und hat somit den spezifischen Bezug auf das von der
Antragstellerin gewählte Thema der Kundgebung. Die An- und Abreise zur R-Straße ist gut zu bewerkstelligen, weil diese auf der rückwärtigen Seite einer S-Bahnstation gelegen ist, die von Bahnlinien angefahren wird, die nicht
zwingend über den Frankfurter Hauptbahnhof führen.
Die Durchführung der Kundgebung der Antragstellerin an einer der Straßen und Wege, die unmittelbar an den Neubau der EZB angrenzen, war nicht möglich, weil für diese Straßen und Wege seit dem 14. Februar 2013 eine
Demonstration der N für die Dauer von 10.00 Uhr bis ca. 16.00 Uhr angemeldet ist. Die Verlegung der Kundgebung der Antragstellerin an eine dieser Straßen würde zu einer Rechtsgüterkollision mit dem Selbstbestimmungsrecht der
Gegendemonstranten führen, die ihre Demonstration zeitlich früher angemeldet haben und damit zeitliche Priorität genießen. Im Weg der praktischen Konkordanz ist durch den gewählten Standort der Kundgebung, den Schutzgütern
der Kundgebungsteilnehmern der Antragstellerin und dem kommunikativen Anliegen der Gegendemonstranten ebenso Rechnung getragen, wie dem Trennungsgebot für beide Veranstaltungen. ..."
***
Kein tragfähiges Versammlungsverbot für eine 1. Mai Demonstration der Partei "Die Rechte", wenn einem unbefangenen Betrachter nicht der Eindruck vermittelt wird, es handele sich dabei unmittelbar um eine Aktion zugunsten
einer verbotenen Vereinigung (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 25.04.2013 - 14 L 474/13):
„... Der kurzfristig zu bescheidende Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage VG Gelsenkirchen - 14 K 2120/13 - der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 16. April 2013 wiederherzustellen, hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Bei der im vorstehenden Verfahren möglichen lediglich summarischen Prüfung geht das Gericht insbesondere davon aus, dass auch dem Antragsteller zu 1. als dem vorgesehenen Leiter der geplanten
Versammlung im Hinblick auf die ihm in dieser Eigenschaft erwachsenen Rechte und Pflichten gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2, §§ 8 ff, 18 f des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz - VersG - ) subjektive
Rechte in Bezug auf den vorliegend verfolgten Anspruch zustehen, zumal Art. 8 Abs. 1 GG neben dem Recht auf Teilnahme an einer Versammlung auch das Veranstaltungs- und Leitungsrecht als eigenständige Teilrechte begründen dürfte.
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 1, RdNr. 62 m.w.Nw.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragsteller aus. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen eine Anfechtungsklage gegen einen
belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, weil dessen sofortige Vollziehbarkeit durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die
aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an
einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der insoweit gebotenen Interessenabwägung sind die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen. Stellt sich heraus, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, spricht dies für ein vorrangiges Vollziehungsinteresse, sofern
nicht besondere Umstände im Einzelfall eine andere Entscheidung erfordern. Umgekehrt überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Bei Versammlungen,
die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug
der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlungen in der beabsichtigten Form führt.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 und vom 24. März 2001- 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069.
Vorliegend überwiegt das Interesse der Antragsteller, vom Vollzug des verfügten Versammlungsverbots vorläufig verschont zu bleiben, das vom Antragsgegner herangezogene öffentliche Vollziehungsinteresse, weil sich die im
wesentlichen auf § 15 Abs. 1 VersG gestützte Verbotsverfügung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtswidrig darstellt.
Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde - hier der Antragsgegner - eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
zu erkennenden Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit im versammlungsrechtlichen Sinn ist inhaltsgleich mit dem des allgemeinen Polizeirechts; er umfasst die Individualrechtsgüter Dritter, die Integrität der Rechtsordnung,
Bestand- und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie die tragenden Prinzipien seiner verfassungsmäßigen Ordnung.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 -, NJW 2001, S. 2072; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O.,§ 15, Rdn.33.
Dabei ist in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anzunehmen, wenn durch die geplante Versammlung strafbare Verletzungen dieser Schutzgüter drohen.
Die behördliche Eingriffsbefugnis wird allerdings zum einen dadurch begrenzt, dass ein Versammlungsverbot nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit statthaft ist. Der Schadenseintritt bei Durchführung
der Versammlung oder des Aufzuges muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Erforderlich ist jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen muss, also
auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen. Bloße Spekulationen, Vermutungen und Mutmaßungen im Hinblick auf einen Schadenseintritt reichen nicht aus. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ist zu
berücksichtigen, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten. Gibt es neben
Anhaltspunkten für die von der Behörde zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 - NJW 2010, 141 und juris m.w.Nw.
Ein - wie hier - ausgesprochenes Versammlungsverbot setzt zum anderen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Das beruht auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser
begrenzt nicht nur das Ermessen in der Auswahl der Mittel, sondern ebenso das Entschließungsermessen. Die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter
Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist,
ständige Rechtsprechung des BVerfG.
Der Antragsgegner hat seine Verbotsverfügung für die vom Antragsteller zu 2. für den 1. Mai 2013 mit dem Thema "Heraus zum 01. Mai" in E. angemeldete Versammlung mit voraussichtlich ca. 300 Teilnehmern auf eine
unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1 VersG in Gestalt einer Verletzung der Strafnormen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 VereinsG gestützt:
Die Durchführung des Aufzuges diene primär dem Zweck, den organisatorischen Zusammenhalt der mit Verbotsverfügung des Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) vom 10. August
2012, Az.: 402-57.07.12 unter Anordnung des Sofortvollzuges verbotenen Vereinigung "Nationaler Widerstand Dortmund" zu unterstützen. Die Partei "Die Rechte" habe seit dem Verbot insgesamt 12 unterschiedliche
Versammlungen angemeldet, die wegen der Personenidentität zwischen den ehemaligen Mitgliedern des Nationalen Widerstandes und den anmeldenden Parteimitgliedern vom Antragsgegner jeweils dahingehend bewertet worden
seien, inwieweit eine verbotene vereinsfördernde Zielrichtung der Versammlungen gegeben sei. - Die angemeldeten Versammlungen seien, wie in der Antragserwiderung erläutert, sämtlich bestätigt worden, ebenso wie zwei
nachfolgende Versammlungen vom 12. und 19. April 2013. -
Das Gesamtgepräge der für den 1. Mai 2013 geplanten Versammlung weise demgegenüber die gleichen Strukturen und Abläufe auf wie die vom Antragsteller zu 2. vor dem Vereinigungsverbot in E1. organisierten Versammlungen.
So seien die dafür angemeldeten Trommeln als symbolträchtiges Hilfsmittel szenetypisch auch von Vertretern der verbotenen Vereinigung häufig bei Versammlungen in E1. angemeldet worden. Schon daraus werde deutlich, dass es
am 1. Mai 2013 um einen Aufmarsch und die Präsenz in der E2. J. gehe, anknüpfend an die von Vertretern der verbotenen Vereinigung angemeldeten Aufzüge. Dies werde insbesondere belegt durch einen Vergleich der Versammlung
vom 1. Mai 2007 mit der für den 1. Mai 2013. Es liege nicht nur ein nahezu identischer Titel vor (2007: "Gemeinsam gegen Kapitalismus-Heraus zum 01. Mai"), sondern auch die Redebeiträge 2007 seien geprägt durch die Vertreter
der freien Kameradschaftsszene. So seien der als Redner vorgesehene Antragsteller zu 1. und S. C. vor der Gründung der Partei "Die Rechte" Mitglieder des verbotenen Nationalen Widerstandes E1. gewesen. Der weiter benannte
Redner D. X. sei eine Führungsperson in der rechtsextremen Szene, die auch schon in Verbindung zu der verbotenen Vereinigung gestanden habe und regelmäßig bei Aufmärschen in E1. als Anmelder und Versammlungsleiter in
Erscheinung getreten sei. Der ebenfalls benannte Redner D. S. sei seit langem ein Repräsentant der freien Kameradschaften, der bundesweit als Redner bei rechtsextremen Aufmärschen und Kundgebungen auftrete. Auch die - näher
dargelegte - Teilnahme und aktive Beteiligung des Antragstellers zu 1. und weiterer Mitglieder des verbotenen Nationalen Widerstandes E1. an überregionalen Versammlungen zum 1. Mai in den Jahren von 2008 bis 2012 in
Hamburg, Hannover, Berlin und Heilbronn zeige, dass dieser Tag für die Mitglieder der verbotenen Vereinigung ein jährlich wiederkehrender Termin sei, der zur Festigung der Vereinsstrukturen beigetragen habe.
Der 1. Mai sei folglich ein identitätsstiftendes Ereignis für die verbotene Vereinigung, dessen Tradition fortgesetzt werden solle. Es diene aber der strafbewehrten Unterstützung eines verbotenen Vereins, wenn dessen Mitglieder wie
bisher als Gastgeber für andere Teilnehmer aus dem rechten Spektrum auftreten und dabei ihre verbotenen Vereinsstrukturen unter Beteiligung Gleichgesinnter aus dem ganzen Bundesgebiet weiter festigen würden. Auch die
Grußformel in einem Offenen Brief zum 1. Mai solle eine Aktivierung der freien Kameradschaftsszene bewirken, indem darin zuerst "Parteifreie Aktivisten" genannt würden. Um in der öffentlichen Wahrnehmung stets präsent zu
sein, seien seit Jahren gemeinschaftlich mit den Herren C1. (Stellvertretender Landesvorsitzender des Antragstellers zu 2.), T. und E3. identitätsstiftende Aktionen, wie z.B. der "Antikriegstag" organisiert worden. Mit der
Versammlungsanmeldung zum 1. Mai 2013 solle der Öffentlichkeit bewiesen werden, dass die ehemals handelnden Personen der verbotenen Vereinigung weiterhin am gleichen Ort und mit den gleichen Personen, insbesondere auch
mit den Angehörigen der anderen verbotenen Kameradschaften Hamm und Aachener Land ihre Aktivitäten ungehindert fortsetzten. Das werde dadurch erhärtet, dass frühere Mitglieder der verbotenen Vereinigung maßgeblich für
den 1. Mai 2013 werben und sich in signifikanter Zahl an der Versammlung beteiligen würden. Die Bewertung, dass der 1. Mai 2013 dazu benutzt werden solle, die verbotene Vereinigung weiter in der Öffentlichkeit zu präsentieren,
werde durch ein am 9. September 2012 auf dem Videoportal You Tube veröffentlichtes Video gestützt, wie näher ausgeführt wird.
Nach alledem sei davon auszugehen, dass der geplante Aufzug am 1. Mai 2013 dazu genutzt werden solle, zentrale Ereignisse des Vereinslebens der verbotenen Vereinigung wiederzubeleben, so dass jedenfalls der Straftatbestand des
§ 20 Abs. 1 VereinsG erfüllt werde. Der mit der Durchführung der geplanten, deutliche Bezüge zu dem Antikriegstag als dem zentralen identitätsstiftenden Ereignis der verbotenen Vereinigung aufweisende, Versammlung verbundene
Vertrauensverlust der Bevölkerung könne auch nicht durch Auflagen verhindert werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Die in der angefochtenen Verfügung getroffene und durch die vom Antragsgegner bezeichneten Erkenntnisse gestützte Prognose trägt das verfügte Verbot nicht.
Insbesondere ist nicht hinreichend tatsachengestützt belegt, dass sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, dass eine 1. Mai Versammlung und damit auch die vorstehend verbotene Versammlung ein
identitätsstiftendes Ereignis der verbotenen Vereinigung "O. X1. E1. " beinhaltet, dessen Tradition auch am 1. Mai 2013 fortgesetzt werden solle.
Für diese gerichtliche Bewertung maßgeblich ist, dass ausweislich der Ausführungen in der Verbotsverfügung in E1. in den Jahren von 2008 bis 2012 zum 1. Mai (überhaupt) keine demonstrativen Ereignisse stattgefunden haben, die
der rechtsextremen Szene zugeordnet werden könnten, erst recht nicht der verbotenen E2. Vereinigung. Eine solche Zuordnung kann nicht tragfähig daraus abgeleitet werden, dass es am 1. Mai 2009 in E1. außerhalb einer
angemeldeten Versammlung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen unter Teilnahme von Führungspersonen des O1. X2. E1. gekommen ist,
vgl. dazu Urteil der Kammer vom 18. Mai 2010 - 14 K 2054/09 -, nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 5 A 1566/10 -,
und sich insbesondere einzelne, näher benannte Mitglieder der verbotenen Vereinigung von 2008 bis 2012 an den vom Antragsgegner aufgeführten überregionalen 1. Mai Versammlungen im Bundesgebiet beteiligt haben. Das gilt
auch deshalb, weil nicht erkennbar ist, dass eine solche Beteiligung an Großveranstaltungen in den benannten Städten für einen unbefangenen Betrachter erkennbar war bzw. ist. Wenn aber in den zurückliegenden fünf Jahren von der
verbotenen Vereinigung in E1. keine 1. Mai Versammlungen angemeldet und durchgeführt worden sind, ist für diesen Tag ein für die Vereinigung wesentliches, traditionsbildendes Ereignis nicht zu bestätigen. Die Tatsache, dass die
Führungsspitze und sonstigen Mitglieder der verbotenen Vereinigung an 1. Mai Demonstrationen in anderen Städten als in E1. teilgenommen haben, mag u.a. auch aufgrund der (mutmaßlichen) gemeinsame Anreise zu diesen
Veranstaltungen für den Zusammenhalt innerhalb dieses Personenkreises förderlich gewesen, der jeweilige, außerhalb des E2. Stadtgebiets liegende Ort der 1. Mai Versammlungen (nur) vor diesem Hintergrund mithin "belanglos"
sein. Dieser Umstand erhärtet aber nicht die Annahme, dass die vorstehende, seit mehreren Jahren erstmals wieder in E1. beabsichtigte 1. Mai Demonstration des rechten Spektrums nach außen erkennbar einen identitätsstiftenden
organisatorischen Zusammenhalt der in dieser Stadt ansässig gewesenen verbotenen Vereinigung fortführen bzw. unterstützen soll.
Vor diesem Hintergrund ist nicht tatsachengestützt belegt, dass bei Durchführung der hier geplanten Versammlung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und/oder 3 VereinsG erfüllt wären und damit ein
Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit einträte.
Vgl. zu den Tatbestandsvoraussetzungen: Beschluss der Kammer vom 29. August 2012 - 14 L 1048/12 -, www.nrwe.de, nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 B 1025/12 -, juris; VG Aachen, Beschluss vom 2.
April 2013 - 6 L 123/13 -, nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 4. April 2013 - 5 B 332/13 -.
Der Antragsgegner hat keine hinreichenden Tatsachen für die Annahme benannt, dass sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, bei der angemeldeten Versammlung zum 1. Mai 2013 handele es sich um eine Aktion
unmittelbar zugunsten der verbotenen Vereinigung und nicht um eine solche des Antragstellers zu 2. - als einer nicht verbotenen politischen Partei. Ein hinreichender objektiver Bezug zur Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ist nicht
belegt. Tatsachen, aus denen mit der erforderlichen Eindeutigkeit eine konkrete Eignung für eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte, vereinsfördernde oder -unterstützende Zielrichtung erkennbar würde, sind nicht angeführt
worden.
Das vom Antragsgegner in Bezug genommene "Gesamtgepräge" der vorstehend geplanten 1. Mai Demonstration ist typisch für eine Vielzahl von Versammlungen und Aufzügen und deshalb nicht geeignet, in besonderer Weise einen
Bezug zu der verbotenen Vereinigung zu begründen. Das gilt auch für das Versammlungsmotto. Die als Trommeln angemeldeten Hilfsmittel mögen "szenetypisch" sein; dies gilt aber eben für die gesamte rechtsextreme Szene und
nicht in besonderer Weise für den O1. X1. E1. . Aus einem nach der Bewertung des Antragsgegners vom Antragsteller zu 2. gezeigten, durch ein Fehlen typischer Parteiaktivitäten gekennzeichneten, "gleichen Verhaltensmuster", wie
es für die verbotene Vereinigung prägend gewesen sei (kein Verbreiten von Zielen und Inhalten eines Parteiprogramms, Wortwahl wie z.B. "Straßenblockaden von Meinungsgegnern"), kann für die hier zu beurteilende Versammlung
nicht in einer den Anforderungen an ein Versammlungsverbot genügenden Weise geschlussfolgert werden, dass diese eine Fortführung der Aktivitäten des Nationen X2. E1. beinhaltet. Für die Beurteilung, ob prognostisch eine
strafbewerte Aufrechterhaltung oder Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts eines sofort vollziehbar verbotenen Vereins anzunehmen ist, stehen maßgeblich die Art und Durchführung der konkret geplanten Versammlung
im Fokus, nicht aber sonstige festzustellende oder nicht festzustellende Parteiaktivitäten des Antragstellers zu 2.
Unter den im vorstehenden Einzelfall zu beurteilenden Umständen kann eine Verwirklichung der Straftatbestände des § 20 Abs. 1 VereinsG auch nicht daraus abgeleitet werden, dass Führungspersonen der rechtsextremen Szene, wie
D. X. , regelmäßig bei zurückliegenden Versammlungen in E1. als Redner, Anmelder und Versammlungsleiter in Erscheinung getreten sind sowie in Verbindung zum verbotenen O1. X1. E1. gestanden haben mögen. Gleiches gilt
insbesondere für den Umstand, dass insbesondere frühere Mitglieder der verbotenen Vereinigung in signifikanter Zahl an der Versammlung zum 1. Mai 2013 teilnehmen würden und drei ehemalige Mitglieder sogar als Redner benannt
sind - darunter auch der Antragsteller zu 1., der als gerichtsbekannter Führungsaktivist der Kameradschaft E1. zudem als Leiter der streitgegenständlichen Versammlung vorgesehen ist. Denn es ist - anders als es hinsichtlich des
Antikriegstages der Fall war,
vgl. dazu den Beschluss der Kammer vom 29. August 2012 a.a.O. -,
wie ausgeführt, nicht konkret belegt, dass eine 1. Mai Versammlung in E1. traditionell ein zentrales oder gar identitätsstiftendes Ereignis der verbotenen Vereinigung darstellt(e). Fehlt es mithin für die hier zu beurteilende
Versammlung an einer solchen Tradition, kann bei der gebotenen zusammenfassenden Würdigung sämtlicher vom Antragsgegner benannten Aspekte auch aus dem Umstand, dass sich ehemalige Mitglieder der Vereinigung an einer
solchen Versammlung maßgeblich beteiligen und sich der Rednerkreis zu 3/5 aus diesem Personenkreis zusammensetzt, prognostisch nicht abgeleitet werden, dass ein unbefangener Betrachter die für den 1. Mai 2013 angemeldete
Versammlung eindeutig als Fortsetzung einer dem O1. X1. E1. zuzurechnenden Veranstaltung verstehen wird, zumal das Versammlungsthema "1. Mai typisch", jedenfalls neutral, ist. Belastbare Erkenntnisse dafür, dass unabhängig
von einzelnen bei der Versammlung geäußerten Wortbeiträgen der organisatorische Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung aufrechterhalten oder mindestens unterstützt würde, hat der Antragsgegner nicht angeführt.
Zwar sehen Verfassungsschutz und Polizei im Antragsteller zu 2. ein "Auffangbecken für die verbotenen Kameradschaften", was an den Mitgliedern und der Führungsstruktur des Landesverbandes deutlich werde, wo es deutliche
Überschneidungen gebe. Gleichwohl hat eine aktuelle intensive rechtliche Prüfung ergeben, dass für die Partei "Die Rechte" zum jetzigen Zeitpunkt das Parteienprivileg gilt.
Vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung, Polizei, Verfassungsschutz vom 22.03.2013: "Die Rechte" bleibt auch als Partei im Visier der Sicherheitsbehörden - Innenminister
Jäger: Wir sehen beim rechtsextremistischen Landesverband und den Kreisverbänden ganz genau hin".http://www.mik.nrw.de/presse-mediathek/aktuelle-meldungen/aktuelles-im-detail/news/die-rechte-bleibt-auch-als-partei-im-visier-der-sicherheitsbehoerden-innenminister-jaeger-wir.html.
Das gilt es, im Lichte der überragenden Bedeutung der gerade auch für politische Parteien zu gewährleistenden Versammlungs- und Meinungsfreiheit vom Antragsgegner und den Gerichten zu respektieren, so lange nicht die
Verwirklichung von Straftatbeständen konkret droht. An letzterem fehlt es hier. Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Antragsteller subjektiv Abstand von den Zielen der verbotenen Vereinigung genommen haben, was der
Antragsgegner mit durchaus nachvollziehbarer Argumentation in Abrede stellt. Denn maßgeblich für ein mit der Verwirklichung von Straftatbeständen gemäß § 20 VereinsG gestütztes Versammlungsverbot ist das für einen
unbefangenen Betrachter objektiv wahrnehmbare Gepräge der konkreten Versammlung. Diesem lassen sich für die hier zu beurteilende 1. Mai Demonstration entsprechende, strafrechtsrelevante Anhaltspunkte nicht erkennbar entnehmen.
Bei dieser Bewertung ist zudem zu berücksichtigen, dass seit dem Erlass der Verbotsverfügung vom 10. Augst 2012 ein längerer Zeitraum vergangen und das Verbot des O1. X2. E1. im Bewusstsein der E2. Bevölkerung und eines
unbefangenen Beobachters nicht mehr so präsent ist, wie es noch im August/September 2012 offensichtlich der Fall gewesen ist. Zwar kann entgegen der Auffassung der Antragsteller dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 31. August 2012 - 1 BvR 1840/12 - nicht entnommen werden, dass die Zurechnung einer Versammlung zur Tätigkeit der verbotenen Vereinigung nur unmittelbar nach Erlass der Verbotsverfügung in Betracht kommt. Vielmehr
steht auch eine längere Zeit seit Erlass der Verbotsverfügung nicht grundsätzlich der Annahme entgegen, dass der organisatorische Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung weiter unterstützt werden könnte. Das gilt jedenfalls,
wenn sich hinreichend deutliche Anzeichen für eine Fortführung der bisherigen Vereinstätigkeit auf Grund öffentlicher Ankündigungen, sich durch das Verbot an weiteren Vereinsaktivitäten nicht hindern zu lassen, finden und wenn
diese, wie angekündigt, durch Mitglieder des verbotenen Vereins unverändert fortgeführt werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. April 2013 -5 B 332/13 -.
Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage der Verbotsverfügung des Antragsgegners und seiner ergänzenden Darlegungen im gerichtlichen Verfahren hier indessen nicht zu bestätigen.
Es finden sich schon keine entsprechenden aussagekräftigen öffentlichen Ankündigungen. Soweit der Antragsgegner auf ein in You Tube eingestelltes vermeintliches Werbevideo abstellt, in dessen Verlauf u.a. eine Textpassage eines
indizierten Liedes skandiert wird "Trotz Verbot sind wir nicht tot.", fehlt es an einem hinreichenden Zusammenhang mit der vorstehend in Rede stehenden Versammlung. Denn das Video datiert vom 9. September 2012 und steht
damit eher im Kontext mit dem Antikriegstag 2012 - wie auch durch einen entsprechenden, im Video erkennbaren Schriftzug verdeutlicht wird. Jedenfalls ist ein Bezug zu der bevorstehenden 1. Mai Demonstration 2013 nicht belegt,
mag diese auch bereits am 7. November 2012 angemeldet worden sein. Im übrigen räumt der Antragsgegner mittelbar selbst ein, dass dieses Video schwerlich öffentlichkeitswirksam für einen unbefangenen Betrachter hier beachtliche
Rückschlüsse in Bezug auf die verbotene Vereinigung erkennbar werden lässt. Denn er schlussfolgert, dass "zumindest Angehörige der rechten Szene" die eingestellten Hinweise auf das ausgesprochene "Vereinsverbot des O1. X2. " erkennen.
Daneben fehlt es mangels feststellbarer entsprechender Tradition in Bezug auf die hier zu beurteilende 1. Mai Versammlung in E1. an einer "unveränderten" Fortführung der bisherigen Vereinstätigkeit, wie sich aus den obigen
Ausführungen der Kammer ergibt.
Die Voraussetzungen für das verfügte Versammlungsverbot liegen nach allem nicht vor.
Im Hinblick auf gerichtsbekannt in E1. für den 1. Mai 2013 anderweitig angemeldete Versammlungen, u.a. des linken Spektrums, ist anzumerken, dass es dem Antragsgegner unbenommen bleibt, sich etwaig abzeichnenden Gefahren
für den ordnungsgemäßen Ablauf sämtlicher Versammlungen durch geeignete, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragende versammlungsrechtliche Auflagen entgegenzutreten und deren Beachtung in geeigneter Form
durchzusetzen. Insoweit entspricht es gesicherter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass bspw. zur Sicherung und zum gebotenen Schutz angemeldeter Versammlungen vor gewaltbereiten Gegendemonstranten eine
Modifizierung des beabsichtigten Versammlungs- bzw. Aufzugsverlaufs in Gestalt einer Reduzierung der geplanten Wegstrecke in Betracht gezogen werden kann und ggf. muss sowie - bspw. eine einschüchternde Marschformation
ausschließende und auch etwaige zum Einsatz vorgesehene Hilfsmittel erfassende - Auflagen ergehen können, die geeignet sind, einen auf Grund provokativer oder sonst wie aggressiver Vorgehensweisen entstehenden
Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft zu verhindern.
Vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2001- 1 BvQ 13/01 -, juris. ..."
***
„... I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 24. April 2013 gegen Nrn. 1, 2.3, 2.5, 2.13 Hinweis Satz 3 (soweit die Einhaltung eines Immissionsrichtwerts von 70 dB(A) am nächsten Einwirkungsort
vorgeschrieben wird), 2.23 (soweit im Klammerzusatz Fahnen mit dem Symbol der ‚schwarzen Sonne' untersagt werden), 2.35 und 2.36 des Bescheids der Stadt Würzburg vom 18. April 2013 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag mit der Maßgabe abgelehnt, dass sich die Regelung in Nr. 2.14 Satz 2 des Bescheids vom 18. April 2013 ausschließlich auf ein in Bewegung befindliches Fahrzeug bezieht. ...
1. Das Verbot der Versammlung in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides vom 18. April 2013 lässt sich nicht auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtfertigen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommen Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt von
ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets
angesehen wird, rechtfertigt demgegenüber im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (BVerfG, B.v. 19.12.2007 Nr. 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671). Die Versammlungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische
Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (st. Rspr. des BVerfG, zuletzt B.v. 20.12.2012 Nr. 1 BvR 2794/10,
DVBl. 2013, 267, m.w.N.).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, B.v. 07.04.2001 Nr. 1 BvQ 17/01, Nr. 1 BvQ 18/01, NJW 2001, 2072).
Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der ‚erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis
setzt tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001 Nr. 1 BvQ 8/01, NJW 2001, 1407). Der Prognosemaßstab der ‚unmittelbaren
Gefährdung' erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder
Tatsachen zu der nun geplanten Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001 Nr. 1 BvQ 21/01, NJW 2001, 2078). Nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit setzt das Verbot einer Versammlung als Ultima Ratio in jedem Fall voraus, dass das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft ist (BVerfG, B.v. 05.09.2003 Nr. 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004, 90).
Ausgehend hiervon erweist sich das Versammlungsverbot vorliegend als erkennbar rechtswidrig.
Verkehrsbeeinträchtigungen, Beeinträchtigungen von Passanten, Anliegern und Gewerbetreibenden, Lärmbelästigungen und dergleichen sind der Versammlung und dem Demonstrationszug immanent und grundsätzlich hinzunehmen
(vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., RdNr. 188 zu § 15).
Nicht gerechtfertigt werden kann das Verbot mit den Sicherheitsbedenken der Antragsgegnerin bezüglich der vom Antragsteller angemeldeten Aufzugsstrecke. Insofern kommt anstatt eines Totalverbots jedenfalls als milderes Mittel
eine Änderung der geplanten Wegstrecke in Betracht.
Auch die von der Antragsgegnerin besorgte Gefahr von Auseinandersetzungen und Ausschreitungen trägt das Verbot nicht. Die diesbezüglichen Befürchtungen der Antragsgegnerin sind spekulativ. Dass Ausschreitungen und
Straftaten (wie die Antragsgegnerin ausführt) nicht oder ‚nicht endgültig ausgeschlossen werden' können, rechtfertigt ein Versammlungsverbot nicht. Durchgreifende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Polizei nicht in der Lage
wäre, etwaige Konfrontationen mit Dritten zu verhindern, erkennt die Kammer unter Berücksichtigung der Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums Unterfranken (Stand 24.4.2013) nicht. Als Grundlage der
versammlungsbehördlichen Gefahreneinschätzung sind aber konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des
polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (BVerfG, B.v. 20.12.2012, a.a.O.). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde und die Polizei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit andernfalls wegen der Erfüllung vorrangiger
staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wären. Dies erscheint hier eher fernliegend.
Abgesehen davon sind über bloße Vermutungen hinausgehende Annahmen zu unfriedlichem Verhalten von Teilnehmern der angemeldeten Versammlung nicht zu erkennen. Soweit sich der Veranstalter und die
Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen. Behördliche
Maßnahmen sind dann primär gegen die Störer zu richten (BVerfG, B.v. 20.12.2012, a.a.O., m.w.N.). Dies gilt auch und gerade bei Blockadeaktionen gegen die Versammlung. Vorliegend sind nach den behördlichen Prognosen
Gewalttätigkeiten ausschließlich von Gegendemonstranten zu erwarten.
Nach alledem reichen die von der Antragsgegnerin angeführten Gründe, sowohl für sich betrachtet als auch bei Zusammenschau, nicht für ein Versammlungsverbot nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG aus.
Auch die Verbotsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG liegen nicht vor. Der 1. Mai ist evident kein Tag, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger
Symbolkraft zukommt. Geschützt von der Vorschrift sind nur Tage, an denen während des NS-Regimes gewichtige Ereignisse stattgefunden haben, die diesen noch heute bekannte historische Bedeutung verleihen. Dies trifft auf den 1.
Mai nicht zu, der im Allgemeinen als ‚Tag der Arbeit', ‚Maifeiertag' oder ‚Tag der Arbeiterbewegung' und nicht als ein speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienender Tag oder ein
vergleichbarer Gedenktag verstanden wird ( VGH Baden-Württemberg, B.v. 30.04.2002 Nr. 1 S 1050/02; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 29.04.2009 Nr. 7 B 10414/09).
2. Nr. 2.3 des Bescheides verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters. Der Veranstalter einer Versammlung gibt deren zeitlichen Rahmen vor, er bestimmt grundsätzlich über den Zeitpunkt und die Dauer der
Versammlung (vgl. VG Würzburg, U. v. 14.3.2013 Nr. W 5 K 12.322). Die Einschätzung der Versammlungsbehörde, die von ihr vorgegebene Zeit sei ‚ausreichend für den Fußmarsch und die Kundgebung und ermöglicht
genügend Zeit für die Aktionen des Bündnisses', verkennt die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters (vgl. im Einzelnen Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, Rdnr. 190 zu § 15 VersG). Die
von der Versammlungsbehörde zur weiteren Begründung herangezogene befürchtete Erschwernis der Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen und die besorgte Erhöhung des Gefährdungsrisikos rechtfertigen nach Aktenlage die
zeitliche Limitierung der Versammlung nicht. Auch in der Antragserwiderung vermag die Antragsgegnerin nicht ausreichend darzulegen, warum eine zeitliche Beschränkung das einzige Mittel der Wahl zur Gefahrenabwehr sein soll.
Der vom Veranstalter vorgesehene Zeitrahmen trägt gerade den von der Versammlungsbehörde befürchteten Gewalteinwirkungen und Blockadeaktionen der Gegendemonstranten Rechnung.
3. Nr. 2.5 des Bescheides ist voraussichtlich rechtswidrig. Die Auflage geht über die Verpflichtungen hinaus, die in Art. 4 BayVersG dem Leiter einer Versammlung auferlegt werden. Nach dem Sinn und Wortlaut des Bayerischen
Versammlungsgesetzes besteht für den Versammlungsleiter lediglich eine Pflicht zur Anwesenheit (und damit wohl auch Erreichbarkeit), wobei nach der Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 16/1270) keine ständige Anwesenheit
erforderlich ist. Es besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung, sich beim Einsatzleiter der Polizei zu melden und diesem als Ansprechpartner stets zur Verfügung zu stehen (VG Bayreuth, U.v. 31.7.2012 Nr. B 1 K 12.138). Eine
Rechtspflicht, ein Handy eingeschaltet mitzuführen (bzw. überhaupt ein solches zu besitzen), existiert nicht (VG Bayreuth, a.a.O.).
Die streitgegenständliche Auflage geht damit über die gesetzlichen Aufgaben der Versammlungsleitung hinaus, ohne dass hierfür eine konkrete Begründung im Bescheid enthalten ist oder erkennbar ist, aus welchen Gründen nach
pflichtgemäßem Ermessen die jeweilige Verpflichtung erforderlich wäre. Sie legt dem Antragsteller im Bayerischen Versammlungsgesetz nicht vorgesehene Handlungspflichten auf. Es mag sein, dass die als Auflagen formulierten
Handlungsweisen sich in der Vergangenheit bei anderen Versammlungen als zweckmäßig (oder aus polizeilicher Erfahrung heraus als wünschenswert) herausgestellt haben. Nach Auffassung des Gerichts spricht auch nichts dagegen,
wenn eine Versammlungsleitung diesen Erfahrungen folgt; eine verständige und verantwortungsbewusste Versammlungsleitung sollte sicherlich in vergleichbarem Umfang kooperationsbereit sein. Allerdings kann es sich vor dem
Hintergrund des Grundrechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit grundsätzlich nur um Anregungen handeln, nicht um vollziehbare Auflagen. Es muss der Entscheidung der betreffenden Versammlungsleitung selbst überlassen
bleiben, ob und in welchem Umfang sie mit der Polizei kooperieren will und kooperieren kann (vgl. VG Bayreuth, a.a.O.). Davon abgesehen hat die Kammer angesichts der zu erwartenden Lautstärke und Hektik der Versammlung
bzw. der Gegendemonstranten erhebliche Zweifel, ob eine Auflage, dass die Versammlungsleitung während der gesamten Versammlung über Handy erreichbar sein muss, zur Sicherstellung der Kommunikation zwischen Polizei und
Versammlungsleitung überhaupt geeignet ist.
4. Die Lautstärkebegrenzung auf 70 dB(A) am nächsten Einwirkungsort in Nr. 2.13 des Bescheids genügt nicht dem Erfordernis der Bestimmtheit von Verwaltungsakten (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Einerseits ist bei summarischer
Prüfung nicht erkennbar, ob hiermit eine verbindliche Regelung getroffen wird, wovon die Antragsgegnerin ausweislich der Antragserwiderung aber offenbar ausgeht, oder ob es sich entsprechend der Überschrift des Absatzes um
einen unverbindlichen Hinweis handeln soll. Andererseits genügt die Bestimmung auch inhaltlich nicht den Bestimmtheitsanforderungen. Zwar kann die zuständige Versammlungsbehörde grundsätzlich im Hinblick auf nicht mehr
hinnehmbare Lärmbelästigungen Dritter die Lautsprecherlautstärke auf einen Maximalpegel festlegen (vgl. zu Beispielen aus der Rechtsprechung OVG Lüneburg, B.v. 10.11.2010 Nr. 11 LA 298/10; OVG Sachsen-Anhalt, B.v.
13.02.2012 Nr. 3 L 257/10; VG Regensburg, B.v. 15.06.2007 Nr. RO 7 S 07.862). Voraussetzung ist allerdings, dass für den Versammlungsleiter erkennbar ist, wie der Lautstärkepegel zu bemessen ist. Insbesondere ist darzulegen, ob
es sich um einen Mittelungspegel, einen Spitzenpegel oder einen Dauerschallpegel handeln soll. Fehlen solche Angaben, ist die Auflage zu unbestimmt (Merk/Wächtler in Wächtler/Heinhold/Merk, BayVersG, Rdnr. 104 zu Art. 15).
Bei Lärmbeschränkungen ist im Übrigen Zurückhaltung geboten (Heinhold, a.a.O., RdNr. 86 zu Art. 1; OLG Celle, B.v. 9.12.1976 Nr. 2 Ss (OWi) 388/76, NJW 77, 444; vgl. zu alledem VG Würzburg, U. v. 25.10.2012 Nr. W 5 K
12.54). Die Belange der Versammlung müssen gewährleistet bleiben und gehen im Zweifel anderen Erwägungen vor (Heinhold, a.a.O.). Überdies ist die Lärmentwicklung von Gegendemonstrationen zu berücksichtigen.
5. Soweit in Nr. 2.23 des Bescheids Fahnen mit dem Symbol der ‚schwarzen Sonne' untersagt werden, ist diese Auflage nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtswidrig. Zur Frage des Mitführens von Fahnen hat sich die
Kammer bereits im Beschluss vom 29.3.2013 Nr. W 5 S 13.264 ausführlich geäußert. Die Parteien dieses Verfahrens sind mit dem vorliegenden Verfahren identisch. Auch für das Verbot des Mitführens von Fahnen mit schwarzer
Sonne gibt es keine Rechtsgrundlage (vgl. auch VG Augsburg, U. v. 4.4.2007 Nr. Au 4 K 06.1058; VG Gießen, B. v. 16.4.2010 Nr. 9 L 867/10.GI).
6. Für die Untersagung ‚ jeglichen Verkaufs von Merchandising-Artikeln etc. am 1. Mai' in Nr. 2.35 findet sich keine Begründung im Bescheid. Welche Rechtsgrundlage die Antragsgegnerin für ein Verkaufsverbot heranziehen wollte,
bleibt folglich unklar. In Betracht käme ggf. das Straßen- und Wegerecht oder das Ladenschlussgesetz. Davon abgesehen ist die Auflage aber auch wegen fehlender Bestimmtheit unwirksam, da nicht feststeht, auf welche Art von
Artikeln sich das Verkaufsverbot bezieht.
Zudem dürfte das umfassende Verbot des Verkaufs von Merchandisingartikeln, jedenfalls soweit diese auf Selbstkostenbasis angeboten werden, in Nr. 2.35 rechtswidrig sein. So ist etwa der Zeitungs- und Broschürenvertrieb im
Rahmen von Versammlungen erlaubnisfrei. Bei Versammlungsbezug gilt auch das Ladenschlussgesetz nicht (Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, Rdnr. 231 zu § 15 VersG). Der Verkauf von Druckerzeugnissen,
Broschüren und dergleichen, die Bezug zum Kundgebungsthema haben, kann nach Art. 15 BayVersG nicht verboten werden (VG München, B.v. 10.12.1982 Nr. M 5722 VII/82; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, Rdnr. 50
zu § 15; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, Rdnr. 17 zu § 15 VersG). Nichts anderes kann für themenbezogene Flugblätter, Sticker oder T-Shirts gelten.
7. Die generelle Untersagung der Ausgabe von Speisen und Getränken auf öffentlichen Flächen in Nr. 2.36 des angegriffenen Bescheids ist voraussichtlich ebenfalls rechtswidrig. Versammlungsrechtlich zulässig und vom
Versammlungsrecht geschützt ist zwar nur, was notwendiger Bestandteil der Versammlung ist und der Durchsetzung des für die demokratische Willensbildung geradezu konstituierenden und unabdingbaren Inhaltes der
Versammlungsfreiheit dient (VG Würzburg, B. v. 19. April 2012 Nr. W 5 S 12.326, m.w.N.). Die Erfordernisse sind eng zu fassen (VG Würzburg, a.a.O.). Betätigungen, die der demokratischen Meinungsbildung nicht
wesensimmanent sind, werden nicht vom Versammlungsrecht geschützt, sondern von dem jeweils einschlägigen und einschränkbaren Freiheitsrecht (VG Stuttgart, B. v. 23.8.2006 Nr. 5 K 3128/06; Kanther, Zur Infrastruktur von
Versammlungen: Vom Imbissstand bis zum Toilettenwagen, NJW 01, 1239). Die Abgabe von Speisen und Getränken hat regelmäßig keinen funktionalen Bezug zu der angemeldeten Versammlung. In Anbetracht der Umstände der
Versammlung des Antragstellers kommt dem Reichen einfacher Verpflegung aber vorliegend ausnahmsweise doch eine funktionale Bedeutung zu (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., Rdnr. 60 zu § 1). Der
Aufzug soll in einer Art Korridor erfolgen. Den Teilnehmern ist es voraussichtlich nur schwer möglich, ohne Angebot in der Versammlung eine Versorgung mit Wasser und einfachen Speisen sicherzustellen, die aber eine
Grundvoraussetzung der physischen Präsenz ist. Ohne die Zurverfügungstellung einfacher Speisen kann die Versammlung voraussichtlich nicht wirkungsvoll durchgeführt werden. Die Versammlungsteilnehmer haben aufgrund der
tatsächlichen örtlichen Situation (Absperrgitter, Gegendemonstranten) keine Gelegenheit, unter kurzfristigem Verlassen der Versammlung ihre aufgrund der Anreisezeit und der Dauer der Versammlung sich ergebenden
Grundverpflegungsbedürfnisse zu befriedigen, ohne dass der eigentliche Versammlungszweck dadurch beeinträchtigt würde.
8. Die in Nr. 2.11 des angegriffenen Bescheides verfügte Anzahl der einzusetzenden Ordner ist bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu beanstanden. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BayVGH, der die
Kammer folgt (vgl. U. v. 14.3.2013, a.a.O.), grundsätzlich ein Ordner pro angefangene 25 Teilnehmer als ausreichend anzusehen (vgl. B.v. 23.10.2008 Nr. 10 ZB 07.2665; vgl. auch Merk/Wächtler in Wächtler/Heinhold/Merk,
Bayerisches Versammlungsgesetz, RdNr. 104 aE zu Art. 15). Vorliegend rechtfertigen aber besondere Umstände die Verpflichtung zum Einsatz einer größeren Zahl von Ordnern. Der Antragsteller erwartet ausweislich seiner
Anmeldung ca. 300 Versammlungsteilnehmer. Die Aufzugsstrecke ist relativ lang. Es ist mit einer großen Anzahl von Gegendemonstranten und der Versammlung ablehnend gegenüberstehenden Dritten zu rechnen, von denen jeweils
nach Aktenlage ein erhebliches Gewaltpotential ausgeht. Durch das Mitführen eines Kraftfahrzeugs (Lautsprecherwagen) im Aufzug schafft der Antragsteller zudem eine besondere zusätzliche Gefahrenquelle. Die von der
Versammlung durch diese Umstände ausgehenden und auf diese einwirkenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit liegen auf der Hand und rechtfertigen die im Übrigen nicht sehr weitreichende Erhöhung der Ordnerzahl gegenüber
der sonst für eine Demonstration dieser Größenordnung angezeigten Ordnerzahl. Die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 BayVersG liegen deshalb vor. Die von der Antragsgegnerin vorgesehene Zahl der Ordner hält sich in
Anbetracht der Umstände im Rahmen des Verhältnismäßigen (vgl. zu dieser Problematik VG Würzburg, U. v. 25.10.2012 Nr. W 5 K 12.54, B. v. 16.12.2011 Nr. W 5 S 11.1023).
Die Beschränkung in Nr. 2.11 des angegriffenen Bescheides, der zufolge die Ordner vom Versammlungsleiter vor Beginn der Versammlung in Anwesenheit der Polizei über ihre Rechte und Pflichten belehrt und dazu angehalten
werden müssen, gegen Störer in angemessener Weise einzuschreiten, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. BayVGH, B. v. 2.7.2012 Nr. 10 CS 12.1419, BayVBl 2012, 756; VG Würzburg, B. v. 19.6.2012 Nr. W 5 S 12.494).
9. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen Nr. 2.14 Satz 2 des angegriffenen Bescheids gerichteten Klage wird mit der Maßgabe abgelehnt, dass sich die Regelung ausschließlich auf ein in Bewegung befindliches
Fahrzeug bezieht. Der Bescheid geht zurecht davon aus, dass der Lautsprecherwagen in der Demonstration mitfährt. Dann liegt es auf der Hand, dass sich in seiner näheren Umgebung keine Versammlungsteilnehmer aufhalten dürfen,
während sich das Fahrzeug fortbewegt (vgl. VG Würzburg, B.v. 16.12.2011 Nr. W 5 S 11.1023).
10. Nr. 2.16 ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. Nr. 2.17 und Nr. 2.16 ergänzen sich. Verhindert werden soll, dass die Umstände des Demonstrationszuges diesem ein einschüchterndes, aggressives und an die
nationalsozialistische Gewaltherrschaft erinnerndes Gepräge verleihen. Aufmärsche mit paramilitärischen oder in vergleichbarer Weise aggressiven und einschüchternden Begleitumständen werden nicht durch Art. 8 GG geschützt
(BVerfG, B.v. 2.9.2003, NVwZ 2004, 90). Die Regelungen stellen sicher, dass - etwa in Verbindung mit dem recht weitreichenden Einsatz der vom Antragsteller vorgesehenen Fahnen - keine Veranstaltung mit paramilitärischem
Gesamteindruck entsteht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, Rdnr. 49 zu § 15; OVG Weimar, B. v. 3.9.1999, Nr. 3 ZEO 669/99 DVBl. 1999, 1754; BVerfG, EA v. 14.7.2000 Nr. 1 BvR 1245/00, NJW 2000, 3051). Sie
erscheinen insgesamt moderat. Das Mitführen und die Verwendung von Trommeln wurden nicht untersagt. Die Trommeln dürfen nur keinen Marschtakt erzeugen.
11. Das Verbot der Verwendung sog. Knüppelfahnen (Nr. 2.21 des Bescheides) begegnet keinen Bedenken. Fahnen, deren Stangen als Knüppel oder sonstige Waffe genutzt werden können, haben auf einer Versammlung nichts
verloren (vgl. bereits VG Würzburg, B. v. 29.3.2013 Nr. W 5 S 13.264). Es erscheint grundsätzlich aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sachgerecht, die Länge und Stärke von Stangen, die bei einer Versammlung
mitgeführt werden, zu regeln (BayVGH, B. v. 9.12.2005 Nr. 24 CS 05.3215). Andernfalls besteht die Gefahr, dass Gegenstände mitgeführt werden, die, ohne dass dies für Zwecke der Versammlung erforderlich wäre, als Waffen
genutzt und herangezogen werden können. Art. 15 BayVersG erlaubt es, solche Gefahren abzuwehren (BayVGH, a.a.O.). Die Einschränkung der Versammlungsteilnehmer ist im Übrigen auch hier marginal.
12. Das in Nr. 2.34 des angegriffenen Bescheides geregelte Verbot des Fotografierens von Gegendemonstranten und unbeteiligten Dritten ist voraussichtlich gleichfalls nicht zu beanstanden (VG Würzburg, B. v. 29.3.2013 Nr. W 5 S
13.264; vgl. Ullrich, Typische Rechtsfragen bei Demonstrationen und Gegendemonstrationen/Gegenaktionen, DVBl. 2012, 666). Grundsätzlich dürfen zwar nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG Bilder von Versammlungen, Aufzügen
und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben, ohne die nach § 22 KunstUrhG erforderliche Erlaubnis verbreitet und zur Schau gestellt und damit auch gefertigt werden. Dies gilt aber nicht
uneingeschränkt. Etwas anderes gilt schon für die Abbildung einzelner oder mehrerer Individuen (OLG Frankfurt, U. v. 15.6.2004 Nr.11 U 5/04; OLG München, U.v. 13.11.1987 Nr. 21 U 2979/87, NJW 88, 915). Der BayVGH hält
ein Fotografierverbot im Wege der versammlungsrechtlichen Auflage für rechtlich denkbar (U. v. 9.10.2007 Nr. 24 B 06.3067). Vorliegend ist es Ziel des Fotografierverbots, zu verhindern, dass durch Individualisierung von
Gegendemonstranten und Passanten eine einschüchternde Wirkung erzielt wird. Das ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Zudem ist es nicht Sache der Versammlungsteilnehmer, sondern der Polizei, Straftaten Dritter
zu dokumentieren. Auch die im Antragsschriftsatz aufgeführten Interessen sind versammlungsrechtlich nicht geschützt (VG Würzburg, a.a.O.). ..." (VG Würzburg, Beschluss vom 24.04.2013 - W 5 S 13.347)
***
„... Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Platzverweises während einer Versammlung. Der Kläger nahm am 5. März 2011 in Berlin-Mitte an einer angemeldeten Versammlung der ‚I...' unter dem
Motto ‚Für die Wiedereinsetzung von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister Deutschlands!' teil. Dabei führte er ein Schild mit der Aufschrift ‚Raubkopierer sind keine Verbrecher' mit sich. Die Kundgebung fand auf
der Mittelinsel des Pariser Platzes statt. Wegen des Verdachts, die Versammlung könnte durch ‚Guttenberg-Gegner' aus der ‚linken Szene' gestört werden, wurden einzelne Personen von Beamten des Beklagten kurz nach
Versammlungsbeginn aufgefordert, einen Ort auf der weiter östlich gelegenen Mittelinsel der Straße ‚Unter den Linden' im Bereich des Hotels ‚Adlon' aufzusuchen. Unter diesen Personen befand sich auch der Kläger, der sich
daraufhin zu dem den ‚Guttenberg-Gegnern' zugewiesenen Ort begab.
Auf Nachfrage der Polizeibeamten sprach sich der Versammlungsleiter kurz danach für eine erneute Vermischung der ‚Guttenberg-Befürworter und -Gegner' aus, um eine kontroverse Diskussion zu ermöglichen. Daraufhin gewährte
der Beklagte den ‚Guttenberg-Gegnern' - einschließlich des Klägers - wieder Zugang zur Kundgebung auf der Mittelinsel des Pariser Platzes. Die Zeitspanne zwischen der Aufforderung zum Verlassen des Versammlungsortes bis zur
Rückkehr des Klägers zum Versammlungsort betrug insgesamt etwa 20 Minuten.
Mit Schreiben vom 28. August 2011 erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, der gegen ihn auf der Versammlung am 5. März 2011 ausgesprochene Platzverweis sei rechtswidrig gewesen. Durch Widerspruchsbescheid
vom 23. September 2011 stellte der Beklagte das Widerspruchsverfahren wegen Erledigung durch Zeitablauf ein.
Am 11. Oktober 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Maßnahme des Beklagten sei zu Unrecht erfolgt. Er habe zu keiner Zeit den Ablauf der Versammlung gestört oder behindert. Vielmehr habe er im
Zeitpunkt des Platzverweises ein Interview gegeben. Die Versammlung sei friedlich verlaufen, Auseinandersetzungen zwischen Pro- und Contra-Guttenberg-Teilnehmern hätten nicht stattgefunden. Diese seien auch nicht zu
befürchten gewesen. Das Motto ‚Für die Wiedereinsetzung von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister Deutschlands!' sei vielmehr satirisch gemeint gewesen. Dies habe einem durchschnittlich informierten Betrachter
von vornherein einleuchten müssen. Der Beklagte habe seine Gefahrenprognose demgegenüber unzulässig allein an diffusen Verdachtsmomenten wie dem äußeren Erscheinungsbild von Mitgliedern der ‚linken Szene' festgemacht.
Auch sei die Trennung von Guttenberg-Befürwortern und -Gegnern zur Gefahrenabwehr nicht geeignet gewesen, weil eine Zuordnung der Versammlungsteilnehmer zu dem einen oder anderen Lager kaum möglich gewesen sei. Als
mildere Maßnahme habe der Beklagte frühzeitig auf den Veranstaltungsleiter zugehen müssen. Der gegen ihn ausgesprochene Platzverweis sei im Übrigen auch gleichheitswidrig gewesen. Er habe lediglich zwei weitere Personen auf
der ihm zugewiesenen Mittelinsel im Bereich des Hotels ‚Adlon' wahrgenommen, während mindestens 60 Personen auf der Mittelinsel des Pariser Platzes hätten verbleiben dürfen. Gegen andere Teilnehmer der Versammlung mit
Plakataufschriften wie ‚Aufstand gegen die Meinungsmacher' habe es ohne nachvollziehbaren Unterscheidungsgrund keine Platzverweise gegeben. Schließlich liege eine Diskriminierung auch darin, dass er in der Öffentlichkeit durch
Polizeibeamte zu der Mittelinsel vor dem Hotel ‚Adlon' begleitet worden sei. Der Kläger beantragt, festzustellen, dass der am 5. März 2011 bei der Kundgebung ‚Für die Wiedereinsetzung von Karl-Theodor zu Guttenberg als
Verteidigungsminister Deutschlands!' gegen ihn ausgesprochene Platzverweis rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, dass die Aufforderung gegenüber dem Kläger, den räumlichen Bereich der Pro-Guttenberg-Kundgebung zu verlassen, gerechtfertigt gewesen sei. Der Platzverweis
habe dazu gedient, eine störungsfreie Durchführung der angemeldeten Kundgebung zu gewährleisten und eine eskalierende Konfrontation zwischen augenscheinlichen Guttenberg-Befürwortern und -Gegnern zu vermeiden. Aus Sicht
eines objektiven Beobachters sei im Zeitpunkt der Anordnung eine Eskalation der aufeinandertreffenden Meinungsblöcke möglich gewesen. Es habe einen starken Zustrom von Teilnehmern gegeben, die ausweislich ihres äußerlichen
Erscheinungsbildes und der mitgeführten Transparente als Guttenberg-Gegner aufgetreten seien. Die Guttenberg-Gegner seien aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes und der Erfahrung der Einsatzleitung der ‚linken Szene'
zuzuordnen gewesen. Es habe eine latente Tendenz hin zu sich konfrontierenden Meinungsblöcken gegeben. Dabei habe im Rahmen der Gefahrenprognose berücksichtigt werden müssen, dass die Versammlungssituation aufgrund der
unterschiedlichen Fronten zunächst undurchschaubar gewesen sei. Dass das Veranstaltungsthema in Wahrheit satirisch gemeint gewesen sei, müsse dagegen im Rahmen der maßgeblichen Ex-ante-Perspektive gefahrenabwehrenden
Polizeihandelns unberücksichtigt bleiben. Auch sei die vorübergehende Zuordnung des Klägers zum Lager der Guttenberg-Gegner nicht zu beanstanden, da der Kläger den früheren Verteidigungsminister zu Guttenberg durch die
Bezeichnung als ‚Raubkopierer' verhöhnt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. ...
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage - entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme. Dieses Feststellungsinteresse ist in den Fällen einer vorprozessualen Erledigung mit dem in § 43
Abs. 1 VwGO vorausgesetzten Interesse identisch (BVerwGE 109, 203 [209]) und umfasst anerkennenswerte Belange rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Natur (BVerwGE 74, 1 [4]). Es kann offen bleiben, ob ein solches
Interesse hier unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bestehen kann. Jedenfalls kann der beanstandete polizeiliche Platzverweis einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit
darstellen, so dass ein Feststellungsinteresse zu bejahen ist (vgl. BVerwGE 61, 164 [166]; ferner BVerfG, NJW 2005, 1855 f. m.w.N.).
II. Die Klage ist unbegründet. Der gegen den Kläger ausgesprochene Platzverweis war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
Rechtsgrundlage der an den Kläger gerichteten Aufforderung, sich auf die weiter östlich gelegene Mittelinsel der Straße ‚Unter den Linden' im Bereich des Hotels ‚Adlon' zu begeben, ist § 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Versammlungsgesetz
(VersG). Danach kann die zuständige Behörde einen Aufzug auflösen, wenn - nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen - die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung des Aufzuges
unmittelbar gefährdet ist. Reicht zur Gefahrenabwehr auch eine mildere Maßnahme als die Auflösung, kann auch diese auf der Grundlage des § 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 VersG getroffen werden (Schlussfolgerung a maiore ad minus;
vgl. BVerfGE 69, 315 [353]).
Der Begriff der Gefahr erfasst dabei auch den Gefahrenverdacht, unter dem eine Situation zu verstehen ist, in der der handelnde Beamte über die tatsächlichen Gegebenheiten im Ungewissen ist und daher ein Schaden für das
Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zwar möglich erscheint, die Tatsachengrundlage der Gefahrenprognose jedoch mit Unsicherheiten behaftet ist. § 15 VersG trifft insoweit bezüglich des Gefahrenbegriffes keine
Sonderregelung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2012 - OVG N 65.12 [PKH] - S. 6 des Abdrucks, sowie Urteil der Kammer vom 7. Mai 2012 - VG 1 K 247.11 - S. 6 des Abdrucks). Das Gebot der
Verhältnismäßigkeit fordert von den handelnden Beamten allerdings, sich bei Vorliegen eines bloßen Gefahrenverdachtes grundsätzlich auf vorläufige Maßnahmen zur Gefahrerforschung zu beschränken (vgl. Götz, Allgemeines
Polizei- und Ordnungsrecht, 14. Aufl. 2008, § 6 Rdnr. 30).
Der gegen den Kläger ausgesprochene Platzverweis war jedenfalls als eine solche vorläufige Maßnahme der Gefahrerforschung bei Gefahrenverdacht gerechtfertigt. Mit dem Platzverweis verfolgte die Polizei das Ziel, aufklären zu
können, ob eine Störung der unter dem Motto ‚Für die Wiedereinsetzung von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister Deutschlands!' angemeldeten Versammlung durch hinzukommende ‚Guttenberg-Gegner' bevorsteht.
Durch die Trennung sollte eine mögliche Eskalation zwischen verschiedenen Lagern bis zur Klärung des Sachverhalts ausgeschlossen werden. Diese Intention der Polizei, zunächst nur vorläufige Maßnahmen zur Absicherung der
Sachverhaltsaufklärung durchzuführen, ergibt sich aus dem polizeilichen Tätigkeitsbericht zu der Versammlung, wonach die hinzustoßenden Teilnehmer ‚vorerst' auf die Mittelinsel vor dem Hotel Adlon platziert wurden, um sie von
der ‚Pro-Guttenberg-Kundgebung' zu trennen. Sie folgt darüber hinaus aus den Gesamtumständen der polizeilichen Maßnahmen, insbesondere daraus, dass die Trennung unmittelbar nach Rücksprache mit dem Versammlungsleiter
und nach nur 20 Minuten beendet wurde. Zudem wurden die betroffenen Personen an einen Ort in nur geringer Entfernung und in Sichtweite des Versammlungsortes verwiesen. Die für Gefahrerforschungseingriffe typische
Sachverhaltsunsicherheit ergab sich dabei aus der durch satirische, doppeldeutige und missverständliche Meinungskundgaben undurchsichtigen Gemengelage am Versammlungsort, die eine Zuordnung der Teilnehmer zum Kreis der
zu schützenden Versammlungsteilnehmer für die Polizei erschwerte und daher Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung erforderte. Dies gilt umso mehr, als die Polizei auf diese Meinungsinhalte unvermittelt traf. Denn der satirische
Anspruch der Versammlung war ihr weder bei der Anmeldung mitgeteilt worden, noch ließ er sich ohne weiteres unmittelbar aus dem Veranstaltungsmotto erschließen. Dies lässt sich bereits daran erkennen, dass an der Versammlung
tatsächlich auch zahlreiche ‚wahre' Guttenberg-Befürworter teilnahmen, die das Versammlungsmotto ernst genommen hatten. In dieser unübersichtlichen Situation durfte die Polizei - unabhängig von einer konkreten Gefährdung -
gefahrerforschend durch vorläufige, die Teilnehmer in Gruppen einteilende Platzverweise handeln.
Auch die Inanspruchnahme gerade des Klägers als Verdachtsstörer ist nicht zu beanstanden. Die Auslegung durch die vor Ort eingesetzten Beamten, dass es sich bei der Aufschrift ‚Raubkopierer sind keine Verbrecher' auf dem vom
Kläger mitgeführten Schild um eine dem Veranstaltungsmotto zuwiderlaufende Meinungskundgabe handele, ist im Hinblick auf die abwertende Bezeichnung des früheren Verteidigungsministers als ‚Raubkopierer' zumindest
vertretbar. Dass der Kläger nach eigenen Angaben ‚kritisch' auf eine ‚weitläufig bekannte Kampagne der Filmindustrie mit dem Motto Raubkopierer sind Verbrecher' anspielen und den früheren Verteidigungsminister damit angeblich
unterstützen wollte, mussten die handelnden Polizeibeamten nicht erkennen. Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger die Beamten vor dem Platzverweis ausdrücklich auf seine vermeintliche Intention hingewiesen hätte. Denn die
Doppeldeutigkeit der Aufschrift selbst und der gerade daraus resultierende Gefahrenverdacht gegen den Kläger wäre dadurch nicht vollständig beseitigt worden.
Der Platzverweis war auch geeignet, eine Eskalation durch mögliche Störer vorläufig auszuschließen. Ein milderes Mittel als das des vorläufigen Platzverweises stand dabei nicht zur Verfügung. Insbesondere liegen keine
Anhaltspunkte vor, dass der Versammlungsleiter bereits im Zeitpunkt der vorläufigen Platzverweise als Ansprechpartner zur Verfügung stand und den Sachverhalt umgehend hätte aufklären können.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit der Kläger aufgrund des Platzverweises ein Interview mit Pressevertretern abbrechen musste, ist der darin liegende
Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und auf Wahl des Mittels der Meinungskundgabe jedenfalls mit Blick auf die kurze Zeitdauer des Platzverweises von nur etwa 20 Minuten gerechtfertigt. Dass der Kläger auch
noch nach Aufhebung der Trennung davon abgehalten wurde, seine individuelle Meinung der Presse gegenüber kundzutun, ist nicht ersichtlich. Der Kläger kann darüber hinaus auch keinen vorrangigen Persönlichkeitsschutz
beanspruchen, der die ‚Begleitung' des Klägers durch Polizeibeamte zur Mittelinsel vor dem Hotel ‚Adlon' als unverhältnismäßig erscheinen lässt. Ein solcher Persönlichkeitsschutz kann sich allenfalls aus der Art und Weise des
polizeilichen Zugriffs, insbesondere seiner Härte und der damit möglicherweise verbundenen Demütigung in der Öffentlichkeit ergeben, da andernfalls staatliche Zwangsmaßnahmen kaum jemals gerechtfertigt sein könnten. Derartige
besondere Umstände liegen nicht vor.
Schließlich kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes berufen. Sein Einwand, die Polizei sei willkürlich gegen ihn vorgegangen und habe gegen andere Versammlungsteilnehmer keine
Platzverweise ausgesprochen, obwohl diese Schilder mit Aufschriften wie ‚Aufstand gegen die Meinungsmacher' und ‚Köpfe ab bei ARD und ZDF' mitgeführt hätten, verfängt nicht. Diese Aufschriften sind als Kritik an der Rolle der
Medien - im Gegensatz zum Slogan des Klägers - unmissverständlich den Unterstützern des früheren Verteidigungsministers zuzuordnen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Sachverhalte ist ein Gleichheitsverstoß daher
ausgeschlossen. Dass - wie der Kläger vorträgt - überhaupt nur wenige Teilnehmer von den Platzverweisen betroffen waren, ist darüber hinaus schon damit zu erklären, dass die Maßnahmen bereits nach kurzer Zeit abgebrochen
wurden. Der vorläufige Platzverweis erweist sich nach alledem als rechtmäßig. ..." (VG Berlin, Urteil vom 11.04.2013 - 1 K 331.11)
***
Die im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersammlG erforderliche Gefahrenprognose darf selbständig tragend darauf gestützt werden, dass die öffentliche Sicherheit dadurch unmittelbar gefährdet ist, dass real die Möglichkeit besteht, dass
es zu einem polizeilich nicht mehr beherrschbaren Aufeinandertreffen von Demonstranten und Gegendemonstranten kommt, weil aufgrund erkennbarer Umstände nicht auszuschließen ist, dass der Veranstalter der von der
Versammlungsbehörde sofort vollziehbar verbotenen Demonstration mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsverbot Erfolg haben könnte (VG Aachen, Beschluss vom 05. 04.2013 - 6 L 131/13):
„... Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag
des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des
Antragstellers daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht darauf,
dass der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbots in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt, den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.
Hiervon ausgehend ist der gestellte Eilantrag unbegründet, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung des
Polizeipräsidiums B. - im Folgenden: der Antragsgegner - spricht.
Durch Ziffer 1. der Bestätigungsverfügung vom 2. April 2013 hat der Antragsgegner den Antragstellern einen von der Anmeldung abweichenden Versammlungsverlauf und Aufzugsweg aufgegeben. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Das erkennende Gericht hält die Gründe, aus denen der Antragsgegner den angemeldeten Aufzugsweg geändert hat, für sachgerecht und verhältnismäßig. Die durch die Auflage Ziffer 1. erfolgte Einschränkung des
Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters der Versammlung ist notwendig, um Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten zu verhindern, mit denen zu rechnen ist, wenn die Kreisverbände B. und I. der Partei ‚Die Rechte' wie
angekündigt Verfassungsbeschwerde gegen das ihnen erteilte Versammlungsverbot und die das Verbot bestätigenden Beschlüsse des erkennenden Gerichts - 6 L 123/13 - und des Oberverwaltungsgerichts Münster - 5 B 332/13 -
erheben und das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde entsprechen sollte.
Der Antragsgegner hat seiner Gefahrenprognose zu Recht ein solches Szenario zugrunde gelegt. Mit dem dagegen erhobenen Einwand,
1. mit der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG sei es nicht vereinbar, der im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG zu erstellenden Gefahrenprognose - wie dies der Antragsgegner gemacht habe - einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der
aktuell nicht vorliege und nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei,
2. daran anknüpfend bestehe die vom Antragsgegner angenommene Gefahrenlage in Wirklichkeit nicht, weil derzeit das der der Partei ‚Die Rechte' erteilte Versammlungsverbot vollziehbar bzw. rechtswirksam sei und deshalb davon
auszugehen sei, dass die von den Kreisverbänden B. und I. der Partei ‚Die Rechte' für den 6. April 2013 angemeldete Demonstration nicht stattfinden werde,
vermögen die Antragsteller nicht durchzudringen.
Im Ausgangspunkt ist den Antragstellern darin zuzustimmen, dass einer Gefahrenprognose im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG nicht ein Sachverhalt zu Grunde gelegt werden darf, der aktuell nicht vorliegt und nicht mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies hat der Antragsgegner aus den nachfolgenden Gründen jedoch nicht getan.
Bezogen auf das der Partei ‚Die Rechte' erteilte Versammlungsverbot ist der Antragsgegner zutreffend davon ausgegangen, dass der derzeitige Rechtszustand - es liegt ein vollziehbares Versammlungsverbot vor - instabil ist. Denn
der Partei ‚Die Rechte' steht die Möglichkeit offen, wie angekündigt Verfassungsbeschwerde zu erheben, und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde der Partei ‚Die Rechte'
entspricht und anordnet, dass die Kreisverbände B. und I. der Partei ‚Die Rechte' die von ihnen geplante Demonstration am 6. April 2013 wie angemeldet durchführen dürfen. Ist damit nicht ausgeschlossen, dass am 6. April 2013 in T.
Demonstration und Gegendemonstrationen aufeinandertreffen, ist die Polizei auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet, für beide gleichermaßen wahrscheinliche Entwicklungen - einerseits die
Bestätigung des Verbots durch das Bundesverfassungsgericht, andererseits die Aufhebung des Verbots und damit die Zulassung der Demonstration der Partei ‚Die Rechte' - Vorsorge zu treffen.
Genau dies hat der Antragsgegner mit der von den Antragstellern beanstandeten Wegeänderung getan.
Er ist zum einen von der - nicht nur theoretischen, sondern realen - Variante ausgegangen, dass das Bundesverfassungsgericht die Demonstration der Partei ‚Die Rechte' zulässt und hat sich für diesen Fall zu Recht für verpflichtet
gehalten, eine solche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren und die Demonstration der Partei ‚Die Rechte' zu gewährleisten. Auch hat er für diesen Fall überzeugend dargelegt, dass zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit eine Trennung von ‚Protest' und ‚Gegenprotest' unerlässlich ist, und dass die aus guten Gründen verfolgte Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten aufgehoben und die Sicherheitslage für die
Polizei nicht mehr beherrschbar wäre, wenn die Antragsteller ihre Gegendemonstration wie angemeldet durchführen dürften. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit wegen der Einzelheiten auf den in seiner
Schutzschrift abgehefteten Bescheid des Antragsgegners vom 2. April 2013 betreffend den Antrag der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 4 VwGO Bezug.
Zum anderen hat der Antragsgegner der ebenso realen zweiten Variante Rechnung getragen, dass die Verfassungsbeschwerde der Partei ‚Die Rechte' keinen Erfolg hat. Für diesen Fall hat er den Antragstellern mitgeteilt, dass es aus
versammlungsrechtlicher und polizeilicher Sicht keinen sachlichen Rechtsgrund gibt, die Tatörtlichkeit und die von den Antragstellern angemeldete Route nicht zur Verfügung zu stellen. Er hat mit anderen Worten für diesen Fall die
Aufhebung der beanstandeten Auflage 1 angekündigt und den Antragstellern lediglich gebeten, sich mit den anderen Veranstaltern des Gegenprotests abzustimmen, wer seine Versammlung dann wo durchführt.
Die beanstandete Entscheidung des Antragsgegners ist damit nicht nur rechtmäßig. Sie verdient auch Anerkennung, weil sie von Respekt gegenüber der Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts getragen ist. ..."
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Die Durchführung einer Versammlung kann nach § 15 VersG (juris: VersammlG) verboten werden, wenn sie als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, so dass bei ihrer Durchführung Straftatbestände des § 20
Abs. 1 VereinsG erfüllt würden. Einem Versammlungsverbot, das rechtmäßig darauf gestützt wird, dass die angemeldete Versammlung als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, steht nicht entgegen, dass die
Versammlung bei der Versammlungsbehörde von Ortsgliederungen einer Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG angemeldet worden ist. Denn die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte sogenannte "Parteienfreiheit'
berechtigt niemanden - auch keine Partei , Versammlungen durchzuführen, die aus dem Blickwinkel eines objektiven Betrachters einer vollziehbar verbotenen Vereinigung zuzurechnen sind. Ein noch nicht bestandskräftiges, aber
vollziehbares Vereinsverbot ist eine ausreichende Grundlage für das Verbot einer Versammlung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 VersG (juris: VersammlG; VG Aachen, Beschluss vom 02.04.2013 - 6 L 123/13):
„... Der Antrag der Antragsteller nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 26. März 2013 - Az. 6 K 1249/13 -
wiederherzustellen, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Versammlungsverbots formal nicht zu beanstanden ist und die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene
Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller ausfällt.
Hat die Behörde - wie vorliegend - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des
Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung hat das Gericht die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs in der Hauptsache nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, kann ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung nicht bestehen, wie auch im
umgekehrten Fall eines offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelfs eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht in Frage kommt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu
beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen nicht außer Acht gelassen werden, wobei vorliegend bei der Interessenabwägung mit Rücksicht darauf, dass der
Sofortvollzug eines Demonstrationsverbots in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt, den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zukommt.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.
Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Gericht auf Grund einer reinen
Interessenabwägung über den Aussetzungsantrag zu entscheiden.
Hiervon ausgehend überwiegt das vom Antragsgegner herangezogene öffentliche Vollziehungsinteresse, weil sich die auf §§ 5, 15 Abs. 1 VersG gestützte Verbotsverfügung des Antragsgegners nach - im Eilverfahren allein
möglicher - summarischer Prüfung derSach- und Rechtslage als rechtmäßig darstellt (nachfolgend I.). Selbst wenn man zugunsten der Antragsteller davon ausgeht, dass über ihren Aussetzungsantrag auf Grund einer reinen
Interessenabwägung zu entscheiden ist, weil der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, weil auch dann die gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Rechtsmittels in der Hauptsache sprechenden Gesichtspunkte überwiegen (nachfolgend II.).
I. Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde - hier der Antragsgegner - die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren
Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in
Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben,
Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen
werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.
Vgl. BVerwG, Urteil 25. Juni 2008 - Az. 6 C 21/07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und juris.
Erforderlich ist außerdem jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen. Bloße
Spekulationen, Vermutungen und Mutmaßungen im Hinblick auf einen Schadenseintritt reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben
sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141, und juris, m.w.Nw.
Darüber hinaus darf bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Versammlungsverbot als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist.
Die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass ein Verbot zum Schutz anderer, mindestens
gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
Davon ausgehend hat der Antragsgegner das Verbot der von den Antragstellern für den 5. und 6. April 2013 als ‚Fackelmarsch' bzw. als ‚Trauermarsch' jeweils mit dem Motto ‚Gegen Ausländergewalt und Deutschfeindlichkeit! -
Mord! Trauer! Widerstand!' angemeldeten öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel im Stadtgebiet von T. selbständig tragend auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG in
Gestalt einer Verletzung von Strafnormen des § 20 Abs. 1 VereinsG gestützt, wobei ersichtlich die Nrn. 1 und 3 a.a.O. in Bezug genommen werden sollten. Dabei hat er zugrunde gelegt, dass die Durchführung der von den
Antragstellern angemeldeten Demonstrationen die öffentliche Sicherheit unmittelbar und erheblich gefährde, weil diese Demonstrationen unabhängig davon, dass sie zuletzt mit Schreiben vom 26. Februar 2013 von zwei
Kreisverbänden der Partei ‚Die Rechte' angemeldet worden seien, der durch die im Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 vom 14. Dezember 2012 auf Seite 728 veröffentlichte, sofort vollziehbare Verfügung des
Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MIK) vom 27. Juli 2012, Az: 402-57.07.12, nach Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen und aufgelösten Vereinigung ‚Kameradschaft Aachener
Land' (im Folgenden: K-A-L) zuzurechnen seien, was zur Folge habe, dass mit der Durchführung der der verbotenen K-A-L zuzurechnenden Demonstrationen das rechtswirksame Vereinsverbot missachtet, gegen die Strafnormen des
§ 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 VereinsG verstoßen und die Rechtsordnung gravierend verletzt würde.
Zur Begründung seiner Gefahrenprognose hat der Antragsgegner im Wesentlichen ausgeführt, bei den für die Partei ‚Die Rechte - Kreisverbände Aachen und Heinsberg' angemeldeten Versammlungen handele es sich um die
beabsichtigte Fortführung von Versammlungen unter freiem Himmel, die beginnend mit dem Jahr 2009 jedes Jahr Anfang April durchgeführt worden und jeweils der inzwischen verbotenen ‚Kameradschaft Aachener Land (K-A-L)'
zuzurechnen gewesen seien.
Dies lasse sich wie folgt belegen:
Als Anfang April 2008 ein junger Mann in T. Opfer eines Tötungsdelikts geworden sei, habe die K-A-L, die bis zum Jahr 2008 keine große Öffentlichkeitswirkung erzielt habe, das Tötungsdelikt als zentrales Thema aufgegriffen. Als
Herr I., der damalige Vorsitzende des Kreisverbandes Düren der NPD, gemeinsam mit dem freien Nationalisten B. S. für den ersten Freitag im April 2009 einen ‚Fackelmarsch' und für den darauf folgenden Samstag einen
‚Trauermarsch' in zeitlicher Nähe zum Todestag des gewaltsam von einem Jugendlichen mit Migrationshintergrund getöteten jungen Mannes angemeldet habe, habe er seine engen Verbindungen zum damaligen
Kameradschaftsführer der K-A-L, Herrn S. M. aus W., genutzt, der mit den Mitgliedern der K-A-L die Werbung zur Teilnahme an den Fackel- und Trauermärschen mittels Flyern, Flugblattaktionen, Spuckies und im Internetauftritt
der K-A-L übernommen und bei der Durchführung der Versammlungen den K-A-L-eigenen Ordnerdienst geleitet habe. In den Jahren nach 2009 habe die K-A-L die beiden Aufmärsche in zeitlicher Nähe zum Todestag des jungen
Mannes aus T., die grundsätzlich an einem Freitagabend als ‚Fackelmarsch' und am darauffolgenden Samstag als ‚Trauermarsch' veranstaltet worden seien, bis in das Jahr 2012 verantwortlich organisiert. Für die K-A-L seien der
‚Fackelmarsch' und der ‚Trauermarsch' das zentrale Ereignis im Vereinsleben geworden, das jeweils dazu genutzt worden sei, sich der Bevölkerung zu zeigen und Gleichgesinnte zu mobilisieren. Alle bis zum Jahr 2012 durchgeführten
Fackel- und Trauermärsche hätten unter reger Beteiligung der Mitglieder der K-A-L und deren Sympathisanten stattgefunden. Dadurch hätten die von der K-A-L maßgeblich organisierten jährlich wiederkehrenden Stolberger Fackel-
und Trauermärsche das zentrale, identitätsstiftende Ereignis für diese Vereinigung gebildet. Außerdem sei insbesondere die Samstagveranstaltung dazu genutzt worden, die Kontakte zu anderen Kameradschaften aus dem
Bundesgebiet zu stärken, wobei eine besondere Verbundenheit mit den und Unterstützung durch die inzwischen ebenfalls verbotenen Kameradschaften ‚Nationaler Widerstand Dortmund' und ‚Kameradschaft Hamm'
festzustellen gewesen sei.
Vor diesem Hintergrund sei in Bezug auf die für den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Demonstrationen festzustellen, dass von der Partei ‚Die Rechte' das Thema der Versammlungen ‚Gegen Ausländergewalt und
Deutschfeindlichkeit! - Mord! Trauer! Widerstand!' wörtlich übernommen worden sei, dass bei der Werbung zur Teilnahme an den Stolberger Fackel- und Trauermärschen die früher von der ‚Kameradschaft Aachener Land'
genutzten Plakate verwendet würden, die lediglich im Impressum verändert worden seien, und dass auch die alten Strukturen der Veranstaltungen der K-A-L aus den Vorjahren übernommen worden seien, indem wie früher ein
‚Fackelmarsch' in der Dämmerung und Dunkelheit des Freitagabends und zum anderen ein ‚Trauermarsch' am darauffolgenden Samstag zur Tageszeit veranstaltet würden. Berücksichtige man weiter, dass die für den 5. und 6. April
2013 geplanten Demonstrationen wie in den Vorjahren von Herrn I., diesmal gemeinsam mit Herrn Q., einem Mitglied der verbotenen K-A-L, angemeldet worden seien, bevor die Partei ‚Die Rechte' die Anmeldung ‚übernommen'
habe, und nehme man außerdem in den Blick, dass auf der Internetseite der K-A-L der Hinweis veröffentlicht worden sei ‚Wir sind verboten - na und?', und dass der K-A-L-Kameradschaftsführer S. M. bei einer in Düren
durchgeführten Versammlung erklärt habe ‚Trotz Verbot sind wir nicht tot!', stehe fest, dass die für den 5. und 6. April 2013 geplanten Demonstrationen der K-A-L zuzurechnen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Die in der angefochtenen Verfügung getroffene und durch die vom Antragsgegner bezeichneten Erkenntnisse gestützte Prognose ist gerichtlich nicht zu beanstanden.
Der Antragsgegner hat hinreichend tatsachengestützt belegt, dass Herr G. und Herr Q., die anfangs als Veranstalter aufgetreten sind, die Veranstaltereigenschaft auf die Antragsteller übertragen haben, um die für die verbotene K-A-L
traditionsbildend gewordenen Veranstaltungen trotz des Verbots zu ermöglichen und dadurch den Zusammenhalt der Mitglieder der K-A-L, die in der Vergangenheit das organisatorische Rückgrat der Demonstrationen waren, denen
die in diesem Jahr für den 5. und 6. April angemeldeten der Demonstrationen nachgebildet sind, entgegen dem vom MIK rechtswirksam verfügten K-A-L-Verbot aufrechtzuerhalten und die überkommenen Strukturen der K-A-L zu unterstützen.
Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Seiten 2 bis 5 der Verbotsverfügung, deren wesentlicher Inhalt vorstehend zusammenfassend wiedergegeben worden ist, und auf die ergänzenden Ausführungen des Antragsgegners in
seiner Antragserwiderung vom 2. April 2013 Bezug genommen.
Die Antragsteller haben den zahlreichen in der Verbotsverfügung und der Antragserwiderung im einzelnen als Belege bzw. Nachweise für die Zurechnung der für den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Demonstrationen zur K-A-L
dargelegten Tatsachennichts Substantiiertes entgegengesetzt. Sie haben insbesondere nicht nachvollziehbar widerlegt, dass die für den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Demonstrationen durch Personen vorbereitet und beworben
wurden, die schon in den Strukturen der verbotenen K-A-L die nach Inhalt und Verlauf identischen Vorgängerveranstaltungen wesentlich initiiert haben, und dass diese Personen nicht das zentrale, identitätsstiftende und
traditionsbildende Jahresgroßereignis der verbotenen K-A-L vorbereitet und beworben haben, um deren Traditionsveranstaltung fortzusetzen.
Die dagegen mit der Antragsschrift erhobenen Einwendungen überzeugen nicht. So wird der Einwand, die Zurechnung der Demonstrationen in früheren Jahren werde nicht durch Fakten gestützt, schon durch den in der
Antragserwiderung erfolgten Hinweis auf Banner mit der Signatur der K-A-L widerlegt. Auch kann den Antragstellern nicht abgenommen werden, dass Herr I. nur ‚angeblich' Mitglied der K-A-L gewesen sei. Denn nach den
Erkenntnissen des MIK ist davon auszugehen, dass Herr I. Mitglied der verbotenen K-A-L war, vgl. S. 30 der Verbotsverfügung vom 31. Juli 2012. Dem ist der Vorsitzende der erkennenden Kammer im Verfahren 6 L 345/12 gefolgt,
indem er auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, letztvertreten durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, die Durchsuchung der Wohnung des Herrn I. zum Zwecke der Sicherstellung des mit der insoweit sofort
vollziehbaren Verfügung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2012 (Az. 402-57.07.12) beschlagnahmten Vereinsvermögens des Vereins K-A-L durch Beschluss vom 16.
August 2012 angeordnet hat. Dass die verwerteten Erkenntnisse des MIK unzutreffend sind, haben die Antragsteller demgegenüber nicht dargelegt. Ebenso wenig können die Antragsteller mit der Argumentation durchdringen, die für
den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Demonstrationen seien der K-A-L nicht mehr zuzurechnen, weil seit dem Verbot der Kameradschaft ziemlich genau acht Monate vergangen seien. Mit ihrer Sichtweise verkennen die
Antragsteller, dass sich für einen unbefangenen Betrachter wegen des signifikanten Datums und der Thematik trotz des zeitlichen Abstands von acht Monaten der Eindruck ergibt, es handele sich bei den Demonstrationen am 5. und 6.
April 2013 um Veranstaltungen der verbotenen K-A-L. Schließlich ist ohne Belang, dass - wie die Antragsteller hervorheben - der Anteil der Mitglieder der K-A-L an den Samstagveranstaltungen geringer war als an den
Freitagveranstaltungen. Dies ist nämlich ersichtlich nur darauf zurückzuführen, dass an den Freitagveranstaltungen die Gesamtzahl der Teilnehmer regelmäßig deutlich geringer war, wodurch der Anteil der Mitglieder der K-A-L an
diesen Tagen logischerweise größer war. Dennoch - und alleine darauf kommt es an - ergab sich für einen unbefangenen Betrachter auch in Bezug auf die Samstagveranstaltungen stets der Eindruck, es handele sich um
Veranstaltungen der K-A-L, die gerade an den Samstagtagen ihre Verbundenheit mit anderen rechtsextremen Kameradschaften aus dem gesamten Bundesgebiet zur Schau stellte.
Ist somit davon auszugehen, dass die ehemals handelnden Personen der K-A-L weiterhin am gleichen Ort, zur gleichen Zeit, auf gleicher Route, mit gleichem Thema und Versammlungsmotto und mit den gleichen Personen die von
Herrn I. im Jahr 2009 für jedes Jahr bis zum Jahr 2018 angekündigten Märsche auch im Jahr 2013 fortsetzen wollen und zu diesem Zweck in diesem Jahr lediglich zur Verschleierung ihrer wahren Absichten die antragstellenden
Kreisverbände der Partei ‚Die Rechte' als Veranstalter vorschieben, liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass es bei Durchführung der Versammlungen zu einem Verstoß gegen § 20 VereinsG kommen würde.
Nach § 20 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG begeht eine strafbare Handlung, wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit ‚den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem
vollziehbaren Verbot ... aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt'. Nach Nr. 3 a.a.O. begeht eine strafbare Handlung, wer ‚den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins ... der in Nummer 1 ...
bezeichneten Art unterstützt'.
Die Antragsteller selbst stellen nicht in Abrede, dass das unter dem 27. Juli 2012 vom zuständigen MIK verfügte Verbot der Vereinigung ‚Kameradschaft Aachener Land' gegenwärtig vollziehbar ist.
Auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 VereinsG wären bei Durchführung der Versammlungen am 5. und 6. April 2013 erfüllt.
Zur Auslegung dieser Strafnormen hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
- vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 29. August 2012 - 14 L 1048/12 -, zitiert nach www.nrwe.de, Rdn. 27 bis 30 -
mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. November 2011 -1 BvR 98/97 -, juris, im Zusammenhang mit dem Verbot des ausländischen Vereins PKK -
ausgeführt:
‚In Bezug auf ein Betätigungsverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass dem Einzelnen nicht verboten wird, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies
durch die Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Insoweit muss das Verhalten einen Bezug zur Tätigkeit des Vereins aufweisen. Erforderlich bleibt daher die Organisationsbezogenheit. Insoweit besteht eine Parallele
zum Fall der Zuwiderhandlung gegen ein Parteiverbot. Art. 5 Abs. 1 GG hat dort nicht schon dann zurückzutreten, wenn jemand gleiche Meinungen vertritt wie die verbotene Organisation, wohl aber, wenn sich für einen
unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, es handele sich um eine Aktion unmittelbar zugunsten der verbotenen Partei selbst. ...
Das Bundesverfassungsgericht hat es in der vorzitierten Entscheidung ferner als verfassungsrechtlich tragfähig beurteilt, dass für die Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 (Nr. 4) VereinsG nicht der Eintritt einer messbaren
Förderungswirkung vorausgesetzt wird, sondern es insbesondere im Hinblick auf das Fehlen von Organisationsstrukturen und daraus resultierender ‚spezieller Verwirklichungsbedingungen' ausreicht, dass die Handlungsweise des
Täters konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Allerdings ist vorausgesetzt, dass dem Verhalten eine hinreichende Außenwirkung zukommt, aus der ein objektiver Bezug der
Handlung des Einzelnen zur Tätigkeit des Vereins - der als solcher handlungsunfähig ist und stets nur durch das Handeln natürlicher Personen wirken kann - erkennbar wird. Vor dem Hintergrund, dass ein vereinsrechtliches
‚Tätigkeitsverbot' Gefahren vorbeugen soll, die von der Zielverfolgung in organisierter Form ausgehen, muss zudem bei Äußerungen eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sei. Dies kann sich aus Inhalt und der
äußeren Form des Vorbringens ergeben, z.B. in Gestalt von Propaganda für die verbotene Organisation, insbesondere auch aus einer exponierten Stellung des Betreffenden im Verein.'
Dieses Verständnis des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG zu Grunde gelegt ist der Antragsgegner zutreffend zu der Prognose gelangt, dass bei Durchführung der beabsichtigten Versammlungen mindestens der organisatorische
Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung ‚Kameradschaft Aachener Land' unterstützt und folglich der Straftatbestand des nach den gleichen Maßstäben auszulegenden § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VereinsG verwirklicht würde.
Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
Die Antragsteller haben nicht in Zweifel gezogen, dass frühere Mitglieder des verbotenen Vereins maßgeblich für die Versammlung geworben haben und sich in signifikanter Zahl an den beabsichtigten Versammlungen beteiligen
werden. Auch entsprechen der Ablauf der Demonstrationen, das Versammlungsthema und das Versammlungsmotto wie auch Zeit, Ort und Ausgestaltung der Aufzüge exakt den früheren April-Veranstaltungen der K-A-L. Die
Antragsteller sind auch nicht dem Argument des Antragsgegners entgegengetreten, dass ein unbefangener Betrachter die für den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Versammlungen insbesondere wegen der Wahl des
Versammlungsthemas und des Versammlungsmottos eindeutig als Fortsetzung der Veranstaltungen verstehen wird, die seit dem Jahr 2009 als zentrale Jahresveranstaltung für die K-A-L identitätsstiftend und traditionsbildend waren.
Schon aufgrund dieser äußeren, objektiven und zusammenfassend zu würdigenden Gegebenheiten würde unabhängig von einzelnen bei der Versammlung geäußerten Wortbeiträgen jedenfalls der organisatorische Zusammenhalt des
Vereins aufrechterhalten oder mindestens unterstützt, indem öffentlichkeitswirksam, gleichsam demonstrativ, eine solche Versammlung von früheren Mitgliedern und Sympathisanten der verbotenen K-A-L organisiert und
durchgeführt würde. Dadurch würde sowohl für die Versammlungsteilnehmer als auch für die Öffentlichkeit und einen unbefangenen Betrachter der Eindruck erweckt, dass es sich unmittelbar um eine Aktion des verbotenen Vereins
K-A-L oder jedenfalls um eine Aktion zu dessen Gunsten handelt, mit der gezeigt werden soll, dass der verbotene Verein selbst bzw. dessen Mitglieder ungeachtet eines vollziehbaren Vereinsverbots weiterhin in der Öffentlichkeit
agieren und (sogar) öffentliche Versammlungen durchführen können. Dass damit durch die für den 5. und 6. April 2013 angemeldeten Versammlungen eine für die K-A-L vorteilhafte Wirkung hervorgerufen wird und dem Verhalten
der Veranstalter eine hinreichende Außenwirkung zukommt, drängt sich geradezu auf.
Den in einem vergleichbaren Fall vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
- vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 29. August 2012 - 14 L 1048/12 -, a.a.O., Rdn. 36 -
eingenommenen Standpunkt, dass ein vollziehbares Vereinsverbot in einem bedeutsamen Umfang leer laufen und entwertet würde, wenn eine Versammlung stattfinden dürfte, obwohl für die Versammlungsteilnehmer wie auch für die
Öffentlichkeit und einen unbefangenen Betrachter der Eindruck besteht, dass es sich unmittelbar um eine Aktion eines verbotenen Vereins handelt, schließt sich die erkennende Kammer für das vorliegende Verfahren an, sodass
zusammenfassend nochmals festzustellen ist, dass es bei Durchführung der Versammlungen zu einem Verstoß gegen § 20 VereinsG kommen würde.
Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich weiter, dass der Antragsgegner das verfügte Versammlungsverbot zu Recht auch selbständig tragfähig auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 VersG gestützt hat.
Wegen der Verbotsgründe im einzelnen nimmt die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Ausführungen des Antragsgegner hierzu in dem Versammlungsverbot Bezug.
Lediglich bekräftigend hebt die Kammer hervor, dass der Antragsgegner insbesondere auch in Bezug auf den in Rede stehenden weiteren Verbotstatbestand zu Recht davon ausgegangen ist, dass die von den Antragstellern
angemeldeten Versammlungen vom 5. und 6. April 2013 als solche des verbotenen Vereins K-A-L zu bewerten sind. Auch sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 4 VersG i.V.m. § 3 VereinsG diesbezüglich erfüllt. Danach kann
ein Verein (erst) dann als verboten behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung richtet und in der Verfügung die Auflösung des Vereins angeordnet worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier in Gestalt der schon benannten Feststellungs- und Verbotsverfügung des MIK vom 27. Juli 2012 vor (Ziff. 1
und 2 des Tenors). Schließlich genügt es für die tatbestandliche Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 1 VersG, wenn die einschlägige Verbotsverfügung - wie es hier der Fall ist - wirksam, d.h. vollziehbar ist.
Schließlich ist die Ermessensausübung des Antragsgegners nicht zu beanstanden.
Mildere Mittel als das verfügte Versammlungsverbot, vornehmlich in Gestalt von beschränkenden Verfügungen (Auflagen), sind nicht ersichtlich.
Auch wären Auflagen in Gestalt eines Verbots, den verbotenen Verein K-A-L anlässlich der Durchführung der geplanten Versammlungen in Wort, Schrift oder sonstiger Form zu erwähnen, nicht hinreichend zielführend gewesen.
Insbesondere resultieren die Verbotsgründe, wie dargelegt, nicht aus etwaigen, im Vorfeld einer Versammlung ohnehin schwer prognostizierbaren, bestimmten Wortbeiträgen, sondern aus dem Gesamtgepräge der Versammlungen in
der aktuellen örtlichen und zeitlichen Situation in T..
Der Antragsgegner war auch nicht gehalten, mit Rücksicht auf die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Freiheit, eine politische Partei zu gründen, zugunsten der Antragsteller zu entscheiden. Es trifft zwar zu, dass die
sogenannte ‚Parteienfreiheit' sich grundrechtsverstärkend auswirkt, wenn eine Partei einschlägige Grundrechte wie z.B. die Meinungsäußerungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit in Anspruch nimmt.
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 16. Auflage, § 1 Rdn.135, mw.N.
Die Parteienfreiheit berechtigt aber keine Partei - wie auch ansonsten niemanden - Veranstaltungen durchzuführen, die - wie im vorliegenden Fall - bei objektiver Betrachtung einer vollziehbar verbotenen Vereinigung zuzurechnen sind.
Schließlich hat der Antragsgegner nicht verkannt, dass durch ein Vereinsverbot dem Einzelnen nicht verboten wird, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, sondern nur, dies durch die Förderung der verbotenen
Tätigkeit des Vereins zu tun. Dies hat er in seiner Antragserwiderung nochmals betont und mit Hinweis darauf substantiiert, er habe den Antragstellern eine am Samstag, dem 16. März 2013, durchgeführte Versammlung unter freiem
Himmel bestätigt.
II. Selbst wenn man zugunsten der Antragsteller davon ausgeht, dass über ihren Aussetzungsantrag auf Grund einer reinen Interessenabwägung zu entscheiden ist, weil der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist
- vgl. dazu für einen vergleichbaren Fall BVerfG, 31. August 2012 - Az. 1 BvR 1840/12 -, juris, Orientierungssatz 2a -,
überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, weil auch dann die gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels in der Hauptsache sprechenden Gesichtspunkte überwiegen.
Eine auch im Rahmen einer reinen Interessenabwägung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Folgenabwägung fällt zum Nachteil der Antragsteller aus, weil mit einer Durchführung der Versammlungen am 5. und 6. April 2013 bei
späterer Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde der erhebliche Nachteil verbunden wäre, dass die Versammlungen als Zuwiderhandlungen gegen ein Vereinsverbot strafbar wären. Demgegenüber wiegen die mit einer Ablehnung
des Eilantrags der Antragsteller verbundenen Nachteile weniger schwer, weil die verbotenen Versammlungen weder aus aktuellem Anlass noch mit einem dringenden zeitgebundenem Bezug erfolgen. Dabei übersieht die Kammer
nicht, dass die Antragsteller Versammlungen veranstalten wollen, die an sich gesetzlich nicht zu beanstanden sind und deshalb in der Vergangenheit nicht verboten wurden. Andererseits erledigt sich das mit den Versammlungen
verfolgte politische Anliegen nicht mit Ablauf des 5. und 6. April 2013, sondern es kann in weiteren Demonstrationen erneut aufgegriffen werden. Der Hauptbezugspunkt für beide Demonstrationen - das Tötungsdelikt Anfang April
2008 zum Nachteil eines jungen Mannes aus T. - liegt viele Jahre zurück. Das Gedenken daran kann auch in Formen und an Tagen gewahrt werden, die nicht für den unbefangenen Betrachter den Eindruck ergeben, dass hier weiter die
K-A-L aktiv ist, die verboten worden ist, weil ihre Zwecke bzw. ihre Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider liefen bzw. sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
Vgl. nochmals BVerfG, 31. August 2012 - Az. 1 BvR 1840/12 -, juris, Rdn. 8.
Von den Antragstellern kann erwartet werden, dass es ihnen gelingen wird, in Zukunft einerseits das Verbot der K-A-L zu respektieren und andererseits dennoch ihr gesetzlich nicht zu beanstandendes Demonstrationsanliegen so zu
realisieren, dass kein Verbotsgrund (mehr) vorliegt. ..."
***
„... I. Es wird festgestellt, dass Nr. 3.1, Nr. 3.2 und Nr. 3.11 des Bescheides der Stadt Würzburg vom 15. März 2012 rechtswidrig gewesen sind. ...
1. Unter dem 8. März 2012 meldete der Kläger zu 1) eine Versammlung mit dem Thema „Asylrecht" für die Zeit vom 19. März bis 2. April 2012 an.
2. Mit Bescheid vom 15. März 2012 setzte die Beklagte für die angemeldete Versammlung u.a. folgende Beschränkungen fest:
„3.1 Die Versammlung ist am Freitag, 23. März, und Samstag, 24. März 2012, sowie am Mittwoch, 28. März, und Donnerstag, 29. März 2012, durchzuführen.
3.2 Sie ist in der Zeit von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr durchzuführen.
3.11 Das Abhalten eines Hungerstreiks auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen vor, während und nach der Versammlung ist untersagt."
Zur Begründung wurde unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG als Rechtsgrundlage ausgeführt, die Reduktion auf 2 mal 2 Tage sei erforderlich, weil aufgrund verschiedener Veranstaltungen in der Innenstadt eine Vielzahl der
öffentlichen Plätze belegt sei. Die Anmelder seien nicht bereit gewesen, auf andere Flächen außerhalb der engeren Innenstadt auszuweichen.
Die Beschränkung der Versammlung auf die Uhrzeit 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr sei notwendig, da es sich in der Nacht nicht um eine Versammlung, sondern um eine reine Übernachtung handele. Durch das Aufstellen von Zelten in der
Nachtzeit werde die öffentliche Sicherheit gefährdet. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Würzburg (Sicherheitssatzung) seien Zelten und Nächtigen auf
Straßen, Wegen und Plätzen und in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen im Stadtgebiet untersagt. Die Sicherheitssatzung sei Bestandteil der Rechtsordnung. Beim Platz am V... handele es sich um einen öffentlichen Platz. Die
Versammlungsbehörde sehe das Gewicht des Versammlungsgrundrechts aus Art. 8 GG, das der Kläger zu 1) über die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG ins Feld führen könne, zur Tageszeit, während in der Innenstadt viele
Passanten unterwegs seien, die die Versammlung wahrnehmen könnten, als gewichtiger an als die einfachgesetzliche Regelung der städtischen Satzung, die das Zelten und Nächtigen auf Straßen, Wegen und Plätzen verbiete. Tagsüber
seien die Versammlungsteilnehmer vor Ort und könnten ihre Meinung der Bevölkerung kundtun. Nachts stelle sich diese rechtliche Bewertung anders dar, weil die Übernachtung in den Zelten nach Aussage des
Versammlungsanmelders überhaupt nicht die Meinungskundgabe zum Ziel habe. Vielmehr habe der Anmelder angegeben, die Übernachtung sei notwendig, weil die vom Hungerstreik entkräfteten Teilnehmer nicht mehr in der Lage
seien, die Zelte früh auf- und abends wieder abzubauen. Zudem schliefen die Teilnehmer, weshalb keine weitere Meinungskundgabe mehr möglich sei. Nachts liege der Schwerpunkt des Zelteinsatzes vielmehr eindeutig auf der
Unterbringung der Teilnehmer und sei somit nicht von der Versammlungsfreiheit erfasst. Die Übernachtung in Zelten sei nicht wesensnotwendig für das Thema der Versammlung. Abgesehen davon müsse die Polizei die Sicherheit der
Versammlungsteilnehmer gewährleisten. Dies sei angesichts des begehrten Zeitraums nur unter unverhältnismäßig hohem Aufwand und Personaleinsatz möglich. Gleichzeitig sei die nächtliche Situation in der Innenstadt für ein
Unterfangen dieser Art durchaus als problematisch zu betrachten. Nachts hielten sich vornehmlich Kneipen- und Gastronomiebesucher auf den Straßen auf. Hier komme es regelmäßig aufgrund erheblicher Alkoholisierung und
gruppendynamischer Prozesse zu Konfliktsituationen im öffentlichen Raum.
Der beabsichtigte Hungerstreik stelle als freiwillige Selbstgefährdung im öffentlichen Raum eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Nach Angaben der Versammlungsleiter solle es sich um einen Hungerstreik handeln, der auch
das gesundheitsgefährdende Stadium der einzelnen Teilnehmer erreichen solle. Ziel solle es sein, vor öffentlicher Kulisse „Druck auf die Politik und das Bundesamt für Migration aufzubauen". Ziel sei es, von den dortigen Stellen
endlich eine Antwort „zu erzwingen". Die Dauer des Hungerstreiks sei nicht absehbar. Die Stadt könne nicht zulassen, dass sich Versammlungsteilnehmer durch einen Hungerstreik auf öffentlicher Fläche selbst gefährdeten. Im
Übrigen sei es problematisch, dass Kinder und Heranwachsende, deren Persönlichkeit noch nicht gefestigt sei, anlässlich der Versammlung in der Öffentlichkeit mit hungernden und leidenden Menschen ohne irgendeine Hilfestellung
zur Einordnung, Differenzierung oder Reflexion konfrontiert würden. Zu berücksichtigen sei zudem, dass eine ebenso effektive Platzierung des begehrten Ansinnens auch mit einem Hungerstreik außerhalb des öffentlichen Raums
unter medialer öffentlicher Berichterstattung und damit ohne Gefährdung der öffentlichen Ordnung möglich wäre. Im Übrigen gehe es den Anmeldern nicht darum, mit dem Hungerstreik eine Meinung kundzutun, vielmehr solle
ausschließlich das Ziel verfolgt werden, Druck und Zugzwang auszuüben.
Auf die weitere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
3. Mit Beschluss vom 16. März 2012 Nr. W 5 S 12.238 ordnete das Verwaltungsgericht Würzburg auf Antrag der Kläger hin die aufschiebende Wirkung ihrer noch zu erhebenden Klage gegen Nrn. 3.1, 3.2 und 3.11 des Bescheides der
Beklagten vom 15. März 2012 an. ...
4. Am 16. April 2012 erhoben die Kläger bei Gericht Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass die Punkte 3.1 (Beschränkung der Versammlung auf die dort genannten Tage), 3.2 (Beschränkung des Zeitpunkts der Versammlung
jeweils auf den Zeitraum von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr) sowie 3.11 (Verbot des Hungerstreiks, soweit sich dies auf die Versammlung bezieht) des Bescheides vom 15. März 2012 rechtswidrig waren. Zur Klagebegründung wurde
vorgetragen, die angefochtene Regelung im Bescheid vom 15. März 2012 habe sich durch Zeitablauf erledigt. Den Klägern stehe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einschränkungen zu.
Angezeigt worden sei die Durchführung einer Versammlung über 14 Tage rund um die Uhr. Das Versammlungsrecht kenne keine Höchstdauer, Versammlungen könnten sich durchaus auch über mehrere Wochen erstrecken. Die
Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt konkret die behaupteten Veranstaltungen mit Ort und Zeit genannt, welche in der Innenstadt die Vielzahl öffentlicher Plätze belegten. Die Dauer der Versammlung habe aber gerade die Dauer der
Asylverfahren, die oft mehrere Jahre dauerten, widerspiegeln sollen. Die Dauerhaftigkeit sei deshalb wesentlicher Bestandteil der Versammlung. Dadurch solle auch die Entschlossenheit des Protests zum Ausdruck kommen. Im
Übrigen handele es sich bei den Protestierenden vorwiegend um asylsuchende Iraner, für die die zwei Wochen ab dem 19. März wegen des traditionell zu dieser Zeit stattfindenden Nouruz-Fests eine besondere Bedeutung hätten. Es
sei auch nicht so, dass es nachts um reines Übernachten gehe und die Zelte deshalb lediglich der „neutralen" Unterbringung dienen sollten. Vielmehr habe man die deutsche Praxis, mit Asylsuchenden umzugehen, anprangern und dies
unmittelbar in der Nähe von symbolträchtigen Orten, wie dem Rathaus, der Regierung von Unterfranken oder dem Bahnhof tun wollen. Es habe ein hohes Interesse der Versammlungsteilnehmer bestanden, die Versammlung auch
nachts fortzusetzen. Auch falle der Auftakt des Nouruz-Fests in Deutschland auf die Zeit von Montag, dem 19. März, ca. 23:00 Uhr, bis Dienstag, den 20. März, ca. 06:15 Uhr morgens. Das Demonstrieren zu diesem Zeitpunkt über
Nacht habe eine besondere symbolische Bedeutung. Es könne zudem keine Rede davon sein, dass nachts der Schwerpunkt der Versammlung auf der Übernachtung liegen würde.
Die Polizei hätte sich auch ohne weiteres auf die Situation einstellen können. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands seien nicht gegeben.
Was das Abhalten eines Hungerstreiks auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen betreffe, gewährleiste Art. 8 Abs. 1 GG auch das Selbstbestimmungsrecht über Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Aktionsform des Hungerstreiks
sei dabei eine Form der Versammlung, deren Wahl versammlungsrechtlich geschützt sei. Der Stadt gehe es nur darum, diese Protestform von der Öffentlichkeit festzuhalten. Es sei auch keineswegs so, dass die Öffentlichkeit der
Aktion für deren Zweck nicht von Bedeutung sei. Es solle nicht nur vor der öffentlichen Kulisse, sondern vor allem durch die öffentliche Meinungsbildung, wie es nun einmal im Wesen von Versammlungen mit politischem Zweck
liege, Druck auf die Politik gemacht werden. Ziel des Hungerstreiks sei es, auch lokal auf die Anliegen der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Gerade in der Einbettung des Hungerstreiks in eine öffentliche Versammlung, die ganz
konkret die Beweggründe für den Hungerstreik thematisiere und auf das ständige Leiden der Asylsuchenden in der Gemeinschaftsunterkunft und während der Asylverfahren hinweise, liege die Möglichkeit der Einordnung,
Differenzierung und Reflexion.
Auch bestehe ein besonderer Zusammenhang zwischen der Form des Protests und dem Anliegen, auf das durch den Protest aufmerksam gemacht werden solle. Dies gelte insbesondere bezüglich der selbstbestimmten Ernährung der
Flüchtlinge, welche durch die Praxis der Zuweisung von Essenspaketen eingeschränkt werde. Eine Nahrungsverweigerung am hohen Festtag des Nouruz-Fests habe zudem eine besondere symbolische Bedeutung. Auf die weitere
Klagebegründung wird Bezug genommen.
Demgegenüber beantragte die Beklagte, die Klage abzuweisen. Zur Begründung des Abweisungsantrages wurde ausgeführt, die Beschränkung der Versammlungszeit auf 2 x 2 Tage sei aufgrund der Auslastung der Plätze in der
Innenstadt erforderlich gewesen. Insbesondere der von den Klägern gewünschte Versammlungsort sei im angemeldeten Versammlungszeitraum bereits ausgelastet gewesen, die Kläger hätten aber auf dem Versammlungsort V...
bestanden. Dort wäre es zu einer Überlastung der Fläche gekommen. Aufgrund der unüberschaubaren Vielzahl von Menschen sei mit erheblichen Konflikten der unterschiedlichen Nutzergruppen zu rechnen gewesen. Dies liege an der
auf dem V...platz gegebenen örtlichen Situation mit der Freischankfläche des „...", der Feuerwehrzufahrt in die G...gasse und der Feuerwehrumfahrung vor der C...bank. Tatsächlich habe die Versammlung auf dem V...platz in der
Folgezeit auch zu erheblichen Beeinträchtigungen des anliegenden Einzelhandels und der örtlichen Gastronomie geführt.
In der Nacht habe es sich nicht mehr um eine Versammlung, sondern um reine Übernachtung gehandelt. Das Aufstellen der Zelte in der Nachtzeit gefährde die öffentliche Sicherheit. Während Zelten zur Tagzeit vom Grundrecht der
Versammlungsfreiheit gedeckt sei, bleibe das Nächtigungsverbot nach Abwägung der widerstreitenden Interessen bestehen.
Ein Hungerstreik als freiwillige Selbstgefährdung im öffentlichen Raum gefährde die öffentliche Ordnung. Der Hungerstreik werde nach der Intention der Teilnehmer zudem als Mittel eingesetzt, um den Druck auf die öffentlichen
Ämter auszuüben und von diesen bestimmte Handlungen zu erzwingen. Er sei daher nicht als Form der Versammlung anzusehen. Zwar beinhalte die Versammlungsfreiheit auch das Recht auf Bestimmung der Form der Kundgabe,
dies könne auch der Hungerstreik sein, allerdings sei diese Form vorliegend nicht zur Kundgabe der Meinung über die Situation der Flüchtlinge eingesetzt worden und damit nicht grundrechtlich geschützt gewesen. Der Anmelder
selbst habe jegliche Auf- und Abbauaktivität innerhalb der 14 Tage unter Hinweis auf die durch den Hungerstreik entkräfteten Teilnehmer kompromisslos ausgeschlossen. Nach Wahrnehmung der Versammlungsbehörde habe gerade
auch dieses dauerhafte Verweilen am selben Ort Bestandteil der gewünschten Drohkulisse sein sollen. Das sei so weit gegangen, dass die Anmelder nicht einmal hätten ausschließen können, nach Ablauf der 14 Tage ohne gewünschte
Reaktion des zuständigen Bundesamtes bzw. Ministeriums nicht doch noch länger an der Örtlichkeit verweilen zu wollen.
5. In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013 wiederholten die erschienen Beteiligtenvertreter ihre bereits schriftsätzlich gestellten Klageanträge. Hinsichtlich des weiteren Fortgangs der mündlichen Verhandlung wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
6. Die einschlägigen Behördenakten lagen dem Gericht vor. Die Verfahrensakten W 5 K 12.382, W 5 K 12.383, W 5 K 12.555, W 5 K 13.141, W 5 S 12.238, W 5 S 12.307, W 5 S 12.326, W 5 S 12.335, W 5 S 12.397 und W 5 S
12.494 wurden beigezogen. ...
1. Die Klage ist zulässig. Die Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ist die statthafte Klageart. Die streitgegenständliche Versammlung ist beendet, sodass eine Erledigung der Streitsache eingetreten
ist. Den Klägern steht das notwendige besondere Feststellungsinteresse zu. Sie können nicht auf den im Sofortverfahren gefundenen Rechtsschutz verwiesen werden, weil die Beklagte die angegriffenen Bescheidregelungen nach wie
vor für rechtmäßig hält und die Kläger damit rechnen müssen, im Falle künftiger Versammlungsanmeldungen mit den nämlichen Bescheidregelungen überzogen zu werden.
2. Die Klage ist begründet. Nrn. 3.1 und 3.2 des Bescheides vom 15. März 2012 sind rechtswidrig. Die zeitliche Beschränkung der Versammlung auf zweimal zwei Tage sowie auf den täglichen Zeitrahmen von 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr
ist unzulässig.
Der Veranstalter einer Versammlung bestimmt grundsätzlich über die Dauer der Versammlung. Er gibt den zeitlichen Rahmen vor. Seine Gestaltungsfreiheit bezieht sich also auf den Zeitpunkt und die Dauer seiner Versammlung.
Zwar ist dem Begriff der Versammlung das Element der Zeitweiligkeit immanent (vgl. Lisken, NJW 95, 2475), sodass die zeitliche Begrenzung ein Wesensmerkmal der Versammlung ist (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz,
16. Aufl., Rdnr. 53 zu § 1; vgl. auch Schulze-Fielitz in Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Rdnr. 59 zu Art. 8). Dies schließt aber nicht aus, dass sich eine Versammlung - etwa als Dauermahnwache - über einen längeren Zeitraum
erstreckt, insbesondere wenn ihre Wirksamkeit nach der Auffassung des Veranstalters gerade von ihrer Dauer abhängt (Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO; Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdnr. 21 zu Art. 8; Geis in Berliner
Kommentar zum GG, Rdnr. 33 zu Art. 8). Die zeitliche Grenze ist weit zu ziehen, sie greift jedenfalls ein bei der Bildung einer Vereinigung als einer auf Dauer angelegten Veranstaltung, also bei Vorliegen organisierten Verhaltens
i.S.v Art. 9 GG (Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO; vgl. auch Gusy, aaO).
Eine weitere Grenze können Die Rechte Dritter darstellen, die durch eine Versammlung unangemessen beeinträchtigt werden, beispielweise der Anlieger oder von Veranstaltern, die am gleichen Ort Versammlungen durchführen
wollen (Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO). Solche Rechtsbeeinträchtigungen waren aber vorliegend nicht zu erkennen. Die streitgegenständliche Versammlung war für 14 Tage angemeldet. Eine Versammlungsdauer dieser Größenordnung
ist den Anliegern des Platzes am V..., erst recht im März, wo eine Außenbewirtschaftung witterungsbedingt eher ausscheidet, ohne weiteres zumutbar, zumal nach der Anmeldung von lediglich zehn Teilnehmern auszugehen war. Eine
zahlenmäßig relativ kleine Versammlung lässt ohne weiteres ein geordnetes Nebeneinander von Versammlung und sonstiger Nutzung dieses Versammlungsortes zu. Die Beklagte hatte die Versammlung auch (zurecht) auf einen
bestimmten Teil des Platzes am V... beschränkt. Jedenfalls rechtfertigt die von der Beklagten dargestellte sonstige Nutzung dieses Platzes nicht die vorgenommene zeitliche Beschränkung. Eine geringfügige Behinderung oder
Verhinderung rechtmäßiger Aktivitäten ist hinzunehmen (Schulze-Fielitz, aaO).
Im Zweifelsfall hätten es die Kläger bei Eintritt unvorhergesehener Kollisionen tolerieren müssen, dass während der geplanten zwei Wochen um sie herum diverse sonstige Nutzungen stattfinden und sich der ihnen auf dem Platz zur
Verfügung stehende Raum reduzieren oder verschieben würde.
Selbstverständlich umfasst das Versammlungsrecht auch nächtliche Versammlungen und Versammlungen rund um die Uhr. Die von der Beklagten in den Bescheidgründen aufgeführten Gefahren für die Sicherheit der
Versammlungsteilnehmer tragen die Beschränkung der Versammlung auf die Tagzeit ersichtlich nicht. Ein vorübergehend erhöhter Personaleinsatz bei der Polizei und den Sicherheitsbehörden ist als dem Versammlungsrecht
geschuldet hinzunehmen. Soweit die Beklagte angibt, sie habe durch die Regelung in Nr. 3.2 des Bescheides verhindern wollen, dass auf dem Platz am V... nachts gezeltet und genächtigt werde, rechtfertigt dieses Ansinnen schon vom
Ansatz her nicht ein nächtliches Versammlungsverbot, weil insoweit deutlich weniger in das Versammlungsrecht eingreifende Anordnungen zur Verfügung gestanden hätten.
Nicht rechtmäßig ist auch die Untersagung des von den Teilnehmern der Versammlung geplanten Hungerstreiks. Die Durchführung eines Hungerstreiks kann Bestandteil einer Versammlung sein (vgl. Gusy, aaO). Sie ist kein ganz
unübliches Mittel, um einer Meinung entsprechenden Nachdruck zu verleihen (BayVGH, B.v. 19.6.2012 Nr. 10 CS 12.1419). Der Veranstalter der Versammlung bestimmt, was er zum Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung
machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung er sich bedienen will (Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO, Rdnrn. 54 ff. zu § 1). Die von der Beklagten aufgezeigten Probleme von Passanten mit hungerstreikenden
Versammlungsteilnehmern sind der gewählten Versammlungsart immanent und hinzunehmen. Rechte Dritter werden nicht über Gebühr beeinträchtigt. Die tatsächlich entstehenden Beeinträchtigungen sind dem Versammlungsrecht
untergeordnet. Die Durchführung eines Hungerstreiks im Rahmen einer Versammlung unter freiem Himmel ist auch keine Störung der öffentlichen Ordnung. Dies gilt jedenfalls für die frühen Phasen eines Hungerstreiks. ..." (VG
Würzburg, Urteil vom 14.03.2013 - W 5 K 12.322)
***
„... I. Es wird festgestellt, dass Nr. 1.5, Nr. 1.6 Satz 2, Nr. 1.20, Nr. 1.26 Satz 3 sowie Nr. 1.29 Satz 1 Halbsatz 2 bis 3 und Satz 2 bis 4 des Bescheides der Stadt Würzburg vom 15. Juni 2012 rechtswidrig gewesen sind. Im Übrigen
wird die Klage abgewiesen. ...
1. Unter dem 13. Juni 2012 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten bei der Beklagten die Durchführung einer ‚Dauerversammlung zum Thema Asylrecht in der Form des Hungerstreiks rund um die Uhr, vom 16. Juni 2012 bis
einschließlich 16. August 2012' anmelden. Auf den weiteren Inhalt der Anmeldung wird Bezug genommen.
2. Mit Bescheid vom 15. Juni 2012 setzte die Beklagte für die angemeldete Versammlung u.a. folgende Beschränkungen fest:
‚1.5. Personen, die sich zum Zwecke der Versammlung selbst verstümmeln, dürfen an der Versammlung nicht teilnehmen. Unter körperliche Verstümmelung fällt insbesondere das Zunähen von Mündern.
Gegebenenfalls hat der Versammlungsleiter solche Personen von der Versammlung auszuschließen.
1.6. Personen, die durch die Teilnahme an der Versammlung gegen ihre Residenzpflicht aus § 56 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) verstoßen, dürfen an der Versammlung nicht teilnehmen. Entsprechende Personen hat
der Versammlungsleiter gegebenenfalls von der Versammlung auszuschließen.
1.15. Das Aufstellen von Betten ist untersagt.
1.17. Als Kundgebungsmittel sind zugelassen:
- maximal 6 Stühle, die klapp-/stapelbar sein sollten
- ein Tisch, in einer Größe von max. 2 x 0,5 m für die Auslage von Info-Material, Unterschriftenlisten
- ein Pavillon (3 x 3 m)
- Plakate
- Bilder - Bilder und Plakate dürfen an einzelnen Seiten des Pavillons nicht den Eindruck der völligen Geschlossenheit erzeugen.
1.19. Der Pavillon muss auf allen Seiten durchgehend offen sein.
1.20. Bei der Versammlung dürfen keine Plakate oder Bilder verwendet werden, die Personen, die sich zum Zwecke der Versammlung selbst verstümmeln, darstellen. Das gilt insbesondere für das Darstellen der
zugenähten Münder.
1.26. Während der Versammlung ist jeglicher Alkoholkonsum durch die Versammlungsteilnehmer untersagt. Erkennbar alkoholisierten Personen ist die Teilnahme nicht gestattet. Der Versammlungsleiter und sein
Vertreter haben dieses Verbot durchzusetzen.
1.29. Bei Beendigung der Versammlung hat der verantwortliche Leiter diese sofort für beendet zu erklären und die Teilnehmer zum unverzüglichen Verlassen des Versammlungsortes sowie zur Mitnahme mitgeführter
Kundgebungsmittel aufzufordern. Sie sind darauf hinzuweisen, dass weitere Versammlungen gesetzeswidrig sind. Der Versammlungsort ist nach Schluss der Veranstaltung in einem ordnungsgemäßen und sauberen
Zustand zu hinterlassen. Evtl. Verunreinigungen sind vom Veranstalter sofort und gründlich zu beseitigen.'
Zur Begründung wurde auf die Entwicklung und Ausgestaltung der am 19. März 2012 begonnenen Versammlung hingewiesen, deren Fortsetzung die nunmehr angemeldete Versammlung sei.
Personen, die sich zum Zwecke der Versammlung körperlich selbst verstümmelten, worunter auch das Zunähen der Münder zu fassen sei, stellten eine Störung der öffentlichen Ordnung dar. Es sei mit den anerkannten Regeln der
Gesellschaftsordnung und der Verkehrssitte nicht vereinbar, die Gesellschaft öffentlich mit einem so sensiblen Eingriff in die körperliche Integrität zu konfrontieren. Die Konfrontation verstärke sich zudem durch eine tatsächliche
Unvermeidbarkeit der Wahrnehmung. Daher sei auch der Einsatz von Bildern und Plakaten ‚von zum Versammlungszweck selbstverstümmelten Personen' zu untersagen gewesen. In der Fußgängerzone bewegten sich auch junge
Familien, Kleinkinder und Jugendliche. Zur Vermeidung psychisch belastender Wahrnehmungen bis hin zu traumatischen Erlebnissen seien entsprechende Beschränkungen erforderlich und angemessen.
Die Teilnahme von Personen, die ihre Residenzpflicht nach § 56 AsylVfG verletzten, stelle eine Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat dar.
Das Versammlungsrecht schütze seinem Wesen nach das Zusammenkommen und Zusammenbleiben von Menschen zum Zwecke der kollektiven Meinungskundgabe als spezielle Form individueller Freiheitsentfaltung, umfasse aber
nicht zugleich das Recht, körperliche Gegenstände wie Wohnwägen und Zelte samt reichhaltigem Inventar in die Versammlung einzubringen. Dies gelte auch für das Aufstellen von Betten. Die Erfahrungen der letzten Wochen hätten
gezeigt, dass diese nach wie vor ausschließlich dem Zwecke des dauerhaften Nächtigens dienten. Dies werde auch in der Versammlungsanmeldung vom 13. Juni 2012 deutlich, in der für jeden Teilnehmer ein ‚persönliches' Bett
gefordert werde.
Bei konsequenter Umsetzung der Überlegungen des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 12. April 2012 Nr. 10 CS 12.767 seien, im Lichte der Situation vor Ort gesehen, bei den Kundgebungsmitteln die bisherigen zwei
Pavillon auf einen Pavillon zu reduzieren gewesen. Dieser müsse dauerhaft zu allen Seiten geöffnet sein. Denn der zweite Pavillon diene seit dem 13. April 2012 weder dem konkreten Versammlungszweck noch der damit kollektiven
Aussage der Teilnehmer. Dies ergebe sich bereits augenscheinlich daraus, dass der zweite Pavillon seit dem Umzug auf den Unteren Markt zunächst durchgehend geschlossen gewesen sei. In diesem Bereich sei weder eine
Unterbringungssituation demonstriert worden noch sei auf andere Art irgendeine Meinungskundgabe erfolgt. Bereits diese Verschlossenheit widerspreche dem Charakter einer Versammlung unter freiem Himmel, die strukturell nach
außen gewandt sei und bei der jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme ermöglicht sei. Dazu komme, dass gerade der zweite Pavillon in den letzten Wochen unter dem versammlungsrechtlichen Fokus völlig
zweckentfremdet werde, da die Teilnehmer darin regelmäßig bis hin zum gesamten Zeitraum des individuellen Schlafbedarfs schliefen. Der zweite Pavillon habe also gerade nicht das abwechselnde Ausruhen aller dauerhaft vor Ort
Verweilenden zum Zweck. Zudem wirke sich die Größe der Veranstaltung, resultierend aus der Aufstellung eines zweiten Pavillons, nachteilig auf die umliegenden Geschäfte aus. Dieser Effekt werde durch die vollständige
Schließung noch verstärkt. Nur durch die Reduktion auf einen Pavillon, der dauerhaft nach allen Seiten offen sein müsse, werde ein ausgewogenes Ergebnis für alle Grundrechtsträger erzielt. Lediglich die sechs Stühle mit einem Tisch
sowie ein offener Pavillon seien das, was bei objektiver Betrachtung vor Ort dem Versammlungszweck tatsächlich diene.
Auf die weitere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
3. Mit Beschluss vom 19. Juni 2012 Nr. W 5 S 12.494 ordnete das Verwaltungsgericht Würzburg die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage des Klägers gegen Nrn. 1.5, 1.6 Satz 2, 1.20, 1.26 Satz 3 und 1.29 (mit
Ausnahme der Regelung in Satz 1 Alt. 1) des Bescheides der Beklagten vom 15. Juni 2012 an.
Unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses ordnete der Bayer. Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. Juli 2012 Nr. 10 CS 12.1419 die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage des Klägers auch
gegen Nrn. 1.15, 1.17 und 1.19 des Bescheides vom 15. Juni 2012 an.
Auf den weiteren Inhalt der Gerichtsentscheidungen wird Bezug genommen.
4. Am 4. Juli 2012 ließ der Kläger bei Gericht Klage erheben mit dem Antrag, die Nrn. 1.5, 1.6 Satz 2, 1.15, 1.17, 1.19, 1.20, 1.26 Satz 3 und 1.29 (mit Ausnahme der Regelung in Satz 2 Alt. 1) aufzuheben.
Zur Klagebegründung wurden die Situation und die Motive der Versammlungsteilnehmer sowie die Entwicklung der seit dem 19. März 2012 andauernden Versammlung dargestellt.
Darüber hinaus wurde vorgetragen, der vorliegende Hungerstreik mit zugenähten Mündern unterscheide sich hinsichtlich der Selbstgefährdung nicht wesentlich von einem normalen Hungerstreik. Von einem ‚Verstümmeln' könne
keine Rede sein. Die Aktionsform des Hungerstreiks mit zugenähten Lippen sei eine Form der Versammlung, deren Wahl von Art. 8 GG geschützt werde. In Nr. 1.5 des angegriffenen Bescheides werde zudem vom
Versammlungsleiter rechtlich Unmögliches verlangt, weil diesem kein Ausschlussrecht für Versammlungsteilnehmer zustehe. Dieses Recht habe nur die Versammlungsbehörde. Gleiches gelte für Nr. 1.6 Satz 2 des Bescheides, der
den Versammlungsleiter verpflichte, Personen, die gegen die Residenzpflicht verstießen, von der Versammlung auszuschließen. Eine Kontrolle aller Teilnehmer nach Verstößen gegen die Residenzpflicht sei dem Versammlungsleiter
auch tatsächlich kaum möglich, bzw. zumindest unzumutbar.
Eine Versammlung rund um die Uhr ziehe das zwangsläufige Bedürfnis nach einem zeitweiligen Ausruhen oder auch Schlafen der einzelnen Demonstrationsteilnehmer nach sich, das durch Art. 8 GG geschützt sei, um eine effektive
Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmer zu gewährleisten. Die angezeigten Betten seien funktional notwendige Kundgebungsmittel, um dies zu ermöglichen. Nr. 1.15 des Bescheides sei deshalb rechtswidrig.
Mit den nach Nr. 1.17 des Bescheides reduzierten Kundgebungsmitteln sei die Versammlung nicht im notwendigen Maße durchführbar. Der bereits vorhandene Doppelpavillon solle erhalten werden und mit einer entsprechenden
Anzahl von Tischen und Stühlen ausgestattet werden, um weiterhin neben dem Hungerstreik Diskussionsrunden, Unterschriftenaktionen, Pressekonferenzen, Aktionen, die Ausgabe von Info-Material etc. betreiben zu können.
Angesichts der erhöhten Teilnehmerzahl sei eine deutliche Erhöhung der Anzahl von Sitzgelegenheiten neben den Betten insbesondere für den Diskussionsbereich in den Pavillons notwendig. Dauerversammlungen benötigten
Informationsstände, um Flyer, Computer und andere notwendige Kundgebungsmittel ausreichend vor dem Einfluss der Witterung schützen zu können.
Müsse der Pavillon auf allen Seiten durchgehend offen sein, könne der Schutz des Informationsmaterials, der verwendeten Computer und anderer Kundgebungsmittel vor Feuchtigkeit wie z.B. Regen nicht sichergestellt werden.
Zudem sei eine Mahnwache rund um die Uhr ohne Schutz der Versammlungsteilnehmer vor Regen und Wind gesundheitlich kaum durchzustehen. Dies gelte besonders für durch Hungerstreik geschwächte Personen.
Soweit Nr. 1.20 regele, bei der Versammlung dürften keine Plakate oder Bilder verwendet werden, die Personen, die sich zum Zwecke der Versammlung selbst verstümmelten, darstellten, gelte das zu Nr. 1.5 des Bescheides
Ausgeführte. Vergleichbare Bilder fänden sich zudem in jeder Nachrichtensendung oder Zeitung. Bilder von den zugenähten Mündern der Flüchtlinge seien z.B. in der ... abgedruckt gewesen, die in W...g ohne weiteres für jeden
zugänglich sei und an vielen Orten offen ausliege. Soweit Jugendliche und Kinder von entsprechenden Bildern beeinträchtigt werden könnten, liege die Verantwortung für den entsprechenden Schutz grundsätzlich bei den Eltern.
Soweit Nr. 1.26 Satz 3 des Bescheides vom Versammlungsleiter verlange, das Verbot der Teilnahme erkennbar alkoholisierter Personen an der Versammlung durchzusetzen, werde wieder etwas rechtlich Unmögliches verlangt, weil
dem Versammlungsleiter kein Ausschlussrecht zustehe.
Versammlungen, die nichts mehr mit der gegenständlichen Versammlung zu tun hätten, seien keineswegs per se gesetzeswidrig. Soweit dies dennoch der Fall sei, sei es allein Aufgabe der Polizei, gegebenenfalls notwendige
Platzverweise zu erteilen. Außerdem falle bei Versammlungen, die keine kommerziellen Veranstaltungen oder bloße Ansammlungen darstellten, nach der Love Parade-Rechtsprechung die Beseitigung gegebenenfalls anfallender
Verunreinigungen nicht in den Verantwortungsbereich der Versammlungsleitung.
Auf die weitere Klagebegründung wird Bezug genommen.
Demgegenüber beantragte die Stadt Würzburg, die Klage abzuweisen. Auf die Begründung des Klageabweisungsantrages wird Bezug genommen.
5. In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013 stellte die Klägerbevollmächtigte folgenden Klageantrag: Es wird festgestellt, dass die Nrn. 1.5, 1.6 Satz 2, 1.15, 1.17 (soweit der Pavillon und der Tisch betroffen sind), 1.19,
1.20, 1.26 Satz 3 und 1.29 (mit Ausnahme der Regelung in Satz 2 Alt. 1) des Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2012 rechtswidrig waren. Der Beklagtenvertreter wiederholte seinen bereits schriftsätzlich gestellten
Klageabweisungsantrag. ...
6. Die einschlägigen Behördenakten lagen dem Gericht vor.
Die Verfahrensakten W 5 K 12.322, W 5 K 12.382, W 5 K 12.383, W 5 K 13.141, W 5 S 12.238, W 5 S 12.307, W 5 S 12.326, W 5 S 12.335, W 5 S 12.397 und W 5 S 12.494 wurden beigezogen....
1. Die Klage ist zulässig.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ist die statthafte Klageart. Die streitgegenständliche Versammlung ist beendet, so dass eine Erledigung der Streitsache eingetreten ist. Dem Kläger steht das
notwendige besondere Feststellungsinteresse zu. Er kann nicht auf den im Sofortverfahren gefundenen Rechtsschutz verwiesen werden, weil die Beklagte die angegriffenen Bescheidregelungen nach wie vor für rechtmäßig hält und der
Kläger damit rechnen muss, im Falle künftiger Versammlungsanmeldungen mit den nämlichen Bescheidregelungen überzogen zu werden.
2. Die Klage ist teilweise begründet.
a) Die in Nrn. 1.5 und 1.20 des angegriffenen Bescheides getroffenen Regelungen sind rechtswidrig.
Die Bescheidbegründung rechtfertigt die Regelungen lediglich durch die Behauptung einer Bedrohung von Schutzgütern der öffentlichen Ordnung.
Eine solche Bedrohung kommt als Auflagengrundlage ohnedies schon kaum in Betracht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl, RdNr. 34 zu § 15 VersG m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt zudem eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze i.S. des Art 5 Abs. 2 GG in Frage (BVerfG, B.v. 23.6.2004 Nr.
1 BvQ 19/04; BVerfG, B.v. 14.5.1985 Nr.1 BvR 341/81). Dies gilt auch für die Form der Meinungsäußerung. Allgemeingesetzliche Regelungen, die die Teilnahme von Personen an Versammlungen ausschließen könnten, welche ihre
Münder zugenäht oder sich sonst wie verstümmelt haben, sind nicht ersichtlich, insbesondere liegt keine Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit solchen Handelns vor. Dass die von Versammlungsteilnehmern gewählte Art des Protestes
von weiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt und/oder als abstoßend und unangebracht angesehen wird, mag sein, ist aber nicht geeignet, das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG zu überwinden.
Auch das Versammlungsrecht legitimiert zur Wahl der Art und Weise der Kundgebung. Dazu kann die Präsentation schockierender Darstellungen gehören, solange diese nicht gegen Strafgesetze verstoßen oder eine
Ordnungswidrigkeit darstellen. Eine unzulässige, weil gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßende ‚Schockkundgabe' ist zudem in der Tatsache, dass sich einige Teilnehmer der Versammlung den Mund in den Mundwinkeln mit dünnen
Fäden zugenäht haben, noch nicht zu erkennen. Die Fäden sind nur bei näherem Hinsehen zu erkennen. Über die Presseberichterstattung und Bildreportagen wurde das Zunähen der Münder auch allgemein bekannt, sodass eine
Konfrontation mit einem dieser Teilnehmer kein nicht mehr verkraftbares Schockerlebnis dargestellt hätte. Zudem hätte es allen unbeteiligten Personen freigestanden, sich die Teilnehmer am Veranstaltungsort anzusehen oder eben
den Veranstaltungsort zu meiden (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2012 Nr. 10 CS 12.1419).
Es ist auch nicht so, dass durch den verschärften Hungerstreik und das Zunähen der Münder keine Meinung mehr kundgegeben, sondern versucht worden wäre, die eigene Meinung zwangsweise durchzusetzen. Zwar beabsichtigten
Versammlungsteilnehmer offensichtlich, auch eigene Interessen durchzusetzen (insb. die Anerkennung als Asylberechtigte), bei einer Gesamtbetrachtung überwog aber der Charakter der Versammlung als kollektive
Meinungskundgabe zum Versammlungsthema ‚Asylpolitik' (BayVGH, a.a.O.). Dazu kommt, dass die von einigen Teilnehmern vorgenommene ‚Selbstverstümmelung' nicht als bloße zwangsweise Durchsetzung der eigenen Interessen
dieser Teilnehmer gewertet werden konnte. Denn auch wenn sich einige Teilnehmer als Ausdruck ihres verschärften Hungerstreiks den Mund zugenäht haben, wurden dadurch weder Dritte unmittelbar beeinträchtigt noch konnte es
den Teilnehmern gelingen, damit ihr Anliegen gegenüber dem Staat zwangsweise durchzusetzen. Denn der gegen staatliche Stellen gerichtete Protest konnte bei Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze (insbesondere des Grundsatzes
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG) keine erzwungenen rechtswidrigen Entscheidungen erreichen (BayVGH, a.a.O.).
Nrn. 1.5 und 1.20 des Bescheids erweisen sich deshalb als rechtswidrig.
b) Rechtswidrig ist auch die in Nr. 1.6 Satz 2 und Nr. 1.26 Satz 3 des Bescheids vom 15. Juni 2012 getroffene Regelung.
Nach Nr. 1.6 Satz 2 des Bescheids sind Personen, die durch ihre Teilnahme an der Versammlung gegen ihre Residenzpflicht aus § 56 AsylVfG verstoßen, durch den Versammlungsleiter von der Versammlung auszuschließen.
Der Versammlungsleiter hat aber kein Recht zum Ausschluss von Teilnehmern der Versammlung (Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 34 zu § 18; Heinhold in Wächtler/Heinhold/Merk, BayVersG, RdNr. 9 zu Art.4). Hätte die
Beklagte den Begriff des Ausschlusses in dem in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Gericht vom 19. Juni 2012 im vorausgegangenen Sofortverfahren W 5 S 12.494 dargelegten, eingeschränkten Sinne verstanden wissen wollen,
hätte sie dies im Bescheidtenor oder zumindest in den Bescheidgründen darlegen müssen. Ob es im Übrigen zulässig gewesen wäre, den Versammlungsleiter zu verpflichten, im Einzelfall zu erklären, dass bestimmte Personen nicht
mehr Bestandteil seiner Demonstration, also personell nicht mehr in die Versammlung einbezogen seien, erscheint zudem fraglich, weil im Ergebnis nichts anderes als ein Ausschluss des Betroffenen intendiert wäre.
Die tatsächlich getroffene Regelung übernimmt aber jedenfalls ohne weitere Erläuterungen die Formulierung des BayVersG (vgl. Art. 15 Abs. 5 BayVersG) und kann so keinen Bestand haben.
Nr. 1.26 Satz 3 des Bescheides verpflichtet den Versammlungsleiter und seinen Stellvertreter zur Durchsetzung des verfügten Alkoholverbots und des Verbots der Teilnahme erkennbar alkoholisierter Personen an der Versammlung.
Der Versammlungsleiter und sein Vertreter haben keine rechtliche Handhabe, aber auch keine rechtliche Verpflichtung, das in Nr. 1.26 Satz 1 ausgesprochene Verbot durchzusetzen. Sie können sich nur an die Polizei wenden. Damit
ist auch diese Regelung rechtswidrig.
c) Auch für die in Nr. 1.29 Satz 1 Halbsätze 2 bis 3, Sätze 2 bis 4des angegriffenen Bescheids getroffenen Regelungen gibt es keine versammlungsrechtliche Grundlage. Die Pflichten des Leiters enden mit der Versammlung.
Verfügungen, die dem Leiter auch noch nach Beendigung der Versammlung nach Art. 15 BayVersG Pflichten auferlegen, sind unzulässig (Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 50 zu § 15).
3. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
a) Soweit der angegriffene Bescheid in Nr. 1.15 die Aufstellung von Betten untersagt, erweist sich die getroffene Anordnung als rechtmäßig.
Grundsätzlich sind schon Pavillons, die Informationsstände beherbergen, versammlungsrechtlich nicht geschützt (BVerwG, U.v. 7.6.1978 Nr. 7 C 5.78, BVerwGE 56, 63; BVerfG, B.v. 22.12.1976 Nr. 1 BvR 306/76, NJW 77, 671).
Dies gilt jedenfalls für Informationsstände, die auf einen dauerhaften Betrieb ausgelegt sind, also über die kurzfristige Begleitung einer Demonstration oder Kundgebung hinausgehen. Informationsstände unterfallen grundsätzlich den
Vorgaben des Straßen- und Wegerechts bzw. des Ortsrechts und genießen keine versammlungsrechtlichen Privilegien.
Erst recht gilt dies für einen zweiten Pavillon, der noch nicht einmal für die Unterbringung eines Informationsstands vorgesehen war, sondern zu Aufenthaltszwecken. Der zweite Pavillon wurde von Beginn der Versammlung an
primär als Lager- und Schlafstätte genutzt. Davon konnte sich die erkennende Kammer vor Ort überzeugen. Der zweite Pavillon wurde letztlich funktional wie ein Zelt genutzt. Der Aufbau und Betrieb von Zelten und wie Zelte
genutzten Pavillons konnte nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG untersagt werden, weil Zelte und wie Zelte genutzte Pavillons vorliegend keine Versammlungsbestandteile waren. Nichts anderes gilt für die Nutzung von Betten.
Grundsätzlich sind Veranstalter von Versammlungen zwar berechtigt, darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Form der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen
wollen (BVerwG, U.v. 21.4.1989 Nr. 7 C 50/88). In ganz außergewöhnlichen Einzelfällen kann es auch möglich sein, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen (OVG Münster, B.v. 23.9.1991 Nr. 5 B 2541/91).
Einem solchen Zweck dienten die von den Versammlungsteilnehmern aufgestellten Zelte und der zweite Pavillon unter den vom Gericht täglich beobachteten Gegebenheiten aber nicht. Vielmehr wies die Versammlung von Anfang an
den Charakter eines ‚wilden' Camps auf. Die Zelte und der zweite Pavillon dienten der Unterbringung der Teilnehmer und von Sympathisanten der Hungerstreikaktion sowie dem Schutz vor den Witterungsbedingungen.
Eine versammlungsrechtlich relevante Symbolwirkung kam dem Camp aus Pavillons mit Liegeflächen, Igluzelten und zeitweise einem beheizten Versorgungszelt ersichtlich nicht zu. Die dem Camp von der Klägerseite zugesprochene
Symbolik, mit den Zelten (und den darin aufgestellten Betten) solle ‚die deutsche Praxis, mit Asylsuchenden umzugehen in der Nähe von symbolträchtigen Orten wie dem Rathaus' thematisiert werden (vgl. Antragsschrift im
Verfahren W 5 S 12.238), vermochte die Kammer zu keiner Zeit zu erkennen. Entscheidend ist aber, ob für einen außenstehenden Beobachter das Camp als Kundgebungsmittel erscheint oder ob es - wie vorliegend - dazu dient,
möglichst gute Rahmenbedingungen für die Versammlung zu schaffen (Ott/Wächtler/Heinold, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 7. Aufl., RdNr. 21 zu § 1).
Bei Zugrundelegung des versammlungsrechtlichen Verständnisses der Klägerseite wäre das Erfordernis der gemeinschaftlichen Meinungsäußerung letztlich konturlos (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 14.4.2005 Nr. 1 S 2362/04).
Zelte, wie Zelte genutzte Pavillons und Betten sind der vom Veranstalter gewählten ‚Versammlung unter freiem Himmel' (Art. 13 BayVersG) grundsätzlich wesensfremd. Vom Versammlungsrecht nicht umfasst ist nämlich das Recht,
körperliche Gegenstände wie Zelte oder Wohnwagen mit Inventar (wie Betten) in die Versammlung einzubringen (Dietlein, Zeltlager der Roma als Versammlung i.S. des § 1 VersG, NJW 92, 1066). Das Recht auf Versammlungen
unter freiem Himmel gewährleistet grundsätzlich noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf das Aufstellen von Sitzgelegenheiten (BayVGH, U.v. 28.4.1978 Nr. 91 VIII/78, NJW 78, 1939).
Die mit Lichtbildern belegten Feststellungen der Polizeiinspektion W...g-Ost vom 15. Mai 2012 (vorgelegt im Verfahren W 5 S 12.397), haben den augenscheinlich gewonnenen Eindruck der Kammer bestätigt, dass die den Klägern
bis dahin zugestandenen Pavillons nach wie vor (vgl. VG Würzburg, B.v. 20.4.2012 Nr. W 5 S 12.335) zu beinahe ausschließlich logistischen Zwecken genutzt werden sollten. Erst recht gilt dies für die dort aufgestellten Betten. Im -
zumindest teilweise - geschlossenen Pavillon waren ‚unzählige Wolldecken, Federbetten und Kissen' gelagert (vgl. Unterschrift zu Bild 22 der Lichtbilddokumentation der PI W...-Ost vom 15.5.2012). Auch aus den vorgelegten
Lichtbildern ergibt sich also eindeutig der Eindruck, dass der geschlossene Pavillon mit den dort aufgestellten Betten ausschließlich dem Schlafen und Nächtigen diente. Sogar im angebauten offenen Pavillon befanden sich ein
Feldbett, Eimer, eine Kabeltrommel, ein Wasserkocher, ein Tisch, drei Stühle, eine Gitarre, Nahrungsmittel und weitere Gegenstände des häuslichen Gebrauchs. In und hinter den Pavillons waren Müllsäcke mit entsprechendem Inhalt
abgelegt. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass jedenfalls der geschlossene (zweite) Pavillon die Funktion eines Zelts übernommen hatte.
Auch unter dem Blickwinkel der Fortsetzung des Hungerstreiks von Versammlungsteilnehmern war die Verwendung von Zelten, eines wie ein Zelt genutzten Pavillons sowie von Betten nicht gerechtfertigt. Selbstverständlich können
auch Hungerstreikende von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch machen. Wer sich aber nicht in geschlossenen Räumen, sondern unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der jeweils herrschenden Witterung aus und
kann nicht aus dem Recht der Versammlungsfreiheit ein Recht auf Aufstellung von Pavillons und von Zelten und Betten ableiten (vgl. auch VG Berlin, B.v. 23.12.2003 Nr. 1 A 361.03; B.v. 25.8.2011 Nr. 1 L 282.11). Betätigungen,
die der demokratischen Meinungsbildung nicht wesensimmanent sind, werden nicht vom Versammlungsrecht geschützt (vgl. auch Kanther, Zur Infrastruktur von Versammlungen: Vom Imbissstand bis zum Toilettenwagen, NVwZ 01,
1239; VG Stuttgart, B.v. 23.8.2006 Nr. 5 K 3128/06). Weder der Schutz des Art. 8 GG noch des BayVersG reicht so weit, dass daraus beliebige günstige (bequemere) Rahmenbedingungen für eine Versammlung hergeleitet werden
könnten (vgl. auch VG Berlin, a.a.O.). Kann ein Hungerstreikender aufgrund seines Zustandes nur zeitweise oder gar nicht mehr der Versammlung beiwohnen, so liegt dies ausschließlich in seiner Rechts- und Verantwortungssphäre.
Nur so kann der Charakter einer Versammlung unter freiem Himmel gewahrt bleiben, die vorliegend vom Veranstalter gewählt worden ist (Art. 13 BayVersG). Eine Abwälzung dieser Probleme auf die Versammlungsbehörden ist unzulässig.
Der Ausstrahlungsbereich des Versammlungsrechts erfasst nicht alle Versammlungen in gleicher Weise, sondern entfaltet nach der Art der Versammlung differenzierende Wirkung. Eine Versammlung unter freiem Himmel unterliegt
anderen tatsächlichen Gegebenheiten und prägenden Strukturen als eine Versammlung in geschlossenen Räumen (BayVGH, B.v. 28.4.1978 Nr. 91 VIII/78, a.a.O.). Die Versammlung unter freiem Himmel ist strukturell nach außen
gewandt, soll jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglichen (BayVGH, a.a.O.). Versammlungen unter freiem Himmel sind aber nur solche, die von ihrer
Umgebung nicht durch feste Außenwände abgegrenzt sind (vgl. nur Depenheuer in Maunz/Dürig/Herzog, GG, RdNr. 133 zu Art. 8, m.w.N.), wobei auf die Seitenbegrenzung abzustellen ist (Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier,
Versammlungsrecht, RdNr. 62 zu § 15 VersG, Rd.Nr. 39 zu Art. 8 GG, m.w.N.; Heinhold in Wächtler/Heinhold/Merk, BayVersG, RdNr. 6 vor Art. 10, m.w.N.). Versammlungen in Zelten oder geschlossenen Pavillons sind
Versammlungen in geschlossenen Räumen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., RdNr. 7 zu Abschnitt II; Heinhold, a.a.O., RdNr. 7 vor Art 10), auch wenn man zu ihrer Charakterisierung neue Anglizismen wie hier ‚Refugee Tent
Action' bemüht.
Das Aufstellen von Betten steht der Veranstaltung einer Versammlung unter freiem Himmel diametral entgegen.
Die Untersagung des Aufstellens von Betten stellt auch keine zeitliche Reglementierung der Versammlung dar. Das nächtliche Verweilen zum Zwecke der Versammlung ist nicht berührt. Diskussionen mit Teilnehmern und
Interessenten hätten auch weiterhin ‚bis tief in die Nacht' (vgl. C 3. f) der Antragsschrift im Sofortverfahren W 5 S 12.307) erfolgen können. Die Versammlung hätte weiterhin zur Tag- wie zur Nachtzeit stattfinden können. Das durch
die versammlungsbehördliche Anordnung behinderte oder unmöglich gemachte Schlafen von Versammlungsteilnehmern am Versammlungsort war vorliegend nicht Ausdruck der Willensbildung der Versammlungsteilnehmer.
Versammlungen erfordern vielmehr - von möglichen Sonderformen abgesehen - grundsätzlich die aktive, wache Teilnahme.
Der Kläger weist zwar zurecht darauf hin, dass das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung weit reicht. Es ist aber nicht uferlos. Zumindest ist es Sache des Veranstalters einer Versammlung, sich zu entscheiden,
ob er eine Versammlung unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen veranstalten will. Diese Unterscheidung gibt auch das BayVersG vor. Wird - wie vorliegend - eine Versammlung unter freiem Himmel angezeigt, so ist mit
situationsbedingten Einschränkungen und Unannehmlichkeiten zu rechnen, die bei Versammlungen in geschlossenen Räumen nicht auftreten und umgekehrt. Letztlich wurden die von den Versammlungsteilnehmern aufgestellten
Zelte und zumindest der zweite Pavillon einschließlich der dort bereiteten Schlafgelegenheiten bar jeder Symbolik als Aufenthalts- und Schlafgelegenheiten benutzt. Die den Zelten und dem zweiten Pavillon beigegebene Symbolik hat
es nicht gegeben. Sie wurde nur behauptet, um eine der Rechtsprechung des OVG Münster (B.v. 23.9.1991 Nr. 5 B 2541/91) vergleichbare Situation zu suggerieren.
Zwar mag es durchaus nachvollziehbar sein, dass der Veranstalter einer Versammlung eine andauernde Präsenz von Versammlungsteilnehmern ‚rund um die Uhr' als für sein Anliegen erforderlich erachtet. Auch länger andauernde
Versammlungen, etwa Dauermahnwachen oder dergleichen, unterfallen deshalb ohne Weiteres dem Schutzzweck des Versammlungsrechts. Das dabei entstehende Bedürfnis nach einem zeitweiligen Schlafen der
Versammlungsteilnehmer am Versammlungsort ist aber nicht mehr vom Versammlungsrecht geschützt. Es ist vielmehr Sache der Versammlungsteilnehmer, gegebenenfalls erforderliche Schlafpausen in Wohnräumen abseits des
Versammlungsortes zu absolvieren. Einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit von Versammlungsteilnehmern, die an einer über Wochen und Monate dauernden Versammlung unter freiem Himmel teilnehmen, vermag die
erkennende Kammer darin nicht zu erkennen. Hält man das Schlafen am Versammlungsort in Betten, noch dazu in Zelten oder zeltähnlichen Gebilden, als vom Versammlungsrecht erfasst, wäre auch dieses Recht ohne Kontur. Die
Folge wären auf Versammlungsrecht gründende wilde Camps ohne zeitliche und ordnungsrechtliche Reglementierung.
Dies gilt auch, wenn man Schlafen als Ruhepause zulassen wollte. Eine Abgrenzung kürzerer Schlafpausen vom Durchschlafen oder Ausschlafen ist praktisch nicht möglich, der Vollzug entsprechender Einschränkungen durch die
Polizei kann nicht sinnvoll erfolgen. Dies hat die vorliegende Versammlung ansprechend erwiesen (vgl. die sehr überzeugende Aufstellung der Polizeiinspektion W...-Ost vom 14.8.2012, Behördenakte im vorliegenden Verfahren).
Lässt man das Schlafen der Versammlungsteilnehmer einer Versammlung unter freiem Himmel zu, ist ein dauerhaftes Kampieren auf öffentlichen Flächen die nicht zu verhindernde Folge. So entstand auch im Rahmen der
vorliegenden Versammlung von Anfang an nichts anderes als ein nicht vom Versammlungsrecht geschützter Ersatz für die Unterbringung von Versammlungsteilnehmern in der Gemeinschaftsunterkunft, quasi ein unzulässiges Ersatz-Obdach.
Gerade das Prinzip der ‚Typenfreiheit' der Versammlung verlangt aber zugleich erhöhte Wachsamkeit im Hinblick auf das Erfordernis der kollektiven Meinungskundgabe, um derentwillen das Versammlungsrecht die
Versammlungsfreiheit gegenüber anderen Formen menschlicher Freiheitsentfaltung privilegiert und also den Bürgern die Pflicht zur Hinnahme der mit der Ausübung dieses Rechts sozialüblich verbundenen Behinderungen auferlegt
(Dietlein, a.a.O.). Gerade mit der auch bei der streitgegenständlichen Versammlung zu beobachtenden, zunehmenden Verfestigung der Veranstaltung wurden Überschneidungen zwischen Zwecken der kollektiven Meinungskundgabe
und der individuellen Lebensgestaltung unvermeidlich, wobei diese grundsätzlich umso undurchsichtiger werden, je weiter die Gestaltung der Versammlung den Eigentümlichkeiten individueller Lebensführung angenähert ist
(Dietlein, a.a.O.). Mutiert mit zunehmender Verweildauer, wenn nicht - wie vorliegend - gar von Anfang an, die Gestaltung der individuellen Lebensführung zum eigentlichen ‚Medium' der Meinungskundgabe, droht die Paradoxie,
dass die durch spezifische Eigentümlichkeiten geprägte Lebensführung der Versammlungsteilnehmer einem permanenten privilegierenden Sonderrecht unterstellt wird (Dietlein, a.a.O.). Der Ausgleich zwischen der
verfassungsrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht im Rahmen eines vorgeschalteten Erlaubnisverfahrens, sondern allein nach
Maßgabe des Art. 15 BayVersG erfolgen, woraus folgt, dass die Versammlungsbehörde auf dieser Grundlage ‚Nebengeschehen', das nicht funktional der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts dient, untersagen kann (VG
Berlin, B.v. 23.12.2003 Nr. 1 A 361.03).
b) Aus diesen Gründen erweist sich auch die in Nr. 1.17getroffene Regelung des angefochtenen Bescheids als rechtmäßig, mit der die vorgesehenen Kundgebungsmittel limitiert worden sind (Beschränkung auf 1 Tisch, 1 Pavillon).
Der zweite Pavillon ist versammlungsrechtlich nicht geschützt. Er sollte - wie dargelegt - wie ein Zelt zum Schlafen genutzt werden. Auf die Ausführungen unter Nr. 3.a) wird Bezug genommen. Auch die Beschränkung auf einen
Tisch rechtfertigt sich aus der Art der Versammlung unter freiem Himmel. Bestehen schon Bedenken gegen die versammlungsrechtliche Zulässigkeit eines Informationsstandes in einem auf Dauernutzung gerichteten Pavillon, so gilt
dies erst recht für eine weitergehende Möblierung, die die Versammlung ‚unter freiem Himmel' immer weiter von ihrem Charakter weg in Richtung auf eine Versammlung ‚in geschlossenen Räumen' hin führt. Die Beklagte hatte allen
Anlass, jeder Entwicklung der Versammlung zu einem wilden Camp restriktiv zu begegnen. Von dem entstandenen Camp gingen ohnedies bereits erhebliche Vorbildwirkungen für künftige Versammlungen unter freiem Himmel aus.
Die Einschränkungen in Nr. 1.17 des Bescheides rechtfertigen sich schon aus diesem Grunde durch sehr gewichtige öffentliche Interessen. Die eingeschränkte Zulassung von Inventar entspricht im Übrigen auch der Größe des von der
Beklagten zugelassenen Pavillons und dessen Funktion als Informationsstand.
c) Dass der zugelassene Pavillon auf allen Seiten durchgehend offen sein muss (Nr. 1.19 des angegriffenen Bescheides) verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil ihm schon die Nutzung eines Pavillons für einen dauernden
Informationsstand versammlungsrechtlich nicht zusteht (vgl. oben Nr. 4).
Die Versammlung unter freiem Himmel ist zudem - wie oben ausgeführt - strukturell nach außen gewandt, jedermann soll durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestattet und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglicht sein
(BayVGH, B.v. 28.4.1978 Nr. 91 VIII/78). Wie gleichfalls bereits dargelegt, sind Versammlungen unter freiem Himmel nur solche, die von ihrer Umgebung nicht abgegrenzt sind, wobei auf die Seitenbegrenzung abzustellen ist
(Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, RdNr. 62 zu § 15 VersG, RdNr. 39 zu Art. 8 GG, m.w.N.; Heinhold in Wächtler/Heinhold/Merk, a.a.O., RdNr. 6 vor Art. 10, m.w.N.). Die Beschränkung entspricht also
grundsätzlich dem berechtigten Anliegen der Versammlungsbehörde, den Charakter der angemeldeten Versammlung sicherzustellen. Versammlungen in Zelten oder geschlossenen Pavillons sind - wie ebenfalls bereits ausgeführt -
Versammlungen in geschlossenen Räumen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O.; Heinhold, a.a.O., RdNr. 7 vor Art 10).
Könnte der einzige vorhandene Pavillon geschlossen werden, bliebe im Übrigen unklar, ob sich darin überhaupt eine Versammlung abspielt oder ob sich überhaupt Menschen in dem Gebilde aufhalten. Ein einfaches Hinzu- oder
Hinwegtreten wäre damit ebenfalls nicht mehr möglich.
Da rechtsfehlerfrei eine Beschränkung auf einen Pavillon von der Beklagten verfügt werden konnte, konnte auch verlangt werden, diesen offenzuhalten, um den Charakter einer Versammlung unter freiem Himmel zu erhalten. Der
Einwand des Klägers zum Witterungsschutz geht aus den oben dargelegten Gründen zur Art der Versammlung unter freiem Himmel ins Leere. Ein nach allen Seiten offener Pavillon reicht als Witterungsschutz grundsätzlich aus.
Inventar, soweit man es als zulässig erachtet, kann durch Abdecken mit Planen vorübergehend geschützt werden. Versammlungen unter freiem Himmel bieten nicht die gleichen logistischen Voraussetzungen wie Versammlungen in
geschlossenen Räumen. Wird umfassender Witterungsschutz gewünscht, wird die uneingeschränkte Nutzung von PCs und dergleichen gewollt, sollen wetter- und störungsgeschützte Diskussionsrunden oder ähnliches abgehalten
werden, ist die Versammlung in geschlossenen Räumen des Mittel der Wahl.
4. Die Klage erweist sich danach als nur teilweise begründet. Der Kläger obsiegt zu 5/8 und unterliegt zu 3/8. Angegriffen wurden acht Teilregelungen des Bescheides vom 15. Juni 2012 (keine Teilnahme Verstümmelter/Ausschluss
solcher Teilnehmer, keine Bilder/Plakate Verstümmelter, Ausschluss bei Verstoß gegen Residenzpflicht, Ausschluss bei Verstoß gegen Alkoholverbot, Aufstellung von Betten untersagt, nur 1 Tisch und 1 Pavillon zugelassen, Pavillon
nach allen Seiten offen, Pflichten des Leiters nach Ende der Versammlung). Fünf Teilregelungen sind rechtswidrig, drei rechtmäßig. ..." (VG Würzburg, Urteil vom 14. März 2013 - W 5 K 12.555, ähnlich VG Würzburg, Urteil vom
14.03.2013 - W 5 K 12.382)
***
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2013 wird hinsichtlich der Auflagen Nr. 1 sowie der Auflagen Nr. 3 bis 11 wiederhergestellt. Im
Übrigen wird der Antrag abgelehnt. ...
Der am 21.02.2013 gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19.02.2013 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.02.2013 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2
in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist
der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>;
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der
Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom
23.03.2004 - 1 BvR 745/01 -, juris). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand
Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen
Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris
unter Bezug auf BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - a.a.O.).
1. Bei der ausgehend davon gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung hinsichtlich der Auflage Nr. 2 das
Interesse des Antragstellers daran, dass diese vorläufig nicht durchgesetzt wird. Denn die Verfügung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.
In formeller Hinsicht wurde die Sofortvollzugsanordnung gemessen an § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend begründet.
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Bei der Bestimmung über den Ort der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung dürfte es sich allerdings wohl nicht mehr um eine Auflage, sondern um ein Versammlungsverbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG handeln,
verbunden mit dem ‚Hinweis', bei Beachtung der neuen Route gegen eine sonst gleichartige Versammlung nicht vorgehen zu werden (vgl. bereits in ähnlichem Zusammenhang VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.02.2008 - 2 K ... -). Zu
dieser Einschätzung gelangt das Gericht aufgrund der Tatsache, dass der von der Antragsgegnerin festgesetzte Demonstrationsverlauf in räumlicher Hinsicht stark von der angemeldeten Route abweicht. Während die Anmeldung sich
auf eine Strecke bezieht, bei der die Teilnehmer vom Hauptbahnhof ausgehend die Bahngleise in Richtung Norden überqueren sollen (Abschlusskundgebung auf dem Parkplatz ... ganz in der Nähe des ..., wo die rechtsgerichtete
‚Mahnwache' stattfinden soll), soll nach dem Wunsch der Antragsgegnerin die Versammlung südlich der Bahnlinie verbleiben und sich im Stadtzentrum abspielen. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, zu dem
insbesondere auch die Entscheidung über den Ort der geplanten Versammlung gehört (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. unter Bezug auf BVerfGE 69, 315 <343> oder
<355 ff.>; 128, 226 <250 f.>) in erheblicher Weise beeinträchtigt. Insbesondere kann durch den vorgegebenen räumlichen Demonstrationsverlauf das hinter der Anmeldung stehende Ziel, in Sicht- und Hörweite der ‚Mahnwache' zu
gelangen beziehungsweise der ‚Mahnwache' auch durch räumliche Annäherung symbolisch oder in anderer Form ‚entgegenzutreten', nicht mehr in vollem Umfang erreicht werden (vgl. zu diesem Ziel etwa die vom Antragsteller
verantwortete Internet-Seite ... mit dem landesweiten Aufruf ‚Wo immer ihr auftretet, werden wir euch im Wege stehen!' sowie mit dem ‚Aktionskonsens', der folgenden Passus enthält: ‚Wir stellen uns den Nazis in den Weg.').
Allerdings dürfte die Bestimmung auch gemessen an den besonders hohen Anforderungen für ein Versammlungsverbot rechtmäßig sein (vgl. bereits in ähnlichem Zusammenhang VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.02.2008 - ... -).
Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der
staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10
- VBlBW 2012, 61, m.w.N.).
Der Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 15 Abs. 1 VersammlG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Eine unmittelbare
Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der
Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung
erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte
erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O., m.w.N.). Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse oder Tatsachen zu
der geplanten Veranstaltung (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 01.05.2001 -1 BvQ 21/01 - NJW 2001, 2078 <2079>).
Nach Auffassung der Kammer wäre in dem Fall, dass die rechtsgerichtete Mahnwache und die vom Antragsteller angemeldete Versammlung zeitgleich in unmittelbarer Nachbarschaft am ... stattfinden, nicht nur mit hoher
Wahrscheinlichkeit, sondern mit Sicherheit mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu rechnen. Es deutet derzeit alles darauf hin, dass der Antragsteller die rechtsgerichtete ‚Mahnwache' verhindern und damit
zwangsläufig das Grundrecht der ‚Mahnwachen'-Anhänger auf Versammlungsfreiheit beeinträchtigen möchte. Es spricht viel dafür, dass eine Verletzung von § 21 VersG droht. Danach macht sich unter anderem strafbar, wer in der
Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, grobe Störungen verursacht. Die Blockade der nicht verbotenen ‚Mahnwache' ist vom
Versammlungsrecht nicht gedeckt (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.09.2012 - 5 A 1701/11 - NVwZ-RR 2013, 38). Nach § 2 Abs. 2 VersG hat im Übrigen jedermann bei öffentlichen Versammlungen und
Aufzügen Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.
Wie bereits oben erwähnt, tritt der Antragsteller als Verantwortlicher für die Internet-Seite ... auf. Dort ist der landesweite Aufruf veröffentlicht ‚Wo immer ihr auftretet, werden wir euch im Wege stehen!'. In dem ebenfalls
veröffentlichten ‚Aktionskonsens' heißt es unter anderem: ‚Wir stellen uns den Nazis in den Weg.' Dass damit nicht lediglich versammlungsrechtskonforme Ausdrucksformen gemeint sind, sondern auch konkrete Störungen der
‚Mahnwache' in gewissem Maße befürwortet werden, erschließt sich unmissverständlich aus den im Internet veröffentlichten Angaben. In dem landesweiten Aufruf ist ausgeführt:
‚Durch den Protest auf dem Marktplatz allein ist der Aufmarsch jedoch nicht zu verhindern - deshalb halten wir es für notwendig, uns den Nazis gemeinsam in den Weg zu stellen! Wenn wir es schaffen, den Naziaufmarsch zu
verhindern, ist das nicht nur ein Schlag gegen die Nazi-Szene und ihr terroristisches Potential. Es ist auch ein deutliches Zeichen gegen Nationalismus, Militarismus, Rassismus und jede andere Form von Diskriminierung, die in der
Gesellschaft weit verbreitet sind! Sich in den Weg zu stellen ist eine Form des zivilen Ungehorsams. Diese hat eine lange Tradition, für die Namen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King und viele andere stehen. Gemein ist uns,
dass wir einen bewussten Regelübertritt in Kauf nehmen, denn ‚wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!' (Bertolt Brecht). Die positiven Erfahrungen aus Aktionen gegen die Naziaufmärsche in Städten wie Dresden,
Heidelberg und Jena zeigen deutlich: Durch gut koordiniertes und organisiertes Handeln können wir die Nazis stoppen! Wenn viele Menschen aus einem breiten Spektrum der Bevölkerung zusammenkommen und ihnen im Wege
stehen, ist für die Nazis kein Durchkommen! (…) Wir sind uns über die räumlichen und jahreszeitlichen Herausforderungen am ... im Klaren. Deshalb arbeiten wir kontinuierlich an einem Aktionskonzept. Unsere Aktionen werden
gewaltfrei, aber dennoch entschlossen sein. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern. (…) Gemeinsam können wir sie stoppen!'
Selbst wenn all dies so aufgefasst werden könnte, dass nicht die angemeldete Versammlung selbst die ‚Mahnwache' verhindern soll, sondern die Abschlusskundgebung der Versammlung in der unmittelbaren Nähe der ‚Mahnwache'
gewissermaßen nur die Ausgangsbasis für anschließende Störaktionen der Teilnehmer sein soll, wäre auch dies versammlungsrechtlich nicht hinnehmbar.
Über die genannte Internet-Seite sind zudem weitere Angebote verlinkt, die eine Verhinderungsabsicht beziehungsweise die drohende Beeinträchtigung des Versammlungsrechts der ‚Mahnwachen'-Anhänger verdeutlichen. So heißt es
auf der Seite ... ‚Um 15:30 Uhr startet in ... eine antifaschistische Demonstration. Anschließend gibt es vielfältige Möglichkeiten den Naziaufmarsch auf dem ... zu verhindern. Wir wollen mit möglichst vielen Leuten den
Naziaufmarsch blockieren!'. Weiter ist von zivilem Ungehorsam, Blockaden und kreativen Aktionen die Rede. Die Facebook-Seite ‚Gegen jeden Nationalismus' kündigt an: ‚Antifaschistische Demonstration gegen die
Nazi-Fackelmahnwache. Anschließend Aktionen des zivilen Ungehorsams'. Ferner gibt es einen Twitter-Dienst mit dem Namen ... (= Fackeln aus).
Hinzu kommt das Lagebild der Polizeidirektion ... vom 21.02.2013, aus dem hervorgeht, dass im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... gegen zwei Führungsmitglieder des IgR (Initiative gegen
Rechts) weitere sechs Mitglieder linksbürgerlicher Gruppierungen eine Selbstanzeige gegen sich erstattet hätten. Bei ihrer Beschuldigtenvernehmung hätten sie für 23.02.2013 angekündigt, sich den rechten Versammlungsteilnehmern
friedlich in den Weg stellen zu wollen. Polizeiliche Weisungen würden nicht befolgt werden. Zur Beseitigung ihrer Blockade müssten sie von Polizeikräften weggetragen werden.
Schließlich spricht auch für die Verhinderungsabsicht bezogen auf die ‚Mahnwache', dass der Antragsteller (bzw. seine Vertreterin) sich im Kooperationsgespräch offensichtlich weigerte, einen Alternativstandort zu akzeptieren oder
zu benennen.
Die angegriffene Bestimmung leidet aller Voraussicht nach auch nicht an einem Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Insbesondere musste die Antragsgegnerin nicht in Betracht ziehen, die vom Antragsteller angemeldete Route
in abgekürzter oder nur leicht veränderter Form vorzuschlagen. Dagegen spricht nicht nur, dass der Antragsteller eine Kooperation hinsichtlich alternativer Orte nach gegenwärtigem Kenntnisstand verweigert hat, sondern vor allem die
Tatsache, dass angesichts der zum Ausdruck gekommenen und etwa im Internet vehement geäußerten Verhinderungsabsicht bezogen auf die ‚Mahnwache' auch eine Verkürzung der angemeldeten Wegstrecke die
versammlungsrechtlich relevanten Gefahren nicht ausräumen könnte. Die räumliche Verlegung ist auch sonst nicht unverhältnismäßig. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller nicht jedwede Versammlung verboten, sondern ihm
einen Ort angeboten, der im Zentrum von ... gelegen ist und damit eine starke Außenwirkung der Veranstaltung ermöglicht. Auch ist der Hauptbahnhof wie gewünscht eingebunden, so dass dieser zur Anreise zur Verfügung steht,
während Teilnehmer der ‚Mahnwache' vom Hauptbahnhof faktisch wohl weitgehend ferngehalten werden. Mit dem festgesetzten Ort können beide Veranstaltungen stattfinden; die Gefahr einer Konfrontation der politisch
entgegengerichteten Gruppierungen ist bei dem normalen Verlauf der Veranstaltungen gebannt. Damit hat die Antragsgegnerin dem Grundrecht des Antragstellers in angemessener Weise Rechnung getragen.
Der zeitliche Abstand zwischen der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung (bis 18.00 Uhr) und dem angekündigten Beginn der ‚Mahnwache' (ab 19.50 Uhr gemäß dem vorgelegten Lagebild der Polizeidirektion ...) ändert
nichts, da es nach den oben angegebenen Umständen naheliegt, dass sich Teilnehmer der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung die Nähe der beiden Orte zunutze machen würden, um sich am ... festzusetzen beziehungsweise
die ‚Mahnwache' schon im Vorfeld zu unterbinden.
2. Bei den Auflagen Nr. 1 sowie Nr. 3 bis 11 fällt die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, weil diese Auflagen voraussichtlich rechtswidrig sind und damit das öffentliche
Sofortvollzugsinteresse hinter dem Aufschubinteresse des Antragstellers zurückstehen muss.
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Auflagen Nr. 1 sowie Nr. 3 bis 11 nur auf der Grundlage und unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG rechtmäßig sein könnten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473). An dem damit erforderlichen Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung fehlt es jedoch, da
hierfür ein strenger Maßstab gilt und ausgehend davon die Auflage Nr. 2 ausreichend sein dürfte, um die derzeit absehbaren Gefahren zu bannen.
Die Antragsgegnerin weist in ihrer Verfügung auf Seite 11 selbst auf die seit vielen Jahren stattgefundenen Demonstrationen ähnlicher Art sowie darauf hin, dass alle Versammlungen der IgR bisher ohne besondere Störungen
verlaufen seien. Ergänzend merkt die Antragsgegnerin (lediglich) an, es hätten jedoch aufgrund der linksautonomen Beteiligung stets lagebezogene polizeiliche Einsatzmaßnahmen stattgefunden. Dies lässt keine Rechtsverstöße
während der Abhaltung der angemeldeten Versammlung erwarten, solange die geänderte Route gewählt wird. Gegen eine derartige Gefahr spricht ferner das breite, gesellschaftlich weit gefächerte Spektrum der Unterstützer. Hierzu
zählen die evangelische Kirche ..., ..., ..., ..., ..., ... GmbH, ..., ... und seine Mitgliedergewerkschaften, ... ('...), ..., ..., ... - ..., VVN ..., ... ..., ..., ..., ... und ... Jugend. Zudem hat der Antragsteller - abgesehen von der Versammlungsroute -
Bereitschaft zur Kooperation gezeigt. Insbesondere hat der Antragsteller zugesagt, Ordner in der mit der Antragsgegnerin abgesprochenen Zahl einzusetzen, für deren Unzuverlässigkeit derzeit nichts ersichtlich ist.
Soweit die Antragsgegnerin unabhängig von der Demonstrationsroute Gewalttaten befürchtet, ist zudem der Zusammenhang mit der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung nur sehr eingeschränkt erkennbar. Die Stadt
Pforzheim ist auch ohne die vom Antragsteller angemeldete Versammlung an dem symbolträchtigen Datum des 23.02. ein Anziehungspunkt für manche, oft auch zu politischer Polarisierung bereite Gruppen. An dem mangelnden
Zusammenhang zwischen der Versammlung und etwaigen Zwischenfällen ändert auch das Lagebild der Polizeidirektion ... vom 21.02.2013 nichts. Vielmehr illustriert gerade das Lagebild die Vielgestaltigkeit der am 23.02. in
Pforzheim zu erwartenden Ereignisse, wenn etwa darauf hingewiesen wird, die örtliche linke Szene habe die Absicht, ab 22.00 Uhr in der Innenstadt ein ‚Links- und Punkrock-Konzert' auszurichten und bewerbe dieses bereits im
Internet als ‚After-Demo-Event'. Weiter heißt es in dem Lagebild zur Gefährdungslage am 23.02.2013 in Pforzheim zusammenfassend: ‚Aufgrund der neuen Aufklärungserkenntnisse ist von einer deutlich größeren Teilnahme von
Personen aus dem linken Spektrum auszugehen. Zusammen mit dem bürgerlichen Lager ist ein Protestpotential von mindestens 700 Personen zu erwarten. Während von Angehörigen des linksbürgerlichen Lagers gewaltfreie
Blockadeaktionen zu erwarten sind, muss von den linksautonomen Szenemitgliedern mit gezielten Störaktionen gerechnet werden, in der Absicht, die rechte Versammlung zu verhindern. Eine bundesweite Mobilisierung
ist bisher noch nicht erkennbar.' Hieraus folgt schon nicht, dass die von der Antragsgegnerin verfügten Auflagen Nr. 1 sowie Nr. 3 bis 11 geeignete Mittel wären, um den Befürchtungen der Polizei entgegenzutreten. Die bloße Anzahl
der zu erwartenden Protestierer begründet noch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Ebenso wenig erschließt sich, dass den Maßnahmen eine zutreffende Adressatenauswahl zugrunde liegt. Im Lagebild der Polizeidirektion ... vom 21.02.2013 heißt es zur linksautonomen Szene, aufgrund der Erfahrungen bei früheren
Demonstrationslagen werde von der Anreise von Angehörigen des schwarzen Blocks ausgegangen. Bereits am 20.02.2013 werde die Anreise von ca. 450 gewaltorientierten Linksextremisten aus dem Rhein-Neckar-Raum, Karlsruhe,
Freiburg, Tübingen, Reutlingen, Heilbronn, dem Großraum Stuttgart und dem Bodenseeraum erwartet. Behördliche Maßnahmen müssen sich aber primär gegen die Störer richten. Eine Heranziehung der Figur des Zweckveranlassers
als Begründung für die Störereigenschaft eines Veranstalters kann allenfalls bei besonderen, über die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung hinausgehenden provokativen Begleitumständen in Betracht kommen (BVerfG, Beschluss
der 1. Kammer des ersten Senats vom 09.06.2006 - 1 BvR 1429/06 - BVerfGK 8, 195; BVerfGE 69, 315). Hierfür fehlt es - abgesehen von der mit der Auflage Nr. 2 aufgefangenen Verhinderungsabsicht - an nachvollziehbaren
Anhaltspunkten. Einem mit Gewalttätigkeiten verbundenen Zusammentreffen verschiedener Gruppen kann die Versammlungsbehörde regelmäßig durch eine räumliche Trennung der beiden Aufzüge hinreichend Rechnung tragen,
wobei eine entsprechende versammlungsrechtliche Auflagenverfügung nicht einseitig zu Lasten eines Veranstalters gehen darf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2011 - 1 S 1250/11 - NVwZ-RR 2011, 602).
Dies bedeutet nicht, dass die in den Auflagen Nr. 1 sowie Nr. 3 bis 11 aufgeführten Anforderungen inhaltlich im gesamten Umfang der Rechtslage widersprechen. Vielmehr werden in weitem Umfang auch gesetzliche Vorgaben
wiederholt. Es bedarf insoweit allerdings keiner nochmaligen Anordnung in der Form eines Verwaltungsakts. Die Auflagen sind rechtswidrig, weil es ihrer nicht bedarf, um einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung zu begegnen.
Soweit die Antragsgegnerin nach ihrem Erwiderungsschriftsatz der Auffassung ist, bei der Auflage Nr. 11 handele es sich gar nicht um eine Auflage im Rechtssinne, kann ihr nicht gefolgt werden. Ob eine behördliche Äußerung einen
Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist. Danach kommt der Auflage Nr. 11
Verwaltungsaktscharakter zu, denn sie erweckt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung. Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht, dass Nr. 11 in einer Liste von Einzelanordnungen steht,
die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
Auf die Verhältnismäßigkeit und inhaltliche Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 LVwVfG) der Auflagen Nr. 1 sowie Nr. 3 bis 11 im Einzelnen kommt es, da bereits der Tatbestand des § 15 Abs. 1 VersG bezogen auf diese Auflagen nicht
erfüllt ist, nicht weiter an.
Sollte sich herausstellen, dass die Versammlung von den Angaben der Anmeldung abweicht, dass der Auflage Nr. 2 zuwidergehandelt wird oder dass die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 gegeben sind, so
bleibt die Möglichkeit unbenommen, die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufzulösen. ..."(VG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2013 - 2 K 458/13)
***
Verhinderungsblockaden sind nicht durch Art. 8 GG geschützt (VG Dresden, Beschluss vom 01.02.2013 - 6 L 35/13):
„... I. Der Antragsteller, vertreten durch … als Versammlungsleiter, beabsichtigt, am 2.2.2013 eine Versammlung auf dem Altmarkt in Dresden durchzuführen unter dem Thema „Innenstadttraining". Die Antragsgegnerin bat um
Konkretisierung des Themas unter Bezugnahme auf u.a. in der Mopo und Sächsischen Zeitung bereits im Januar 2013 erschienene Artikel, die darauf hinweisen, dass das … den Aufmarsch von sog. Rechten auch 2013 blockieren
möchte, dafür sogar Trainings anbiete bzw. am Altmarkt eine Blockade trainieren wolle und verantwortlich sei für das Plakatieren von Aufrufen „Nicht lange fackeln - Nazis blockieren". … teilte daraufhin mit, dass es „Ziel der
angemeldeten Versammlung (sei), im öffentlichen Meinungsdiskurs bezüglich der Akzeptanz von Nazi-Demonstrationen und der Akzeptanz von Blockaden eine Meinungsäußerung in der Form der Darstellung einer Blockade als
Aktionsform durchzuführen." Es solle dabei „nicht vorrangig um die tatsächliche Wissensvermittlung in Bezug auf Blockadehandlungen gehen". Es solle aufgezeigt werden, dass eine Blockade als Form der Meinungsäußerung legitim
sei. Dass die angemeldete Versammlung einen mobilisierenden Effekt haben könne, sei nicht vorrangiges Ziel der angemeldeten Veranstaltung.
Im Rahmen des Kooperationsgesprächs am 30.1.2013 teilte … des Antragstellers mit, dass es keine Trainingsmaßnahmen geben werde. Personen würden über ihre Erfahrungen bei zurückliegenden Blockaden berichten, es werde das
kollektive Hinsetzen geübt, Informationen zur richtigen Bekleidung/Ausrüstung gegeben und wie man sich bei einer Blockade richtig verhalten solle.
Mit Bescheid vom 30.1.2012 beschränkte die Antragsgegnerin die vom Antragsteller angemeldete Versammlung in Ziffer 1 u.a. dahingehend, dass a) Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele bzw. szenische Darstellungen,
deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern sei, die zu Übungszwecken eine Blockadesituation gegenüber einer nicht verbotenen Versammlung bzw. eines nicht verbotenen Aufzugs simulieren, sowie
sonstige Aktionen, die Blockadeaktionen darstellen, untersagt sei. Dies gelte insbesondere auch für den Einsatz von Trainern für die beschriebenen Verhaltensweisen. Untersagt wurden des Weiteren unter Buchst. b) jegliche
Aufforderungen, die auf die Verhinderung oder Blockade einer nicht verbotenen Versammlung bzw. eines nicht verbotenen Aufzugs gerichtet sind. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Es bestehe die konkrete Gefahr einer Verletzung von § 2 Abs. 2 SächsVersG. Die Versammlung des Antragstellers werde mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit dazu genutzt werden bzw. einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der Aufzug des „rechtsextremistischen Lagers" am 13. Februar 2013 ein weiteres Mal blockiert oder wesentlich beeinträchtigt
werden könne. Der Antragsteller gehe irrig davon aus, dass Verhinderungsblockaden gegen rechtsextremistische Aufzüge legitim seien. Es erscheine wahrscheinlich, dass bei der Versammlung zur Blockade des genannten Aufzugs
aufgerufen werde und die Versammlung damit selbst eine Straftat nach § 111 StGB darstellen könne.
Hiergegen hat der Antragsteller am 31.1.2013 Widerspruch eingelegt und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.
Er trägt vor, probeweise dargestellte Blockadesituationen seien im erheblichen zeitlichen Vorfeld einer ggf. zu störenden Versammlung nicht verboten. Eine konkrete Gefahrenprognose liege nicht vor. Es müsse auch sein eigener
Grundrechtsschutz berücksichtigt werden. Dass ihre eigene Versammlung Grundrechtsschutz genieße, ergebe sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.3.2011, Az. 1 BvR 388/05. Durch das Verbot des Darstellens
einer Blockadesituation werde das Verbot eines Protestes weit im Vorfeld des angenommenen Anlasses begründet, bei dem nicht einmal abzusehen sei, ob sich der Protest zum Zeitpunkt nicht völlig gesetzeskonform verhalte. Es sei
nicht einmal abzusehen, ob die an einer Probeblockade teilnehmenden Personen letztendlich vielleicht überhaupt nicht an Blockaden gegen Versammlungen von Rechten teilnehmen würden. Zum Verhalten solcher Personen
angestellte Vermutungen würden nicht ausreichen zur Darstellung von Gefährdungslagen bei Auflagen. Das schauspielerische Einüben friedlichen Protestes sei im Gegensatz gerade geeignet, den Teilnehmenden ein fundiertes Wissen
über Rechte und Pflichten im Umgang mit den eingesetzten Polizeibeamten zu vermitteln. Dieses Wissen habe in der Regel eine deeskalierende Wirkung. Angesichts des zeitlichen Abstands von fast zwei Wochen bestehe keine Nähe
zu einem möglichen Schadenseintritt. Die Auflage sei darüber hinaus zu unbestimmt. Es bleibe unklar, welche Handlungen als bußgeldbewehrter Verstoß gegen eine versammlungsrechtliche Auflage anzusehen seien und Anlass zu
einem Einschreiten der Polizei sein könnten. Auch ein im Stehen erfolgendes Unterhaken von mindestens zwei Personen würde dem Wortlaut nach einen Verstoß gegen die Auflage darstellen. Eine Strafbarkeit nach § 111 StGB liege
nicht vor. Die Antragsgegnerin ignoriere die die Rechtsauffassung des OVG Münster in seinem Urteil vom 18.9.2012, Az. 5 A 1701/11, stützende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 31.1.2013 gegen Ziffer 1 des Auflagenbescheides der Antragsgegnerin vom 30.1.2013 herzustellen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag
abzulehnen. Sie hält an ihrer rechtlichen Einschätzung fest. ...
II. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 30.1.2013 getroffene Auflage wird nicht wieder hergestellt
(§ 80 Abs. 5 VwGO). An der Rechtmäßigkeit der Auflage bestehen keine Zweifel.
Nach § 15 Abs. 1 SächsVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses des Bescheides erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die in dieser Regelung angesprochenen Auflagen, die keine Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG, sondern eigenständige Regelungen
sind, dienen dazu, Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten. Ihre Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass sie zur Gefahrenbekämpfung geeignet, erforderlich und
angemessen sind und mit der Rechtsordnung übereinstimmen.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die vom Antragsteller angefochtene Auflage rechtmäßig.
Die vom Antragsteller angemeldete Versammlung ist in ihrer ursprünglich beabsichtigten Form geeignet, die öffentliche Sicherheit unmittelbar zu gefährden. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Summe aller Normen
zum Schutz des Staates, seiner Einrichtungen und seiner Rechtsordnung. Hierzu zählen, wie die Antragsgegnerin zutreffend anführt, sowohl die Regelungen in § 2 Abs. 2 SächsVersG und in § 22 SächsVersG als auch das mit Strafe
bewehrte Verbot, öffentlich oder in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufzufordern (§ 111 Abs. 1 StGB). Gemäß § 2 Abs. 2 SächsVersG hat bei öffentlichen Versammlungen und
Aufzügen jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Gemäß § 22 SächsVersG wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, nicht
verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, u.a. grobe Störungen verursacht.
Es sind hinreichende Anhaltspunkte festzustellen, die darauf hinweisen, dass der Antragsteller ein sog. Blockadetraining durchführen möchte als Vorbereitung für die beabsichtigte Blockade von Demonstrationen des rechten Lagers
am 13.2.2013 bzw. zur Blockade derartiger Demonstrationen mobilisieren möchte. Dies ergibt sich aus den Aussagen des (Presse)Sprechers des Antragstellers im Rahmen des Kooperationsgespräches in Verbindung mit den zuvor
abgegebenen Erklärungen im Rahmen einer Pressekonferenz des Antragstellers im Januar 2013, auf denen die Darstellungen in den dem Gericht vorliegenden Zeitungsartikeln beruhen dürften, und nicht zuletzt aus dem Internetauftritt
des Antragstellers, der als Bündnis auch für das Verteilen von Plakaten/Aufklebern mit dem Aufruf zur Blockade verantwortlich zeichnet. Ziel des Antragstellers ist es, möglichst viele Dresdner zu mobilisieren, rechte Versammlungen
am 13.2.2013 flächendeckend und dauerhaft zu blockieren. Zu diesem Zweck wurden vom Antragsteller bei den jährlichen Demonstrationsgeschehen im Februar in den vergangenen Jahren Blockadeteilnehmern mehrere Anlaufpunkte
in der Innenstadt Dresdens benannt, die gleichzeitig besetzt werden sollten, um eine hinreichende Gewähr dafür zu haben, die Laufstrecke des Aufzugs des anderen Lagers rechtzeitig zu erreichen bzw. möglichst sich bereits auf der
Strecke zu versammeln. Damit soll erreicht werden, dass das rechte Lager in Dresden künftig nicht mehr demonstriert, weil es sein Demonstrationsrecht nicht mehr tatsächlich ausüben und durchsetzen kann. Insofern ist bereits der
Name des Antragstellers „Programm".
Der Antragsteller geht irrig davon aus, dass Blockaden in der von ihm beabsichtigten Form rechtlich zulässig seien. Die Blockaden, die der Antragsteller anstrebt und zu denen er aufruft, sind nicht grundrechtlich durch Art. 8 GG
geschützt. Der Antragsteller kann sich insofern nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen, wonach Sitzblockaden eine Ausdrucksform zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen
Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung sind, die den Schutz des Art. 8 GG nicht schon dann verlieren, wenn es zu, auch gewollten, Behinderungen Dritter kommt (Stattgebender Kammerbeschluss vom 7.3.2011,
Az. 1 BvR 388/05, zit. nach juris). Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verhält sich nicht zu den vom Antragsteller angestrebten „Verhinderungsblockaden". Deren Ziel ist nicht nur die gewollte Behinderung anderer
Versammlungen, sondern deren Verhinderung. Selbst in dem vom Antragsteller herangezogenen - in weiten Teilen nicht verständlichen - Urteil des OVG Münster vom 18.9.2012, Az. 5 A 1701/11 (zit. nach Juris), wird u.a.
ausgeführt, dass eine angestrebte friedliche Blockade sich (nur) dann nicht als grobe Störung im Sinne von (dort) § 21 VersammlG NW darstellt, solange sie lediglich von begrenzter Dauer ist oder ein Ausweichen der anderen
Demonstranten möglich ist (vgl. RdNr. 73). Im hier vorliegenden Fall strebt der Antragsteller im Rahmen des Demonstrationsgeschehens am 13.2.2013 dagegen an, die Aufzugstrecke des rechten Lagers umfänglich und dauerhaft zu
blockieren. Sobald eine Ausweichstrecke bekannt wird, so zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, wird diese Strecke zu Blockadezwecken vom Antragsteller über das Internet (teilweise auch Handy) bekannt gemacht und
angestrebt. Für die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedarf es insoweit auch nicht eines Abwartens, ob die Blockade am 13.2.2013 erfolgreich sein wird und/oder dem rechten Lager ein Ausweichen
ggf. über eine andere Strecke möglich sein wird. Darin läge nämlich bereits der Eintritt einer Störung der öffentlichen Sicherheit, dem durch die Gefahrenprognose des § 15 Abs. 1 SächsVersG gerade vorgebeugt werden soll. In den
vergangenen Jahren, so auch 2012, wurden vermehrt Aufzüge des rechten Lagers, die im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 stehen, durch Blockadeaktionen verhindert. Der
Antragsteller ruft - nach Kenntnis der Kammer als einzige Vereinigung - auch in diesem Jahr durch öffentliche Plakataktionen im Dresdner Stadtgebiet zu Blockadeaktionen auf und bereitet diese auch durch Trainingsangebote vor, die
nicht im öffentlichen Raum stattfinden (Chemiefabrik, Keller unter der Trinitatiskirche).
Unter diesen Umständen ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass es bei der am 2.2.2013 beabsichtigten Kundgebung „Innenstadttraining" durch Blockadeübungen und Aufforderungen zur Teilnahme an Blockaden zur
Verhinderung einer in naher Zukunft stattfindenden, nicht verbotenen Versammlung kommen könnte, gut nachvollziehbar dargelegt. Die vom Antragsteller beanstandete Auflage ist demnach zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung sowohl am 2.2.2013 als auch bei dem weiteren Demonstrationsgeschehen im Februar 2013 als milderes Mittel zu dem sich ansonsten aufdrängenden Verbot der Veranstaltung gerechtfertigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl.
vom 28.7.2011, Az. 11 LA 101/11).
Die Auflage ist auch dem Wortlaut nach nicht zu unbestimmt. Soweit der Antragstellervertreter die Frage aufwirft, ob von dem Begriff „Probeblockaden" auch ein Unterhaken im Stehen erfasst wird, ist dies ohne Weiteres zu bejahen,
wenn es Blockadezwecken dienen soll. Es sind danach Probeblockaden jedweder Art untersagt. Allerdings wird in der Realität als wirksames Mittel regelmäßig die sog. Sitzblockade im Vordergrund stehen, weil eine stehende
Blockadegruppe keine wirksame längerfristige Blockade durchführen kann. ..."
***
Umstände, die keinen Eingang in die die Auflösung einer Versammlung tragenden Ermessenserwägungen gefunden haben, vermögen die Auflösung als behördliche Ermessensentscheidung allein nicht zu rechtfertigen. Die
Ausübung von Ermessen kann nur dann fehlerfrei sein, wenn die Behörde zur Abwehr einer in § 15 Abs. 3 Var. 4 i.V.m. Abs. 1 Alt. 1 VersammlG tatbestandlich vorausgesetzten unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung gehandelt hat. Es müssen deshalb zumindest auch die Umstände, auf die sich die Behörde bei der Auflösung gestützt hat, bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs eine unmittelbare Gefahr für die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung begründen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der mündlich angeordneten Auflösung einer Versammlung ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Auflösungsverfügung als
Verwaltungsakt. Im Einzelfall war die Auflösung der Versammlung in der Flughafenstraße am 22. August 2008 rechtswidrig, da - zumindest zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Auflösungsverfügung - bei Durchführung der
Versammlung keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestand (VG Hamburg, Urteil vom 18.01.2013 - 2 K 1769/09):
„... 2. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Die zu überprüfende Auflösung der Versammlung vom 22. August 2008 (a)) erweist sich anhand des anzulegenden Maßstabs (b)) als rechtswidrig (c)).
a) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die ab 15.24 Uhr durch polizeiliche Lautsprecherdurchsage an die Teilnehmer der Versammlung auf dem Abschlusskundgebungsplatz bekanntgegebene Auflösung. Die Auflösung ist
spätestens durch diese Bekanntgabe gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG als Verwaltungsakt wirksam geworden. Die Bekanntgabe einer mündlichen Auflösungsverfügung als Allgemeinverfügung entspricht der Üblichkeit
(Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., 2010, § 15 Rn. 112). Es kann dahinstehen, ob der Zeuge E. bereits vor der Lautsprecherdurchsage um 15.24 Uhr im Gespräch gegenüber den Zeugen A. und D. die ausweislich
der Lautsprecherdurchsage bereits um 15.10 Uhr getroffene Auflösungsentscheidung als Verwaltungsakt mit Bekanntgabewillen mitgeteilt hat.
b) Maßstab der gerichtlichen Überprüfung ist die einschlägige Ermächtigung des § 15 Abs. 3 Var. 4, Abs. 1 des zeitlich noch anwendbaren Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (VersammlG) vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S.
684), zuletzt geändert am 24. März 2005 (BGBl I S. 969). Die Zuständigkeit der Polizei Hamburg als Teil der damaligen Innenbehörde der Beklagten für die Durchführung des Versammlungsgesetzes war durch Nr. I Abs. 1 Nr. 1 der
Anordnung des Senats über Zuständigkeiten im Versammlungsrecht und öffentlichen Vereinsrecht vom 10. Dezember 1968 (Amtl. Anz. 1968, S. 1513) begründet. Nach § 15 Abs. 3 Var. 4 VersammlG kann die zuständige Behörde
eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 VersammlG gegeben sind. Nach § 15 Abs. 1 Alt. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde die Versammlung
oder den Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Dabei umfasst die ‚öffentliche Ordnung' die ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als
unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2004, BVerfGE 111, 147, juris Rn. 21, 23 - ‚NPD-Kundgebung <Bochum>').
Die ‚öffentliche Sicherheit' umfasst zentrale Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der
Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 77 - ‚Brokdorf II').
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 15 VersammlG am Maßstab des Grundrechts der Versammlungsfreiheit ist dann sichergestellt, wenn Verbote und Auflösungen nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter
Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, a.a.O., Rn. 80). Die
Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG gehört wie die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens (BVerfG, Beschl. v.
14.5.1985, a.a.O., Rn. 63). Durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine auf Tatsachen, Sachverhalte
und sonstige Einzelheiten gestützte Gefahrenprognose; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, a.a.O., Rn. 80). Die zu befürchtende Störung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit in
Kürze zu erwarten sein (OVG Münster, Urt. v. 20.10.1988, NVwZ 1989, 886).
Umstände, die keinen Eingang in die die Auflösung tragenden Ermessenserwägungen gefunden haben, vermögen eine Auflösung als behördliche Ermessensentscheidung allein nicht zu rechtfertigen. Die Ausübung von Ermessen kann
nur dann fehlerfrei sein, wenn die Behörde zur Abwehr einer in § 15 Abs. 3 Var. 4 i.V.m. Abs. 1 Alt. 1 VersammlG tatbestandlich vorausgesetzten unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gehandelt hat. Es
müssen deshalb zumindest auch die Umstände, auf die sich die Behörde bei der Auflösung gestützt hat, bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begründen.
c) Nach diesem Maßstab genügt die Auflösung der Versammlung vom 22. August 2008 in der Flughafenstraße nicht den an sie gestellten Anforderungen. Von der Durchführung der Versammlung ging für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung keine unmittelbare Gefahr aus, die eine Auflösung nach § 15 Abs. 3 Var. 4 i.V.m. Abs. 1 Alt. 1 VersammlG hätte rechtfertigen können. Dies gilt zum einen für eine Gefahr für die öffentliche Ordnung (aa)). Für den
maßgeblichen Zeitpunkt, als die Auflösung bekanntgegeben und wirksam wurde, fehlte es bei Durchführung der Versammlung zum anderen an einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Eine solche Gefahr leitete sich
weder aus Störungen in den Terminals ab (bb)), noch aus der nachlassenden Teilnahme an der Abschlusskundgebung (cc)), noch daraus, dass im Umfeld des Flughafens der Straßenverkehr blockiert und damit der Betrieb des
Flughafens und die damit verbundene Sicherheit gefährdet worden sei (dd)).
aa) Für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung sind Anhaltspunkte weder ersichtlich noch vorgetragen, noch hat die Beklagte ihre Ermessensentscheidung darauf gestützt.
bb) Ebenso wenig können etwaige Störungen in den Terminals durch Gegner von Abschiebungen vom Flughafen Hamburg die Auflösung rechtfertigen, da die Beklagte auch darauf ihre Ermessensentscheidung nicht gestützt hat. Die
Auflösungsentscheidung beruhte ausweislich der polizeilichen Lautsprecherdurchsage von 15.24 Uhr vielmehr darauf, dass von der Versammlung aus im Umfeld des Flughafens der Straßenverkehr blockiert und damit der Betrieb des
Flughafens und die damit verbundene Sicherheit gefährdet werde.
Unabhängig davon waren etwaige Störungen durch Personen im Flughafen dem vom Kläger angemeldeten Aufzug nicht zuzurechnen. In den Terminals des Flughafens befanden sich bereits vor Beginn des vom Kläger angemeldeten
Aufzugs und insbesondere vor Eintreffen des Aufzugs am Abschlusskundgebungsplatz Personen, die dort Veranstaltungen gegen Abschiebungen durchführten, wobei offen bleiben kann, inwieweit dadurch die öffentliche Sicherheit
beeinträchtigt wurde. Die von der Beklagten erhobene Behauptung, die Teilnehmer der Versammlung seien gegen 13.47 Uhr über den Lautsprecher des Aufzuges aufgefordert worden, ‚in die Terminals hinein zu gehen, Koffer
abzustellen, das Personal in Gespräche zu verwickeln etc., also alles, worauf im Internet hingewiesen wurde' zu tun, hat sich durch die Einvernahme der Zeugen nicht beweisen lassen. Insbesondere hatte der als Zugführer der
Bereitschaftspolizei eingesetzte Zeuge B. bekundet, die Abschlusskundgebung nicht mehr zu erinnern. Darüber hinaus wäre auch nicht nachvollziehbar, wie die Teilnehmer der Abschlusskundgebung einer Aufforderung, Koffer
abzustellen, hätten nachkommen sollen, da nicht vorgetragen oder ersichtlich ist, dass sie während des Aufzugs Koffer mitgeführt hatten.
cc) Ferner vermag eine nachlassende Teilnahme an der Abschlusskundgebung im vorliegenden Fall deren Auflösung nicht zu rechtfertigen. Unabhängig davon, dass die Beklagte ihre Ermessensentscheidung nicht auf diesen Umstand
gestützt hat, muss die unmittelbare Gefahr bei Durchführung der Versammlung drohen und nicht bei Nichtdurchführung der Versammlung. Die Versammlung als Zusammenkunft von Personen zur gemeinsamen Meinungskundgabe
muss Quelle der Gefahr sein, damit die Zerstreuung der Teilnehmer durch Auflösung der Versammlung zur Gefahrenabwehr geeignet sein kann. Ausgehend von der Annahme der Beklagten, es hätten sich um 14.37 Uhr und um 15.18
Uhr nur noch etwa 100 Personen auf dem Abschlusskundgebungsplatz aufgehalten, stünde auch die mit der Inanspruchnahme der Verkehrsfläche des Abschlusskundgebungsplatzes durch die vom Kläger angemeldete Versammlung
eingehende Beeinträchtigung Dritter nicht außer Verhältnis zu der mit der Fortdauer der Abschlusskundgebung einhergehenden Verwirklichung der Versammlungsfreiheit der verbliebenen Teilnehmer.
dd) Schließlich kann eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt nicht darin gesehen werden, dass im Umfeld des Flughafens der Straßenverkehr blockiert und damit der Betrieb
des Flughafens und die damit verbundene Sicherheit gefährdet worden wäre. Allerdings kann das erkennende Gericht nicht ausschließen, dass zu Beginn der Abschlusskundgebung vor 15.00 Uhr eine Gefahr bestand ((1)), die von der
Versammlung ausging ((2)), wenngleich die Gefahr vor Bekanntgabe der Auflösungsverfügung durch polizeiliches Eingreifen beseitigt wurde ((3)).
(1) Vor 15.00 Uhr mag die öffentliche Sicherheit durch die Blockade von Zufahrten des Flughafens unmittelbar gefährdet worden sein.
Zwar hat sich durch die Beweisaufnahme die Behauptung der Beklagten nicht erweisen lassen, um 14.14 Uhr hätten sich etwa 250 Teilnehmer des Aufzugs entlang der Flughafenstraße Richtung Langenhorner Chaussee bewegt, seien
hinter dem Parkhaus 1 über eine Wiese in Richtung Flughafengelände auf Polizeikräfte in der Absperrung zugegangen, hätten zwischenzeitlich eine nicht näher bezeichnete Zufahrt zu den Terminals blockiert und seien durch
Polizeikräfte aufgestoppt worden. Ebenso wenig hat sich beweisen lassen, dass um 14.37 Uhr etwa 150 Teilnehmer des Aufzugs und Angehörige des ‚Schwarzen Blocks' versucht hätten, in Terminal 1 zu gelangen, jedoch vorher
aufgestoppt worden seien. Ferner ist nicht erweislich, dass um 14.46 Uhr die Polizei 30 Personen in einem Bus des öffentlichen Personennahverkehrs hinderte, zum Flughafen zu fahren und die Personen nach Ausstieg zum
Abschlusskundgebungsplatz gewollt hätten. Zum Beweis dieser weitergehenden Behauptungen liegt kein polizeiliches Filmmaterial vor, die Aussagen der bei der Versammlung als Polizisten eingesetzten Zeugen E., C., F. und B. sind
insoweit nicht ergiebig. Die Zeugen haben in ihren Aussagen nicht bestätigt, dass es zu den benannten Vorfällen gekommen ist.
Jedoch dürfte die öffentliche Sicherheit durch Fußgänger auf der Zubringerbrücke von der Bundesstraße zum Terminal 1 unmittelbar gefährdet worden sein. Wie aus dem bei der Sachakte befindlichen Filmmaterial, DVD der Polizei
DIG/2235/08, ersichtlich, liefen gegen 14.16 Uhr bis 14.29 Uhr auf der Fahrbahn der Zubringerbrücke von der Bundesstraße zum Terminal 1 Fußgänger, während sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Anwesenheit der Fußgänger
der Fahrzeugverkehr verlangsamte und schließlich zum Erliegen kam, wodurch ein Rückstau entstand. Die Anwesenheit von Fußgängern auf der unmittelbar zum Terminal 1 führenden Fahrbahn griff in das komplexe Verkehrsgefüge
des Flughafens ein und dürfte einen potentiellen Rettungsweg versperrt haben. Hinsichtlich der besonderen Störanfälligkeit eines Flughafens schließt sich das erkennende Gericht den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (Urt.
v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, juris Rn. 87 - ‚Fraport') an:
‚Bei Versammlungen, die im Bereich eines Flughafens durchgeführt werden, gehören hierzu [d.h. zu den im Sinne der Verhältnismäßigkeit legitimen Zwecken] vor allem die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs.
Ein Flughafen ist ein Verkehrsknotenpunkt für Güter- und Personenströme, er ist in ein komplexes System globaler Netzwerke eingebunden und baut auf die einwandfreie Funktionstüchtigkeit sensibler technischer Vorrichtungen und
den reibungslosen Ablauf logistischer Prozesse, die im Falle der Störung oder gar des Versagens zum Verlust von unter Umständen elementaren Rechtsgütern führen können. Beeinträchtigungen im Betriebsablauf können daher eine
unbestimmte Zahl von Menschen empfindlich treffen. Angesichts der hieraus folgenden spezifischen Gefährdungslage, die sich gegebenenfalls aus der unmittelbaren Verbindung von als Räume öffentlicher Kommunikation
ausgestalteten Bereichen des Flughafens mit den der Verkehrsfunktion dienenden Einrichtungen noch verstärken kann, gewinnen die Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs erhebliches Gewicht und können
Einschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen.'
(2) Die beschriebene Gefahr durch Fußgänger auf der Zubringerbrücke mag auch von der vom Kläger angemeldeten Versammlung ausgegangen sein. Das Gericht glaubt den Aussagen der am Versammlungstag als
Hundertschaftsführer eingesetzten Zeugen C. und F. Der Zeuge F. hat bekundet, dass zu Beginn der Abschlusskundgebung eine etwa zweistellige Zahl von Teilnehmern die Versammlung durch das Parkhaus 1 in Richtung auf die
Terminals verlassen habe. Obgleich der Zeuge bekundet hat, nicht angeben zu können, wie sich die benannten Personen außerhalb seines polizeilichen Einwirkungsbereichs verhalten hätten, erscheint es räumlich und zeitlich
naheliegend, dass es sich bei den benannten abwandernden Teilnehmern der Versammlung um diejenigen Fußgänger handelte, die auf der Fahrbahn der Zubringerbrücke von der Bundesstraße zum Terminal 1 liefen. Der Zeuge C. hat
bekundet, dass Kleingruppen den Abschlusskundgebungsplatz verlassen hätten und ihm über Funk mitgeteilt worden sei, dass diese Personen Zuwege zu den Terminals gesucht hätten. Der Zeuge C. hat weiter ausgesagt, er habe
gehört, dass die Personen, die an dem Vorfall auf der Zubringerbrücke beteiligt gewesen seien, den Weg zurück zur Abschlusskundgebung gesucht und sich dort unter Jubel und Applaus integriert hätten.
(3) Die vorgenannte Gefahrenlage bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt um 15.10 Uhr oder 15.24 Uhr, als die Auflösungsverfügung bekanntgegeben und als Verwaltungsakt wirksam wurde, jedoch nicht mehr fort. Dies ergibt sich auf
Grundlage der Aussagen der Zeugen C. und F. Der Zeuge F. hat bekundet, er habe ein Entfernen von Versammlungsteilnehmern durch das Parkhaus 1 in seinem Einwirkungsbereich durch die ihm unterstehenden Polizeikräfte
unterbinden lassen. Der Zeuge C. hat bekundet, er habe die Zubringerbrücke von Fußgänger räumen lassen. Danach habe er keine Passanten mehr auf der Zubringerbrücke gesehen. Die im vorderen Verlauf durch eine Polizeikette
gesperrte Zubringerbrücke sei für den Individualverkehr wieder geöffnet worden. Die polizeiliche Auflösung der Versammlung sei später, als die Räumung der Brücke schon längst abgeschlossen gewesen sei, erfolgt. Dem Gericht
bieten sich auch keine Ermittlungsansätze dafür, dass sich die von der Beklagten behaupteten weiteren, nach der Beweisaufnahme nicht erweislichen Störaktionen von Teilnehmern der Versammlung zu wiederholen drohten. ..."
***
„... I. Der Antragsteller meldete am 01.10.2012 per E-Mail für den 17.11.2012 die Veranstaltung einer sich fortbewegenden Versammlung im Stadtgebiet Wunsiedel mit dem Thema „Tot sind nur jene, die vergessen werden" an.
Treffpunkt für die Versammlungsteilnehmer soll ab 12.00 Uhr sein, Beginn des Umzugs um 13.00 Uhr in der Egerstraße auf Höhe des Amts für Landwirtschaft und Forsten. Als Route angegeben wurde: Egerstraße nach Westen - links
in Schulstraße - rechts in Hornschuchstraße - links zu Ludwig-Hacker-Platz - rechts in Marktredwitzer Straße - rechts in Breite Straße; dort Zwischenkundgebung an der Kreuzung Breite Straße - Ludwigstraße - Am Bocksberg; weiter
über Ludwigstraße in Richtung Osten - links in Jean-Paul-Straße - rechts in Egerstraße und zurück zum Startpunkt Egerstraße mit Abschlusskundgebung. Die Veranstaltung soll gegen 20.00 Uhr enden. Als Leiter wurde der
Antragsteller benannt und als sein Stellvertreter Herr ... Es sollen folgende Kundgebungsmittel benutzt werden: Lautsprecheranlage auf KFZ (kein LKW). Fahnen und Transparente, Seitentransparente, an Stöcken befestigte
Transparente zum Hochhalten über den Demonstrationszug, Trommeln, Schilder mit aufgeklebten Plakaten, Fackeln, Flugblätter zum Verteilen an Passanten während der Demonstration und der Kundgebungen, Abspielen von Musik
während des Aufmarsches, Kränze, Birkenkreuz mit Stahlhelm und Blumengestecke, die mitgeführt werden. Am Treffpunkt sollen auch warme Speisen (Bockwürste), belegte Brötchen und antialkoholische Getränke an die
Versammlungsteilnehmer in einem Pavillon ausgegeben werden.
Nach Anhörung des Antragstellers zu einem beabsichtigten Verbot der Veranstaltung teilte dieser mit e-Mail vom 18.10.2012 insbesondere mit, dass er den Unterstellungen, der angemeldete Trauermarsch zum Heldengedenktag
würde den meinungsfeindlichen § 130 Abs. 4 [StGB] tangieren, entschieden widerspreche. Es werde nicht dazu aufgerufen und sei auch nicht vorgesehen, Rudolf Heß dort zu gedenken. Lediglich der Umstand der perfiden
Umstände der Grabauflösung von Rudolf Heß sei im Aufruf thematisiert worden, weil dadurch allgemein der Umgang mit toten Menschen in Wunsiedel exemplarisch dargestellt worden sei. Er habe auch keinerlei
Interesse, ehemalige KZ-Routen an einem nationalen Trauermarsch nachzulaufen. Einer Alternativroute stehe deshalb nichts entgegen, insoweit sie die Einbeziehung des Innenstadtbereiches berücksichtige.
Nach vorhergehendem Hinweis erließ das Landratsamt Wunsiedel i. F. am 26.10.2012 einen Bescheid, mit dem die Veranstaltung sowie jede Form von Ersatzveranstaltungen an diesem Tag verboten wurde. Auf die Gründe wird
Bezug genommen. Insbesondere wird dort darauf abgestellt, dass ein Aufruf zur Teilnahme an der Veranstaltung auf der Homepage des Freien Netzes Süd auf dreifache Art und Weise einen Bezug zur nationalsozialistischen Gewalt-
und Willkürherrschaft beinhalte und damit verdeutliche, worum es bei dieser angemeldeten Versammlung in Wirklichkeit gehen solle. Eine Würdigung dieser konkreten (vorher näher dargestellten) Bezüge zur nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürherrschaft sowie der Person von Rudolf Heß in seiner Funktion als Stellvertreter Adolf Hitlers ergebe, dass es dem Versammlungsanmelder und den Versammlungsteilnehmern darum gehe, durch diese öffentliche
Versammlung Rudolf Heß zu ehren und im Sinne des Versammlungsmottos zu verhindern, dass er vergessen werde. Hinter der Absicht, zu verhindern, dass „Rudolf Heß vergessen wird" stecke eindeutig die Motivation, Rudolf Heß
als Symbolfigur des NS-Regimes aufrecht zu erhalten. Zu diesem Anknüpfungspunkt solle weiterhin die Möglichkeit bestehen, unverhohlen die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu verherrlichen. Genau diesem
Ansatz entspreche das eindeutig gewählte Motto „Tot sind nur jene, die vergessen werden!" Hier solle Rudolf Heß weiterhin besonders verehrt werden. Auch in der Vergangenheit sei bei Rudolf Heß-Gedenkmärschen immer
besonders herausgehoben worden, dass er unvergessen bleiben werde. Dies stelle die eindeutige Verknüpfung des Versammlungsmottos zu Rudolf Heß dar. Es sei somit konkret zu erwarten, dass sowohl seitens des Veranstalters als
auch seitens der Versammlungsteilnehmer die Kundgebung zum Gedenken an Rudolf Heß genutzt werde. Dies bedürfe keiner Umwidmung der Versammlung. Vielmehr entspreche aufgrund der konkreten Anknüpfungspunkte im
Versammlungsaufruf das Versammlungsmotto einem Inhalt, der die Durchführung einer Heß-Gedenkkundgebung ermögliche und beabsichtige. Bei der Durchführung der angemeldeten Versammlung sei konkret mit einer
Verherrlichung oder zumindest Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu rechnen; aufgrund ihres Charakters als Heß-Gedenkkundgebung bestehe die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der
Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft (wird jeweils ausführlich dargestellt). Die Voraussetzungen für ein Verbot der Veranstaltung nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 BayVersG lägen daher vor, ein
solches entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (wird umfangreich begründet).
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 02.11.2012 erhob der Antragsteller Klage gegen diesen Bescheid zum Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag, eingegangen am 05.11.2012,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Wunsiedel vom 26.10.2012 wiederherzustellen.
Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf die Klagebegründung im Wesentlichen geltend gemacht, eine Verherrlichung und Glorifizierung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft drohe nicht und sei auch wegen
des Aufrufs auf der Homepage des Freien Netzes Süd, der ohne Wissen und Wollen des Antragstellers erfolgt sei, nicht zu erwarten. Es fehle an einer objektiv positiven Darstellung der gesamten Persönlichkeit von Rudolf Heß. Unter
Hinweis auf Rechtsprechung wird weiter vorgetragen, um präventiv jegliche Auseinandersetzung mit der Person Rudolf Heß im Rahmen der Veranstaltung am 17.11.2012 auszuschließen, hätten sich der Antragsteller und die anderen
Organisatoren der Demonstration entschlossen, jegliche Nennung des Namens Rudolf Heß und jegliche Beschäftigung mit seiner Person und den Umständen der Beseitigung seines Grabes zu unterlassen. Auch die Redner hätten sich
gegenüber dem Antragsteller verpflichtet, dies zu respektieren.
Das Landratsamt Wunsiedel i. F. übermittelte mit Schreiben vom 06.11.2012, eingegangen am selben Tag, die Behördenakte sowie Unterlagen zu angemeldeten Gegenveranstaltungen und beantragte, den Antrag abzuweisen. Zur
Antragserwiderung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Bevollmächtigte des Antragstellers gehe mit keinem Wort auf Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG als Grundlage des Versammlungsverbotes ein. Er verkenne dabei offensichtlich
die Tatsache, dass es der erklärte Wille des Gesetzgebers gewesen sei, eine Eingriffsmöglichkeit gegen Versammlungen, die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder
verharmlosen, zu schaffen. Die Voraussetzungen dieser Eingriffsnorm seien, wie im Verbotsbescheid ausführlich dargelegt, gegeben. Die seitens des Antragstellers zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt sei in Bezug auf die
verfahrensgegenständliche Versammlung ohne entscheidende Bedeutung. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG gerade das Gedenken an führende Repräsentanten des Nationalsozialismus als mögliche
Form der Tatbestandsverwirklichung normiert. Rudolf Heß sei zweifelsohne als Stellvertreter Adolf Hitlers ein führender Repräsentant des Nationalsozialismus gewesen. Im Verbotsbescheid sei ausführlich dargelegt worden, dass die
Versammlung dem Gedenken an Rudolf Heß diene. Dies könne auch nicht durch das Vorbringen des Antragstellers, der entsprechende Aufruf sei aus dem „Weltnetz" gelöscht worden, entkräftet werden. Nach Art. 15 Abs. 2
BayVersG sei auf die zurzeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umstände abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe der eindeutige Bezug des Aufrufes zu einem Gedenken an Rudolf Heß bestanden. Der ursprüngliche Text sei
teilweise durchgestrichen und das Banner mit dem Vermerk „zurzeit verboten" versehen worden. In dieser geänderten Version seien jedoch alle Passagen im Zusammenhang mit Rudolf Heß unverändert geblieben. Diese Form des
Aufrufs sei bis zum 02.11.2012 online gewesen. Das zwischenzeitliche Entfernen könne daher die Gefahrenprognose nicht mehr beeinflussen. Es sei auch besonders zu berücksichtigen, dass durch die wochenlange Verbreitung des
Aufrufs bereits eine erhebliche Verbreitungswirkung erfolgt sei. Der zugrundeliegende Sachverhalt bei der Entscheidung des OLG Frankfurt, Planen auf einem Lkw, möge vielleicht den Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB nicht
erfüllen, hier sei jedoch zu berücksichtigen, dass bei einer Versammlung in Wunsiedel aufgrund der eindeutigen Verknüpfung zu Rudolf Heß als Stellvertreter Adolf Hitlers eine Wirkung erkennbar sei, die der früherer
Heß-Gedenkkundgebungen gleichkomme. Das entscheidenste Kriterium hierbei bleibe der Aufruf zu dieser Versammlung mit der aggressiven Thematisierung der Grabauflösung von Rudolf Heß. Welch besondere Bedeutung dieser in
rechtsextremen Kreisen in Verbindung mit dieser Versammlung zukomme, werde aus der Klageschrift deutlich, wenn auf Seite 3 ausgeführt werde, dass im Aufruf lediglich die unter mysteriösen Umständen erfolgte Beseitigung des
Grabes von Rudolf Heß kritisiert werde. Weiterhin sei von einem hysterischen Umgang selbst mit den Gebeinen eines Toten die Rede. Selbst die Klageschrift bringe noch zum Ausdruck, alleiniger Zweck der Thematisierung der
Grabauflösung sei, eine Anknüpfung für die Verherrlichung von Rudolf Heß zu schaffen. Ein weiterer Gesichtspunkt sei, dass diese Versammlung eben gerade in Wunsiedel, dem Ort früherer Heß-Gedenkmärsche, stattfinden solle.
Die Versammlung würde somit die Wirkungen einer klassischen „Heß-Gedenkkundgebung" entfalten, womit ein Verstoß gegen § 130 Abs. 4 StGB konkret zu erwarten sei. Das Versammlungsverbot sei im vorliegenden Fall als
„Ultima Ratio" erforderlich. Eine Beschränkung dergestalt, dass jeglicher Bezug zu Rudolf Heß verboten sei, sei auch in Verbindung mit der in der Klageschrift erfolgten Erklärung, jegliche Nennung des Namens von Rudolf Heß und
jegliche Beschäftigung mit seiner Person und den Umständen der Beseitigung seines Grabes zu unterlassen, nicht ausreichend, um die öffentliche Wahrnehmung dieser Versammlung als Heß-Gedenkkundgebung zu verhindern. Im
Wesentlichen wird dargelegt, dass in der Vergangenheit entsprechende Auflagen unterlaufen worden seien, wobei formal das Versammlungsthema beachtet, jedoch durch bewusste Wahl von Formulierungen ein auch für
Außenstehende erkennbarer Bezug zu Rudolf Heß hergestellt worden sei. Jeder mit den Begleitumständen vertraute, unvoreingenommene und verständige Betrachter am Ort der Versammlung werde, ebenso wie die
Versammlungsteilnehmer, in dieser Versammlung ein Gedenken an Rudolf Heß sehen. Nachdem die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen ebenfalls erfüllt seien, würden hier die Verbotsgründe des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG
sowie des § 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 130 Abs. 4 StGB greifen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Unterlagen Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II. Der Antragsteller begehrt mit dem Antrag die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gleichzeitig erhobenen Anfechtungsklage gegen das mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Versammlungsverbot.
Dies ist im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes auszulegen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, da dieser gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG kraft Gesetzes
keine aufschiebende Wirkung zukommt. Eine Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist hier nicht erfolgt.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu
berücksichtigen sowie hier insbesondere die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 des Grundgesetzes - GG -.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Antrag zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Gericht teilt nach den Gesamtumständen des vorliegenden Sachverhalts die Annahme der Versammlungsbehörde, es würden hinreichende
Gründe für ein Versammlungsverbot im Sinne von Art. 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 2 BayVersG vorliegen, nicht.
Die zuständige Behörde kann eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Da zu den rechtsstaatlichen Garantien die Versammlungsfreiheit einschließlich ihrer in Art. 8 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen gehört,
kommen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Auch ein Verbot von Aufzügen oder Versammlungen nach Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2
BayVersG darf nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus
erkennbaren Umständen herleitbaren, Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. z.B. BVerfG vom 26.1.2001 in NJW 2001, 1409 und vom 1.5.2001 in NJW 2001, 2076). Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt
von ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten
Gebiets angesehen wird, rechtfertigt demgegenüber im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (BVerfG a.a.O.).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfGE 69, 315,352). Ein Versammlungsverbot setzt hinreichende, auf
die konkrete Versammlung bezogene Tatsachen voraus, dass solche Straftaten vom Veranstalter selbst oder durch Versammlungsteilnehmer begangen werden und dann vom Veranstalter unterstützt oder jedenfalls durch ihn nicht
unterbunden werden, oder dass sie auf andere Weise den Gesamtcharakter der Versammlung prägen. Konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr des Begehens strafbarer Handlungen werden im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt und
sind auch nach dem bekannten Sachverhalt im Hinblick auf den Veranstalter nicht gegeben.
Das Landratsamt stützt das Versammlungsverbot im angefochtenen Bescheid primär darauf, dass die angemeldete Versammlung benutzt werden solle, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu billigen, da sie nach
den vorliegenden Umständen sowohl von den Versammlungsteilnehmern als auch von Außenstehenden letztlich als Heß-Gedenkkundgebung wahrgenommen werde, was wegen Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB bzw. im Sinne von
§ 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährden würde. Dies aber rechtfertigt nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts kein Versammlungsverbot. Aus der Sicht des Gerichts
liegen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Umwidmung der mit einem anderen Thema angemeldeten streitgegenständlichen Versammlung vor. Die Prüfung der Voraussetzungen eines
Versammlungsverbots hat von den Angaben der Anmeldung auszugehen, es sei denn, es drängt sich auch bei grundrechtskonformer Deutung des Vorhabens der Eindruck auf, in Wahrheit sei ein anderer Inhalt geplant und der
Veranstalter werde trotz der gesetzlichen Strafdrohung eine Versammlung anderen Inhalts und damit anderen Gefahrenpotentials durchführen als angemeldet (vgl. BVerfG vom 18.8.2000 Az. 1 BvQ 23/00 in NJW 2000, 3053 =
BayVBl 2001, 79). Eine solche Annahme lässt sich auch nach den im Bescheid angeführten Umständen hier nicht begründen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Durchführung des Aufzugs letztlich vom
angemeldeten Versammlungszweck abgewichen wird. Eine etwaige Umwidmung der Versammlung in eine Heß-Kundgebung und die damit verbundene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung könnte außerdem durch
Auflagen als milderes Mittel aus dem Weg geräumt werden und daher ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen. Letztlich wird eine etwaige Umwidmung auch seitens des Antragsgegners nicht angenommen, da dieser vielmehr
darauf abstellt, dass die Versammlung aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere aufgrund eines Aufrufs im Internet mit Bezug auf Rudolf Heß und der Wahl von Wunsiedel als Versammlungsort als Heß-Gedenkkundgebung
wahrgenommen werde.
Der Annahme der Versammlungsbehörde, ein Verstoß gegen § 130 Abs. 4 StGB bzw. die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG würde bei Durchführung der streitgegenständlichen Versammlung
schon deswegen vorliegen, weil die Thematisierung der Grabauflösung von Rudolf Heß im (inzwischen gelöschten) Internetaufruf in Verbindung mit den weiteren Gesamtumständen, insbesondere der Wahl des Versammlungsortes
Wunsiedel, zu einer Wahrnehmung der Versammlung als Heß-Gedenkkundgebung durch Versammlungsteilnehmer wie auch Außenstehende führe und damit zu einer Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und
Willkürherrschaft, kann aus der Sicht des Gerichts nicht gefolgt werden. Zum Einen steht diese Meinung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge auf das konkrete äußere Erscheinungsbild
einer Versammlung abzustellen ist. Für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose kommt es darauf an, welche Bedeutung die Versammlung ihrem äußeren Erscheinungsbild und Erklärungswert nach haben wird (vgl. BVerfG
vom 7.11.2008 Az. 1 BvQ 43/08).
Zum Anderen wäre eine derart weite Auslegung eines Straftatbestands bzw. einer Verbotsnorm, bei der letztlich auf subjektive Kenntnisse und Empfindungen von Versammlungsteilnehmern und Außenstehenden abgestellt wird,
schon nach allgemeinen Auslegungsregeln problematisch und jedenfalls mit der vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten Bedeutung der Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung gemäß Art 8
Abs. 1 und 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, hier z.B. auch des Inhalts des Internetaufrufs, dass ihr Sinn
zutreffend erfasst worden ist. Im Falle mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen, was entsprechend gilt, wenn es um die Subsumtion
einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB geht (vgl. BVerfG vom 7.11.2008 Az. 1 BvQ 43/08, vom 1.12.2007 Az. 1 BvR 3041/07, vom 7.4.2001 Az. 1 BvQ 17/01 in NJW 2001, 2072 und
vom 6.9.2000 Az. 1 BvR 1056/95 in NJW 2001, 61). Auf eine im Zusammenspiel offener Aussagen verdeckt enthaltene zusätzliche Aussage darf die Verurteilung zu einer Sanktion oder eine vergleichbare Rechtsfolge nur gestützt
werden, wenn sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt und außerdem bei einer Abwägung mit den berührten Grundrechten die Rechtsfolge gerechtfertigt ist (vgl. u.a.
BVerfG vom 4.2.2010 Az. 1 BvR 369/04 in NJW 2010, 2193 und vom 19.12.2007 Az. 1 BvR 967/05 in NJW 2008, 1654). Diese Kriterien sind entsprechend für die Auslegung des Tatbestandes des § 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG
heranzuziehen und ergeben für den vorliegenden Sachverhalt, dass schon die von der Versammlungsbehörde vorgenommene Interpretation des Internetaufrufs problematisch ist, da sie über den Wortlaut weit hinausgeht und
zusätzliche Faktoren heranzieht. Jedenfalls liegen allenfalls mehrdeutige Aussagen vor, die in Verbindung mit der streitgegenständlichen Versammlung nicht die unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen, dass die Versammlung dem
Gedenken von Rudolf Heß dienen wird. Schließlich kann auch die Herbeiführung einer gedanklichen Verbindung der Versammlung zu Rudolf Heß durch mehrdeutige Äußerungen im Hinblick auf die Bedeutung der Grundrechte auf
Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen, zumal sich durch Auflagen hinreichend sicherstellen lässt, dass das äußere Erscheinungsbild der Versammlung keinen (weiteren) Anlass für eine
solche Annahme geben wird.
Der Umstand, dass Rudolf Heß in Wunsiedel begraben war und früher dort Versammlungen zum Gedenken an ihn stattfanden, mag zwar das Herstellen einer entsprechenden gedanklichen Verbindung zu ihm und zum Dritten Reich
bei einer Versammlung von Rechtsextremisten begünstigen, kann aber ohne objektiv nach außen wahrnehmbares entsprechendes Erscheinungsbild der Versammlung ein Verbot nicht rechtfertigen. Auch der erkennenden Kammer ist
es durchaus bewusst, dass rechtsextremistische Kreise die angemeldete Versammlung als eine Art Ersatz für die früheren Heß-Gedenkkundgebungen ansehen und informierte Außenstehende, insbesondere auch Opfer des
Nationalsozialismus oder deren Angehörige, bei einer Durchführung der Versammlung an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert werden und dies als Beeinträchtigung empfinden können. Dies trifft aber
letztlich auf jede rechtsextremistische Versammlung zu und würde man dies als ausreichend für ein Verbot ansehen, könnte jede Versammlung von Rechtsextremisten in Wunsiedel, auch z.B. der nicht verbotenen Partei NPD,
verboten werden, was eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Aushöhlung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit bedeuten würde. Weiter ist insoweit zu betonen, dass sowohl der Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB als
auch die Verbotsnorm des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG neben einer Billigung, Verherrlichung, Rechtfertigung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zusätzlich erfordern, dass durch die
betreffende Versammlung der öffentliche Frieden in „einer die Würde der Opfer verletzenden Weise" gestört wird bzw. „die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer" besteht. Davon kann nach Auffassung des
Gerichts bei einer Versammlung, die objektiv keinerlei direkten Bezug zu Rudolf Heß und zum NS-Regime aufweist, sondern allenfalls entsprechende indirekte Assoziationen bei Teilnehmern und Betrachtern mit diesbezüglichen
Vorkenntnissen bzw. in den Medien hervorruft, keinesfalls die Rede sein. Bloße gedankliche Vorstellungen, die objektiv nach außen nicht in Erscheinung treten, können nicht den Tatbestand eines Strafgesetzes bzw. einer
Verbotsnorm erfüllen.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Verbotsbescheid des Landratsamts Wunsiedel i. F. vom 26.10.2012 ist daher mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO anzuordnen. Der Streitwert bemisst
sich nach den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 und 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 (Hälfte des Hauptsachestreitwertes) und 45.4 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18.
Auflage 2012, Anh. § 164 RdNr. 14). ..." (VG Bayreuth, Beschluss vom 07.11.2012 - B 1 S 12.882)
***
„... I. Der Antragsteller ist Anmelder einer Dauermahnwache.
Einige Teilnehmer dieser Dauermahnwache starteten vor wenigen Wochen in Würzburg zu einem Protestmarsch nach Berlin. Hier bildete sich zunächst ein Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Am 24.10.2012
suchten Teilnehmer dieses Protestcamps den Pariser Platz in Berlin-Mitte auf. Sie bauten auf der dortigen Mittelinsel ein Zelt auf und begannen zum Teil einen Hungerstreik. Nachdem sich trotz entsprechender Aufforderung der
Polizei kein verantwortlicher Versammlungsleiter meldete, baute diese das Zelt ab. Daraufhin meldete der Antragsteller eine Versammlung mit dem Thema „Bleiberecht für alle, Abschaffung der Residenzpflicht" mit zunächst
unbestimmter Dauer an. In einem Telefonat mit der Versammlungsbehörde erklärte der Antragsteller, dass es sich um einen Hungerstreik von 20 bis 30 Flüchtlingen handele, der andauern solle, bis deren Forderungen erfüllt seien.
Hierzu würden ein größeres Zelt, Isoliermatten (kurz: Isomatten) und Schlafsäcke benötigt. Ein an das Bezirksamt Berlin-Mitte gerichteter Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Errichtung des Zeltes wurde
fernmündlich abschlägig beschieden.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 25.10.2012 bestätigte dieser die Anmeldung der Versammlung und erließ gestützt auf § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) folgende Auflage:
„Die Aufstellung und Nutzung von nicht dem Versammlungszweck dienenden und den Gemeingebrauch öffentlichen Straßenlandes übersteigenden Aufbauten im Rahmen Ihrer Versammlung wird - sofern keine Erlaubnisse nach
straßen- bzw. straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vorliegen - untersagt.
Insbesondere wird die Nutzung von Zelten, Schlafsäcken, Isomatten sowie Pavillons, Planen und Pappen untersagt, sofern diese dem Witterungsschutz, dem Sitzen, dem Liegen oder in sonstiger Weise der Bequemlichkeit von
Versammlungsteilnehmern dienen.
Tätigkeiten, die keinen Versammlungszweck haben, aber dem Gemeingebrauch öffentlichen Straßenlandes unterfallen, sind weiterhin erlaubnisfrei möglich."
Vom 25.10.2012 bis zum 31.10.2012 stellten die vor Ort eingesetzten Polizeikräfte wiederholt fest, dass sich Teilnehmer der Versammlung auf Isomatten, Schlafsäcken oder Ähnlichem insbesondere zum Schlafen niederließen. Ferner
beobachteten sie mehrfach, dass Teilnehmer mittels Regenschirmen und Planen zeltartige Überdachungen konstruierten, um sich vor den Witterungseinflüssen zu schützen. Diese Maßnahmen wurden von der Polizei jeweils
unterbunden und die entsprechenden Hilfsmittel heraus verlangt. Am 26.10.2012 beschlagnahmte die Polizei bei einer Versammlungsteilnehmerin eine Isomatte, die sie sich um den Körper gewickelt hatte, und einen Schlafsack, den
sie in einem Rucksack bei sich führte. Die Polizei verhinderte zudem wiederholt, dass den Versammlungsteilnehmern Decken, Schlafsäcke und Ähnliches gereicht wurde. In der Nacht vom 27. auf den 28.10.2012 nahm die Polizei 16
Regenschirme, 9 Decken, 1 Schlafsack, 3 Isomatten, 9 Wärmflaschen und diverse Pappen, die als Schlafunterlagen genutzt wurden, in Verwahrung.
Mit Schreiben vom 29.10.2012 legte der Antragsteller, vertreten durch seinen jetzigen Verfahrensbevollmächtigten, Widerspruch gegen die vorstehend im mittleren Absatz zitierte Auflage („Insbesondere …") des Bescheids vom
25.10.2012 ein.
Am 31.10.2012 entfernte die Polizei einen kurzfristig errichteten Pavillon mit Seitenblenden vom Versammlungsort, der nach Angabe des Antragstellers zur medizinischen Versorgung benötigt wurde. Am Nachmittag des 31.10.2012
kam es zu einer Zusammenkunft verschiedener politischer Kräfte, in deren Folge mit Duldung des Bezirksamtes von Berlin-Mitte ab dem Abend vier Wohnmobile als Wärmebusse auf dem Pariser Platz aufgestellt wurden und zudem
mit Geltung ab dem nächsten Tag eine Sondernutzungserlaubnis für vier Tische und vier Stühle erteilt wurde.
Mit dem am 31.10.2012 bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Er macht geltend, die ergangene Auflage sei rechtswidrig, da sie schon zu
unbestimmt sei. Zudem sei die damit untersagte Nutzung verschiedener Gegenstände vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umfasst. Hinsichtlich des von ihm gewünschten Zeltes folge dies daraus, dass Zweck der Versammlung
sei, auf die Situation von Asylbewerbern aufmerksam zu machen und insbesondere die Residenzpflicht zu kritisieren. Die zeltartigen Strukturen symbolisierten die Härten in Notunterkünften und Auffanglagern als Stationen der Flucht
nach und in Deutschland und seien zudem Ausdruck des Protests gegen die Residenzpflicht. Das Zelt stehe zudem in einem engen funktionalen Zusammenhang mit der Versammlung, da es den Teilnehmern Schutz vor
Witterungseinflüssen biete und dadurch jedenfalls den durch den Hungerstreik geschwächten Teilnehmern eine dauerhafte Teilnahme überhaupt erst ermögliche. Gleiches gelte für die eingesetzten Schlafsäcke, Isomatten, Planen und
Pappen. Denn das Recht auf Versammlungsfreiheit ende nicht an den Grenzen eines vermeintlich unzulässigen Witterungsschutzes. Anderenfalls verkäme Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gleichsam zu einem Schönwettergrundrecht.
Schließlich sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend begründet. Ohne Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sei dem Antragsteller und den Teilnehmern der Versammlung ein Aufenthalt über
Nacht nur schwer möglich, weshalb es der entsprechenden Anordnung bedürfe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 29.10.2012 gegen die angegriffenen Auflagen des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom 25.10.2012 wiederherzustellen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat nur im aus dem Tenor er-sichtlichen Umfang Erfolg. Denn der nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ist nur zum Teil begründet.
Dabei steht die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenabwehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.
Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt
zudem das private Aussetzungsinteresse nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Dabei richtet sich die Interessenabwägung in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde
liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.
Nach den vorgenannten Maßstäben bestehen allerdings ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage im Hinblick auf die Untersagung der Verwendung von zum auf dem Boden Sitzen einzelner
Versammlungsteilnehmer gegen Kälte und Witterungseinfluss notwendiger Unterlagen (1.). Hinsichtlich der Untersagung der Verwendung von Zelten und Pavillons erweist sich der Bescheid hingegen als rechtmäßig (2.). Ob die
Untersagung der Verwendung von Schlafutensilien rechtmäßig oder rechtswidrig ist, kann im Rahmen der nur summarischen Prüfung im vorliegenden Eilverfahren nicht beantwortet werden. Nach der aufgrund dessen gebotenen
Folgenabwägung ist der Antrag diesbezüglich allerdings abzulehnen (3).
1. Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG basierende, formell rechtmäßige Auflage, mit der die Nutzung von zum auf dem Boden Sitzen einzelner Versammlungsteilnehmer gegen Kälte und Witterungseinfluss notwendiger
Unterlagen untersagt wird, erweist sich bei summarischer Prüfung als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 GG verbürgte Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit dar.
Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985,
2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine
Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Eine derartige Gefährdung ist im Hinblick auf etwaige Sitzunterlagen nicht zu erkennen. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die
Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99). In Betracht käme vorliegend allenfalls eine Verletzung der Unversehrtheit der Rechtsordnung
in Gestalt eines Verstoßes gegen straßenrechtliche Vorschriften (vgl. dazu schon VG Berlin, Beschluss v. 23.12.2003 - 1 A 361/03, NVwZ 2004, 761). Dies setzte allerdings voraus, dass es sich bei den Sitzunterlagen zum Schutz vor
Witterung und Kälte nicht um Bestandteile der Versammlung, sondern um vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gedeckte Sondernutzungen öffentlichen Straßenlandes handelte. Dies ist aber nicht der Fall.
Zwar unterfällt nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur dem Schutzbereich von Art. 8 GG. „Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede
stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen
Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist." (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 16.08.2012 - OVG 1 S 108.12 m.w.N.) Hinsichtlich der Sitzunterlagen ist der
Schutzbereich des Art. 8 GG danach eröffnet. Denn der Antragsteller und die Teilnehmer seiner Versammlung haben als Versammlungsgestaltung zulässigerweise eine Dauermahnwache gewählt. Wird aber über einen längeren
Zeitraum durchgehend auch nachts demonstriert, zieht dies zwangsläufig das Bedürfnis nach einem zeitweiligen Ausruhen der einzelnen Versammlungsteilnehmer nach sich, so dass auch derartige Ruhepausen von Art. 8 GG geschützt
sind, um eine effektive Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmer zu gewährleisten (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss v. 12.04.2012 - 10 CS 12.767, zit. n. juris). Es kann dementsprechend nicht verlangt werden, dass die
Teilnehmer einer Dauermahnwache nur stehen. Dies zugrunde gelegt kann von den Teilnehmern ebenfalls nicht erwartet werden, sich den Witterungsbedingungen vollkommen ungeschützt auszusetzen. Denn dies liefe wegen der
damit verbundenen Gesundheitsgefährdung im Ergebnis darauf hinaus, dass sich die Grundrechtsträger an der Ausübung ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit jedenfalls in der kalten Jahreszeit gehindert sehen könnten.
Auf der anderen Seite besteht allerdings auch kein Anspruch der Grundrechtsträger darauf, möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung ihrer Versammlung zu schaffen. Denn wer sich nicht in geschlossenen
Räumen, sondern unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der jeweils herrschenden Witterung aus und kann nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit einen umfassenden Schutz dagegen verlangen (vgl.
bereits VG Berlin, Beschluss v. 23.12.2003 - 1 A 361/03, NVwZ 2004, 761; sowie Bayerischer VGH, Beschluss v. 02.07.2012 - 10 CS 12.1419, BeckRS 2012, 53126; VG Düsseldorf, Beschluss v. 13.07.2012 - 18 L 1140/12, BeckRS
2012, 54012; VG Lüneburg, Beschluss v. 18.11.2005 - 3 B 79/05, BeckRS 2005, 31010). Bloß der Bequemlichkeit der Teilnehmer dienende Bestandteile sind daher nicht von Art. 8 GG geschützt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 28.09.2012 - OVG 1 S 134.12). Dementsprechend ist der Schutz der Versammlungsteilnehmer vor Witterung und insbesondere vor Kälte auf das absolut notwendige Maß zu beschränken, das es ihnen noch gestattet, ihr
Grundrecht überhaupt auszuüben. Zuzulassen sind daher unter diesem Gesichtspunkt lediglich Sitzkissen, kleinere Pappen oder ähnliche Sitzunterlagen. Erst recht gilt dies - da insofern schon kein über den Gebrauch von anderer
Kleidung hinausgehender Gebrauch der Straße festzustellen ist - für beispielsweise am Körper getragene Isomatten oder Manteldecken. Auch wenn dies nicht Gegenstand der angegriffenen Auflage sein dürfte, weist die Kammer
darauf hin, dass die Nutzung von Wärmflaschen, Handwärmern, warmen Getränken und Ähnlichem ebenfalls ohne Weiteres dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit untersteht und entgegen der bisherigen Handhabung
polizeilich in jedem Fall zuzulassen ist.
2. Die Untersagung der Nutzung von Zelten und Pavillons ohne entsprechende Erlaubnis, die der Antragsteller nicht vorweisen kann, ist hingegen entsprechend der bisherigen Kammerrechtsprechung auch vorliegend als rechtmäßig
zu beurteilen. Denn dabei handelt es sich um bloß der Bequemlichkeit der Teilnehmer dienende Gegenstände, die mangels funktionaler oder symbolischer Verbindung zur gemeinsamen Meinungskundgabe nicht den Schutz des Art. 8
GG genießen. Dies kann schon daraus ersehen werden, dass das Zelt für einen objektiven Betrachter nach außen hin neutral ist, so dass sich hieraus kein auf die kollektive Meinungsäußerung beziehungsweise Meinungsbildung
gerichteter Zweck entnehmen lässt (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 23.12.2003 - 1 A 361/03, NVwZ 2004, 761). Aus den übrigen zwischen den Beteiligten umstrittenen Utensilien ist vielmehr ersichtlich, dass es dem Antragsteller und
den Versammlungsteilnehmern bei der Errichtung eines Zeltes oder Pavillons ausschließlich um eine bequemere, weil von Witterungseinflüssen unbeeinflusstere Möglichkeit des Verbleibs am Versammlungsort geht. Die mit dem
Antrag vorgebrachte vermeintliche Symbolik einer Zeltlagerstätte stellt sich aus Sicht der Kammer daher als rein verfahrensangepasste Zweckbestimmung dar, zumal sich aus dem gesamten Verwaltungsvorgang für einen derartigen
Zweck keinerlei Hinweise ergeben. Die Versammlungsfreiheit schützt aber nicht, dass die Versammlungsteilnehmer sich anstelle ihrer Gemeinschaftsunterkunft am Versammlungsort dauerhaft häuslich einrichten und dort in einem
Zeltlager als Ersatzobdach campieren und leben (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss v. 02.07.2012 - 10 CS 12.1419, BeckRS 2012, 53126). Sind Zelte und Pavillons danach nicht Bestandteile der geschützten Versammlung, so bedarf es
diesbezüglich einer straßenrechtlichen Erlaubnis nach § 11 des Berliner Straßengesetzes (BerlStrG) beziehungsweise § 46 Abs. 1 Nr. 8 der Straßenverkehrsordnung (StVO), die dem Antragsteller versagt worden ist. Sollte gleichwohl
ein Zelt oder Pavillon aufgestellt werden, verstieße dies gegen die vorgenannten Vorschriften als Teile der Rechtsordnung, was eine entsprechende Auflage nach § 15 Abs. 1 VersammlG rechtfertigt.
3. Ob die Untersagung der Nutzung von Schlafsäcken, Isomatten etc. zum Schlafen rechtmäßig ist, ist hingegen eine bislang ungeklärte Rechtsfrage, die von der Kammer im Rahmen einer bloß summarischen Prüfung nicht
beantwortet werden kann. Zwar hat der Bayerische VGH den Schutz des Art. 8 GG auch für ein zumindest zeitweiliges Schlafen der Versammlungsteilnehmer bejaht und sogar angenommen, dass auch die Verwendung von Betten als
Bestandteil von Dauerversammlungen anzusehen sein kann (vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschluss v. 02.07.2012 - 10 CS 12.1419, BeckRS 2012, 53126). Dem stehen aber nicht ohne weiteres von der Hand zu weisende Bedenken
gegenüber, wonach bei der Stellung von Infrastruktur zum Schlafen - vergleichbar den obigen Erwägungen zu Zelten und Pavillons - deren logistische Funktion und weniger deren Bedeutung für die Meinungskundgabe im
Vordergrund steht (vgl. etwa VG Düsseldorf, Beschluss v. 13.07.2012 - 18 L 1140/12, BeckRS 2012, 54012). Ist die insoweit zu beantwortende Rechtsfrage demnach offen und allenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu klären,
kommt es entscheidend auf eine Folgenabwägung an (vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 17.05.2004 - 2 BvR 821/04, NJW 2004, 2297, 2298). Danach überwiegt vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des
Antragstellers, vorläufig von den Folgen des Vollzugs verschont zu werden. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch der Antragsteller nicht behauptet, die Schlafutensilien hätten eine irgend geartete symbolische Funktion
für den Versammlungszweck. Sie werden vielmehr allein für den Schutz gegen die Kälte und die Witterung zum Schlafen im Freien benötigt. Seit dem 31.10.2012 befinden sich allerdings vier Wohnmobile als Wärmebusse am
Versammlungsort, in die sich die Versammlungsteilnehmer zum Schlafen zurückziehen können. Um den erforderlichen Schlaf zu erhalten, müssen die Teilnehmer also nicht den Versammlungsort beziehungsweise dessen unmittelbare
Umgebung verlassen. Der mit der Untersagung der Nutzung von Schlafutensilien wie Schlafsäcken, Isomatten und so weiter verbundene Eingriff in das Versammlungsrecht stellt sich daher vorliegend als nicht besonders
schwerwiegend dar. Demgegenüber ist das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Verfestigung einer möglicherweise rechtswidrigen Straßennutzung höher zu gewichten. Entsprechend war der Antrag insoweit abzulehnen. ..."
(VG Berlin, Beschluss vom 02.11.2012 - 1 L 299.12)
***
„... 1. Die Klage ist zulässig. Die Kläger haben gegen einen durch Zeitablauf vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakt den statthaften Rechtsbehelf der Fortsetzungsfeststellungsklage ergriffen (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
Den Klägern steht das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis in Form des Feststellungsinteresses zu. Die von den Klägern befürchtete Wiederholungsgefahr erscheint ausreichend
konkretisiert. Die von ihnen angestrebte Klärung ist als Richtschnur für ihr künftiges Verhalten von wesentlicher Bedeutung.
2. Die Klage ist teilweise begründet.
3. Nicht zu beanstanden ist die in Nr. 2.9 Sätze 1 - 3 des Bescheides geregelte Zahl der Ordner. Die Kläger wurden verpflichtet, für die Versammlung bei einer Teilnehmerzahl von bis zu 100 Personen mindestens sieben Ordner
einzusetzen, für darüber hinausgehende Teilnehmerzahlen pro angefangene 20 Teilnehmer jeweils einen weiteren Ordner. Die dem angegriffenen Bescheid beigegebene Begründung trägt die nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG getroffene
Anordnung. Auch die erkennende Kammer sieht angesichts der Aufmarschstrecke, des Kundgebungsortes und des Versammlungszeitpunktes im Trubel des letzten Adventssamstags erhebliche Sicherheitsrisiken (vgl. VG Würzburg,
B.v. 16.12.2011 Nr. W 5 S 11.1023).
Die Kläger erwarteten ausweislich ihrer Anmeldung 100 Versammlungsteilnehmer, so dass sie bei Befolgung des Bescheides sieben Ordner zu bestellen gehabt hätten. Die Zahl der Ordner hält sich in Anbetracht der Umstände im
Rahmen des Verhältnismäßigen (VG Würzburg, a.a.O.). Die von der Beklagten geforderte Anzahl der Ordner mag sich geringfügig über dem üblichen Rahmen für kleinere Versammlungen bewegen (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2008
Nr. 10 ZB 07.2665; vgl. Merk/Wächtler in Wächtler/Heinhold/ Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, RdNr. 104 aE zu Art. 15). Gerade angesichts der oben dargestellten Umstände rechtfertigt sich aber die Anordnung ohne
Weiteres. Dazu kommt, dass die Kläger durch das Mitführen eines Kraftfahrzeugs im Aufzug besondere Gefahrenquellen schafften, deren Eindämmung ihnen oblag. Die von der Versammlung ausgehenden Gefahren für die
öffentliche Sicherheit lagen auf der Hand. Einer weitergehenden Begründung im angegriffenen Bescheid bedurfte es nicht. Die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 BayVersG lagen vor.
Wegen der äußeren Umstände der Versammlung liegt auch eine wesentliche Abweichung von dem dem Beschluss der Kammer vom 21. März 2011 Nr. W 5 S 11.219 (auf den sich die Kläger berufen) zugrundeliegenden Sachverhalt vor.
Wenn die Kläger vortragen lassen, es sei nicht Aufgabe des Versammlungsleiters, sondern der Polizei, die Sicherheit der Versammlungsteilnehmer zu gewährleisten, soweit von außen auf die Versammlung eingewirkt werde, trifft dies
nicht uneingeschränkt zu. Ordner unterstützen den Versammlungsleiter bei der Wahrnehmung seiner Ordnungsfunktion. Bei der Beseitigung von Störungen durch Teilnehmer haben der Leiter und von ihm eingesetzte Ordner zwar nur
beschränkte Möglichkeiten, da das Recht, Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung unter freiem Himmel oder dem Aufzug auszuschließen, allein der Polizei zusteht (Art. 24 Abs. 2 Satz 1 und Art. 15
Abs. 5 BayVersG). Der Leiter und seine Ordner können aber auf die Teilnehmer einwirken. Die Teilnehmer sind auch verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm
bestellten Ordner zu befolgen (Art. 5 Abs. 1 BayVersG). Soweit die Befugnisse des Leiters und seiner Ordner im Einzelfall zur Unterbindung von Störungen nicht ausreichen, müssen sie sich polizeilicher Hilfe bedienen. Gleichwohl
kann der Einsatz von Ordnern im Vergleich zum Einschreiten von Polizeibeamten gerade bei Demonstrationen deeskalierend wirken. Denn es ist davon auszugehen, dass Weisungen der Ordner von den Versammlungsteilnehmern
eher akzeptiert werden als Anordnungen, die unmittelbar durch die Polizei erfolgen (vgl. im Einzelnen OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 10.02.2010 Nr. 7 A 11095/09). Die Kläger verkennen offenbar die Versammlungsleiterpflichten aus
Art. 4 Abs. 1 BayVersG, zu deren Erfüllung sich der Leiter der Ordner bedient (Art. 4 Abs. 2 BayVersG). Im Übrigen sind Gefahren, die von der Versammlung ausgehen, nicht immer strikt von Gefahren zu trennen, die von außen auf
die Versammlung einwirken.
4. Keinen Bedenken begegnet auch Nr. 2.10 Satz 4 des Bescheides der Beklagten vom 13. Dezember 2011. Danach müssen sich die Ordner durch Personalausweis oder Reisepass ausweisen können. Diese Verpflichtung begründet für
sich noch nicht die von den Klägern befürchtete Personalisierung der Ordner. Zwar erfolgte die Verpflichtung ausweislich der Bescheidgründe, um eine Personalisierung der Ordner durch die Polizei vor Versammlungsbeginn zu
ermöglichen (S. 7 des Bescheids). Jedoch soll durch Vorgaben wie in Art. 13 Abs. 6 BayVersG die zuständige Behörde nach dem Willen des Gesetzgebers gerade die Möglichkeit erhalten, vorgesehene Ordner vor Beginn der
Versammlung darauf zu überprüfen, ob sie die Friedlichkeit der Versammlung gefährden (amtliche Begründung zum BayVersG 2008, LT-Drs. 15/10181). Gleiches gilt für die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Ordner. Dass die
Behörden die Zuverlässigkeit von Ordner prüfen dürfen, zeigt auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Mai 2001 Nr. 1 BvQ 21/01. Diese Intention des Gesetzgebers sicherzustellen, dient die angegriffene Anordnung.
Sie erweist sich insbesondere in Fällen, in denen noch keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die eingesetzten Ordner bestehen, als das Mittel der Wahl.
Gegenüber der Mitteilungspflicht des Art. 13 Abs. 6 BayVersG stellt die Anordnung, dass die Ordner einen gültigen Personalausweis mit sich zu führen haben, eine weniger einschneidende, ausreichende und angemessene Regelung
dar (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 30.06.2011 Nr. 1 S 2901/10). Auch muss die Versammlungsbehörde wie auch die Polizei die Möglichkeit haben, die Volljährigkeit eines Ordners nachzuprüfen (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1
BayVersG). Das kann sinnvollerweise am besten durch Einsicht in ein mitgeführtes Ausweispapier geschehen.
5. Soweit in Nr. 2.11 Spiegelstrich 3 des angegriffenen Bescheides neben dem Lautsprecherwagen, den Transparenten und den Schildern nur ein Megaphon zugelassen wird, verstößt diese Regelung gegen die Gestaltungsfreiheit des
Veranstalters der Versammlung. Den von der Lärmentwicklung aller verwendeten Lärmquellen ausgehenden Gefahren kann die Versammlungsbehörde durch grundsätzliche Beschränkung des Lautsprechereinsatzes (vgl.
Merk/Wächtler, a.a.O., RdNr. 28 zu Art. 15) mit der Vorgabe von Schallpegelwerten begegnen. Welche Quellen der Veranstalter nutzt, obliegt im Übrigen grundsätzlich seinem Bestimmungsrecht. Die Verwendung von Lautsprechern
stellt ein adäquates, oft notwendiges Mittel der Verständigung und Kundgabe dar (Heinhold in Heinhold/Wächtler/Merk, a.a.O., RdNr. 85 zu Art. 1). Bei Lärmbeschränkungen ist im Übrigen Zurückhaltung geboten (Heinhold, a.a.O.,
RdNr. 86 zu Art. 1; OLG Celle, B.v. 9.12.1976 Nr. 2 Ss (OWi) 388/76, NJW 77, 444). Die Belange der Versammlung müssen gewährleistet bleiben und gehen im Zweifel anderen Erwägungen vor (Heinhold, a.a.O.). Auch zulässige
Beschränkungen müssen sich am Grundrecht der Versammlungsfreiheit und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren. Dass die Kläger bei der Anmeldung der Versammlung nur „Megaphon" angegeben haben, ist
unschädlich, rechtfertigt nämlich noch nicht aus sich heraus die Beschränkung auf ein Megaphon. Diese Beschränkung wurde zudem von der Beklagten im Bescheid auch nicht begründet. Art. 13 BayVersG verlangt bei der Anzeige
der Versammlung schließlich nicht die verbindliche Angabe der einzelnen Kundgebungsmittel.
Nr. 2.11 Spiegelstrich 3 des angefochtenen Bescheides erweist sich deshalb als rechtswidrig.
6. Auch Nr. 2.15 Satz 1 des angegriffenen Bescheides ist rechtswidrig. Die Vorgabe verkennt den Sinn und Zweck einer Versammlung, der sich nicht darin erschöpft, die eigentlichen Teilnehmer der Versammlung anzusprechen.
Vielmehr sollen auch und gerade Außenstehende den Inhalt der Beiträge wahrnehmen können. Dabei ist die Verwendung von Lautsprechern ein typisches, adäquates und auch notwendiges Mittel der Verständigung und Kundgabe
(wie oben unter Nr. 4 bereits dargelegt). Dies berücksichtigt Nr. 2.15 Satz 1 des Bescheides nicht, wenn verlangt wird, dass nur die unmittelbaren Versammlungsteilnehmer angesprochen werden dürfen.
Das Versammlungsrecht schließt nämlich das Recht ein, auf den öffentlichen Meinungsprozess einzuwirken. Es würde entwertet, wenn den Teilnehmern einer Versammlung die Wahrnehmbarkeit der Inhalte ihrer Versammlung durch
Dritte, die an der Versammlung nicht selbst teilnehmen, verwehrt würde. Die Meinungskundgabe setzt voraus, dass auch ein Kommunikationsgegenüber vorhanden ist, dem die Teilnehmer etwas bekunden können (BVerfG, BVerfGE
69, 315; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 18.11.2008 Nr. 1 B 2/07, Fundstelle Bayern 2010, Nr. 68). Dies bedingt, dass die von der Versammlung ausgehenden Kommunikationssignale - Lieder, Parolen, Redebeiträge - auch inhaltlich
wahrgenommen werden können und erfordert mehr, als dass Dritte, die die Demonstration wahrnehmen, lediglich erkennen, dass sich eine gewisse Zahl von Menschen versammelt hat und einer Rede lauscht, die gerade eben laut
genug ist, um von den Teilnehmern der Versammlung vernommen zu werden, während die Außenstehenden lediglich registrieren können, dass eine Rede unbekannten Inhalts gehalten wird. Gerade die Erregung öffentlicher
Aufmerksamkeit durch die Versammlung ist zentraler Bestandteil des Versammlungsgrundrechts (BVerfG, B.v. 24.10.2001 Nr. 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96, BVerfGE 104, 92; OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.).
Die Rechtswidrigkeit des Satzes 1 der Nr. 2.15 führt auch zur Rechtswidrigkeit der übrigen Regelungen dieser Ziffer. Die Stadt Würzburg hat nämlich ausweislich der Formulierungen der Sätze 2 und 3 der Nr. 2.15 die dort getroffene
Begrenzung der Schallleistungspegel der Lautsprecheranlage „zu diesem Zweck", also gerade zur Sicherstellung der unzutreffenden Vorgaben des Satzes 1 der Nr. 2.15, verfügt. Die Fehleinschätzung zur akustischen Außenwirkung
von Versammlungen schließt eine ermessensgerechte Handhabung der Lärmbegrenzung aus.
Wie bereits dargelegt, kann den von der Lärmentwicklung der Versammlung ausgehenden Gefahren grundsätzlich durch Beschränkungen des Lautsprechereinsatzes begegnet werden (vgl. zu Beispielen aus der Rechtsprechung OVG
Lüneburg, B.v. 10.11.2010 Nr. 11 LA 298/10; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 13.02.2012 Nr. 3 L 257/10; VG Regensburg, B.v. 15.06.2007 Nr. RO 7 S 07.862; vgl. auch Merk/Wächtler, a.a.O., RdNr. 104 zu Art. 15, S. 285 unten), aber
eben nicht mit der in Satz 1 der Nr. 2.15 aufgeführten Zielsetzung.
7. Wie bereits im Beschluss der Kammer vom 16. Dezember 2011 Nr. W 5 S 11.1023 dargelegt, ist Nr. 2.17 des Bescheides vom 13. Dezember 2011 rechtswidrig. Für die getroffene Regelung gibt es keine Rechtsgrundlage. Die
Verpflichtung zur Benennung eines Wagenverantwortlichen unter Angabe der vollständigen Personalien und des Kfz-Kennzeichens des Fahrzeugs lässt sich nicht auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG stützen. Eine unmittelbare Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung war insoweit weder ersichtlich noch wurde eine solche behauptet. Es bestanden insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein ungeeigneter oder unzuverlässiger Wagenführer zum
Einsatz hätte kommen sollen. Den besonderen, vom Betrieb des Lautsprecherwagens ausgehenden Gefahren wurde bereits durch in Nrn. 2.12, 2.13 und 2.14 des Bescheides getroffenen Regelungen begegnet. Der als
Lautsprecherwagen vorgesehene Pkw war offenbar für den Straßenverkehr zugelassen und verfügte über ein amtliches Kennzeichen. Es war der Polizei unbenommen, vor Beginn der Veranstaltung auf den Fahrer des Pkw zuzugehen
und diesen etwa über die besonderen Risiken des Fahrens in einem Demonstrationszug und dergleichen zu belehren. Der Vorabmeldung eines Wagenverantwortlichen mit Personalien und Kfz-Kennzeichen des Fahrzeugs bedurfte es nicht.
8. Antragsgemäß festzustellen war nach alledem die Rechtswidrigkeit der Nr. 2.11 Spiegelstrich 3 des Bescheides der Beklagten vom 13. Dezember 2011 hinsichtlich der Anzahl der Megaphone, der Nr. 2.15 dieses Bescheides
insgesamt und der Nr. 2.17 des Bescheides hinsichtlich der Meldepflicht eines „Wagenverantwortlichen". Im Übrigen war die Klage abzuweisen. ..." (VG Würzburg, Urteil vom 25.10.2012 - W 5 K 12.54)
***
An der Vereinbarkeit der Verbotsnorm des § 8 Abs. 1 Nr. 3 HFeiertagsG (juris: FeiertG HE) mit höherrangigem Verfassungsrecht bestehen gegenwärtig keine Zweifel. Zur Zulässigkeit einer "Tanz-Demo" am Karfreitag (VG Gießen,
Urteil vom 25.10.2012 - 4 K 987/12.GI):
„... B. Die Klage ist unbegründet, denn die erledigte Verbotsverfügung erweist sich als rechtmäßig und vermag so den Kläger nicht in eigenen Rechten zu verletzen. Zur Überzeugung des Gerichts ist die zur Anwendung gebrachte
Norm des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes (HFeiertagsG) in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 2. Februar 2010 (GVBl. I S. 10) - FFN 17-6 -, mit
höherrangigem Verfassungsrecht vereinbar, so dass es für die Entscheidung des Gerichts weder auf eine verfassungskonforme Auslegung dieser Eingriffsbefugnis noch - im Fall des Verneinens deren Möglichkeit - auf eine konkrete
Normenkontrolle insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht ankommt (1.). Auch die konkrete Rechtsanwendung durch den Beklagten ist nicht zu beanstanden (2.).
1. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 HFeiertagsG sind ‚am Karfreitag von 0 Uhr an … öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesen Feiertag entsprechenden ernsten Charakter
tragen', verboten. Aus dem Zitat der Versammlungsfreiheit als hierdurch eingeschränktem Grundrecht in § 13 HFeiertagsG wird ersichtlich, dass ‚Veranstaltungen' als Oberbegriff auch für Versammlungen gebraucht wird. Zur
Überzeugung des Gerichts ist dieses Verbot zum Schutz eines der höchsten christlichen Feiertage gegenwärtig gerechtfertigt (a.), wobei dieses Verbot indes auch künftig einer Legitimation bedarf (b.).
a. Entgegen der Ansicht des Klägers hat der hessische Gesetzgeber in der Norm des § 8 Abs. 1 Nr. 3 HFeiertagsG kein religiöses Bekenntnis gesetzt, das ihn in seiner negativen Bekenntnisfreiheit, seiner Versammlungsfreiheit oder
seiner Meinungsfreiheit verletze. Nach einer ersten Regelung durch das ‚Gesetz über die Feiertage' vom 10. Januar 1946 (GVBl. S. 72), die indes nicht zu einer vollständigen Rechtsklarheit insbesondere hinsichtlich einer Fortgeltung
der Verordnung über den Schutz der Sonn- und Feiertage vom 16. März 1934 (RGBl. I S. 199) führte (vgl. Drucksachen Abt. I Nr. 235 vom 18. August 1951, abrufbar über das Landtagsinformationssystem unter
www.landtag.hessen.de), wurde das ‚Gesetz über die Sonn- und Feiertage' vom 17. September 1952 (GVBl. S. 135), erlassen, dessen Bestrebungen dahin gingen, die Zahl der in Hessen anerkannten gesetzlichen, mit
Lohnzahlungspflichten ausgestatteten Feiertage zu reduzieren, indem ‚Feiertage, die … nur in einem Teil des Landes als gesetzliche Feiertage in Betracht kommen (Reformationsfest, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligentag) in
Zukunft im wesentlichen auf ihren Charakter als kirchliche Feiertage beschränkt und nur in demjenigen Umfange staatlich geschützt sein sollen, der allgemein für kirchliche Feiertage in § 4 des Entwurfes vorgesehen ist'; § 4 des
Entwurfes enthielt die Bestimmung, dass, ‚soweit betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen, … die Arbeitgeber Mitgliedern der Kirchen und Religionsgemeinschaften Gelegenheit zu geben (hätten), an deren Feiertage, auch
wenn diese nicht zugleich gesetzliche Feiertage sind, den Gottesdienst zu besuchen' und ‚ebenso … an diesen Feiertagen den Schülern die zum Besuche des Gottesdienstes erforderliche Freiheit zu gewähren' (a.a.O. Drucksachen Abt. I
Nr. 235 vom 18. August 1951). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt war damit die Feststellung einer bestimmten, konfessionell ausgerichteten Praxis in der Bevölkerung. Auch in der ‚Vorlage der Landesregierung betreffend den
Entwurf für ein Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage' vom 26. Mai 1971 (Drucksache 7/463), der sich gerade mit Regelungen für die ‚stillen Feiertage' befasste, und der zu der hier maßgeblichen
Regelung führte, wurde auf die weitere soziale Entwicklung abgestellt, wobei es hierzu heißt (a a.O., S. 6):
‚In der Karwoche sollen nur noch öffentliche Tanzveranstaltungen verboten sein. Dieses Verbot soll auch nicht mehr während der Karwoche, sondern - außer am Karfreitag - nur noch am Gründonnerstag von 4.00 Uhr an und am
Karsamstag gelten. Die Notwendigkeit einer im bisherigen Maße stillen Gestaltung der gesamten Karwoche (vgl. § 11 FeiertagsG) ist im Bewußtsein der Bevölkerung nicht mehr verankert. Wie die Feiertagsgesetze anderer Länder
sieht der Entwurf deshalb vor, dass der besondere Schutz der Karwoche auf die Zeit von Gründonnerstag bis Karsamstag beschränkt wird (vgl. § 10). Diese gesetzliche Änderung entspricht der nach dem Grundgesetz gebotenen
weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates. Sie trägt auch einem Anliegen weiter Kreise der Bevölkerung Rechnung, das bereits Gegenstand zahlreicher Eingaben an den Minister des Innern war.
Hingegen erscheint es nicht vertretbar, eine Anregung der Verbände des Gaststätten- und des Unterhaltungsgewerbes zu entsprechen und das Tanzverbot am Karfreitag und Karsamstag bereits um 20.00 Uhr enden zu lassen. Der
feiertagsrechtliche Schutz dieser Tage würde zu stark beeinträchtigt, wenn abends von 20.00 Uhr an öffentliche Tanzveranstaltungen stattfinden dürften.'
Angesichts des Umstandes, dass nach den Angaben des Hessischen Statistischen Landesamtes aktuell für das Jahr 2010 noch knapp zwei Drittel der Bevölkerung Hessens der evangelischen oder katholischen Kirche angehören, ist eine
soziale Veränderung, die die Legitimität des Normbefehls im Hinblick auf andere, verfassungsmäßig geschützte Grundrechte in Frage stellte, noch nicht festzustellen. Die dem Kläger abverlangte Rücksichtnahme auf ihrerseits
verfassungsmäßig geschützte Positionen der Angehörigen christlichen Bekenntnisses, die allein durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt werden, begründet noch keine Verletzung des Klägers in seiner negativen
Bekenntnisfreiheit. Im bloßen Unterlassen bestimmter Handlungen während eines bestimmten Zeitraums liegt keine abverlangte kultische Handlung oder diesen gleichgestellte Betätigung vor. Dem Kläger bleibt es auch unbenommen,
seine persönliche Meinung zu der gesetzlichen Regelung jederzeit - also auch am Karfreitag - frei zu äußern. Eingegriffen, insoweit indes ermächtigt aufgrund von Art. 8 Abs. 2 GG und § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes sowie §
8 Abs. 1 Nr. 3 HFeiertagsG, wird allein in das Grundrecht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 GG, am Karfreitag bestimmte Formen einer Versammlung durchzuführen. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass der Gesetzgeber hier eine
praktische Konkordanz zwischen widerstreitenden Grundrechten sowie deren Schranken gefunden hat, die dem Verhältnismäßigkeitserfordernis genügt.
b. Im Hinblick auf die Relevanz einer bestimmten, konfessionell ausgerichteten Praxis in der Bevölkerung für die Anerkennung eines bestimmten Tages als gesetzlichem Feiertag sowie für die inhaltlichen Regelungen zu seinem
Schutz ist der Gesetzgeber allerdings gehalten, seine Normierungen auf ihre Legitimität zu überprüfen. Dies gilt hier unabhängig der formalen Befristung der Geltungsdauer des Hessischen Feiertagsgesetzes nach dem durch Art. 1 Nr.
3 des Gesetzes vom 2. Februar 2010 angefügten § 17 Satz 2. Nach den Feststellungen des Hessischen Statistischen Landesamtes wurden im Jahr 2010 in Hessen (sowie dem zu Thüringen gehörenden evangelischen Kirchenkreis
Schmalkalden, dem das Gericht indes für seine Betrachtung keine ausschlaggebende Bedeutung beimisst,) 9 494 Kinder katholisch sowie 17 389 Kinder evangelisch getauft; dem stehen auf katholischer Seite 15 .081 Bestattungen
sowie 13 360 Kirchenaustritte und auf evangelischer Seite 31 043 Bestattungen und 12 989 Kirchenaustritte gegenüber; mithin verbleibt auf katholischer Seite ein Negativsaldo von 18 947 Personen und auf evangelischer von 26 643
Personen. Angesichts dieser Entwicklung zeichnet sich ab, dass die derzeit absolute Mehrheit eines christlichen Bekenntnisses in der hessischen Bevölkerung zu einer nur noch relativen Mehrheit werden wird. Allein dieser Umstand
vermag indes den Schutz des Karfreitags als einem ‚stillen Feiertag' noch nicht in Frage zu stellen. Denn insoweit wird auch der Landesgesetzgeber die Anrufung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes nach dessen Novellierung
durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) als dem Gott des Alten und Neuen Testaments zu beachten haben. Ob freilich danach - wie bisher - ein generelles Verbot bestimmter Veranstaltungen am Karfreitag
noch aufrecht zu erhalten sein wird oder wegen der zunehmenden Irrelevanz genau jener bestimmten, konfessionell ausgerichteten Praxis, an der die Gesetzgebung sich bislang orientierte, für die allgemeine Lebensführung andere
Regelungen gefunden werden müssen, unterfällt zunächst der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und ist somit für die Entscheidung des Gerichts gegenwärtig unerheblich.
2. Auch nach der Überzeugungsgewissheit, die ein Gericht über die summarische Prüfung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens hinaus bei der Entscheidung über eine Klage zu gewinnen hat, gelten die Gründe, die das Gericht in
seinem Beschluss vom 5. April 2012 - 4 L 745/12.GI - angeführt hat, uneingeschränkt fort. Dort heißt es:
‚a. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14) - FFN 310-63 - war das Regierungspräsidium Gießen als
Bezirksordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG ermächtigt, die Befugnisse der ihm unterstellten Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen als örtlicher Ordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 HSOG auszuüben und damit selbst eine Anordnung zu treffen. Das Versammlungswesen fällt nach § 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und
zur Durchführung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12. Juni 2007 - FFN 310/105 - i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG in den Aufgabenbereich der allgemeinen Ordnungsbehörden. Auf Seite 3,
zweiter und letzter Absatz, der angegriffenen Verfügung hat das Regierungspräsidium Gießen nachvollziehbar die Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht den Selbsteintritt erforderten.
b. Der Ansicht des Regierungspräsidiums Gießen, der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343) - FFN 17-6 - stehe der geplanten Kundgebung
entgegen, ist zu folgen. Danach sind am Karfreitag von 0.00 Uhr an öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesem Feiertag entsprechenden ernsten Charakter tragen,
verboten. Diesem Verbot ist über die versammlungsrechtliche Ermächtigung des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978
(BGBl. I S. 1789) - FNA 2180-4 -, das in Hessen nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als Bundesrecht fortgilt, Geltung zu verschaffen, denn jede Veranstaltung - auch unter dem Privileg einer Versammlung -, die
diesem ernsten Charakter des Karfreitags nicht Rechnung trüge, stellte sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände so als Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Kundgebung ohne Zweifel
um eine Versammlung [(1)], doch ist sie - jedenfalls in der angemeldeten Form - nicht durchzuführen [(2)].
(1) Eine Kundgebung unter dem Motto ‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' ist auch dann eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie als Ausdrucksmittel Tanzelemente zu integrieren beabsichtigt, da die
Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung - und zwar hinsichtlich einer vom Antragsteller für geboten erachteten Novellierung des Hessischen Feiertagsgesetzes - gerichtet ist (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 <104>). Wegen dieser Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geht sie damit über eine
öffentliche Tanzveranstaltung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes hinaus, die mehr auf Tanzlustbarkeiten im Sinne von § 33b der Gewerbeordnung zielen dürfte, deren Abhaltung indes landesrechtlichen
Bestimmungen vorbehalten bleibt.
(2) Diese Versammlung unterfällt indes dem Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, nach dem für Versammlungen unter freiem Himmel das Versammlungsrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann.
In der angemeldeten Art und Weise verbleibt nur die Möglichkeit des Verbots [(a)], während Auflagen als milderes Mittel ausscheiden [(b)].
(a) Das Kundgabemittel des Tanzes als Ausdruck des Protests gegen den Normbefehl des § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes ist - jedenfalls in der beabsichtigten Form - mit dem gesetzlich normierten ernsten Charakter des
Karfreitags nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller die Motive des Gesetzgebers, die insbesondere den Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes tragen, offenbar nicht teilt. Denn
zum einen folgt aus dem Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und
Feiertage aus Art. 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383), der nach Art. 140 GG Bestandteil dieses Grundgesetzes ist, konkretisiert wird und demzufolge ‚der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage … als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt' bleiben (siehe auch Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 -, BVerfGE
125, 39 <84 ff.>; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 35.09 -, juris, Abs.-Nr. 16), zum anderen legitimiert die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls nicht dessen
Verletzung. Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung und stellt der Antragsteller genau hierauf ab. Diese
Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags, an den der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes anknüpft, nicht in Einklang zu bringen.
(b) Möglichkeiten, durch geeignete Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes das kommunikative Anliegen des Antragstellers mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines jedenfalls nicht unerheblichen
Bevölkerungsanteils vor dem objektivrechtlich bestehenden staatlichen Schutzauftrag in praktische Konkordanz zu bringen, sind nicht erkennbar. Soweit eine Auflage des Inhalts, die Versammlung nicht am Karfreitag, dem 6. April
2012, sondern am Karsamstag, dem 7. April 2012, abzuhalten, in Erwägung zu ziehen ist (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, zu einer Versammlung an
dem durch Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl. I S. 17, eingeführten Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als einer Verwaltungs-, nicht Rechtsvorschrift), ist nichts dafür erkennbar,
dass dies dem auf Protest gegen das Hessische Feiertagsgesetz durch dessen Zuwiderhandlung gerichteten Anliegen des Antragstellers entsprechen könnte. Auch andere Auflagen, durch die die vom Antragsteller beabsichtigte
Kundgabe mit dem äußeren Erscheinungsbild des Karfreitags, wie es aus § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes folgt, in Einklang zu bringen sein könnte, sind nicht erkennbar: Der Normgeber will die Bevölkerung am Karfreitag nicht
mit einer Kundgabe wie der vom Antragsteller beabsichtigten konfrontieren. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Fortführung der vom Regierungspräsidium Gießen vertretenen Ansicht eine
‚Christopher-Street-Demonstration' in einem konservativen Dorf nicht erlaubt sei, geht fehl, da insoweit mangels einer dem § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes entsprechenden konkreten Normierung auf die in § 15 Abs. 1 des
Versammlungsgesetzes zwar auch angeführte ‚öffentliche Ordnung', mithin bloße Sozialnormen, abgestellt werden müsste, die freilich im Allgemeinen weder Verbote noch Auflösungen, sondern nur Auflagen zu rechtfertigen
vermöchte (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschl. des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 <353>).'
Das weitere Vorbringen, schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung, gibt keinen Anlass, diese Sichtweise zu korrigieren. Insbesondere bedurfte es keines weiteren ‚Kooperationsgesprächs' des Klägers mit dem
Regierungspräsidium nach der Ausübung dessen Selbsteintrittsrechts, denn auf der Ebene der örtlichen Ordnungsbehörde hatte bereits ein Kooperationsgespräch stattgefunden, so dass die Standpunkte der Beteiligten bekannt waren. ..."
***
„... Über den Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Nach der Überzeugung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen vor. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur
Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört; die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erklärt.
Mit dem Ablauf des 30.10.2010 - an dem die Klägerin die streitgegenständliche Versammlung in Wunsiedel durchgeführt hatte - ist die Erledigung des ursprünglich angefochtenen Versammlungsverbotes eingetreten. Die mit dem
Bescheid vom 15.10.2010 verbundene Beschwer ist weggefallen. Die Bevollmächtigte der Klägerin hat den Klageantrag daher zulässigerweise von einer Anfechtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1
Satz 4 VwGO umgestellt. Die Klägerin kann gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 15.10.2010 beantragen, wenn sie dafür ein berechtigtes Interesse hat. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - und der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG vom 8.2.2011 in BayVBl 2011, 405, vom 12.5.2010 Az. 1 BvR 2636/04 in NVwZ-RR 2010, 625 und vom 3.3.2004
in BVerfGE 110, 77; BayVGH vom 29.7.2011 Az. 10 C 542) sind in versammlungsrechtlichen Verfahren die für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage geltenden Anforderungen unter
Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit anzuwenden. Ein Feststellungsinteresse besteht danach insbesondere dann, wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der
Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat oder wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht. Diese Voraussetzungen sind nicht nur
dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wurde, sondern auch, wenn die Art und Weise der Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wurde, da auch die Verhängung einer Auflage einen Eingriff in
die Versammlungsfreiheit darstellen kann (vgl. BVerfG vom 12.5.2010 a.a.O.; BayVGH vom 29.7.2011 a.a.O.).
Ein Rehabilitationsinteresse ist hier zwar nicht ersichtlich, doch ist eine ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründende Wiederholungsgefahr dann anzunehmen, wenn sowohl die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer
vergleichbaren Versammlung durch den jeweiligen Veranstalter besteht, als auch zu erwarten ist, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird, d.h. dass die Behörde das Verbot solcher weiterer
Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. BVerfG vom 8.2.2011 Az. 1 BvR 1946/06; BayVGH vom 29.7.2011 a.a.O.).
Beide Voraussetzungen liegen hier vor. Da das Gericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hatte und die Versammlung tatsächlich stattfinden konnte, ist nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse nur dann anzuerkennen, wenn damit gerechnet werden muss, dass die Versammlungsbehörde trotz der gerichtlichen Entscheidung bei künftigen
derartigen Versammlungen erneut ein Verbot aussprechen würde. Davon kann hier ausgegangen werden, da der Beklagte in der Klageerwiderung vom 14.04.2011 ausführt, dass das Versammlungsverbot seiner Meinung nach
rechtmäßig gewesen sei. Damit hat der Beklagte deutlich zu erkennen gegeben, dass er an seiner bisherigen Rechtsauffassung weitgehend festhalten will und dass unter vergleichbaren Voraussetzungen wie 2010 der Erlass eines
erneuten Versammlungsverbotes durch den Beklagten nicht ausgeschlossen ist. Somit ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse gegeben. Zwar hat die Bevollmächtigte der Klägerin nicht ausdrücklich erklärt, dass die Klägerin die
Absicht habe, auch künftig vergleichbare Versammlungen abzuhalten, jedoch liegt dies nach den Erfahrungen der letzten Jahre auf der Hand.
Das zulässige Feststellungsbegehren der Klägerin ist auch begründet, weil die Klägerin einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der versammlungsrechtliche Verbotsverfügung des Beklagten vom
15.10.2010 hat. Das Versammlungsverbot erweist sich als rechtswidrig. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Gericht Bezug auf seine eigenen Ausführungen im Beschluss vom 22.10.2010 Az. B 1 S 10.921. Zur
Sache und zum Klagevorbringen ist nochmals folgendes auszuführen:
Die zuständige Behörde kann eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Da zu den rechtsstaatlichen Garantien die Versammlungsfreiheit einschließlich ihrer in Art. 8 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen gehört,
kommen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Auch ein Verbot von Aufzügen oder Versammlungen nach Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2
BayVersG darf nur zum Schutz von Rechtsgütern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG zumindest gleichwertig sind, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus
erkennbaren Umständen herleitbaren, Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen (vgl. z.B. BVerfG vom 26.1.2001 in NJW 2001, 1409 und vom 1.5.2001 in NJW 2001, 2076). Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung, das heißt
von ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten
Gebiets angesehen wird, rechtfertigt demgegenüber im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (BVerfG a.a.O.).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfGE 69, 315,352). Ein Versammlungsverbot setzt hinreichende, auf
die konkrete Versammlung bezogene Tatsachen voraus, dass solche Straftaten vom Veranstalter selbst oder durch Versammlungsteilnehmer begangen werden und dann vom Veranstalter unterstützt oder jedenfalls durch ihn nicht
unterbunden werden, oder dass sie auf andere Weise den Gesamtcharakter der Versammlung prägen. Konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr des Begehens strafbarer Handlungen werden im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt und
sind auch nach dem bekannten Sachverhalt im Hinblick auf den Veranstalter nicht gegeben.
Das Landratsamt stützt das Versammlungsverbot im angefochtenen Bescheid primär darauf, dass die angemeldete Versammlung benutzt werden solle, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu billigen, also auf
eine angenommene Umwidmung in eine Heß-Kundgebung, die wegen Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährden würde. Dies aber rechtfertigt nach den Maßstäben des
Bundesverfassungsgerichts kein Versammlungsverbot, da zum einen aus der Sicht des Gerichts keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für eine Umwidmung der mit einem anderen Thema angemeldeten streitgegenständlichen
Versammlung vorliegen, zum anderen eine etwaige Umwidmung der Versammlung in eine Heß-Kundgebung und die damit verbundene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Auflagen als milderes Mittel aus
dem Weg geräumt werden könnte. Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen nicht ausgeschöpft ist. Versammlungsrechtliche Auflagen sind ein Mittel, den gefährdeten
Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen,
Rechtsgütern herzustellen.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage der Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots aufgrund Annahme einer Tarnveranstaltung für andere Zwecke entschieden, dass eine solche Annahme nur zur Grundlage eines
Versammlungsverbots genommen werden kann, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene, Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum
diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens muss das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 ff, 343)
berücksichtigt werden. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots hat von den Angaben der Anmeldung auszugehen, es sei denn, es dränge sich auch bei grundrechtskonformer Deutung des Vorhabens der
Eindruck auf, in Wahrheit sei ein anderer Inhalt geplant und der Veranstalter werde trotz der gesetzlichen Strafdrohung eine Versammlung anderen Inhalts und damit anderen Gefahrenpotentials durchführen als angemeldet (vgl.
BVerfG vom 18.8.2000 Az. 1 BvQ 23/00 in NJW 2000, 3053 = BayVBl 2001, 79). Eine solche Annahme lässt sich auch nach den im Bescheid angeführten Umständen hier nicht begründen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass bei der Durchführung des Aufzugs letztlich vom angemeldeten Versammlungszweck abgewichen wird.
Soweit der Beklagte im Bescheid ausführt, dass am 14.11.2009 beim Trauermarsch für Jürgen Rieger ein Transparent mit der Aufschrift „Wir gedenken dem Stellvertreter, einem Freund und Kameraden, einem liebevollen Vater"
mitgeführt worden sei und dass hier eine bewusst zweideutige Formulierung gewählt worden sei, die einerseits formal gesehen sich auf Jürgen Rieger (als stellvertretenden Parteivorsitzenden) bezogen haben konnte, andererseits aber
genauso eindeutig einen Bezug zu Rudolf Heß darstellte, ist es aus Sicht des Gerichts zwar nicht von der Hand zu weisen, dass diese Zweideutigkeit bewusst gewählt worden war, allerdings wäre eine damit verbundene Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch eine entsprechende Auflage als milderes Mittel aus dem Weg zu räumen.
Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung ausführt, dass die bisherige Argumentation - dass die streitgegenständliche Versammlung lediglich dann hätte verboten werden können, wenn es sich entweder um eine erkennbar getarnte
Ersatzkundgebung unter einem bloßen Ausweichmotto gehandelt hätte, oder zumindest eine Umwidmung der laufenden Versammlung durch den Veranstalter erfolgen würde - keine differenzierte Auseinandersetzung mit der
Problematik beinhalte, wodurch bzw. in welcher Form das Merkmal „durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt wird" erfüllt werde, ist dem nach der dargestellten Rechtsprechung nicht
zu folgen. Wenn der Beklagte weiter argumentiert, dass ein Verstoß gegen § 130 Abs. 4 StGB bei Durchführung der streitgegenständlichen Versammlung schon dadurch entstehe, dass die zugrunde liegende Thematik und Art und
Weise der Durchführung der Versammlung für sich gesehen zu einer Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft führe, weil hier grundsätzlich vorrangig auf den Empfängerhorizont abzustellen sei, steht dies -
wie dargelegt - nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge auf das konkrete äußere Erscheinungsbild einer Versammlung abzustellen ist.
Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 13.11.2009 Az. 10 CS 09.2811 deutlich gemacht hat, wäre vom Beklagten zu beachten gewesen, dass der verstorbene Jürgen Rieger mit Wunsiedel nicht nur
durch seinen jahrelangen Kampf um die von ihm veranstalteten bzw. geplanten Gedenkmärsche verbunden war, sondern auch durch sein Bestreben, die von ihm für verfassungswidrig erachtete Regelung des § 130 Abs. 4 StGB („lex
Wunsiedel", s. dazu BT-Drs. 15/5051 S. 6) einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zuzuführen. Damit ist ein Anknüpfungspunkt für die Wahl des Gedenkortes gegeben. Wenn dem Veranstalter vorgehalten wird, es gebe andere und
besser geeignete Orte, an denen die Gedenkveranstaltung für Jürgen Rieger durchgeführt werden könnte, so greift die Behörde damit unzulässigerweise in das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters ein. Hinzu kommt weiter, dass
Jürgen Rieger der stellvertretende Vorsitzende der NPD war. Auch insoweit ist ein Anknüpfungspunkt der angemeldeten Gedenkveranstaltung in Verbindung mit einer politischen Demonstration im Sinne von Jürgen Rieger für den
Versammlungsort Wunsiedel gegeben, der versammlungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Versammlungsrechtlich ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gedenkaufzug entsprechend dem mitgeteilten Motto durchgeführt wird. Unter den nach objektiven Gesichtspunkten zu erwartenden Umständen der Durchführung
erscheint die Annahme nicht berechtigt, dass dadurch die Opfer der Willkür- und Gewaltherrschaft verhöhnt werden könnten. Eine Gedenkveranstaltung für Jürgen Rieger, die keine nach außen sichtbaren Hinweise auf Rudolf Heß
aufweist, kann nicht unter das Tatbestandsmerkmal des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG subsumiert werden, weil Jürgen Rieger an der Willkür- und Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nicht beteiligt war. Gerade für die Opfer
des Nationalsozialismus hat die Person Rudolf Heß und eine Gedenkveranstaltung für diesen eine ganz andere und weitgehendere Bedeutung als die Person Jürgen Rieger, selbst wenn dieser zeitweise als Veranstalter von
Heß-Gedenkkundgebungen einen relativen Bekanntheitsgrad erreicht hatte (der nach Auffassung des Gerichts aber über die rechtsextreme Szene selbst und die mit den Aufmärschen in Wunsiedel näher befassten Personen und
Organisationen kaum hinausreichte). Eine so weite Auslegung des Tatbestands des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG, dass auch ein Gedenken an Jürgen Rieger als Verherrlichung des Nationalsozialismus ausgelegt werden könnte,
würde die verfassungsrechtlichen Grenzen einer zulässigen Auslegung deutlich überschreiten und trüge dem Ausnahmecharakter der Verbotsnorm und der Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht ausreichend Rechnung.
Soweit seitens der Versammlungsbehörde damit argumentiert wird, dass der beabsichtigte Versammlungsablauf und die Route des Aufzugs weitgehend mit den früheren Heß-Gedenkmärschen identisch seien, lässt sich dies unter den
Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG und des § 130 Abs. 4 StGB nach Auffassung des Gerichts nicht subsumieren. Die diesbezüglichen Umstände sind nur äußerst wenigen Personen überhaupt bekannt und eine
Außenwirkung dahingehend, dass durch den geplanten Ablauf und die Marschroute der Nationalsozialismus verherrlicht oder die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigt werden würde, ist für das Gericht nicht
nachvollziehbar. Abgesehen davon lässt sich durch die Gestaltung der Gedenkveranstaltung ein Versammlungsverbot keinesfalls rechtfertigen, da gerade die äußeren Umstände einer Versammlung mit dem milderen Mittel
versammlungsrechtlicher Auflagen beeinflusst werden können, um gegebenenfalls eine Gefährdung versammlungsrechtlich relevanter Rechtsgüter zu unterbinden.
Die Klägerin hat sich in der Klageschrift mit diesbezüglichen versammlungsrechtlichen Auflagen auch einverstanden erklärt. Der Befürchtung des Landratsamts, es könne sich aus der Veranstaltung für Jürgen Rieger ein
Gedenkmarsch für Rudolf Heß entwickeln, kann somit durch Beschränkungen hinreichend Rechnung getragen werden. Der Umstand allein, dass Versammlungsteilnehmer und andere „Insider", denen die Verbindung von Jürgen
Rieger mit der Durchführung von Heß-Gedenkmärschen geläufig ist, vielleicht auch die Medien, gedanklich die geplante Versammlung mit früheren Heß-Gedenkkundgebungen in Verbindung bringen, lässt sich zur Überzeugung des
Gerichts unter den Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG nicht mehr subsumieren und kann ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen. Insoweit ist besonders zu betonen, dass der Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB
auch erfordert, dass in der betreffenden Versammlung der öffentliche Frieden in „einer die Würde der Opfer verletzenden Weise" gestört wird. Davon kann bei einer Versammlung, die objektiv keinerlei direkten Bezug zu Rudolf Heß
und dem NS-Regime hat, sondern allenfalls entsprechende indirekte Assoziationen bei Teilnehmern und Betrachtern mit diesbezüglichen Vorkenntnissen bzw. in den Medien hervorruft, aus der Sicht des Gerichts keinesfalls die Rede
sein. Bloße gedankliche Vorstellungen, die objektiv nach außen nicht in Erscheinung treten, können nicht den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen. ..." (VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 24.10.2012 - B 1 K 10.922)
***
Einzelfall der teilweisen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs mit gerichtlichen Auflagen.(VG Gießen, Beschluss vom 02.10.2012 - 4 L 2312/12.GI):
„... I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen das Verbot der von ihm am 1. Oktober 2012 zu dem Thema „Moscheen schließen - Islamisierung stoppen"
angemeldeten Versammlung. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin als örtliche Ordnungsbehörde verbot durch Verfügung vom 2. Oktober 2012 die Versammlung und führte zur Begründung im Wesentlichen an, der
Kundgebungszweck verstoße gegen die Religionsfreiheit. Bekannt gegeben wurde dem Antragsteller diese Verfügung am 2. Oktober 2012.
Mit Widerspruch vom 2. Oktober 2012 wandte sich der Antragsteller gegen das Verbot. Zugleich hat er am 2. Oktober 2012 beim Verwaltungsgericht Gießen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses
Widerspruchs gestellt.
II. Der Antrag, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin
wiederherzustellen, ist nach Maßgabe der Entscheidungsformel begründet. Nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung des Sach- und Streitstandes ist davon auszugehen, dass die
Forderung, Moscheen zu schließen, als Eingriff in die durch Art.4 Abs. 1, 2 GG garantierte Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nicht zu rechtfertigen ist. Eine bereits eingerichtete, nicht ersichtlich im Widerstreit zu
formellem und materiellem Baurecht stehende Moschee ist eine Einrichtung, die der ungestörten Religionsausübung dient; hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem vom Antragsteller angeführten Beschluss des
Verwaltungsgerichts Meiningen vom 24. Juli 2012 - 2 E 355/12.ME -, in dem es offenbar um die Verhinderung der Anlage einer Moschee ging.
Auch in Ansehung des Selbstbestimmungsrechts eines Anmelders zu Zeit und Ort der Versammlung müssen schutzwürdige Belange Dritter berücksichtigt werden, was hier zu der Auflage führt, den Verkehr im
Kreuzungsbereich Friedberger Straße/Büdinger Straße nicht zu beeinträchtigen. Auch sieht sich das Gericht veranlasst, einer unmittelbaren Begegnung von Demonstrationsteilnehmern mit Personen, die die Moschee in der
Büdinger Straße aufsuchen möchten, durch die in der Entscheidungsformel näher bezeichnete Auflage zu begegnen.
Gründe, die über diese Auflagen hinaus ein völliges Verbot der angemeldeten Versammlung rechtfertigen könnten, sind derzeit nicht ersichtlich. Das weitergehende Verbot der Versammlung verletzt den Antragsteller deshalb in
seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. ..."
***
„... Bei der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, die von ihm angemeldete Versammlung durchführen zu können, das von der Antragsgegnerin
angenommene öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verbotsverfügung. Denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots. Am Sofortvollzug einer solchen rechtswidrigen
Verfügung kann aber kein öffentliches Interesse bestehen.
Als Rechtsgrundlage des Versammlungsverbots kommt allein § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen
abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Da die Versammlungsfreiheit, ähnlich wie die Meinungsfreiheit, für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und für die demokratische Ordnung grundlegende Bedeutung besitzt und Verbot und Auflösung einer Versammlung die
intensivsten Eingriffe in das Grundrecht darstellen, sind sie an strenge Voraussetzungen gebunden und dürfen nur ausgesprochen werden, wenn dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist und wenn eine unmittelbare
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgewendet werden muss. Verbot oder Auflösung setzen zum einen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Zum anderen wird die
behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote und Auflösungen nur bei einer ‚unmittelbaren Gefährdung' der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit werden die
Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und
müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz, dass es auf ‚erkennbaren Umständen' beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können
nicht ausreichen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlass eines vorbeugenden Verbotes keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt. Als Grundlagen einer solchen Entscheidung kommen somit nur tatsächliche Umstände in Betracht, während
Verdachtsmomente und Vermutungen für sich allein nicht ausreichen (vgl.: BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -BVerfGE 69, 315 = NJW 1985, 2395, vom 01.12.1992 - 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91 -
BVerfGE 87, 399 = NJW 1993, 581 und vom 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 - juris).
Nach Maßgabe dessen sind hinreichende Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung sind nicht ersichtlich.
Soweit die Antragsgegnerin aus dem Motto der Veranstaltung ‚Deutschland einig Vaterland - In Gedenken an Kurfürst Otto von Bismarck', den Kundgebungsmitteln (u.a. Fahnen aus den ehemaligen Ostgebieten,
schwarz-weiß-rote Fahnen, schwarze Fahnen), dem Einsatz von Rednern und eines offenen Mikrophons und dem Inhalt eines Flugblatts herleitet, dass gerade bei dem Thema der Rückführung der Ostgebiete die Verbreitung von
nationalsozialistischen Gedankengut und damit die Verwirklichung von Straftatbeständen (z.B. § 130 StGB) zu erwarten sei, fehlt es für eine dahingehende Gefahrenprognose an hinreichend konkreten Anhaltspunkten. Von
der Antragsgegnerin befürchtete eventuell strafrechtlich relevante Handlungen oder Äußerungen können durch die Erteilung von Auflagen begegnet werden.
Soweit die Antragsgegnerin ein starkes Aufkommen an linksextremen Personen erwartet und - gegen die Demonstration gerichtete - gewalttätige Ausschreitungen befürchtet, ist dies nicht geeignet, ein umfassendes
Versammlungsverbot zu rechtfertigen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Gefahren infolge angekündigter Gegendemonstrationen primär durch behördliche Maßnahmen gegen den Störer, also die Gegendemonstranten, zu
begegnen ist. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die Versammlung als ganze darf in einer
solchen Situation grundsätzlich nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.04.2002 - 1 S 1050/02 -, juris, m.w.N.). Hinreichende Anhaltspunkte
hierfür lassen sich den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen und wurden von ihr auch nicht dargetan.
ußerdem muss die Versammlungsbehörde mit Blick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer prüfen, ob ein polizeilicher Notstand durch Modifikation der Versammlungsumstände entfallen kann, ohne
dadurch den konkreten Zweck der Versammlung zu vereiteln. Das Verbot einer Versammlung setzt als ultima ratio in jedem Fall voraus, dass das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft ist (VGH Bad.-Württ., Beschl.
v. 30.04.2002 - 1 S 1050/02 -, juris). Signalisiert der Veranstalter seine Bereitschaft zur Veränderung der Versammlungsmodalitäten, ist die Versammlungsbehörde im Rahmen ihrer Kooperationspflicht gehalten, diesen Möglichkeiten
nachzugehen und nach Wegen zu suchen, die Versammlung gegen Gefahren zu schützen, die nicht von ihr selbst ausgehen. Derzeit sind daher keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass etwaige von Gegendemonstranten ausgehende
Gefahren nicht durch die Erteilung von Auflagen insbesondere hinsichtlich des zeitlichen und örtlichen Verlaufs der geplanten Veranstaltung begegnet werden kann. Dies gilt auch im Hinblick auf das Kinderspielfest auf dem
Neckarvorland. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass durch die Vorgabe eines bestimmten Demonstrationswegs, der ein Aufeinandertreffen der Teilnehmer der verschiedenen Veranstaltungen so weit als möglich ausschließt und evtl.
vorsieht, dass das Neckarvorland nicht von den Demonstrationszügen berührt wird, eine für die polizeilichen Einsatzkräfte beherrschbare Lage nicht sichergestellt werden kann. Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus
den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen. ..." (VG Karlsruhe, Beschluss vom 02.10.2012 - 4 K 2369/12)
***
„... Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. September 2012 erfolgte Untersagung der Einrichtung eines mit einem Bauzaun abgegrenzten Backstagebereiches, der vornehmlich dem Aufenthalt und Catering von Rednern und
Künstlern diene (einschließlich des Aufstellens und Betreibens eine Backstagezeltes mit Biergarnituren), ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb
überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des Bescheides verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).
Die Kammer folgt hier dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. August 2012 - OVG 1 S 108.12 -, in dessen Begründung es heißt (S. 5 ff. des Entscheidungsabdrucks):
‚Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1
BvQ 28/01 u.a -, NJW 2001, 2459, juris Rn. 19, und vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41; Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 - OVG 1 S 72.12 -, Abdruck S. 4), kann auch nicht jede
Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur
dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind, denn der
Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001, a.a.O., und vom 24. Oktober 2001, juris Rn.
54; weitere Nachweise bei Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl., § 1 Rn. 8 zu Fußn. 14 f., sowie Kanther, NVwZ 2001, 1239 ff.). … Auch das Aufstellen von Sitzgelegenheiten gehört nicht zu den essentiell notwendigen
Voraussetzungen einer Versammlung unter freiem Himmel (ebenso Sächsisches OVG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - 3 BS 216/03 -, juris; sowie bayerischer VGH, Beschluss vom 28. April 1978 - Nr. 91 VIII/78 -, NJW 1978, 1939 f.;
anders wohl die aktuelle, oben zitierte Rspr. dieses Gerichts). Eine Versammlung unter freiem Himmel ist strukturell nach außen gewandt und soll jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch
einfaches Weggehen ermöglichen. Sie ist regelmäßig zeitlich straffer und konzentrierter als Versammlungen in geschlossenen Räumen, so dass ein dauerhaftes Verweilen über Monate an einem Ort nicht dem herkömmlichen Bild der
Versammlung unter freiem Himmel entspricht, was bei der Bestimmung der notwendigen Reichweite dieses Grundrechts nicht außer Acht bleiben kann. Das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, beinhaltet danach nicht
ohne Weiteres das Recht, dabei auch sitzen zu müssen.'
In Anwendung der vorstehenden Maßstäbe ist festzustellen, dass ein Backstagebereich mit Zelt und Sitzgelegenheiten, der der bequemeren Durchführung des Bühnenprogramms und der Annehmlichkeit von Rednern und Künstlern
dient, kein wesensnotwendiger Bestandteil der angemeldeten Versammlung ist. Infolgedessen verweist der Polizeipräsident den Antragsteller zu Recht auf die Einholung einer Sondernutzungserlaubnis der zuständigen Ordnungsbehörde.
Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, der Backstagebereich mit einem Zelt sei zum Schutz und zur Sicherung der eingesetzten hochwertigen Instrumente, der Bühnentechnik sowie des technischen Personals notwendig,
überzeugt dies nicht. Es ist nicht glaubhaft, dass für eine solche Absicherung die Absperrung mittels eines Bauzauns und das Aufstellen eines Zelts zwingend notwendig ist. Instrumente und Technik können gegen Witterungseinflüsse
durch Abdeckungen wirksam geschützt werden, ein Zelt ist insofern entbehrlich. Der Schutz von Rednern, Künstlern, technischem Personal, Bühnentechnik und Instrumenten gegen herandrängende Versammlungsteilnehmer kann
durch eine entsprechende Anzahl von Ordnern gewährleistet werden. Diese können einen - ggf. durch ‚Flatterband' o. ä. markierten - rückwärtigen Bühnenbereich frei halten. In diesem Bereich können auch die vom Antragsteller für
erforderlich gehaltenen nicht-öffentlichen Toiletten aufgestellt werden. Dass ein Catering mit Zelt und Sitzgelegenheiten hier nicht Bestandteil des Versammlungszwecks ist, liegt auf der Hand. ..." (VG Berlin, Beschluss vom
28.09.2012 - 1 L 254.12)
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Unverhältnismäßigkeit des vollständigen Verbots eines Demonstrationsaufzugs, wenn die durch ihn drohende Beeinträchtigung von Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit durch eine zeitliche Einschränkung sowie eine örtliche
Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung in hinreichendem Maße abgewendet werden kann (Abweichung gegenüber der Entscheidung im Eilverfahren 5 B 97/11; VG Braunschweig, Urteil vom 26.09.2012 - 5 A 96/11).
***
„... I. Mit Bescheid vom 28. August 2012 bestätigte die Antragsgegnerin die mit Schreiben vom 12. Juli 2012 für 22. September 2012 in der Zeit vom 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr angezeigte Versammlung ‚... ...'. Als Ort der
Versammlung wurde in dem Bescheid ‚... bei ...' angegeben. Weiter wurde angeordnet, dass bei dem vorgesehenen Lautsprecherbetrieb eine Momentanlautstärke von 85 dB(A) im Abstand von 5 Metern neben der Versammlung
nicht überschritten werden dürfe.
Da der Antragsgegnerin Gegendemonstrationen angezeigt wurden, hielt sie eine Verlegung des ursprünglich angemeldeten Standorts ‚... vor der ...' auf die Südseite der ... für erforderlich, um die Versammlung vor erwarteten
Störungen besser schützen zu können, im Übrigen bei etwaigen Auseinandersetzungen eine Gefährdung der Standbetreiber und Besucher des vor der ... stattfindenden Wochenmarkts sowie anderer unbeteiligter Passanten zu besorgen
wäre. Aus diesem Grunde fand am 19. September 2012 ein Kooperationsgespräch mit einer Vertreterin der Antragstellerin statt.
Mit Bescheid vom 21. September 2012 wurde der Bescheid vom 28. August 2012 insoweit geändert, als nunmehr als Versammlungsort ‚... bei ... (Südseite zwischen den Sondernutzungen ... und ...)' festgesetzt wurde.
Abweichend vom Bescheid vom 28. August 2012 wir nunmehr als stellvertretende Versammlungsleiterin Frau ... angegeben. In den unverändert übernommenen Gründen aus dem ursprünglichen Bescheid wird ergänzend angeführt,
dass über die Beschränkungen in einem Kooperationsgespräch vom 19. September 2012 Übereinkommen erzielt worden sei.
Aufgrund fernmündlicher Ankündigung eines entsprechenden Eilrechtsschutzantrages wurde die Antragsgegnerin vorab um Übermittlung der maßgeblichen Bescheide und der einschlägigen Unterlagen des Ordnungsamtes gebeten.
Die Antragsgegnerin teilte dem Gericht vorab mit, dass die geringfügige Verlegung des Versammlungsortes erforderlich geworden sei, um einen wirksamen Schutz der Versammlungsteilnehmer sowie unbeteiligter Dritter zu
gewährleisten. Die Verlegung sei zudem im Einvernehmen mit der stellvertretenden Versammlungsleiterin erfolgt. In einem übermittelten Aktenvermerk des Ordnungsamts der Antragsgegnerin vom 21. September 2012 ist
festgehalten, dass von der Vertreterin der Antragstellerin, Frau ..., bei dem wegen der bekannt gewordenen Gegendemonstrationen angesetzten Kooperationsgespräch am 19. September 2012 seien seitens der Vertreterin der
Antragstellerin, Frau ..., Einwände gegen die wegen des vor der ... stattfindenden Wochenmarkts und der erwarteten Störungen der Versammlung vorgesehene Verlegung des Versammlungsortes nicht erhoben worden. Frau ... habe am
20. September 2012 zugesagt, die Verlegung des Versammlungsorts dem Versammlungsleiter mitzuteilen.
Mit einem am 21. September 2012 per Telefax bei Gericht eingegangenen Schriftsatz haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
die angemeldete Versammlung - wie ursprünglich genehmigt - an der ... direkt bei der ... stattfinden zu lassen.
Die Antragsgegnerin habe die von der Antragstellerin angezeigte Versammlung ursprünglich antragsgemäß direkt bei der ... genehmigt. Im Rahmen eines Kooperationsgesprächs vom 19. September 2012 seien weitere Einzelheiten zu
Beschränkungen ‚gemacht' worden, die weitgehend akzeptiert worden seien. Im Rahmen des daraufhin ergangenen Änderungsbescheides sei jedoch zusätzlich auch der Versammlungsort in eine angrenzende Nebengasse der ... an der
abgelegenen Seite des Platzes verlegt worden. Wie auch im Änderungsbescheid selbst ausdrücklich festgehalten worden sei, sei Zweck der angezeigten Versammlung nicht nur, Meinungen mit Versammlungsteilnehmern
auszutauschen, sondern auch die Aufmerksamkeit Außenstehender zu gewinnen. Dies sei ein legitimes und erwünschtes Mittel der Meinungsbildung in einer funktionierenden Demokratie. Dieser Zweck könne jedoch nicht erreicht
werden, wenn die Antragstellerin ohne ersichtlichen Grund - wie geschehen - in eine Nebengasse ‚abgeschoben' werde. Der ursprünglich genehmigte Standort direkt am Eingang der Fußgängerzone sei hierfür geeignet und auch
verfügbar gewesen. Eine Notwendigkeit der Änderung und Verlegung in eine Nebengasse sei weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal zeitlich zuvor dort angemeldete Veranstaltungen nicht bekannt seien. Aspekten der Sicherheit
sei bereits durch die übrigen Auflagen im Bescheid hinreichend Rechnung getragen worden. Sollten aufgrund anderer Veranstaltungen zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein, wären diese ohnehin im Rahmen dieser
Veranstaltungen einzustellen, um die Grundrechte der Antragstellerin auf Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit nicht einzuschränken. Nach Übermittlung des Antrags beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Die von ihr angeordnete geringfügige Verlegung des Veranstaltungsorts sei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich gewesen. Wegen der Einzelheiten werde auf eine noch nachzureichende
Stellungnahme der Polizei verwiesen. Gewaltsame Auseinandersetzungen seien ach deshalb zu befürchten, weil Antragstellerin und Gegendemonstranten vehement gegeneinander hetzten. Unzutreffend sei, dass die Versammlung in
eine Nebengasse abgeschoben werde. Vielmehr könne die Versammlung wie angemeldet in der ‚... bei der ...' stattfinden. Letztendlich werde der Veranstaltungsort im Änderungsbescheid lediglich konkretisiert. Die Versammlung sei
auch vom zentralen Platz vor der ... und den zu diesem führenden Straßen einsehbar. Die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, werde mit der Verlegung um das Eck der Kirche nicht nennenswert verringert. Hinzuweisen sei
nochmals darauf, dass die stellvertretende Versammlungsleiterin keine Einwände gegen den geänderten Versammlungsort gehabt habe - wie ihre E-Mail vom 20. September 2012 zeige. Ein Kooperationsgespräch verlöre zudem
jeglichen Sinn, wenn sich die Beteiligten nachträglich wieder davon distanzieren könnten.
Die Antragserwiderung und die nachgereichte Stellungnahme des Polizeipräsidiums ... samt Lichtbildern wurden den Antragstellervertretern mit dem Hinweis übermittelt, dass das Gericht nunmehr entscheiden werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen den Änderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2012 noch zu erhebenden Klage auszulegende Antrag ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragstellerin entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.
Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragstellerin gegen die
(geänderte) Festlegung des Versammlungsorts im angegriffenen Bescheid voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Der Bescheid ist auch hinsichtlich der von der Antragstellerin beanstandeten geringfügigen Verlegung des Standortes
rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Bei der behördlichen Vorgabe, die Veranstaltung nicht - wie beantragt und im ursprünglichen Bescheid vom 28. August 2012 auch so (ohne jegliche Konkretisierung) festgelegt - auf der ‚... vor der ...', sondern - nach wie vor - auf der
‚... vor der ...' mit dem konkretisierenden (und damit einschränkenden) Klammerzusatz ‚Südseite zwischen den Sondernutzungen ... und ...', mithin gegenüber dem Haupteingang der ... nahe dem ‚... Platz' durchzuführen, stellt sich als
Auflage im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG und nicht als Verbot einer Versammlung (am ursprünglichen Versammlungsort) dar.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 6. Mai 2005 (1 BvR 961/05, DVBl 2005, 969) zu einer örtlichen Verlegung einer Versammlung ausgeführt: ‚Die hier allein angegriffene Auflage hindert (…) nicht, die (von
ihr) geplante Versammlung unter dem vorgesehenen Motto im Zentrum ... durchzuführen und zwar als Aufzug mit Abschlusskundgebung und unter Einsatz der geplanten Redner. Erfasst sind lediglich Modalitäten der
Versammlungsdurchführung in örtlicher und zeitlicher Hinsicht, die nicht so wesentlich sind, dass die Auflage faktisch einem Verbot gleichkommt.'
So liegt der Fall auch hier. Die Antragstellerin kann die von ihr geplante Versammlung nämlich zur selben Zeit und mit demselben Thema in der von ihr beabsichtigten Art und Weise an einer nur wenige Meter von der ursprünglich
vorgesehenen Stelle durchführen. Die Veranstaltung findet nach wie vor in der ... Innenstadt in der Fußgängerzone an der ... statt. Eine wesentliche Veränderung des Ablaufs oder des Inhalts der Versammlung ist mit der Auflage nicht
verbunden. Eine rechtlich relevante Beeinträchtigung der Meinungskundgabe oder der Öffentlichkeitswirksamkeit der Versammlung ist somit mit der Verlegung nicht verbunden. Die Inhalte und der zeitliche Ablauf der Versammlung
werden letztlich in keiner Weise tangiert. Der angebotene Platz ist dem in der Anmeldung genannten gleichwertig. Art und Inhalt der Versammlung werden also nur geringfügig modifiziert, es kann nicht davon ausgegangen werden,
dass die Auflage einem Verbot gleichkommt, weil die Veranstaltung ihres wesentlichen Inhaltes oder ihrer zentralen Zielsetzung beraubt wird (vgl. hierzu auch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
6.5.2005, 24 CS 05.1161 zur Frage einer zeitlichen Verlegung).
Die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Auflage sind erfüllt. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann eine Versammlung unter anderem dann von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den
zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Bei der Durchführung der Versammlung an der vorgesehenen Stelle wäre nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen der Antragsgegnerin die öffentliche Sicherheit gefährdet.
Zeitgleich mit der angemeldeten Demonstration der Antragstellerin findet östlich der ... eine Gegendemonstration statt, zu der das ... unter dem Motto ‚Kundgebung der ... in ... stören!' aufgerufen hat. Die Antragsgegnerin hat darauf
hingewiesen, dass es in der Vergangenheit bei vergleichbarer Konstellation zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Selbst die Antragstellerin führt zu einer vom ihr am 19. Juni 2012 in ... organisierten Demonstration auf seiner
Homepage (http://www.../...-auf-...-...-am-...-.../) aus, dass es zu Angriffen auf den Stand durch ‚Linksextreme' gekommen sei. Es sei zu einem Polizeieinsatz mit drei Festnahmen gekommen. Dieser Vorfall bestätigt die
Gefahrenprognose der Antragstellerin. Da im Hinblick auf den Aufruf des ... mit einer Wiederholung derartiger Übergriffe während der Versammlung gerechnet werden muss, war die Antragsgegnerin gehalten, die möglichen Folgen
für unbeteiligte Dritte so gering wie möglich zu halten. Dieses Ziel wäre jedoch an dem ursprünglich vorgesehen Standort wegen der Nähe zu dort befindlichen Marktständen und dem hohen Publikumsverkehr nicht zu erreichen.
Die Auflage, den Versammlungsort - wie geschehen - zu verlegen, erweist sich als verhältnismäßig, da - wie bereits ausgeführt - die Veranstaltung ihres wesentlichen Inhaltes oder ihrer zentralen Zielsetzung keinesfalls beraubt wird
und der gewünschte Publikumskontakt auch am Ausweichstandort sichergestellt ist. ..."(VG Ansbach, Beschluss vom 21.09.2012 - 1 K 12.01637)
***
„... Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen (wie hier, da die Klage des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 4 Nr. 3 VwGO
i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung hat). Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an
der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Erscheinen diese bei summarischer Prüfung offen, hat das Gericht eine
umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. (vgl. BayVGH vom 15.11.2011 Az. 14 AS 11.2328).
Das Gericht lässt offen, ob dem Antragsteller im Hinblick auf die widerspruchslose Einlassung im Koordinierungsgespräch ein Rechtsschutzbedürfnis zugesprochen werden kann, da es darauf nicht ankommt. Nach der im Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Kulmbach vom 27.08.2012 als gering einzustufen. Der Bescheid
vom 27.08.2012 erscheint rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Nachdem auch wegen der kurzfristigen Antragstellung eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit
des Bescheides nur sehr eingeschränkt möglich ist, jedenfalls aber dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegenüber den Interessen des Antragstellers der Vorrang eingeräumt werden muss, muss hier jedenfalls die
Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausgehen.
Die zuständige Behörde kann eine Versammlung gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die
Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfGE 69,
315,352). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann zwar in der Regel ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen, die Verhängung von Auflagen bzw. Beschränkungen jedoch schon. Die Entscheidung steht im
pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
Art. 7 Nr. 2 BayVersG verbietet es, an einer öffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild paramilitärisch geprägt
wird, sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht. Zur Durchsetzung des mit Art. 8 GG grundsätzlich zu vereinbarenden Militanzverbots kommen Beschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Betracht. Denn Art. 8
GG schützt friedliche Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischem und einschüchterndem Charakter (vgl. BVerfG vom 24.3.2001 in NJW 2001, 2069).
Nach diesen Kriterien erscheinen die streitgegenständlichen Auflagen rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat erkannt und im Bescheid auch ausdrücklich hervorgehoben, dass es eine Ermessensentscheidung zu treffen
hat. Es hat auch die gegeneinander stehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegen das Interesse des Antragstellers abgewogen. Eine konkrete ausdrückliche Begründung zu den hier streitgegenständlichen
Beschränkungen enthält der Bescheid zwar nicht. Er begründet aber, dass und weshalb die Auflagen unter Ziffer II erforderlich und verhältnismäßig sind. Damit hat das Gericht keine Bedenken, wenn die konkrete Begründung gemäß
Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG und § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt wird.
Das Tragen von Springerstiefeln durch eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern ist geeignet, sowohl einen paramilitärischen Eindruck zu erwecken als auch eine einschüchternde Wirkung zu entfalten. Wie das
Landratsamt - nach der Kenntnis des Gerichts zutreffend - darlegt, ist gerade bei dem Kreis der potenziellen Teilnehmer des Frankentages damit zu rechnen, dass eine große Zahl der Teilnehmer Springerstiefel tragen würde. Das
Landratsamt hat ebenfalls zutreffend dargelegt, dass gerade Stiefel mit Stahlkappen ein erhebliches Verletzungsrisiko mit sich bringen. Ob es sich um eine stationäre Veranstaltung handelt oder einen sich fortbewegenden Aufzug,
spielt für beide Fragen keine Rolle. Tätliche Auseinandersetzungen sind auch angesichts der angemeldeten Gegendemonstration jedenfalls nicht ausgeschlossen. Das Verbot trägt deshalb zur Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung bei, ohne dass dadurch eine Beschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit oder freie Meinungsäußerung erkennbar wäre.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers wird mit dem auch in Handel und Werbung verwendeten Begriff „Springerstiefel" eine bestimmte Art von Schuhwerk bezeichnet, so dass gegen die Bestimmtheit der Auflage keine
Bedenken bestehen. Das Landratsamt hat auch zutreffend dargelegt, dass die Sicherheit des Personals, die der Antragsteller geltend machen will, durch die Auflage nicht beeinträchtigt wird, schon weil es dem Personal freisteht,
beliebiges anderes Schuhwerk zu tragen, das den Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt (sofern überhaupt Sicherheitsschuhe erforderlich sind).
Dass die Gefahr von tätlichen Auseinandersetzungen besteht, ergibt sich zum Einen aus der bereits angemeldeten Gegendemonstration und dem damit verbundenen Medienecho als auch zum Anderen aus dem Umstand,
dass die Teilnehmer der Versammlung auf dem Weg zum Versammlungsort auf der Wiese zwischen Pfarrgasse/Bahnlinie und Main eine größere Strecke zurücklegen müssen, auf der Begegnungen mit
Gegendemonstranten nicht ausgeschlossen werden können.
Die Auflage, nur Transparenthalter aus Holz und nicht stärker als 20 mm im Durchmesser (bei Rundholz) oder 20 mm in der Kantenlänge (bei Vierkantholz) und nicht über 1,50 m lang zu verwenden begegnet ebenfalls
keinen Bedenken. Soweit hier überhaupt eine konkrete Begründung für diese Auflage erforderlich ist, weil ihr Sinn auch ohne Begründung unmissverständlich klar ist, genügt jedenfalls die nachträgliche Ergänzung der Begründung
den Anforderungen. Es liegt auf der Hand, dass Transparenthalter mit einer größeren Stärke und festerem Material besser als Waffen geeignet sind, als die zugelassenen. Ob sich Stöcke von 1,50 m Länge besser als Stöcke von 2,00m
Länge als Waffe eignen, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. Die von der Behörde getroffene Abwägung ist jedoch nicht zu beanstanden. Eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit ist durch die Auflage jedenfalls nicht
erkennbar. Auch die Dekoration des Geländes und der Bühne setzt längere Transparenthalter nicht voraus. Zwar steht es grundsätzlich im Ermessen des Veranstalters, wie er eine Versammlung gestalten will. Stehen aber konkrete
Sicherheitsbedenken den Gestaltungsvorstellungen des Veranstalters entgegen, kann eine Einschränkung durch Auflagen erfolgen. Es wäre ggf. Aufgabe des Antragstellers gewesen, bei dem Koordinierungsgespräch, bei dem
ausweislich der Niederschrift die Auflagen erläutert wurden, eine Lösung zu suchen, die allen Interessen gerecht wird. Wenn er dies nicht getan hat, kann er nachträglich keine Beschränkung seiner Gestaltungsfreiheit geltend machen.
Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bereits deutlich gemacht, dass es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchaus sachgerecht und notwendig erscheint, die Länge und Stärke von Stangen (insbesondere
Transparentstangen), die bei einer Veranstaltung mitgeführt werden, zu beschränken und es § 15 Abs. 1 VersG (der Art. 15 Abs. 1 BayVersG entspricht) erlaubt, durch die Mitführung solcher als Waffen nutzbarer Gegenstände
entstehende Gefahren abzuwehren (vgl. BayVGH vom 9.12.2005 Az. 24 CS 05.3215, RdNr. 25 in juris). Dieser Gesichtspunkt lässt sich im Übrigen auch auf das Tragen von Springerstiefeln übertragen, die zweifelsfrei zur
Verwirklichung des Versammlungszwecks nicht unbedingt getragen werden müssen.
Nach der bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung bestehen gegen die streitgegenständlichen Auflagen jedenfalls keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass
bei der vom Gericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug dieser Auflagen zum Schutz der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse des Antragstellers daran, die angemeldete
Versammlung nach seinen eigenen Vorstellungen durchführen und gestalten zu können, überwiegt. ..." (VG Bayreuth, Beschluss vom 07.09.2012 - B 1 S 12.757)
***
Die Durchführung einer Versammlung kann nach § 15 VersG verboten werden, wenn sie als Versammlung einer verbotenen Vereinigung aufzufassen ist, so dass bei ihrer Durchführung die Straftatbestände des § 20 Abs. 1 VereinsG
erfüllt würden. Ein noch nicht bestandskräftiges aber vollziehbares Vereinsverbot ist eine ausreichende Grundlage für das Verbot der Versammlung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 2 VersG (VG Gelsenkirchen, Beschluss
vom 29.08.2012 - 14 L 1048/12).
***
„... I. Die ‚Bürgerbewegung pro Deutschland' hat für den 18. August 2012 Versammlungen vor den religiösen Einrichtungen der Antragsteller mit dem Versammlungsthema ‚Der Islam gehört nicht zu Deutschland - Islamisierung
stoppen' angemeldet. In der Anmeldebestätigung vom 14. August 2012 sind der Anmelderin, auf der Grundlage eines vorangegangenen Kooperationsgesprächs, jeweils Versammlungsorte zugewiesen worden, die sich nicht
unmittelbar vor den Einrichtungen der Antragsteller befinden, sondern im Abstand ca. 50 m liegen.
Die Anmelderin kündigt an, im Kontext der Versammlungen die sog. Mohammed-Karikaturen zu zeigen. Als Mohammed-Karikaturen wurde eine am 30. September 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten unter dem
Namen ‚Das Gesicht Mohammeds' (dän.: Muhammeds ansigt) erschienene Serie von zwölf Karikaturen bekannt, die den islamischen Propheten und Religionsstifter Mohammed zum Thema haben (vgl. ).
II. Der sinngemäße Antrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der ‚Bürgerbewegung pro Deutschland' als Anmelderin und den Teilnehmern der Kundgebungen am 18. August 2012 vor der
As-Sahaba-Moschee in Wedding (12.00 h), vor der Al-Nur-Moschee in Neukölln (14.00 h) und vor der Neuköllner Begegnungsstätte (Flughafenstraße/Hermannstraße, 16.00 h) eine Auflage zu erteilen, die das Zeigen der
sogenannten ‚Mohammed-Karikaturen' während der Kundgebungen untersagt; hilfsweise, das Zeigen dieser Karikaturen in Sichtweite der Moscheen und der Zugangswege zu diesen zu untersagen, hat keinen Erfolg.
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Antragsteller vorliegend überhaupt antragsbefugt sind. Es ist zumindest offen, ob die Antragsteller als eingetragene Vereine bürgerlichen Rechts durch die angemeldeten Versammlungen und das
eventuelle Zeigen der Mohammed-Karikaturen dabei in eigenen Rechten verletzt sein könnten. Jedenfalls sind sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis u.a. dann erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dem Wesen und Zweck dieses Verfahrens entsprechend kann das Gericht mit einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich aber nur vorläufige Regelungen treffen und dem jeweiligen
Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was Klageziel des Hauptsacheverfahrens ist. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung kommt - mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) - vielmehr nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist - Anordnungsanspruch - und dem
Rechtsschutzsuchenden schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre - Anordnungsgrund - (vgl.
BVerfG, Urteile vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745.88 -, BVerfGE 79, 69 [74, 77] und vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638.96,- NVwZ 1997, S. 479 [480 ff.]; OVG Berlin, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - OVG 8 SN 175.00 -,
InfAuslR 2001, 81; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2006 - OVG 3 S 35.06 -).
Ein Anordnungsanspruch ist mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit hier nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragsteller begehren den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG. Solche Auflagen sind ein Mittel, gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen
dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen. Im Einzelnen ist Folgendes zu beachten:
Das von § 15 Abs. 1 VersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts
ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Weiterhin müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ‚erkennbare Umstände' dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 - 1 BvR
2311/94, NVwZ 1998, 834 [835]).
Bei Beachtung dieser Grundsätze ist ein Anspruch der Antragsteller auf Erlass der begehrten Auflage durch den Antragsgegner zu verneinen.
Es fehlt bereits an der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Voraussetzung für den Erlass einer Auflage ist. Es steht nicht fest, dass das Zeigen der
‚Mohammed-Karikaturen' strafrechtlich relevant ist. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 166 StGB fehlt es erkennbar an einer ‚Beschimpfung' im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses (vgl. VG Köln,
Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12, juris, Rdnr. 13). Zudem ist zu beachten, dass die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG fallen, was der Verwirklichung des Straftatbestandes zusätzlich entgegenstehen
dürfte (vgl. Valerius, in BeckOK StGB § 166, Rdnr. 13). Ebenso wenig ist anzunehmen, dass allein durch das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen
aufgefordert wird und damit der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt wäre.
Weiterhin ist der Umstand, dass die Verbreitung der Karikaturen ‚international äußerst umstritten' ist, wie die Antragsteller im Einzelnen ausführen, keine hinreichende Tatsachengrundlage, um hier eine Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung anzunehmen.
Schließlich stünde der Erlass einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners. Gründe, die hier zwingend eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit gebieten und damit für eine
Ermessenreduzierung auf Null streiten, sind nicht ersichtlich. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 16.08.2012 - 1 L 217.12)
***
„... Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25. Juli 2012 gegen den Bescheid vom 24. Juli 2012 wiederherzustellen, ist ohne Erfolg. Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2012 erfolgte
Untersagung des Aufstellens und Betreibens von Versorgungsständen anlässlich der ‚Hanfparade 2012' (sofern nicht die erforderlichen Erlaubnisse der dafür zuständigen Ordnungsbehörden vorliegen) ist nach der hier nur
möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des
Bescheides verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).
Das Aufstellen von Imbiss- und Verkaufsständen gehört in der Regel nicht zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten und deshalb auch nach dem Versammlungsgesetz ohne Erlaubnis zulässigen Tätigkeiten (OVG Berlin,
Beschluss vom 8. Juli 1999, LKV 1999, 372; VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Dezember 1993, NVwZ-RR 1994, 370). Denn solche Betätigungen stehen grundsätzlich nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem durch Art. 8
Abs. 1 GG garantierten Grundrecht, das das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985,
BVerfGE 69, 315 [342ff.]; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, BVerwGE 82, 34 [39]). Die vom Antragsteller geplanten Imbissstände dienen nicht unmittelbar diesem Zweck. Es wird mit dem Antrag weder geltend gemacht noch ist
es sonst ersichtlich, dass diese Stände mit ihrem Warenangebot thematisch auf die Versammlung Bezug nehmen sollen. Aufgrund dieser fehlenden inneren Beziehung zum öffentlichen Anliegen der Versammlung unterscheidet sich
die vorliegende Fallkonstellation von derjenigen, die dem vom Antragsteller angeführten Beschluss der Kammer vom 28. August 1998 - VG 1 A 383.98 - zugrunde lag (vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 25. Juni 1999, LKV
1999, 373 [375]).
Vielmehr soll durch die Imbissstände hier den Teilnehmern der Abschlusskundgebung auf der Straße des 17. Juni (zwischen Platz des 18. März und Yitzhak-Rabin-Straße) ein Versorgungsangebot gemacht werden. Die zwingende
Notwendigkeit für eine solche Versorgung zur Durchführung der Veranstaltung ist jedoch weder dargetan oder sonst ersichtlich. Denn an den Bereich der Abschlusskundgebung grenzt östlich unmittelbar der Pariser Platz an. Dieser
Platz ist als ‚Touristenmagnet' mit einer Reihe von Nahversorgungsmöglichkeiten ausgestattet. Hingewiesen sei nur auf die Starbucks-Filiale (Pariser Platz 4 A, 10117 Berlin, ), das - frei zugängliche - Restaurant in der Akademie der
Künste (Pariser Platz 4, 10117 Berlin, ) und das Restaurant Theodor Tucher (Pariser Platz 6 A, 10117 Berlin, ). Kein Versammlungsteilnehmer müsste sich also nennenswert vom Versammlungsort entfernen, um diese
Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Im Übrigen steht es den Versammlungsteilnehmern frei, eigene Verpflegung und Getränke von Anfang an mitzuführen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der
Veranstaltungstag hochsommerlich werden sollte. Die Durchführbarkeit der Versammlung ist deshalb ohne eigene Versorgungsstände gewährleistet. Diese sind - wie jede andere Nutzung öffentlichen Straßenlandes - nur nach
Einholung der dafür erforderlichen Erlaubnisse zulässig, was der Polizeipräsident mit seinem angegriffenen Bescheid, gestützt auf § 15 Abs. 1 VersG, zutreffend verfügt hat. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 09.08.2012 - 1 L 188.12)
***
„... I Der Antragsteller ist Teil der Occupy-Protestbewegung, die in Frankfurt am Main Teile der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank seit Oktober 2011 besetzt hält.
Am 23. Juli 2012 meldete der Antragsteller für die Zeit vom 26.07.2012 bis 09.08.2012 eine Mahnwache zu dem Thema ‚Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' auf dem Willy-Brandt-Platz und den angrenzenden
Grünanlagen an. Die Zahl der erwartenden Teilnehmer bezeichnete er mit einhundert Personen (vgl. Blatt 2 der Behördenakte).
Am 24.07.2012 fand beim Ordnungsamt der Stadt Frankfurt am Main eine Erörterung der vorgesehenen Veranstaltung mit dem Anmelder statt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Möglichkeit erörtert, einen Informationsstand
aufzustellen und seitens der Ordnungsbehörde darauf hingewiesen, dass Tische, Informationsmaterial, Schilder und Plakate erlaubt seien, nicht hingegen Aufbauten gleich welcher Art. Das bisherige Occupy-Camp habe sich in ein
Zeltlager verwandelt und die hygienischen Bedingungen seien problematisch. Hierfür sei eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich, die jedoch nicht gewährt werde. Bis zum 26.07.2012 seien alle Zelte, Hütten oder ähnliches verboten
und die Gegenstände müssten spätestens bis zum 31.07.2012 entfernt sein (vgl. Blatt 42 f. Behördenakte).
Mit Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 25.07.2012 wurden dem Antragsteller im Hinblick auf die angemeldete Versammlung unter anderem folgende Auflagen erteilt und deren sofortige
Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet:
1. Die Versammlung kann, wie angemeldet, auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Euro-Denkmal stattfinden.
2. Die angrenzende Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße darf nicht als Versammlungsgelände genutzt werden.
Es wird festgestellt, dass die in der Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße bisher genutzten Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen
und Campieren genutzten Gegenständen keine Versammlungsmittel im Sinne des Versammlungsgesetzes sind.
Hinweise:
Es ergeht der Hinweis, dass der Verbleib der in Ziffer 2 Satz 2 genannten Gegenständen in der Grünanlage, einen Verstoß gegen die Satzung über die Benutzung von Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main (Grünanlagensatzung) darstellt.
Es wird ferner darauf hingewiesen, dass die Gefahrenabwehrbehörden und die Polizeibehörden nach § 40 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) berechtigt sind, Sachen sicherzustellen, von
denen eine gegenwärtige Gefahr ausgeht. Nach der Rechtsauffassung der Stadt Frankfurt am Main ist dies bei allen unter Ziffer 2 Satz 2 genannten Gegenständen ab dem 26.07.2012 der Fall. Die Stadt Frankfurt behält sich vor und
bekundet die Absicht, spätestens ab dem 31.07.2012 (24.00 Uhr) diese Gegenstände zu entfernen oder entfernen zu lassen.
Der Aufbau und die Nutzung von Zelten und Hütten jeglicher Art, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenständen auf dem Willy-Brandt-Platz werden untersagt, sofern
keine Erlaubnis nach dem Straßenrecht der Stadt Frankfurt vorliegt.
In der Begründung hierzu heißt es:
‚Die Festlegung des Versammlungsortes auf den Bereich des Willy-Brandt-Platzes unmittelbar vor dem Euro-Denkmal entspricht zum Teil ihrer Anmeldung. Die Nutzung der angrenzenden Grünanlagen kann nicht gestattet werden.
Die unmittelbar angrenzende Grünanlage zwischen Europäischer Zentralbank, Willy-Brandt-Platz, Gallusanlage und Kaiserstraße war durch die nun schon seit dem 15.10.2011 andauernde ununterbrochene Nutzung dem
satzungsgemäßen Gebrauch entzogen. Gemäß § 1 Absatz 3 der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main dienen die öffentlichen Grünanlagen als Ruhezonen innerhalb der Stadt der Erholung und Entspannung der
Einwohner/innen. Der Entzug des satzungsgemäßen Gebrauchs kann nicht länger hingenommen werden.
Die Grünanlage steht außerdem aufgrund der unbedingt notwendigen Rattenbekämpfungsmaßnahmen sowie der erforderlichen Renaturierungsmaßnahmen bis auf weiteres nicht als Versammlungsfläche zur Verfügung.
Die bereits seit dem 15.10.2011 stattfindende Versammlung wird ab dem 26.07.2012 mit Ihnen als Versammlungsleiter fortgesetzt. Im Rahmen der Anhörung am 24.07.2012 wurde Ihnen meine Rechtsauffassung mitgeteilt, wonach
Sie für die bereits aufgestellte Hütte, die aufgestellten Zelte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände eine Sondernutzungserlaubnis benötigen, die für den
Willy-Brandt-Platz beim Amt für Straßenbau und Erschließung und für die angrenzende Grünanlage beim Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main einzuholen wäre. Dementsprechende Anträge wurden bislang nicht gestellt und
hätten auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das ausgesprochene Verbot zum Aufbau und zur Nutzung von Zelten, Hütten, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenständen, sofern keine Erlaubnis nach dem
Straßenverkehrsrecht und / oder der Grünflächensatzung vorliegt, beruht auf § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig
gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen liegen bei
der durchgeführten Prüfung in Bezug auf die Zelte, Hütte, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen Gegenständen vor.
Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, dass die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, 38). Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 VersG umfasst die gesamte
Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981, BVerwGE, 64, 55, 58 f.) und damit auch die straßen(verkehrs)rechtlichen Vorschriften und die Grünflächensatzung der Stadt Frankfurt am Main.
Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck, Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen
Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989).
Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen oder Campieren zu nutzende Gegenstände haben keinen unmittelbar und untrennbar mit der Meinungsbildung und -äußerung verknüpften Symbolgehalt und
sind daher keine notwendigen Hilfsmittel zur Durchführung der Versammlung. Vielmehr stellt das Aufstellen von Zelten, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende
Gegenstände eine Sondernutzung dar, die auf Straßen gemäß § 16 Abs. 1 des Hessischen Straßengesetzes (HStrG) und in Grünanlagen gem. § 3 Abs. 1 Grünanlagensatzung der Erlaubnis der zuständigen Behörde (hier: Stadt Frankfurt
am Main) bedarf. Für die bereits aufgestellte Hütte, die aufgestellten Zelte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände benötigen Sie daher eine Sondernutzungserlaubnis
des Amtes für Straßenbau und Erschließung und/oder eine Ausnahmebewilligung des Grünflächenamtes der Stadt Frankfurt.
Zweifelsohne handelt es sich bei Ihrer Versammlung um eine solche, die unter dem besonderen Schutz des Artikels 8 des Grundgesetzes (GG) steht. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beinhaltet auch die Gestaltungsfreiheit,
d.h., die Versammlungsbeteiligten entscheiden grundsätzlich selbst, in welcher Art und Weise Meinungsbildung und -äußerung erfolgen sollen. Unter Berücksichtigung dieses Grundrechtsschutzes bedarf die Frage, ob Zelte, Hütten,
Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände wesensnotwendige Hilfsmittel einer Versammlung sind, der besonderen Betrachtung. Vor dem Hintergrund des hohen
Stellenwerts des Grundrechts aus Artikel 8 habe ich den Geschehensablauf und die Funktionalität der Zelte, der Hütte, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände am
Versammlungsort über mehrere Monate beobachtet, um zu einer Sachgerechten Entscheidung zu kommen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.08.1991 - 18 L 2745/91; OVG NRW, Beschluss vom 23.09.1991 - 5 B 2541/91).
Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Zeltlager seinen Bezug zu der angemeldeten Versammlung als Mahnwache mit dem Thema: ‚Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' im Lauf der Zeil völlig
verloren hat. Die Zelte, die Hütte, die Sofas, die Sessel, die Stühle, die Holzpaletten und die sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände haben keinerlei funktionale Bedeutung mehr für die Durchführung der
Versammlung, sie werden also tatsächlich nicht als Hilfsmittel zur Meinungsbildung und -äußerung genutzt. Es ist mittlerweile ein Zeltlager entstanden, das mit einem Campingplatz zu vergleichen ist. Die Zelte, die Hütte, die Sofas,
Sessel, Stühle und Holzpaletten werden als Schlafstätten, als Wohn-, Ess- und Hygienebereich sowie zur Unterbringung diverser Utensilien und als Schutz vor der Witterung genutzt. Das Zeltlager wird mittlerweile überwiegend auch
von Obdachlosen und sonstigen Personen ausschließlich zum Aufenthalt bzw. Nächtigen genutzt, die an keinerlei Meinungsäußerungen oder Meinungsbildung teilnehmen. Die Zelte, die Hütte, die Sofas, die Sessel, Stühle,
Holzpaletten und sonstige Gegenstände dienen somit lediglich als Witterungsschutz, als Wärmequelle und Wohnutensilien und geben die Möglichkeit, am Versammlungsort zu leben und zu nächtigen. Als solche sind die Zelte, die
Hütte, die Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenstände nicht vom Grundrechtsschutz mit umfasst. Es ist Ihr freier Wille, sich nicht in einem geschlossenen Raum, sondern unter
freiem Himmel zu versammeln und auch nachts am Versammlungsort zu bleiben. Damit setzen Sie sich zwangsläufig den gegebenen Witterungsbedingungen aus. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfasst nicht das Schaffen
von (Wohn-)Bedingungen am Versammlungsort oder gar von geschlossenen Räumen (vgl. hierzu VG Lüneburg, Beschluss vom 18.11.2005 - 3 B 79/05; VG Berlin, Beschluss vom 23.12.2003 - 1 A 361/03; VG Karlsruhe, Beschluss
vom 14.02.2001 - 4 K 3227/00).
Damit sind Zelte, Hütten, Sofas, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzende Gegenstände vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht umfasst und können von der Versammlungsbehörde
als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden, soweit keine Ausnahmegenehmigung vorgelegt wird, was vorliegend nicht geschehen ist und womit auch nicht zu rechnen ist. Diesen Verstoß zu verhindern verfolgen die
versammlungsrechtlichen Auflagen.
Weiterhin wird die Grünanlage durch die nun schon seit dem 15.10.2011 andauernde ununterbrochene Nutzung dem satzungsgemäßen Gebrauch entzogen. Gemäß § 1 Absatz 3 der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main
dienen die öffentlichen Grünanlagen als Ruhezonen innerhalb der Stadt der Erholung und Entspannung der Einwohner/innen. Der Entzug des satzungsgemäßen Gebrauchs kann nicht länger hingenommen werden (vgl. auch VG Berlin,
Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12). Die Grünanlage ist wieder der Allgemeinheit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Durch die bisherige Nutzung als Zeltplatz ist eine massive Verdichtung des Bodens erfolgt, die eine völlige
Zerstörung der Grasnarbe zu Folge hat. Weiterhin kann Regenwasser nicht mehr im Boden versichern, so dass der Baumbestand gefährdet ist. Eine umfassende Renaturierung der Grünfläche ist dringend erforderlich.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat in seinem Beschluss vom 14.05.2012 unter dem Az. 5 L 1707/12.F ausgeführt, dass es keinen Anspruch sieht, öffentliche Grünanlagen der Stadt Frankfurt dauerhaft zum Campen zu
benutzen. Demnach ergibt sich weder aus dem öffentlichen Sachenrecht noch aus dem Recht der öffentlichen Einrichtungen ein solcher Anspruch (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 29.10.1992 - 7 C 34.91 -). Das Gericht verneint
weiterhin auch den Anspruch nach dem Versammlungsrecht: ‚Sollte man das Occupy-Camp überhaupt als Versammlung betrachten, ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Zeit und Ort der Veranstaltung
kein Anspruch, dauerhaft städtische Grünanlagen in Beschlag zu nehmen und so den Gemeingebrauch an diesen Grünanlagen faktisch aufzuheben (vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L 102.12).
Weiterhin haben sich die hygienischen Verhältnisse im Camp durch die intensive Nutzung als Wohnersatz in der letzten Zeit erheblich verschlechtert. Die beiden vorhandenen Dixi-Toiletten reichen für die Anzahl der
Camp-Bewohner bei Weitem nicht aus. Eine der Toiletten war bei einer Ortsbesichtigung am 19.07.2012 verschlossen und die andere war aufgrund der starken Verschmutzung in einem unbenutzbaren Zustand. Im gesamten Camp
sind gesundheitsgefährdende Abfälle (Essensreste, Lebensmittelverpackungen) verstreut. Es besteht ein massiver Rattenbefall, der aufgrund der leichten Erreichbarkeit von Lebensmittelresten und der Müllsituation (erhebliche
Sperrmüllablagerungen) sowie Unterschlupfmöglichkeiten unter den Zelten mit herkömmlichen Bekämpfungsmethoden nicht mehr getilgt werden kann. Ratten sind tierische Schädlinge im Sinne des Infektionsschutzgesetzes in der
Fassung vom 20.07.2000 (BGBl. I Nr. 33) durch die übertragbare Krankheiten (Seuchen) verbreitet werden können. Diese Gefahr wird durch die unzureichenden sanitären Verhältnisse im Camp erhöht. So besteht keine
Warmwasserversorgung. Die bisherige Essenszubereitung im sogenannten Küchenzelt wurde von Campbewohnern ohne Gesundheitsausweis durchgeführt. Die Einrichtung des Küchenzeltes bestand zum Teil aus Materialien, die ein
Oberflächenreinigung oder Desinfektion unmöglich machten. Zur Zeit werden im gesamten Campbereich an kleinen Kochstellen Speisen zubereitet. Die hygienischen Zustände haben sich dadurch noch mehr verschlechtert. So gibt es
hier kein fließendes Wasser, Speisereste und Vorräte werden offen gelagert und sich einschließlich des Kochgeschirrs für die Ratten frei zugänglich.
Aus den vorgenannten Gründen sind sofortige Rattenbekämpfungsmaßnahmen unumgänglich. Hierzu muss jedoch das Areal frei von Aufbaute, wie Hütten und Zelten, sein, da die Maßnahmen ansonsten nicht erfolgreich durchgeführt
werden können.'
Mit seinem am 31.07.2012 bei Gericht erhobenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes führt der Kläger unter anderem aus, die Versammlung stelle eine dauerhafte Mahnwache dar und sei als Protest gegen das
Finanzgebaren der Großbanken gestaltet. Die Zelte vor der Europäischen Zentralbank seien als Ausdruck der dort Versammelten zu sehen, die letzten ihnen öffentlich zugängliche Plätze zu nutzen und ihre noch verbleibenden Rechte
zu verteidigen. Die dauerhafte Präsenz sei ein Manifest der Menschen an die Finanzkonzerne (vgl. Blatt 5 der Gerichtsakte).
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27.07.2012 gegen die Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 25.07.2011 wieder herzustellen. Der
Antragsgegner beantragt, den Eilantrag abzulehnen.
In der Antragserwiderung heißt es unter anderem: ‚Der Antragsteller beansprucht mit seiner versammlungsrechtlichen Anmeldung und dem streitgegenständlichen Eilantrag im Ergebnis für sich und andere Privatpersonen ein
dauerhaftes und uneingeschränktes Besetzungs- und Nutzungsrecht, insbesondere das Recht zur Errichtung und zur dauerhaften Nutzung von Zelten sowie anderen transportablen Unterkünften und Aufbauten für Wohn-, Lager- und
andere Zwecke, auf öffentlichen Plätzen und in der öffentlichen Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main.
Dem steht jedoch das geltende Gemeindeordnungs- und öffentliche Sachenrecht entgegen, wonach kein Bürger eine dauerhafte ausschließliche Nutzung öffentlicher städtischer Straßen und Grünanlagen fordern kann.
Die Einrichtung einer öffentlichen Grünanlage und die dauerhafte Nutzung als ‚Camp' oder Zeltplatz schließen sich rechtlich aus. Entsprechendes gilt für öffentliche Straßen und Plätze.
So sollten die städtischen Grünanlagen nach ihrer Zweckbestimmung in der Satzung über die Benutzung der Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main (Grünanlagensatzung) vielmehr gemäß § 1 Absatz 2 als Ruhezonen innerhalb der
Stadt der Erholung und Entspannung der Einwohner/innen und gemäß Absatz 4 dem Ausgleich der vielfältigen Umweltbelastungen der Großstadt dienen. Die in den Grünanlagen vorhandenen Pflanzen und Tiere sollen daher
besonderen Schutz vor Störungen und sonstigen schädlichen Einwirkungen aller Art genießen.
Dieser öffentlichen Zweckbestimmung der öffentlichen Grünanlagen zum schonenden Gemeingebrauch und zur Erholung aller Bürger der Stadt sowie zum Schutz der vorhandenen Pflanzen und Tiere läuft das Antragsbegehren des
Antragstellers entgegen. Vorliegend wurde die Grünanlage neben dem Willy-Brandt-Platz seit vielen Monaten durch das dauerhafte ‚Campen' einer Vielzahl von Menschen seiner bestimmungsgemäßen Nutzung entzogen und auch
bereits nachhaltig in ihrem natürlichen Bestand beschädigt.'
Die Kammer hat in einem Erörterungstermin am 02.08.2012 mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und den Versuch einer konsensualen Lösung ausgelotet. Insoweit wird auf die Niederschrift über den
Erörterungstermin, im Übrigen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II Das Gericht hat über den Antrag in der Sache zu entscheiden, weil der Vergleichsvorschlag vom 03.08.2012 nicht zustande gekommen ist, denn beide Seiten haben die Annahme des Vergleichsvorschlags an - im Übrigen
unterschiedliche - Bedingungen geknüpft.
Der als Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs vom 27.07.2012 gegen die Auflagenverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 23.07.2012 auszulegende
Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, hat aber in der Sache keinen Erfolg, weil die verfügten Auflagen der Antragsgegnerin bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich
rechtmäßig sind und ihr Vollzug eilbedürftig ist.
Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz darf die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht der Antragsgegner zutreffend aus. Nach Durchführung des Erörterungstermins am
02.08.2012 teilt das Gericht die in der angegriffenen Verfügung wiedergegebene Einschätzung der Sach- und Rechtslage und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf. Darüber hinaus ist folgendes festzustellen:
Die angemeldete Versammlung des Antragstellers kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist im Gesamtkontext der von der Occupy-Bewegung in Frankfurt am Main entwickelten Aktivitäten zu sehen, insbesondere der
Besetzung der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank im Rahmen eines sogenannten Protest-Camps. Dieses Protest-Camp und die damit einhergehende dauerhafte Besetzung der Grünanlage ist durch das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Versammlungsgesetz) nicht gedeckt. Dafür spricht zum einen bereits der Umstand, dass ein gemeinsames Ziel der im Protest-Camp sich aufhaltenden Personen (Aktivisten, Ausländer,
Angehöriger nationaler Minderheiten, Obdachlose, Drogensüchtige etc.) ersichtlich nicht erkennbar ist. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen
Menschen zum Zecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Von daher ist eine Versammlung dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck
inhaltlich verbunden ist. Dies mag zwar zu Beginn des Protest-Camps einmal der Fall gewesen sein, zum jetzigen Zeitpunkt stellt sich nach Auffassung der Kammer die Situation gänzlich anders dar, weil es für die Mehrheit der das
Camp nutzenden Personen ersichtlich um die Befriedigung individueller Bedürfnisse wie Finden einer Schlafstatt und Versorgung mit Nahrungsmitteln etc. geht, nicht jedoch um ein gemeinsames kommunikatives Anliegen mit dem
Ziel der Einwirkung auf die Öffentlichkeit. Dass dies so ist, räumt auch der Antragsteller ein, wenngleich er aus diesem Umstand andere rechtliche Konsequenzen ableitet als das Gericht.
Darüber hinaus wird das Aufstellen von Zelten und das Campieren in Grünanlagen vom Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG auch nur ausnahmsweise umfasst. Zwar unterfallen dem Begriff der
Versammlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 69, 315 (343)) nicht nur Veranstaltungen, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern es sind vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis
hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen dem Versammlungsbegriff zuzuordnen. Den Versammlungsteilnehmern steht zudem ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Veranstaltung zur Seite, woraus ein
hohes Maß an Gestaltungsfreiheit folgt. In diesem Zusammenhang ist dem Antragsteller auch zuzugestehen, dass in Zeiten globaler Vernetzung und neuartiger Kommunikationsstrukturen sich bisher nicht gekannte
Demonstrationsformen entwickeln und zu berücksichtigen sind, wenngleich Platzbesetzungen und Errichtung von Camps, Hüttendörfern etc. zu den tradierten Protestformen zu zählen sind. Allerdings ist nicht alles, was
Begleiterscheinung einer Versammlung ist, dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG und den Vorschriften des Versammlungsgesetzes zuzuordnen. Diese zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen von Personen zum
Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung zu schützen. Von daher unterfallen Zelte und Hüten etc. dem Versammlungsrecht und der Erlaubnisfreiheit im Hinblick auf deren Aufstellung nur dann, wenn es
sich dabei um ‚notwendige Bestandteile' der Versammlung handelt, ohne die eine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist. Die in der Grünanlage vor der Europäischen Zentralbank aufgestellte Hütte,
die aufgestellten Zelte, Sofa, Sessel, Stühle, Holzpaletten und sonstige zum Wohnen und Campieren zu nutzenden Gegenstände tragen nicht unmittelbar, funktional und versammlungsimmanent zur gemeinsamen Meinungsbildung
oder Meinungsäußerung bei. Sie sind nicht funktional oder elementar notwendig, um, wie es in der Anmeldung des Antragstellers heißt, zum Thema der Veranstaltung ‚Für Demonstrationsfreiheit! Gegen die Finanzdiktatur!' beizutragen.
Im Übrigen spricht auch der Charakter einer öffentlichen Grünanlage, hier geschützt durch entsprechende Satzung der Stadt Frankfurt am Main, gegen eine langfristige Inanspruchnahme durch die Occupy-Bewegung.
Nach der Grünanlagensatzung der Stadt Frankfurt am Main in der ab dem 23.10.2010 geltenden Fassung ist das Aufstellen von Zelten oder ähnlichen transportablen Unterkünften außerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen
unzulässig (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 der Grünanlagensatzung). Ebenso ist das Entzünden und Unterhalten von offenem Feuer außerhalb der Grillplätze und die Benutzung von Grillgeräten in den Grünanlagen verboten (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6
Grünanlagensatzung). Diese Bestimmungen sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Das vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem
Willen des Trägers als öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht. Aus Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der
Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, NJW 1993, Seite 609). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über
den durch den Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwider läuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsortes in Betracht. Die
Versammlungsbehörde kann in diesem Falle unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzweckes und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im Hinblick auf
unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen. Von deren Vorliegen geht die Kammer im Hinblick auf die hygienischen Umstände vor Ort, die massive Verdichtung des Bodens in der Grünanlage wie auch des
Entzugs dieser Fläche für die Allgemeinheit aus. Diese ergeben sich zweifelsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Behördenakte, auf den bezüglich der hygienischen Verhältnisse verwiesen wird.
Ausgehend von den so geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten wie auch der vorgenommenen rechtlichen Einordnung ist es daher von Verfassungs wegen und auch nach einfachem Recht nicht zu beanstanden, wenn der
Antragsgegner in den Auflagen 2 und 3 die Nutzung von Zelten, Hütten, Sofas, Sesseln, Stühlen, Holzpaletten und sonstigen zum Wohnen und Campieren genutzten Gegenständen im Bereich der Grünanlage wie auch des
Willy-Brandt-Platzes untersagt hat, sofern keine Erlaubnis nach dem Straßenrecht der Stadt Frankfurt am Main vorliegt, was nicht der Fall ist.
Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52, 53 GKG und entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller. ..." (VG Frankfurt, Beschluss vom 06.08.2012 - 5 L 2558/12.F)
***
Die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen bei der Fortsetzungsfeststellungsklage analog geltenden Widerspruchs- bzw. Klagefristen laufen bis zum Zeitpunkt der Erledigung eines Verwaltungsaktes und sind insoweit von dem
Rechtssuchenden auch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage zu beachten. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO hat weder die Durchführung eines Vorverfahrens zur Voraussetzung, noch unterliegt sie
einer Klagefrist (im Anschluss an BVerwGE 109, 203). Zum Verbot einer Versammlung am Volkstrauertag (VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 17.07.2012 - 5 K 1163/11.NW):
„... Das Feststellungsbegehren des Klägers ist aber nicht begründet, denn die versammlungsrechtliche Verbotsverfügung der Beklagten vom 10. November 2011 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat bei der Durchführung des geplanten
Trauermarschs von Haßloch nach Böhl-Iggelheim zu Recht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit angenommen und deshalb den Trauermarsch ohne Rechtsfehler untersagt.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen u.a. die öffentliche Sicherheit bei der
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst die öffentliche Sicherheit den Schutz zentraler individueller Rechtsgüter, aber auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Bei der Durchführung des geplanten
Trauermarsches am Volkstrauertag 2011 von Haßloch nach Böhl-Iggelheim drohte danach eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG, weil ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Feiertagsgesetzes
des Landes Rheinland-Pfalz - LFtG - gegeben war.
Das Landesfeiertagsgesetz konkretisiert den verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 Weimarer Verfassung und in Art. 47 der Verfassung für Rheinland-Pfalz normierten Schutz der Sonntags- und Feiertagsruhe (OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. November 2011, 6 A 10584/11.OVG). Als an Art. 8 Abs. 2 GG zu messendes Gesetz kann es das Recht auf Versammlungen unter freiem Himmel an bestimmten Feiertagen beschränken. Als spezielle
landesgesetzliche Regelung verbietet § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG u.a. am Volkstrauertag ab 4.00 Uhr generell öffentliche Versammlungen und Aufzüge, soweit sie nicht der Religionsausübung dienen oder dem Charakter des Feiertags
entsprechen. Diesem Schrankenvorbehalt unterfällt die am Volkstrauertag geplante Versammlung des Klägers.
Die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG ist Bestandteil der Rechtsordnung und damit der öffentlichen Sicherheit i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG. Dabei zählt der Volkstrauertag mit dem Karfreitag und dem Totensonntag zu den „stillen"
bzw. „ernsten" Feiertagen, dessen Charakter als Tag des stillen Gedenkens an die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 16. November 2002, NVwZ 03, 601) durch den Normgeber
besonders geschützt werden soll. Bei den (wenigen) stillen Feiertagen, die nach ihrem Charakter Anlass für ein stilles Gedenken und stille Trauer geben, will der Gesetzgeber die Feiertagsruhe schützen, um so diesen besonderen
Charakter des Tages zu wahren (so OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. November 2006, LKRZ 07, 68 zum Totensonntag; OVG Brandenburg, NVwZ 03, 623 zum Volkstrauertag).
Der Beklagte hat auch bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG hinreichend berücksichtigt. Zum Schutze der Feiertagsruhe allein können öffentliche Versammlungen unter freiem
Himmel an diesem Tag nicht völlig verboten werden. Das entspricht nicht nur der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern auch dem Feiertagsgesetz selbst, das den besonderen Charakter der in § 6 Nr. 1
LFtG genannten „stillen" Feiertage schützen will und nur dann zum Tragen kommt, wenn die Versammlung nicht dem Charakter des Feiertags entspricht und damit eine ernsthafte Störung des geschützten Rechtsguts zu besorgen ist
(so OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. November 2006, a. a. O.). Bei dieser Auslegung bleibt das Gesetz auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten im Einklang mit Art. 8 GG, denn ein vollständiges Verbot einer
Versammlung stellt sich nur als letzte Möglichkeit zum Schutz der öffentlichen Sicherheit dar und soll deshalb nur dann erfolgen, wenn mildere Mittel - wie versammlungsrechtliche Auflagen - nicht ausreichen, um einen
hinreichenden Schutz eines gleichrangigen Rechtsguts zu gewährleisten (BVerfGE 69, 315).
Hier hat der Beklagte zu Recht angenommen, dass der vom Kläger geplante Trauermarsch von Haßloch nach Böhl-Iggelheim mit Kundgebung in Haßloch den Charakter des Volkstrauertags als Tag des stillen Gedenkens in einer
ernsthaften, ein Verbot rechtfertigenden Weise gestört hätte. Die vom Kläger zunächst von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr geplante Versammlung sollte zuletzt mit einer Eröffnungskundgebung (mit Redner) unter Einsatz eines
Lautsprechers am Rathausplatz in Haßloch beginnen und über eine mehrere Kilometer führende Strecke durch Wohngebiete Haßlochs über den Rad- und Fußweg entlang der viel befahrenen Landesstraße L 532 nach Böhl-Iggelheim
zu dem Gedenkstein unmittelbar an der L 528 führen. Weiterhin sollten auf dem Fußmarsch zwei schwarze Flaggen und ein Transparent mitgeführt sowie Druckwerke über die Ereignisse in den so genannten Rheinwiesenlagern durch
die „amerikanischen Besatzer" verteilt werden. Diese vom Kläger begehrte konkrete Ausgestaltung der Versammlung als Trauermarsch ist aber mit dem äußeren Erscheinungsbild des Volkstrauertags, wie es aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG
folgt, nicht in Einklang zu bringen.
Bereits die beabsichtigte Verwendung eines hinsichtlich der erwarteten Anzahl der Versammlungsteilnehmer nicht notwendigen Akustikverstärkers und die damit auch Dritten gegenüber lautstark und durch die Verteilung von
Flugblättern unterstützte, in der Öffentlichkeit kollektiv zum Ausdruck gebrachte politische Meinungsäußerung widersprechen dem am Volkstrauertag im Vordergrund stehenden stillen Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege
und des Nationalsozialismus. Dabei geht es nicht - wie in einer Mehrzahl von in der letzten Zeit bis zum Bundesverfassungsgericht geführten Streitigkeiten (Beschluss vom 12. April 2001 - 1 BvQ 19/01 -, betreffend eine
Versammlung am Ostermontag, und vom 12. April 2001 - 1 BvQ 20/01 - betreffend eine Versammlung am Karsamstag) - um den Schutz des Empfindens einer Mehrheit der Bevölkerung vor tatsächlich oder vermeintlich
unzumutbaren Provokationen durch die öffentliche Darbietung politischer Gesinnungen mit einer Nähe zu nationalsozialistischem Gedankentum an bestimmten Tagen und damit um eine zu befürchtende unmittelbare Gefährdung der
öffentlichen Ordnung. Vielmehr ist hier allein entscheidend, dass die konkret geplante Ausgestaltung der Versammlung als Trauermarsch in hohem Maße geeignet war, den durch den Landesgesetzgeber geschützten Charakter des
Volkstrauertags zu stören, so dass das Verbot wegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit (Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 LFtG) gerechtfertigt war.
Dabei ist ausschlaggebend, dass der Normgeber im Hinblick auf die am Volkstrauertag besonders geschützte Feiertagsruhe die Bevölkerung nicht mit einer lautstarken, die Öffentlichkeit suchenden Kundgebung, wie sie vom Kläger an
diesem stillen Feiertag letzten Jahres beabsichtigt war, konfrontieren will. Bei der vom Kläger über mehrere Stunden geplanten Versammlung mit Kundgebung ging es ihm, wie aus den Transparent-Parolen und der Absicht,
Flugblätter über die so genannte Rheinwiesenlagerkampagne zu verteilen, folgt, eindeutig nicht um ein stilles Trauern, auch nicht in Gemeinschaft, das sich im Rahmen der an einem Volkstrauertag üblichen Formen des
Totengedenkens bewegt hätte. Vielmehr war die Versammlung auf eine kollektive öffentliche Meinungskundgabe ausgerichtet, wobei die von dieser Kundgabe betroffenen Anlieger von den Versammlungsteilnehmern und zu Wort
kommenden Rednern, auch wenn sie damit nicht konfrontiert werden wollten, sowohl in ihrem Wohnfrieden als auch in der ihnen gesetzlich verbürgten Feiertagsruhe gestört worden wären. Hinzu kommt, dass bei Durchführung des
Trauermarsches mit einem größeren Aufgebot an Polizeikräften im näheren Umfeld des Aufzugs hätte gerechnet werden müssen, so dass auch deshalb eine empfindliche Störung der Feiertagsruhe zu befürchten war. Ein größeres
Aufgebot an Polizeikräften wäre hier nach Auffassung der Kammer nicht nur wegen einer vom Beklagten befürchteten Provokationswirkung der geplanten Versammlung erforderlich gewesen, sondern insbesondere auch deshalb, weil
der Aufzug, der durch die Straßen Haßlochs und insbesondere parallel zu der viel befahrenen Landesstraße L 532 von Haßloch nach Böhl-Iggelheim führen sollte, über längere Zeit verkehrslenkend von einem Aufgebot der Polizei
hätte begleitet werden müssen.
Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, zumindest das Totalverbot des Trauermarschs durch den Beklagten am 13. November 2011 sei rechtswidrig gewesen, weil ein Teil des Marsches als Standkundgebung in Böhl-Iggelheim am
Gedenkstein habe durchgeführt werden können, kann dem nicht gefolgt werden. Bei der einstündig geplanten stationären Versammlung am Gedenkstein in unmittelbarer Nähe der L 528 handelt es sich nämlich nicht um ein „Minus"
zu dem beim Beklagten angemeldeten Trauermarsch, sondern um eine andere Veranstaltung, die unter der Erteilung von Auflagen von der dafür (allein) zuständigen Behörde (Rhein-Pfalz-Kreis) zugelassen wurde. Die zeitliche und
örtliche Verlegung der Versammlung unterlag dabei allein dem Selbstbestimmungsrecht des Versammlungsanmelders. Mangels Zuständigkeit für die vom Kläger bei der Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises anstelle des
Trauermarschs angemeldete stationäre Versammlung musste der Beklagte auch - entgegen der Auffassung des Klägers - insoweit keine eigene Ermessensentscheidung mehr treffen, unter welchen versammlungsrechtlichen Auflagen
der zunächst geplante und bei ihm angemeldete Trauermarsch hätte zugelassen werden können. Bei dem Verbot des Trauermarschs konnte der Beklagte allerdings berücksichtigen, dass die vom Kläger am selben Tag bei der
Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises angezeigte Versammlung in stark modifizierter Weise stattfinden konnte. ..."
***
Bestimmte Umstände können ein Höherrücken oder Absinken dieser Eingriffsschwelle bedingen. Ein derartiger Umstand ist unzulängliche oder mangelnde Kooperationsbereitschaft auf Seiten der Behörde oder des Veranstalters.
Beruht die unzulängliche oder mangelnde Kooperationsbereitschaft auf dem Verhalten des Veranstalters, kann ein Versammlungsverbot gerechtfertigt sein. Der Veranstalter muss als Folge seines Verhaltens ein
Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer unmittelbaren Gefahr gesprochen werden
kann. Unzureichende oder mangelnde Kooperationsbereitschaft kann u.a. in der Verschleierung von Umfang der Veranstaltung und wirklichem Veranstalter liegen (VG Meiningen, Beschluss vom 24.05.2012 - 2 E 235/12 Me):
„... Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in einem solchen Fall das Gericht der Hauptsache auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Ein solcher Antrag kann jedoch nur dann Erfolg haben,
wenn im Zeitpunkt der zu treffenden gerichtlichen Entscheidung kein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht oder wenn ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung ein
gleichwohl vorhandenes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Ergibt die Prüfung im Eilverfahren, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, so verschafft dies dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ein entscheidendes Übergewicht, während
umgekehrt, sollte sich der Bescheid bei der gebotenen Prüfung als wahrscheinlich rechtmäßig herausstellen, dies im konkreten Fall für die von dem Antragsgegner angeordnete Vollziehung seines Bescheides spricht.
Nach § 80 Abs. 3 VwGO hat die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dies ist in vorliegendem Fall in ausreichender Art und Weise geschehen.
Nach der im Hinblick auf die Besonderheiten des versammlungsrechtlichen Eilverfahrens gebotenen intensiven Prüfung der Sach- und Rechtslage (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, ThürVBl. 2003, S. 53, juris, Rdnr. 12) kommt die
Kammer zu dem Ergebnis, dass das Rechtsmittel des Antragstellers gegen den streitgegenständlichen Bescheid keinen Erfolg verspricht und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das private
Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels überwiegt.
Zu Recht stützt die Behörde den Bescheid und das darin ausgesprochene Verbot der Demonstration auf § 15 Abs. 1 VersammlG.
Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei nach allgemeiner Ansicht den Schutz zentraler
Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit anzunehmen sein wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter öffentlicher Ordnung versteht das allgemeine Polizeirecht die Summe der ungeschriebenen Verhaltensregeln, deren Einhaltung nach
den Vorstellungen der Menschen im jeweiligen Rechtsraum für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben unverzichtbar ist.
Die in diesem Zusammenhang von der Behörde gebotene Gefahrenprognose erfordert tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße
Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfG, B. v. 07.11.2008 - 1 BvQ 43/08, juris, Rdnr. 17, m.w.N.). Hierfür können insbesondere die Verbotsgründe des § 5 VersammlG herangezogen werden, die
in jedem Fall auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit implizieren (ThürOVG, B. v. 09.08.1996, ThürVBl. 1997, S. 34, m.w.N).
Die oben genannten Maßstäbe gelten nicht uneingeschränkt. Es gibt Umstände, die ein Höherrücken oder Absinken dieser Eingriffsschwelle bedingen können. Bestimmte behördliche Pflichten einerseits und Obliegenheiten auf
Veranstalterseite andererseits sind zu berücksichtigen, deren Erfüllung oder Nichterfüllung die Eingriffsschwelle verschieben kann. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 315 [- ‚Brokdorf' -]) auch einen wesentlichen verfahrens- und organisationsrechtlichen Gehalt. Daraus folgt die Pflicht der staatlichen Behörden zu einer
versammlungsfreundlichen Verfahrensweise, zu einem ernsthaften Einsatz für die friedliche Durchführung von Demonstrationen und zu einer fairen Kooperation. Damit kommt z. B. der ohnehin bestehenden Verpflichtung zu
Auskunft und Beratung (vgl. § 25 ThürVwVfG) ein besonderes Gewicht zu, etwa dergestalt, dass die Behörde die tatsächlichen Umstände, die ihrer Ansicht nach zu einem Versammlungsverbot führen könnten, zur Sprache bringt
und dem Veranstalter Gelegenheit gibt, rechtzeitig Abhilfe zu schaffen (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, a.a.O., juris, Rdnr. 16).
Andererseits trifft nicht nur die Behörden, sondern auch den Veranstalter die Obliegenheit zur Kooperation in dem Sinne, gemeinsam auf das Ziel einer friedlichen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen möglichst gering
haltenden Durchführung von Demonstrationen hinzuwirken. Dies folgt aus der Pflicht des Veranstalters, Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge anzumelden (§ 14 VersammlG). Die mit der Anmeldung verbundenen
Angaben sollen den Behörden die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits zum möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelungen und sonstigen
Maßnahmen veranlasst werden muss und was andererseits im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich ist und wie beides aufeinander abgestimmt werden kann. Des Weiteren ermöglicht die mit der Anmeldung
verbundene Kontaktaufnahme über das gegenseitige Kennenlernen hinaus einen Dialog und eine Kooperation, zu denen die Behörde bereit sein muss und die sich auch für die Demonstrationsträger im eigenen Interesse empfehlen.
Scheitert der behördliche Versuch einer solchen Kooperation aus Gründen, die von Seiten der Veranstalter und Demonstranten zu vertreten sind, kommt ein Versammlungsverbot in Betracht (ThürOVG, B. v. 12.04.2002, a.a.O.,
juris, Rdnr. 22 bis 24 m.w.N.).
Besteht das Kooperationsdefizit gerade darin, dass der Behörde Angaben vorenthalten werden, die dem Veranstalter ohne Weiteres möglich und auch unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes durch Art. 5 Abs. 1 GG und 8
Abs. 1 GG zumutbar wären, und hat dies zur Folge, dass die Gefahrenprognose nur auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage erstellt werden kann, dann dürfen die Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit des
Gefahreneintritts nicht überspannt werden. Der Veranstalter muss als Folge seines Verhaltens vielmehr ein Versammlungsverbot auch dann hinnehmen, wenn sich die Tatsachen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
schließen lassen, noch nicht so verdichtet haben, dass von einer unmittelbaren Gefahr gesprochen werden kann. Allerdings müssen auch dann tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer mehr als nur theoretischen
Wahrscheinlichkeit der Versammlungsfreiheit gleich zu achtende Grundrechte Dritter gefährdet sein können, etwa dadurch, dass es zu Gewalttätigkeiten aus der Demonstration selbst heraus kommen kann. Dies gilt umso mehr, wenn
sogar in Frage steht, ob die angemeldete Versammlung als potentiell unfriedliche überhaupt am Schutz des Art. 8 GG teilnimmt. Jedenfalls dann ist es auch nicht unverhältnismäßig, wenn eine Behörde, die ihrerseits ihren Verhaltens-
und Verfahrenspflichten nachgekommen ist, ein Versammlungsverbot erlässt.
Das von dem Antragsgegner in vorliegendem Fall verfügte Versammlungsverbot ist nicht durch die Prognose einer unmittelbaren Gefahr für die den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG gleichwertigen Rechtsgüter, wie
sie grundsätzlich für einen solchen Eingriff in das besonders geschützte Grundrecht der Versammlungsfreiheit erforderlich ist, gerechtfertigt. Abweichend von den die Schwelle für den Erlass eines Versammlungsverbots
bestimmenden Maßstäben, ist das von dem Antragsgegner hier verfügte Versammlungsverbot dennoch rechtmäßig. Die Eingriffsschwelle für versammlungsrechtliche Maßnahmen ist angesichts des Verhaltens des Antragstellers und
das des weiteren Anmelders H... nämlich erheblich herabgesetzt.
Auf Grund der Angaben und des Verhaltens des Antragstellers und des weiteren Anmelders H... anlässlich des Kooperationsgesprächs konnte der Antragsgegner letztlich nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob eine oder zwei
selbständige Veranstaltungen am 09.06.2012 stattfinden sollten. Verbunden mit dieser Frage war die Frage, mit wie vielen Teilnehmern bei der Veranstaltung am 09.06.2012 zu rechnen war. Dem Antragsgegner ist es unmöglich, die
damit verbundene Prognose, ob und inwieweit Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit der Veranstaltungsteilnehmer, der Anwohner, des Zirkuspersonals und der Polizeibeamten auf Grund zu erwartenden Lärmbelastung oder
Ausschreitungen von Gegendemonstrationsteilnehmern bestehen und welche Maßnahmen zum Schutz vor Lärmbelästigungen getroffen werden können. Auch ist nicht einschätzbar, welche Maßnahmen zum Schutz der Teilnehmer
und zur Trennung der gegensätzlichen Demonstrationen notwendig sind. Eine konkret wahrscheinliche Gefahrenprognose ist nicht möglich. Der Antragsgegner hätte allenfalls Vermutungen anstellen können. Grund dafür ist die
systematische Verschleierung von Umfang der Veranstaltung und wirklichem Veranstalter durch den Antragsteller einerseits und den NPD-Landesverband andererseits.
Dies ergibt sich aus folgendem:
Der Antragsteller meldete am 07.02.2012 eine Kundgebung für den 09.06.2012 an. Die zu erwartende Teilnehmerzahl gab er mit ca. 1.500 Personen an. Die von Herrn H... angemeldete Kundgebung, ebenfalls für den 09.06.2012,
stellte auf ca. 2.000 Teilnehmer ab. Hieraus durfte der Antragsgegner schließen, dass am 09.06.2012 in M... unter dem gleichen Motto bzw. Teilmotto ‚Volkstod stoppen' zwei Kundgebungen mit mindestens insgesamt 3.500
Teilnehmern zu erwarten seien.
Bei dem Kooperationsgespräch vom 11.04.2012 waren beide Anmelder anwesend. Die Anwesenden waren sich einig, dass ‚beide Veranstaltungsanmeldungen ohne zeitliche Unterbrechung' besprochen werden sollten. Im Rahmen der
Besprechung ist in der Niederschrift unter anderem ausgeführt: ‚Herr H... fragt nach der Ernsthaftigkeit, ob zwei Veranstaltungen parallel laufen sollen oder doch nur eine durchgeführt wird. Er stellt eindeutig fest, dass der
Volkshausplatz nicht zur Verfügung steht, weil dort eine Public Viewing Veranstaltung zum Fußball stattfindet und die Nutzung der Flutmulde undenkbar ist. Herr D...: Die erste Veranstaltung wurde vom Landesverband angemeldet
und die zweite von ihm privat. Beide Anmeldungen sollen erhalten bleiben und die Veranstaltungen werden, wenn möglich, parallel laufen, vorbehaltlich der Bereitstellung der geplanten Flächen.' Diese Angaben bedeuten nach ihrem
Wortsinn, dass am 09.06.2012 in M... zwei parallel verlaufende Versammlungen mit insgesamt 3.500 Teilnehmern (ca. 1.500 Teilnehmer am Versammlungsort Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr Teilnehmern und ca. 2.000
Teilnehmer am Versammlungsort Volkshausplatz) stattfinden sollten.
Allerdings liegen - entgegen den Angaben des Antragstellers - Anhaltspunkte vor, dass nicht zwei getrennte, sondern eine Veranstaltung am 09.06.2012 stattfinden sollte. Dies ergibt sich aus Folgendem: Das Kundgebungsthema
‚Volkstod stoppen', (Teil-)Motto ‚beider' Veranstaltungen, wurde im Internet unter anderem beworben von ‚www.jugend-national.de' hinsichtlich einer Veranstaltung in M... am 09.06.2012. Ausweislich des Impressums ist Herr H...
verantwortlich. Auch das Schreiben vom 05.05.2012 belegt einen gegenseitigen Zurechnungszusammenhang. Herr H... verzichtete zwar auf die am 06.02.2012 angemeldete Kundgebung, führte aber aus: ‚Die Anmeldung von Herrn
D... bleibt aufrecht erhalten und wird fortan beworben.' Aus dem Auftreten des Herrn H... für den Antragsteller lässt sich der Schluss ziehen, dass ein gegenseitiger Zurechnungszusammenhang besteht und damit eine einzige
Veranstaltung vorliegt. Auch ist im Antragsschriftsatz Herr H... mehrfach als ‚Zeuge' benannt, wodurch auch hier der Verdacht genährt wird, dass der Antragsteller lediglich als ‚Strohmann' auftritt. Ein weiteres Indiz eines
gegenseitigen Zurechnungszusammenhangs lässt sich auch aus der Anmeldung des Antragstellers vom 07.02.2012 entnehmen. Hier wurde ... W... als Stellvertreter des Veranstalters D... benannt. Der frühere NPD-Organisationsleiter
... W... wurde am 13.05.2012 zum neuen Landesvorsitzenden der NPD Thüringen gewählt. Hieraus lassen sich Anhaltspunkte für einen engen Kontakt zwischen der ‚Privatperson' D..., dem Antragsteller, und dem Landesverband der
NPD entnehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum eine Privatperson und eine politische Partei an einem Tag gleichzeitig unter dem gleichen (Teil)Motto voneinander getrennte, selbständige Kundgebungen
abhalten sollten. So ist auch augenfällig, dass Herr H... am 05.05.2012, nach Verzicht auf seine Anmeldung vom 06.02.2012 eine Demonstration in M... für den 09.06.2012 nunmehr allein unter dem Motto ‚Volkstod stoppen' (Motto
des Antragstellers für seine Versammlung) anmeldete. Dennoch wirbt die NPD auf der bereits genannten, ständig aktualisierten Homepage, für die Herr H... verantwortlich zeichnet, weiter für den ‚Thüringentag der nationalen Jugend'
mit dem angeblich vom Antragsteller zu verantwortendem Programm, bei dem der Antragsteller nur als einer von fünf Rednern genannt wird, als ‚unsere' Veranstaltung, unterschrieben von ‚Euer Veranstaltungsteam'.
Zweifel bestehen auch hinsichtlich der zu erwartenden Teilnehmerzahl am 09.06.2012 an der Veranstaltung auf dem Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr. Wie ausgeführt lassen die ursprünglichen Anmeldungen vom 06.02.2012
und 07.02.2012 eine Teilnehmerzahl von insgesamt 3.500 Personen erwarten.
Die Anmeldung des NPD-Landesverbandes vom 05.05.2012 allein betrachtet erweckt den Eindruck, dass am 09.06.2012 an Stelle der ursprünglich erwarteten 2.000 Teilnehmer nur noch mit 200 bis 400 Teilnehmern zu rechnen sei.
Dies hätte zur Folge, dass bei der vom Antragsteller angemeldeten Veranstaltung am 09.06.2012 am Versammlungsort Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr mit einer weit geringeren Teilnehmerzahl zu rechnen wäre. Diesen
Eindruck erwecken auch die Ausführungen in der Antragsbegründung, wonach der Antragsteller nunmehr ausführt ‚von Anfang an war es beabsichtigt, und so soll es auch mit dem Aufzug des Zeugen H... vom Bahnhofsvorplatz zum
Versammlungsplatz des Antragstellers geschehen, dass die meisten Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers vorher an der Versammlung des Zeugen H... teilnehmen.'
Aber auch hier liegen Anhaltspunkte vor, dass von einer weit höheren Teilnehmerzahl auszugehen ist. Bereits unter dem 26.04.2012 wurde der Antragsteller auf die Problematik der Teilnehmerzahl hingewiesen. Es wurde ausgeführt:
‚Sollte auf dem geplanten Veranstaltungsort die Aufnahme der Veranstaltungsteilnehmer der vom NPD-Landesverband Thüringen angemeldeten Versammlung geplant sein - mithin eine Besucherzahl von insgesamt 3.500 Menschen -
so ist mit einem Verbot zu rechnen.' Zwar signalisierte der Antragsteller am 07.05.2012 weitere Kooperationsbereitschaft; jedoch ging er auf diese offenkundig streitentscheidende Frage nicht ein. Aus der Anmeldung vom 05.05.2012
des Herrn H..., ‚einige Teilnehmer der Demonstration werden sich nach Ende der Versammlung zu der von Herrn D... angemeldeten Kundgebung Ecke Werrastraße/Am Wehr einfinden und dort verbleiben' lassen sich keine
nachvollziehbaren Gründe ersehen, warum eine ursprünglich erwartete Teilnehmerzahl von 2.000 Personen drastisch auf max. 400 Personen sinken soll.
Auch die Antragsbegründung führt zu keiner Klärung der Teilnehmerzahl. Der Antragsteller führt aus, dass er bei seiner Versammlung 1.500 oder sogar 2000 Teilnehmer erwartet habe. Mittlerweile hätten jedoch bekannte
Musikgruppen abgesagt, so dass mit einer wesentlich geringeren Anzahl von Teilnehmern, vermutlich 500, zu rechnen sei, was die eidesstattliche Versicherung des Zeugen H... belege. Die namentlich genannte ‚ausfallende Gruppe'
war aber im Internet nie angekündigt. Und weiter: ‚Von den zu erwartenden 500 Teilnehmern der Veranstaltung des Antragstellers werden die meisten, also vermutlich 400, mit der Bahn anreisen, sich dann der Versammlung des
Zeugen H... anschließen und dann an der Versammlung des Antragstellers teilnehmen … Auf diese Weise sind die Teilnehmerzahlen der Versammlung des Zeugen H... und des Antragstellers nicht zu addieren, sondern die
Teilnehmerzahl der Versammlung des Zeugen H... ist eine Teilmenge der Versammlung des Antragstellers. Es bleibt daher bei der zu erwartenden Zahl von 400.' Dem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, ob der Antragsteller nunmehr
von einer Teilnehmerzahl von 400 oder 900 Personen (400 Personen + 500 Personen) ausgeht. Allerdings würde sich die vom Antragsteller erwartete Teilnehmerzahl mehr als halbieren. Und zwar ausweislich der Antragsbegründung
auf Grund des Wegfalls von ‚bekannten Musikgruppen'. Das lässt den Schluss zu, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer nur wegen der Musik an der Veranstaltung hätten teilnehmen wollen. Obwohl der Antragsteller ausweislich
des Kooperationsgesprächs ausdrücklich betonte, dass die Veranstaltung kein Fest o.ä. sei und die Musik und die Reden alle eindeutig einen politischen Inhalt hätten (was er allerdings nicht nachgewiesen hat), kommt der Verdacht
auf, dass es sich lediglich um eine Musikveranstaltung handelt und nicht um eine Veranstaltung, die unter den Schutz des Art. 5 GG und Art. 8 GG fällt.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners der Kenntnisstand der Versammlungsbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ist, der Antragsteller
sich also auf Veränderungen nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nicht berufen kann.
Es bleibt festzustellen, dass selbst heute die Frage der Selbständigkeit der Veranstaltung und die Frage der für den 09.06.2012 zu erwartenden Teilnehmerzahl nicht auf Grund der teils dürftigen, teils widersprüchlichen Angaben des
Antragstellers auch nur ansatzweise geklärt ist. Dies beruhte auf mangelnder Kooperationsbereitschaft des Antragstellers. Dem Antragsteller wäre es möglich und zumutbar gewesen, vor Erlass des streitigen Bescheides, die
aufgeworfenen Fragen zu klären. Auf die im Kooperationsgespräch von Herrn H... (PD - Suhl), geäußerten Zweifel, dass es sich um zwei Veranstaltungen handeln solle, erfolgten keine weiteren Reaktionen oder Erklärungen des
Antragstellers oder des Anmelders H... Auch die Unklarheiten bezüglich der Teilnehmerzahl hätte der Antragsteller - gerade im Hinblick auf das Anhörungsschreiben vom 26.04.2012 - klären können und müssen. Dass der
Antragsteller ausreichende und umfassende Kenntnis über die Teilnehmerzahl und deren beabsichtigten Aufenthaltsort bzw. -wechsel hatte, wird durch die Antragsbegründung belegt, in der er ausführte: ‚von Anfang an war
beabsichtigt und so soll es auch mit dem Aufzug des Zeugen H... vom Bahnhofsvorplatz zum Versammlungsplatz des Antragstellers geschehen, dass die meisten Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers vorher an der
Versammlung des Zeugen H... teilnehmen. Von den zu erwartenden 500 Teilnehmern der Versammlung des Antragstellers werden die meisten, also vermutlich 400, mit der Bahn anreisen, sich dann der Versammlung des Zeugen H...
anschließen und dann an der Versammlung des Antragsteller teilnehmen'. Aus diesem Grund waren dem Antragsteller auch das Verhalten und die Äußerungen des Anmelders H... zuzurechnen.
Der Versuch des Antragsgegners zu einer versammlungsfreundlichen Kooperation mit dem Antragsteller ist auf Grund dessen Verhalten gescheitert, so dass die Eingriffsschwelle absinkt. Die vom Antragsteller dem Antragsgegner
mitgeteilten Angaben bieten nur eine unzureichende Grundlage für eine Prognose. Mangels konkret feststellbarer Zahl der Versammlungsteilnehmer war der Antragsgegner nicht in der Lage, eine Gefahrenprognose abzugeben. Der
Antragsgegner konnte nicht beurteilen, ob sich der Parkplatz Ecke Werrastraße - Am Wehr -, gerade im Hinblick darauf, dass dort auch Versorgungs- und Technikfahrzeuge, Pavillons, Infostände, Großleinwände, Biertischgarnituren,
mobile Toiletten, Ausschankwagen/zubehör, Kühlwagen und Zelte aufgestellt werden sollten, als Versammlungsort eignet, da diese Frage von der Teilnehmerzahl abhängt. Denn diese Zahl hat Auswirkungen insbesondere auch auf die
Flucht- und Rettungswege. Sind diese nicht gewährleistet, bestehen offenkundig Gefahren für Leib und Leben der Veranstaltungsteilnehmer, Anrainer und Polizei. Da der Antragsgegner keine Gefahrenprognose treffen kann, kann er
auch keine Maßnahmen ergreifen, die die Durchführung einer Versammlung noch ermöglichen könnten. Die Teilnehmerzahl ist auch maßgeblich für die Prognose einer Gefährdung durch Gegendemonstranten für die
Veranstaltungsteilnehmer oder einer Gefährdung durch die Veranstaltungsteilnehmer für die Gegendemonstranten. Bei einer geringen Teilnehmerzahl bei der Veranstaltung des Antragstellers wird eine Gegendemonstration - mit dem
erforderlichen Polizeieinsatz - in geringerem Abstand durchgeführt werden können als bei einer großen Teilnehmerzahl bei der Veranstaltung des Antragstellers. Möglicherweise sind dann zum Schutz der Teilnehmer der
Veranstaltung des Antragstellers und zum Schutz der Gegendemonstranten gänzlich andere Demonstrationswege erforderlich. Kann der Antragsgegner aber mangels Kenntnis der Teilnehmerzahl nicht abschätzen, ob eine Gefährdung
durch eine Gegendemonstration entsteht oder mit welchen Maßnahmen er eine solche Gefährdung abwenden kann, muss er von einer möglichen Gefährdung ausgehen. Entsprechendes gilt auch für die Frage der Lärmbelästigung. Je
höher die Teilnehmerzahl, desto lauter ist es. Insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Lautsprechern. Zu große Lautstärke führt aber nachweislich zu Gesundheitsbeeinträchtigungen. Ohne Kenntnis der Teilnehmerzahl oder
anderweitige Kooperation des Antragstellers, beispielsweise die Vorlage des geforderten Lärmgutachtens, ist es auch hier nicht für den Antragsgegner möglich, Maßnahmen zu ergreifen, die die Durchführung der Versammlung noch
ermöglichen könnten. Die Frage der Lärmbelästigung wirkt sich auch auf den Zirkusbetrieb aus. Dies bedingt nicht nur mögliche Gefahren, weil sich Tiere erschrecken und dadurch Menschen gefährden könnten, sondern auch die
Gefahr, dass der Zirkus seinen Betrieb nicht oder nicht in dem beabsichtigten Umfang durchführen kann. Letzteres stellt aber eine Beeinträchtigung des Grundrechts nach Art. 12 GG, das Recht der freien Berufsausübung, dar. Da der
Antragsgegner aber vom Antragsteller keine ausreichenden, eindeutigen und zuverlässigen Angaben erhielt, war es ihm nicht möglich, eine Interessenabwägung beider Grundrechte durchzuführen oder eine Situation zu gewährleisten,
die die Ausübung beider Grundrechte ermöglicht.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antragsgegner dem Antragsteller die Möglichkeit einräumte, durch Einhaltung von Auflagen die Durchführung der Versammlung wenigstens grundsätzlich zu ermöglichen. Dass der Antragsteller
nunmehr in seiner Antragsbegründung die Rechtmäßigkeit des Bescheides anzweifelt, weil der Antragsgegner nicht lediglich Auflagen erteilte, erscheint im Hinblick auf das Schreiben des Antragstellers vom 07.03.2012 abwegig.
Die von der Behörde dargestellte Gefahrenprognose für die öffentliche Sicherheit und Ordnung genügt deshalb den gesetzlichen Anforderungen und rechtfertigt das Versammlungsverbot.
Inwieweit die Veranstaltung vom 09.06.2012 bereits allein deswegen hätte verboten werden können, weil die Stadt den als öffentlich-rechtlich gewidmeten Parkplatz dem Antragsteller nicht zur Verfügung gestellt hätte, braucht hier
nicht geklärt zu werden.
In Anbetracht der erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere im Hinblick auf den bundesweiten Internetaufruf, der Größe der Demonstration und der Tatsache, dass die prognostizierte Gefahr dem
Antragssteller zuzurechnen ist, überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. ..."
***
„... Die Eilanträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der jeweils eingelegten Widersprüche für die insgesamt 13 in der Innenstadt von C-Stadt gelegenen Plätze sind nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, haben aber in
der Sache keinen Erfolg, weil die jeweils ergangenen Verfügungen der Antragsgegnerin vom ….05.2012 bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig und ihr
Vollzug eilbedürftig sind.
Nach § 15 Abs.1 Versammlungsgesetz darf die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht die Antragsgegnerin zutreffend aus. Nach Durchführung des Erörterungstermins am
….05.2012 teilt das Gericht die in den angegriffenen Verfügungen wiedergegebene Einschätzung zur Gefahrenprognose.
Das Blockupy-K, zu dem auch die Antragsteller gehören, hat selbst für Freitag, den …. Mai 2012, zu Massenblockaden aufgerufen, die im Mittelpunkt der ‚L' stehen sollen. So heißt es zum Beispiel in dem Flyer vom ….04.2012 (Bl.
156 GA), das erklärte Aktionsziel dieses Tages bestehe darin, den üblichen Geschäftsablauf der Europäischen Zentralbank sowie anderer zentrale Akteure im C Finanzzentrum zu stören. Während Donnerstag, der …. Mai 2012, unter
dem Stichwort ‚M' dazu diene, Plätze im Bankenviertel zu besetzen und damit eine gute Ausgangsposition für die geplanten Blockaden am Freitag zu erlangen, soll - so der Flyer weiter - die EZB und das Bankenviertel von C-Stadt
am Freitag lahm gelegt werden. Dazu sollten Blockadehilfsmittel wie Krankenhausbetten, Einkaufswagen, Leitern, Schlauchbote, Einrichtungsgegenstände, Papppanzer, Transparente und ähnliches benutzt werden. Ziel sei die EZB,
die N, die O- und die P sowie Firmen und Konzerne, die die Verarmungspolitik der Troika betrieben und davon profitierten. An die Beschäftigten im Bankenviertel und an die Anwohner (Bl. 131 ff. GA) wurden Flugblätter verteilt, in
denen angekündigt wurde, dass sich Tausende von Menschen am ….05.2012 vor den Eingängen und auf den Zugangsstraßen zu den genannten Banken quersetzen und querstellen würden. Der Geschäftsbetrieb solle an diesem Tag
‚symbolisch' lahmgelegt werden; ab 6 Uhr morgens würden die EZB und wenn möglich weitere Teile des Finanzviertels blockiert. An diesem Tag sei in der Innenstadt mit massiven Behinderungen zu rechnen. Diese Aufrufe und
Ankündigungen sind den Antragstellern zuzurechnen. In dieser Form wird mittlerweile auch bundesweit mobilisiert. Die Veranstaltungshinweise im Internet sehen den Freitag als Tag der Massenblockade der EZB und des
Finanzzentrums vor (Bl. 41, 42 GA). Darüber hinaus ist geplant, die Innenstadt zu ‚fluten'. Der im Erörterungstermin vorgelegte polizeiliche Lagebericht und die im Erörterungstermin detailliert vorgetragene Einschätzung der Polizei
unterstellen, dass mit einer gezielten Lahmlegung und ‚Flutung' der gesamten Innenstadt durch die Masse der Teilnehmer zu rechnen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass die von den Antragstellern beantragten zentralen Plätze im
Bankenviertel - wie es in den Ankündigungen heißt - als Ausgangspunkt und Rückzugsmöglichkeit für Blockaden genutzt werden. Schließlich haben die Antragsteller unter dem Titel ‚Blockupy' zu der Veranstaltung aufgerufen. Ein
Veranstaltungstitel, der nach der bisherigen polizeilichen Lageeinschätzung seine Berechtigung erhält.
Selbst wenn solche gezielten Blockaden noch unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) fallen sollten, weil sie nur ‚demonstrativ' gemeint sind und nicht mit Gewalttätigkeiten einhergehen, sind sie jedenfalls
deshalb rechtswidrig, weil den damit verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen der in diesem Bereich wohnenden C Bürger, der Geschäftstreibenden, der Banken und der Mitarbeiter der Banken und der Vielzahl der sonst von
derartigen Aktionen Betroffenen bei einer Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz größeres Gewicht einzuräumen ist als dem Interesse der Antragsteller, ihr Anliegen über Blockaden öffentlichkeitswirksam darzustellen.
Dabei muss selbst nach dem Aufrufen des Blockupy-K davon ausgegangen werden, dass es nicht nur bei einer vorübergehenden Blockade der EZB bleiben wird. Vielmehr ist es erklärtes Ziel, auch andere Banken und Einrichtungen
und damit im Ergebnis das gesamte Bankenviertel lahm zu legen und die Innenstadt zu ‚fluten'. Eine derart massive Beeinträchtigung entspricht nicht dem Grundsatz praktischer Konkordanz. Zu den Beeinträchtigungen für das
städtische Leben durch die Blockaden wird auf die Verfügung selbst und die ausführliche Antragserwiderung vom 10.05.2012 Bezug genommen.
Nach dem Ergebnis des Erörterungstermins ist für den Fall der Durchführung der Gesamtveranstaltung mit Großdemonstration am ….05.2012, größeren Veranstaltungen auf mehreren Plätzen über mehrere Tage sowie weiteren
kleineren Demonstrationen die Sicherheit für die Bevölkerung und die Veranstaltungsteilnehmer nicht zu gewährleisten. Im Fall von Blockaden mit Beeinträchtigung der Verkehrswege sind nach den Einlassungen von Q. im
Erörterungstermin zudem der Brandschutz und das Rettungswesen nicht sicherzustellen. Aufgrund der mittlerweile bundesweiten Mobilisierung ist aber bei der Gefahrenprognose davon auszugehen, dass es zu Blockaden mit
Beeinträchtigung der Verkehrswege im innerstädtischen Bereich kommen wird. Aus polizeilicher Sicht allein zu leisten ist trotz Bedenken die Sicherung eines Demonstrationszuges am ….05. im Bereich des Bankenviertels, wenn
ansonsten keine weiteren Veranstaltungen stattfinden. Diese Einschätzung macht das Gericht sich zu Eigen. Das Gericht sieht deshalb aufgrund der Sicherheitslage nur die Möglichkeit der Durchführung der Großdemonstration am
….05., wenn weitere Veranstaltungen am Donnerstag und am Freitag unterbleiben.
Dem Anliegen der Veranstalter, die sowohl die Demonstration am ….05. als auch die Veranstaltungen auf den einzelnen innerstädtischen Plätzen als Gesamtveranstaltung sehen, wird damit - soweit es die Sicherheitslage zulässt -
Rechnung getragen. Die Möglichkeit einer zentralen Großdemonstration zur Europäischen Zentralbank durch das Bankenviertel in C-Stadt wird ermöglicht. Zu dieser Veranstaltung sollen die meisten Teilnehmer kommen. Auch der
Bezug dieser Veranstaltung, die sich gegen die Sparpakete und die Troika richtet, zum Bankenviertel mit der EZB ist unabweisbar. Demgegenüber weist der thematische Schwerpunkt der Veranstaltung der Antragsteller auf den
verschiedenen innerstädtischen Plätzen - so sich überhaupt ein Schwerpunkt erkennen lässt - keinen derart engen Bezug zum Bankenviertel und der EZB auf. Nach der im Erörterungstermin vorgelegten Aufstellung umfassen die
Veranstaltungen ein äußerst weites Spektrum, das die Frage aufwirft, ob überhaupt noch vom einheitlichen Versammlungscharakter der Veranstaltung auszugehen ist. Die Themenpalette reicht von der Startbahn West, der
Gesundheitspolitik, dem Hunger in Ostafrika, der medizinischen Versorgung von Personen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus über Themen wie ‚Gesundheit für alle', den Uranabbau, Fukushima, den Widerstand im Wendland oder
Protestlieder kurdischer Aktivisten. Bei dieser Vielzahl von Themen bleibt offen, was der Versammlungszweck sein soll und welche gemeinsame Haltung kundgetan wird, um an der öffentlichen Meinungsbildung teil zu haben.
Jedenfalls erscheint es im Rahmen einer Interessensabwägung vertretbar, dass diese Veranstaltungen, die einen geringeren Bezug zum Bankenviertel und zur EZB aufweisen, in anderen Bereichen der Stadt C stattfinden. Hier ist und
war die Antragsgegnerin kooperationsbereit, während die Antragsteller auf zum Schluss mindestens fünf Plätzen im Innenstadtbereich bestanden haben. Nach dem Ergebnis im Erörterungstermin steht der Durchführung der
Veranstaltung der Antragsteller auf anderen Plätzen in C-Stadt außerhalb des Innenstadtbereichs, zum Beispiel im S, nichts entgegen. Die Sicherheit für alle Veranstaltungen lässt sich aber im Innenstadtbereich nicht gewährleisten.
Zu ergänzen bleibt, dass nach dem Lagebericht vom ….05.2012 und den Einlassungen der Polizei im Erörterungstermin für die Veranstaltungen in C-Stadt bundesweit von radikalen Gruppen mobilisiert wird. Für den ….05. ist mit bis
zu 2.000 zur Gewalt entschlossenen Aktivisten zu rechnen. Diese konkrete Einschätzung über die Mobilsierung im radikalen und gewaltbereiten Lager wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Antragstellerbevollmächtigte
friedliche Veranstaltungen aufführt. Aus den polizeilichen Berichten ergibt sich, dass mittlerweile dieselben Gruppierungen mobilisieren, die am 31.03.2012 in C-Stadt erhebliche Ausschreitungen veranlasst haben. Ein
Gesamtszenario aus Blockaden mit Beeinträchtigung der Verkehrswege in der ‚kleinteiligen' Innenstadt und der Anreise von bis zu 2000 gewaltbereiten Personen ist - was die Polizei im Einzelnen im Erörterungstermin dargelegt hat -
nicht mehr beherrschbar.
Hinsichtlich der einzelnen beantragten Plätze und Anlagen wird auf die angegriffenen Verfügungen verwiesen. Ein Teil der Plätze steht nicht zur Verfügung, weil sie durch andere Veranstaltungen belegt sind. Auch ist z. B. der T nicht
zu benutzen, weil dieser Park erst kürzlich neu angelegt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. V. 29.10.1992 - C 34.91) gibt es keinen Anspruch auf Überlassung öffentlicher Grünanlagen. Die von den
Antragstellern zuletzt genannten fünf Plätze können aus den in diesem Beschluss genannten Sicherheitsgründen nicht zur Verfügung gestellt werden.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterliegen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Bei der Festsetzung des Streitwertes geht das Gericht für jedes der verbundenen Verfahren vom Auffangstreitwert aus, da das
Begehren einer Hauptsacheentscheidung entspricht. ..." (VG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2012 - 5 L 1655/12.F)
***
Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung
zu. Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffern 3.13 und 3.15 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2012 mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird.
Ziffern 3.13 und 3.15 des angefochtenen Bescheides sind aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzen die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Versammlungsrechtlich zulässig und vom Versammlungsrecht geschützt ist nur, was notwendiger Bestandteil der Versammlung ist und der Durchsetzung des für die demokratische Willensbildung geradezu konstituierenden und
unabdingbaren Inhaltes der Versammlungsfreiheit dient (VG Würzburg, B. v. 19. April 2012 Nr. W 5 S 12.326, m.w.N.). Die Erfordernisse sind eng zu fassen (VG Würzburg, a.a.O.). Die Abgabe von Speisen und Getränken hat
keinen funktionalen Bezug zu der angemeldeten Versammlung. Art. 8 schützt das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Äußerung. Eine Volksküche dient
grundsätzlich nicht diesem Zweck. Durch sie wird den Demonstrationsteilnehmern lediglich ein Versorgungsangebot gemacht (vgl. zum Aufstellen von Imbissständen VGH Mannheim, B. v. 16.12.1993 Nr. 1 S 1957/93, NVwZ-RR
1994, 370). Betätigungen, die der demokratischen Meinungsbildung nicht wesensimmanent sind, werden nicht vom Versammlungsrecht geschützt, sondern von dem jeweils einschlägigen und einschränkbaren Freiheitsrecht (VG
Stuttgart, B. v. 23.8.2006 Nr. 5 K 3128/06; Kanther, Zur Infrastruktur von Versammlungen: Vom Imbissstand bis zum Toilettenwagen, NJW 01, 1239). Die Erlaubnis für nicht funktional mit der Versammlung zusammenhängende
Infrastrukturmaßnahmen ist bei der jeweiligen Fachbehörde zu beantragen. Solange erforderliche Erlaubnisse nicht vorliegen, ist von einem Verbot solchen Nebengeschehens auszugehen (Kanther, aaO). Je nach Ausgestaltung der
Abgabe von Speisen und Getränken kommen insbesondere straßen- und wegerechtliche, gaststättenrechtliche (§ 12 GastG) und hygienerechtliche Erlaubnisvorgaben und Anforderungen in Betracht. Dass die Antragsteller über
fachbehördliche Erlaubnisse verfügen, haben sie nicht vorgetragen.
Bezüglich der von den Antragstellern angegriffenen Regelung zur Mindestlänge von Plakatstangen hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchaus
sachgerecht und notwendig erscheint, die Länge und Stärke von Stangen, die bei einer Veranstaltung mitgeführt werden, zu regeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass Gegenstände mitgeführt werden, die, ohne dass dies für
Zwecke der Versammlung erforderlich wäre, als Waffen genutzt und herangezogen werden können. § 15 Abs. 1 VersG (hier Art. 15 BayVersG) erlaubt es, solche Gefahren abzuwehren (BayVGH, B. v. 9.12.2005 Nr. 24 CS 05.3215).
Die hier von der Antragsgegnerin gewählte Vorgabe erscheint sachgerecht und zumutbar. Stangen mit einer Länge von unter 80 cm können ohne weiteres als eine Art Schlagstöcke verwendet werden. Konkreter Anhaltspunkte
für eine unfriedliche Verwendung von Versammlungsutensilien bedarf es nicht, weil die Gefährlichkeit auf der Hand liegt. Abgesehen davon ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin im Sofortverfahren, dass für die unter
Ziffer 3.15 getroffene Beschränkung durchaus berechtigter Anlass besteht. Die Einschränkung der Versammlungsteilnehmer ist im Übrigen marginal. ..." (VG Würzburg, Beschluss vom 11.05.2012 - W 5 S 12.387 - Volksküche,
Mindestlänge von Plakatstangen)
***
„... I. Die Antragsteller sind Anmelder der für den Zeitraum vom 12. bis 27. Mai 2012 als Versammlung angemeldeten Veranstaltung des ‚Aktionsbündnisses 12. Mai' mit der Bezeichnung ‚Marktplatz der Ideen (Marktplatz der Ideen,
Agora, Aktionswerkstatt)'. In diesem Zeitraum soll auf dem Platz gegenüber dem Berliner Rathaus zwischen Karl-Liebknecht-Straße, Spandauer Straße, St. Marienkirche und Neptunbrunnen der im Titel enthaltene ‚Marktplatz der
Ideen' mit einer ‚Agora' und einer ‚Aktionswerkstatt' stattfinden. Dazu sollen 26 Kleinzelte aufgebaut werden, denen bei Bedarf ein Informationstisch zur Seite gestellt werden soll. Ferner soll ein Großraum- bzw. Versammlungszelt
mit einer Grundfläche von ca. 75 m² mit Podest und ein Wohnanhänger aufgestellt werden. Es ist geplant, dass regelmäßig ca. 100 Teilnehmer vor Ort sein sollen. Darüber hinaus findet am 12. Mai 2012 ein Sternmarsch statt, der
gesondert angemeldet wurde und hier nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
Nach einer Erläuterung des Rechts- und Veranstaltungscharakters hatten die Veranstalter eine ursprüngliche Versammlungsanmeldung vom 12. April 2012 zurückgenommen und stattdessen beim Bezirksamt Mitte von Berlin eine
Sondernutzungserlaubnis beantragt. Nachdem ihnen diese aufgrund des Charakters der Fläche als öffentliche Grünanlage verwehrt worden war, meldeten sie am 7. Mai 2012 die Veranstaltung erneut als Versammlung an.
Durch Bescheid vom 9. Mai 2012 stellte der Polizeipräsident in Berlin i. S. d. § 15 VersammlG fest, dass es sich bei der angemeldeten Veranstaltung nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 1 GG handelt
und somit der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht eröffnet sei. Zur Durchführung der Veranstaltung sei das Vorliegen einer ordnungsrechtlichen Erlaubnis des zuständigen Bezirksamts Mitte von Berlin erforderlich.
II. 1. Der am 10. Mai 2012 bei Gericht eingegangene Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Mai 2012 erhobenen Widersprüche vom 9. Mai 2012 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 2012 getroffene Feststellung, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelt, ist nach der hier nur möglichen, aber auch
ausreichenden summarischen Bewertung rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des Bescheids verschont zu
bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO).
a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller fehlt es nicht an einer Ermächtigungsgrundlage für den feststellenden Verwaltungsakt. § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 VersammlG lässt sich durch Auslegung die Ermächtigung der
Versammlungsbehörde entnehmen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird. Die aus § 14 Abs. 1 VersammlG abgeleitete
Befugnis der Versammlungsbehörde, die Versammlungseigenschaft einer angemeldeten Veranstaltung zu prüfen, und die in § 15 Abs. 1 VersammlG geregelte Eingriffsbefugnis enthalten auch die Ermächtigung, durch feststellenden
Verwaltungsakt über die Versammlungseigenschaft zu entscheiden (vgl. hierzu ausführlich: OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris Rn. 17 ff.). Die nachgehende Revisionsentscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris) enthält hierzu keine gegenteiligen Ausführungen.
b) Die getroffene Feststellung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das
Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C
23.06 -, juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung
(kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der
Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher
Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme
an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher,
auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit
entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die
rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund
stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur
vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O. Rn. 15 ff.).
So genießt die Aufstellung eines Informationsstandes als solche nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 - 7 C. 5.78 -, BVerwGE 56, 63 <69>; BVerfG - Vorprüfungsausschuss -,
Beschluss vom 22. Dezember 1976 - 1 BvR 306/76 -, NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges
Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem
Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als
überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1978 a.
a. O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot
der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an
der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34 <39>). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden
Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG,
Kammerbeschluss vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 2461; Beschluss der Kammer vom 11. Mai 2011 - VG 1 L 148.11 -, juris Rn. 6).
Im vorliegenden Fall treten versammlungsrechtliche Elemente hinter den reinen Informationsanliegen so stark zurück, dass das Geamtgepräge nicht als Versammlung gewertet werden kann. Es ist vielmehr nur eine Ansammlung der
Darstellung unterschiedlichster Gruppen und Initiativen.
Sowohl beim ‚Marktplatz der Ideen' als auch bei der ‚Agora' und der ‚Aktionswerkstatt' fehlt es bereits an einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. -, BVerfGE 104, 92 <104>, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 und 341/81 - BVerfGE 69, 315 <342 f.>). Wie sich bereits dem Konzept der Veranstaltung
entnehmen lässt, geht es nicht um eine gemeinschaftliche Kundgebung, sondern um die Darstellung einzelner Initiativen, Vereine und Organisationen. Dass die Veranstaltung nur ein Konglomerat unterschiedlichster Anliegen
darstellt, wird auch durch die angegebenen Themen der Kleinzelte deutlich. Die Themen reichen von ‚neuen Formen der Demokratie' über ‚Mediaspree', Solidarität mit der Demokratiebewegung verschiedenster Länder,
‚Bedingungsloses Grundeinkommen' bis zur Anti-Atom-Bewegung. Damit hat die Veranstaltung eher das Gepräge eines reinen Protest-Camps, wie es für die sogenannte ‚Occupy-Bewegung' kennzeichnend ist. An diese knüpft im
Übrigen gerade das ‚Aktionsbündnis 12. Mai' als Frühjahrsauftakt der Bewegung ‚Echte Demokratie Jetzt! - Occupy' an (vgl. z. B.
https://www.alex11.org/events/vernetzungstreffen-berliner-initiativen-organisationen-zur-bildung-des-aktionsbundnisses-12-mai-berlin/); damit soll an die Platzbesetzungen der spanischen Bewegung ‚democracia real ya!', die am 15.
Mai 2011 begannen, erinnert werden (http://12mai-berlin.org/presse/). Aber weder eine lose Ansammlung von Zelten, ohne dass eine konkrete Verbindung zu einem gemeinschaftlichen Versammlungsanliegen deutlich wird, noch eine
Platzbesetzung kann als integraler Bestandteil einer Versammlung angesehen werden. Allein die Forderung nach echter Demokratie als gemeinsames Motto dürfte dafür angesichts der Disparität der unterschiedlichen Gruppen nicht
ausreichend sein.
Dass in den Kleinzelten, bei denen es sich um 2-3-Personen-Zelte handelt, gemeinschaftliche Kommunikation stattfinden soll, ist überdies unwahrscheinlich. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zelte, wie die Antragsteller
vortragen, unverzichtbar für die Darstellung der politischen Inhalte in der Öffentlichkeit seien. Dafür dürften wohl eher die geplanten Informationstische dienen. Vielmehr scheint das Informations- und Kommunikationsanliegen hier
nur vorgeschoben, um den Dauerteilnehmern eine nächtliche Unterkunft zu ermöglichen.
Auch die Aktionswerkstatt soll nach eigener Darstellung der Veranstalter nur ‚eine Plattform' bieten, auf der die Teilnehmer ‚die gesellschaftlichen Probleme aufzeigen' können', die sie zu ihrem Thema gemacht haben. Es geht mithin
nicht um eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen, sondern um eine Einzeldarstellung vielfältigster Initiativen mit unterschiedlichsten Themenstellungen. Allein der Oberbegriff einer ‚neuen
Gesellschaft' reicht für eine gemeinschaftliche Kommunikation nicht aus.
Gleiches gilt auch für die ‚Agora' (altgriech.: zentraler Fest-, Versammlungs- und Marktplatz einer Stadt). Diese ist nach Darstellung der Antragsteller als zentraler öffentlicher Ort der Kommunikation und des politischen Diskurses
gedacht. Zwar sind hier versammlungsrechtliche Elemente noch am ehesten erkennbar, jedoch soll auch dieser Platz nur der Information und Kommunikation der unterschiedlichen Aktionsgruppen dienen, ohne dass die
gemeinschaftliche Kundgabe einer Meinung erkennbar wird. Damit entspricht die ‚Agora' eher einem Konferenzzentrum unter freiem Himmel, in dem unterschiedliche Tagungen stattfinden können.
Was der ebenfalls angemeldete Wohnwagenanhänger mit dem Anliegen der Veranstaltung zu tun hat, bleibt völlig unklar. Die Unterbringung elektrischer Geräte, so wie bei der Anmeldung angegeben, belegt eher, dass es vorliegend
um einen Daueraufenthalt im öffentlichen Raum geht, ohne dass damit eine kollektive Meinungskundgabe verbunden ist.
Die angemeldete Veranstaltung dient offensichtlich nur dazu, den öffentlichen Raum zu besetzen und dort präsent zu sein, um vorübergehende Passanten mit dem Anliegen der Veranstalter bekannt und vertraut zu machen. So wurde
auch beim ‚ersten Vernetzungstreffen zur Bildung eines Aktionsbündnisses für den 12. Mai' laut Protokoll (vgl.
http://occupyberlin.info/blog/2012/02/29/protokoll-zum-ersten-vernet-zungstreffen-zur-bildung-eines-aktionsbundnisses-fur-den-12-mai/#more-12315) darauf hingewiesen, ‚dass das öffentliche Forum langfristig (min. bis Oktober) im
öffentlichen Raum umgesetzt werden soll und nicht nur für den Aktionstag gedacht ist'.
Es erscheint auch zweifelhaft, ob, selbst wenn man den Versammlungscharakter der Veranstaltung bejahen würde, diese an dem angemeldeten Ort, einer öffentlichen Grünanlage, stattfinden dürfte. Das vom Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit umfasste Recht der freien Ortswahl berechtigt nämlich nicht dazu, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen; das gilt auch für ein Grundstück, das nach dem Willen des Trägers als
öffentliche Einrichtung der Allgemeinheit nur im Rahmen einer eingeschränkten Zweckbestimmung zur Verfügung steht (BVerwG, NJW 1993, S. 609). Aus Art. 8 GG lässt sich eine generelle Verpflichtung des Trägers der
Einrichtung zur Erweiterung der von ihm festgelegten öffentlichen Zweckbestimmung nicht entnehmen (BVerwG, ebd.). Soweit deshalb die Nutzung einer gewidmeten Fläche bzw. einer geschützten Grünanlage über den durch den
Widmungszweck festgelegten Gemeingebrauch oder bei unter Schutz gestellten Gebieten dem gesetzlich festgelegten Schutzzweck zuwiderläuft, kommen Auflagen hinsichtlich des Versammlungsorts in Betracht (vgl. Beschluss der
Kammer vom 16. September 2010 - 1 L 248.10 -, EA S. 7, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 S 179.10 -, EA S. 3; Ridder/ Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, Rn.
213). Die Versammlungsbehörde kann in diesem Fall unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzwecks und unter Beachtung des Gewichts des Interesses an der Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts Auflagen im
Hinblick auf unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlassen (vgl. Ridder u.a., ebd.; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, NJW 1993, 609 <610>). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 L
102.12)
***
„... 1. Der - sinngemäß gestellte - Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin - 6 K 1459/12 - gegen Ziffer 5. des Auflagenbescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde E. vom 7. Mai 2012, mit der der
Antragstellerin für die Veranstaltung mit dem Thema ‚Freiheit statt Islam!' am 8. Mai 2012 in E. das ‚Zeigen der Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' untersagt worden ist, wiederherzustellen, hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Namentlich entspricht sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das
besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.
Erforderlich ist insoweit eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche
öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden, zurücktreten muss,
vgl. statt Vieler: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rdnr. 85.
Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner. Mit seiner Argumentation, die beschränkende Verfügung stelle sicher, dass die geplante Veranstaltung einen
störungsfreien Verlauf nehme und Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit auf ein Mindestmaß reduziert würden, und sie erfolge, um den Anspruch der Allgemeinheit auf Erhaltung der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten,
zeigt er nachvollziehbar die besondere Dringlichkeit des Sofortvollzugs des streitigen Auflagenbescheides zum Schutz der Teilnehmer an der Demonstration der Antragstellerin wie auch der Teilnehmer der Gegendemonstration auf.
Die Erwägungen des Antragsgegners lassen damit erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der
sofortigen Vollziehung kommt es demgegenüber nicht an. Vielmehr trifft das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte vorzunehmende eigene Entscheidung über die
Rechtfertigung des Sofortvollzugs,
vgl. Verwaltungsgericht (VG) Aachen, zuletzt Beschluss vom 3. Februar 2012 - 6 L 40/12 -.
Der Eilantrag ist gleichwohl begründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung insgesamt zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.
Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des
Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers
daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht auf das hohe Gewicht
der in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Versammlungsfreiheit den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu,
vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), u.a. Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.
Dementsprechend hat ein solcher Antrag Erfolg, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht bestehen kann oder wenn auch nicht
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Rechtmäßigkeit des Demonstrationsverbots ausgegangen werden kann.
Hiervon ausgehend ist der gestellte Eilantrag begründet, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners spricht.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder - hier relevant - von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot oder eine beschränkende Verfügung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von
Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den
Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und <juris>.
Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG genügt deshalb auch nicht eine abstrakte Gefahr. Die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der
Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf ‚erkennbaren Umständen' beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder
Vermutungen können nicht ausreichen.
Unter Zugrundelegung der dargelegten Maßstäbe ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 15 Abs. 1 VersG)
für den Fall, dass bei der angemeldeten Versammlung ‚die Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' gezeigt wird, nicht glaubhaft belegt ist.
Der Antragsgegner begründet das mit der Auflage Nr. 5 verfügte Verbot, eine - nicht näher bezeichnete - Karikatur von Kurt Westergaard zu zeigen, zwar nicht ausdrücklich. Aus dem Sachzusammenhang, insbesondere der
Weisung im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) vom 7. Mai 2012 (Az. 402 - 57.02.01) sowie der unter dem gleichen Datum verfassten und an die
Verwaltungsgerichtsbarkeit NRW gerichteten ‚Schutzschrift' des IM NRW (gleiches Az.), folgt jedoch, dass das streitgegenständliche Verbot im Wesentlichen auf den Vorfällen anlässlich der Veranstaltungen der Antragstellerin in
Solingen am 1. Mai 2012 und insbesondere in Bonn am 5. Mai 2012 fußt. Bei diesen Veranstaltungen hatte das Zeigen der Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard zu gewalttätigen Reaktionen seitens der
Gegendemonstranten geführt, in deren Verlauf Steine geworfen und Polizisten attackiert wurden. Im Verlauf der Ausschreitungen in Bonn wurden durch Gewalttäter, die den Salafisten zugeordnet wurden, 29 Polizisten - zum Teil
schwer - verletzt.
Damit hat der Antragsgegner zwar aufgezeigt, dass es im Verlauf der beiden genannten Veranstaltungen zu unmittelbaren Gefahren für erhebliche Rechtsgüter gekommen ist. Es fehlt aber an einem Nachweis, dass der Eintritt des
befürchteten Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit', auch für die konkrete Veranstaltung in E. zu erwarten ist.
Der Hinweis, die in Bonn von der Polizei festgenommenen 111 Salafisten stammten aus dem gesamten Bundesgebiet, was den Schluss darauf zulasse, dass ‚die auch jetzt noch andauernde Mobilisierung Salafisten bundesweit zur
Teilnahme an den heute und morgen stattfindenden Versammlungen bewegen' werde, ist erkennbar unkonkret und spekulativ. Der Antragsgegner hat keine Tatsachengrundlage aufgezeigt, die zumindest Anhaltspunkte dafür bieten
könnte, dass die gewaltbereite Salafisten-Szene etwa der ‚Tour' der Antragstellerin durch Nordrhein-Westfalen folgt und deswegen auch in E. mit einem Zusammentreffen und vergleichbaren Ausschreitungen wie in Bonn zu rechnen
sein könnte. Es fehlt auch an Indizien dafür, dass die vom IM NRW mehrfach zitierten ‚gegenwärtigen Aufrufe im Internet' gerade auch die Veranstaltung in E. betreffen; erwähnt wird hier allein die in Internetforen erfolgte
Aufforderung von mehr als 2.000 Personen, an der Abschlussveranstaltung am Nachmittag des 8. Mai 2012 in Köln teilzunehmen. Allein der Hinweis auf die räumliche und zeitliche Nähe der E1. Veranstaltung zu der in Köln ist
erkennbar unzureichend, eine unmittelbare Gefährdung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu belegen.
Gegen das tatsächliche Bestehen einer unmittelbaren Gefährdung spricht auch der Verlauf der zeitlich nach der gewalttätig verlaufenen Veranstaltung in Bonn durchgeführten Veranstaltungen in Bielefeld, Münster und Hagen. Für die
Veranstaltung in Münster wurde nach Kenntnis der Kammer kein Verbot, Mohammed-Karikaturen zu zeigen, verfügt. Derartige Verbote für die Veranstaltungen in Bielefeld und Hagen wurden durch die Verwaltungsgerichte Minden
und Arnsberg im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für rechtswidrig gehalten, weshalb den auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der eingereichten oder noch einzureichenden Klagen gerichteten Anträgen mit - den
Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bekannten - Beschlüssen vom 7. Mai 2012 stattgegeben wurde,
vgl. VG Minden, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 11 L 302/12 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 3 L 336/12 -.
Obwohl damit davon ausgegangen werden kann, dass bei diesen Veranstaltungen die fraglichen Karikaturen gezeigt worden sind, ist es - möglicherweise auch zurückzuführen auf eine deutlich höhere Polizeipräsenz - nicht zu den
befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den auch in Bielefeld, Münster und Hagen vor Ort anwesenden Gegendemonstranten gekommen,
vgl. zu den insoweit im Internet aufrufbaren Presseberichten: (allgemein) http://www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html; Bielefeld:
http://www.westfalen-blatt.de/nachricht/2012-05-07-pro-nrw-demo-karrikaturen-duerfen-gezeigt-werden/613/c48d92873e 56a09a782644183e54a24e/; Münster: http://www.wn.de/Muenster/
Kundgebung-Pro-NRW-verlaeuft-friedlich-Ein-Dutzend-Rechtsex-tremer-demonstriert-vor-Hiltruper-Moschee; Hagen: http://www.lo-kalkompass.de/hagen/leute/pro-nrw-in-hagen-d164703.html; (alle abgerufen am 7. Mai 2012).
Auch bei der überwiegenden Mehrzahl der früheren Veranstaltungen seit Beginn der ‚Tour' durch NRW am 28. April 2012 ist es ausweislich der zur Gerichtsakte gelangten Pressemitteilungen der Polizei zu den Veranstaltungen in
Oberhausen, Herten und Hamm am 2. Mai 2012 und in Krefeld und Düsseldorf am 4. Mai 2012 nicht zu Ausschreitungen gekommen,
vgl. zu den Veranstaltungen von Pro NRW auch: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30. April 2012 - 5 B 546/12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -;
VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -.
Lediglich die Veranstaltungen in Solingen und Bonn bilden die - unrühmliche und traurige - Ausnahme. Dafür aber, dass die Rahmenbedingungen in E. mit den Umständen dieser beiden Veranstaltungen vergleichbar wären, fehlt es an
begründeten Anhaltspunkten. Insbesondere fehlt es an verlässlichen Indizien dafür, dass Anhänger der gewaltbereiten Salafisten-Szene überhaupt zu der Veranstaltung nach E. kommen werden. Auch die mögliche Annahme, dass
Salafisten, für die mit Blick auf die Veranstaltung in Köln ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden ist,
vgl. http://www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html (abgerufen am 7. Mai 2012),
die E1. Veranstaltung als ‚Ausweichveranstaltung' nutzen könnten, bleibt erkennbar spekulativ. Sollte es tatsächlich hierauf gerichtete Aufrufe im Internet oder über andere Medien geben, ist vielmehr davon auszugehen, dass dies den
Verfassungsschutzbehörden, die die Salafisten auch in Nordrhein-Westfalen überwachen,
vgl. Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2010, S. 216 - 219,
bekannt ist und im vorliegenden Verfahren dann auch vorgetragen worden wäre. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass es diese Erkenntnisse tatsächlich nicht gibt.
Letztlich fehlt es im angefochtenen Bescheid auch an einer Auseinandersetzung damit, ob die Polizei nicht in der Lage ist, mit ihren Mitteln Vorfälle, wie sie in Bonn geschehen sind, bei künftigen Veranstaltungen auszuschließen.
Zum einen dürfte die Polizei aufgrund der Vorfälle mit einer erhöhten Polizeistärke vor Ort sein. Zum anderen hat der Antragsgegner die Gefahr eines unmittelbaren Aufeinandertreffens der Antragstellerin mit Gegendemonstranten
durch eine Verlagerung des Kundgebungsortes und eine Vergrößerung des Abstandes zwischen beiden Gruppen zusätzlich entschärft. Auch diese Maßnahmen dürften dazu beitragen, dass das hier streitgegenständliche Zeigen der
Mohammed-Karikaturen nicht zu einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG führt. Sollte sich eine derartige Gefahr gleichwohl im Verlauf der Veranstaltung wider Erwarten ergeben, bleiben dem Antragsgegner die
sich aus dem Versammlungsgesetz ergebenden Eingriffsmöglichkeiten. Die angefochtene Auflage erweist sich hingegen als rechtswidrig. ..." (VG Aachen, Beschluss vom 08.05.2012 - 6 L 220/12)
***
„... Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig gestellte und kurzfristig zu bescheidende sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 1. Mai 2012 - 14 K 2211/12 - gegen die Auflage Ziff. 7
des Bescheides des Antragsgegners vom 30. April 2012 (‚Das Zeigen der von Kurt Westergaard stammenden islamkritischen Karikaturen oder solcher Karikaturen, die mit ihm assoziiert werden, ist während der Versammlung
untersagt') wiederherzustellen, ist begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen eine Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet,
weil dessen sofortige Vollziehbarkeit durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
eines Rechtsbehelfs im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von
Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der insoweit gebotenen Interessenabwägung sind die Erfolgsaus-sichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen. Bei
Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz - GG - schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand
Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlungen in der beabsichtigten Form führt.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 und vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069.
Die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 30. April 2012 geregelte Auflage Ziff. 7, wonach das ‚Zeigen der von Kurt Westergaard stammenden islamkritischen Karikaturen oder solcher Karikaturen, die mit ihm assoziiert
werden' während der am 2. Mai 2012 in der Zeit von 14.00 bis 16.00 Uhr in I. geplanten Versammlung untersagt wird, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersG - kann
die zuständige Behörde - hier der Antragsgegner - eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Auflagen dienen vornehmlich dazu, Versammlungen zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht
zugelassen werden könnten. Demzufolge sind auch versammlungsbehördliche Auflagen nur zulässig, um eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die in § 15 Abs. 1 VersG angesprochenen
Auflagen dienen daher auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, indem durch sie regelmäßig verhindert wird, dass eine Versammlung aus Gründen verboten wird, die durch ein den Betroffenen weniger belastendes Mittel
abgewehrt werden können. Auflagen dürfen nicht verfügt werden, um damit den Zweck einer Versammlung zu vereiteln, oder wenn sie mit der Versammlung selbst nicht mehr im Zusammenhang stehen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. November 2001 - 3 BS 257/01 -, DÖV 2002, S. 529, juris; Dietel/Gintzel/Kniesel,
Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Auflage, § 15, Rdnr. 43 f.
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen für die hier angefochtene Auflage nicht vor. Der angefochtene Bescheid ist durch keine auf Tatsachen gestützte Prognose abgesichert. Der Antragsgegner hat in der Begründung der
Versammlungsbestätigung weder eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung substantiiert vorgetragen noch sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose angeführt worden; die
Bezugnahme auf die ‚aktuelle Gefährdungsbewertung vor dem Hintergrund der zu erwartenden nationalen und internationalen Medienberichterstattung' und der Verweis darauf, dass ‚auch mit einer Erhöhung der Gefährdungssituation
für Kurt Westergaard selbst zu rechnen sei', ist offenkundig unzureichend.
Vgl. VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -. Zu ‚politischen Bewertungen' als Grundlage für versammlungsrechtliche Verfügungen vgl. auch VG
Gelsenkirchen, Beschluss vom 1. Juni 2006 - 14 L 817/06 -, juris, nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 -, juris.
Dies gilt umso mehr, als aus der angegriffenen Verfügung auch nicht mit ausreichender Klarheit hervorgeht, ob die Antragstellerin überhaupt als Störerin in Anspruch genommen worden ist. Es ist für das Gericht derzeit nicht zu
erkennen, dass das Zeigen der in Rede stehenden Karikaturen strafrechtlich relevant wäre, etwa der Straftatbestand des § 166 StGB erfüllt wäre. Dass es bei der von der Antragstellerin am 1. Mai 2012 in Solingen durchgeführten
Wahlkampfveranstaltung zu teilweise gewaltsamen Protesten von Gegendemonstranten kam, die der salafistischen Szene angehören,
vgl. Pressemeldung des Polizeipräsidiums Wuppertal vom 1. Mai 2012, abrufbar unter www.presseportal.de,
kann nicht der Antragstellerin zugerechnet werden. Es spricht daher mehr dafür, dass der Antragsgegner die Antragstellerin als Nichtstörerin in Anspruch genommen hat; einer abschließenden Klärung dieser Frage bedarf es indes
vorliegend nicht. Ebenso wenig obliegt es der Kammer, darüber zu befinden, ob das strafrechtlich zwar mutmaßlich irrelevante, jedoch offensichtlich allein auf bloße Provokation ausgerichtete Zeigen der Karikaturen in der Nähe einer
Moschee ein angemessenes Verhalten in einer pluralistischen Gesellschaft ist. ..." (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 02.05.2012 - 14 L 564/12)
***
Die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls (hier: des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes (juris: FeiertG HE) legitimiert nicht dessen Verletzung. Zur Frage, welche Art von Versammlung dem
ernsten Charakter des Karfreitags widerspricht (VG Gießen, Beschluss vom 05.04.2012 - 4 L 745/12.GI):
„... I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Untersagung der für Karfreitag, den 6. April 2012, angemeldeten Kundgebung ‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen'.
Am 16. März 2012 meldete der Antragsteller bei der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. eine Demonstration für den 6. April 2012, 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr, auf dem Kirchenplatz in G. an, die unter dem Motto ‚Gegen das
Tanzverbot an den Osterfeiertagen' stehen sollte, in den Medien aber auch unter den Mottos ‚Tanzen gegen das Tanz-Verbot', ‚Kommet und tanzet zuhauf' und ‚Kommt tanzend vorbei' angeführt wurde. Am 29. März 2012 fand ein
Kooperationsgespräch statt, bei dem außer dem Kirchenplatz - auf dem sich außer einem Kirchturm nur noch die Silhouette einer im zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche findet - noch der B. Platz vor dem Rathaus sowie die
Fußgängerüberführung Seltersweg als Veranstaltungsort in Erwägung gezogen wurden. Nach internen Abstimmung(sschwierigkeit)en zwischen der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. als örtlicher Ordnungsbehörde und dem
Regierungspräsidium G. als Bezirksordnungsbehörde übte das Regierungspräsidium G. sein Selbsteintrittsrecht aus und untersagte durch Verbotsverfügung vom 3. April 2012 die angemeldete Kundgebung ebenso wie
Ersatzveranstaltungen an anderen Orten in G. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung (Blatt 5 bis 13 d. A.).
Am 4. April 2012 hat der Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und vorsorglich am selben Tag beim Regierungspräsidium G. Widerspruch eingelegt. Das Regierungspräsidium G. verteidigt seine
Verbotsverfügung.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss erfolglos bleiben [A.], so dass die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zur Last fallen [B.] und wobei der Streitwert auf den gesetzlichen Auffangstreitwert
festzusetzen ist [C.].
A. Der Antrag, die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums G. vom 3. April 2012 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
auszusetzen, ist zulässig [1.], aber unbegründet [2.].
1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als Rechtsbehelf, der den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO herbeizuführen geeignet ist, dem Antragsteller allein die Anfechtungsklage zur Verfügung steht, oder ob im Hinblick auf
den auslegungsfähigen Wortlaut des § 16a Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (HessAGVwGO) in der Fassung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381), geändert durch Gesetz vom
17. Oktober 2005 (GVBl. I S. 674) - FFN 212-5 -, derzufolge es dann, wenn das Regierungspräsidium einen Verwaltungsakt erlassen hat, eines Vorverfahrens nicht ‚bedarf', i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO auch der
kostengünstigere Widerspruch eröffnet ist, da von einer materiellen Erledigung der angegriffenen Verfügung während der Rechtsbehelfsfrist auszugehen ist und im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Begehrens offenbleiben kann, ob
die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs oder die einer noch zu erhebenden Klage wiederherzustellen sei. Da die Anmeldung aufrechterhalten bleibt, kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Internet
verbreitet hat, ‚die Demo am Karfreitag in G. (finde) nicht statt.'
2. Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung unter Ausrichtung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend
heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 3. April 2012. Das Regierungspräsidium G. war sachlich und örtlich zuständig [a.]
und hat - bezogen auf das Begehren des Antragstellers - materiell zutreffend entschieden [b.]
a. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14) - FFN 310-63 - war das Regierungspräsidium G. als
Bezirksordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG ermächtigt, die Befugnisse der ihm unterstellten Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt G. als örtlicher Ordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr.
4 HSOG auszuüben und damit selbst eine Anordnung zu treffen. Das Versammlungswesen fällt nach § 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur
Durchführung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12. Juni 2007 - FFN 310/105 - i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG in den Aufgabenbereich der allgemeinen Ordnungsbehörden. Auf Seite 3, zweiter
und letzter Absatz, der angegriffenen Verfügung hat das Regierungspräsidium G. nachvollziehbar die Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht den Selbsteintritt erforderten.
b. Der Ansicht des Regierungspräsidiums G., der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343) - FFN 17-6 - stehe der geplanten Kundgebung entgegen, ist
zu folgen. Danach sind am Karfreitag von 0.00 Uhr an öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesem Feiertag entsprechenden ernsten Charakter tragen, verboten.
Diesem Verbot ist über die versammlungsrechtliche Ermächtigung des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S.
1789) - FNA 2180-4 -, das in Hessen nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als Bundesrecht fortgilt, Geltung zu verschaffen, denn jede Veranstaltung - auch unter dem Privileg einer Versammlung -, die diesem ernsten
Charakter des Karfreitags nicht Rechnung trüge, stellte sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände so als Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Kundgebung ohne Zweifel um eine
Versammlung [(1)], doch ist sie - jedenfalls in der angemeldeten Form - nicht durchzuführen [(2)].
(1) Eine Kundgebung unter dem Motto ‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' ist auch dann eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie als Ausdrucksmittel Tanzelemente zu integrieren beabsichtigt, da die
Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung - und zwar hinsichtlich einer vom Antragsteller für geboten erachteten Novellierung des Hessischen Feiertagsgesetzes - gerichtet ist (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 <104>). Wegen dieser Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geht sie damit über eine
öffentliche Tanzveranstaltung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes hinaus, die mehr auf Tanzlustbarkeiten im Sinne von § 33b der Gewerbeordnung zielen dürfte, deren Abhaltung indes landesrechtlichen
Bestimmungen vorbehalten bleibt.
(2) Diese Versammlung unterfällt indes dem Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, nach dem für Versammlungen unter freiem Himmel das Versammlungsrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann.
In der angemeldeten Art und Weise verbleibt nur die Möglichkeit des Verbots [(a)], während Auflagen als milderes Mittel ausscheiden [(b)].
(a) Das Kundgabemittel des Tanzes als Ausdruck des Protests gegen den Normbefehl des § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes ist - jedenfalls in der beabsichtigten Form - mit dem gesetzlich normierten ernsten Charakter des
Karfreitags nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller die Motive des Gesetzgebers, die insbesondere den Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes tragen, offenbar nicht teilt. Denn
zum einen folgt aus dem Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und
Feiertage aus Art. 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383), der nach Art. 140 GG Bestandteil dieses Grundgesetzes ist, konkretisiert wird und demzufolge ‚der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage … als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt' bleiben (siehe auch Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 -, BVerfGE
125, 39 <84 ff.>; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 35.09 -, juris, Abs.-Nr. 16), zum anderen legitimiert die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls nicht dessen
Verletzung. Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung und stellt der Antragsteller genau hierauf ab. Diese
Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags, an den der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes anknüpft, nicht in Einklang zu bringen.
(b) Möglichkeiten, durch geeignete Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes das kommunikative Anliegen des Antragstellers mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines jedenfalls nicht unerheblichen
Bevölkerungsanteils vor dem objektivrechtlich bestehenden staatlichen Schutzauftrag in praktische Konkordanz zu bringen, sind nicht erkennbar. Soweit eine Auflage des Inhalts, die Versammlung nicht am Karfreitag, dem 6. April
2012, sondern am Karsamstag, dem 7. April 2012, abzuhalten, in Erwägung zu ziehen ist (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, zu einer Versammlung an
dem durch Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl. I S. 17, eingeführten Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als einer Verwaltungs-, nicht Rechtsvorschrift), ist nichts dafür erkennbar,
dass dies dem auf Protest gegen das Hessische Feiertagsgesetz durch dessen Zuwiderhandlung gerichteten Anliegen des Antragstellers entsprechen könnte. Auch andere Auflagen, durch die die vom Antragsteller beabsichtigte
Kundgabe mit dem äußeren Erscheinungsbild des Karfreitags, wie es aus § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes folgt, in Einklang zu bringen sein könnte, sind nicht erkennbar: Der Normgeber will die Bevölkerung am Karfreitag nicht
mit einer Kundgabe wie der vom Antragsteller beabsichtigten konfrontieren. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Fortführung der vom Regierungspräsidium G. vertretenen Ansicht eine ‚Christopher-Street-Demonstration' in
einem konservativen Dorf nicht erlaubt sei, geht fehl, da insoweit mangels einer dem § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes entsprechenden konkreten Normierung auf die in § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes zwar auch
angeführte ‚öffentliche Ordnung', mithin bloße Sozialnormen, abgestellt werden müsste, die freilich im Allgemeinen weder Verbote noch Auflösungen, sondern nur Auflagen zu rechtfertigen vermöchte (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschl. des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 <353>). ..."
***
„... I. Mit Bescheid vom 28. März 2012 bestätigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin - unter teilweiser Abänderung der angezeigten Wegstrecke und unter Anordnung von (hier nicht angefochtenen) Beschränkungen - die von
dieser mit Schreiben vom 10. Februar 2012 angezeigte Versammlung für den … in der Zeit zwischen … Uhr und … Uhr zum Thema ‚Nazigewalt bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!' in … mit dem Sammelort ‚…'.
Abweichend von der Anmeldung der Antragstellerin, wonach der Demonstrationszug folgenden Verlauf nehmen sollte:
…platz - …straße - … Straße - … - …platz - …straße - …straße - …platz - …platz - …straße - … - … Straße - …straße - …platz,
wurde folgende Wegstrecke (Änderungen im Kursivdruck) vorgegeben:
…platz - …straße - … Straße - … - …platz - …tor - …straße (Zwischenkundgebung in Höhe Haus-Nr. …) - zurück zum …platz - … - … -…markt - …Straße - …platz (Südseite) (Zwischenkundgebung Ecke …straße / …straße) -
…straße - … - … Straße -…straße - …platz (Abschlusskundgebung).
In den Gründen verwies die Antragsgegnerin auf eine bereits für den gleichen Tag für die Zeit von … bis … Uhr angemeldete Demonstration der ‚Menschen für Tierrechte', die folgenden Verlauf nehme:
…straße (Platz vor der …) - …straße - …platz - …- …gasse - …straße - …platz (…) - …- straße … - …straße - …straße - … - …markt - … - …straße …,
wobei die Wegstrecke möglicher Weise mehrmals begangen werden solle, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Veranstaltung über 16.00 Uhr hinausgehe. Hierauf sei die Antragstellerin bereits hingewiesen worden,
weshalb am 19. März 2012 eine von der Anmeldung abweichende Wegstrecke vereinbart worden sei. Diese stimme mit der nunmehr vorgegebenen Wegstrecke im Wesentlichen überein, die vom … aus statt - wie vereinbart - über die
…straße nunmehr über die …gasse und den … zur …Straße führe.
Nachdem die Antragstellerin unter Hinweis darauf, dass der Anlass, die Route zu ändern, tatsächlich nicht bestehe, weil die ebenfalls für diesen Tag angemeldete Demonstration bereits um 16.00 Uhr endete, an der ursprünglich
angemeldeten Wegstrecke habe festhalten wollen, alternativ eine Route
von der …straße zum …platz über den … sowie …straße - …platz zum …platz
vorgeschlagen habe, sei der Verlauf in einem weiteren Gespräch am 26. März 2012 mit der Antragsgegnerin erörtert worden. Dabei sei darauf hingewiesen worden, dass einer Wegstrecke durch die …straße oder auch nur zum …platz
die bereits angemeldete Demonstration der ‚Menschen für Tierrechte' entgegen stehe, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die insoweit vorgesehene Wegstrecke der bis 16.00 Uhr dauernden Veranstaltung wie angekündigt
mehrmals begangen werde und die beiden Versammlungen zusammentreffen. Es sei nicht realistisch, dass der von der Antragstellerin angemeldete Aufzug erst nach 16.00 Uhr am …platz bzw. in der …straße eintreffe. In dem
Gespräch sei auch darauf hingewiesen worden, dass bei einer durch die Fußgängerzone führenden Wegstrecke aufgrund des Teilnehmerkreises Gefahren für unbeteiligte Personen und Geschäfte nicht ausgeschlossen werden könnten.
Deshalb müsse die Antragsgegnerin auf einer nicht unmittelbar durch die Fußgängerzone führenden Route bestehen. Die Antragstellerin habe hierauf erklärt, dass sie zumindest auf der von ihr alternativ vorgeschlagenen Wegstrecke
bestehe; sie sehe sich durchaus in der Lage, auf die Teilnehmer deeskalierend einzuwirken und so eventuelle Übergriffe aus der Versammlung heraus zu vermeiden.
Die Vorgabe der von der Anmeldung der Antragstellerin und von ihrem Alternativvorschlag abweichenden Wegstrecke rechtfertige sich aus Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach könne die zuständige Behörde eine Versammlung
beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die vorgegebene
Wegstrecke stelle einerseits die Erfüllung des Versammlungszwecks nicht in Frage, sei andererseits aber auch ausreichend, um eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auszuschließen. Eine
Öffentlichkeitswirkung könne auch erzielt werden, wenn der Aufzug nicht unmittelbar durch die Fußgängerzone führe. Immerhin führe die Route durch ein Gebiet der Innenstadt, wo der Aufzug und damit auch das Thema der
Demonstration durchaus bemerkt würden. Weiter legt die Antragsgegnerin in den Gründen dar, dass am Tag der Veranstaltung, dem ersten Samstag vor den Osterferien erfahrungsgemäß mit eine starken Besucheraufkommen in der
gesamten Innenstadt … - zumal bei der erwarteten guten Wetterlage - zu rechnen sei. Laut Anmeldung werde mit 500 Versammlungsteilnehmern gerechnet; dies sei nach polizeilichen Erkenntnissen auch durchaus realistisch, da mit
einer Anreise aus dem gesamten nordbayerischen Raum und aus Baden-Württemberg zu rechnen sei. Es sei davon auszugehen, dass sich ca. 200 Personen aus dem gewaltbereiten, autonomen Spektrum an der Versammlung
teilnehmen. Sowohl die Versammlungsleiterin - die Antragstellerin - als auch deren Stellvertreter seien dem hiesigen linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Für die Versammlung werde mit Plakaten, Flyern und im Internet
geworben. Auf den Flyern seien Bilder abgedruckt, die vermummte Personen und den Einsatz von Pyrotechnik zeigen. Auf dem Mobilisierungsvideo, das im Internet aufgerufen werden könne, werde mit einem massiven Abbrand von
Pyrotechnik und Vermummung auf die Versammlung ‚eingestimmt'. Anschließend wird auf gleichgelagerte Versammlungsgeschehen in der jüngeren Vergangenheit (am …2010, am …2010, am …2011 und am …2011) verwiesen,
bei denen es zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkskörperwürfen gegen Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge und infolgedessen zu Verletzungen der Einsatzkräfte gekommen sei. Der Verlauf der genannten Versammlungen zeige, dass
sich das Verhalten zumindest eines Teils der Versammlungsteilnehmer nicht ändern werde. Es sei mit wenig Kooperation während der Versammlung zu rechnen, zumal die Einflussmöglichkeiten der Versammlungsleitung gering
seien. Gerade das Mobilisierungsvideo zeige eine starke Tendenz in Richtung Militanz und Anwendung von Pyrotechnik. Durch das militante Auftreten der Versammlungsteilnehmer (Vermummung, schwarzer Block usw.) und das zu
erwartende Abbrennen von Pyrotechnik sei eine erhebliche Beeinträchtigung von Unbeteiligten, insbesondere in der Fußgängerzone, zu erwarten, wo ein polizeiliches Einschreiten, insbesondere wegen der dargestellten geballten
Veranstaltungslage und des damit verbundenen Besucheraufkommens nicht möglich sein werde, zumal polizeiliche Zugriffsmaßnahmen eine weitere erhebliche Gefährdung von Unbeteiligten nach sich zögen. Die von der
Veranstalterin beabsichtigte Route des Aufzugs in der Innenstadt sei mit einem erheblichen Risiko für Veranstaltungsteilnehmer, für unbeteiligte Besucher und auch für die zum Einsatz kommenden Polizeikräfte verbunden.
Demgegenüber sei dies bei der vorgegebenen Wegstrecke wegen des nicht vergleichbaren Fußgängeraufkommens nicht im gleichen Maße zu befürchten, obwohl diese ebenfalls durch die Innenstadt führe und gut frequentiert sei. Die
Änderung der Wegstrecke sei demnach erforderlich, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung sicherzustellen. Sie sei geeignet, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuschließen. Der
Zweck der Versammlung werde dadurch nicht beeinträchtigt. Andererseits könnten Sachbeschädigungen und Konfrontationen von vorneherein verhindert werden. Mit der Verlegung des Kundgebungsortes auf dem …platz aufgrund
einer bereits genehmigten Veranstaltung sei die Antragstellerin einverstanden gewesen.
Gegen die in diesem Bescheid vorgegebene Wegstrecke erhob der im Bescheid als Stellvertreter der Antragstellerin in ihrer Funktion als Veranstalterin und verantwortliche Leiterin angeführte … unter der Voraussetzung der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe Klage. Darüber hinaus beantragte er gleichermaßen, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Die Beschränkung der Versammlung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig; sie verstoße gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Bei dem geänderten Teil der Wegstrecke handele es sich gerade um den durch die …
Fußgängerzone führenden Abschnitt, der dem Anliegen des Veranstalters Rechnung trage, größtmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass der Veranstalter das Recht habe, selbst über
Zeit, Ort und Gestaltung der Versammlung zu bestimmen. Behördliche Beschränkungen seien gemäß Art. 15 BayVersG nur zulässig, wenn zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdeten. Für das Vorliegen solcher Umstände müssten jedoch konkrete Tatsachen bewiesen werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und
nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen seien nicht ausreichend. Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen könnten zwar für die Gefahrenprognose als
Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Orts, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufwiesen. Allerdings dürfe die Behörde unter
Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Vorliegend beschränke sich die Gefahrenprognose indes auf die
Feststellung, dass es bei früheren Versammlungen desselben Veranstalters zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkskörperwürfen gegen Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge u. a. gekommen sei. Dieser Feststellung könne jedoch nur
indizielle Wirkung beigemessen werden. Selbst wenn es zuträfe, dass bei früheren Versammlungen mit ähnlichem Teilnehmerkreis Feuerwerkskörper abgebrannt worden seien, gäbe es doch keine Hinweise darauf, dass dadurch
Passanten gefährdet würden. Im Hinblick auf Ziel und Inhalt der Demonstration gebe es auch keinen Anlass für die Annahme, Störungen könnten sich gegen Passanten richten. Dafür gäbe es weder einen Beleg noch sei dies auch nur
belegbar. Die Antragsgegnerin nenne keine konkreten Tatsachen, die eine derartige Prognose rechtfertigten. Bei früheren Versammlungen desselben Veranstalters sei es nie zu einer Gefährdung unbeteiligter Personen gekommen.
Auch sei nicht ersichtlich, inwiefern eine angebliche Gefährdung von Passanten nur in dem durch die Innenstadt führenden Streckenbereich gegeben sein solle. Dass die Antragsgegnerin die Änderung der Wegstrecke zunächst nur mit
der bereits zuvor angemeldeten Demonstration für die Rechte der Tiere begründet habe, lasse auf einen ‚behördlichen Beschränkungseifer' schließen, von dem sich die Antragsgegnerin abseits der konkreten Besorgnis von Gefahren
habe leiten lassen. Erst als seitens des Veranstalters auf die fehlende Kollision der beiden Versammlungen hingewiesen worden sei, sei die Beschränkung mit der Gefahrenprognose gerechtfertigt worden. Die angeordnete
Beschränkung komme einem Verbot gleich, da die Versammlung durch die Beschränkung ihres wesentlichen Inhalts oder ihrer wesentlichen Zielsetzung beraubt werde. Die Demonstration solle die Öffentlichkeit zum Thema
‚Nazigewalt' ansprechen. Die durch die Innenstadt führende Wegstrecke stelle einen zentralen Abschnitt der Route dar, da an keinem andern Punkt ähnlich viel Aufmerksamkeit vor einem gemischten Publikum zu erwarten wäre. Ach
führe der Zug durch die …straße, in der sich 19… die rassistischen Morde des … ereignet hätten.
Der Berichterstatter wies den Absender von Klage und Antrag fernmündlich darauf hin, dass sein Antrag mangels eigener Sachlegitimation abgelehnt werden müsste, da er nicht Adressat des Bescheides der Antragsgegnerin sei; auch
fehle seine eigenhändige Unterschrift. Er regte an, dem Gericht nachträglich eine Vollmacht der Antragstellerin zu übermitteln, und verwies darauf, dass im Falle einer Aufrechterhaltung des Prozesskostenhilfeantrags für diese deren
Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Einkommensverhältnisse erforderlich sei.
Die Antragstellerin übermittelte die angesprochene Vollmacht, der der Absender der an das Gericht gerichteten Schreiben seine Unterschrift beifügte.
Mit Schreiben vom 29. März 2012 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen, der - so wie er ihr übermittelt worden sei - bereits wegen der fehlenden Unterschrift des Antragstellers sowie weiterer Angaben zu seiner
Person, die erforderlich wären, weil er nicht Adressat des angefochtenen Bescheides sei - unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei. Insoweit werde zunächst auf die Gründe des Bescheides vom 28. März 2012 Bezug genommen.
Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass dem Begehren der Antragstellerin bereits entgegen stehe, dass der Verein ‚Menschen für Tierrechte e. V.' am …, mithin zu einem früheren Zeitpunkt für eine weitgehend identische Strecke
eine Versammlung angemeldet habe. Soweit die Antragstellerin behaupte, es gäbe zwischen beiden Versammlungen keine zeitliche Überschneidung, entspreche dies nicht den Tatsachen. Laut Anmeldung des ‚Menschen für Tierrechte
e. V.' sei die Durchführung der Versammlung für die Zeit zwischen … Uhr und … Uhr vorgesehen. Zusagen oder anderweitige handfeste Erkenntnisse für eine vorzeitige Beendigung lägen nicht vor; insoweit lasse auch die
Antragsschrift eine nähere Begründung oder gar Belege nicht erkennen. Vielmehr habe der ‚Menschen für Tierrechte e. V.' gegenüber der Polizei erklärt (vgl. Stellungnahme des Polizeipräsidiums … vom …, Bl. 15 des übermittelten
Behördenvorgangs), dass er die Strecke eventuell zweimal gehen wolle, weshalb das vorgesehene Ende der Veranstaltung um … Uhr fraglich sein könne. Die beiden Versammlungen überschnitten sich demnach in der jeweiligen
Kernzeit von … Uhr bis … Uhr, weshalb die später angemeldete Versammlung der Antragstellerin auf eine andere Wegführung habe verwiesen werden müssen. Wegen der Wegführung werde auf den per e-mail übermittelten Plan
Bezug genommen.
Der Bescheid gehe ferner zutreffend davon aus, dass von der Versammlung der Antragstellerin Gefahren für die öffentliche Sicherheit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG drohten. Nach den polizeilichen Erkenntnissen seien die
Veranstalter dem linksextremistischen Bereich zuzurechnen. Von den erwarteten 500 Teilnehmern würden 200 dem gewaltbereiten Spektrum angehören. Dieser Teilnehmerkreis sei die Ursache dafür gewesen, dass Versammlungen in
den Jahren 2010 und 2011 unfriedlich verlaufen seien, dass es insbesondere wiederholt zu Angriffen auf Polizeibeamte mit Feuerwerkskörpern gekommen sei. Dass am … 2012 ein erheblicher Teil der Versammlungsteilnehmer in
ähnlicher Weise agieren werde, ergebe sich aus dem im Bescheid genannten Mobilisierungsvideo und dem offiziellen Veranstaltungsflyer, die jeweils durch Szenen bestimmt seien, in denen Pyrotechnik zum Einsatz gelange. Die dem
Bescheid zugrunde liegende Prognose stütze sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin somit sowohl auf Erkenntnisse aus früheren gleichgelagerten Versammlungen des autonomen Spektrums als auch auf die Umstände, die
konkret die bevorstehende Versammlung beträfen. Die Gewaltbereitschaft weiter Kreise der Versammlungsteilnehmer werde aktuell durch einen Beitrag auf ‚….…' bestätigt (vgl. Bl. 24 des übermittelten Behördenvorgangs), in dem
am Ende ein unfriedlicher Verlauf der Streckenänderung in Aussicht gestellt werde.
Die Antragsgegnerin habe somit vor der Entscheidung gestanden, die Versammlung zu verbieten oder aber den drohenden Gefahren mit weniger einschneidenden Mitteln zu begegnen. Im Hinblick auf den hohen
verfassungsrechtlichen Rang der Versammlungsfreiheit und in Anbe-tracht der Tatsache, dass nicht alle Versammlungsteilnehmer als gewaltbereit eingestuft werden könnten, habe sie sich auf das mildere Mittel der Änderung der
Versammlungsstrecke beschränkt. Letztere sei allerdings unverzichtbar, da im Bereich der Fußgängerzone und der zu ihr führenden …straße eine Begleitung durch die Polizei, die eine effektive Gefahrenabwehr ermögliche, nicht zu
gewährleisten sei. Die …straße, der Platz vor der …, …straße und …platz gehörten als Herz der … City bzw. dem Zugang hierzu stadtweit zu den Straßen mit dem stärksten Fußgängerverkehr, wie beispielsweise die letzte
Verkehrszählung in der …straße an einem gewöhnlichen Nachmittag mit 37.000 Fußgängern in 16 Stunden belege. An einem Samstagnachmittag sei die Fußgängerdichte derart stark, dass in von gewaltbereiten
Versammlungsteilnehmern verursachte Auseinandersetzungen zwangsläufig auch Unbeteiligte gerieten. Im Bedarfsfalle stünde insoweit das Polizeipräsidium … zu weiteren Auskünften zur Verfügung. Abschließend werde nochmals
darauf hingewiesen, dass die geänderte Route nicht in der Peripherie, sondern über den …platz und dann über an die Fußgängerzone sich anschließende Innenstadtbereiche verlaufe. Die Veranstalterin erhalte hierdurch die Möglichkeit
für ein unter den gegebenen Umständen größtmögliches Maß an Aufmerksamkeit.
II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, soweit diese nicht ausnahmsweise gemäß § 80 Abs. 2 VwGO entfällt. In den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.
3 VwGO - wie hier gemäß Art. 25 BayVersG - von Gesetzes wegen entfällt, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der
zwischen dem durch Gesetz geregelten Sofortvollzug und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen ist. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des
Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des
Antragstellers regelmäßig zurück.
An diesen Grundsätzen gemessen erweist sich der auf die Anfechtung der Wegstreckenänderung beschränkte Antrag der Antragstellerin bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als unbegründet.
Die Antragsgegnerin war auch aufgrund des aus Art. 8 Abs. 1 GG herzuleitenden Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung nicht gehindert, die vorgesehene Route der
Veranstaltung - wie geschehen - teilweise zu ändern. Das dem Selbstbestimmungsrecht innewohnende Recht des Veranstalters, sein Demonstrationsinteresse eigenständig zu konkretisieren, findet dort seine Grenze, wo sein
Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern kollidiert. Insoweit steht es ihm nicht auch zu zu beurteilen, welches Gewicht diesen Rechtsgütern in der Abwägung mit seinem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit zukommt, und darüber zu befinden, wie diese Interessenkollision zu bewältigen ist.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die die für den … für eine teilweise identische Route zur gleichen Kernzeit angemeldeten Versammlungen der Antragstellerin und des Vereins ‚Menschen für Tierrechte e. V.' unter
Berücksichtigung des beiden Veranstaltern gleichermaßen gewährten Grundrechts auf Versammlungsfreiheit räumlich und zeitlich koordinieren muss, der bereits vorher angemeldete Versammlung des Vereins ‚Menschen für
Tierrechte e. V.' den Vorrang einzuräumen und die Antragstellerin wegen der zu besorgenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit in dem durch die Fußgängerzone der … Innenstadt (…straße - …platz) und dem hierzu führenden
Abschnitt der vorgesehenen Wegstrecke (…straße) auf eine - zudem nur teilweise - geänderte Route (von der …straße zurück zum …platz und über … - …gasse - … - …Straße zum …platz - Südseite) zu verweisen, ist rechtlich nicht
zu beanstanden.
Insbesondere hat sich die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung nicht von dem Prioritätsgrundsatz - nach der zeitlich früheren Anmeldung der Versammlung - einem ‚Erstanmelderprivileg', leiten lassen, sich vielmehr an der
Rechtsprechung (vgl. BVerfG, B. v. 6.5.2005, 1 BvR 961/05, BayVBl 2005, 592 ff. = DVBl 2005, 969 ff. = NVwZ 2005, 1055 ff.; BayVGH, B. v. 17.8.2007, 24 CS 07.2038; B. v. 8.11.2005, 24 CS 05.2916) orientiert, bei einer
derartigen Kollision von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen, die praktische Konkordanz zwischen den
Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Auflagen herzustellen.
Die Antragsgegnerin hat zur Überzeugung der Kammer hinreichend dargelegt, dass es entgegen der Behauptung der Antragstellerin tatsächlich eine maßgebliche zeitliche und räumliche Überschneidung der beiden angemeldeten
Versammlungen gibt. In räumlicher Hinsicht führen beide Aufzüge über die …straße und die …straße, wobei - zumal im Hinblick auf die Ankündigung des Vereins ‚Menschen für Tierrechte e. V.' die von diesem vorgesehene, die
genannten Straßen einschließende Route in der Zeit zwischen … Uhr und … Uhr, gegebenenfalls auch darüber hinaus, mehrmals - mindestens zweimal - zu gehen - eine zeitliche Eingrenzung des Zusammentreffens mit dem sich
gegen … Uhr bzw. … Uhr vom Sammelplatz ‚…platz' in Richtung … Innenstadt bewegenden Aufzug der Antragstellerin nicht möglich ist. Auch liegen dem Gericht - worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist - keine
Erkenntnisse vor, die auf eine vorzeitige Beendigung der Versammlung des Vereins ‚Menschen für Tierrechte e. V.' schließen ließen.
Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin überzeugend dargelegt, dass von der Versammlung der Antragstellerin Gefahren für die öffentliche Sicherheit drohen. Sie hat sich insoweit - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - auf
tatsächliche Anhaltspunkte gestützt, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gefahrenlage im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG ergeben. So hat sie insbesondere darauf verwiesen,
dass nach polizeilichen Erkenntnissen damit gerechnet werden muss, dass unter den erwarteten ca. 500 Teilnehmern ca. 200 dem gewaltbereiten autonomen Spektrum zugehörende Personen sein werden, die zum unfriedlichen Verlauf
früherer, in den Jahren 2010 und 2011 erfolgter Versammlungen beigetragen hätten. Die weiteren Hinweise auf das im Bescheid genannte Mobilisierungsvideo und den offiziellen Veranstaltungsflyer bestätigen diese Befürchtung.
Dem hat die Antragstellerin Maßgebliches nicht entgegensetzen können.
Unter diesen Umständen ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, der gerade im Bereich der Fußgängerzone (…straße) und der zu dieser führenden …straße zu besorgenden Gefährdung unbeteiligter Personen durch entsprechende
Änderung der von der Antragstellerin vorgesehenen Wegstrecke des Aufzugs, einer im Vergleich zu der ultima ratio eines Verbots der Versammlung die Antragstellerin weit weniger belastenden, einer die Begleitung des
Demonstrationszugs durch die Polizei zur effektiven Gefahrenabwehr aber ermöglichenden Auflage zu begegnen, nicht zu beanstanden, zumal dadurch dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Gegenstand, Zeitpunkt und
Ort seiner Versammlung in ausreichender Weise Rechnung getragen wird. Für eine unangemessene Beschränkung im Sinne einer ‚Zensur' - wie von der Antragstellerin geltend gemacht - sieht die Kammer keinerlei Anhaltspunkte. ..."
(VG Ansbach, Beschluss vom 30.03.2012 - AN 1 S 12.00513)
***
„... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage bezüglich einer in Berlin-Schöneweide geplanten Versammlung.
Unter dem 06.02.2012 meldete der Antragsteller über die Internetwache der Polizei eine Versammlung zum Thema „Gegen organisierte Nazi-Strukturen in Schöneweide" für den 02.03.2012, 18 Uhr an. Der Aufzug sollte ausweislich
der Anmeldung schließlich von Norden kommend über die E… durch die B… zum M… führen und dort mit einer Abschlusskundgebung enden.
Am 06.02.2012 wurde auf der Website http://www.antifa-berlin.info ein Aufruf zu der Versammlung unter der Überschrift „Antifa-Demo in Schöneweide" veröffentlicht, dessen Untertitel „'Was zuviel ist, ist zuviel' - 3 Jahre
Nazikneipe ‚Z…', sind 3 Jahre zuviel! Nazinetzwerke aufdecken und zerschlagen" lautete. In der in dem Aufruf verlinkten Langfassung finden sich unter anderem Ausführungen zu der Kneipe „Z…" in der B… und zu dem von dem
Landesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), S…, in der B… betriebenen Ladenlokal „H…" sowie zu Herrn S… selbst. Ein Hinweis auf seine private Wohnanschrift findet sich darin nicht. Auch in den
weiteren der Gerichtsakte und dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Mobilisierungsaufrufen ist eine Nennung der Privatanschrift von Herrn S… nicht vorzufinden. Die Mobilisierungsaufrufe enthalten auch keine Bezugnahmen
auf die private Wohnanschrift des Herrn S….
Unter dem 22.02.2012 wurde auf der Website http://de.indymedia.org ein Artikel unter der Überschrift „Schöneweide bei Nazis weiter hoch im Kurs" veröffentlicht, in dem unter anderem steht: „Hier wohnen maßgebliche Akteure
wie S… (unter seinem falschen Namen „M…" in der B…) und hier haben sie ihre Infrastruktur und Rückzugsräume."
Am 29.02.2012 führte die Versammlungsbehörde telefonisch ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller. Dabei wurden ausweislich des in dem Verwaltungsvorgang befindlichen Vermerks unter anderem die „Reizobjekte, wie:
‚H…', H…, der G…, ‚H…' und die Wohnanschrift des Herrn S…" thematisiert. Der Antragsteller habe bekannt gegeben, dass ihm die Wohnanschrift des Herrn S… nicht persönlich bekannt gewesen sei.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 01.03.2012 bestätigte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung der Versammlung und erließ zu Ziff. 1 folgende Auflage: „Der Aufzug ist nach der E… nicht über die B…
sondern über die S… zum angemeldeten Abschlusskundgebungsort M… zu führen und dort zu beenden. Es wird untersagt, den Aufzug durch die B… zu führen." Es wurde zudem festgelegt, dass auf dem Schnittstellenbereich von
E…- und S… eine Zwischenkundgebung mit dem Blick auf das Lokal „Z…" stattfinden solle. Zur Begründung führte die Versammlungsbehörde insbesondere an, dass der Antragsteller bereits Anmelder eines Aufzuges am
08.07.2011 gewesen sei, der durch die B… geführt habe und bei dem es zu Flaschenwürfen und einem Landfriedensbruch gekommen sei. Für den jetzigen Aufzug würde auf verschiedenen Internetplattformen mobilisiert. Durch die
Veröffentlichung auf http://de.indymedia.org bestünde eine Kenntnis der Teilnehmer von dem Wohnort des Herrn S…. In dem auf http://www.antifa-berlin.info veröffentlichten Aufruf, der zwar nicht von dem Antragsteller stamme,
diesem aber zuzurechnen sei, werde zudem deutlich gemacht, dass die verantwortlichen Ladenbesitzer aus der Anonymität gezogen werden müssten. Aufgrund dessen sei eine direkte Einwirkung auf das unmittelbare private
Wohnumfeld des Herrn S… zu besorgen, die wegen dessen Recht auf Privatsphäre eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit erfordere. Die Auflage sei auch verhältnismäßig, da der Aufzug im Übrigen durchgeführt werden dürfe
und ein Sichtkontakt zu den in den Aufrufen thematisierten Objekten durch den Zwischen- und Abschlusskundgebungsort gewährleistet sei.
Mit Schreiben vom 01.03.2012 hat der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflage zu Ziff. 1 beim Beklagten eingelegt.
Mit seinem am gleichen Tag bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Er trägt vor, die Gefahrenprognose des Antragsgegners entbehre einer tatsächlichen
Grundlage, da frühere Veranstaltungen, auch die Versammlung vom 08.07.2011, ohne größere Störungen verlaufen seien. Thema der jetzigen Versammlung seien zudem ausschließlich die Kneipe „Z…" und der Laden „H…", eine
Thematisierung von Herrn S… oder dessen Privatwohnung sei nicht beabsichtigt. Insofern sei die vorliegende Versammlung auch nicht mit Versammlungen vor dem Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters vergleichbar, da bei
jenen die Person und die Politik des Regierenden Bürgermeisters gerade Versammlungsgegenstand gewesen seien. Herr S… suche zudem auch in seinem Laden „H…" die Öffentlichkeit, weshalb er keines entsprechenden Schutzes
bedürfe. Eine Verlegung der Aufzugroute sei darüber hinaus unverhältnismäßig, da sie das zentrale Anliegen der Versammlung, nämlich den Protest gegen die „rechten Lokalitäten" in der B… verhindere. Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 01.03.2012 gegen die Auflage zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom selben Tag wiederherzustellen.
II. Der gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist begründet. Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung
zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung
festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der
Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.
Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
voraussichtlich erfolgreich.
Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenabwehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) basierende,
formell rechtmäßige Auflage erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verbürgte Recht des Antragstellers
auf Versammlungsfreiheit dar.
Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985,
2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine
Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Insofern bestehen schon Zweifel, ob eine derartige Gefährdung der hier allein in Betracht kommenden öffentlichen Sicherheit hinreichend erkennbar ist.
Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99).
Dies umfasst auch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Herrn S…. Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. zuletzt VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2012 - VG
1 L 37.12 m.w.N.), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen "Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt
hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris).
Nach diesen Maßstäben steht Herrn S… als Landesvorsitzendem der NPD zwar grundsätzlich der Schutz seiner Privatsphäre, d.h. insbesondere seines unmittelbaren privaten Wohnumfelds zu. Aus der Gerichtsakte und insbesondere
dem eingereichten Verwaltungsvorgang ist aber nicht mit der notwendigen Prognosesicherheit zu erkennen, dass es im Verlauf der Versammlung zu einer Verletzung dieses Rechtes kommen wird. Die darin enthaltenen
Mobilisierungsaufrufe enthalten keinerlei Bezugnahme auf die Privatwohnung von Herrn S…, sondern beziehen sich sämtlich auf das von ihm betriebene Geschäft „H…" und die Gaststätte „Z…". Allein aus dem Umstand, dass sich
einer dem linken Spektrum zuzuordnenden Website die private Anschrift von Herrn S… entnehmen lässt, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Schluss abzuleiten, dass es auch zu einer Störung des Rechts auf Privatsphäre
kommen wird. Denn allen Versammlungsaufrufen ist die Fokussierung auf die Kneipe „Z…" und das Geschäft „H…" deutlich zu entnehmen.
Anders als bei Versammlungen, in denen - wie etwa im Verfahren VG 1 L 37.12 - die Ansprache der Person des öffentlichen Lebens ausdrücklich Zweck der Versammlung ist, geht es dem Antragsteller als Anmelder vorliegend
insbesondere darum, die Häufung von Gewerbebetrieben, die bestimmte politische Ansichten bedienen, auf der Versammlung zu thematisieren. Die mit einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Herrn S… einhergehende
Thematisierung seiner persönlichen Beteiligung daran wäre daher allenfalls ein Thema unter vielen. Hinzu kommt, dass vorliegend keine Zwischenkundgebung vor dem privaten Wohnhaus von Herrn S… geplant ist. Eine solche wäre
ebenso wie vergleichbare Aktionen während des Aufzugs nach Auffassung der Kammer auch nicht zulässig und rechtfertigte gegebenenfalls eine Auflösung der Versammlung. Der Aufzug soll sein Wohnhaus aber passieren, da es sich
- unter Umständen aus Zufall - in der gleichen Straße wie „Z…H…" und „H…" befindet und daher zwangsläufig auf der Aufzugsroute liegt.
Unter diesen Umständen muss die Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz der Grundrechte zugunsten der Versammlungsfreiheit ausfallen. Das durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsanliegen würde durch eine
Sperrung der gesamten B… zunichte gemacht. Denn anders als vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid dargestellt, ist die Kammer der Auffassung, dass ein hinreichender kommunikativer Kontakt jedenfalls zu dem Geschäft
„H…" - anders als zu der Kneipe „Z…" - durch eine Zwischenkundgebung noch vor der Einmündung in die B… gerade nicht sichergestellt wäre.
Die Versammlungsfreiheit als kollektive Seite der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396) schützt aber auch das Interesse des
Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfG, Beschluss v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2167,
2169). Die Freihaltung der nach Auffassung des Antragstellers besonders von der „rechten Szene" besetzten B… stände zu diesen Maßstäben in deutlichem Gegensatz und wäre nur durch einen entsprechend schwerwiegenden Eingriff
in das Persönlichkeitsrecht von Herrn S... zu rechtfertigen. Ein solcher ist aus den vorgenannten Gründen aber nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 02.03.2012 - 1 L 49.12)
***
Unter Würdigung der konkreten Örtlichkeiten des Stuttgarter Hauptbahnhofs erscheint es zweifelhaft, ob die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs den vom Bundesverfassungsgericht in der Fraport-Entscheidung (1
BvR 699/06) entwickelten Anforderungen an einen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs im Sinne des Leitbildes des öffentlichen Forums genügt. Im Fall eines Aufzugs durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter
Hauptbahnhofs muss jedenfalls die besondere Bedeutung dieses zentralen Verkehrsknotenpunktes sowie die daraus folgende spezifische Gefährdungslage der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Verkehrsbetriebes berücksichtigt
werden. Versammlungsbeschränkende Maßnahmen können daher unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden. Bei einem geplanten Aufzug von circa 1.000 Teilnehmern durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter
Hauptbahnhofs im Rahmen der sog. "Montagsdemos" im Zusammenhang mit dem Protest gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" dürfte von einer hinreichend substantiierten Gefahrenprognose auszugehen sein, die ein Teilverbot des
Aufzuges zu rechtfertigen vermag. Weniger einschneidende Mittel als das verfügte Teilverbot dürften sich im konkreten Fall als nicht realisierbar und damit ungeeignet erweisen (VG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 - 5 K 691/12):
„... Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Ziffer 1 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2012 (§§ 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Var., Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO),
mit der der Aufzug durch den Stuttgarter Hauptbahnhof im Rahmen einer für den 05.03.2012 von der Antragstellerin geplanten Veranstaltung verboten wird, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2012 den - allein verfahrensrechtlichen - Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
In der Sache hat das Gericht bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Abzuwägen sind das private Interesse der
Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der angegriffenen behördlichen Verfügung und das öffentliche Interesse an dessen sofortigem Vollzug. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches
Kriterium zu berücksichtigen. Ist nach der im Verfahren auf Eilrechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird,
überwiegt regelmäßig das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweist sich demgegenüber der Verwaltungsakt als rechtmäßig, so überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, wenn zugleich ein besonderes öffentliches
Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes besteht.
Diesen Grundsätzen folgend räumt das Gericht vorliegend dem öffentlichen Vollzugsinteresse den Vorrang ein vor dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Bei der gebotenen summarischen Prüfung dürfte der
Rechtsbehelf gegen Ziffer 1 der Verfügung vom 27.02.2012 voraussichtlich erfolglos bleiben und zudem ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sein.
I. Als Rechtgrundlage für das unter Ziffer 1 verfügte Verbot des geplanten Aufzuges durch den Stuttgarter Hauptbahnhof ist § 15 Abs. 1 VersG herangezogen worden. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder
einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder
des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
1. Der Anwendungsbereich dieser Ermächtigungsgrundlage ist dem Grunde nach eröffnet, da es sich bei der für den 05.03.2012 geplanten Veranstaltung im Rahmen der - im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt „Stuttgart 21"
veranstalteten - sog. „Montagsdemos" um eine öffentliche Versammlung nebst Aufzug unter freiem Himmel handelt. Die für 1.000 Teilnehmer angekündigte, für jedermann zugängliche Veranstaltung ist unzweifelhaft auf die Teilhabe
an der öffentlichen Meinungsbildung ausgerichtet und stellt eine Versammlung „unter freiem Himmel" dar. Dies gilt auch, soweit der Aufzug durch den Stuttgarter Hauptbahnhof und damit ein geschlossenes Gebäude verlaufen soll,
da der Begriff der „Versammlung unter freiem Himmel" nicht im engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden darf. Maßgeblich ist vielmehr allein, dass die Versammlung bzw. der
Aufzug in einem öffentlich zugänglichen Raum, d.h. inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfindet und von diesem nicht räumlich getrennt ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, <juris> Rn. 76). Dies ist
vorliegend der Fall, da der Aufzug durch die Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs geführt werden soll und damit inmitten des allgemeinen Bahnhofspublikums geplant ist.
2. Die Kammer hat indes bereits grundsätzliche Zweifel daran, ob die Bahnhofshalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs der Antragstellerin überhaupt für den hier geplanten Aufzug als Zugangsort zur Ausübung ihrer
Versammlungsfreiheit zur Verfügung steht.
a) Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Versammlungsfreiheit dem Grunde nach auch das Recht umfasst, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine
Versammlung stattfinden soll. Die Versammlungsfreiheit verschafft damit jedoch kein allgemeines Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Sie verbürgt die Durchführung von Versammlungen grundsätzlich dort, wo ein allgemeiner
öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft zunächst und insbesondere den öffentlichen Straßenraum. Um einen solchen Ort handelt es sich bei dem im Eigentum der Deutschen Bahn AG stehenden Hauptbahnhof jedoch nicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht in der sog. „Fraport-Entscheidung" vom 22.02.2011 gilt die Versammlungsfreiheit jedoch auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in
ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, <juris> Rn. 68). Um einen derartigen Ort allgemeinen
kommunikativen Verkehrs annehmen zu können, der neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden kann, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht
maßgeblich zwei Kriterien zu würdigen. Zunächst können nur solche Orte erfasst werden, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind, d.h. der Zugang nicht individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte
Zwecke gestattet wird (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, <juris>, Rn. 69). Dieses Kriterium ist im Fall des der Öffentlichkeit allgemein zugänglichen Gebäudes des Stuttgarter Hauptbahnhofs unzweifelhaft erfüllt.
Hinzutreten hat jedoch, dass dieser Ort auch als ein öffentlicher Kommunikationsraum nach dem Leitbild des öffentlichen Forums zu beurteilen ist. Dieses Leitbild des öffentlichen Forums wird nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht.
Abgegrenzt werden muss dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06
-, <juris>, Rn. 70). Danach kann an Orten, die in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, die Durchführung einer Versammlung nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden,
wohingegen dies dort anders ist, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung
entstehen (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, <juris>, Rn. 70).
b) Unter Würdigung der konkreten Örtlichkeiten des Stuttgarter Hauptbahnhofes, die der erkennenden Kammer im Einzelnen hinreichend bekannt sind, erscheint es zweifelhaft, ob der Stuttgarter Hauptbahnhof den vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen an einen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs im Sinne des Leitbildes des öffentlichen Forums genügt. Er weist gravierende Unterschiede zu der der Fraport-Entscheidung
zugrunde liegenden Örtlichkeit, dem für den allgemeinen Publikumsverkehr zur Verfügung stehenden Bereich des Frankfurter Flughafens, auf. Dort sind großflächige Bereiche - die auch mit den Slogans „City in der City", „Einkaufen
und Erleben" und „Auf 4.000 Quadratmeter zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf ihren Besuch!" beworben werden - mit vielfältigen Einkaufs-, Gastronomie- und sonstigen Dienstleistungsangeboten
sowie einer großzügigen Raumgestaltung mit entsprechenden Erholungsflächen entstanden und dadurch Orte des Flanierens, Verweilens und der Begegnung geschaffen worden. Entsprechendes dürfte im Fall des Stuttgarter
Hauptbahnhofes, insbesondere der hierfür allein in Betracht kommenden Kopfbahnsteighalle, eher nicht anzunehmen sein, wobei hervorzuheben bleibt, dass diese Beurteilung auf einer Einzelfallwürdigung der konkreten Umstände
des Stuttgarter Hauptbahnhofs beruht und in Fällen anderer Bahnhöfe (wie ggf. etwa der Örtlichkeit des neuen Berliner Hauptbahnhofs) anders zu beurteilen sein kann.
Maßgeblich für die Beurteilung im vorliegenden Fall sind sowohl die stark zweckorientierte räumlich-architektonische Gestaltung der Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs als auch die konkrete Anordnung und
Ausgestaltung des vorhandenen Gastronomie- und Geschäftsangebots. Beides führt dazu, dass die Kopfbahnsteighalle ganz überwiegend einer bestimmten Funktion, nämlich der Abwicklung des Bahnreiseverkehrs, zu dienen
bestimmt erscheint und die Funktion als Bahnhof gänzlich dominiert. So kommt der Kopfbahnsteighalle aufgrund ihrer Architektonik als Vorbau und unmittelbarer Zu- und Abgang zu den Gleisen primär eine Verteilungs- und
Zugangsfunktion zu den angrenzenden Gleisen zu und dient damit unmittelbar der Erschließung der Gleise und damit der Bewältigung und Abwicklung des Reiseverkehrs. Auch die Art und Ausgestaltung des Dienstleistungsangebots,
dass sich ganz überwiegend auf Einkauf- und Mitnahmemöglichkeiten von Speisen, insbesondere Schnellimbissen, sowie den Erwerb von Reiselektüre bezieht, legt nahe, dass die vorhandene Gastronomie und die Ladengeschäfte
primär der Versorgung von Reisenden und Abholern zu dienen bestimmt sind. Großzügige Restaurationsbetriebe mit ansprechenden Sitzgelegenheiten, über den Reisebedarf hinausgehende Einkaufsmöglichkeiten (wie etwa für
Konfektion, Accessoires o. ä.) oder auch Erholungsflächen als Flächen der zwischenmenschlichen Begegnung und des Austausch sind in der Kopfbahnsteighalle nicht vorhanden. Auf ein Flanieren oder längerfristiges Verweilen ist die
Halle offensichtlich weder räumlich noch von der Ausstattung her ausgerichtet, sondern sie ist vielmehr der unmittelbaren Abwicklung des Personennah- und Fernverkehr zu dienen bestimmt.
c) Darüber hinaus erweist sich eine Übertragung der Fraport-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den vorliegenden Fall, wie von der Antragstellerin vorgebracht, auch deshalb als problematisch, weil die zugrunde
liegende Sachverhaltskonstellation eine gänzlich Verschiedene ist. Während in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zugrunde liegenden Sachverhalt eine Gruppe von lediglich sechs Aktivisten der „Initiative gegen
Abschiebungen" in der großflächigen Halle des Terminals 1 des Frankfurter Flughafens gegen Abschiebungen demonstrieren und dort Flugblätter verteilen wollte, ist die diesem Eilverfahren zugrunde liegende
Sachverhaltskonstellation, in der eine angekündigte Menge von circa 1.000 Demonstranten einen Aufzug durch die in ihren Proportionen verhältnismäßig schmale, langgezogene Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs
begehrt, in Art und Ausmaß wesensverschieden.
II. Ungeachtet der mithin bestehenden Bedenken an der generellen Verfügbarkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs als Fläche zur Ausübung der Versammlungsfreiheit und der Übertragbarkeit der Ergebnisse der Fraport-Entscheidung auf
den vorliegenden Fall dürfte das von der Antragsgegnerin verfügte Teilverbot hinsichtlich des Aufzuges durch den Hauptbahnhof jedoch auch der Sache nach voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden sein.
1. Nach § 15 Abs. 1 VersG sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit nur zulässig, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar
gefährdet ist. Im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG setzt § 15 Abs.1 VersG dabei eine Gefahrenprognose voraus, die auf nachweisbaren Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen
Erkenntnissen beruht und bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergibt, wobei insoweit strenge Anforderungen zu gelten haben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen ohne das
Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte genügen nach der Rechtsprechung hingegen nicht (vgl. m. w. N. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 f.; Beschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09
-,NJW 2010, 141 ff.). Zudem muss bei Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung getragen werden.
Diese Grundsätze hindern jedoch nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential des vorliegend begehrten Aufzugs durch den Stuttgarter Hauptbahnhof in spezifischer Weise Rechnung getragen werden kann. Sofern der Stuttgarter
Hauptbahnhof als rechtlich zulässige und verfügbare Örtlichkeit zur Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit entsprechend den Grundsätzen der Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgericht anzusehen sein sollte, so müssen
auch die in dieser Entscheidung zugleich entwickelten Maßgaben hinsichtlich der Einschränkbarkeit der Versammlungsfreiheit berücksichtigt werden. Insoweit wurde von Seiten des Bundesverfassungsgerichts unter Hervorhebung der
besonderen Bedeutung eines zentralen Verkehrsknotenpunktes sowie der daraus folgenden spezifischen Gefährdungslage der Sicherheit und der Funktionsfähigkeit des Verkehrsbetriebes ein erhebliches Gewicht beigemessen. Dies
hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit eines komplexen logistischen Systems (wie das eines Flughafens) versammlungsbeschränkende Maßnahmen
unter weniger strengen Bedingungen erlassen werden können, als dies für entsprechende Versammlungen im öffentlichen Straßenraum möglich wäre (BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, <juris>, Rn. 86 ff.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe dürfte sich im hiesigen Fall die vorliegende Verbotsverfügung als rechtmäßig erweisen. Es dürfte von einer hinreichend substantiierten Gefahrenprognose auszugehen sein, die das Verbot
des Aufzuges bezogen auf den durch den Hauptbahnhof führenden Teil zu rechtfertigen vermag.
In Anbetracht der Ausführungen der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren sowie der aus den vorgelegten Behördenakten zu entnehmenden Informationen - insbesondere der Angaben der Bundespolizei
und der ausführlichen Stellungnahme der Beigeladenen vom 21.02.2012, die im Nachgang zum ersten gerichtlichen Eilverfahren anlässlich des am 06.02.2012 geplanten Aufzugs durch das Hauptbahnhofsgebäude eingeholt wurden
(Beschl. der Kammer v. 06.02.2012 - 5 K 379/12 -) - sind hinreichende Tatsachen dafür gegeben, dass durch den geplanten Aufzug durch die Kopfbahnsteighalle gravierende Störungen in der Abwicklung des Reiseverkehrs zu
befürchten sind.
a) Maßgeblich hierfür sind insbesondere die zu erwartenden Beeinträchtigungen durch die mit dem Aufzug verbundenen erheblichen Lärmbeeinträchtigungen. Das von der Antragsgegnerin vorgelegte Videomaterial von der
unangemeldeten Versammlung am 30.01.2012, bei der sich ausweislich des bei den Akten befindlichen polizeilichen Lageberichtes ebenfalls eine Anzahl von circa 1.000 Personen in das Hauptbahnhofsgebäude begeben hat, sowie die
Videoaufzeichnungen von dem entgegen der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 03.02.2012 (bestätigt durch den Beschluss der Kammer vom 06.02.2012) durchgeführten Aufzuges durch das Hauptbahnhofsgebäude am
06.02.2012 belegen eindrücklich, dass die von den Gegnern des Bahnprojekts „Stuttgart 21" bei Versammlungen regelmäßig mitgeführten (Lärm-)Instrumente, allen voran Trillerpfeifen, gepaart mit Gesängen und Parolen zu einer
enormen Lärmentwicklung führen. Seit Beginn der sog. „Montagsdemos" - ebenso wie bei weiteren im Zusammenhang mit dem Protest gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21" stehenden Veranstaltungen - gehört der Einsatz von
Lärminstrumenten zum festen Bestandteil und zur regelmäßigen Übung derartiger Veranstaltungen und generierte sich mit der Zeit geradezu als eine Art „Markenzeichen" der Protestbewegung. So sind Trillerpfeifen, Vuvuzelas und
sonstige Lärminstrumente bei der überwiegenden Zahl von Versammlungsteilnehmern anzutreffen und werden lautstark eingesetzt. Die dadurch allgemein eintretende Lärmbelästigung wird bei einer Verwendung im Inneren von
Gebäuden, wie gerade bei einem Aufzug durch den Hauptbahnhof und dort insbesondere in Anbetracht der beträchtlichen Raumgröße und der damit einhergehenden besonderen Akustik der Kopfbahnsteighalle, in besonderer Weise
verstärkt. Um so mehr gilt dies, wenn dabei eine Anzahl von circa 1.000 Demonstranten oder gar mehr erwartet werden. Dass bei der geplanten Veranstaltung am 05.03.2012 - wie von der Antragstellerin vorgebracht - nur von
vereinzelten Einsätzen von Trillerpfeifen, Sprechgesang oder ähnlichem auszugehen sein dürfte, scheint in Anbetracht der Erfahrungen der Vergangenheit realitätsfremd. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Demonstranten
ihrer Protesthaltung entsprechend ihrer gewohnten und - wie das vorgelegte Videomaterial belegt - auch zuletzt im Hauptbahnhof mehrfach praktizierten Verhaltensweise lautstark Nachdruck verleihen werden. Insoweit besteht eine
konkrete Gefahr, dass es hierdurch zu erheblichen Beeinträchtigung des Bahnbetriebes kommen wird. Nach Angaben der Beigeladenen sind die im Hauptbahnhof installierten Lautsprecheranlagen auf derartige Schallpegel nicht
ausgelegt. Dringende Lautsprecheransagen, wie insbesondere Gleisänderungen, Zugausfälle oder -verspätungen, die allesamt für die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Reiseverkehrs von zentraler Bedeutung sind, würden mithin
erheblich gefährdet. Darüber hinaus könnten durch den zu erwartenden Lärmpegel während der Dauer des Aufzuges auch sonstige sicherheitsrelevante Durchsagen, wie etwa Suchmeldungen, ebenso wie Anweisungen seitens der
Polizei oder auch der Versammlungsleitung nicht hinreichend sichergestellt werden.
b) Hinzu treten die weiteren durch einen entsprechenden Aufzug zu befürchtenden Beeinträchtigungen bei der Abwicklung des Reiseverkehrs, die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im Einzelnen dargelegt wurden.
Diese ergeben sich insbesondere durch das zu erwartende unmittelbare Aufeinandertreffen der Verkehrsströme der Reisenden und der Teilnehmer des Aufzuges. Durch die konkrete räumliche Gestaltung der Kopfbahnsteighalle am
Fuß der Gleiszugänge sowie der mehrfachen Verengungen der Halle durch die inmitten positionierten Verkaufsstände sind im Fall eines Aufzugs Stauungen und Blockierungen zu erwarten, die die Funktionsfähigkeit des
Bahnhofsbetriebs empfindlich beeinträchtigen können. Wie aus der der Behördenakte zu entnehmenden Stellungnahme der Beigeladenen anschaulich zu entnehmen ist, bildet die Kopfbahnsteighalle den zentralen Verknüpfungspunkt
der Verkehrsbeziehungen innerhalb des Hauptbahnhofs und ist aufgrund ihrer architektonischen Anordnung in besonderem Maß den anfallenden entgegenläufigen Fußgängerströmen ausgesetzt. Die von und zu den Gleisen führenden
Fahrgastströme würden durch den Personenstrom eines quer dazu durch die Kopfbahnsteighalle führenden Aufzug erheblich beeinträchtigt. Ob die Menge der Aufzugsteilnehmer tatsächlich - wie von der Antragstellerin vorgetragen -
eine Durchlässigkeit für die Reisenden ermöglichen würde bzw. könnte, steht - auch unter Würdigung des vorgelegten Videomaterials - ernsthaft zu bezweifeln. Das für Reisende im Regelfall erforderliche Durchkreuzen des Stroms
der Aufzugsteilnehmer dürfte jedenfalls für Bahngäste mit größerem Reisegepäck sowie für Reisende mit zeitlichen Engpässen, die etwa in letzter Minute eine bestimmte Bahnverbindung oder insbesondere einen Anschlusszug
erreichen müssen (was gerade in den Abendstunden von besonderer Bedeutung ist), zu erheblichen Behinderungen führen.
Auch ist zu der für den Aufzug geplanten Uhrzeit ab circa 18.45 Uhr noch mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen. Nach Angaben der Beigeladenen fällt der Beginn des geplanten Aufzuges in das Ende der abendlichen
Spitzenstunde. Den in den Akten vorhandenen Ankunfts- und Abfahrtsplänen des Stuttgarter Hauptbahnhofs ist zudem zu entnehmen, dass allein in der Zeit von 18.45 bis 19.00 Uhr acht Zugankünfte und elf Zugabfahrten - mithin 19
Zugbewegungen in 15 Minuten - im Stuttgarter Hauptbahnhof (ohne Berücksichtigung des S-Bahn-Verkehrs) mit dem entsprechenden Personenaufkommen zu erwarten sind (in der Zeit von 19.00 Uhr bis 19.30 Uhr folgen weitere
neun Ankünfte und 16 Abfahrten). Dieses Reiseaufkommen drängt in Zusammenschau mit dem durch den Aufzug bedingten Personenaufkommen die Befürchtung erheblicher Einschränkungen der Sicherheit und Funktionsfähigkeit
des Bahnhofsbetriebes geradezu auf. Dies gilt umso mehr, als in Anbetracht der Geschehnisse und Erfahrungen der vergangenen Wochen davon auszugehen sein dürfte, dass die von der Antragstellerin angegebene Anzahl von 1.000
Teilnehmern durch eine aktuell verstärkt festzustellende Mobilisierung von Projektgegnern überschritten wird. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Teilnehmerzahlen der letzten Montagsdemonstrationen, bei denen die
angemeldete Teilnehmerzahl von 1.000 Personen nach Angaben des Veranstalters deutlich überschritten wurden.
Die drohenden Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Bahnhofsbetriebes dürften auch nicht dadurch abgemildert werden, dass der Aufzug nur von begrenzter zeitlicher Dauer sein wird. Dass der Aufzug - wie von der
Antragstellerin vorgetragen - lediglich „wenige Minuten" in Anspruch nehmen wird, ist bei lebensnaher Betrachtung ernsthaft zu bezweifeln. Der Zeitfaktor für einen Durchmarsch eines derart großen Personenaufkommens von
mindestens 1.000 Personen dürfte sich in Anbetracht der beträchtlichen Länge der Kopfbahnsteighalle sowie des Aufeinanderstoßens mit Reisenden, das (zumindest) zu verbalen Kontroversen und spannungsgeladenen
Konfliktsituationen führen und nur ein verlangsamtes Passieren der Halle ermöglichen dürfte, kaum auf einen Zeitraum von wenigen Minuten begrenzen lassen. Zudem ist ein zügiges „Durchmarschieren" des Aufzugs auch bereits
deshalb nicht zu erwarten, weil gerade das Hauptbahnhofsgebäude als symbolträchtiger Kern der Protestbewegung für die Demonstranten einen vorzugswürdigen Ort für ihre Meinungskundgabe darstellen und daher ein schnelles und
zügiges Verlassen nicht in ihrem Interesse liegen dürfte.
c) In Anbetracht der bereits aus den vorgenannten Gründen anzunehmenden erheblichen Gefährdungslage kann letztendlich offen bleiben, ob und in welcher Form zusätzlich Beeinträchtigungen des Entfluchtungs- und
Brandschutzkonzeptes der Beigeladenen zu befürchten sind. Die derzeit verfügbare Aktenlage lässt hierzu keine abschließende Beurteilung zu; das von der Beigeladenen hierzu in Auftrag gegebene Gutachten wird voraussichtlich erst
Mitte März vorliegen.
d) Das von der Antragstellerin des Weiteren herangezogene Argument, das Bahnhofsgebäude sei in der Vergangenheit auch durch andere Ereignisse, wie insbesondere der - mitunter geballten - Anreise von Fußballfans, in
vergleichbarem Maße belastet gewesen und es sei daher aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) eine Gleichstellung zu fordern, geht in der Sache fehl. Die Antragstellerin verkennt insoweit, dass diese
Personengruppen - auch bei der Einrichtung spezieller Sonderzügen zu Fußballspielen - durch ihre Anreise an den Bahnhof und den Weiterzug zum Stadion den Bahnhof grundsätzlich als Reisende für verkehrliche Zwecke nutzen. Die
gegebenenfalls auftretenden Behinderungen oder Belästigungen entstehen mithin im Rahmen der Nutzung des Bahnhofs zu Reisezwecken und nicht im Rahmen einer - bahnverkehrsfremden - Nutzung zu versammlungsrechtlichen
Zwecken. Zudem können die durch Fußballfans verursachten Störungen auch in ihrer Art und insbesondere in ihrem Ausmaß nicht mit den von dem geplanten Aufzug ausgehenden Störungen verglichen werden. Ebenso wenig als
Vergleichspunkt heranziehbar sind die von der Antragstellerin des weiteren angeführten Anlässe wie etwa der jährlich stattfindende Weihnachtsmarkt, verschiedenartige Ausstellungen oder sonstige Veranstaltungen im
Bahnhofsgebäude. Die Abläufe, die Gefahrenpotentiale und auch die Eigendynamik derartiger Veranstaltungen sind mit denen einer Großdemonstration, die zudem das Hauptbahnhofsgebäude nicht nur als rein neutralen
Veranstaltungsort nutzt, sondern die gerade von ihrem inhaltlichen Kern gegen den Bahnhof und die geplanten Baumaßnahmen gerichtet ist, nicht vergleichbar. Im Übrigen obliegt es der Deutschen Bahn AG im Rahmen ihrer
privatrechtlichen Gestaltungsfreiheit - ggf. auf der Grundlage entsprechender Risikobewertungen - derartige Veranstaltung in ihren Gebäuden anzubieten. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Beigeladenen auch in ordnungsrechtlicher
Hinsicht Versammlungen oder Aufzüge „auferzwungen" werden können.
Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass eine durch hinreichende Tatsachen belegte Gefahrenprognose erwarten lässt, dass der geplante Aufzug zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, die über das Ausmaß noch allgemein
hinzunehmender Belästigungen deutlich hinausgehen und die die Funktionsfähigkeit des Bahnbetriebes in besonderem Maß beeinträchtigen könnten.
III. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen und Störungen auch nicht durch ein weniger einschneidendes Mittel als dem Aufzugsverbot zu verhindern sein dürften. Die Kammer verkennt
insoweit nicht, dass unmittelbar zu erwartenden Gefährdungen aufgrund einer Versammlung oder eines Aufzugs primär durch Auflagen entgegenzuwirken ist. Die Untersagung einer Versammlung oder eines Aufzugs kommt als
ultima ratio grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, DVBl 1985, 1006 ff.).
In Fallkonstellationen wie der Vorliegenden wären dem Grunde nach Auflagen durchaus vorstellbar. Denkbar wären insoweit etwa Beschränkungen, die sicherstellen, dass von den Teilnehmern des Aufzugs keine Instrumente zur
Steigerung des Geräuschpegels mitgeführt werden und der Durchmarsch zügig und ohne Halt durchgeführt wird. Möglich wäre es auch, die Zahl der an dem Aufzug teilnehmenden Demonstranten zu beschränken und eine bestimmte
Verlaufsroute vorzugeben.
Das Gericht hält jedoch aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles und insbesondere den jüngsten Erfahrungen und Entwicklungen im Lauf der sog. „Montagsdemos" den Erlass von Auflagen für nicht praktikabel und durchsetzbar.
Eine Auflage hinsichtlich einer beschränkten Personenzahl für den durch den Hauptbahnhof verlaufenden Teil des Aufzug scheitert bereits daran, dass nach wie vor keine hinreichend belastbaren Angaben dazu vorliegen, welche
konkreten Teilnehmerzahlen für die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs (noch) hinnehmbar wären. Auch eine sinnvolle Beschränkung des Aufzugsweges erscheint aufgrund der Architektonik der Kopfbahnsteighalle kaum möglich,
wie bereits im Beschluss vom 06.02.2012 (5 K 379/12) im Einzelnen dargelegt; auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Darüber hinaus dürften sich Auflagen zur Verhinderung von Lärmbelästigungen ebenso wie zur Gewährleistung eines zügigen Durchmarschierens durch die Bahnhofshalle aufgrund der bereits unter Gliederungsziffer II. geschilderten
besonderen Umstände des vorliegenden Fall kaum als durchsetzbar erweisen. Insbesondere dürfte insoweit nur von einer geringen Einflussmöglichkeit seitens der Versammlungsleitung auszugehen sein. Dies gilt umso mehr, als
angesichts der aktuellen Emotionalisierung der Projektgegner aufgrund des Fortschreitens der Baumaßnahmen und der Fällung der Bäume im Mittleren Schlossgarten mitunter eine Verschärfung der Stimmung der Projektgegner
festzustellen ist. Nach der in den Behördenakten enthaltenen Stellungnahme des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 20.02.2012 wird eine zunehmende Radikalisierung und eine nur noch bedingte Lenkbarkeit und Ansprechbarkeit der
Versammlungsteilnehmer beobachtet. Untermauert wird dies durch den jüngsten Vorfall am 06.02.2012, an dem sich trotz des verfügten und im gerichtlichen Eilverfahren bestätigten Versammlungsverbotes eine größere
Ansammlung von Teilnehmern der Montagsdemonstration über das Verbot hinweggesetzt und sich gleichwohl im Bahnhofsgebäude versammelt hat.
Dass in Anbetracht all dieser Umstände die Einhaltung von Auflagen seitens der Versammlungsleitung durchgesetzt und hinreichend sichergestellt werden kann, ist für das Gericht nicht erkennbar. Der Erlass von Auflagen wäre
damit gegenüber dem Aufzugsverbot zwar ein milderes, aber kein ebenso geeignetes Mittel zur Bewältigung der bestehenden Gefahrenlage. Mithin dürfte sich das von der Antragsgegnerin erlassene Verbot für den durch das
Bahnhofsgebäude verlaufenden Teil des Aufzuges als rechtmäßig erweisen. Insbesondere führt das Verbot auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Rechte aus Art. 8 GG, schließlich bleibt der Antragstellerin
nicht nur die Durchführung der von ihr geplanten Versammlung in Stuttgart-Mitte von 18.00 - 18.45 Uhr unbenommen; es ist ihr zudem auch die Durchführung des im Anschluss geplanten Aufzuges ab 18.45 Uhr - lediglich unter
Aussparung der Wegführung durch das Hauptbahnhofsgebäude - möglich. Der verbotene Aufzug durch den Hauptbahnhof umfasst mithin im Verhältnis zur Gesamtveranstaltung am 05.03.2012 nur einen vergleichsweisen geringen
Teil der ansonsten zulässigen Veranstaltung. Durch die Zuweisung der alternativen Aufzugsstrecke unter Ziffer 2 der Verfügung ist zudem eine unmittelbare räumliche Nähe zum Hauptbahnhof gewährleistet, die ihrem Recht aus Art.
8 GG in hinreichendem Maß Rechnung trägt.
Schließlich besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, denn diese dient der Abwehr erheblicher Gefährdungen für die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des
Bahnhofsbetriebes als zentralem Verkehrsknotenpunkt Stuttgarts. ..."
***
„... Das Anhalten des Demonstrationszugs auf der Schanzenstraße Höhe Susannenstraße durch Polizeikräfte für ca. 20 Minuten (von ca. 14:40 Uhr bis 15:00 Uhr) war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten aus Art. 8
Abs. 1 GG verletzt.
Der Demonstrationszug wurde auf polizeiliche Veranlassung angehalten, da - so die im Anschluss daran erfolgten Lautsprecherdurchsagen (DVD-R/0719/10, Teilkopie von DIG/1716/06 - Bl. 190 d. A -, 00:50 - 1:33, 3:15 - 3:51;
DVD-R/0718/10, Teilkopie von DIG/1608/05 - Bl. 193 d. A. -, 2:00 - 2:50, 4:30 - 5:10; die Zeitangaben beziehen sich, wie auch bei folgenden Angaben, auf die angegebene abgespielte Zeit) - überlange Seitentransparente
festgestellt wurden. Der damit verbundene Eingriff in die Versammlungsfreiheit findet seine gesetzliche Grundlage nicht in dem allein in Betracht kommenden § 15 Abs. 3 VersG i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG, §§ 3 Abs. 1, 10 Abs. 1
SOG. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3 VersG, die ausdrücklich nur die Auflösung eines Aufzugs vorsieht, eröffnet durch die Bezugnahme auf Absatz 1 und die darin enthaltene Befugnis des Rückgriffs auf - auch landesrechtliche -
Befugnisse, die Abwehr von Gefahren durch polizeiliche Maßnahmen unterhalb einer Auflösung nach dem jeweiligen polizeilichen Landesrecht, vorliegend dem hamburgischen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1981, BVerwGE 64, 55, juris Rn. 35 ff., 37; Dietel, Gintzel, Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 15 Rn. 138 ff.). Die beschränkende Verfügung unter Ziffer 4 des angefochtenen
Bescheids war zum Zeitpunkt des Anhaltens des Demonstrationszugs zwar sofort vollziehbar. Die Verfügung kann - obwohl sich diese als rechtswidrig erwiesen hat (s.o. unter B. I.) - nicht mehr aufgehoben werden, da sich der
Verwaltungsakt inzwischen durch Zeitablauf erledigt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 113 Rn. 95). Im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist die durchgeführte polizeiliche
Maßnahme jedoch nur dann rechtmäßig, wenn auch die ihr zugrunde liegende Auflage rechtmäßig war. Erweist sich die Auflage - wie vorliegend - als rechtswidrig, so kann diese - trotz der im Zeitpunkt der Ausführung gegebenen
sofortigen Vollziehbarkeit - eine darauf gestützte polizeiliche Maßnahme nicht rechtfertigen (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, F 868).
Soweit der Zeuge B in der mündlichen Verhandlung erklärt hat (Protokoll v. 20.2.12, S. 16), er habe die Anordnung auch deshalb für erforderlich gehalten, weil es im Vorfeld Vermummungen und Knallkörperwürfe gegeben
habe, versteht das Gericht diese Aussage dahingehend, dass der Demonstrationszug ausschließlich wegen der festgestellten Transparentverstöße aufgestoppt wurde, bei Anordnung dieser Maßnahme aber auch die zuvor
gemeldeten Vermummungen und Knallkörperwürfe mit in die Erwägungen (z.B. zur Erforderlichkeit des Anhaltens des Demonstrationszugs) eingeflossen sind. Dies ergibt sich für das Gericht aus Folgendem:
Ausweislich der Meldungsübersicht, an dessen Richtigkeit das Gericht hinsichtlich der dort vermerkten Vorfälle keine Zweifel hat, hat sich der Aufzug um 14:17 Uhr in Bewegung gesetzt. Das Aufstoppen des Demonstrationszugs ist
dort für 14:41 Uhr vermerkt. Während dieser Zeit hat es vier Böllerwürfe gegeben (14:18 Uhr, 14:23 Uhr, 14:39 Uhr), die auf Polizeikräfte gerichtet gewesen sein sollen. Um 14:20 Uhr ist eine „vermehrte Vermummung im
Bereich des Lautsprecherwagens", gemeldet worden, um 14:23 Uhr erfolgte die Mitteilung, dass am Lautsprecherwagen bis zu 20 Personen vermummt sind. Um 14:24 Uhr erging die Aufforderung von „Brise 01", also von dem
Einsatzleiter Herrn B (vgl. zur Zuordnung der Kennung Brise 01: Aussage des Zeugen G, Protokoll v. 27.2.2012, S. 2), an den Aufzugsleiter, die mehrfache Vermummung zu unterbinden, verbunden mit dem Hinweis, dass sonst
der Aufzug aufgestoppt wird. Im weiteren Verlauf bis 14:41 Uhr ist keine weitere Vermummung gemeldet worden. Nach Aufstoppen des Demonstrationszugs ist um 14:42 Uhr zudem die Meldung des Zeugen B vermerkt, dass der
Aufzug aufgrund der Überlänge von Seitentransparenten aufgestoppt worden ist und Durchsagen erfolgen. Entsprechend diesen Durchsagen ist der Aufzug - wie bereits angeführt - ausschließlich im Hinblick auf die überlangen
Seitentransparente angehalten worden. Dem entspricht, dass - wie die Zeugen B und G bekundet haben (Protokoll v. 20.2.2012, S. 14 f.; Protokoll v. 27.2.2012, S. 4) - der Aufzug sich wieder fortbewegen konnte, sobald die
überlangen Transparente auf das nach der Auflage unter Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids zulässige Maß verkürzt worden waren. ..." (VG Hamburg, Urteil vom 01.03.2012 - 19 K 1460/08 - Anhalten einer Demonstration
- Kessel 8).
***
„... Der - sinngemäß gestellte - Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in
Münster zu führen, hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um
wesentliche Nachteile abzuwehren oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2,
294 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist insoweit, dass dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein
möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht auf Verpflichtung des Antragsgegners hat, dem Beigeladenen aufzugeben,
den Aufzug am 3. März 2012 nicht durch die K. -I. -Straße in Münster zu führen. Ein solcher Anspruch des Antragstellers ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 VersG, der spezifisch versammlungsrechtlichen Eingriffsgrundlage, noch
unmittelbar aus seinen Grundrechten.
Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG zu Lasten seiner Rechte oder Rechtsgüter vorliegen. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde die
Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit
der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des
Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Durch das Erfordernis
einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose.
Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt § 15 Abs. 1 VersG, dass die Prognose auf "erkennbaren Umständen" beruhen muss, also
auf Tatsachen, Sachverhalten und Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 77 ff.; st. Rspr.
Die vom Antragsgegner - ausgehend von der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffenden rechtlichen Einordnung des geplanten Aufzugs als durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte öffentliche
Versammlung - getroffene Prognose zu den möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers durch den Aufzug ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
Hiernach gibt es keine Hinweise darauf, dass von dem Aufzug unmittelbare Gefahren im vorgenannten Sinne für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, soweit der Antragsteller betroffen ist. Auch er selbst hat keine
konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Teilnehmer des von dem Beigeladenen veranstalteten Aufzuges am 3. März 2012 nicht Auflagen- und anmeldegemäß verhalten werden. Dem Hinweis auf allgemeine
Drohungen "der rechten Szene", "niemanden mit Samthandschuhen anzufassen", lassen sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen, dass von dem Aufzug Gefahren im vorbezeichneten Sinne ausgehen werden.
Die auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen und umfassenden polizeilichen Planungen und Vorbereitungen beruhende Einschätzung des Antragsgegners, dass einer potentiellen Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen von
Gegendemonstranten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die polizeilichen Einsatzmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen werde, so dass Gewalttätigkeiten
innerhalb des Rumphorstviertels nicht zu befürchten seien, hat der Antragsteller ebenfalls nicht durch entsprechenden glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag substantiiert in Zweifel gezogen. Die ordnungsgemäß angemeldeten
Gegendemonstrationen finden am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg, Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach sowie in der Innenstadt Münsters und damit nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung des
Antragstellers in der K. -I. -Straße statt. Über diese drei Gegenveranstaltungen hinaus sind für das Rumphorstviertel keine Gegendemonstrationen angemeldet worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht in der
Lage ist, Straftaten zu begegnen, die von einzelnen Teilnehmern der ordnungsgemäß angemeldeten Gegenveranstaltungen bzw. von etwaigen sich am 3. März 2012 im Rumphorstviertel ggf. unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht
aus § 14 VersG bildenden Gegendemonstrationen ausgehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies auch für die Befürchtung des Antragstellers, es könne im Bereich der K. -I. -Straße zu einer "Kessellage", die keine
Fluchtmöglichkeiten mehr erlaube, kommen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich gerade an diesem Ort Gegendemonstranten versammeln werden, um den von dem Beigeladenen angemeldeten Aufzug zu behindern, liegen nicht
vor. Sollten einzelne Teilnehmer der Gegenveranstaltungen jedoch tatsächlich versuchen, die K. -I. -Straße an den Einmündungen in den A-Weg und die I-Straße zu blockieren, ist es Aufgabe der Polizei, dies bereits im Ansatz zu unterbinden.
Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die seine Vermutung, es sei nicht gewährleistet, dass Kranken- und Feuerwehrwagen jederzeit sein Grundstück erreichen könnten (Beeinträchtigung des Rechts auf Leben
und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), erhärten. In der Bestätigung des Antragsgegners betreffend den vom Beigeladenen angemeldeten Aufzug wird letzterer darauf hingewiesen, dass Einsatzfahrzeugen der
Polizei, der medizinischen Dienste und der Feuerwehr jederzeit freie Durchfahrt zu gewähren ist. Die Veranstalter der angemeldeten Gegendemonstrationen, die am Bahnhof Münster Zentrum Nord, Ecke Piusallee/Hoher Heckenweg
sowie Ecke Hoher Heckenweg/Edelbach stattfinden sollen, erhielten denselben Hinweis. Darüber hinaus werden in Absprache mit der Stadt Münster befristet bestehende Einbahnstraßenregelungen aufgehoben und Sperrpoller entfernt
werden, um eine ungehinderte Durchfahrt von Rettungs- und medizinischen Diensten sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind weiterhin in der K. -I. -Straße - wie auch in anderen Straßen - mobile Verkehrsschilder aufgestellt worden,
die ein absolutes Halteverbot für den Zeitraum des Aufzuges anordnen. Sollten Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen tatsächlich eine Durchfahrt für Rettungswagen behindern, obliegt es der Polizei im Rahmen der
Gefahrenabwehr, die Durchfahrt notfalls zwangsweise durchzusetzen. Zudem besteht für die Rettungskräfte die Möglichkeit, die K. -I. -Straße von Osten über den A-Weg zu erreichen.
Die schließlich als Belastung verbleibende Beeinträchtigung seiner Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch die nicht verkehrsübliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke hat der
Antragsteller hinzunehmen mit Blick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, der es ausschließt, von Wohnbevölkerung freie Demonstrationsorte zuzuweisen. Solche Belästigungen, die unvermeidbar
aus der Massenhaftigkeit der Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgen und sich ohne Nachteile für den Veranstalter nicht vermeiden lassen, müssen ertragen werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den
Grundrechtsträgern - solange sie sich gesetzeskonform verhalten - das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Schon in diesem Sinne gebührt diesem Grundrecht in einem freiheitlichen
Staatswesen ein besonderer Rang. Es hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter zwingend
notwendig ist.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 61, 79; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 17; st. Rspr.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers stellt sich als geringfügig und vorübergehend dar, weil der Aufzug die K. -I. -Straße nur für eine relativ kurze Zeit betrifft.
Darüber hinaus wird ihm nach dem Schriftsatz des Antragsgegners am 3. März 2012 als Anwohner Durchlass gewährt werden, wenn dies in der aktuellen Einsatzsituation ohne Gefahren möglich ist.
Soweit der Antragsteller Rechtspositionen der Allgemeinheit bzw. der übrigen Anwohner des Rumphorstviertels - wie etwa die Behinderung der Zufahrt zu deren Häusern - geltend macht, kann § 15 Abs. 1 VersG von vornherein
keinen Anordnungsanspruch stützen.
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsteller auch nicht unmittelbar aus seinen Grundrechten einen Anordnungsanspruch herzuleiten vermag.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen, da der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt
hat, sich keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit - Stand Juli 2004 -). ..." (VG Münster, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 L 88/12)
***
„... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage zu einer von ihm angemeldeten Versammlung. Bei dem Antragsteller handelt es sich um eine als eingetragener Verein konstituierte
Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zum neuen Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) und die damit einhergehenden Folgen wendet. Anfang Januar 2012 meldete der
Antragsteller beim Antragsgegner die verfahrensgegenständliche Versammlung zum Thema „Nachtflugverbot am BBI in Schönefeld" an. Ausweislich der Anmeldung sollte diese an der G… beginnen und über den K… und die K…
zur Ecke B… führen, wo die Abschlusskundgebung vorgesehen war. Die Abschlusskundgebung würde unter diesen Umständen unmittelbar vor dem Haus B… stattfinden. Dabei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus, in dem unter
anderem die private Wohnung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, K…, liegt. Der Antragsteller plant, im Rahmen der ca. 30 minütigen Abschlusskundgebung kurze Reden zu halten, die jeweils durch Fluglärmsimulationen
unterbrochen werden sollen. Zweck der Versammlung sei es, dem Regierenden Bürgermeister für eine halbe Stunde an seinem privaten Wohnumfeld zu verdeutlichen, was die Teilnehmer der Versammlung infolge einer maßgeblich
von ihm getragenen Entscheidung künftig über Jahrzehnte hinweg an ihrem privaten Wohnort zu erdulden hätten.
Nachdem der Antragsgegner wegen der angemeldeten Versammlungsstrecke Bedenken gegenüber dem Antragsteller geltend gemacht hatte, kam es zwischen den Beteiligten am 18.01.2012 zu einem Kooperationsgespräch, in dessen
Verlauf dem Antragsteller auch alternative Routen und insbesondere Orte für die Abschlusskundgebung angeboten wurden, etwa der A…, der O…, der F… und das Rote Rathaus. Mit Schreiben des jetzigen
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 30.01.2012 lehnte jener eine alternative Routenführung ab. Unter dem 06.02.2012 übermittelte der Polizeipräsident in Berlin daraufhin dem Antragsteller ein als
„Anmeldebestätigung und Auflagenbescheid" betiteltes Schreiben. Darin wird unter Auflagen zu Ziffer 1 ausgeführt, dass der Aufzug an der Kreuzung K… Ecke W… mit einer Abschlusskundgebung zu beenden sei. Eine
Weiterführung des Aufzuges mit einer anschließenden Abschlusskundgebung auf der Kreuzung K… Ecke B… werde untersagt. Als Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass das Versammlungsrecht des
Antragstellers hinter dem Persönlichkeitsrecht des Regierenden Bürgermeisters als Privatperson zurückzustehen habe, da auch und gerade jenem ein unantastbarer privater Bereich zustehe, in den er sich zurückziehen könne und in
dem die Umwelt keinen Zutritt habe, ihn insbesondere nicht psychischem Druck durch Einwirkung auf seine Privatsphäre aussetzen dürfe. In dem Schreiben wurde zudem die sofortige Vollziehung der Auflagen verfügt.
Gegen die die Streckenführung des Aufzuges einschränkende Verfügung hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 10.02.2012 Widerspruch erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er macht geltend, die
Beschränkung seiner geplanten Versammlung verstoße gegen sein Recht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 des Grundgesetzes (GG) und sei nicht durch § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) gedeckt. Vorliegend
habe der geplante Ort der Abschlusskundgebung einen unmittelbaren Bezug zu dem Anliegen des Antragstellers, da es gerade darum gehe, die Folgen politischen Handelns für den privaten Bereich der Teilnehmer der Versammlung
im privaten Bereich eines Entscheidungsträgers darzustellen. Durch die nur 30-minütige Dauer und die Freihaltung der nördlichen Richtung der B… würde zudem keine Belagerungssituation entstehen. Schließlich seien die damit
gleichwohl verbundenen Beeinträchtigungen hinsichtlich Dauer und Intensität hinzunehmen, da diese Versammlungen immanent seien und beispielsweise von Bewohnern der Mitte Berlins auch regelmäßig ertragen werden müssten.
Sofern in der „Auflage" eine Auflage im Rechtssinne zu sehen sei, sei jedenfalls der Hilfsantrag zulässig und begründet.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 10.02.2012 gegen die „Auflage" zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom 06.02.2012 wiederherzustellen, hilfsweise,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller unter teilweise Aufhebung der „Auflage" zu Ziff. 1 der vorbenannten Verfügung eine Weiterführung des Aufzuges die K… entlang über die
W… hinaus mit einer anschließenden Abschlusskundgebung auf der Kreuzung K… Ecke B… zu erlauben. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er verteidigt den Bescheid unter Bezugnahme auf dessen
Begründung und trägt ergänzend vor, den versammlungsrechtlichen Belangen des Antragstellers sei in Abwägung zum Schutz der Privatsphäre des Regierenden Bürgermeisters hinreichend Rechnung getragen, indem die angemeldete
Wegstrecke so dicht wie möglich an dessen Wohnsitz ermöglicht worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat im aus dem Tenor er-sichtlichen Umfang Erfolg. Der nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ist im Wesentlichen begründet.
Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt
das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen
Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.
Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
voraussichtlich überwiegend erfolgreich.
Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenab-wehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG basierende, formell rechtmäßige Auflage
erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verbürgte Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit dar.
Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985,
2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine
Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Zwar besteht vorliegend bei Durchführung der Versammlung in der vom Veranstalter geplanten Art und Weise eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die vom Beklagten deshalb erlassene
Auflage erweist sich aber als nicht verhältnismäßig.
Die Absicht des Veranstalters, dem Regierenden Bürgermeister unmittelbar vor seiner privaten Wohnung die möglichen Folgen seiner politischen Entscheidungen zum Flughafen BBI zu verdeutlichen, begründet eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Denn die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v.
25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99). Vorliegend käme es jedenfalls bei der geplanten Abschlusskundgebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
GG geschützten Persönlichkeitsrechts von Herrn Wowereit.
Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 17.12.2004 - VG 1 A 325.04; bestätigt durch OVG Berlin, Beschluss v. 17.12.2004 - OVG 1 S 82.04; vgl. ferner VG Berlin, Beschluss v.
09.01.2003 - VG 1 A 7.03; Beschluss v. 12.08.1994 - VG 1 A 315.94; Beschluss v. 20.01.1989 - VG 1 A 16.89), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit
willen einen "Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris). Dieser jedem
Bürger zustehende unantastbare private Bereich gebührt auch und gerade den herausgehobenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: Sie stehen unter der ständigen Beobachtung der Öffentlichkeit und haben die Schärfen und
Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes im Interesse der Kraft und Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist, grundsätzlich hinzunehmen. Umso mehr
bedürfen sie andererseits des wirksamen Schutzes ihrer Privatsphäre, zu der vor allem der räumlich-gegenständliche Bereich der Privatwohnung zählt; dort müssen sie neue Kraft schöpfen können, um in ihrem Amt oder in ihrer
Funktion zu bestehen. Der danach gebotene Schutz fordert auch das Freihalten der unmittelbaren Umgebung der Privatwohnung von solchen Kundgebungen von einiger Dauer, die der aktiven Teilnahme am politischen Meinungs- und
Willensbildungsprozess dienen und Bezug zur öffentlichen Tätigkeit des Betroffenen haben; denn diese würden einen unmittelbar auf seinen privaten Bereich wirkenden, mit dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu
vereinbarenden psychischen Druck erzeugen (vgl. OVG Koblenz, Beschluss v. 24.05.1986 - 7 B 36/86, NJW 1986, 2659, 2660 m.w.N.; ebenso VGH Kassel, Beschluss v. 07.12.1993 - 3 TG 2347/93, NJW 1994, 1750; VGH München,
Beschluss v. 17.02.1995 - 21 CS 95.616, BayVBl. 1995, 528, 529 f.; VGH München, Beschluss v. 02.10.2000 - 24 ZS 00.2881, zit. nach juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 10.09.1987 - 1 BvR 1112/87, NJW 1987, 3245).
Der Antragsgegner war angesichts dieser Maßstäbe zur Vermeidung einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Herrn W… dazu verpflichtet, im Rahmen seines Ermessens zur Vermeidung einer durch die
Versammlung eintretenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beide Grundrechtspositionen nach Maßgabe der sogenannten praktischen Konkordanz und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit miteinander in
Einklang zu bringen (vgl. VGH München, Beschluss v. 17.02.1995 - 21 CS 95.616, BayVBl. 1995, 528, 530). Danach ist die Untersagung einer Abschlusskundgebung auf der Kreuzung B… Ecke K… unmittelbar vor dem Wohnhaus
von Herrn W… gerechtfertigt. Durch die derart durchgeführte Versammlung würde eine psychische Drucksituation im privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters geschaffen, die sein grundgesetzlich verbürgtes Recht auf
freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht hinreichend berücksichtigte. Denn eine Abschlusskundgebung unmittelbar vor dem Wohnhaus von Herrn W… käme - selbst wenn die B… in Richtung Norden verlassen werden könnte -
einer Belagerung gleich. Um einen derartigen Eindruck beim Betroffenen zu erzeugen, bedarf es keinesfalls einer - unter Umständen bereits den Straftatbestand der Nötigung erfüllenden - „Einkesselung" im Sinne eines geschlossenen,
undurchdringbaren Bandes von Versammlungsteilnehmern. Denn eine solche auf die rein physische Wirkung abzielende Betrachtung blendete die psychische Drucksituation aus. Für die Annahme einer derartigen psychischen
Belagerungssituation genügt es vielmehr, dass der Betroffene sich beim Aufsuchen und Verlassen des Hauses dem durch die Versammlung vermittelten Eindruck nicht entziehen könnte (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 09.01.2003 - VG
1 A 7.03). Bei Abwägung der betroffenen Belange hat folglich das Versammlungsrecht des Antragstellers hinter dem Persönlichkeitsrecht von Herrn W… insoweit zurückzustehen, als eine Abschlusskundgebung am angemeldeten Ort
direkt vor dessen Wohnhaus nicht in Betracht kommt.
Die Auflage schränkt das Versammlungsrecht des Antragstellers indes über Gebühr unter Verletzung des Gebots praktischer Konkordanz und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein. Denn bei Anwendung der Auflage würde dieses
Recht, das auch als kollektive Seite der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu verstehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396), seinem kommunikativem Ansinnen beraubt. Es
geht dem Antragsteller vorliegend gerade darum, dem Regierenden Bürgermeister für eine halbe Stunde an seinem privaten Wohnumfeld zu verdeutlichen, was die Teilnehmer der Versammlung infolge einer maßgeblich von ihm
getragenen Entscheidung künftig über Jahrzehnte hinweg an ihrem privaten Wohnort zu erdulden haben. Dieser Versammlungszweck ist durch ein weiträumiges Fernhalten der Versammlung vom privaten Wohnumfeld des
Regierenden Bürgermeisters schlicht nicht zu verwirklichen. Insbesondere würde durch die als Schallschutz fungierende Blockrandbebauung im Bereich des vom Antragsgegner vorgesehenen Abschlusskundgebungsortes vermutlich
jeglicher vom Antragsteller zu Demonstrationszwecken produzierte Lärm von dem privaten Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters ferngehalten werden. Eine derart weitgehende Beschränkung des Versammlungsrechtes des
Antragstellers ist im Wege der praktischen Konkordanz aufgrund des Persönlichkeitsrechtes von Herrn W… aber nicht geboten. Insofern ist dem Versammlungsanliegen des Antragstellers, die Auswirkungen politischer
Entscheidungen auf das private Wohnumfeld zu verdeutlichen, besonderes Gewicht beizumessen. Anders als bei Versammlungen, die keinen unmittelbaren Bezug zu dem privaten Bereich aufweisen (vgl. etwa VG Berlin, Beschluss v.
09.01.2003 - VG 1 A 7.03 zu einer Versammlung von Polizeischülern wegen der Übernahme in den Polizeidienst), ist nach Auffassung der Kammer vorliegend eine derart starke Beziehung zwischen dem Kommunikationsanliegen
und dem privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters gegeben, dass jener, ohne dass dadurch eine unmittelbare Anprangerung direkt vor seinem Wohnhaus zulässig wäre, jedenfalls eine akustische Beeinträchtigung seines
Wohnumfeldes für die begrenzte Zeit von 30 Minuten zu dulden hat. Dies rechtfertigt aus Sicht der Kammer eine Verlegung des Ortes der Abschlusskundgebung in die B… Ecke …. Dadurch dürfte der Abstand zu der Wohnung von
Herrn W… ungefähr genauso groß sein, wie bei dem vom Antragsgegner vorgesehenen Ort der Abschlusskundgebung. Anders als in der K… Ecke W… ist der Abstandsbereich zwischen dem von der Kammer vorgesehenen Ort der
Abschlusskundgebung und der Wohnung von Herrn W… aber nicht durch Bebauung versperrt. Dadurch ist sichergestellt, dass jedenfalls eine akustische Verdeutlichung des Kommunikationsanliegens des Antragstellers erfolgen kann.
Angesichts des veränderten Abschlussortes war durch die Kammer auch die Routenführung entsprechend anzupassen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 21.02.2012 - 1 L 37.12)
***
Zum Verbot des Tragens und Mitsichführens von sog. „Guy-Fawkes-Masken" bei einer Versammlung (VG Regensburg, Beschluss vom 10.02.2012 - RO 9 E 12.257):
„... Das Verfahren ist demnach einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
entscheiden. Der Billigkeit entsprach es, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, der Antragstellerseite brauchte daher keine weitere Frist für eine Stellungnahme zur zu treffenden Kostenentscheidung eingeräumt werden.
a) Dem liegt folgender bisheriger Sachstand zugrunde:
Der Antragsteller zu 2) hat bei der Antragsgegnerin für Samstag, 11. Februar 2012, eine Versammlung unter dem Motto „Stop Acta!" angemeldet. Als Versammlungsgegenstände wurden im Laufe des Verfahrens u.a. sog.
„Guy-Fawkes-Masken" genannt.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigte die Antragsgegnerin den Eingang der Anzeige der geplanten Versammlung und traf verschiedene Festlegungen. Im Sachverhalt ist angemerkt, dass das Bayerische Staatsministerium des
Innern zur Problematik der „Guy-Fawkes-Masken" dahingehend Stellung genommen habe, dass die Masken unter das Vermummungsverbot fielen. Am Bescheidsende ist unter „Hinweise" angemerkt, dass auf das
Vermummungsverbot des Art. 16 Abs. 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) hingewiesen werde.
Mit am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag (Ziffer 1), im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, hinsichtlich der
von der Antragstellerin zu 1) organisierten Kundgebung am 11.02.2012 in Regensburg beginnend um 14.00 Uhr, eine Ausnahme von Artikel 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG dahingehend zuzulassen, dass auf der Kundgebung das
Mitsichführen und Tragen von Guy-Fawkes-Masken vor dem Gesicht erlaubt ist. Daneben wurden insgesamt vier weitere Anträge hilfsweise gestellt. Wegen der vorgetragenen Gründe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes Bezug genommen.
Hierzu gehört, teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit Telefax vom 10. Februar 2012 mit, dass sie die unter Ziffer 1 des Schriftsatzes der Antragsteller vom 10. Februar 2012 begehrte Ausnahme von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2
BayVersG zulasse.
b) Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat die Antragsgegnerin dem Begehren aus Gründen abgeholfen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Schon dies spricht nach Billigkeitsgesichtspunkten dafür, die Kosten des Verfahrens
ihr aufzuerlegen.
c) Ungeachtet dessen ist nach dem zugrunde zu legenden Streitstand davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin voraussichtlich unterlegen wäre und ihr auch deshalb die Kosten aufzuerlegen sind. Der Antrag wäre nämlich nicht nur
nach § 123 VwGO in Form einer Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig gewesen, sondern zumindest bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet. Es spricht nämlich einiges dafür, dass ein
Anordnungsanspruch hinsichtlich des Hauptantrags gegeben gewesen wäre.
Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hatte, hatte die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden. Im Laufe des Verfahrens war
von Veranstalterseite offenbar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass als Versammlungsgegenstände „Guy-Fawkes-Masken" geplant sind. Zwar müssen Masken nicht zwangsläufig vor dem Gesicht getragen werden, nach Art.
16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG ist aber bereits das Mitsichführen von Gegenständen verboten, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Bereits deshalb hätte für
die Antragsgegnerin Anlass bestanden, die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG von Amts wegen zu prüfen, ein Antragsvorbehalt ist im Gesetz nicht enthalten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz,
16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34).
Bei summarischer Prüfung wäre wohl auch davon auszugehen gewesen, dass die von Antragstellerseite vorgesehenen Masken beim Tragen vor dem Gesicht unter das Vermummungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG
fallen und daher nicht ohne Erteilung einer Ausnahme getragen werden dürfen. Danach ist es kraft Gesetzes verboten, an Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung
teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG fällt grundsätzlich „jedes Mittel, mit dem die Unkenntlichmachung oder das
Verbergen der Gesichtszüge erreicht wird. Dies kann durch Bemalen, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird durch Verkleidung oder Maskierung,
insbesondere durch Aufsetzen von Gesichtsmasken (…) erreicht" (so zu § 17a Abs. 2 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes des Bundes als vergleichbarer Regelung Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 17a VersG, Rn. 7, zitiert
nach BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2006, Az. 24 CS 06.314 <juris>). Die Vermummung ist gesetzlich grundsätzlich verboten, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten
erfahrungsgemäß durchaus in Zusammenhang stehen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) <juris> zu den Motiven des Bundesgesetzgebers für die vergleichbare Regelung in § 17a Abs. 2 Nr. 1
des Versammlungsgesetzes des Bundes, die auch für die entsprechende Regelung im BayVersG angenommen werden können). Die zuständige Behörde kann aber nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG Ausnahmen von diesen Verboten
zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu besorgen ist.
Die streitgegenständlichen Masken haben offenbar eine Größe, mit der der gesamte Gesichtsbereich verdeckt werden kann; die Masken sind damit zumindest im Falle des Tragens vor dem Gesicht geeignet, dieses so zu verhüllen, dass
eine Identifizierung des einzelnen Teilnehmers nicht mehr möglich ist. Neben dieser objektiven Eignung muss allerdings die Aufmachung den Umständen nach auch darauf gerichtet sein, die Identifizierung zu verhindern. Davon ist
bei den sog. „Guy-Fawkes-Masken" auszugehen, die offenbar zum Sinnbild der Anonymität als Deckmantel für revolutionäre Aktionen wurden und speziell bei der Anonymous-Bewegung gerade dazu dienen, die Forderung nach
Anonymität und entsprechender Bewegungsfreiheit im Internet symbolhaft auszudrücken. Mit den Masken soll daher bei der beabsichtigten Versammlung gerade auch eine Anonymität der Versammlungsteilnehmer hergestellt, mithin
eine Identifizierung verhindert werden. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7.
Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) <juris> m.w.Nachw.).
Wenn man davon ausgeht, dass das Tragen der „Guy-Fawkes-Masken" dem Vermummungsverbot unterfällt, so wäre die Versagung eines dann erforderlichen Dispenses angesichts der verfassungsrechtlichen Dimension nur unter sehr
engen Voraussetzungen zulässig gewesen; eine derartige Entscheidung muss die verfassungsrechtlichen Positionen der Antragsteller insbesondere in Bezug auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit in besonderer
Weise würdigen und mit den von der Antragsgegnerin zu vertretenden öffentlichen Sicherheitsbelangen miteinander und untereinander gerecht abwägen. Die Prognose, ob eine die Erteilung einer Ausnahme ausschließende
Gefährdung gegeben sein kann, ist auf hinreichend sichere Tatsachen zu stützen; fehlen solche Erkenntnisse, wird das Ermessen regelmäßig in Richtung auf Erteilung des Dispenses reduziert sein, hiervon abweichender
Ermessensgebrauch wäre nicht grundrechtsfreundlich (vgl. Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 <beck-online>). Die zuständige Behörde hat nach
Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34 immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hat.
Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen
vermitteln soll. Vorliegend mag zwar nicht auszuschließen sein, dass öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt werden, ein mehr als nur geringer Umfang war im maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht erkennbar. Eine hinreichend
belastbare, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose durch die Polizei, die auf eine andere Beurteilung hinführen würde, ist nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Polizei im Rahmen des Kooperationsgesprächs offenbar zu
erkennen gegeben, vorliegend keine sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen die Masken zu haben. Auch die Antragsgegnerin selbst hat offenbar anerkannt, dass die im die Versammlung tragenden Bündnis zusammengefassten
Organisationen und Gruppierungen vor Ort nicht durch Gewalt oder Ähnliches aufgefallen seien. Zwar ist zuzugeben, dass mit den Masken eine Identifizierung verhindert bzw. es zumindest erleichtert werden kann, das Gesicht
schnell zu verhüllen, und so womöglich Straftaten zu begehen, ohne identifiziert werden zu können; auf der anderen Seite könnte - wer es darauf anlegen wollte - auch ohne weiteres andere geeignete Gegenstände mit sich führen, um
dann sein Gesicht zu verhüllen; dabei ist es unerheblich, ob derartige Gegenstände zunächst verdeckt oder angesichts der im Versammlungszeitpunkt voraussichtlich herrschenden Temperaturen auch offen mitgeführt werden, Schals,
Mützen oder ähnliche wärmende Kleidungsstücke sind von der Versammlungsbehörde ja nicht verboten worden. Daher scheint es vorliegend angesichts der Gefahrenprognose für die konkrete Veranstaltung nicht gerechtfertigt
gewesen zu sein, das Kundgebungsmittel des Tragens und Mitsichführens von „Guy-Fawkes-Masken" verboten sein zu lassen. Dies hat die Antragsgegnerin offenbar inzwischen erkannt und dementsprechend tatsächlich noch
Ausnahmen von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zugelassen.
Zusammenfassend ist damit zumindest bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte (über die weiterhin gestellten Hilfsanträge wäre daher nicht mehr zu
entscheiden gewesen). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass dies freilich nicht bedeutet, dass diese Ausnahmen vorbehaltlos erteilt werden müssten. Vielmehr ist etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall zu denken, dass die
friedliche Qualität der Versammlung verloren geht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34), unabhängig davon, ob dies aus Gründen erfolgt, die im Tragen oder Mitsichführen der Masken
ihre Ursache haben, oder aus anderen Gründen.
Ein Anordnungsgrund bestand angesichts des für den 11. Februar 2012 geplanten Versammlungstermins ohne Weiteres. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre hier im Lichte des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden
Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ausnahmsweise zulässig gewesen, weil anderenfalls ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff). ..."
***
Zu den Voraussetzungen eines Versammlungsverbots unter Berufung auf einen polizeilichen Notstand. Zur Verfügbarkeit von Polizeikräften für besondere Lagen (Versammlungen) in Niedersachsen (VG Hannover, Urteil vom
21.12.2011 - 10 A 3507/10):
„... Der Kläger wendet sich gegen ein Versammlungsverbot. Der Kläger, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) tätig ist, hatte am 10.02.2010 für den 14.08.2010 eine Versammlung in Bad Nenndorf angemeldet, welche sich
gegen einen am selben Tag stattfindenden und von dem Anmelder A. - dem Beigeladenen - so bezeichneten ‚Trauermarsch' unter dem Motto ‚Gefangen, Gefoltert, Gemordet - Damals wie heute - Besatzer raus' richten sollte. Die
Anmeldungen dieser beiden Versammlungen hatte der Beklagte zunächst mit Bescheiden vom 26.07.2010 (Aufzug Schultz) und 29.07.2010 (Aufzug des Klägers) unter Verfügung von Auflagen und einer jeweils verkürzten
Aufzugsstrecke bestätigt. Mit Bescheiden vom 11.08.2010 verbot der Beklagte unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26.07. und 29.07.2010 die Versammlungen des Klägers sowie des Beigeladenen. Zur Begründung führte er in dem
an den Kläger gerichteten Bescheid im Wesentlichen aus, die aktuelle Lageentwicklung seit Erlass der Versammlungsbestätigung habe zu einer Neubewertung der bisherigen Gefahrenprognose geführt. Danach lägen die
Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vor, denn der Polizei stünden am 14.08.2010 nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Einsatzlage zu bewältigen. Eine neue Kräftebedarfseinschätzung ergebe einen zusätzlichen
Bedarf von fünf Einsatzhundertschaften, welcher vom Ministerium für Inneres und Sport (nachfolgend: Innenministerium) auch nach einer Bund-Länder-Abfrage nicht gedeckt werden könne. Die Mobilisierungen im rechts- und
linksextremistischen Spektrum hätten deutlich zugenommen, so dass nicht nur von einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmern insgesamt, sondern auch von einem erheblich größeren Anteil gewaltbereiter Teilnehmer auszugehen
sei. Nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen seien bei der Durchführung der Versammlung des Klägers schwere Ausschreitungen und damit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen zu erwarten. Gegen diesen Bescheid hat
der Kläger am 12.08.2010 Klage erhoben.
Seinen zugleich gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (10 B 3508/10) hat das Gericht mit Beschluss vom 12.08.2010 abgelehnt. Auf den entsprechenden Antrag des Beigeladenen hat es die aufschiebende Wirkung von
dessen Klage gegen die Verbotsverfügung des Beklagten wiederhergestellt (10 B 3503/10). Auf die Beschwerde des Klägers hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht alsdann mit Beschluss vom 13.08.2010 die
aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers insoweit wiederhergestellt, als eine stationäre Versammlung des DGB in Bad Nenndorf möglich sein sollte. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht außerdem die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Gerichts in dem Verfahren des Beigeladenen zurückgewiesen.
Die stationäre Versammlung des Klägers sowie der Aufzug des Beigeladenen fanden am 14.08.2010 ohne größere Zwischenfälle statt. Ausweislich eines Berichts der Polizeidirektion Göttingen vom 17.08.2010 an das
Innenministerium zur Beantwortung einer dringlichen Anfrage im Niedersächsischen Landtag waren in Bad Nenndorf an diesem Tag 1.183 Polizeikräfte aus Niedersachsen und 806 Polizeikräfte aus anderen Bundesländern und von
der Bundespolizei im Einsatz. Die Kundgebung des Klägers fand mit etwa 900 Teilnehmern statt, der Aufzug des Beigeladenen umfasste etwa 1.000 Teilnehmer, von denen 60 bis 100 Personen von der Polizei den Autonomen
Nationalisten zugeordnet wurden. Außerdem wurden etwa 300 Linksautonome in Bad Nenndorf festgestellt, welche wiederholt versuchten, die polizeilichen Sperrstellen entlang der Route des sogenannten ‚Trauermarsches' zu durchbrechen.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage geführten Klage vor, sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Wiederholungsgefahr, bei entsprechenden Anlässen erneut mit einem
Versammlungsverbot belegt zu werden. Darüber hinaus ergebe sich das Feststellungsinteresse aus der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit. Die Tatsachengrundlage, die der Beklagte seiner Verbotsverfügung zugrunde
gelegt gehabt habe, sei nicht ausreichend festgestellt gewesen. Die kurzfristig geänderte Gefahrenprognose habe nicht überzeugen können, denn sie habe ausschließlich auf abstrakten Erwägungen beruht, die einer
Tatsachenüberprüfung nicht standhielten. Die als neu angeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes seien allesamt nicht neu gewesen. So seien die vom Beklagten zitierten Aufrufe im Internet älteren Datums gewesen und hätten
bereits Grundlage der ursprünglichen Gefahrenprognose sein müssen. Belege für seine Behauptungen habe der Beklagte nicht vorgelegt. Bloße Vermutungen reichten aber als Grundlage für eine Gefahrenprognose nicht aus.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Versammlungsverbot vom 11.08.2010 rechtswidrig war. Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe seiner Verbotsverfügung, die Feststellungsklage abzuweisen.
Ergänzend führt er aus, die Verfügung habe sich entgegen der Einschätzung des Klägers auf die Entwicklung der Teilnehmer- und Störerprognose ab dem 05.08.2010 gestützt. ...
Mit Beschluss vom 16.11.2010 hat das Gericht den Beklagten, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium aufgefordert, sämtliche die Versammlungen in Bad Nenndorf am 14.08.2010 betreffenden Vorgänge vorzulegen.
Daraufhin haben der Beklagte, die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, die Polizeidirektion Göttingen und das Innenministerium zahlreiche Unterlagen übersandt. Die Abteilung 6 des Innenministeriums - der Verfassungsschutz,
seit 01.12.2011 Abteilung 5 - hat allerdings nicht sämtliche bei ihr angefallenen Vorgänge vorgelegt und hinsichtlich der nicht vorgelegten Unterlagen unter dem 18.01.2011 eine Sperrerklärung abgegeben. Das Gericht hat mit
Beschluss vom 04.04.2011 die Aufforderung an den Verfassungsschutz erneuert. Unter dem 29.04.2011 hat der Verfassungsschutz an seiner Sperrerklärung festgehalten. Auf Antrag des Beklagten hat das Gericht mit Beschlüssen vom
01.06.2011 die Akten des vorliegenden sowie die des parallelen Verfahrens des Beigeladenen (10 A 3502/10) dem zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt, ob die
Verweigerung der Vorlage der vom Gericht angeforderten Vorgänge rechtmäßig sei. Mit Beschlüssen vom 15.08.2011 hat der zuständige Fachsenat die Weigerung des Innenministeriums als rechtmäßig festgestellt (14 PS 1 und 2/11).
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 16.12. und 21.12.2011 Beweis erhoben über die Ermittlung der Zahl von Links- und Rechtsextremisten, die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf erwartet worden waren und die
Ermittlung der Zahl der Polizeikräfte, die für den Einsatz erforderlich gewesen waren und die für den Einsatz zur Verfügung gestanden hatten, durch Vernehmung des Verfassungsschutzvizepräsidenten B. } vom Innenministerium -
Abteilung 5, Verfassungsschutz -, des Polizeidirektors C. von der Polizeidirektion Göttingen, des Leitenden Polizeidirektors D. } von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, des Polizeidirektors E. } vom Innenministerium -
Abteilung 2, Landespräsidium für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz - und des Regierungsdirektors F. vom Innenministerium als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschriften
Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der in diesem und den Verfahren 10 A 3502/10, 10 A 3427/10 und 10 A 3410/10 vorgelegten Verwaltungsvorgänge des
Beklagten, der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, der Polizeidirektion Göttingen und des Innenministeriums verwiesen. Sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. ...
Zulässig ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Zwar ist mit dem Ablauf des 14.08.2010 - an dem der Kläger eine stationäre Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführt hatte - eine
Erledigung des ursprünglich angefochtenen Versammlungsverbots eingetreten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, wenn auch in
tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren nicht erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort insbesondere Rdnr. 27f; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris, dort Rdnr. 21).
Das für die Zulässigkeit insoweit erforderliche Feststellungsinteresse liegt im Falle des Klägers zunächst darin begründet, dass das Versammlungsverbot seine Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat.
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden wurde, denn ein
derartiger Eingriff ist die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 und juris, dort Rdnr. 37f). Gleiches gilt, wenn eine Versammlung
zwar durchgeführt werden konnte, aber nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert und dabei insbesondere die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (BVerfG, wie eben).
Dementsprechend ist auch für den Kläger eine schwerwiegende Beeinträchtigung seines Grundrechts anzuerkennen, da er mit der von ihm nach dem gerichtlichen Eilrechtsschutz durchgeführten stationären Versammlung nicht in
gleicher Weise wie in einem Aufzug seinem Anliegen Ausdruck verleihen konnte.
Darüber hinaus lässt sich ein Feststellungsinteresse des Klägers auch mit der Gefahr einer Wiederholung des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit begründen, da der Kläger in Zukunft weiterhin gegen die bis zum Jahr 2030
angemeldeten sogenannten ‚Trauermärsche' demonstrieren will und dabei - aufgrund der seit Jahren steigenden Störerzahlen - unter vergleichbaren Voraussetzungen wie 2010 der Erlass eines erneuten Versammlungsverbots durch
den Beklagten nicht ausgeschlossen ist.
Begründet ist die Klage, da das von dem Beklagten gegenüber dem Kläger erlassene Versammlungsverbot für den 14.08.2010 rechtswidrig war.
Als Rechtsgrundlage für den Erlass des Verbotes kam nur die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Niedersachsen noch geltende Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Danach konnte die zuständige Behörde eine Versammlung
oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung
oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet war.
Adressat von Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG war regelmäßig der Veranstalter der Versammlung oder des Aufzugs. Dies ergab sich zwar nicht aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, wohl aber aus dem Kontext der
gesetzlichen Regelung, dass der Veranstalter die Versammlung oder den Aufzug anzumelden hat (§ 14 VersG) und dem Grundsatz des Polizeirechts, dass der Verursacher einer Gefahr polizeipflichtig ist.
Der Kläger wurde jedoch von dem Beklagten nicht als Verursacher einer Gefahr angesehen, sondern - zu Recht - vielmehr als sogenannter ‚Nichtstörer' eingeordnet. Das den Kläger betreffende Versammlungsverbot hatte der
Beklagte mit dem Vorliegen eines polizeilichen Notstands begründet.
Diese seinerzeitige Annahme des polizeilichen Notstands durch den Beklagten stellt sich nach der Auswertung sämtlicher im Laufe des Hauptsacheverfahrens vorgelegter Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das Gericht
jedoch als rechtswidrig dar.
Die Staatsgewalt ist durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gehalten, die Ausübung des Grundrechts möglichst vor Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen und behördliche Maßnahmen primär gegen
die Störer zu richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Gegen die Versammlung selbst darf in solchen Fällen nur ausnahmsweise, und zwar nur unter den besonderen Voraussetzungen des sogenannten
polizeilichen Notstands eingeschritten werden (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 - mit weiteren Hinweisen zu verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, juris). Vorausgesetzt ist, dass es der Versammlungsbehörde
nach durch Tatsachen gesicherten Erkenntnissen auf andere Weise nicht möglich erscheint, eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anders als durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers abzuwehren
(vgl. jetzt § 8 Abs. 3 NVersG). Davon kann sie nur dann ausgehen, wenn sie in der zur Verfügung stehenden Zeit die zur Gefahrenabwehr erforderlichen (Polizei-) Kräfte nicht bereitstellen kann (vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel,
Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, § 15 Rdnr. 42; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 27.04.2010 - W 5 S 10.345 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 05.05.2009 - 20 L
650/09 -, juris). Für einen polizeilichen Notstand muss mit anderen Worten eine Gefahrenprognose vorliegen, die Grundlage einer Berechnung des Bedarfs an polizeilichen Kräften ist, welche den verfügbaren Kräften
gegenübergestellt einen Fehlbedarf ergibt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen hat sich das Gericht auf der Grundlage einer ex-ante-Betrachtung eine Überzeugung zu bilden (vgl. VG Dresden, Urteil vom 19.01.2011 - 6 K 366/10
-, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 16.03.2006 - 3 A 143/04 -, juris). Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands liegt - weil sie ihre Verbotsverfügung darauf stützt - bei der
Versammlungsbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris; Bay VGH, Beschluss vom 29.04.2010 - 10 CS 10.1040 -, juris; vgl. auch Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, S. 257 (263)).
Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung gegenüber dem Kläger die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Bezug auf die am 14.08.2010 in Bad Nenndorf
zu bewältigende Einsatzlage gegeben waren.
Ganz erhebliche Zweifel bestehen bereits in Bezug auf die Tragfähigkeit der Gefahrenprognose, die letztlich zur Annahme des polizeilichen Notstands geführt hatte.
Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Versammlungsbehörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Prognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen ist Aufgabe der
Gerichte; die Darlegungs- und (materielle) Beweislast liegt bei der beklagten Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung).
Davon ausgehend, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Auflagenbescheide an den Beigeladenen - am 26.07.2010 - und den Kläger - am 29.07.2010 - die Gefahrenlage offenbar noch als polizeilich beherrschbar galt, kann nur der
veränderte Kenntnisstand des Beklagten und der Polizei Anfang August 2010 Anlass für die Annahme des polizeilichen Notstands gewesen sein. Grundlage des Erlasses der Auflagenbescheide Ende Juli 2010 war eine für den
Beklagten verfasste Gefahrenprognose der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg vom 09.07.2010. Dieser Prognose zugrunde lag die Annahme sowohl der Staatsschutzstelle der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg als auch
deren Lage- und Führungszentrum, dass am 14.08.2010 mit 1.000 Teilnehmern einschließlich Autonomer Nationalisten an dem sogenannten ‚Trauermarsch', mit 1.500 Teilnehmern an dem Aufzug des Klägers und zusätzlich mit 200
Linksautonomen zu rechnen sein würde. Unter dem 09.08.2010 übermittelte die Polizeidirektion Göttingen dem Beklagten jedoch eine ‚ergänzende Gefahrenprognose' und regte aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung das
Verbot der Versammlungen des Klägers und des Beigeladenen an. Diese Anregung setzte der Beklagte mit den Verbotsverfügungen vom 11.08.2010 um.
Ob die maßgebliche Gefahrenprognose vom 09.08.2010 allerdings eine tragfähige Grundlage für die Verbotsverfügung bilden konnte, ist nach Auffassung des Gerichts in hohem Maße zweifelhaft. Die Gefahrenprognose fußte
maßgeblich auf Zahlen, welche der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem 04./05.08.2010 der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg zur Verfügung gestellt hatte. Danach erwartete der
Verfassungsschutz 250 Autonome Nationalisten und 400 bis 500 Linksautonome mit hohem Gewaltpotential. Diesen erheblichen Anstieg der Störerzahlen nachzuvollziehen, fällt dem Gericht auch nach Ausschöpfung aller
Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung schwer.
Ersichtlich waren es ausschließlich Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, welche zu der nachträglichen Korrektur der prognostizierten Zahlen geführt hatten. In den von der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion
Nienburg/Schaumburg vorgelegten Akten finden sich keinerlei Anhaltspunkte für eigene Erkenntnisse, die eine Änderung der Gefahrenprognose hätten stützen können. Dementsprechend hat sich auch der Zeuge G., der Leiter der
Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, in seiner Vernehmung dahingehend geäußert, dass die Zahlen ausschließlich vom Verfassungsschutz und nicht von der Staatsschutzstelle seiner Polizeiinspektion gemeldet worden seien.
Den schriftlichen Äußerungen des Verfassungsschutzes vom 05.08. und 06.08.2010 lassen sich jedoch kaum tatsächliche Anhaltspunkte entnehmen, die den gegenüber der Polizei angezeigten Anstieg der Störerzahlen erklären
könnten. Zu der Frage der potentiellen Störer aus dem rechten Spektrum heißt es in den Äußerungen sogar, es gebe ‚bisher … kaum konkrete Erkenntnisse über die Teilnehmerabsichten von Rechtsextremisten an dem Trauermarsch'
und ‚eine Teilnehmerzahl von 250' Autonomen Nationalisten sei zwar ‚realistisch', aber auch dazu lägen konkrete Erkenntnisse nicht vor. Bezüglich der Zahl der zu erwartenden linksautonomen Störer werden sodann zwar
Erkenntnisse im Einzelnen benannt. So werden die Unterzeichner des Blockadeaufrufs auf der Internetseite www.badnenndorf.blogsport.de aufgelistet und Vorbereitungs- und Informationsveranstaltungen aufgeführt, es wird auf zwei
weitere einschlägige Internetseiten verwiesen und das ins Internet eingestellte Mobilisierungsvideo ‚Antifa Sommerhits 2010 - 1000 mal blockiert' beschrieben. Diese Ausführungen werden dann in der Bewertung zusammengefasst,
dass nach der Einschätzung des Verfassungsschutzes etwa 400 bis 500 Angehörige der linksextremistischen Szene an der Demonstration - des Klägers - teilnehmen würden. Entnehmen lässt sich der Bewertung des
Verfassungsschutzes jedoch auch insoweit nicht, aus welchen konkreten Erkenntnissen für ihn welche Zahlen gefolgt waren, so dass der Schluss, die Prognose eines erhöhten Störerpotentials habe zu einem erheblichen Anteil auf
bloßen Vermutungen beruht, nicht fernliegt. Auch irritiert, dass der Verfassungsschutz in seinen Äußerungen von Anfang August 2010 ausschließlich Erkenntnisse anführt, die vor der von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg
unter dem 09.07.2010 erstellten ersten Gefahrenprognose angefallen waren.
Wie und warum der Verfassungsschutz Anfang August 2010 zu der Einschätzung gekommen war, die Zahlen der zu erwartenden Störer seien erheblich nach oben zu korrigieren, hat schließlich auch der Zeuge H. - Leiter des Referats
53 der Abteilung 5 des Innenministeriums (Rechtsextremismus/-terrorismus, Linksextremismus/ -terrorismus) - nicht in Gänze erhellen können. Aus dessen Ausführungen hat die Kammer zwar entnommen, dass der
Verfassungsschutz das Internet auswertet, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer erhält und auch über Informanten aus den Kreisen der Störer Informationen erlangt. In welchem Umfang und auf welchen
Wegen die Behörde allerdings für den 14.08.2010 an Anhaltspunkte gelangt war, die sie zu ihrer Einschätzung geführt hatten, und um welche Anhaltspunkte es sich dabei gehandelt hatte, ist weitestgehend ungeklärt geblieben. Allein
die Aussage, dass sich mit zunehmender zeitlicher Nähe zum Ereignis regelmäßig die Erkenntnisse über Mobilisierungsaufrufe und konkrete Teilnahmeplanungen verdichteten, dass also die Zahlen der zu erwartenden Störer konkreter
würden, je näher der Anlasstag rücke, vermag einen derartigen Anstieg der Zahlen nicht erschöpfend zu begründen. Eine Antwort auf die Frage nach konkreten Anhaltspunkten ist der Zeuge unter Hinweis auf die Einschränkung seiner
Aussagegenehmigung schuldig geblieben.
Weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht in diesem Verfahren nicht. Insbesondere ist ihm die Auswertung der vollständigen Akten des Verfassungsschutzes verwehrt. Die Weigerung des Innenministeriums,
die Akten vollständig vorzulegen und die aus diesem Grunde abgegebenen Sperrerklärungen des Innenministeriums vom 18.01.2011 und 29.04.2011 sind vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht als rechtmäßig festgestellt
worden und setzen vorliegend den Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts Grenzen (zur Amtsermittlung der Gerichte bei rechtmäßiger Verweigerung der Aktenvorlage und zu den Folgen der Unaufklärbarkeit des Vorliegens
wesentlicher Merkmale eines Eingriffstatbestandes vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 -, BVerwGE 131, 171).
Einer Entscheidung der Frage, ob die Gefahrenprognose hinsichtlich der Zahl der anreisenden Störer von genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten getragen wurde, bedarf es hier jedoch letztlich nicht, da die Beweisaufnahme
zumindest ergeben hat, dass die für die Verbotsverfügung maßgebliche Annahme eines polizeilichen Notstands in anderer Hinsicht einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält.
Ausgehend von den Zahlen, welche der Verfassungsschutz Anfang August 2010 mitgeteilt hatte, war die Polizei nach einer geänderten Bedarfsberechung zu dem Ergebnis gekommen, nicht genügend Polizeibeamte zur Verfügung zu
haben, um die Gefahrenlage beherrschen zu können. Nach der von der Polizeidirektion Göttingen unter dem 11.08.2010 erstellten und von Polizeivizepräsident I. gezeichneten ‚ Kräftekonzeption und Verfügbarkeit polizeilicher
Einsatzkräfte' (Bl. 136 ff. des von der Polizeidirektion Göttingen, Dezernat 12 - Leitlinien und Kräfte - übersandten Aktenordners, Beiakte N) waren von 2.500 benötigten Einsatzkräften nur 2.000 verfügbar, woraus sich ein Fehlbedarf
von 500 Beamten ergab.
Selbst unter Zugrundelegung der - vom Gericht angezweifelten - Gefahrenprognose vom 09.08.2010 und der hierauf fußenden Bedarfsberechnung hat die Annahme dieses Fehlbedarfs das Gericht nicht überzeugen können.
Zwar sind die Ordnungsbehörden nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme eines Nichtstörers eigene sowie
gegebenenfalls externe Polizeikräfte gegen die Störer einzusetzen, steht vielmehr unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Kräfte (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris). Das Verbot einer
Versammlung kann jedoch nur dann in Betracht kommen, wenn auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Polizei wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz Heranziehung externer
Polizeikräfte zum Schutz hoher Rechtsgüter nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dafür nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris; vgl. auch die Einschätzung des
Vizepräsidenten der Polizeidirektion Göttingen in seinem Schreiben vom 13.10.2010 an das Innenministerium, dass ‚ohne eine ausführliche Darlegung der Hinderungsgründe für eine Zuweisung der nachgeforderten fünf
Einsatzhundertschaften' … ‚eine nachträgliche Bestätigung der Verbotsverfügung nahezu ausgeschlossen' ist.).
Unter Auswertung des Inhalts der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die zur Beherrschung der prognostizierten
Gefahrenlage nach der polizeilichen Bedarfsberechnung zusätzlich benötigten 500 Beamten tatsächlich nicht verfügbar waren.
Aus den vom Innenministerium vorgelegten Verwaltungsvorgängen zur Einsatzplanung lässt sich ersehen, dass von Seiten des Ministeriums an die Zentrale Polizeidirektion in Niedersachsen, an die übrigen Bundesländer, die
Bundespolizei und an die Polizeidirektionen Niedersachsens herangetreten worden war, um über die der zuständigen Polizeidirektion Göttingen verfügbaren eigenen Beamten hinaus weitere Polizeikräfte anzufordern. Die Reihenfolge
der Anforderungen, wie sie sich aus den Vorgängen ergibt, ist von dem Zeugen J. auch nachvollziehbar erläutert worden. Auch die Zu- und Absagen aus den übrigen Bundesländern lassen sich den Vorgängen entnehmen. Insoweit ist
auch nachvollziehbar, dass Niedersachsen nicht in der Lage war, die Absagen anderer Bundesländer zu hinterfragen und nach zweimaliger Bitte um Unterstützung über die angebotenen Kräfte der anderen Länder und des Bundes
hinaus nicht mit weiterer Hilfe rechnen konnte. Letzteres erscheint insbesondere deshalb plausibel, weil sich aus den Vorgängen ebenfalls ergibt, dass auch einer Bitte des Freistaates Sachsen um Unterstützung durch die übrigen
Länder am 14.08.2010 nicht im vollen Umfang hatte entsprochen werden können.
Das Innenministerium hat allerdings nicht schlüssig dargelegt, wie viele Polizeikräfte aus dem niedersächsischen Polizeidienst verfügbar waren und ob alle verfügbaren Kräfte auch tatsächlich eingesetzt wurden.
Der Zeuge J., der im Innenministerium in der Abteilung 2 zuständiger Referent für die polizeiliche Einsatzplanung ist, hat dazu ausgeführt, dass es in Niedersachsen zwar insgesamt 18.000 Polizeibeamte gebe, jedoch nicht alle Beamte
für besondere Lagen wie Versammlungen einsetzbar seien. Für die Bewältigung besonderer Lagen, beispielsweise bei Versammlungen, stünden Kräfte bei der Zentralen Polizeidirektion und in den territorialen Behörden, den
Polizeidirektionen, zur Verfügung. Bei der Zentralen Polizeidirektion werde für besondere Lagen die Bereitschaftspolizei vorgehalten. Diese sei besonders strukturiert für derartige Einsätze, umfasse 7 Einsatzhundertschaften und 1
technische Einsatzeinheit und verfüge über insgesamt 1.119 Beamte. Darüber hinaus gebe es bei jeder der sechs territorialen Behörden Aufrufeinheiten, die bei Bedarf aus den in der Fläche eingesetzten Beamten heraus gebildet
würden. Diese Beamten würden sonst für Alltagsaufgaben eingesetzt, seien aber darüber hinaus für besondere Einsätze aus- und fortgebildet und besonders ausgerüstet. Die Polizeidirektion Hannover verfüge über 4 solcher
Aufrufeinheiten, die übrigen Polizeidirektionen verfügten über jeweils 3 Aufrufeinheiten. Für die Polizeidirektion Hannover seien dies insgesamt 770 Beamte, für die übrigen Polizeidirektionen jeweils 630 Beamte. Insgesamt stünden
einschließlich Bereitschaftspolizei 26 Einsatzhundertschaften mit etwa 5.000 Beamten für besondere Lagen zur Verfügung.
Geplant war von Seiten des Innenministeriums jedoch für den 14.08.2010 nur der Einsatz von etwa 1.200 niedersächsischen Polizeikräften (tatsächlich im Einsatz waren am 14.08.2010 dann 1.183 niedersächsische und 806 Beamte
aus anderen Bundesländern bzw. von der Bundespolizei). Zu einem Einsatz weiterer Kräfte sah sich das Innenministerium trotz der vom Verfassungsschutz Anfang August korrigierten Prognose der zu erwartenden Störerzahlen nicht
in der Lage.
Zu der Frage der Verfügbarkeit weiterer der insgesamt vorhandenen 5.000 Einsatzkräfte für besondere Lagen hat der Zeuge J. ausgeführt, dass von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte zunächst etwa 20 bis 30 % abzuziehen seien wegen
Krankheit, Urlaub, Fortbildung und aus anderen Gründen. Dieser nur abstrakt referierte prozentuale Abzug von bis zu einem Drittel der gesamten Kräfte erscheint jedoch insbesondere angesichts der Tatsache, dass der 14.08.2010
außerhalb der niedersächsischen Schulferien lag, recht hoch gegriffen. Im Übrigen hätte die Verfügbarkeit von Kräften insoweit mit einer Urlaubssperre für die Bereitschaftspolizei und die Aufrufeinheiten verbessert werden können,
da die Versammlungen bereits ein halbes Jahr im Voraus angemeldet worden waren.
Doch selbst unter Berücksichtigung eines Abzugs von 30 % von der Gesamtzahl der Einsatzkräfte für besondere Lagen kann nicht nachvollzogen werden, warum der Anfang August errechnete Bedarf von 500 zusätzlichen Kräften
nicht hatte gedeckt werden können.
Ausgehend von der Zahl von 5.000 Einsatzkräften für besondere Lagen ergibt ein Abzug von 1.500 Beamten (30 % pauschal) die Zahl von 3.500 Beamten. Von diesen Kräften sollten 1.200 in Bad Nenndorf eingesetzt werden, so dass
- rechnerisch - noch 2.300 Beamte für die Bewältigung besonderer Lagen am Wochenende 14./15.08.2010 zur Verfügung gestanden hatten. Dafür, dass von diesen nicht 500 Kräfte noch für einen Einsatz in Bad Nenndorf hätten
herangezogen werden können, ohne die Sicherheit im restlichen Niedersachsen zu gefährden, fehlt es zur Überzeugung des Gerichts an einem schlüssigen Nachweis. Darüber hinaus ergibt sich aus der ‚Kräftelage Niedersachsen' im
Vermerk des Leiters des Referats P 24 der Abteilung 2 des Innenministeriums vom 13.08.2010 (Blatt 244 des vom Innenministerium - Referat P 24.1, Einsatz und Verkehr - übersandten Aktenordners, Beiakte R), dass für die
Bewältigung sonstiger Einsatzlagen an dem Wochenende 14./15.08.2010 (lediglich) ca. 1.110 Beamte ‚verplant' waren. Mit anderen Worten: Auch unter Berücksichtigung aller bekannten Einsatzlagen in Niedersachsen und der
zusätzlichen 500 Kräfte für den Einsatz in Bad Nenndorf verblieb sogar noch eine Reserve von etwa 690 Beamten. Tatsächlich scheint es daher so gewesen zu sein, dass nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen worden
waren, sämtliche verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.
Um das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zu überzeugen, wäre es aber notwendig gewesen nachzuweisen, dass tatsächlich die Mobilisierung aller verfügbaren Polizeikräfte versucht worden war.
Der Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit von Polizeikräften kann in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem freiheitlichen demokratischen Staat (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (345)) einen polizeilichen Notstand nur begründen, wenn nachgewiesenermaßen zuvor alles versucht worden ist, um den Notstand zu vermeiden. Würde für die gerichtliche
Kontrolle ein Weniger genügen, liefe das Versammlungsgrundrecht Gefahr, in der polizeilicher Einsatzplanung in den Hintergrund zu treten.
Diesen Nachweis der Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Mobilisierung ist das Innenministerium insbesondere auch deshalb schuldig geblieben, weil aus den vorgelegten Akten ersichtlich ist, dass auf die ergänzende
Kräfteanforderung der Polizeidirektion Göttingen am 06.08.2010 per E-Mail überhaupt keine Versuche mehr unternommen worden waren, noch weitere Kräfte aus der Fläche zu mobilisieren. Vielmehr teilte die Abteilung 2 des
Ministeriums der Polizeidirektion Göttingen mit Schreiben noch vom selben Tag mit, dass ergänzende Kräfte nicht bereitgestellt werden könnten.
Mit einer derartigen Einsatzplanung lässt sich jedoch der Nachweis der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands im Versammlungsrecht nicht führen. Die Einlassung des Zeugen J., die einzelnen territorialen Polizeidirektionen
sowie die Zentrale Polizeidirektion entschieden grundsätzlich in eigener Verantwortung, wie viele Beamte sie für besondere Lagen zur Verfügung stellten und die dem Innenministerium obliegende Fachaufsicht lasse eine Kontrolle
der einzelnen Lagen in den territorialen Polizeidirektionen nur sehr eingeschränkt zu, auch die Zentrale Polizeidirektion koordiniere ihre Einsätze in aller Regel selbst, bedeutet in der Konsequenz, dass die Entscheidungsgewalt über
einen polizeilichen Notstand vom Innenministerium in die nachgeordneten Behörden verlagert wird. Wenn von Seiten des Innenministeriums nicht eine strenge Plausibilitätskontrolle der Einsätze der Bereitschaftspolizei und der
Aufrufeinheiten in den einzelnen Polizeidirektionen erfolgt, nicht mehrfach Kräfte nachgefordert werden und im Ergebnis für eine Einsatzlage wie die in Bad Nenndorf an einem nach den Worten des Zeugen J. ‚normalen
Wochenende' weniger als ein Viertel der für besondere Lagen vorhandenen Kräfte für einen Einsatz vorgesehen wird, ist die gerichtliche Überzeugung, es sei tatsächlich alles zur Vermeidung eines polizeilichen Notstands
unternommen worden, ausgeschlossen.
Dies geht hier zu Lasten des Beklagten, der zwar die Darlegungen der Polizei nicht hatte hinterfragen können, sich aber als Versammlungsbehörde deren Auffassung angeschlossen hatte. Er trägt in diesem Verfahren für das Vorliegen
des polizeilichen Notstands die materielle Beweislast.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen,
sind nicht ersichtlich. ..."
***
„... Der Kläger wendet sich als Versammlungsleiter gegen Maßnahmen der Beklagten gegenüber einer von ihm angezeigten Versammlung am 21.6.2008 auf dem S. Platz in D.-N. .
Ursprünglich hatten die J. N. (JN) bei der Beklagten zu 1. für diesen Tag eine Veranstaltung unter dem Motto: ‚JN-Sachsentag: Jugend will Perspektiven' mit Getränke- und Imbisssausschank für die Fläche Am F. 1 in D.-P. unter der
Leitung von A. S. angemeldet, an der der Kläger teilzunehmen beabsichtigte. Die Durchführung dieser Versammlung wurde am Mittag des 21.6.2008 vor Ort in P. von dort anwesenden Vertretern der Beklagten zu 1. mündlich
untersagt; die Polizei sprach Platzverweise aus. Die Teilnehmer der Veranstaltung der JN, darunter auch der Kläger, sammelten sich daraufhin überwiegend am U. Platz in D./B. (ca. 250 Personen mit 140 Fahrzeugen). Der Kläger
meldete dort durch R. T. bei einem Mitarbeiter der Beklagten zu 1. (Herrn B. ) eine Spontanversammlung zum Thema ‚Willkür durch Politik und Justiz' für den U. Platz (in der Wendeschleife) an (AS 253). Es sollte ein Aufzug über
die B. Landstraße und B. Straße stadteinwärts bis zur K. Straße und zurück durchgeführt werden. Dieses Vorhaben wurde dann fallen gelassen, da u.a. der Weg zu weit war. Der Kläger teilte mit, dass stattdessen ein Aufzug vom S.
Platz (vor dem Bahnhof N. ) aus durchgeführt werden solle. Die genaue Route werde dort bekannt gegeben. Die Teilnehmer des klägerischen Aufzugs sammelten sich nachfolgend am S. Platz. Bevor dort eine Kontaktaufnahme
zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. als Versammlungsbehörde erfolgt war, formierten sich die Teilnehmer zu einem Zug und setzten sich um 15.28 Uhr in Bewegung. Die auf dem S. Platz anwesenden Polizeikräfte stoppten
die Zugspitze und bildeten nachfolgend einen Kreis um die Versammlungsteilnehmer. Der Kläger und Herr B. als sein Stellvertreter führten dann ein Gespräch mit dem mittlerweile eingetroffenen Leiter der Versammlungsbehörde,
Herrn L.. Dieser gab mündlich bekannt, dass kein Aufzug genehmigt werde, sondern allenfalls eine stationäre Kundgebung durchgeführt werden könne. Während der Gespräche näherte sich gegen 15.35 Uhr von außen kommend eine
Gruppe weiterer Versammlungsteilnehmer unter der Führung von U. P.. Die Polizeikräfte strebten diesen Kräften entgegen und lösten dadurch partiell den Kreis von Polizeikräften. Einige Teilnehmer zogen daraufhin der eintreffenden
Gruppe entgegen und wurden von heraneilenden Einsatzkräften wieder zurückgehalten. In diesem Zusammenhang wurde ein Vollstreckungsbediensteter der Beklagten zu 1. verletzt und ein Versammlungsteilnehmer festgenommen.
Der Kläger löste um 15.38 Uhr die Versammlung durch seinen Stellvertreter auf. Personen, die gemeinsam den Platz verlassen wollten, wurden nachfolgend zunächst u.a. mittels Einsatzes von Reizspray und Stock sowie
Zurückschubsen am Verlassen des Geländes gehindert. Um 15.44 Uhr gaben die Polizeikräfte den Teilnehmern der aufgelösten Versammlung den Weg frei. Die über die A. Brücke in Richtung A. gehenden Personen wurden auf der
Brücke von Polizeikräften eingeschlossen (16.35 Uhr) und erhielten nach Identitätskontrollen einen Platzverweis für die Innenstadt D. bis zum nachfolgenden Tag. Ein weiterer größerer Teil ehemaliger Versammlungsteilnehmer fand
sich am S. platz ein und führte dort eine Spontandemonstration durch (Ansprache von A. S. , vgl. AS 265). Diese erhielten nachfolgend gleichfalls Platzverweise.
Der Kläger hat am 3.12.2008 Klage erhoben. Er hat sich zunächst gegen Vorgänge auf dem S. Platz und auf dem S. platz in Dresden gewandt; da er auf dem S. platz selbst nicht anwesend war, hat er sein Feststellungsbegehren im
Laufe des Verfahrens auf den S. Platz beschränkt.
Der Kläger trägt vor, es sei am S. Platz nicht möglich gewesen, mit der Versammlungsbehörde ein Route für den Aufzug abzusprechen. Herr L. habe den Aufzug mit den Worten abgelehnt: ‚Hier läuft gar niemand.' Daraufhin habe der
anwesende vermutliche Einsatzleiter der Polizei darauf hingewiesen, dass es keinen Aufzug geben könne, da dieser von der Versammlungsbehörde nicht genehmigt worden sei. Das Verbot des Aufzugs sei rechtswidrig gewesen. Die
Versammlungsfreiheit gestatte es, Unzufriedenheit, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten. Hier habe keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestanden. Störungen entlang der
beabsichtigten Route habe man durch gegen die Störer gerichtete Maßnahmen vermeiden können. Ein milderes Mittel wäre auch die Änderung der Route gewesen. Letztlich seien anlässlich des Sachsentages genügend Polizeikräfte
vor Ort im Einsatz gewesen. Für die Einkesselung der Versammlungsteilnehmer vor dem N. Bahnhof gebe es keine Ermächtigungsgrundlage. Die Versammlung habe zunächst nach § 15 Abs. 3 VersammlG aufgelöst werden müssen.
Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme, als welche die Einkesselung nach der Selbstauflösung der Versammlung anzusehen sei, hätten nicht vorgelegen. Die Einkesselung stelle physische Gewaltanwendung dar. In die
Kette hätten sich auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes mit eingereiht (mit Körperpanzerung und Schutzhelmen mit der Aufschrift ‚Polizeibehörde'), die für Einsätze bei Versammlungsgeschehen nicht trainiert gewesen seien. Auch das
sei rechtswidrig gewesen. Die Menge sei nicht von Anbeginn aggressiv und extremistisch eingestellt gewesen Sie seien nicht einheitlich schwarz gekleidet gewesen. Erst durch die Einkesselung und das Zurückdrängen unter
Reizgaseinsatz sei die Menge aufgeputscht worden.
Der Kläger beantragt,
1. gegenüber der Beklagten zu 1. festzustellen, dass das von der Versammlungsbehörde am 21.6.2008 auf dem S. Platz in D. ihm und seiner Versammlung gegenüber ausgesprochene generelle Verbot, einen Aufzug durchzuführen,
und die Beschränkung auf eine stationäre Veranstaltung auf dem S. Platz vor dem N. B. rechtswidrig war,
2. gegenüber dem Beklagten zu 2. festzustellen, dass die Einkesselung der Versammlungsteilnehmer der Eilversammlung am 21.6.2008 auf dem S. Platz vor dem N. B. vor und nach der Selbstauflösung rechtswidrig war,
3. gegenüber der Beklagten zu 1. festzustellen, dass der Einsatz von städtischen nichtverbeamteten Vollzugsbediensteten zur Erfüllung von Aufgaben der Polizeivollzugsbehörde, insbesondere bei der umschließenden Umstellung auf
dem S. Platz am 21.6.2008, rechtswidrig war,
4. gegenüber dem Beklagten zu 2. festzustellen, dass die Vornahme unmittelbaren Zwangs durch den Einsatz von Reizgas und körperlicher Gewalt u.a. mittels Einsatzstocks nach der Selbstauflösung der Eilversammlung zum Zwecke
der Erzwingung des Verbleibs der Versammlungsteilnehmer in der Einkesselung auf dem S. Platz am 21.6.2008 rechtswidrig war.
Der Beklagte zu 2. beantragt Klageabweisung. Er trägt vor, bis 13.30 Uhr hätten sich in B. etwa 300 Personen gesammelt. Diese hätten sich dann zum N. B. begeben. Dort seien bis 15.20 Uhr etwa 150 Personen eingetroffen. Es sei
eine Eilversammlung mit anschließendem Aufzug über die M. bis zum S. Platz beantragt worden. Es werde bestritten, dass es zu einer Einkesselung gekommen sei. Brandenburgische Kräfte und solche der Bundespolizei hätten
einzelne Punkte in Abstand von der Versammlung besetzt mit dem Ziel, Störungen von innen und außen zu verhindern. Ein Entfernen sei in keiner Richtung behindert worden. Es habe ein reger Zu- und Ablauf stattgefunden. So habe
etwa R. T. sich mit ca. 20 Personen vom S. Platz entfernen können. Die Versammlungsbehörde habe zwar die Versammlung genehmigt, aber nicht den Aufzug. Es sei auch nach der Selbstauflösung der Versammlung nicht zu einer
Einkesselung gekommen, um den Abgang der Teilnehmer zu verhindern. Die Teilnehmer hätten sich nach der Auflösung nicht wie sonst üblich in alle Richtungen verteilt. Der Versammlungsleiter habe zu den Teilnehmern
gesprochen. Der Inhalt sei durch die Einsatzkräfte nicht zu vernehmen gewesen. Plötzlich sei eine hohe Dynamik aufgekommen. Die gesamte Menschenmenge habe sich formiert und massiv versucht, sich in Richtung Hainstraße zu
bewegen, obwohl ein Aufzug nicht genehmigt worden sei. Lediglich diese Bewegungsrichtung sei durch Einsatzkräfte mittels Polizeikette abgesperrt worden. In andere Richtungen sei ein Abgang möglich gewesen. An der Spitze der
Bewegungsrichtung hätten sich ausschließlich schwarz gekleidete, junge, extrem aggressiv auftretende Männer befunden, die auf ein Ansprechen durch Polizeikräfte nicht reagiert hätten. Diese hätten die Einsatzkräfte massiv mit
körperlicher Gewalt bedrängt, um die Absperrung zu durchbrechen. Um den polizeilichen Anordnungen Nachdruck zu verleihen, nicht zuletzt auch zum Eigenschutz, sei vereinzelt als Hilfsmittel Pfefferspray verwendet worden und
zum Abdrängen auch der sog. Einsatzmehrzweckstock. Letzterer sei nur zum Drücken, keinesfalls zum Schlagen verwendet worden. Es sei offenkundige Absicht der Rechten gewesen, ein Zusammentreffen mit der linken Klientel
herbeizuführen. Unmittelbarer Zwang sei auch nur von den Polizeikräften an der vordersten Absperrlinie vereinzelt angewandt worden. Unbeteiligte hätten sich nicht in Gefahr befunden. Die Richtung Hainstraße habe freigegeben
werden müssen. Die auf etwa 300 Personen angewachsene Menge habe sich auf die vielbefahrene Kreuzung am S. Platz ergossen, wodurch es zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen sei. Eine Gruppe der linken Szene
habe ab 15.15 Uhr in Abstimmung mit der Versammlungsbehörde, die mit drei Personen stets im Lagezentrum oder vor Ort gewesen sei, unter polizeilicher Begleitung einen Aufzug durchgeführt vom Parkplatz vor dem
Einkaufszentrum M. bis zum A. platz.
Die Beklagte zu 1. beantragt Klageabweisung. Sie trägt vor, ihre Mitarbeiter hätten keine Einkesselung angeordnet und sich auch nicht an einer solchen beteiligt. Die Richtigkeit ihrer Gefahreneinschätzung, wonach ein Aufzug der
aufgeheizten Menge in dem politisch als überwiegend links geltenden Wohnviertel zwischen dem B. N. und dem Kino S. einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte, sei durch die von den Versammlungsteilnehmern ausgehenden
Aggressionen gegen Personen und Sachen hinreichend bestätigt. Es habe am S. Platz eine aufgeheizte Stimmung geherrscht, eine Alkoholisierung von Teilnehmern während des Zwischenaufenthalts am U. Platz und das
Vorhandensein eines erheblichen Frustrationserlebnisses in P.. Die Videos des Beklagten zu 2. würden dem nicht entgegenstehen. Diese würden nur Ausschnitte des Versammlungsgeschehens zeigen und könnten nicht die
Komplexität der Gesamtveranstaltungslage an jenem Tag wiedergeben. Zwei Kameraaugen würden zwangsläufig weniger sehen als die sieben Augenpaare der Zeugen. Die Menge sei nicht absprachefähig gewesen. Die Beschränkung
auf eine stationäre Veranstaltung sei rechtmäßig gewesen. Im Nachgang zur Auflösung habe es einen Übergriff auf einen tschechischen Fotografen gegeben. Dass dieser zuvor einen Teilnehmer der Versammlung tätlich angegriffen
habe, sei nicht belegt. Auch habe eine Bewaffnung mit Teilen eines Bauzauns stattgefunden. Es sei nicht erwiesen, dass es zu einer Einkesselung gekommen sei.
In der mündlichen Verhandlung am 19.10.2011 ist Beweis erhoben worden über die näheren Umstände der am 21.6.2008 vom Kläger angemeldeten Eilversammlung und der damit zusammenhängenden Vorfälle auf dem S. Platz
durch Einvernahme von J. B. , R. L. als Leiter der Versammlungsbehörde, H. B. und A. -K. B. als Mitarbeiter der Versammlungsbehörde, HK M. , PHK B. , POR K. und EPHK S. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Des Weiteren sind die von dem Beklagten zu 2. vorgelegten Aufzeichnungen auf zwei DVD in Augenschein genommen und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. ...
Die Klage hat in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang Erfolg. Im Übrigen war sie abzuweisen.
1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Versagung eines Aufzugs und die Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung ist gemäß § 113 Abs. 4 VwGO analog zulässig. Die darin zu sehende Auflage durch die Beklagte hat
sich durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger hat dennoch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass diese Auflage rechtswidrig war, da durch sie in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, das dem Kläger zustehende
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, eingegriffen wurde.
Die Klage ist auch begründet. Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Untersagung eines Aufzugs und Beschränkung der von ihm geleiteten Versammlung auf eine ortsfeste Veranstaltung war rechtswidrig und verletzte den Kläger
in seinen Rechten.
Die vom Kläger ausgehend vom S. Platz beabsichtigte Versammlung genoss den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Es handelte sich um eine Versammlung in diesem Sinne. Als solche wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung definiert (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.10.2004, Az. 1 BvR 1726/01, zit. nach juris). Diese Voraussetzungen erfüllten die Personen, die sich am 21.6.2008
auf dem S. Platz in D. zusammen gefunden hatten, um in Form eines Aufzugs ihren Ärger über das Verbot der Durchführung des sog. Sachsentages in P., das am Vormittag desselben Tages von der Beklagten zu 1. ihnen gegenüber
ausgesprochen worden war, zum Ausdruck bringen, und die ihre Kritik am Vorgehen von Behörden und Gerichten unter dem Motto ‚Willkür durch Politik und Justiz' der Öffentlichkeit mitteilen wollten. Auch für
Spontanversammlungen der vorliegenden Art besteht der Schutz des Art. 8 GG unabhängig von der in § 14 Abs. 1 VersG bestimmten Anmeldepflicht (vgl. BVerfG, BVerfGE 69, 315, 350f.).
Die fragliche Versammlung hatte auch nicht deshalb den Schutz des Art. 8 GG verloren, weil sie als unfriedlich einzuschätzen gewesen wäre. Die Friedlichkeit entfiel nicht aufgrund des Umstands, dass die Versammlungsteilnehmer
zeitweise Parolen skandierten. Denn das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. vom 18.5.2010, Az. 14
K 5459/08, zit. nach juris). Auch konnte aus den Parolen nicht geschlossen werden, dass ein unfriedlicher Verlauf von den Versammlungsteilnehmern beabsichtigt war oder drohte. Es handelte sich um Standardparolen der sog. rechten
Szene (wie z.B. ‚frei, sozial und national' oder ‚Widerstand lässt sich nicht verbieten') und nicht um Meinungskundgebungen mit beleidigendem oder verfassungsfeindlichem Inhalt, was letztlich von den Beklagten auch nicht
behauptet wird. Mit Unfriedlichkeit meint die Verfassung äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit, wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen (BVerfG, Besch. vom
24.10.2001, Az. 1 BvR 1190/90). Es gab keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass derartige Aktivitäten vom Kläger und den Teilnehmern der Versammlung bei der Durchführung des Aufzugs geplant waren. Als
Anzeichen für Unfriedlichkeit kann insbesondere nicht gewertet werden, dass sich die Versammlungsteilnehmer gegen 15.28 Uhr in einer Reihe zur Durchführung des Aufzugs aufstellten und losgingen. Bis dahin war weder
gegenüber dem Kläger noch gegenüber der Versammlung eine behördliche oder polizeiliche Verfügung ergangen. Dass die Versammlungsbehörde den vom Kläger angekündigten Aufzug untersagen würde, war ihnen nicht bekannt
gegeben worden. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass die Versammlungsteilnehmer behördlichen Auflagen zuwider handeln wollten. Weder durch die in Person von Herrn B. anwesende Versammlungsbehörde
noch durch die Polizei war eine Ansprache an die Versammlungsteilnehmer erfolgt, um die Situation zu (er)klären, wie beispielsweise die Aufforderung, dass sich der Versammlungsleiter mit der Versammlungsbehörde in Verbindung
setzen möge (was bis dato nicht erfolgt war), ein Aufruf, bis zum Abschluss der Gespräche mit der Versammlungsbehörde Ruhe zu bewahren und auf dem S. Platz zu verbleiben. Dennoch beachteten die Versammlungsteilnehmer die
Aufforderung der Polizei, stehen zu bleiben und den Platz nicht zu verlassen. Sie wichen zurück und warteten ab. Unmittelbar danach setzten dann die Gespräche zwischen dem Kläger und dem auf dem S. Platz inzwischen
eingetroffenen Leiter der Versammlungsbehörde ein. Es kam bis dahin auch nicht zu Gewalttätigkeiten. Der Zwischenfall mit dem Vollstreckungsbediensteten der Beklagten zu 1. gegen 15.35 Uhr, der sich wohl zur Unterstützung der
Polizei am Zurückhalten einzelner Versammlungsteilnehmer beteiligte, geschah in einem Moment, in dem sich von außen eine Gruppe von ca. 50 Teilnehmern unter der Leitung von Herrn P. der Versammlung näherte. In diesem
Augenblick entfernten sich Polizeibedienstete aus der gebildeten - zunächst weiträumigeren - Umschließung in Richtung dieser Gruppierung und gaben damit zeitgleich den bereits auf dem S. Platz befindlichen
Versammlungsteilnehmern den Weg frei. Einzelne Versammlungsteilnehmer strebten daraufhin jener Gruppe entgegen. In diesem Augenblick kam es zu dem einzigen Ereignis im Verlauf der Versammlung, das unfriedlich endete. Als
nämlich jene Versammlungsteilnehmer von weiteren heraneilenden Kräften wieder zurückgedrängt werden sollten, kam es zu dem Zusammenstoß zwischen einem Versammlungsteilnehmer und dem Vollstreckungsbediensteten der
Beklagten zu 1.. Der betreffende Versammlungsteilnehmer wurde daraufhin festgenommen. Die übrigen Teilnehmer wichen den polizeilichen Anordnungen entsprechend zurück und verblieben bis zur Verkündung der Auflösung der
Versammlung durch den Vertreter des Klägers um 15.38 Uhr, wiederholt durch einen weiteren Versammlungsteilnehmer, abwartend auf dem Platz. Bis auf das zeitweise erfolgende Skandieren von Parolen, unterbrochen von
abwartendem Herumstehen, verhielten sich die Teilnehmer trotz des vorangegangenen Vorfalls weiterhin ruhig. Die Einschätzung einiger Zeugen in der mündlichen Verhandlung, es habe eine sehr aufgebrachte oder gereizte
Stimmung geherrscht, wird dabei von der Kammer berücksichtigt. Zugleich werden allerdings die - auch nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ereignis unveränderten - Video-Aufzeichnungen mit den Zeugenaussagen abgeglichen. Es
ist davon auszugehen, dass die von der Polizei übersandten Video-Aufzeichnungen vollständig die Aufnahmen enthalten, die das Geschehen am S. Platz betreffen. Es ist weiter davon auszugehen, dass die mit den Aufzeichnungen
beauftragten Kräfte auf den Videobändern die als wesentlich eingeschätzten Vorgänge aufgenommen haben und Aufnahmepausen die Zeiten ohne besondere Vorkommnisse umfassen. Insofern ist festzustellen, dass einige
Versammlungsteilnehmer möglicherweise sehr aufgebracht oder gereizt gewesen sein mögen. Die so beschriebene Stimmungslage führt jedoch nicht per se zur Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Insbesondere gab es von Seiten der Versammlungsteilnehmer unstreitig keine Aggressionen gegenüber der Polizei, beispielsweise in Form von Werfen von Gegenständen (Flaschen oder Steinen), oder sonstigen Übergriffen. Der auf
das Recht, sich ‚friedlich und ohne Waffen' zu versammeln, bezogene Schutz entfiel für die Versammlung insgesamt nicht dadurch, dass ein einzelner Versammlungsteilnehmer sich in der oben geschilderten Situation gewalttätig
verhielt (vgl. hierzu grundsätzlich BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.4.2007, Az. 1 BvR 1090/06, zit. nach juris). Letztlich kann aus dem Verhalten der Polizei darauf geschlossen werden, dass sie die Situation nicht
abweichend einschätzte. Denn es wurden weder gegen weitere Versammlungsteilnehmer versammlungsausschließende Maßnahmen ergriffen noch eine Auflösung der Versammlung verfügt. Aus den vorliegenden filmischen
Aufzeichnungen ergibt sich im Übrigen auch, dass die Teilnehmer der Versammlung sich so aufmerksam und geordnet verhielten, dass sie die Auflösungserklärung des Klägers um 15.38 Uhr zur Kenntnis nehmen konnten. Sie
wandten sich den Sprechern zu und verhielten sich ruhig, um die Ansprache zu verstehen. Dass die Versammlung dem Kläger entglitten wäre, wie der Beklagtenvertreter zu 1. meint, kann daher nicht angenommen werden. Auch
dürfte zumindest die überwiegende Zahl von Versammlungsteilnehmern die Auflösungserklärung akustisch verstanden haben. Denn unmittelbar danach brach Unruhe in der Gruppe aus, weil die Teilnehmer der aufgelösten
Versammlung den Platz verlassen wollten, woran sie allerdings zunächst weiter von den anwesenden Polizeikräften - die auf neue Anweisungen ihrer Führung warteten - gehindert wurden.
Die hier angegriffene Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung war nicht gerechtfertigt. Es handelt sich insofern um eine Auflage im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG, die in das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende
Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Demonstration eingreift (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 26.1.2001, Az. 1 BvQ 9/01, zit. nach juris) und deren Erteilung eine nicht mit
milderen Mitteln zu verhindernde unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung voraussetzt. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre,
Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare
Verletzung dieser Rechtgüter droht. Unter Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung
eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschl. vom 14.5.1985, Az. 1 BvR 233/81 u.a. zit. nach juris). Der Prognosemaßstab der unmittelbaren Gefährdung
erfordert, dass der Eintritt eines Schadens für die genannten Schutzgüter aus erkennbaren Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die
Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich;
bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12.5.2010, Az. 1 BvR 2636/04, zit. nach juris).
Die Auflage ging hier nach Aktenlage und dem Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidend vom Leiter der Versammlungsbehörde aus. Eine Begründung für die Einschätzung, dass ein Aufzug der Versammlung des Klägers eine
unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten würde, wurde von ihm weder gegenüber dem Kläger im Zuge des Versammlungsgeschehens abgegeben, noch gibt es im Nachgang zu dem Geschehen von ihm
gefertigte schriftliche Aufzeichnungen hierüber - was zu beanstanden ist. Insofern ist die Kammer bei der Prüfung, welche Gründe für die Entscheidung maßgeblich waren, auf die Aussage des Leiters der Versammlungsbehörde im
gerichtlichen Verfahren angewiesen. Ob es für die Gefahrenprognose (ex-ante) hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gab, ist anhand der Ausführungen der Beteiligten in diesem Verfahren, der Zeugenaussagen, der
Videoaufzeichnungen und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge abzuklären. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann daraus nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht hergeleitet werden.
Im Gerichtsverfahren wurde zur Begründung schriftsätzlich zunächst im Wesentlichen ausgeführt, nach der Gefahreneinschätzung der Beklagten zu 1. würde ‚ein Aufzug der aufgeheizten Menge in dem politisch als überwiegend links
geltenden Wohnviertel zwischen dem B. N. und dem Kino S. einen unfriedlichen Verlauf' genommen haben, was bereits anhand der von den Versammlungsteilnehmern des Klägers ausgehenden zuvor geschilderten Aggressionen
gegen Personen und Sachen hinreichend bestätigt werde (GAS 113). Der Beklagte zu 2. erklärte zur Auflage der stationären Versammlung, dass ‚diesseits davon ausgegangen (werde), dass damit verhindert werden sollte, dass die
Teilnehmer des Sachsentages auf den Aufzug der linken Personengruppe treffen' (GAS 41). In den mündlichen Verhandlungen wurde vom Leiter der Versammlungsbehörde erklärt, dass Grund für die Entscheidung gewesen sei, dass
die Polizei für eine Absicherung eines Aufzugs nicht vorbereitet gewesen sei. Es habe eine sehr aufgebrachte Stimmung geherrscht. Die aggressive Grundhaltung habe er aus Sprechchören und dem Verhalten insgesamt geschlossen.
Die Gruppe habe sich zuerst im hinteren Bereich des Bahnhofs gesammelt und sei dann geschlossen vorgerückt in Richtung auf die H. straße, ohne dass vorher mit ihm/ihnen eine Route abgesprochen worden sei. In U. sei zudem
ungehindert Alkoholkonsum möglich gewesen. Zur gleichen Zeit habe eine Demonstration aus dem linken Bereich in P. stattgefunden.
Diese vorgetragenen Gründe rechtfertigten die Auflage einer stationären Veranstaltung nicht.
Zur Gefahr des Aufeinandertreffens linker und rechter Kräfte im Falle eines Aufzugs gilt Folgendes: Die linke Szene hatte - unstreitig - bis zuletzt auf ihren Internetseiten für diesen Tag nicht mobilisiert. Es gab nur eine
Gegenveranstaltung ‚links' in weiter räumlicher Entfernung (in D.-P. ) mit 20 bis 42 Teilnehmern, die von Polizeikräften begleitet wurden. Als milderes Mittel zu Vermeidung von Zusammenstößen zwischen rechten und linken
Versammlungsteilnehmern wäre daher eine Änderung der Aufzugsroute der klägerischen Versammlung von der N. in Richtung A. (über die H. - oder die A. straße) hinreichend gewesen. Es kann nicht angenommen werden, dass der
Kläger insofern nicht kooperationsbereit gewesen wäre. Entsprechende Alternativrouten sind dem Kläger nicht vorgeschlagen worden. Sie wurden von vornherein gar nicht erst ins Auge gefasst.
Es gab auch keinen hinreichenden Anlass zu befürchten, dass der von den Versammlungsteilnehmern beabsichtigte Aufzug einen unfriedlichen Verlauf nehmen würde oder dass der Kläger einen solchen Verlauf anstrebte oder
zumindest billigte (vgl. BVerfG, Beschl. vom 14.5.1985, aaO). Zu der in Form des Skandierens von Parolen stattfindenden bloßen Meinungsäußerung müssten weitere Umstände hinzutreten, die einen Verstoß gegen die öffentliche
Sicherheit und Ordnung begründen könnten. Dafür kann das Verhalten von Versammlungsteilnehmern vor und nach der Versammlung nur dann herangezogen werden, wenn es den Schluss auf eine besondere Gewaltbereitschaft der
Versammlung insgesamt zulässt. Derartige Umstände konnten von beiden Beklagten - sowohl einzeln als auch in Gesamtheit betrachtet - nicht dargelegt werden.
Die Beklagte zu 1. verweist zunächst zum Beleg einer besonderen Gewaltbereitschaft der Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf eine zerstörte Frontscheibe eines Pkw, der einem Bediensteten der Beklagten zu 1. zuzuordnen
war. Die Sachbeschädigung geschah in P. durch eine unbekannte Person. Selbst wenn ein Teilnehmer des abgesagten JN-Sachsentages dafür verantwortlich gewesen sein sollte (an dieser Stelle unterstellt), kann nicht angenommen
werden, dass sich diese Person auch unter den Teilnehmern der Versammlung am S. Platz in D. befand. Laut Bericht des Einsatzleiters wurden in P. ca. 500 Personen festgestellt. Auf dem S. Platz fanden sich demgegenüber laut
Einsatztagebuch der Polizei nur (bis zu) ca. 300 Personen ein. Der Leiter der Versammlungsbehörde verweist des Weiteren darauf, dass er beobachtet habe, dass Teilnehmer des JN-Sachsentages aus einem Geschäft in B. bzw. aus
‚dem Kofferraum' Alkohol konsumiert hätten. Abgesehen davon, dass dieser Vortrag bereits insgesamt zu allgemein gehalten ist, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung glaubhaft darzulegen, kann den vorliegenden
filmischen Aufzeichnungen nicht entnommen werden, dass Teilnehmer alkoholische Getränke bei sich geführt oder gar zu sich genommen hätten. Dies gilt für die Zuhörer in B. während der Ansprache durch Herrn P. gleichermaßen
wie für die Teilnehmer der klägerischen Versammlung am S. Platz (erste Aufzeichnung ab 15.05 Uhr) bis zu den (abschließenden) Aufzeichnungen auf der A. . Die Beklagte zu 1. vermochte auch keinen konkreten Fall zu benennen, in
dem ein Teilnehmer als alkoholisiert aufgefallen wäre. Zum Verhalten der Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf dem S. Platz bis zur Auflösung ist oben bereits ausführlich Stellung genommen worden. Die von den Zeugen
als sehr aufgebracht und gereizt beschriebene Stimmung der Versammlungsteilnehmer am S. Platz stellt sich nach den in Augenschein genommenen Video-Aufnahmen während der Dauer der Versammlung nicht so dar, dass sie
gewalttätige Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen bei der Durchführung eines Aufzugs als möglich, geschweige denn als hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließe. Eine besondere Gewaltbereitschaft der Versammlung
ergibt sich auch nicht aus dem Verhalten der ehemaligen Teilnehmer unmittelbar nach der Auflösung. Einige versuchten den Platz zu verlassen und die sie weiterhin umschließenden Einsatzkräfte der Polizei wegzuschieben. Es kam
zu einem Gerangel und nachfolgend zum Einsatz von Reizgas und Einsatzmehrzweckstock von Seiten der Polizei. Bei einem zweiten Versuch des Wegdrängens hielten die ehemaligen Versammlungsteilnehmer die Hände hoch
erhoben, um zu kennzeichnen, dass sie nicht beabsichtigten, auf die Einsatzkräfte der Polizei einzuschlagen oder sich zu wehren. Dann wurde der Weg von der Polizei freigegeben (15.44 Uhr).
Das Verhalten der ehemaligen Versammlungsteilnehmer nach der Beendigung der Versammlung darf schließlich auch nicht isoliert von dem vorangegangenen Geschehen beurteilt werden. Die Versammlungsteilnehmer waren bereits
vor der Auflösung der Versammlung von Polizeikräften umschlossen, ohne dass eine behördliche Ansprache erfolgt wäre. Auch nach der Auflösung gab es keine Ansprache, die ohne Weiteres möglich gewesen wäre, da laut
Verwaltungsvorgängen jeder Einsatzzug der Polizei über ein Megaphon (wie später auf der A. zum Einsatz gekommen) verfügte. Insgesamt fällt bei dem gesamten Versammlungsgeschehen auf, dass ein Mangel an Kommunikation
bestand zwischen dem Kläger, seiner Versammlung, der Versammlungs- und der Polizeibehörde und untereinander. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 14.5.1985 (aaO) von staatlichen Behörden
gefordert, nach dem Vorbild friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Zu diesen zähle neben der
rechtzeitigen Klarstellung der Rechtslage, dass beiderseits Provokationen und Aggressionsanreize unterbleiben, dass die Veranstalter auf die Teilnehmer mit dem Ziel friedlichen Verhaltens und der Isolierung von Gewalttätern
einwirken, dass sich die Staatsmacht besonnen zurückhält und übermäßige Reaktionen vermeidet und dass insbesondere eine rechtzeitige Kontaktaufnahme erfolgt. Davon unabhängig sind, worauf die Kammer an dieser Stelle
hinweist, unstreitig Weisungen der Polizei immer zu befolgen - auch wenn man sie für rechtswidrig hält oder ihren Grund nicht versteht. Dennoch kann aus dem situationsgebundenen Verhalten von ehemaligen
Versammlungsteilnehmern - die den S. Platz verlassen wollten - nicht auf eine generelle Gewaltbereitschaft für den Fall der Durchführung ihres Aufzugs geschlossen werden. Eine größere Gruppe ehemaliger
Versammlungsteilnehmer, die später auf der A. von der Polizei umschlossen wird, verhielt sich übrigens trotz der angekündigten umfänglichen Kontrolle der Personalien und der dort ausgesprochenen Platzverweise vollkommen ruhig
und entspannt.
Schließlich verweist die Beklagte zu 1. darauf, dass einige Rechte (die Anzahl kann den Aufzeichnungen nicht entnommen werden) sich später, im weiteren Verlauf des Nachmittags, andernorts mit Teilen eines Bauzauns ausgerüstet
hätten. Wie bereits ausgeführt, genügt das Verhalten einiger - von denen nicht einmal bekannt ist, ob sie Teilnehmer der klägerischen Versammlung auf dem S. Platz waren - nicht, um auf die Gesinnung (Gewaltbereitschaft) der
gesamten Versammlung zu schließen, auf deren Ablauf die Polizei bei einem durchgeführten Aufzug zudem hätte weiter einwirken können.
Unter diesen Umständen bestand kein Anlass anzunehmen, die vorhandenen Polizeikräfte hätten nicht ausgereicht, um den beabsichtigten (Spontan)Aufzug des Klägers zu begleiten. Diese hatten sich auf das Begleiten eines Aufzugs
auch grundsätzlich vorbereitet und eingestellt, wie die Äußerung des Zeugen HK M. verdeutlicht. Dass es, wie der Zeuge POR K. aussagte, schwierig gewesen wäre, die Versammlung auf dem S. Platz bei einem Aufzug mit 150 Mann
im Verkehrsraum zu begleiten, ist zu allgemein gehalten, um nachvollziehbar zu sein, und ‚Schwierigkeiten' reichen für die Versagung eines Aufzugs nicht aus. Sollte sich die Aussage von POR K. auf den Verkehrsfluss bezogen
haben, so gilt, dass vorübergehende Störungen des öffentlichen Straßenverkehrs nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in gewissem Umfang bei der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts hinzunehmen sind.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch den Aufzug des Klägers von der Beklagten zu 1. nicht glaubhaft und hinreichend nachvollziehbar dargelegt werden konnte und die
Begründung für eine solche Prognose - weder aus der zugrunde zu legenden ex-ante-Sicht noch unter Berücksichtigung späterer von der Beklagten zu 1. angeführter Umstände - nach dem Sach- und Streitstand zum Schluss der
mündlichen Verhandlung nicht ausreichte. Dass die polizeilichen Einsatzkräfte vor Ort damals keine abweichende Ansicht vertreten haben dürften - auch wenn sie dies nicht offen bekundeten -, lässt sich ohne Weiteres aus dem
weiteren Vorgehen schließen. Denn wenn die Polizeiführer die Prognose getroffen hätten, dass von der Versammlung bei einem begleiteten Aufzug eine nicht beherrschbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung
ausgegangen wäre, dann hätten sie die Teilnehmer nach der Auflösung sich nicht über das gesamte Stadtgebiet verstreuen lassen, sondern die - später ausgesprochenen - Platzverweise (deren Rechtmäßigkeit nicht Streitgegenstand ist)
bereits am S. Platz erteilt und für einen geordneten Abzug der Teilnehmer aus dem Stadtgebiet gesorgt. Die ‚Freigabe' der Versammlungsteilnehmer wäre andernfalls nicht zu verantworten und mit den Aufgaben der Gefahrenabwehr
nicht zu vereinbaren gewesen. Letztlich dürfte es im Ergebnis für die Polizeikräfte wesentlich mehr Aufwand bedeutet haben, die sich nach der Auflösung teilweise in Einzelgruppen zerstreuenden ehemaligen
Versammlungsteilnehmer im Blick zu behalten.
2. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Klägers nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bezüglich der durch Zeitablauf in ihrer Beschwer ebenfalls erledigten ‚Einkesselung' der Versammlungsteilnehmer am S. Platz am 21.6.2008
durch Kräfte des Beklagten zu 2. ist insoweit zulässig, als es sich auf das Versammlungsgeschehen bezieht. Für die Zeit nach Beendigung der Versammlung ist es hingegen bereits unzulässig. Es fehlt insoweit am erforderlichen
Rechtsschutzinteresse, da nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger selbst von dieser Maßnahme (noch) betroffen wurde. Seine Rückkehr in den von Polizeikräften umschlossenen Raum nach Beendigung der Gespräche mit der
Versammlungsbehörde ist nicht erkennbar. Die Auflösung der Versammlung wurde nicht von ihm selbst, sondern von seinem Stellvertreter und - wiederholend - von einer unbekannten dritten Person abgegeben. Seiner Einlassung in
der mündlichen Verhandlung zu Folge stand er selbst im Zeitpunkt des Einsatzes von Reizgas und Stock, der nach der Beendigung der Versammlung erfolgte, noch in der Nähe der Versammlungsbehörde, deren Mitarbeiter sich
außerhalb der Umschließung aufhielten.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer geht im Ergebnis der mündlichen Verhandlung zwar von einer Einschließung der Versammlungsteilnehmer durch Polizeikräfte aus. Dies folgert sie aus dem Vorgehen
der Polizei, wie es durch die Video-Aufzeichnungen deutlich erkennbar wird, und den Äußerungen von mitwirkenden Kräften. So vermied HK M. , der als Zugführer am S. Platz ab 14.30 Uhr im Einsatz war, zwar die Verwendung
des Begriffs ‚Einschließung', indem er äußerte, sein Auftrag habe darin bestanden, niemanden über die Friedrich-Wolf-Straße sich entfernen zu lassen. Auf Vorhalt der Video-Aufzeichnungen, auf denen sein Zug - mittels der
Nummern auf den Schutzhelmen - bei den in einer Runde um die Versammlung aufgestellten Polizeikräften zu erkennen ist, räumte er eine Teilnahme ein und erklärte, einzelne Personen, die sich von der Demonstration hätten
entfernen wollen, hätten - nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten - durchgelassen werden können. PHK B. äußerte in seiner Vernehmung zwar, sie hätten keine abschließende Absperrung durchgeführt. Er sei z.B. Leuten in den B.
nachgegangen um zu gucken, was sie dort machen würden. Tatsächlich haben Polizeikräfte laut Video-Aufzeichnungen die Versammlungsteilnehmer, die in das Bahnhofsgebäude gingen, wieder herausgedrängt. Personen, die zur
Toilette gehen wollten, wurden von Polizeikräften hin und zurück begleitet. In einem Schadenersatzprozess vor dem Landgericht Dresden trägt die Beklagte zu 1. vor, es sei ‚rechtmäßig eine Kette um ... die Demonstrationsteilnehmer
gebildet' worden (GAS 333). In einem strafrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht Dresden hat ein vernommener Beamter der Bundespolizei, Polizeiinspektion B. D. , laut Urteilsbegründung geäußert, ihre damalige Aufgabe sei
die einschließende Absperrung der Teilnehmer am B. D.-N. gewesen (AS 410, Behördenakte der Bekl. zu 1.). Im Ergebnis lag eine Einschließung der Versammlungsteilnehmer unzweifelhaft vor. Ein freier Zu- und Abgang zur
Versammlung war nicht gewährleistet. Dies ist mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Für das Einschließen einer Versammlung mittels Polizeikette gibt es auch keine Rechtsgrundlage im
Versammlungsgesetz, das als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vorgeht (zu letzterem vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.10.2004, Az. 1 BvR 1726/01, zit. nach juris).
Diese Maßnahme war hier jedoch ausnahmsweise (noch) rechtmäßig. Sie stellte angesichts der kurzen Dauer (von 15.28 bis 15.38 Uhr) keinen nachhaltigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar und diente darüber hinaus dem
Zweck, einen geordneten Ablauf des Versammlungsgeschehens herbeizuführen. Denn die Polizei wollte einem Losziehen der Versammlungsteilnehmer entgegenwirken bis zur Kontaktaufnahme des Klägers mit der
Versammlungsbehörde unter Beteiligung der Polizeiführung mit dem Ziel der Abklärung des weiteren Versammlungsgeschehens, letztlich als eine Art Kooperationsgespräch. So hatte der Kläger am U. Platz in B. gegenüber der
Versammlungsbehörde angekündigt, dass die genaue Route des Aufzugs am S. Platz bekannt gegeben werde. Derartige Gespräche hatten jedoch im Zeitpunkt des Formierens und Losziehens der Versammlungsteilnehmer nicht
stattgefunden. Die anwesenden Polizeikräfte, denen von der Versammlungsbehörde mitgeteilt worden war, dass vorerst (‚bis jetzt') nur eine stationäre Veranstaltung und (‚diverse') Aufzüge bislang nicht mit Versammlungsleitung und
-behörde abgesprochen worden seien (vgl. Video-Band II, Sprecher um 15.05 Uhr), standen nun einem dynamischen Versammlungsgeschehen gegenüber. Letztlich steht nicht einmal fest, ob der Kläger als Versammlungsleiter von
dem Wunsch der Veranstaltungsteilnehmer, endlich loszulaufen, vorab informiert war. Um 15.38 Uhr löste der Kläger durch seinen Stellvertreter unmittelbar nach dem für ihn und seine Versammlung unbefriedigenden Abschluss der
Gespräche mit der Versammlungsbehörde die Versammlung auf. Daraufhin wurden die einzelnen polizeilichen Einsatzkräfte zu neuen Einsatzorten beordert, die sie absichern sollten (mit dem Ziel, einen Zulauf in die D. N. zu
verhindern), und um 15.44 Uhr wurde die Einschließung aufgelöst.
3. Für den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog, der auf die Überprüfung der Befugnis von bis zu 6 Mitarbeitern der Beklagten zu 1. gerichtet ist, an polizeilichen Maßnahmen, insbesondere der
Einschließung, mitzuwirken, fehlt es am erforderlichen Feststellungsinteresse.
Zunächst einmal war die einzige polizeiliche Maßnahme, an der ein Mitwirken von Vollzugsbediensteten der Beklagten zu 1. vorgetragen und erkennbar ist, die Einschließung der Versammlung am S. Platz. Die Einschließung als
Maßnahme war für sich genommen nicht rechtswidrig (vgl. oben unter Ziffer 2). Ob möglicherweise vereinzelte Personen tatsächlich keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse hatten, wofür nach Aktenlage viel spricht (vgl. auch die
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben durch gemeindliche Vollzugsbedienstete vom 19.9.1991, GVBl. S. 355, geänd. durch ÄndVO vom 23.8.2001, GVBl.
S. 577), bedarf keiner (Auf)Klärung in diesem Verfahren. Denn selbst wenn sich Vollzugsbedienstete der Beklagten zu 1. zu Unrecht an der Einschließung beteiligt hätten, indem sie sich - aus eigenem Antrieb, Einsatzauftrag der
Beklagten zu 1. oder Weisung durch Polizeikräfte - zur Unterstützung mit einreihten, wäre dadurch die Rechtsposition des Klägers oder seiner Versammlung nicht beeinträchtigt. Diese Personen waren nämlich in so geringer Zahl
vorhanden, dass sie für die Einschließungsmaßnahme nicht wesentlich und prägend gewesen waren.
4. Auch der Feststellungsantrag des Klägers zu 4. ist unzulässig. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Reizgas und vom sog. Einsatz-Mehrzweckstock ist nicht erkennbar. Er
war weder persönlich von diesen polizeilichen Maßnahmen betroffen noch in seiner Funktion als Versammlungsleiter. Die Versammlung hatte er zuvor bereits durch seinen Stellvertreter aufgelöst. ..." (VG Dresden, Urteil vom
23.11.2011 - 6 K 1988/08)
***
Werbung für die PKK (VG Berlin, Beschluss vom 22.11.2011 - 1 L 369.11 zu § 15 Abs 1 VersammlG, § 20 VereinsG, Art 5 GG, Art 8 GG):
„... Werden einheitliche Fahnen mit dem Konterfei Öcalans auf Demonstrationen in der massierten Form eines Fahnenmeers zur Schau gestellt, so handelt es sich aus der Sicht eines unbefangenen, aber informierten Betrachters um
eine Werbung für die verbotene PKK. Öcalan ist noch immer Symbolfigur der PKK und deren Nachfolgeorganisationen und beteiligt sich - zum Teil über seine Anwälte - aktiv an politischen Auseinandersetzungen. Vor diesem
Hintergrund ist das massierte Zeigen von Öcalan-Fahnen bei summarischer Prüfung als nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG strafbare öffentliche Verwendung eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung anzusehen (ebenso
OVG Bremen, Urteil v. 25.10.2005 - 1 A 144/05, BeckRS 2006, 24299). Gleiches gilt für das massenhafte Zeigen von Fahnen verbotener kurdischer Organisationen, die in der Nachfolge der PKK stehen.
Würden dagegen nur vereinzelt Öcalan-Bilder oder derartige Fahnen gezeigt, träte das Versammlungsthema in den Vordergrund, so dass selbst bei Mehrdeutigkeit der Meinungsäußerung den Versammlungsteilnehmern die nicht
strafbare Sorge um das Wohl Öcalans und die Forderung nach Aufhebung des Verbots der PKK zu unterstellen wäre. Dies setzte allerdings voraus, dass die Bilder Öcalans nicht in martialischer Aufmachung gezeigt werden. Das
Zeigen vereinzelter, unkriegerisch gestalteter Bilder Öcalans auf einer Versammlung in beschränktem Umfang wäre eine zulässige Meinungsäußerung, die vom Grundrecht des Art. 5 GG gedeckt ist. Erst in einer Massierung der
einheitlichen Fahnen wird die Schwelle zur verbotenen Werbung für die PKK überschritten. Die Kammer hält an diesen bereits in vorangegangenen Entscheidungen definierten Voraussetzungen fest (vgl. hierzu VG Berlin, Beschluss
v. 07.12.2007 - VG 1 A 325.07; Beschluss v. 18.04.2008 - VG 1 A 98.08; Beschluss v. 25.01.2011 - VG 1 L 55.11).
Angesichts der bereits genannten Umstände kann bei summarischer Prüfung allerdings nicht zu Gunsten des Antragstellers angenommen werden, dass es lediglich zu einem vereinzelten Zeigen von Fahnen oder Abbildern Öcalans in
friedfertiger Aufmachung kommen wird. Die vielmehr zu befürchtende massenhafte Verwendung von Fahnen mit PKK-Symbolen stellt einen massiven Verstoß gegen § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG dar. Auch unter Berücksichtigung
von Art. 5 GG, der ein derartiges Verhalten nicht schützt, ist das Versammlungsverbot daher gerechtfertigt.
Das Verbot der Versammlung ist auch nicht unverhältnismäßig. Denn mildere, zur Vermeidung der prognostizierten Verstöße gegen die Rechtsordnung ebenso geeignete Mittel stehen dem Beklagten nicht zur Verfügung. Effektive
Vorfeldkontrollen scheiden schon angesichts der erwarteten Teilnehmerzahl von 10.000 bis 30.000 Menschen aus. Auch ein Eingreifen während der Versammlung ist angesichts der Masse an Teilnehmern - falls überhaupt möglich -
keinesfalls ebenso effektiv. Schließlich kommt auch nicht eine versammlungsrechtliche Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG als milderes Mittel in Betracht. Denn es ist nicht hinreichend sichergestellt, dass eine entsprechende Auflage
ebenso geeignet wäre. Es ist sehr zweifelhaft, ob diese überhaupt Beachtung finden würde. Die Äußerungen des Antragstellers zu den Kölner Ereignissen im Rahmen des Kooperationsgespräches zeigen vielmehr, dass mit einem
tatsächlichen Handeln des Veranstalters nicht gerechnet werden kann. Gestützt wird dies auch durch den dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Vermerk des Polizeipräsidiums Köln, wonach der Antragsteller als
Veranstaltungsleiter von der Polizei während der Veranstaltung ausdrücklich auf die verbotene Symbolik angesprochen worden ist, sich aber nicht veranlasst oder in der Lage gesehen hat einzugreifen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst ist rechtmäßig ausgesprochen worden, da andernfalls bei Durchführung der geplanten Versammlung die Begehung von Straftaten nach dem VereinsG unmittelbar zu besorgen ist.
Durch die damit verbundene unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann nicht zugewartet werden, bis der Widerspruch beschieden ist. Die dahingehende Begründung des Polizeipräsidenten in Berlin stellt nicht eine
lediglich formularmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung dar (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und wird dem formellen Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung gerecht. ..."
***
Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann nicht beansprucht werden an Orten, an denen kein allgemeiner Publikumsverkehr eröffnet ist, sondern der Zugang individuell kontrolliert und nur für bestimmte Zwecke gestattet
wird (VG Braunschweig, Urteil vom 06.10.2011 - 5 A 100/10 zu § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 15 Abs 1 VersammlG, § 43 VwGO, Art 8 GG, Art 19 Abs 4 GG u.a.):
„... Der Kläger begehrt, im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Rechtswidrigkeit von versammlungsrechtlichen Auflagen festzustellen.
Mit Schreiben vom 18.04.2010 (als Fax am selben Tag, einem Sonntag, um 18.32 Uhr eingegangen) zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er beabsichtige, am 07.05.2010 ab 16 Uhr eine versammlungsrechtliche Veranstaltung in
Form eines Fahrrad-Aufzugs und einer Kundgebung unter Lautsprechereinsatz mit ca. 10 bis 30 Teilnehmern als Protestaktion ‚gegen die Handlangerdienste staatlicher Einrichtungen für die Agro-Gentechnik' durchzuführen.
Zum Veranstaltungsort machte er die Angaben, dass der Demonstrationszug nach dem Start am Altstadtmarkt über die Sonnenstraße - Madamenweg - Rudolfplatz - B1 - Saarstraße Richtung Kanzlerfeld mit einer
Zwischenkundgebung am dortigen Edeka-Markt verlaufen solle, anschließend weiter entlang der Bundesallee bis zum Eingangsportal des Grundstücks Bundesallee 50, auf dem sich u.a. das von-Thünen-Instituts (vTI) befindet. Nach
einer Zwischenkundgebung am Portal sollte sich ein Protestrundgang auf dem Gelände anschließen, wobei der Weg bis zum Gebäude des Bundesministeriums für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und von dort
östlich am Stallgelände entlang bis zum geplanten Genmaisfeld und zurück führen sollte. Zwischenkundgebungen waren vor dem BVL, dem Stallgebäude und dem Versuchsfeld geplant.
Bei dem von-Thünen-Institut handelt es sich um eines von vier Bundesforschungsinstituten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Flächen auf dem Gelände des vTI
stehen soweit ersichtlich im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Inhaber des Hausrechts auf dem Gelände ist das vTI.
Vom 24. bis 27.04.2009 waren der Kläger sowie acht weitere Personen auf das umzäunte Gelände des vTI eingedrungen und hatten ein Versuchsfeld, auf dem innerhalb der nächsten vier Wochen gentechnisch veränderter Mais
ausgesät werden sollte, ‚besetzt'. Die ‚Besetzer' hielten sich drei Tage lang auf dem Feld auf, während derer das vTI und die Beklagte nicht hiergegen einschritten. Am 27.04.2009 wurde das Feld von der Polizei geräumt, nachdem die
Beklagte zwei versammlungsrechtliche Verfügungen, u.a. die Auflösung der Versammlung, erlassen hatte. Diese Verfügungen waren Gegenstand gerichtlicher Verfahren beim Verwaltungsgericht Braunschweig (Aktenzeichen 5 A
75/09 und 5 A 76/09), die durch einen Vergleich beendet wurden, in dem unter anderem folgende Vereinbarungen getroffen wurden:
1. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die Äußerungen des Vertreters der Beigeladenen [des vTI] und das Verhalten der beteiligten Personen sowie die Tatsache, dass polizeilich nicht eingegriffen worden war, vom
Kläger als jedenfalls vorübergehende, aber nicht befristete Duldung der Versammlung angesehen werden konnte.
2. Die Beteiligten sind sich einig, dass Art. 8 GG nicht ohne Weiteres den Zugang zu nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Grundstücken eröffnet, sondern bei einer Interessenabwägung im Sinne einer praktischen Konkordanz
auch die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sind.
3. Die Beteiligten sind sich einig, dass angesichts der unter 1. und 2. getroffenen Annahmen eine faktische Räumungsfrist von einer Stunde zu kurz bemessen war, wenn eine plötzliche Eskalation der Situation vor Erlass der ersten der
streitgegenständlichen Verfügungen nicht nachgewiesen werden kann.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte die Strafverfahren, die gegen die ‚Besetzer' u.a. wegen des Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und weiterer Delikte geführt
wurden, nach § 153 Abs. 1 StPO ein.
Mit Schreiben vom 20.04.2010 informierte die Beklagte das vTI über die Anmeldung der Versammlung, verwies auf Ziff. 2 des zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Vergleichs und bat um Stellungnahme. Unter
dem 22.04.2010 teilte das vTI der Beklagten mit, dass kein Einverständnis mit dem Betreten ihres Geländes durch die Versammlungsteilnehmer bestehe. Bei dem Gelände handele es sich um das Betriebsgelände mehrerer
Bundesdienststellen. Das Hausrecht sei insgesamt dem vTI übertragen. Die beabsichtigte Veranstaltung würde den Dienstbetrieb erheblich stören. Die Gebäude und Versuchsanlagen innerhalb des Geländes seien grundsätzlich völlig
frei zugänglich und nicht gesondert gesichert, weil die eigentliche Sicherheit des Geländes nach außen durch eine Umzäunung sowie einen Pförtner- und Wachdienst gewährleistet werde. Bei einer Versammlung auf dem Gelände wäre
auch wegen der unübersichtlichen Gestaltung der Liegenschaft mit einer großen Zahl baulicher und technischer Einrichtungen die erforderliche Sicherheit nicht hinreichend gewährleistet.
Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 27.04.2010 erteilte die Beklagte unter Anordnung des Sofortvollzuges ‚zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes
(VersG)' Auflagen für die Durchführung der Veranstaltung. Insbesondere ließ sie gemäß der Auflage Nr. 1a das Verwenden elektroakustischer Hilfsmittel nur ab einer Teilnehmerzahl von 50 Personen zu und beschränkte gemäß der
Auflage Nr. 2 das Recht der freien Ortswahl dahingehend, dass ein Betreten des Bundesgeländes, auf dem sich das vTI und andere Bundeseinrichtungen befinden, nicht gestattet wurde. Gemäß der Auflage Nr. 4 sollte sich der
Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts bewegen. Die Beklagte begründete diese Auflagen im Wesentlichen wie folgt: Umfasse eine
Versammlung einen Teilnehmerkreis unter 50 Personen, so könne sowohl dieser Kreis als auch die den Versammlungsort passierende Bevölkerung ohne Verstärkungsanlagen erreicht werden. Das vTI habe als Inhaberin des
Hausrechts der Nutzung des Bundesgeländes für die Versammlung nicht zugestimmt, sondern die Inanspruchnahme ausdrücklich abgelehnt. Durch die Versammlung auf dem Gelände des vTI würde der Dienstbetrieb erheblich gestört.
Die Sicherheit vor Beeinträchtigungen des Betriebes sei bei Durchführung der Veranstaltung nicht hinreichend gewährleistet, weil auf dem Gelände keine Schutzvorrichtungen für die Gebäude und Messeinrichtungen bestünden. Der
Schutz des Geländes werde dadurch bewirkt, dass durch die Umzäunung und den Wachdienst ein unbefugtes Eindringen auf das Gelände verhindert werde. Insofern sei zu berücksichtigen, dass der Kläger und weitere Personen in der
Vergangenheit ein Versuchsfeld besetzt hätten und deswegen strafrechtliche Ermittlungen gegen sie geführt wurden. Die vom Antragssteller für die Versammlung vorgesehenen Flächen auf dem Gelände des vTI seien nicht dem
öffentlichen Verkehr gewidmet. Die Inanspruchnahme der öffentlichen Straße vor dem Gelände des vTI trage unter Berücksichtigung des gewählten Versammlungsthemas einem etwaigen Anspruch auf Nähe zu einem ‚symbolhaften'
Ort hinreichend Rechnung. Angesichts dieser Umstände überwiege das Interesse des vTI an der vorgenommenen Beschränkung des Versammlungsortes gegenüber dem Interesse des Klägers auf Meinungskundgabe auf dem
Bundesgelände. Die Auflage Nr. 4 diene dem Aufrechterhalten des örtlichen Straßenverkehrs, der dem Aufzug bzw. der Kundgebung gleichwertig gegenüberstehe.
Am 05.05.2010 suchte der Kläger um einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung der Auflagen Nr. 1a, 2 und 4 im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 nach. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Der
Bescheid, der erst am 03.05.2010 bei ihm eingegangen sei, nenne keine plausiblen Gründe, weswegen die Versammlung nicht über das Gelände des vTI geführt werden dürfe. Mit der Behauptung, betriebliche Störungen würden für
die Einschränkung des Demonstrationsrechts ausreichen, würde die Beklagte gegen Ziff. 2 des zwischen ihm und ihr in den Verfahren 5 A 75/09 und 76/09 geschlossenen Vergleichs verstoßen. Die danach erforderliche
Interessenabwägung habe es nicht gegeben.
Mit Beschluss der Einzelrichterin vom 06.05.2010 (5 B 85/10) wies das erkennende Gericht den Antrag hinsichtlich der Auflagen Nr. 2 und Nr. 4 zurück. Bezogen auf die Auflage Nr. 1a wurde die aufschiebende Wirkung einer noch
zu erhebenden Klage wieder hergestellt, weil für die Anordnung, das Verwenden elektroakustischer Hilfsmittel sei erst ab einer Teilnehmerzahl von 50 zulässig, einzelfallbezogene Abwägungen fehlten und deshalb nach summarischer
Prüfung ein Ermessensfehler vorlag.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung seines Eilantrags zur Auflage Nr. 2 und Nr. 4 mit Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10) zurück. Zur Begründung führte es
aus, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) schließe nicht die Befugnis ein, auch nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch gewidmete Flächen ohne Zustimmung des Berechtigten zu Versammlungszwecken nutzen zu
dürfen. Die Auflage Nr. 4, wonach sich ‚der Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts zu bewegen' habe, sei rechtmäßig und nicht so zu
verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute vorhandene Gehwege stets zu benutzen seien.
Am 31.05.2010 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er begehrt festzustellen, dass die Auflagen Nr. 1a, 2 und 4 im Bescheid der Beklagten sowohl dem Versammlungsrecht als auch dem am 27.04.2010 geschlossenen Vergleich
widersprechen. Die Einschränkung der freien Ortswahl stelle einen schweren Eingriff in das Versammlungsrecht dar und komme hier einem Verbot der Demonstration gleich, weil der Zweck der Meinungskundgabe gerade vor den
drei gentechnikbetreibenden Institutionen bzw. in der Nähe des geplanten Genversuchsfeldes nicht mehr möglich gewesen sei. Soweit zur Begründung pauschal eine Gefährdung von Messeinrichtungen angeführt worden sei, sei eine
Routenänderung als milderes Mittel nie geprüft worden. Außerdem treffe es nicht zu, dass die Umzäunung des Gesamtgeländes der einzige Schutz sei, denn die meisten Messeinrichtungen seien zusätzlich durch Zäune gesichert. Ein
Betreten des Geländes sei tagsüber immer und ohne Kontrolle möglich, denn an der Pforte würden Besucher nicht ständig kontrolliert. Das Gelände des vTI sei auch ein im Alltag öffentlich genutzter Raum und beherberge eine
Vielzahl von Einrichtungen, wie z.B. einen Kindergarten, eine Wetterstation, Tennisplätze, private Kleingärten und mehrere Wohnhäuser. Daneben würden etliche öffentliche Veranstaltungen auf dem Gelände durchgeführt, zu denen
ein allgemeiner, öffentlicher Zugang zugelassen werde (z.B. Ankündigung im Internet für einen Babybasar im Forum des vTI). Orte staatlichen Handelns könnten durch Errichtung einer Art Schutzzone nicht dem Versammlungsrecht
und damit der öffentlich geäußerten Kritik entzogen werden. Auch der Verweis der Beklagten, es sei in der Vergangenheit zu Störungen gekommen, die zu Ermittlungsverfahren geführt hätten, sei nicht substantiiert. Strafverfahren
seien nicht zum Abschluss gekommen, und Ermittlungen würden nicht mehr stattfinden. Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung, ob die Demonstration im Frühjahr 2009 rechtmäßig gewesen sei, sei durch den geschlossenen
Vergleich verhindert worden. Außerdem sei das Ereignis im Frühjahr 2009 gerade nicht mit der jetzt angemeldeten Versammlung vergleichbar, weil die Meinungskundgabe damals nachts und ohne vorherige Anmeldung erfolgt sei.
Wäre die Befürchtung der Störung der öffentlichen Sicherheit ausreichend substantiiert gewesen, hätten Abstimmungsgespräche und spezifische Ablaufänderungen erfolgen können. Außerdem verstoße die Beklagte mit der pauschalen
Behauptung, betriebliche Störungen würden schon ausreichen, das Demonstrationsrecht einzuschränken, gegen den für sie bindenden Vergleich, den sie mit ihm geschlossen habe. Eine Interessenabwägung habe gerade nicht
stattgefunden. Mit der Auflage Nr. 4 werde der Polizei eine Vollmacht gegeben, ohne weitere Angabe von Gründen die Benutzung von Gehwegen vorzuschreiben. Die ‚indirekte Auflage', den Gehweg wenn möglich zu benutzen,
enthalte keine Abwägungspflicht, sondern nur einen unpräzisen, für die Polizei beliebig auslegbaren Hinweis auf die Möglichkeit, die Versammlung zur Unkenntlichkeit zu degradieren. Er begehre außerdem die Feststellung, dass die
Zusendung des Auflagenbescheides erst kurz vor der geplanten Versammlung dem Versammlungsrecht widerspreche, denn er habe die Versammlung mit Fax vom 18.04.2010 angemeldet, der Auflagenbescheid sei aber erst am
03.05.2010 bei ihm eingegangen. Dadurch sei die Ausschöpfung des Rechtsweges in Form der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich gewesen.
Zunächst hat der Kläger u.a. beantragt, die Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 1a festzustellen. Nachdem die Beklagte im Hinblick auf den Beschluss des Gerichts vom 06.05.2010 (5 B 85/10) die Auflage Nr. 1a des angefochtenen
Bescheides aufgehoben und insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat, hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.10.2011 dieser Erledigungserklärung angeschlossen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. festzustellen, dass die Auflagen Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides der Beklagten vom 27.04.2010 rechtswidrig gewesen sind und
2. festzustellen, dass die Zusendung des Auflagenbescheides vom 27.04.2010 erst am 03.05.2010 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schließe nicht die Befugnis ein, eine nicht dem öffentlichen Gemeingebrauch gewidmete Fläche ohne Zustimmung des Berechtigten zu Versammlungszwecken zu nutzen. Das
vTI habe sein Einverständnis wegen einer erheblichen Störung des Dienstbetriebes verweigert, weil die erforderliche Sicherheit für die im Außenbereich installierten Versuchsanlagen nicht gegeben und weder vom eigenen Personal
noch durch die Polizei gewährleistet sei. Dem Interesse des Klägers an einer Nähe zum ‚symbolhaften Ort' sei dadurch Rechnung getragen, dass die Versammlung vor dem vTI möglich gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Eilverfahrens 5 B 85/10 und der durch Vergleich
erledigten Verfahren 5 A 75/09 und 5 A 76/09 sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. ...
Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach dieser Vorschrift spricht das Verwaltungsgericht auf Antrag aus, dass ein vor Abschluss des Verfahrens erledigter
Verwaltungsakt rechtswidrig war, wenn der Kläger an der Feststellung ein berechtigtes Interesse hat. Das gilt auch für Fälle, in denen ein streitiger Verwaltungsakt sich schon vor Klageerhebung erledigt hat. Dies ist hier der Fall.
Beide (noch) streitgegenständlichen Auflagen (Nr. 2 und 4) im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 haben sich mit der Durchführung der Versammlung am 07.05.2011 erledigt.
Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers als verantwortlicher Leiter der Versammlung ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in der Demokratie gebietet
stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtschutzes, wenn die Grundrechtsausübung unterbunden worden ist - so wie hier - die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen aber
nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - juris).
Die Klage mit dem Antrag zu 1. ist jedoch nicht begründet. Die Auflagen Nr. 2 und 4 waren rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 27.04.2010 in nicht zu beanstandender Weise durch die Auflage Nr. 2 angeordnet, dass der Demonstrationszug nicht auf das Bundesgelände, auf dem sich das vTI und weitere
Bundeseinrichtungen befinden, geführt werden darf. Sie verstößt damit weder gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) noch gegen den zwischen den Beteiligten in den Verfahren 5 A 75/09 und 5 A 76/09
geschlossenen Vergleich.
Anzuwenden ist auf die für den 07.05.2010 angemeldete Versammlung das alte Recht, d.h. das Versammlungsgesetz (VersG) des Bundes vom 15.11.1978 (BGBl. I S. 1789), das erst mit Wirkung zum 01.02.2011 vom
Niedersächsischen Versammlungsgesetz vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465, ber. S. 532) in Landesrecht überführt wurde. Rechtsgrundlage einer versammlungsrechtlichen Auflage war danach § 15 Abs. 1 VersG. Gemäß § 15 Abs. 1
VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst hierbei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum
und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt voraus, dass der Schadenseintritt bei Durchführung der
Versammlung oder des Aufzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Erforderlich ist jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf
Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten (vgl. B. d. Einzelrichterin d. Kammer v. 06.05.2010 - 5 B 85/10 -; OVG Brandenburg, B. v. 14.11.2003 - 4 B 365/03 -, juris Rn. 7 m.w.N.).
Die Auflage Nr. 2 verstößt nicht gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), das das Recht gewährt, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Der Kläger hat
keinen Anspruch auf Durchführung einer Versammlung auf dem Gelände Bundesallee 50 in Braunschweig ohne Zustimmung des vTI, das über das Hausrecht verfügt.
Für die Inanspruchnahme der betroffenen Flächen ist eine Gestattung des vTI erforderlich, weil das Gelände nicht dem öffentlichen Verkehr, sondern anderen versammlungsfremden Zwecken gewidmet ist (vgl. dazu schon die Gründe
zu II. des den Beteiligten bekannten Beschlusses d. Kammer v. 09.03.2010 - 5 B 49/10 - und den hierzu ergangenen Beschluss d. Nds. Oberverwaltungsgerichts v. 10.03.2010 - 11 ME 74/10 -). Bei den Flächen handelt es sich um
öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch, die dem jeweiligen Sachherrn zum verwaltungsinternen Gebrauch zugewiesen sind. Dass sie hierbei auch von Publikumsverkehr in Anspruch genommen werden, steht dieser Bewertung
nicht entgegen, weil dieser Verkehr stets auf die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe bezogen ist und - anders als bei dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegen und Plätzen - nicht auf einer originären Nutzungsberechtigung im
Rahmen des Gemeingebrauchs beruht (vgl. B. d. Kammer v. 09.03.2010 - 5 B 49/10 -).
Soweit sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.02.2011 (Az.: 1 BvR 699/06 ‚Fraport') bezieht, in dem ausgeführt wird, dass von der öffentlichen Hand beherrschte gesamtwirtschaftliche Unternehmen
ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen (juris Rn. 46 ff.), folgt daraus ebenfalls nicht das
Recht des Klägers auf Inanspruchnahme des Geländes Bundesallee 50 in Braunschweig zu Versammlungszwecken.
Vielmehr unterscheidet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zwischen den Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sowie den Orten, an denen kein allgemeiner Verkehr eröffnet ist und stellt fest, dass die Wahrnehmung
der Versammlungsfreiheit an den letztgenannten Orten nicht beansprucht werden kann (U. v. 22.02.2011, a.a.O., juris Rn. 69). Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die
Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind danach zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Hinzu kommen Orte, an denen die Verbindung von
Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet sind, wie etwa der 4.000 qm große Marktplatz auf der ‚Landseite' des Frankfurter
Flughafens, für den u.a. mit dem Motto ‚Airport Shopping für alle!' geworben wird (BVerfG, U. v. 22.02.2011, a.a.O., juris Rn. 69-72).
Dagegen ist ein allgemeiner Verkehr zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird, nicht eröffnet. Darunter
fallen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie etwa an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung
sicherstellt, dass nur bestimmte Personen - die Flugpassagiere um ihre Reise anzutreten - Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht
werden (BVerG, U. v. 22.01.2011, a.a.O., juris Rn. 69).
Nach diesen Unterscheidungskriterien ist das Gelände Bundesallee 50 in Braunschweig, auf dem sich neben dem vTI andere Bundesdienststellen wie das BvL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit), das JKI
(Julius-Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen) und das FLI (Friedrich-Löffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit) befinden, nicht allgemein zugänglich für die Öffentlichkeit. Das Gesamtgelände
ist von einem Zaun umschlossen und nur zugänglich durch Passieren eines Pförtnerbereichs, in dem sich Personen, die dort nicht beschäftigt sind, anzumelden haben. Die dem Pförtner nicht persönlich bekannten Personen können die
am Eingangsbereich befindliche Schranke erst passieren, wenn sie über eine Gegensprechanlage den Grund ihres Besuches angegeben haben.
Der Hinweis des Klägers darauf, dass sich auf dem Gelände ein Kindergarten, mehrere Tennisplätze und private Kleingärten befinden sowie Veranstaltungen, wie etwa private Flohmärkte stattfinden, führt nicht zu der Annahme, dass
dort ein allgemeiner Verkehr eröffnet ist. Vielmehr wird den Personen, die an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen oder ihre Kinder in den dortigen Kindergarten bringen, nur zu bestimmten Zwecken der Zugang auf das Gelände gewährt.
Auch sind dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Unterscheidungskriterien zur Bestimmung von Orten, an denen ein allgemeiner Verkehr eröffnet oder nicht eröffnet ist, auf
Grundstücke, die im Eigentum der Bundesrepublik stehen und auf denen sich Einrichtungen des Bundes - wie hier Bundesforschungsinstitute - befinden, nicht anwendbar sind. Soweit der Kläger einwendet, ‚Orte staatlichen Handelns'
dürften durch Errichtung einer Art ‚Schutzzone' nicht dem Versammlungsrecht entzogen werden, muss er sich entgegen halten lassen, dass es einen Anspruch der Öffentlichkeit auf einen uneingeschränkten Zugang zu
Bundeseinrichtungen nicht gibt.
Handelt es sich bei dem Bundesgelände somit um einen Ort, auf dem kein allgemeiner Publikumsverkehr stattfindet, weil das Gelände nicht allgemein zugänglich ist und der Zugang nur zu bestimmten Zwecken gewährt wird, kann
sich der Kläger weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber dem vTI auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen.
Daraus folgt auch, wie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinen Beschlüssen vom 10.03.2010 (11 ME 74/10) und vom 07.05.2010 (11 ME 153/10) bereits ausgeführt hat, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, einen
Zugang auf das Gelände Bundesallee 50 zu gestatten. Berechtigt ist insoweit allein das vTI als Hausrechtsinhaber. Eine Inanspruchnahme der Bundesflächen durch den Kläger kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn er eine
Gestattung vom vTI erhält. Bei Ablehnung einer Nutzungserlaubnis durch das vTI ist er darauf zu verweisen, den Zivilrechtsweg einzuschlagen und das vTI zu verklagen (Vergleichbares spielte sich in dem vom BVerfG entschiedenen
Fall, der dem U. v. 22.01.2011, a.a.O., zugrunde lag, ab: Die Fraport AG hatte gegenüber dem Kläger ein Demonstrationsverbot ausgesprochen, woraufhin er die Fraport AG verklagte. Nach ablehnenden Urteilen des Amtsgerichts,
Landgerichts und des BGH erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde).
Selbst wenn aber dem Kläger gefolgt und das Bundesgelände als öffentlich genutzter Raum eingeordnet würde, wäre die Auflage Nr. 2 rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verbot des Betretens der Bundesflächen würde dann in die
Versammlungsfreiheit des Klägers eingreifen und wäre nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daran zu messen, ob es legitime Zwecke erfüllt. Dies wäre zu bejahen, denn die Beklagte hat die ablehnende Entscheidung des vTI
im Schreiben vom 22.04.2010 inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft und dies im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 1 VersG berücksichtigt.
Die Beklagte ist in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass das Interesse des vTI an der Beschränkung des Versammlungsortes letztlich überwiegt. Dabei hat sie die Bedeutung des Grundrechts der
Versammlungsfreiheit, aber auch den Widmungszweck der Flächen in ihre Abwägung einbezogen. Zulasten einer Inanspruchnahme hat sie in nachvollziehbarer Weise auf Beeinträchtigungen des Betriebsablaufes des vTI abgestellt,
die bei einer Durchführung der Veranstaltung auf dessen Gelände zu befürchten waren. Hierbei hat sie sich darauf gestützt, dass eine Sicherung des Geländes grundsätzlich nach außen (nur) durch die Umzäunung sowie einen Pförtner-
und Wachdienst erfolgt und die Gebäude sowie Versuchsanlagen deswegen im Inneren des Bundesgeländes grundsätzlich frei zugänglich sind. An dieser Bewertung ändert sich nichts dadurch, dass einzelne Messstationen nach der
Erinnerung des Klägers nochmals gesondert gesichert sind. Berücksichtigen durfte sie insoweit auch, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits durch eine eigenmächtige ‚Besetzung' eines Versuchsfeldes des vTI aufgefallen ist,
weswegen strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn geführt wurden. Bei der Prognose, ob aus dem Umfeld der von ihm angemeldeten Versammlung Störungen des Betriebsablaufes des vTI zu befürchten sind, weil bestehende
Sicherheitslücken ausgenützt würden, wirkt sich dies zu seinen Lasten aus. Beeinträchtigungen des Betriebsablaufes des vTI sind zudem bereits auch durch die Veranstaltung als solche (bspw. die Kundgebungen und das Abspielen
von Musik) zu befürchten. Die Beklagte führt nachvollziehbar aus, dass diese Gesichtspunkte gegen eine Inanspruchnahme der Bundesflächen das Interesse des Klägers an einer Inanspruchnahme überwiegen.
Der Kläger kann sich für die Inanspruchnahme der Flächen auch nicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Es ist nicht ersichtlich, dass das vTI in der Vergangenheit sein Gelände für Versammlungen zur Verfügung
gestellt hat. Insbesondere lag der dreitägigen ‚Besetzung' des Versuchsfeldes im April 2009 keine vergleichbare Situation zugrunde. Das vTI ist (nur) deswegen drei Tage lang nicht gegen die ‚Besetzung' eingeschritten, um zu einer
Deeskalation der seitens der ‚Besetzer' eigenmächtig herbeigeführten Situation beizutragen (vgl. das Verfahren 5 A 75/09).
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf eine Gestattung, der sich aus Ziff. 2 des zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Vergleichs vom 08.03.2010 ergeben könnte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist in
diesem Vergleich nicht die Rede davon, dass ‚die Untersagung von Versammlungen auf dem Gelände des vTI nur bei überwiegenden Interessen des vTI möglich ist'. Vielmehr stellt Ziff. 2 des Vergleichs allgemein fest, dass Art. 8 GG
nicht ohne Weiteres den Zugang zu nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Grundstücken eröffnet, sondern bei einer Interessenabwägung…auch die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Grundstückseigentümers zu
berücksichtigen sind. Eine Interessenabwägung hat die Beklagte hier durchgeführt, indem sie, wie oben bereits ausgeführt wurde, die Gründe, die das vTI in seinem Schreiben vom 22.04.2010 für die Ablehnung der Nutzung seines
Geländes zu Versammlungszwecken aufgeführt hat, mit dem Interesse des Klägers abgewogen hat.
Ein Anspruch auf Gewährung künftigen Zugangs gegenüber dem vTI ergibt sich aus Ziff. 2 des Vergleichs nicht. Dazu wäre die Beklagte aus o.g. Gründen auch nicht befugt. Der Vergleich hatte außerdem zum Inhalt, die Verfahren 5
A 75/09 und 5 A 76/09 zu beenden und berücksichtigte die besondere Konstellation dieser Verfahren (befristete Duldung der Versammlung, faktische Räumungsfrist von einer Stunde). Dagegen war Gegenstand des Vergleichs gerade
nicht, die Durchführung zukünftiger Versammlungen zu regeln und hierfür Zusicherungen abzugeben. Auch hierzu wäre die Beklagte nicht befugt gewesen. Im Übrigen ist zwischenzeitlich durch die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 22.01.2011 (a.a.O.) sogar klargestellt, dass eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit von vornherein nur an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs möglich ist, so dass sich aus dem Vergleich
erst Recht ein Anspruch auf eine Abwägung mit den Interessen des vTI nicht mehr herleiten lässt.
Die Auflage Nr. 4 im Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010, wonach sich ‚der Demonstrationszug, soweit das Benutzen vorhandener Gehwege ausgeschlossen ist, ausschließlich auf dem rechten Fahrstreifen rechts zu bewegen hat',
ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Hierzu hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10) ausgeführt:
‚Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Mai 2010 klargestellt hat, ist die Auflage ersichtlich nicht so zu verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute
vorhandene Gehwege stets zu benutzen sind. Vielmehr ist es erkennbar Sinn und Zweck der Auflage, die mit jeder Versammlung auf öffentlichen Flächen verbundenen und grundsätzlich hinzunehmenden Beeinträchtigungen des
üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten und zu diesem Zweck die Versammlung im Wege praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Interessen auf die Benutzung des jeweils rechten, insoweit geeigneten Teils des
öffentlichen Straßenraums zu verweisen, um die Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten. Eine nähere Konkretisierung mag zwar wünschenswert erscheinen, ist aber im voraus kaum möglich und mit der
Auflage auch nicht beabsichtigt, da dies von den nicht verlässlich prognostizierbaren örtlichen Verhältnissen gerade im Veranstaltungszeitpunkt abhängt, insbesondere auch von der Anzahl der Teilnehmer an der Versammlung und der
Verkehrsbedeutung und - belastung der jeweiligen Straße. Sollten sich - wie in der Anmeldung vorgesehen - nur 10 bis 30 Personen an der Versammlung beteiligen, so ist es den Teilnehmern daher etwa in Interesse der üblichen
motorisierten Verkehrsteilnehmer grundsätzlich zuzumuten, die von der Antragsgegnerin angeführten kombinierten Geh- und Radwege insbesondere neben der Fahrbahn von Bundesstraßen zu benutzen, soweit der Demonstrationszug
dadurch nicht als solcher unkenntlich wird, sich zu sehr in die Länge zieht oder sich auf dem Geh- und Radweg bereits zahlreiche andere Verkehrsteilnehmer befinden. Inwieweit diese Bedingungen im Einzelfall gegeben sind, kann
aber nicht verwaltungsgerichtlich im Voraus, sondern nur vor Ort beurteilt werden. Die so verstandene Auflage ist mit der Versammlungsfreiheit und auch sonstigem Recht zu vereinbaren. Die vom Antragsteller angeführten
Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über die Fahrbahnbenutzungspflicht für (erwachsene) Radfahrer (§§ 2 Abs. 1, 25 Abs. 1) stehen der Rechtmäßigkeit der Auflage schon deshalb nicht entgegen, weil ein ausschließlich für
den Fußgängerverkehr bestimmter Gehweg kaum die o. a. Voraussetzungen erfüllen dürfte, um die ‚radelnden' Teilnehmer der Versammlung aufzunehmen, und die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für Versammlungen im
Übrigen ohnehin nur eingeschränkt gelten (vgl. allgemein Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 15, Rn. 186 ff., sowie zu einer Fahrraddemonstration auf einer Bundesautobahn VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008 - 6 B
1629/08 -, DVBl 2008, 1322); so ist etwa auch das Verbot des § 33 Abs. 1 StVO , Verkehrsteilnehmer durch Lautsprecher oder Propaganda abzulenken, auf Versammlungen nicht anwendbar.'
Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an und verweist nochmals darauf, dass der Eingriff in die Versammlungsfreiheit relativ gering war. Soweit die Route durch die Innenstadt von Braunschweig führte, kam ein
Benutzen der Gehwege wegen des dortigen Fußgängerverkehrs ohnehin nicht in Betracht. Soweit im Bereich der B1 - Saarstraße - und der Bundesallee ein Befahren des Gehwegs in Betracht kommt, zumal dort am Freitag Nachmittag
mit einem erhöhten Fahrverkehr zu rechnen ist, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, weshalb dadurch der Fahrradaufzug nicht mehr sichtbar sein sollte.
Der Klageantrag zu 2. auf Feststellung, dass die Zusendung des Auflagenbescheides vom 27.04.2010 erst am 03.05.2010 rechtswidrig gewesen ist, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Für die in Bezug auf das Feststellungsbegehren des Klägers allenfalls nach § 43 VwGO zulässige Feststellungsklage ist bereits zweifelhaft, ob die Feststellung der rechtzeitigen Bekanntgabe eines Auflagenbescheides im Rahmen des
versammlungsrechtlichen Kooperationsverhältnisses zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde ein hinreichend konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Diese Frage kann hier dahin gestellt bleiben, denn die
Klage ist nicht begründet. Der Zugang des Auflagenbescheides erst am 03.05.2010 und damit 4 Tage vor der geplanten Versammlung war zwar spät, hat letztlich aber nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers geführt.
Nach Auffassung der erkennenden Kammer hat die Beklagte ihre Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht verletzt, auch wenn bedenklich erscheint, dass der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 (einem Dienstag) dem
Kläger erst am Montag, dem 03.05.2010 zuging.
Eine Kooperationspflicht ist im Versammlungsgesetz des Bundes nicht ausdrücklich geregelt. Die Pflicht der Versammlungsbehörde, sich um ‚vertrauensvolle Kooperation' zu bemühen, ergibt sich aber aus dem Gebot
grundrechtsfreundlicher Verfahrensgestaltung (vgl. Dietel/Ginzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. A., § 14 Rn. 25 ff.). So ist wesentlicher Ausdruck des Kooperationsgrundsatzes u.a. die rechtzeitige Bekanntgabe von
beschränkenden Verfügungen. Sie muss früh genug erfolgen, damit der Betroffene Zeit für Reaktionen erhält (vgl. Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2011, § 6 Rn. 9 m.w.N. zum VersG des Bundes). Obgleich die
Beklagte nicht berücksichtigt hat, dass der Bescheid, der offenbar erst am Freitag, den 30.04.2010 versandt wurde (‚Ab-Vermerk' vom 29.04.2010), am Samstag, den 01.05.2010 wegen des Feiertags dem Kläger nicht zugehen konnte,
hatte der Kläger noch hinreichend Zeit, gerichtlichen Eilrechtsschutz zu beantragen und erhielt die Entscheidungen zweier Instanzen rechtzeitig vor Beginn der Versammlung. Dass er das Bundesverfassungsgericht vor der
Versammlung nicht mehr anrufen konnte, führt weder zu einer mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Rechtswegverkürzung, noch ist damit eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verbunden,
denn die Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, der sich ohne weiteres anschließt (vgl. Schmahl in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 11. A., Art. 103 Anm. 23; Hofmann, ebenda, Art. 19
GG Anm. 40).
Ohne dass es rechtlich noch darauf ankommt, weist die Kammer nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass der Veranstalter zwar nicht verpflichtet ist, mit der Versammlungsbehörde zusammenzuarbeiten. Mangelnde
Kooperationsbereitschaft des Veranstalters und Leiters der Versammlung kann sich jedoch mittelbar auswirken. So hätte der Kläger hier früher von dem Bescheid erfahren, wenn er bei der Beklagten telefonisch nach dem Sachstand
gefragt und/oder er eine Telefax-Nummer, an die ihm der Bescheid hätte übersandt werden können, angegeben hätte. ..."
***
Der Ausschluss eines Versammlungsleiters nach § 15 VersammlG setzt das Vorliegen einer von ihm ausgehenden unmittelbaren Gefährdung zentraler Rechtsgüter voraus. Die Begrenzung der Lautsprechernutzung für eine
Versammlung setzt eine konkrete Rechtsgüterabwägung im Einzelfall voraus.Die Auflage, nach Möglichkeit den Rad-und Gehweg zu benutzen, ist in Zusammenarbeit zwischen dem Versammlungsleiter und der Polizei vor Ort
flexibel zu handhaben (VG Braunschweig, Urteil vom 06.10.2011 - 5 A 82/10):
„... Die Rechtswidrigkeit der Auflage 1a), der Begrenzung der Megaphonnutzung auf eine Versammlung mit mehr als 50 Teilnehmern, im Bescheid vom 30.03.2010 ist festzustellen. Die erkennende Kammer hat dazu ausgeführt (B. v.
06.05.2010, a. a. O.):
" Die Frage, wann ein Schallverstärker zur Durchführung einer Versammlung erforderlich ist oder entgegenstehende andere Interessen den Verzicht auf einen Schallverstärker fordern, ist im Lichte der verfassungsrechtlichen
Gewährleistung der Versammlungsfreiheit zu beantworten. Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sollen
ein ungehindertes Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungsäußerung garantieren. Die Beteiligten sind grundsätzlich dazu berechtigt, den Gegenstand der
öffentlichen Meinungsbildung und die Form des kommunikativen Einwirkens zu bestimmen. (VG Augsburg, Urt. v. 04.04.2007, Au 4 K 06.1058; VG Berlin, Urt. v. 21.12.2005 - 1 A 162.01 - jeweils juris - jeweils mit weiteren
Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Grundsätzlich umfasst der Schutzbereich des Grundrechts sowohl die Kommunikation unter den Versammlungsteilnehmern (Binnenkommunikation) als auch die Möglichkeit,
Unbeteiligte mit Hilfe der verbalen und akustischen Botschaft anzusprechen. Jedoch ist dieses Recht im Sinne praktischer Konkordanz mit den Rechten anderer in Übereinstimmung zu bringen. Das Recht, über die Mittel der
Kommunikation selbst zu bestimmen, findet damit seine Grenze in den Grundrechten anderer. Der Schutz der Gesundheit, insbesondere von Anwohnern gebietet es, dass die Schalleinwirkung nicht die Grenze der zumutbaren
Lärmbelastung überschreitet. Darüber hinaus darf die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs durch den Einsatz von Lautsprechern nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Auch das Recht von Privatpersonen nicht
gegen ihren Willen unausweichlich mit akustischen Botschaften konfrontiert zu werden, begrenzt den Einsatz von Lautsprechern und Megaphonen (VG Berlin a.a.O., VG Augsburg a.a.O.).
Diese Abwägung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Art der Veranstaltung durchzuführen. Dabei ist die Zahl der Veranstaltungsteilnehmer nur ein Abwägungselement neben den übrigen, die
wechselseitige Interessenlage kennzeichnenden Elementen. Dazu zählen räumliche, die Akustik beeinflussende Gegebenheiten, die bereits ohne die Veranstaltung bestehende Lärmbelastung und auch die ‚Vorbelastung' der Anwohner
des Versammlungsortes mit anderen Veranstaltungen (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 28.07.2006 - 10 B 4435/06 -; Nds. OVG, Beschl. v. 15.09.2006 - 11 ME 235/06 - www.dbovg.niedersachsen.de).'
Einzelfallabwägungen der beschriebenen Art finden sich im Bescheid vom 30.03.2010 nicht. Auch die in der Klageerwiderung aufgeführten Gründe stellen keine zutreffenden Ermessenserwägungen dar. Deshalb kann die Frage, ob
das Nachschieben von Gründen in den Klagerwiderungen hier zulässig ist, offen bleiben. Der Kläger hat zutreffend ausgeführt, dass die Auflage 1a) dem Wortlaut nach nur für den stationären Teil der Versammlung gilt. Dieser
stationäre Teil hat außerhalb der Bebauung an einem Ort stattgefunden, an dem das von der Beklagten geltend gemachte Ruheinteresse der Bewohner von Waggum nicht relevant wurde. Außerdem hätte die sich aus der Rodung der
Bäume ergebende Lärmentwicklung in der Abwägung berücksichtigt werden müssen.
Die Auflage 3) im Bescheid vom 30.03.2010, der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter, ist rechtmäßig.
Die Beklagte hat die Anordnung des Ausschlusses als Versammlungsleiter zutreffend als Auflage angesehen und auf § 15 VersG gestützt. Das Versammlungsgesetz (des Bundes in der hier anzuwenden Fassung) sieht für öffentliche
Versammlungen keine andere Eingriffsnorm vor. Die Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände der §§ 25-29 VersG knüpfen dementsprechend an § 15 VersG an. Obwohl § 15 VersG generalklauselartig gefasst ist und keine
einzelnen Auflagen benennt, können auf diese Vorschrift allgemein Maßnahmen zur Gewährleistung einer möglichst störungsfreien Durchführung der Versammlung gestützt werden, wenn dies aus Gründen einer unmittelbaren
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit notwendig ist (VGH Mannheim, U. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - juris; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2001, Rdnr. 4 zu § 10 ). Die Entscheidung des OVG Sachsen (B. v.
04.04.2002 - 3 BS 105/02 - juris), die Behörde müsse die Versammlung verbieten, wenn sie den Versammlungsleiter für unzuverlässig hielte, weil von ihm eine unmittelbare Gefährdung ausginge, steht einem Ausschluss auf der
Grundlage von § 15 VersG nicht entgegen, denn es handelt sich um eine nicht näher begründete Feststellung in einem Eilbeschluss in einem Fall, in dem letztlich die Gefährdungslage insgesamt verneint wurde und ist deshalb wenig
aussagekräftig. Sie steht auch im Widerspruch zur übrigen Rechtsprechung.
Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung setzt der Ausschluss als Versammlungsleiter auch nicht eine rechtskräftig nachgewiesene strafbare Handlung voraus. Die insoweit von ihm herangezogene Rechtsprechung (BVerfG,
B. v. 25.07.1998 - 1 BvQ 11/98 - juris), erwähnt den Vorwurf strafbarer Handlungen gegen den Versammlungsleiter lediglich nachrichtlich, macht aber nicht eine rechtskräftige Verurteilung zur Voraussetzung der Maßnahme. Aus den
vom Kläger zitierten Literaturmeinungen zur Strafbarkeit im Rahmen des Art 8 GG ( BVerfG, B. v. 01.12.1992 - a. a. O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., Rdnr 12 zu § 25; Depenheuer in Maunz-Dürig-Herzog, a. a. O.) ergibt sich
nicht, dass eine Maßnahme nach § 15 VersG nur auf nachgewiesene Verstöße gegen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüfte Auflagen gestützt werden kann, denn es handelt sich hier gerade nicht um eine Strafverfolgung, sondern um eine
polizeirechtliche Gefahrenabwehrmaßnahme, die eine Gefahrenprognose erfordert.
Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst hierbei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit,
Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt voraus, dass der Schadenseintritt bei
Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Erforderlich ist jeweils eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren Umständen beruhen
muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten (B. d. erkennenden Kammer v. 06.05.2010, a. a. O).
Abzustellen ist also nicht auf eine allgemeine Eignung und/oder Zuverlässigkeit als Leiter einer Versammlung (so wohl Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 8 zu § 7), sondern auf die konkrete unmittelbare Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit. Dabei darf die Behörde aus gegebenem Anlass die Zuverlässigkeit eines Versammlungsleiters prüfen (für Ordner: VGH Mannheim, U. v. 30.06.2011, a. a. O.), es besteht aber z. B. keine allgemeine - also nicht
anlassbezogene - Verpflichtung des Versammlungsleiters, Maßnahmen zur Sicherung vor Störungen der öffentlichen Sicherheit nachzuweisen (BVerfG, B. v. 01.05.2001 - 1 BvQ 21/10 - juris). Anknüpfungspunkt darf also nicht eine
bloße Unbotmäßigkeit sein (BVerfG, U. v. 01.20.1992, a. a. O.). Dementsprechend hat der Niedersächsische Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 Satz 2 NVersG bewusst auf den unbestimmten Begriff der fehlenden persönlichen Eignung des
Versammlungsleiters verzichtet (Ullrich, a. a. O.).
Bei der Überprüfung der Gefahrenprognose darf das Gericht nicht ‚von rückwärts aus den ihm bekannt gewordenen Tatsachenbefund beurteilen, sondern nur nach dem Tatsachenmaterial, das die zuständige Behörde bei der
Entscheidung zugrunde legen konnte und musste' entscheiden (Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 157 zu § 15). Zu überprüfen ist also, ob die Behörde zu Recht aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial auf die drohende
unmittelbare Gefahr geschlossen hat. Dieser Annahme steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.1992 (a. a. O., Rdnr. 53 f. des Jurisabdrucks) nicht entgegen soweit dort die ‚verbindliche Klärung der
Rechtmäßigkeit' (dort einer Auflösungsverfügung) zwar nicht als Voraussetzung für die Durchsetzung mittels eines Zwangsmittels, wohl aber für eine Ahndung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht angesehen wird. Das
Bundesverfassungsgericht begründet diese Differenzierung damit, dass im ersten Fall die Entscheidung situationsgebunden sei und nicht aufgeschoben werden könne, was für die spätere Verhängung einer Sanktion nicht gelte. Die hier
angesichts der monatlich wiederkehrenden Versammlungsanmeldungen des Klägers für tägliche Versammlungen aufgrund der Vorkommnisse bei den vorangegangenen Demonstrationen getroffene Maßnahme des Ausschlusses als
Versammlungsleiter im Bescheid vom 30.03.2010 für die Zeit vom 01.04. bis 30.04.2010 ist als situationsgebundene Entscheidung anzusehen und nicht einer Ahndung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gleichzusetzen.
Die erkennende Kammer legt deshalb ihrer Überprüfung der im Bescheid vom 30.03.2010 getroffenen Gefahrenprognose die Tatsachen zugrunde, die der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zur Verfügung standen. Dies sind
insbesondere die Polizeiberichte, die sie dem Gericht übersandt hat (Beiakte F) und die sich in der beigezogenen Strafakte befinden.
Die Beklagte hat diesen Unterlagen die Tatsachen entnommen, dass der Kläger während der Versammlungen im Januar 2010 den Sicherheitsbereich betreten und diesen auch nach Auflösungen der Versammlung nicht verlassen hatte.
Die daraus gezogene und im Bescheid angeführte Prognose, dass deshalb die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, er werde auch im Verlauf der angemeldeten Versammlung Gesetzesverstöße begehen, die zu unterbinden gerade
auch Aufgabe eines Versammlungsleiters sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die ebenfalls im Bescheid vom 30.03.2010 aufgeführten Verstöße gegen die Auflagen, bei weniger als 50 Teilnehmern kein Megaphon zu benutzen
und die Demonstration nach Möglichkeit auf dem Geh- und Radweg zu führen, kommt es danach nicht mehr an.
Die Polizeiberichte (Beiakte F) sind im Termin zur mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten ausführlich erörtert worden. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2011 wird Bezug genommen. Danach ist die
Beklagte in ihrer Prognose zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger polizeilichen Anordnungen vor Ort, auch nach Auflösungen, teilweise nicht gefolgt ist und nicht nur selbst in den aus Sicherheitsgründen abgesperrten Bereich
eingedrungen ist, sondern auch Versammlungsteilnehmer dazu aufgefordert hat. Art und Umfang des Verhaltens des Klägers rechtfertigten die Annahme, dass sich dies bei den für denselben Ort und denselben Anlass angemeldeten
Versammlungen wiederholen würde.
Diese Prognose rechtfertigte nach einer Rechtsgüterabwägung unter Beachtung der Grundsätze praktischer Konkordanz (vgl. nur Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O, Rdnr. 155 f. zu § 15) die getroffene Maßnahme des Ausschlusses des
Klägers als Versammlungsleiter. Zu berücksichtigen ist auf der einen Seite, dass der Kläger ausweislich der Polizeiberichte mehrfach solche Sicherungsmaßnahmen nicht beachtet bzw. zu ihrer Nichtbeachtung aufgerufen hatte, die
zwar sicher zum Schutz der Arbeiten vor Sabotageaktionen getroffen waren, jedenfalls aber auch zum Schutz friedlicher Demonstranten vor den zur Rodung eingesetzten Maschinen geeignet waren. Dieses Verhalten stellt eine
erhebliche Gefährdung von Leib und Leben der Demonstrationsteilnehmer, aber auch des Eigentums des Bauherrn dar. Auf der anderen Seite ist darauf abzustellen, welchen Umfang der Eingriff in das Versammlungsrecht des Klägers
hat. Hierbei ist zwar zu berücksichtigen, dass die Bestimmung der Person des Versammlungsleiters Inhalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist. Einzubeziehen ist aber auch, dass die Beklagte den Ausschluss des Klägers von
der Versammlungsleitung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als minderschwere Maßnahme (vgl. Ullrich, a. a. O., Rdnr. 4 zu § 10) gegenüber dem bei drohender Unfriedlichkeit der Versammlung möglichen Verbot
angeordnet hat und der Kläger nicht von der Teilnahme an weiteren Versammlungen ausgeschlossen worden ist, er also auf den Versammlungen auch weiterhin reden und agitieren durfte. Außerdem durfte er weiterhin als Veranstalter
auftreten und in dieser Eigenschaft zu den Versammlungen aufrufen. Hinzu kommt, dass andere Personen als Versammlungsleiter zur Verfügung standen, so dass die Versammlungen wie geplant durchgeführt werden konnten.
Das Gebot, Rad- und Gehweg zu benutzen (Ziff. 4 der Auflagen) ist ebenfalls rechtmäßig.
Hierzu hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 07.05.2011 (11 ME 153/10), der den Beschluss der erkennenden Kammer vom 06.05.2010 (a. a. O.) bestätigt hat, ausgeführt:
‚Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Mai 2010 klargestellt hat, ist die Auflage ersichtlich nicht so zu verstehen, dass auf der geplanten Versammlungsroute
vorhandene Gehwege stets zu benutzen sind. Vielmehr ist es erkennbar Sinn und Zweck der Auflage, die mit jeder Versammlung auf öffentlichen Flächen verbundenen und grundsätzlich hinzunehmenden Beeinträchtigungen des
üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten und zu diesem Zweck die Versammlung im Wege praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Interessen auf die Benutzung des jeweils rechten, insoweit geeigneten Teils des
öffentlichen Straßenraums zu verweisen, um die Beeinträchtigungen des üblichen Verkehrs möglichst gering zu halten. Eine nähere Konkretisierung mag zwar wünschenswert erscheinen, ist aber im voraus kaum möglich und mit der
Auflage auch nicht beabsichtigt, da dies von den nicht verlässlich prognostizierbaren örtlichen Verhältnissen gerade im Veranstaltungszeitpunkt abhängt, insbesondere auch von der Anzahl der Teilnehmer an der Versammlung und der
Verkehrsbedeutung und - belastung der jeweiligen Straße. Sollten sich - wie in der Anmeldung vorgesehen - nur 10 bis 30 Personen an der Versammlung beteiligen, so ist es den Teilnehmern daher etwa in Interesse der üblichen
motorisierten Verkehrsteilnehmer grundsätzlich zuzumuten, die von der Antragsgegnerin angeführten kombinierten Geh- und Radwege insbesondere neben der Fahrbahn von Bundesstraßen zu benutzen, soweit der Demonstrationszug
dadurch nicht als solcher unkenntlich wird, sich zu sehr in die Länge zieht oder sich auf dem Geh- und Radweg bereits zahlreiche andere Verkehrsteilnehmer befinden. Inwieweit diese Bedingungen im Einzelfall gegeben sind, kann
aber nicht verwaltungsgerichtlich im Voraus, sondern nur vor Ort beurteilt werden. Die so verstandene Auflage ist mit der Versammlungsfreiheit und auch sonstigem Recht zu vereinbaren. Die vom Antragsteller angeführten
Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über die Fahrbahnbenutzungspflicht für (erwachsene) Radfahrer (§§ 2 Abs. 1, 25 Abs. 1) stehen der Rechtmäßigkeit der Auflage schon deshalb nicht entgegen, weil ein ausschließlich für
den Fußgängerverkehr bestimmter Gehweg kaum die o. a. Voraussetzungen erfüllen dürfte, um die ‚radelnden' Teilnehmer der Versammlung aufzunehmen, und die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für Versammlungen im
Übrigen ohnehin nur eingeschränkt gelten (vgl. allgemein Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 15, Rn. 186 ff., sowie zu einer Fahrraddemonstration auf einer Bundesautobahn VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008 - 6 B
1629/08 -, DVBl 2008, 1322); so ist etwa auch das Verbot des § 33 Abs. 1 StVO , Verkehrsteilnehmer durch Lautsprecher oder Propaganda abzulenken, auf Versammlungen nicht anwendbar.'
Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Die Auflage 4) ist deshalb in der vom Nds. OVG getroffenen - flexiblen - Auslegung als rechtmäßig anzusehen. Zu berücksichtigen ist bei der Einzelabwägung auch,
dass der mit dem Bescheid vom 30.03.2010 bestätigte Demonstrationszug nicht während der gesamten Veranstaltung, sondern nur für eine relativ kurze Strecke an der mit einem Rad- und Gehweg versehenen Grasseler Straße entlang
führte, der Eingriff in das Demonstrationsrecht also als relativ gering anzusehen ist. Soweit der Kläger anführt, dass Radfahrer beim Auffahren auf den Demonstrationszug dessen Teilnehmer gefährdet hätten, sowie selbst dadurch
gefährdet worden seien, dass sie über den Grünstreifen auf die Fahrbahn gefahren und dort durch Fahrzeuge gefährdet worden seien, dürfte dieses Verhalten der Radfahrer den Regelungen des Straßenverkehrsrechts widersprechen und
musste deshalb nicht in die Abwägung einbezogen werden. Allerdings ergibt sich aus der flexiblen Auslegung der Auflage 4) im vorliegenden Fall auch, dass diese Auflage insbesondere unter Berücksichtigung der hier vorliegenden
schlechten Witterungsverhältnisse und der Schneedecke wohl nicht geeignet sein dürfte, dem Kläger im Rahmen der Prüfung der Zuverlässigkeit als Versammlungsleiter bzw. strafrechtlich einen Verstoß gegen diese Auflage
vorzuwerfen. ..."
***
Zur Verpflichtung von Versammlungsbehörde und Polizei, die Durchführung eines ordnungsgemäß angemeldeten und sich normgerecht verhaltenden Aufzugs zu gewährleisten (VG Gießen, Urteil vom 20.09.2010 - 9 K 1059/10.GI -
eine zum Glück vom VGH am 04.07.2011 aufgehobene Skandal-Entscheidung - siehe oben):
„... Die Beteiligten streiten darüber, ob und ggf. wie das Demonstrationsrecht des Klägers am 1. August 2009 hätte durchgesetzt werden müssen.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 an den Bürgermeister der Beklagten zu 1. meldete der NPD-Landesverband Hessen für den 1. August 2009 einen Aufzug unter dem Motto ‚Deutsche wehrt euch gegen Islamisierung und
Überfremdung!' an. Bei einem Kooperationsgespräch zwischen den Beteiligten am 8. Juli 2009 wurden verschiedene Auflagen für den bevorstehenden Aufzug thematisiert, die durch ordnungsbehördliche Verfügung des
Bürgermeisters der Beklagten zu 1. unter dem 21. Juli 2009 wie folgt festgelegt wurden:
‚Aufstellungsort: Ostseite Busbahnhof Friedberg,
Zugweg: Hanauer Straße, Karlsbader Straße, Wilhelm-Leuschner-Straße, Königsberger Straße bis Einmündung Breslauer Straße, erste Kundgebung, Breslauer Straße, Karlsbader Straße, Am Dachspfad, Mainzer-Tor-Weg,
Leonhardstraße bis Einmündung Saarstraße, zweite Kundgebung, Platz der Deutschen Einheit, westliche Fahrbahnseite Mainzer-Tor-Anlage, Bismarckstraße, Saarstraße.
Auflösungsort und Ende der Veranstaltung: Ostseite Busbahnhof Friedberg.'
Wegen der politischen Ausrichtung der Anmelderin formierten sich diverse Gegenaktionen. So wurde für den Bahnhofsvorplatz eine Demonstration ‚Für ein weltoffenes Friedberg" von einem Herrn F. aus G. und für die
Friedrich-Ebert-Straße sowie die dazugehörende Grünfläche eine Versammlung mit dem Motto ‚Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen' vom H. angemeldet. Trotz der vorgesehenen räumlichen Trennung des von dem
NPD-Landesverband Hessen angemeldeten Aufzugs von den Gegenveranstaltungen kam am 1. August 2009 der Aufzug, an dem der Kläger sich beteiligte, bereits nach wenigen Metern zum Stehen, da mehrere hundert Personen die
Aufzugsstrecke im Bereich Hanauer Straße/Ecke Karlsbader Straße blockierten, um ihren Protest auszudrücken. Da sich unter den Gegendemonstranten teilweise bekannt gewaltbereite Störer, auch vermummt, ebenso befanden wie
Kinder, sah der Beklagte zu 2. davon ab, die angemeldete Aufzugsstrecke zwangsweise zu räumen. Auf den Vorschlag einer alternativen Route über die Friedrich-Ebert-Straße/Wilhelm-Leuschner-Straße/Saarstraße/Bahnhof Hanauer
Straße ließ sich der Anmelder ebenso wenig ein wie die Beklagten auf seinen Vorschlag, die Marschstrecke in umgekehrter Richtung zu nehmen. Da die Durchführung des Aufzugs nicht möglich war, erklärte der Versammlungsleiter
die Versammlung für beendet.
Am 12. Oktober 2009 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Gießen die Bewilligung für Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Fortsetzungsfeststellungsklage beantragt. Zur Begründung führt er im Einzelnen aus, warum
er das Vorgehen der Beklagten für rechtswidrig hält.
Durch Beschluss vom 7. Dezember 2009 - 10 K 3060/09.GI - hat das Verwaltungsgericht Gießen eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen angeführt wird, der Kläger sei nicht aktiv
legitimiert, sondern allein der Anmelder des Aufzugs.
Auf die Beschwerde des Klägers hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 10. März 2010 - 6 D 3306/09 - unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Dezember
2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und ausgeführt, warum auch der Kläger sich auf eine Verletzung des Versammlungsrechts berufen könne.
In dem nunmehr unter der Geschäftsnummer 9 K 1059/10.GI fortgeführten Verfahren hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung den damaligen Einsatzleiters des Beklagten zu 2., Polizeidirektor I., gehört; wegen der Einzelheiten
wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Ebenso ist eine von dem Beklagten zu 2. gefertigte Videoaufzeichnung in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen worden.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Verhinderung des Demonstrationszuges am 1. August 2009 durch die Beklagten rechtswidrig war. Der Beklagte zu 1. beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt die Beklagte
zu 1. aus, warum sie das Vorgehen der Vertreter ihres Bürgermeisters vor Ort am 1. August 2009 für rechtmäßig hält. Der Beklagte zu 2. beantragt ebenfalls, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt der Beklagte zu 2. unter
anderem an, dass ein derart massives Auftreten von Gegendemonstranten nicht vorhersehbar gewesen sei und die zwangsweise Durchsetzung des Aufzugs unverhältnismäßig gewesen wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Gerichtsakten aus den parallelen Verfahren 9 K 1060, 1148 und 1150/10.GI Bezug genommen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht worden ist. ...
I. Die Klage ist zulässig (A.) und begründet (B.).
A. Der Kläger kann - ungeachtet der Erledigung des angemeldeten Aufzugs - die Feststellung begehren, die Verhinderung des Demonstrationszuges des NPD-Landesverbandes Hessen am 1. August 2009 in Friedberg sei zu Unrecht
erfolgt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/W.-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Loseblatt, Stand: November 2009, § 113 Rdnr. 99, 77). Das unbeschadet der Beendigung des Aufzugs fortbestehende Feststellungsinteresse daran, dass
ein bestimmtes Verhalten der Beklagten zu 1. als Versammlungsbehörde sowie des Beklagten zu 2. als Polizei zu Unrecht erfolgte, ergibt sich aus einem Rehabilitationsinteresse, das darauf gestützt werden kann, die Maßnahme sei
unter einer - unzulässigen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, Abs.-Nr. 28 m.w.N.) - Anknüpfung an die Gesinnung des Klägers, nicht an einer von
ihm ausgehende konkrete Gefahr für Rechtsgüter oder gar noch ihm ausgehende Störung der öffentlichen Sicherheit, erfolgt.
B. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte zu 1. hätte die - nicht angemeldete - Versammlung zur Blockade des Aufzugs des NPD-Landesverbandes Hessen nach § 15 Abs. 3 VersammlG auflösen (1.) und der Beklagte zu 2. das
nach § 13 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG daraus folgende Gebot, sich sofort zu entfernen, zwangsweise durchsetzen, wenigstens aber die zwangsweise Durchsetzung effektiv versuchen müssen (2.).
1. Verfassungsgerichtlich geklärt ist, dass die Gegendemonstranten, die mit ihrer Blockade des Aufzugs des NPD-Landesverbandes Hessen ein politisches Zeichen setzen wollten, sich ihrerseits nicht auf den Schutz des Art. 8 Abs. 1
GG berufen konnten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 1. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 -, BVerfGE 84, 203 <209>). Geht man - mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof im
Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren - davon aus, dass jeder einzelne Teilnehmer an einem Aufzug sich auf die beim Kooperationsgespräch abgesprochenen und in der versammlungsbehördlichen Verfügung festgelegten
Regelungen des Aufzugs berufen und daraus für seine Demonstrationsteilnahme Rechte herleiten kann, so folgt aus der sonst eintretenden Verletzung des Art. 8 Abs. 1 GG, dass sich das nach § 15 Abs. 3 VersammlG an sich
bestehende Ermessen der Versammlungsbehörde hier regelmäßig auf Null reduziert.
Umstände, die im Fall der Beklagten zu 1. etwas anderes annehmen lassen, sind nicht festzustellen. Aufgrund der zahlreichen, in den vorgelegten Behördenakten der Beklagten zu 1. dokumentierten Medienveröffentlichungen ist
vielmehr davon auszugehen, dass es ihr um die Darstellung eines politischen Meinungsbildes ging, in das der Aufzug des NPD-Landesverbandes Hessen nicht passte. Eine derartige Erwägung ist in versammlungsrechtlicher Hinsicht
indes sachfremd. Darauf, ob die Äußerungen eines kommunikativen Anliegens ‚wertvoll" oder ‚wertlos', ‚richtig' oder ‚falsch' erscheinen oder emotional oder rational begründet sind, kommt es nicht an (vgl. Bundesverfassungsgericht,
Beschluss des Ersten Senats vom 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 -, BVerfGE 61, 1 <7>). Auch ist es nicht Sache öffentlicher Verwaltung, auf bestimmte öffentliche Meinungsäußerungen hinzuwirken oder zu versuchen, diese zu
unterbinden. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 - zur Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 3 StGB für die Grenzen hinzunehmender
Meinungsäußerungen angeführt (a.a.O. Abs.-Nr. 49 f.):
‚…Die Bürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der
Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2070> und vom 15. September
2008 - 1 BvR 1565/05 -, NJW 2009, S. 908 <909>).
Geschützt sind damit von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind.
Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung
nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus. Den hierin begründeten Gefahren entgegenzutreten, weist die
freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär bürgerschaftlichem Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen gemäß Art. 7 GG zu.'
Die hieraus für die Betätigung öffentlicher Verwaltung folgende Grenze hat die Beklagte zu 1. überschritten und damit aktiv zur Rechtsverletzung des Klägers beigetragen. In materieller Hinsicht unerheblich ist, dass die Aufrufe von
ihrem Bürgermeister stammten und nicht dem hauptamtlichen Beigeordneten, dem nach § 85 Abs. 4 Satz 1 HSOG als ständiger Vertreter die Erfüllung der Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörde übertragen ist, denn auch dann, wenn
ein Bürgermeister von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Erfüllung seiner Aufgaben als Ordnungs- und damit auch Versammlungsbehörde einem hauptamtlichen Beigeordneten übertragen hat, verbleibt es bei einer
Verantwortung nach § 85 Abs. 4 Satz 3 HSOG, die die Beklagte zu 1. sich hier zurechnen lassen muss.
2. Die sich aus der danach zu verfügenden Auflösung der blockierenden Versammlung an alle ihre Teilnehmer ergebende Verpflichtung, sich sofort zu entfernen, hätte von dem Beklagten zu 2. zwar unter Beachtung der
Verhältnismäßigkeit, jedoch zwangsweise durchgesetzt werden müssen; dies ist - jedenfalls mit einem effektiven Mittel - nicht versucht worden. Bei Personen - gleich welchen Alters und welcher Motivation -, die sich nach Auflösung
einer Versammlung nicht sofort entfernen, handelt es sich nicht um Unbeteiligte, sondern um Verantwortliche im Sinne des § 6 Abs. 1 HSOG. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass etwa Kinder als ‚menschliche Schutzschilde'
missbraucht werden sowie das Darstellungsbild in den Medien abträglich sein könnte (vgl. etwa den Erlass vom 13 September 1993, StAnz. 39/1993, S. 2354, zu den Vorkommnissen in Fulda am 14. August 1993), doch entpflichtet
dies den Beklagten zu 2. nicht. Eine Inanspruchnahme der Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs des NPD-Landesverbandes, die sich bis dahin absolut normgerecht verhielten, wäre nur unter den Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen nach § 9 Abs. 1 HSOG möglich gewesen. Eine der Voraussetzungen hierfür ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 HSOG, dass Maßnahmen gegen die nach § 6 Abs. 1 HSOG Verantwortlichen nicht
oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Dass dies hier so gewesen sei, ist nicht festzustellen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die blockierenden Gegendemonstranten sich vermeintlich im
Einklang mit der Rechtsordnung wähnten oder gar irrig annahmen, sich auf ein Widerstandsrecht berufen zu können. Wie sich das Lagebild im Fall ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit entwickelt hätte, ist spekulativ, lässt aber die regelmäßige Verpflichtung dazu unberührt. Unerheblich ist ebenfalls, dass sich unter den Gegendemonstranten wohl auch Gewaltbereite und Gewalttäter fanden, denn
es ist ebenfalls verfassungsrechtlich geklärt, dass dann, wenn Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen drohen, es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei ist, in unparteiischer Weise auf die
Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für die Grundrechtsträger mit dem Ziel hinzuwirken, das Recht des Veranstalters auf Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung soweit wie möglich zu sichern (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2006 - 1 BvR 14/06 -, Abs.-Nr. 9 ff., und derselbe, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 1418/07 -, Abs.-Nr. 16). ..."
***
„... Gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, an dessen Verfassungsgemäßheit kein Zweifel besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, NJW 1985, 2395, 2398), kann die zuständige Behörde die Versammlung
oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung
oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen hat der Antragsgegner zu Recht bejaht und mit der Auflage Nr. 1 eine Veränderung des von den Antragstellern geplanten Ortes der Auftaktkundgebung vorgenommen.
Dabei war zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlung einräumt, dieses Recht aber durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und
der Allgemeinheit begrenzt wird (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, DVBl. 2002, 256, 259). Zwar ist nachvollziehbar, dass die Antragsteller ihre Meinungskundgabe im Rahmen ihrer so
bezeichneten „kirchenkritischen Demo zum Papstbesuch" örtlich möglichst in der Nähe des Bundestages durchführen wollen, in dem zur gleichen Zeit S.H. Papst Benedikt XVI. eine Rede vor den Bundestagsabgeordneten halten wird,
damit der Papst das Versammlungsanliegen auch wahrnehmen kann. Dem steht allerdings die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose entgegen. Denn die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit hat dann und „nur
dann" zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Hierzu zählt die öffentliche Sicherheit.
Der in § 15 Abs. 1 VersammlG aufgeführte Begriff der „öffentlichen Sicherheit" umfasst mithin den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die
Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Allerdings wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote, Auflösungen oder Auflagen nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose, die zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil enthält, deren Grundlagen aber ausgewiesen werden müssen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, a. a. O.). Das Gesetz bestimmt deshalb, dass die Gefahrenprognose auf den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und
sonstigen Einzelheiten; ein bloßer Verdacht oder Vermutungen sind dafür nicht ausreichend.
Diesen Maßgaben entspricht die Entscheidung des Antragsgegners, mit der er die Auftaktkundgebung auf dem Pariser Platz bzw. dem Platz des 18. März (Plätze am Brandenburger Tor) untersagt und dieser stattdessen den Potsdamer
Platz zugewiesen hat. Dabei kann hier dahinstehen, ob der Antragsgegner in diesem Zusammenhang zu Recht auf die angesichts der angemeldeten Teilnehmerzahl zu geringe Fläche der Plätze am Brandenburger Tor abstellen durfte
oder ob nicht - jedenfalls für den Platz des 18. März - auch Ausweichflächen auf der Straße des 17. Juni, die nicht innerhalb des von der Allgemeinverfügung vom 10. August 2011 (ABl. 2011, S. 2028 ff.) betroffenen Gebietes liegen,
hätten einbezogen werden müssen. Denn jedenfalls ist die vom Antragsgegner angesichts des hohen Gefährdungspotentials und des überragenden Schutzbedürfnisses des Papstes sowie weiterer hochrangiger Vertreter des deutschen
Staates und ausländischer Botschafter geltend gemachten Sicherheitsvorkehrungen, die zwingend das Freihalten des Platzes des 18. März bedingen, rechtlich nicht zu beanstanden. So sollen nach derzeitiger Planung neben S.H. Papst
Benedikt XVI. im Bundestag insgesamt 19 weitere Personen mit der Gefährdungsstufe 1 teilnehmen, d. h. bei diesen Personen muss mit einem Anschlag auf ihr Leben gerechnet werden. Dass der Papst, dessen Gefährdung ohne
weiteres mit der des amerikanischen Präsidenten vergleichbar ist, und andere wichtige Persönlichkeiten Ziele von lebensgefährlichen Anschlägen sein können, stellen die Antragsteller auch nicht durchgreifend in Abrede. Der Schutz
von Staatsgästen ist vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst. Wenn in diesem Zusammenhang die Polizei einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes schafft, an dem sich gefährdete Staatsgäste aufhalten, ist
dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, juris Rn. 26, 30). Wenn - wie dargelegt - der Platz des 18. März vom Antragsgegner zu Recht von Versammlungen
freigehalten werden darf, scheidet damit auch die ursprünglich beantragte Nutzung des Pariser Platzes für die Auftaktkundgebung aus, weil die von den Antragstellern gewollte daran anschließende Wegstrecke wiederum über den
Platz des 18. März hätte führen sollen, der aber gerade nicht zur Verfügung steht.
Die Einwände der Antragsteller, der durch die Allgemeinverfügung vom 10. August 2011 geschaffene Schutzraum, in dem am 22. September 2011 in der Zeit von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr öffentliche Versammlungen und Aufzüge
unter freiem Himmel untersagt wurden, sei auf den Platz des 18. März nur deshalb ausgedehnt worden, um die dort angemeldete Auftaktkundgebung ihrer Versammlung verhindern zu können, überzeugen nicht. Vielmehr hat der
Antragsgegner überzeugend vorgetragen, dass dieser Platz zwingend freigehalten werden muss, um im Fall eines Schadensereignisses sowohl als Evakuierungsweg für den Staatsgast bzw. für die anderen Schutzpersonen mit
Gefährdungsstufe 1 als auch als Notfall- und Rettungsweg für alle anderen Personen genutzt werden zu können. Die Lage des vom Bundestag genutzten Reichstagsgebäudes lässt bei einem Evakuierungsfall unter Berücksichtigung der
Fülle hochgefährdeter und aller weiteren Teilnehmer an der Veranstaltung mit S.H. Papst Benedikt XVI. ohne Einbeziehung des Platzes des 18. März nur Abfahrten in westlicher Richtung zu, da die sehr enge Dorotheenstraße in
östlicher Richtung nur äußerst begrenzt aufnahmefähig ist. Auch die Straße des 17. Juni wäre nur in westlicher Richtung über die Scheidemannstraße und Yitzak-Rabin-Straße erreichbar, was gegenüber einer Abfahrtmöglichkeit über
den Platz des 18. März einen deutlichen Umweg darstellt. Das Interesse des Staates an der Sicherheit hochrangiger und äußerst gefährdeter Staatsgäste muss deshalb hier Vorrang gegenüber der grundrechtlich geschützten
Versammlungsfreiheit der Antragsteller haben, noch dazu weil kein generelles Versammlungsverbot ausgesprochen wurde, sondern nur der Ort der Auftaktkundgebung verlegt worden ist.
Dieser Einzelwürdigung stehen auch nicht die allgemein getroffenen Regelungen im Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366) entgegen. Zwar gehören nach Nr. 1 der
Anlage 1 dieses Gesetzes weder der Pariser Platz noch der Platz des 18. März zu dem befriedeten Bezirk im Bereich des Deutschen Bundestags, in dem nach § 2 des Gesetzes grundsätzlich öffentliche Versammlungen unter freiem
Himmel und Aufzüge verboten sind, jedoch nach § 3 des Gesetzes Ausnahmen zugelassen werden können. Die Wertung des Bundesgesetzgebers, das Versammlungsrecht auf den beiden genannten Plätzen nicht generell
einzuschränken, schließt es aber nicht aus, über die speziellere - normenhierarchisch gleichrangige - Vorschrift des § 15 VersammlG im Einzelfall auf diesen Plätzen Versammlungen untersagen zu können.
Unter Berücksichtigung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vom Antragsgegner nunmehr angebotenen Wegstrecke Potsdamer Platz - Ebertstraße - Hannah-Arendt-Straße - Französische Straße - Glinkastraße - Unter den Linden
- Bebelplatz ist auch dem ursprünglichen Wunsch der Antragsteller Genüge getan, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Holocaust-Mahnmal) in die Wegstrecke einzubeziehen. Der auf diese vom Antragsgegner zugebilligte
veränderte Wegstrecke abzielende weitere Hilfsantrag im Schreiben der Antragsteller vom 12. September 2011 ist deshalb mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.
Zwar ist den Antragstellern zuzugeben, dass bei einer Auftaktkundgebung am Potsdamer Platz der sich im Bereich des Bundestages aufhaltende Papst sicher wenig von den Meinungskundgaben wahrnehmen kann. Angesichts der
Tatsache, dass diese fehlende Wahrnehmbarkeit aber auch bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor vorliegen dürfte, soweit der Papst sich im Inneren des Deutschen Bundestags befindet, und angesichts der Wahrscheinlichkeit,
dass in der medialen Berichterstattung auch die Versammlung der Antragsteller ihre entsprechende Aufmerksamkeit erreichen und gegebenenfalls auch dem Papst zur Kenntnis gelangen wird, ist die Ortsverlegung auch insoweit
verhältnismäßig und genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, juris Rn. 44). ..."( VG Berlin, Beschluss vom 14.09.2011 - 1 L 302.11)
***
„... Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 23. Dezember 2003 (VG 1 A 361.03, NVwZ 2004, S. 761; bestätigt vom OVG Berlin mit Beschluss vom 30. Dezember 2004, OVG 1 S 86.03) zur beabsichtigten Aufstellung eines Zeltes ausgeführt:
‚Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, dass die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, 38). Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 VersG umfasst die gesamte
Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981, BVerwGE 64, 55, 58 f.) und damit etwa auch die straßen(verkehrs)rechtlichen Vorschriften. Die Anforderungen des Straßenrechts bilden einen geradezu typischen
Konfliktbereich im Spannungsfeld zwischen Versammlungsfreiheit und öffentlicher Sicherheit (so zum Straßenverkehrsrecht BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a.a.O.). Der Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlich
gewährleisteten Versammlungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht im Rahmen eines vorgeschalteten Erlaubnisverfahrens, sondern allein nach Maßgabe des § 15
VersG erfolgen. Hieraus folgt, dass die Versammlungsbehörde auf dieser Grundlage 'Nebengeschehen', das nicht funktional der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts dient, untersagen kann und muss (Kanther, NVwZ 2001,
1239, 1241). So liegt der Fall hier, weil der Aufbau des Zeltes nach Überzeugung der Kammer nicht als Versammlungsbestandteil anzusehen ist. Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu
einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und
Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a.a.O., S. 39; st. Rspr. der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 19. November 2003 - VG 1 A 267.02 - m.w.N.). Grundsätzlich sind die
Beteiligten zwar berechtigt, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen (BVerfG, Beschluss vom 12.
Juli 2001, 1 BvQ 28/01, NJW 2001, 2459, 2461). Im Einzelfall kann es auch durchaus möglich sein, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen (OVG Münster, Beschluss vom 23. September 1991, 5 B
2541/91, NVwZ-RR 1992, 360-361, Roma-Zeltlager)….'
An diesen Grundsätzen hält die Kammer fest. Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass die Zelte, die der Antragsteller bis zum 26. August 2011 auf dem Alexanderplatz aufstellen will, nicht als wesensnotwendiger
Bestandteil der angemeldeten Versammlung anzusehen sind. Zutreffend hat der Antragsgegner in seiner Bescheidbegründung darauf verwiesen, dass ein unmittelbarer inhaltlicher Bezug zwischen dem Veranstaltungsthema und
den Zelten nicht erkennbar sei. Das Versammlungsmotto ‚Für eine humane Zukunft und gute Lebensbedingungen für alle Menschen' ist denkbar weit gefasst, eine Parallele zu Camps in Madrid und Israel ist nicht ersichtlich. Für das
Zeigen von Spruchbändern sind Zelte nicht zwingend erforderlich, solche Spruchbänder können genauso gut an Lattenkonstruktionen befestigte werden. Im Vordergrund bei der Aufstellung von Zelten steht hier vielmehr der Schutz
der Teilnehmer vor witterungsbedingten Erschwernissen und die Schaffung von Übernachtungsmöglichkeit, was bei Versammlungen unter freiem Himmel - wie der Bescheid zutreffend ausführt - regelmäßig nicht vom
Versammlungszweck abgedeckt ist.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. August 2007 - 6 C 22.06 -, NVwZ 2007, 1434), nach der eine Veranstaltung, die auch informative Elemente enthält,
eine Versammlung darstellt, wenn sie nach der Konzeption einen Rahmen bieten soll, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen. Der
Gestaltungsspielraum des Veranstalters einer Versammlung unter freien Himmel geht aber nicht so weit, dass das Grundrecht aus Art. 8 GG allgemein eine Überdachung der Versammlungsfläche bzw. ein Schaffen von
Schlafgelegenheiten umfassen würde (vgl. Beschluss der Kammer vom 16. September 2009 - VG 1 L 799.09 -).
Damit sind die Zelte vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht umfasst und können von der Versammlungsbehörde als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit untersagt werden, soweit keine Ausnahmegenehmigung gemäß §§
46 StVO, 13 BerlStrG vorgelegt wird, was vorliegend nicht geschehen ist. Diesen Verstoß zu verhindern verfolgt die versammlungsrechtliche Auflage, deren sofortige Vollziehung auch im öffentlichen Interesse zur Verhinderung des
ansonsten eintretenden rechtswidrigen Zustands geboten ist. ..." ( VG Berlin, Beschluss vom 25.08.2011 - 1 L 282.11)
***
„... Es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides, weil sich die angefochtene Auflage bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.
Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Antragsteller bevorzugten Ortes der Abschlusskundgebung ist § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG -. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug von
der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist.
Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz - GG -) für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter
unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden (BVerfGE 69, 315, 348 f. - Brokdorf). Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des
Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, a.a.O. S. 353). In diese Güterabwägung ist besonders der mit der Versammlung oder dem Aufzug intendierte Zweck
einzubeziehen mit der Folge, dass die Anforderungen an versammlungsrechtliche Beschränkungen um so höher sind, je nachhaltiger sie sich auf die Vermittlung des Anliegens der Veranstalter in der Öffentlichkeit auswirken. Im
Rahmen der Güterabwägung ist auch das Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zu beachten (BVerfG, a.a.O. S. 343), sofern keine erkennbaren Umstände in Gestalt
konkreter Tatsachen (im Gegensatz zu bloßen Vermutungen) vorliegen, die eine drohende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch bestimmte Versammlungsmodalitäten wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. BVerfG, a.a.O. S.
353) und deshalb eine auf den Versammlungs- oder Aufzugsort bezogene Auflage rechtfertigen.
Gemessen daran war eine Änderung des Ortes der Abschlusskundgebung durch die angegriffene Auflage Nr. 1 zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Ihr liegt die zutreffende Annahme zugrunde, dass bei Durchführung der
Abschlusskundgebung auf dem Gelände des Spreeparks mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gerechnet werden muss.
Der Antragsgegner hat in der Begründung zu der Auflage Nr. 1 detailliert dargetan, welche erhebliche Gefahrensituation für eine Versammlung auf dem Gelände des Spreeparks zu gewärtigen ist, insbesondere bedingt durch nur einen
einzigen Zu- und Ausgang des Parks von 5,50 Breite, die Einfriedung des Parkgeländes im Übrigen durch hohe Zäune, Mauern etc. sowie die ungeschützte Offenheit des Geländes zur Spree hin. Auf diese Darstellung im Bescheid
wird Bezug genommen.
Die Einwände des Antragstellers hiergegen greifen nicht durch. Soweit dieser die zu erwartende Zahl von 2.000 Teilnehmern nach unten zu korrigieren versucht, überzeugt dies nicht. Die Zahl von 2.000 Teilnehmern erscheint eher als
Untergrenze der Prognose. Im Rahmen des Veranstaltergesprächs am 7. Juli 2011 wurde eine Zahl von 5.000 Teilnehmern genannt, weil sich „Verdi Berlin-Brandenburg" an der Veranstaltung beteilige. Außerdem haben laut
Feststellungen des Antragsgegners bei vergleichbaren Veranstaltungen in den Vorjahren bis zu 10.000 Personen teilgenommen (s. Vermerk A 51 vom 13.07.11, Bl. 33 VV). Die Annahme des Antragstellers, dass in jedem Fall eine
ausreichende Ausweichfläche für das Durchkommen von Rettungskräften gegeben sei, überzeugt deshalb nicht. Soweit der Antragsteller außerdem behauptet, es gäbe zwei weitere Fluchtmöglichkeiten über das Gelände des Y... und
der Cafébar O..., ist dies nicht glaubhaft gemacht worden. Eidesstattliche Versicherungen wurden hierzu nicht vorgelegt. Schließlich ist auch die Feststellung des Antragsgegners nicht entkräftet worden, dass das Parkgelände zur Spree
hin abschüssig und uneingezäunt sei. Dichtes Buschwerk und Bäume ersetzen - entgegen der Auffassung des Antragstellers - eine solche Einzäunung nicht. Die fehlende Einzäunung mag der generellen Freigabe der Fläche als Park
nicht entgegenstehen, bei der Nutzung durch eine größere Versammlung kann dies jedoch eine erhebliche Gefahrensituation heraufbeschwören.
Durch die Verlegung des Ortes der Abschlusskundgebung auf das Areal des Stralauer Platzes bzw. des Mühlendammes (Straßen- und Gehwegflächen) werden die Interessen des Antragstellers im Ergebnis auch nicht wesentlich
beeinträchtigt. Der der Antragsteller ist zur Durchführung seiner Versammlung nicht zwingend auf den Spreepark angewiesen, denn der Ausweichort der Abschlusskundgebung ist nur 200 Meter vom Spreepark entfernt. Der Bezug
zum weitgefassten Veranstaltungsthema „Spreeufer für Alle, zum Gedenken drei Jahre Bürgerentscheid, gegen Spekulanten, gegen steigende Mietpreise, für soziale Gerechtigkeit" ist auch noch bei einem Ort der
Abschlusskundgebung im Nahbereich des Spreeufers gegeben.
Zudem bestehen auf diesem offenen Areal hinreichend Ausweichmöglichkeiten in mehrere Richtungen, so dass mögliche Gefahren für die Teilnehmer - anders als auf dem Areal des Spreeparks - beherrschbar erscheinen. ..." ( VG
Berlin, Beschluss vom 15.07.2011 - 1 L 238.11)
***
„... Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 3 S 22.06 -, Entscheidungsabdruck S. 2 f.) die Nutzung der Westrampe des Reichstagsgebäudes für
die im Jahr 2006 ebenfalls stattgefundene Kunstveranstaltung mit bestimmten Maßgaben, u. a. einer nicht länger als fünfzehnminütigen Nutzung, gerichtlicherseits erlaubt hat und das der Antragsgegnerin zu 1. damals zustehende
Ermessen nach § 5 Abs. 2 des - inzwischen neu gefassten - Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 11. August 1999 (BefBezG) in dem gerichtlich gesetzten Rahmen wegen der von dem Antragsteller
mit Recht geltend gemachten Kunstfreiheit (Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG) zu dessen Gunsten auf Null reduziert bewertet hat. Es mag auch sein, dass in den Folgejahren die Kunstveranstaltung die Westrampe ebenfalls
nutzen durfte.
Ein vergleichbarer Anspruch besteht derzeit indes nicht. Rechtsgrundlage für die Verlegung des vom Antragsteller gewollten und innerhalb des befriedeten Bezirks des Deutschen Bundestags gelegenen Orts für eine Versammlung (die
Kammer geht - wie zuvor das Oberverwaltungsgericht - davon aus, dass die Westrampe zu dem befriedeten Bezirk des Reichstags gehört) ist § 3 Abs. 1 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes -
BefBezG - vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366). Danach sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb der befriedeten Bezirke zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Deutschen
Bundestages und seiner Fraktionen sowie ihrer Organe und Gremien und eine Behinderung des freien Zugangs zu ihren in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist. Davon ist im Fall des Deutschen
Bundestages in der Regel dann auszugehen, wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Tag durchgeführt werden soll, an dem Sitzungen nicht stattfinden. Die Zulassung kann mit Auflagen verbunden werden.
Angesichts der seit November 2010 veränderten Sicherheitslage ist die frühere Verfahrensweise bezüglich der Nutzung der Westrampe aber nicht perpetuierbar. Unter Berücksichtigung der auch allgemein bekanntgemachten
Warnhinweise zu in Deutschland drohenden Terroranschlägen ist es nachvollziehbar, dass die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland zum allgemeinen Schutz der Bevölkerung, aber auch zum Schutz herausragender
Gebäude, die als Ziel terroristischer Anschläge in besonderer Weise in Betracht gezogen werden müssen, bestimmte Maßnahmen (wie z. B. die Einrichtung von Sicherheitsbereichen mit Absperrgittern) ergreifen, um eine Gefahr
möglichst umfassend abzuwenden. Diese Sicherheitsmaßnahmen dienen dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages zu gewährleisten, und dies auch an Tagen, an denen keine Sitzungen des Bundestages oder seiner
Fraktionen stattfinden. Wegen der Absperrungen kann deshalb die Versammlung des Antragstellers nicht am angemeldeten Ort stattfinden. Würde sie gleichwohl inmitten des gesperrten Bereichs abgehalten oder würden die
Absperrungen für die Veranstaltung des Antragstellers beseitigt, so würde die Versammlung mittelbar die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages stören, (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BefBezG). Insoweit besteht hier gegenwärtig eine
Ausnahme von der Regelvermutung des § 3 Abs. 1 S. 2 BefBezG (vgl. Beschluss der Kammer vom 26. November 2010 - 1 L 326.10 -, Entscheidungsabdruck S. 3). Das Grundrecht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit aus
Art. 8 GG wird durch den Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 18. Mai 2011 nur marginal tangiert, da ein Ersatzstandort in unmittelbarer Nähe, nämlich die Westrampe bis zu den Absperrungen, zugelassen wird.
Auch die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Kunstfreiheit muss insoweit zurückstehen. Zwar darf die Kunstfreiheit weder durch wertende Einengung des Kunstbegriffs noch durch erweiternde Auslegung oder Analogie
aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1984 - 1 BvR 816/82 -, juris Rn. 28), jedoch kann auch die Kunstfreiheit Grenzen unmittelbar in
anderen Bestimmungen der Verfassung finden, die in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 39). Zu solchen Rechtsgütern zählen sowohl das Leben und die
körperliche Unversehrtheit Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG ) als auch die Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) in seiner Gesamtheit sowie die
Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages als Verfassungsorgan (Art. 38 ff. GG). Aus dem Schutz der Kunstfreiheit ergibt sich jedenfalls kein Anspruch auf Nutzung der Westrampe des Reichstagsgebäudes, das Sitz des
Deutschen Bundestags ist (vgl. zur Kunstfreiheit und Nutzung des Reichstagsgebäudes für die hier inmitten stehende Kunstaktion: BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1 BvQ 16/95 -, juris).
Auch das weitere Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen Bewertung. Die Kammer kann zwar nachvollziehen, dass unter Berücksichtigung des inhaltlichen Anliegens der Kunstveranstaltung die aus fünf historischen
Lastkraftwagen bestehende Versinnbildlichung der Brechtschen „Legende vom toten Soldaten" dem Finale als symbolischem Ende deutscher Gewaltherrschaft im 2. Weltkrieg eine besonders starke Ausdrucksweise zukommt, wenn
die Lastwagen auf der Rampe des Reichstags postiert werden und insoweit auch die am 8. Mai 2011 an der Westrampe begonnene Aktion ihr zielgerichtetes Ende findet. Auch die daraus folgende Symbolik ist verständlich und
insoweit naheliegend, dass der Antragsteller, nachdem aufgrund einer Sportveranstaltung der zuerst geplante Finalort am Ehrenmal des sowjetischen Soldaten in der Straße des 17. Juni als Gedenkort an einen der Sieger des 2.
Weltkriegs nicht zur Verfügung stand, er nun auf einen Ort ausweichen wollte, der symbolisch für Deutschland, auch für das vergangene Deutschland, steht. Wenn er aber nach den Bescheiden den Teil der Westrampe nutzen darf, der
nicht zu dem besonders gesicherten Bereich gehört, verkürzt dies vielleicht die Symbolik, nimmt sie jedoch nicht hinweg. Im Übrigen hätte der Antragsteller, wenn er so großen Wert auf symbolische Orte legt, auch das sowjetische
Ehrenmal in Berlin-Treptow als Finale seiner Kunstveranstaltung in seine Planung einbeziehen können.
Aus den dargelegten Gründen überwiegt auch bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Interessenabwägung bei den Anträgen zu 2. und 3. das Vollzugsinteresse der Antragsgegner das Interesse des Antragstellers, vorläufig von
den versammlungsrechtlichen Auflagen verschont zu bleiben, wobei die weitere Auflage zur Lautsprechernutzung u. ä. nach dem Antragsvorbringen wohl nicht ernstlich angegriffen wird. Die Auflagen sind unter Berücksichtigung
der nach Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit und nach der einfachgesetzlichen Ausprägung in § 15 Abs. 1 VersammlG offensichtlich rechtmäßig. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 20.05.2011 - 1 L 174.11)
***
Verbot einer fremdenfeindlichen Demonstration wegen der massiven Be- bzw. Verhinderung einer zeitgleichen, traditionellen, die Integration bejahenden Kulturveranstaltung nach dem Ergebnis summarischer Prüfung im
vorliegenden Einzelfall zulässig. Führt die Ausübung des Versammlungsrechts zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, obliegt der Versammlungsbehörde bzw. den mit der rechtlichen Überprüfung befassten
Gerichten die Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Berücksichtigung des voraussichtlichen Verstoßes des Demonstrationsaufzuges gegen die öffentliche
Ordnung im Rahmen dieser Abwägung der widerstreitenden Interessen. Kein Erfordernis für das Gericht, einen seitens des Veranstalters der Versammlung gerügten Verstoß der Versammlungsbehörde gegen das Kooperationsgebot
des § 6 NVersG abschließend aufzuklären, wenn sich ein - unterstellter Verstoß - nicht auf die Entscheidung der Versammlungsbehörde bzw. das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens auswirkt (VG Braunschweig, Beschluss vom
19.05.2011 - 5 B 97/11 zu Art 1 Abs 1, 2 Abs 1, 5 Abs 1, 8 GG, § 8 Abs 3 VersammlG ND u.a.):
„... Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die
Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Wegen des durch Art. 8 GG bewirkten Schutzes von Versammlungen und der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung, gerade
auch im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten, darf eine Versammlung nur ausnahmsweise verboten werden. Insbesondere ergeben sich folgende verfassungsrechtliche Anforderungen an die Untersagung einer Versammlung, die
die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 6. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat: Bereits das Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter
Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die Gefährdungsprognose muss sich auf nachweisbare Tatsachen als Grundlage stützen;
bloße Vermutungen reichen nicht aus. Es müssen die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sowie ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang zwischen der Durchführung der Versammlung und der
Gefährdungssituation vorliegen. Ein Versammlungsverbot ist - als ultima ratio - schließlich nur zulässig, wenn der Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht durch Beschränkungen der Versammlungen hinreichend begegnet werden
kann (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, juris Rn. 27; Nds. OVG, B. v. 12.08.2010 - 10 B 3508/10 -, veröffentlicht unter: www.dbovg.niedersachsen.de). Die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Mai
2011 ist nach diesem Maßstab aller Voraussicht nach zu Recht ergangen.
Bei Durchführung des vom Antragsteller angezeigten Demonstrationsaufzuges droht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter, die gleichwertig sind mit der Versammlungsfreiheit
des Antragstellers, und somit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG. Die Kammer teilt die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der Demonstrationsaufzug des
Antragstellers die Durchführung des Kulturfestes Braunschweig International faktisch verhindern oder jedenfalls massiv beeinträchtigen würde. Dies würde die - potenziellen - Besucher des Festes sowie die Aussteller in ihren
Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG treffen. Die Kammer legt ihrer Bewertung zugrunde, dass die Teilnahme am Kulturfest Braunschweig International als Besucher oder Aussteller - jedenfalls in einer Vielzahl von
Fällen - mit der Kundgabe einer Meinung verbunden ist und vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist. Braunschweig International ist seit 30 Jahren ein Fest der Migrantinnen und Migranten in Braunschweig und der
Region. Es dient dem Ziel, die Solidarität mit und unter den in der Region lebenden Personen mit Migrationshintergrund zu fördern. Hierdurch trägt es zu mehr Toleranz bei und leistet einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben
aller Menschen. Dies drückt sich unter anderem in dem jährlich wechselnden, die Integration ausländischer Bürger bejahenden Motto der Veranstaltung (für das Jahr 2011 bspw.: „Wir sind bunt") aus. Mit ihrer Teilnahme am Fest ist
auf Seiten der Aussteller und in vielen Fällen auch auf Seiten der Besucher eine die Integration ausländischer Mitbürger und das friedliche Zusammenleben aller Menschen bejahende Meinungskundgabe verbunden. Indem die
Teilnehmer des Festes unter dem die Integration bejahenden Motto zusammenfinden und über die an den Verkaufsständen angebotenen Speisen und die landestypischen Kulturdarbietungen sowie im Gespräch mit anderen Besuchern
sowie Ausstellern fremde Kulturen kennenlernen, bringen sie zum Ausdruck, dass ihnen die Integration der in ihrer Region lebenden Personen mit Migrationshintergrund ein Anliegen ist und sie das friedliche Zusammenleben der
verschiedenen Kulturen unterstützen.
Mit der Meinungsfreiheit ist auf Seiten der Teilnehmer des Kulturfestes eine der Versammlungsfreiheit des Antragstellers gleichwertige Rechtsposition betroffen. Die Meinungsfreiheit ist - wie die Versammlungsfreiheit - ein für ein
freiheitliches demokratisches Grundwesen konstituierendes Grundrecht (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 2). Die Teilnahme am Fest ist zudem durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt,
hinsichtlich der Aussteller auch bezüglich der Verkaufstätigkeit und der Aussicht, die getätigten Investitionen refinanzieren zu können. Angesichts der vom Antragsteller bei früheren Gelegenheiten getätigten Äußerungen (z.B. „Ich
lehne den Begriff „Fremde" ab. Es sind und bleiben art- und volksfremde Subjekte", Quelle: Video „Überfremdung stoppen Kundgebung in Berlin vom 18.09.2010 Teil 1" auf der Internetseite: youtube.com) bzw. den auf von ihm
organisierten Veranstaltungen skandierten Parolen (z.B. „Ali, Mehmet, Mustafa: Geht zurück nach Ankara!", Quelle: Video „Das war der Tag der deutschen Zukunft in Hildesheim 2010", youtube.com) sind für die vom Antragsteller
angezeigte Veranstaltung am 4. Juni 2011 außerdem ähnliche Äußerungen zu erwarten, die die Menschenwürde von Teilnehmern des Festes Braunschweig International tangieren könnten, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG.
Das Kulturfest Braunschweig International würde mit hoher Wahrscheinlichkeit faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt werden, wenn der vom Antragsteller angezeigte Demonstrationsaufzug stattfindet. Dies trifft
zunächst für die vom Antragsteller ursprünglich angezeigte Aufzugsroute zu.
Die Antragsgegnerin legt zutreffend dar, dass als Folge der dann erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Zugang zum Kulturfest Braunschweig International - weitgehend - versperrt wäre. Nach der polizeilichen
Gefährdungseinschätzung bzw. ihrer Einsatztaktik sind die gesamte Aufzugsstrecke weiträumig von den frühen Morgenstunden an zu sperren und Einzelpersonenkontrollen durchzuführen. Der Personenverkehr rund um das Kulturfest
käme hierdurch weitgehend zum Erliegen, die Zugangsmöglichkeiten zum Kulturfest wären massiv beeinträchtigt, zumal die Aufzugsroute das Festgelände umkreist. Bereits hierdurch liefe das Kulturfest weitgehend leer. Denn nach
seiner Zielrichtung ist es auf die Begegnung und den Austausch ausgerichtet und deswegen auf freie Zugangsmöglichkeiten - sowohl für Auswärtige als auch für Braunschweiger Bürger - angewiesen.
Die weiträumige und langfristige Absperrung der Aufzugsroute verbunden mit Einzelpersonenkontrollen wäre nach Auffassung der Kammer zur Sicherung des vom Antragsteller angezeigten Aufzugs vor Störaktionen, aber auch zur
Sicherung Außenstehender vor den Teilnehmern der Versammlung erforderlich.
Den polizeilichen Gefährdungsprognosen vom 28. März 2011 und vom 19. Mai 2011 lässt sich entnehmen, dass ein erhebliches Konfliktpotenzial im Zusammenhang mit dem Aufzug des Antragstellers vorhanden ist. Die Einwände
des Antragstellers gegen diese Einschätzung dringen nicht durch. Es ist zunächst nicht zu beanstanden, hinsichtlich des Störpotenzials von den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Aufzug der NPD in Braunschweig im Jahr 2005
auszugehen. Dass - wie der Antragsteller anführt - hinsichtlich seines Aufzuges ein wesentlich geringes Konfliktpotenzial gegeben sei, weil mit ihm ein unterschiedlicher Veranstalter den Aufzug organisiere und ein anderer
Personenkreis an seinem Aufzug teilnehme, erschließt sich nicht. Die Kammer geht vielmehr von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Aufzüge aus. Der Aufzug des Antragstellers ist - wie der Aufzug im Jahr 2005 - dem
extremen rechten politischen Spektrum mit einem ähnlichen Teilnehmerkreis zuordenbar. Der aktuelle Aufzug weist Verbindungen zur NPD auf. Ausweislich der Homepage des Antragstellers (www.tddz.info) hat der Antragsteller
auf verschiedenen Veranstaltungen der NPD für seinen Aufzug geworben (bspw. beim NPD - Unterbezirk Ostfriesland - Friesland oder der NPD Jahreshauptversammlung in Wolfsburg). Die Versammlungsleiterin und Ehefrau des
Antragstellers, Frau C. D., ist ausweislich der Angaben auf der Homepage des NPD Unterbezirks Ostfriesland im Landesvorstand der NPD. Für die Beurteilung des Konfliktpotenzials ist des Weiteren maßgeblich, ob der Aufzug in der
Wahrnehmung möglicher Blockierer und Störer mit dem Aufzug aus dem Jahr 2005 vergleichbar ist. Dass dies der Fall ist, zeigt sich an den massiven Mobilisierungsaktionen im Umfeld der Gegner des Aufzugs, die zu Blockaden und
sonstigen Störaktionen des „Nazi-Aufmarsches" aber auch „NPD-Aufmarsches" aufrufen. Auch in der Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung ist bisweilen vom „NPD-Aufmarsch" die Rede (vgl. bspw. Bericht vom 17.05.2011:
„Eilantrag der NPD gegen Verbot einer Demonstration in Braunschweig", Quelle: newsclick.de). Von den Erfahrungen aus dem Aufzug der NPD im Jahr 2005 kann trotz des Ablaufs von circa 6 Jahren ausgegangen werden, weil nicht
ersichtlich ist, dass sich die Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Bei dem Aufzug im Jahr 2005 kam es zu massiven Stör- und Blockadeaktionen und circa 130 Straftaten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung im
Untersagungsbescheid der Antragsgegnerin verwiesen.
Für ein gegenüber dem NPD-Aufzug von 2005 nochmals gesteigertes Konfliktpotenzial spricht, dass von dem Aufzug des Antragstellers eine besondere Provokation ausgeht, die über das mit jedem rechtsextremen Aufzug verbundene
Maß hinausgeht. Diese folgt insbesondere daraus, dass der Aufzug zeitgleich mit und in inhaltlichem Gegensatz zum Fest Braunschweig International stattfinden soll, das - wie bereits dargelegt - eine eindeutige, die Integration
bejahende Ausrichtung und einen diesbezüglichen Symbolcharakter hat. Der fremdenfeindliche Aufzug des Antragstellers (vgl. die zuvor wiedergegebene Äußerung des Antragstellers vom September 2010 bzw. die auf der vom ihm
veranstalteten Demonstration im Jahr 2010 skandierte Parole) untergräbt das Anliegen des Festes und dessen - auch symbolische - Bedeutung. Unabhängig davon, ob die Provokation vom Antragsteller bezweckt ist, rechtfertigt sie die
Prognose besonders intensiver Gegen- und Störaktionen. Ersichtlich wird dies an zahlreichen Aufrufen zu Blockade- und Störaktionen, beispielsweise im Internet oder durch zahlreiche im Gebiet der Stadt Braunschweig verteilte
Aufkleber und Plakate. Schließlich ist in der Einschätzung des Konfliktpotenzials zu berücksichtigen, dass von dem Aufzug des Antragstellers selbst ein nicht unerhebliches Aggressionspotenzial ausgeht. So finden sich beispielsweise
in der Berichterstattung über die inhaltlich identische Veranstaltung des Antragstellers vom 5. Juni 2010 in Hildesheim Hinweise auf Angriffe der Versammlungsteilnehmer auf Medienvertreter und Gegendemonstranten (vgl. bspw.:
Kai Budler, „Neonazis feiern „Tag der deutschen Zukunft" mit Angriffen auf Medienvertreter", Quelle: Zeit-Online). Dies deckt sich mit der Beschreibung der Polizeidirektion Braunschweig in deren Gefährdungseinschätzung vom
19. Mai 2011 vom unfriedlichen Verlauf einer thematisch vergleichbaren Versammlung am 14. Mai 2011 in Berlin, an der der Antragsteller teilgenommen hat.
Angesichts dieses schwerwiegenden Konfliktpotenzials ist die polizeiliche Einsatztaktik, langfristig und weiträumig Absperrungen zu errichten und dort Personenkontrollen vorzunehmen, nicht zu beanstanden. Sie ist wegen des
Erfordernisses einer effektiven Trennung der opponierenden Gruppierungen gerechtfertigt. Die Erfahrungen aus dem Aufzug der NPD im Jahr 2005 tragen die Annahme, dass ausufernde Blockademaßnahmen auf andere Weise nicht
zu verhindern wären. Unabhängig hiervon ist mit der Einschätzung der Polizei nicht zu erwarten, dass die beschriebenen umfangreichen Sicherungsmaßnahmen sowie eine massive Polizeipräsenz gegenseitige Provokationen,
Aggressionen und Störmaßnahmen vollständig unterbinden können. Insofern wirkt sich unter anderem aus, dass potenzielle Blockierer bei Personenkontrollen - entgegen der Einlassung des Antragstellers - nicht ohne Weiteres
ausgemacht werden können.
Dass die Polizei Rückzugsflächen in der Nähe der Aufzugsroute benötigt, wirkt sich zusätzlich zu den Absperr- und Kontrollmaßnahmen nachteilig auf die Möglichkeiten aus, zum Fest Braunschweig International gelangen zu können.
Dieser Effekt hat wegen der großen Annäherung der Aufzugsroute an die Fläche, die vom Kulturfest belegt ist, beispielsweise während der Kundgebung auf dem Schlossplatz, besonderes Gewicht. Insbesondere für Besucher, die nicht
aus dem Bereich der Innenstadt von Braunschweig kommen, sondern von auswärts anreisen, ist der Zugang zum Fest des Weiteren dadurch erschwert, dass der Hauptbahnhof Teil der Aufzugsroute ist und dort eine Auftakt- und eine
Abschlusskundgebung stattfinden sollen. Außerdem lassen die Sicherungsmaßnahmen sowie Stör- und Blockadeaktionen erwarten, dass - ähnlich wie im Jahr 2005 - der öffentliche Personennahverkehr im Stadtgebiet massiv
beeinträchtigt wird und teilweise zum Erliegen kommen wird.
Der Demonstrationsaufzug des Antragstellers hat zudem eine abschreckende Wirkung auf - potenzielle - Teilnehmer des Festes Braunschweig International, weil mit ihm eine Vielzahl rechtsextremer, fremdenfeindliche Positionen
vertretende Teilnehmer des Aufzuges in der Stadt anwesend sein werden und deswegen die Möglichkeit besteht, ihnen bei der An- oder Abreise zum Kulturfest zu begegnen. Dies beeinträchtigt die Durchführung des Festes nicht
unerheblich. Die Kammer teilt die diesbezügliche Einschätzung der Antragsgegnerin vom 24. März 2011, wonach davon auszugehen sei, dass viele Besucher dem Fest fernbleiben würden, weil sie aus Angst vor Gewaltaktionen den
Weg in die und von der Innenstadt sowie das Verweilen auf dem Gelände des Festes meiden. Zutreffend stellt die Antragsgegnerin darauf ab, dass insbesondere Familien mit Kindern von dem Aggressionspotenzial des vom
Antragsteller angezeigten Aufzuges abgeschreckt werden dürften. Hinzukommt, dass gerade auch Personen mit Migrationshintergrund nachvollziehbare Ängste vor der Veranstaltung des Antragstellers und deren Teilnehmerkreis
haben. Diese Personengruppen stellen einen wesentlichen Anteil des - potenziellen - Teilnehmerkreises. Eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Teilnehmer kann auch von dem massiven Polizeiaufgebot ausgehen, das zur
Sicherung des Aufzuges erforderlich ist. Dies gilt insbesondere für Besucher des Festes, die traumatisierende (Gewalt- oder Folter-) Erfahrungen mit der Staatsgewalt in ihrem Heimatland gemacht haben, beispielsweise politische
Flüchtlinge. Auch diese zählen zu dem vom internationalen Fest angesprochenen Personenkreis.
Die störenden Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International fallen vergleichbar schwerwiegend und allenfalls graduell geringfügiger aus, wenn der Aufzug des Antragstellers auf der von ihm vorgeschlagenen
Alternativroute verläuft. Es ist auch dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass Braunschweig International faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt würde. Auch die vom Antragsteller vorgeschlagene
Alternativroute gefährdet die grundrechtlich geschützten Rechte der - potenziellen - Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International.
Die zuvor dargelegte abschreckende Wirkung und die einschüchternden Effekte, die vom Aufzug des Antragstellers sowie dem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften auf das Kulturfest Braunschweig International und dessen
Teilnehmerkreis ausgehen, wären gegenüber der ursprünglichen Aufzugsroute unverändert. Die Alternativroute führt ebenfalls in großer Nähe am Festgelände vorbei. Auf dem nahegelegenen Schlossplatz ist eine Kundgebung
beabsichtigt. Nach der polizeilichen Gefährdungseinschätzung vom 19. Mai 2011 kann sich der durch die Sperrung hervorgerufene Interessenkonflikt gerade an dieser Stelle entladen, wobei tätliche Übergriffe aufgrund der räumlichen
Enge nur schwer zu verhindern seien und eine Eskalation der Lage bis zur Paniksituation aufgrund der Verengung der Räume eintreten könne. Auch ohne eine solche Zuspitzung wirkt die Veranstaltung des Antragstellers angesichts
der großen Nähe zum Kulturfest störend auf dieses. Das Kulturfest ist auf Austausch und Kommunikation angelegt. Dies setzt Offenheit bei den Beteiligten, aber auch in den äußeren Bedingungen sowie eine friedliche Grundstimmung
und das Fehlen von Gewalt und Aggressivität voraus. Durch die vom Aufzug des Antragstellers und dessen Teilnehmerkreis ausgehende Aggressivität, insbesondere gegenüber Personen mit Migrationshintergrund, wird das Fest
konterkariert und das Gelingen der Veranstaltung gefährdet.
In Bezug auf die zu erwartenden Auswirkungen auf das Fest Braunschweig International unterscheidet sich die Alternativroute von der ursprünglich angezeigten Aufzugsroute (nur) dadurch, dass das Festgelände nicht mehr vollständig
umschlossen wird. Allein hierdurch fallen die gravierenden Beeinträchtigungen des Zugangs zum Fest nicht in erheblichem Maße geringfügiger aus. Auch die Alternativroute tangiert das Festgelände in einem nicht unerheblichen
Teilen entlang der gesamten östlichen Flanke. Die Alternativroute müsste nach der polizeilichen Gefährdungseinschätzung entlang der gesamten Strecke von den frühen Morgenstunden an gesperrt werden. Personeneinzelkontrollen
wären in demselben Umfang erforderlich wie bei der ursprünglichen Aufzugsroute. Der Zugang zum Fest würde hierdurch insbesondere für Personen, die nicht im Innenstadtbereich von Braunschweig wohnen, erheblich
beeinträchtigt. Insoweit kommt zum Tragen, dass auch durch die Alternativroute der Zugang zum Fest vom Schlossplatz bzw. der Haltestelle Rathaus/Bohlweg aus sowie vom Hauptbahnhof aus betroffen wäre. Dies sind zentrale
Haltestellen sowohl für den innerstädtischen öffentlichen Nahverkehr als auch für die Anreise auswärtiger Besucher des Festes. Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr bis zum vollständigen Ausfall sind ebenfalls in
demselben Umfang zu befürchten wie bei der ursprünglichen Aufzugsroute.
Die Rechte der - potenziellen - Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International sind durch die zuvor beschriebenen Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International unmittelbar gefährdet im Sinne von § 8 Abs. 2
Satz 1 NVersG. Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16.Aufl, § 15 Rn. 28). Dies ist vorliegend der Fall, da die
Beeinträchtigungen des Kulturfestes Braunschweig International aller Voraussicht nach und deswegen mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten.
Die Antragsgegnerin durfte den Aufzug des Antragstellers untersagen, weil die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die sich aus der Beeinträchtigung des Kulturfestes Braunschweig International ergibt, nicht anders abgewendet
werden kann.
Die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin genügt zunächst den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit soweit wie möglich Geltung zu verschaffen ist und das Verbot einer
Demonstration nur als äußerste Maßnahme - ultima ratio - in Betracht kommt. Im Fall der Kollision des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit mit anderen gleichwertigen Rechtspositionen ist entsprechend dem Rechtsgedanken der
sogenannten praktischen Konkordanz grundsätzlich ein Ausgleich der widerstreitenden Positionen mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes anzustreben (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1981 - 1 BvR 233/81 -, juris Rn. 93). Die
Kammer teilt diesbezüglich die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der vom Antragsteller angezeigte Aufzug in der von ihm beabsichtigten Weise nicht parallel zum Fest Braunschweig International stattfinden kann, ohne dass
dies zur Folge hätte, dass das Kulturfest faktisch verhindert oder jedenfalls massiv beeinträchtigt würde. Es ist nicht ersichtlich, dass durch Beschränkungen zum Aufzug des Antragstellers ein gleichzeitiges Nebeneinander der
Veranstaltungen ermöglicht werden könnte. Die Antragsgegnerin weist zutreffend insbesondere darauf hin, dass der Antragsteller in Reaktion auf das Kooperationsgespräch vom 18. April 2011 und in Kenntnis der Gefährdungslage
darauf bestanden hat, den Aufzug in den Kernbereich der Innenstadt zu führen und dort eine Kundgebung auf dem zentralen Schlossplatz durchzuführen. Hieraus ist zu schlussfolgern, dass eine wesentlich modifizierte Form seines
Aufzuges - beispielsweise in Form einer stationären Kundgebung in der Nähe des Bahnhofes - von ihm weder gewünscht noch akzeptiert würde. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller auch ansonsten - beispielsweise in der
Antragsschrift - nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass eine weitgehende Beschränkung seines Aufzuges, die den Innenstadtbereich ausnimmt, für ihn in Betracht käme. Das Gericht sieht sich deshalb nicht gehalten, von sich aus
weitere Varianten zu prüfen (anders - allerdings im Rahmen einer Interessenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten - Nds. OVG, B. v. 13.08.2010 - 11 ME 313/10 -, juris Rn 12).
Führt die Ausübung des Versammlungsrechts zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen
sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt vielmehr der Versammlungsbehörde
und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BverfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 16; Nds. OVG, B. v. 05.05.2006 - 11 ME 117/06 -, juris Rn. 35). Hiernach ist es rechtlich nicht zu beanstanden,
dass die Antragsgegnerin in der gegebenen Situation, in der entweder der Aufzug des Antragstellers zu untersagen war oder das Kulturfest Braunschweig International faktisch verhindert bzw. jedenfalls massiv beeinträchtigt würde,
erstere Maßnahme ergreift.
In ihrer Abwägung durfte die Antragsgegnerin dem Antragsteller entgegenhalten, dass sich die Maßnahmen, die zur Sicherung des von ihm angezeigten Demonstrationszuges erforderlich sind, nachteilig auf die Rechte der -
potenziellen - Teilnehmer des Festes Braunschweig International auswirken. Der Antragsteller dringt nicht mit seinem Einwand durch, dies sei nicht möglich, weil die Sicherungsmaßnahmen bloß mittelbare Folgen seines
Demonstrationsaufzuges seien, die ihm nicht zugerechnet werden können, und die Antragsgegnerin vielmehr gehalten wäre, gegen Störer seines Aufzuges vorzugehen. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass die
Sicherungsmaßnahmen zu einem großen Anteil vorgenommen werden sollen, um Stör- und Blockadeaktionen zu verhindern, die gegen die Veranstaltung des Antragstellers gerichtet sind, sie also nur indirekte Folge des von ihm
angezeigten Demonstrationsaufzuges sind. Jedenfalls in Abgrenzung gegenüber dem Kulturfest Braunschweig International und dessen Teilnehmern sind sie allerdings seiner Sphäre zuzuordnen und können ihm entgegengehalten
werden. Im Verhältnis zu den Teilnehmern des Festes Braunschweig International weist er den stärkeren Bezug zu den Maßnahmen auf. Denn es handelt sich um notwendige Schutzvorkehrungen für die von ihm angezeigte
Demonstration. Die Zurechnung der mittelbaren Folgen seines Aufzuges zum Antragsteller im Verhältnis zu den - gänzlich unbeteiligten Teilnehmern - des Kulturfestes, entspricht dem Rechtsgedanken des sogenannten unechten
polizeilichen Notstandes. Hiernach darf ausnahmsweise gegen eine (nichtstörende) Versammlung eingeschritten werden, wenn Maßnahmen gegen die unmittelbaren Störer zwar möglich wären, allerdings eine größere Gefahr bzw.
(unverhältnismäßig) größere Schäden für Unbeteiligte hervorrufen würden als Maßnahmen gegen die (nichtstörende) Versammlung (vgl. Nds. OVG, B. v. 05.05.2006 - 11 ME 117/07 -, juris Rn. 24 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., §
15 Rn. 42). Dies lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen: Wegen der schwerwiegenden Auswirkungen auf das (unbeteiligte) Kulturfest Braunschweig International und dessen Teilnehmer ist ein
versammlungsrechtliches Vorgehen gegen den Antragsteller auch in Bezug auf die Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen möglich, die wegen des Verhaltens von Störern zu dessen Aufzug erforderlich werden. Zugleich ist eine
Zurechnung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 NVersG möglich. Hiernach ist das Verbot einer Versammlung, von der die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht unmittelbar ausgeht, zulässig, wenn Maßnahmen gegen die die Gefahr
verursachenden Personen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Ein - polizeiliches oder ordnungsbehördliches - Vorgehen gegen die Personen,
die Stör- und Blockadeaktionen gegen den Aufzug des Antragstellers beabsichtigen, ist nicht anders als in der beabsichtigten und zuvor beschriebenen Weise möglich, insbesondere nicht in einer Weise, die geringere Auswirkungen
auf das Kulturfest Braunschweig International zur Folge hätte. So kann die Antragsgegnerin im Vorfeld des Aufzuges die zu erwartenden Störmaßnahmen insbesondere nicht - wie vom Antragsteller gefordert - effektiv durch Verbote
verhindern. Es ist nicht zu erwarten, dass diese befolgt würden, zumal Blockade- und Störaktionen gemäß § 4 NVersG bereits kraft Gesetzes verboten und gemäß § 20 und § 21 NVersG Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten sind.
Ohne die beschriebenen Sicherungsmaßnahmen wäre zu erwarten, dass Stör- und Blockademaßnahmen in größerem Ausmaß erfolgreich durchgeführt werden könnten. Es wäre zu befürchten, dass die widerstreitenden Gruppierungen
aufeinanderträfen. Dies könnte nicht nur den Aufzug des Antragstellers verhindern, sondern wäre zudem mit weitergehenden Beeinträchtigungen für das Kulturfest verbunden.
Auch ansonsten ist die Abwägung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Für das gefundene Ergebnis, am 4. Juni 2011 den Rechten der Teilnehmer des Kulturfestes Braunschweig International Vorrang gegenüber den Rechten der
Versammlungsteilnehmer einzuräumen, spricht, dass das Veranstaltungsdatum für das Kulturfest eine besondere Bedeutung hat. Dieses findet in langjähriger Tradition stets am ersten Samstag eines Juni statt. Der Veranstaltungstermin
ist deswegen mit dem Symbolcharakter der Veranstaltung und deren Aussagegehalt verbunden. Eine vergleichbare Bedeutung des konkreten Termins für seine Veranstaltung hat der Antragsteller nicht belegt. Hinzukommt, dass der
Termin für das Kulturfest aufgrund der langjährigen Tradition bereits festgestanden hatte, bevor der Antragsteller seine Demonstration angezeigt hat. Es ist deswegen von einer zeitlichen Priorität zugunsten des Kulturfestes
Braunschweig International auszugehen. Wegen des jährlich gleichen fixen Termins steht dem nicht entgegen, dass der Antrag auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis für den Kohlmarkt als erste nach außen wirkende
Planungshandlung für das Kulturfest erst am 22. Juli 2010 - und somit nach Eingang der Anzeige des Antragstellers - bei der Antragsgegnerin gestellt wurde. Der zeitlichen Priorität einer Veranstaltung kommt zwar keine allein
maßgebliche Bedeutung im Fall einer Terminkollision zu. Sie kann aber oftmals - wie auch im vorliegenden Fall - zugunsten der zuerst feststehenden Veranstaltung berücksichtigt werden (vgl. VG Braunschweig, U. v. 28.02.2007 - 5
A 685/05 -, juris Rn. 7 m.w.N.).
Dafür, in der Abwägung im Rahmen des polizeilichen Auswahlermessens den Grundrechten der Teilnehmer von Braunschweig International den Vorrang zu geben und die Versammlung des Antragstellers zu verbieten, spricht auch,
dass die angemeldete Versammlung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen dürfte. Zwar rechtfertigt eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen nicht das Verbot einer Versammlung (vgl. BVerfG,
U. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 - juris Rn 78 ff.; BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 - Juris Rn. 23; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rn. 321 ff.), die öffentliche Ordnung scheidet aber nicht grundsätzlich als
Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Schwelle eines Verbots aus (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 15; B. v. 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -, juris Rn. 14). In Anwendung dieser
Grundsätze bezieht die Kammer die Gefährdung der öffentlichen Ordnung in die Rechtsgüterabwägung im Rahmen des § 8 Abs. 2 NVersG mit ein, ohne sie zur - alleinigen - Bestätigung der Begründung der Untersagungsverfügung
zu machen. Die öffentliche Ordnung kann betroffen sein, wenn die Versammlung ein provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten zeigt (vgl. BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 23) bzw. wenn einem
bestimmtem Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzuges an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende
soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden, der Aufzug also eine Provokationswirkung hat (vgl. BVerfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 15). Die Provokationswirkung ergibt sich vorliegend
zum einen aus der angemeldeten Nutzung des Schlossplatzes mit seiner im angefochtenen Bescheid beschriebenen Geschichte. Die Nutzung dieses Platzes für einen Aufmarsch extrem rechter fremdenfeindlicher Kräfte kann „durch
Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtern" (vgl. insoweit BVerfG, B. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 23). Zudem hat die Anmeldung der Versammlung
mit fremdenfeindlichem Motto durch den Antragsteller am Tag des seit Jahren regelmäßig am ersten Juniwochenende stattfindenden Internationalen Festes - wie ausgeführt - eine solche Provokations- und Einschüchterungswirkung.
Die Frage, ob diese Wirkung unausweichliche Nebenfolge oder Zweck der Versammlung, vom Antragsteller also beabsichtigt ist, ist im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes kaum abschließend zum klären. Relevanz kommt ihr zu,
weil bei missbräuchlicher Ausübung der Versammlungsfreiheit dem Schutz der Rechtsgüter Dritter (hier der Festteilnehmer) stets Vorrang zukommt (Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 Rn. 178). Auch ohne Nachweis einer
missbräuchlichen Ausübung des Versammlungsrechtes durch den Antragsteller, ist die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die Versammlung des Antragstellers im Rahmen der Abwägung zu dessen Lasten zu berücksichtigen.
Unabhängig hiervon spricht nach den Recherchen des Gerichts Überwiegendes dafür, dass dem Antragsteller entgegen seinem Vortrag das regelmäßige Stattfinden des Internationalen Festes und die Terminkollision mit seinem Aufzug
bekannt gewesen sind. Seine anderslautende Einlassung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Erklärung, seine Ehefrau habe sich - unter Verwendung eines „Tarnnamens" - bei der Touristikinformation der Antragsgegnerin nach
kulturellen Veranstaltungen am 4. und 5. Juni 2011 erkundigt, bevor er die Anzeige seiner Versammlung für diesen Tag abgesandt habe, wenig glaubhaft. Dem Antragsteller, der mit der Anfrage bei der Stadt Braunschweig
„Problembewusstsein" bewiesen hat, dürfte es aufgrund des langjährig gleichbleibenden Termins von Braunschweig International leicht möglich gewesen sein, - beispielsweise im Internet - von der Veranstaltung Kenntnis zu nehmen.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Anmeldung seiner thematisch korrespondierenden Demonstration zufällig parallel zu Braunschweig International erfolgt sein soll. Jedenfalls spricht vieles dafür, dass der Antragsteller zumindest
nach erfolgter Anmeldung Kenntnis von der terminlichen Überschneidung seines Aufzuges mit dem Kulturfest erlangt hat. Denn dies war bereits frühzeitig Gegenstand der Berichterstattung im Zusammenhang mit der von ihm
angezeigten Versammlung (vgl. bspw. Braunschweiger Zeitung vom 27.08.2010 „Forderung: Neonazi-Aufmarsch verbieten", Quelle: www.newsclick.de). Seine Einlassung, erst durch das Kooperationsgespräch am 18. April 2011 von
der Terminkollision erfahren zu haben, ist zusätzlich deswegen nicht glaubhaft, weil er bereits am 6. April 2011 auf der Homepage zu seiner Demonstration (www.tddz.info) einen Artikel der Braunschweiger Zeitung kommentiert, der
die terminliche Überschneidung zum Gegenstand hat („Braunschweiger Firmen sammeln Geld gegen Neonazi-Aufmarsch", Quelle: www.newsclick.de).
Die Kammer muss nicht entscheiden, ob der Antragsteller zu Recht rügt, die Antragsgegnerin habe gegen das Kooperationsgebot des § 6 NVersG verstoßen, indem sie ihn nicht vor dem 18. April 2011 auf die terminliche
Überschneidung seines Aufzuges mit Braunschweig International hingewiesen habe. Denn auch wenn ein Verstoß gegen das Kooperationsgebot unterstellt würde, wäre das vorliegende Verfahren nicht zugunsten des Antragstellers zu
entscheiden. Insbesondere wäre Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Kooperationsgebot nicht, dass die Abwägung im Rahmen des polizeilichen Auswahlermessens zugunsten des Antragstellers auszufallen hätte. Denn den
Teilnehmern von Braunschweig International, deren Belange in die Abwägung einzustellen sind, wäre der Verstoß nicht zurechenbar. Dass wegen eines Verstoßes gegen das Kooperationsgebot die Gefahrenprognose unzutreffend sei
(vgl. hierzu Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 Rn. 35) ergibt sich nicht.
Auch der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO mit dem Ziel, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, gegenüber dem Antragsteller nach dem 2. Juni 2011, 18 Uhr,
versammlungsrechtliche Beschränkungen hinsichtlich Zeit, Ort von Kundgebungen und Wegstrecke der Versammlung zu erlassen, ist abzulehnen.
Es bestehen bereits Zweifel am Vorliegen des für jedes gerichtliche Verfahren notwendigen Rechtsschutzinteresses, wenn - wie hier - eine vorbeugende einstweilige Anordnung gegen einen noch nicht ergangenen Verwaltungsakt
begehrt wird, gegen den dann Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegeben ist (Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 123 Rn 5). Wegen der besonderen vom Antragsteller geltend gemachten
zeitlichen Konstellation lässt die Kammer diese Frage aber offen. Der Eilantrag hat unabhängig hiervon keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn eine Regelung nötig erscheint, um wesentliche
Nachteile abzuwenden. Hierzu sind gemäß § 123 VwGO i.V.m. § 935, § 936, § 920 ZPO das Bestehen des gefährdeten Rechts (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung (Anordnungsgrund)
glaubhaft zu machen.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist kein Anordnungsgrund gegeben. Die Kammer hat mit diesem Beschluss die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin bestätigt. Danach besteht kein Anlass für die Antragsgegnerin, weitere Verfügungen
gegen den Antragsteller zu erlassen, in denen versammlungsrechtliche Beschränkungen angeordnet werden.
Im Übrigen besteht aber auch kein Anordnungsanspruch. Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, trifft sie als Versammlungsbehörde - jederzeit - die Pflicht, diejenigen versammlungsrechtlichen Beschränkungen zu
verfügen, die zu diesem Zeitpunkt zur Sicherung der Durchführung der dann nicht verbotenen Versammlung und des wechselseitigen Grundrechtsschutzes notwendig sind. ..."
***
„... Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse
überwiegt. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann per se kein Interesse bestehen. Es erscheint als möglich, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es für die getroffene Feststellung an
einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht (anders als die Kammer, vgl. Urteil vom 23. November 2004 - 1 A 271.01 -, juris) im Wege der Auslegung von §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG die
Ermächtigung der Versammlungsbehörde bejaht durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Versammlung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4.05 -, juris Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der dazu gehörenden Revisionsentscheidung es hingegen nicht von vornherein für ausgeschlossen angesehen, dass es an einer solchen
Ermächtigungsgrundlage fehlen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 13). Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bescheid ist materiell-rechtlich rechtswidrig.
Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung geht von einer zu engen Auslegung des Versammlungsbegriffs aus. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte
Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch
einen gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu
begrenzen ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris Rn. 19, und vom 7.
März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des
Grundgesetzes. Es ist deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf
Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -,
BVerfGE 69, 315 ff. = NJW 1985, 2395 <2396>). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete
öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke
unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6
C 23.06 -, a. a. O.).
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese ‚gemischte' Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli
2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, a. a. O. Rn. 29).
Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch ‚gemischten Veranstaltung' erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23 06 -, a. a. O Rn. 17 f.) folgendes ausgeführt:
‚Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die
Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die
Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen,
die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten
Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung
einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen
Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer
bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die
nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort' wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht
wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen
werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In
diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss
an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind.
Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden
Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach
eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine
Versammlung zu behandeln.'
Auch wenn der Antragsgegner durch Gegenüberstellung der Wort- und Musikbeiträge formal versucht hat, diesen Anforderungen nachzukommen, erweist sich seine Einordnung unter Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs
dennoch als fehlerhaft. Denn die in den genannten drei Schritten vorzunehmende Gesamtschau aller tatsächlichen Umstände spricht für das Vorliegen einer Versammlung.
Bei der im ersten Schritt vorzunehmenden Erfassung aller derjenigen Modalitäten, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind neben dem Thema der Veranstaltung sowohl der räumliche Bezug, die geplante
inhaltliche Ausgestaltung als auch die geplante Darstellung der Veranstaltung nach außen mit der dazugehörenden Werbung zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner nicht hinreichend die mit der streitigen
Veranstaltung beabsichtigte Einwirkung und Ausstrahlung auf die öffentliche Meinung zum Thema der Veranstaltung ‚Für den Erhalt der Kastanienallee / Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren' mit dem durch den beim
Anmeldernamen angegebenen Zusatz der Initiative ‚STOPPT K21' klar erkennbaren Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern, berücksichtigt. Dass dieses Thema eine große
öffentliche Resonanz hat, belegen bereits die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Pressemeldungen. Auch das deutlich an ‚Stuttgart 21 - S21' anknüpfende Kürzel K21 macht den Willen des Antragstellers deutlich, mit der
Veranstaltung am 14. Mai 2011 eine ebenso große Protestwelle auslösen zu wollen wie in Stuttgart. Weiteres Indiz für den Charakter als Versammlung ist der vom Anmelder gewählte räumliche Bezug der Veranstaltung, denn diese
soll genau in dem von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffenen Abschnitt der Kastanienallee zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee stattfinden. Damit wird der von den Veranstaltern gewollte Zweck, auf die
öffentliche Meinung so einzuwirken, dass noch mehr Menschen das Ziel verfolgen, gerade diese Umbauarbeiten zu verhindern, hinreichend deutlich.
Auch in dem Antrag des Antragstellers an das Bezirksamt Pankow von Berlin auf Erteilung einer Genehmigung nach § 11 LImSchG Bln vom 5. April 2011 war als Art des Vorhabens angegeben ‚Aktionstag der Initiative STOPPT
K21, Mehrstündige Kundgebung mit Kulturprogramm'. Eine Kundgebung zielt aber gerade auf Darstellung und öffentliche Vermittlung des Veranstaltungsthemas und damit auch auf öffentliche Meinungsbildung. Weder die
Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen lassen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen. Es geht dem Anmelder offensichtlich nicht um
überwiegende Kulturdarbietungen, sondern um einen öffentlich wirksamen, berlinweit wahrnehmbaren Protest mit größtmöglicher Resonanz gegen den Umbau der Kastanienallee. Dies lässt sich u. a. auch der Formulierung
entnehmen, die verschiedenen Musikgruppen werden ‚für die Kastanienallee spielen' (vgl. http://stoppt-k21.de, Stand 11.05.2011). Auch die Aufstellung von fünfzig Informationsständen und Sammlung von Unterschriften für das
Bürgerbegehren nehmen der Veranstaltung nicht ihren Charakter als Versammlung, denn beides zielt darauf ab, die Meinung der Veranstalter, also der Initiative ‚STOPPT K21', zu verbreiten und durch Information weitere Personen
von ihrer Meinung, der Umbau der Kastanienallee müsse gestoppt werden, zu überzeugen.
Für die Veranstaltung am 14. Mai 2011 sind vom Anmelder auch mehrere Reden geplant. Dass dabei Redner unterschiedlichster Initiativen zu Wort kommen sollen, bedeutet entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht, dass
diese nur zu den Themen der von ihnen vertretenen Initiativen, nicht aber zum Umbau der Kastanienallee ihre Meinung kundtun werden. Es muss mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Redner das
Thema der Veranstaltung in ihren Reden aufgreifen werden. Auch der Wechsel von fünfzehnminütigen Rede- und halbstündigen Kulturbeiträgen im Zeitraum von 14.00 bis 22.00 Uhr belegt, dass die Meinungskundgabe während der
gesamten Veranstaltung keine unwichtige Rolle spielt. Eine andere Bewertung wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn einer kurzen Rede nur noch Musikdarbietungen folgen sollten; dies ist aber nach dem geplanten Ablauf gerade
nicht der Fall. Auch der Auftritt von Musikgruppen während einer Veranstaltung nimmt dieser nicht ihren Charakter als Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris). Das zur Veranstaltung am
14. Mai 2011 hergestellte Plakat enthält entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur ausschließlich Hinweise auf Musik- bzw. Kulturbeiträge, sondern verweist mit der großen Überschrift ‚RECLAIM DEMOCRACY' und den
kleineren Zusätzen ‚Kastanienallee Aktionstag' und ‚Stoppt die Zerstörung zw. Schönhauser Allee und Schwedter Straße' deutlich auf das Anliegen der Veranstaltung und die damit verbundene Meinungskundgabe, die Demokratie
zurückfordern zu wollen und damit als Bürger bei Planungsentscheidungen intensiver mitreden und -bestimmen zu können als es bislang der Fall gewesen sein mag. Auch wenn in einigen Presseveröffentlichungen die Veranstaltung
als ‚Straßenfest' bezeichnet wurde, bestehen nach den obigen Ausführungen keine überwiegenden Anhaltspunkte, den Charakter der Veranstaltung als Versammlung allein deshalb zu verneinen.
Die im zweiten Schritt vorzunehmende Würdigung und Gewichtung der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, hier also die Kulturbeiträge, führt zwar zu einem zeitlichen Übergewicht dieses
Veranstaltungsteils, kann aber bei dem im dritten Schritt vorzunehmenden Vergleich beider Teile und ihrer Beziehung zueinander schon wegen der Verschränkung im zeitlichen Ablauf, also des regelmäßigen Wechsels von Rede- und
Kulturbeiträgen, nicht als ein auch inhaltliches Überwiegen der Musikdarbietungen mit völlig untergeordneter Meinungskundgabe angesehen werden.
Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass sich eine ganz eindeutige Zuordnung der Veranstaltung unter dem Versammlungsbegriff aufgrund nicht immer einheitlicher Darstellung der geplanten Veranstaltung nicht vornehmen lässt.
Wie oben aber bereits ausgeführt, muss in den Fällen, in denen Unsicherheiten verbleiben, allein schon wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt werden.
Es kann auch nicht von einer bereits am 18. Dezember 2010 vom Antragsteller durchgeführten Veranstaltung, die damals als Versammlung bewertet wurde, nach einem Vermerk im Verwaltungsvorgang ihren Schwerpunkt aber ‚in
den Musikdarbietungen sowie dem Ausschank von Glühwein und Suppe' gehabt haben soll, auf den Charakter der jetzt gewollten Veranstaltung geschlossen werden. Denn entgegen der früheren Versammlung, auf der nach
Darstellung der Polizei keine ‚richtigen Redebeiträge' gehalten worden sein sollen, sind - wie dargelegt - nun insgesamt neun verschiedene Redebeiträge geplant.
Erst recht unerheblich für die Frage, ob die Veranstaltung als Versammlung zu werten ist, sind die von der Verkehrslenkung Berlin und den Berliner Verkehrsbetrieben geltend gemachten Bedenken bezüglich der Behinderung des
öffentlichen Personennahverkehrs und dem in der Kürze der Zeit nicht organisierbaren Ersatzverkehr. Zur Vermeidung eventuell die öffentliche Ordnung gefährdender Verkehrssituationen bei Einstellung des Straßenbahnverkehrs
steht es der Versammlungsbehörde frei, gegebenenfalls durch Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG die Ermöglichung des Straßenverkehrs sicherzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für eine mögliche Gefährdung der
Versammlungsteilnehmer durch die existierende Baustelle. Die Beurteilung, inwieweit für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung weitere Auflagen zu erteilen sind, ist nicht Sache des Gerichts, sondern des
Antragsgegners. Sollte sich während der Veranstaltung herausstellen, dass jedwede gemeinsame Meinungsäußerung der Teilnehmer fehlt und nach den oben dargestellten Kriterien eindeutig nicht von einer Versammlung gesprochen
werden kann, steht es dem Antragsgegner frei, mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 11.05.2011 - 1 L 148.11)
***
Eine formale Anknüpfung an den Zeitpunkt der Anmeldung und die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder widerspricht dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen
Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Der Prioritätsgrundsatz wird nur maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern (VG
Aachen, Urteil vom 29.04.2011 - Aktenzeichen: 6 K 603/10):
„... Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihm für eine Versammlung unter freiem Himmel mit Bescheid vom 29. März 2010 erteilten Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG. Mit Schreiben vom 3. März 2009
meldete der Kläger - unter Hinweis auf eine vom Beklagten von Anfang an als unwirksame ‚Daueranmeldung' und bloße Absichtserklärung gewertete Anmeldung vom 27. April 2008 - beim Polizeipräsidium Aachen eine als Aufzug
geplante ‚Versammlung unter freiem Himmel' mit dem Motto ‚Gegen Ausländergewalt und Inländerfeindlichkeit! - Mord! Wut! Widerstand!' in der Stolberger Innenstadt für Ostersamstag, den 3. April 2010, in der Zeit von 10.00 Uhr
bis 22.00 Uhr an. In dem Anmeldungsschreiben teilte er den geplanten Aufzugsweg durch Teile der Stolberger Innenstadt mit. Zu den Hilfsmitteln gab er unter anderem an, vorgesehen seien Fahnen (schwarz, schwarz-weiß-rot,
Länderfahnen), Trageschilder, Trommeln, Blumen, Kerzen, Megafone, Aufkleber, Flugblätter, Transparente, eine Lautsprecheranlage, zwei Versorgungsfahrzeuge (Technik) bis 3,5 t, eine Beschallungsanlage und das Abspielen von
Musik (vorwiegend Klassik - Trauermusik). Außerdem gab er an, es werde mit ca. 500 Teilnehmern gerechnet. Nach Durchführung eines Kooperationsgesprächs am 18. Mai 2010 und eines ergänzenden zweiten telefonischen
Kooperationsgesprächs am 25. März 2010 bestätigte das Polizeipräsidium Aachen mit Schreiben vom 29. März 2010 die vom Kläger mit Schreiben vom 3. März 2010 für den 3. April 2010 angemeldete Versammlung unter freiem
Himmel in Stolberg. Darüber hinaus verfügte das Polizeipräsidium Aachen mit Auflagenbescheid vom 29. März 2010 unter anderem die nachfolgenden Auflagen:
‚1. ... Anschließend zieht der Aufzug von der Tatörtlichkeit zur Eschweilerstraße, biegt nach rechts in diese ein und folgt deren Verlauf bis zur Nikolausstraße, in die er links einbiegt. Am Ende der Nikolausstraße biegt der Aufzug
nach rechts in die Eisenbahnstraße ein. Dort finden im Nahbereich des Bahnhofes ‚Schneidmühle' eine Abschlusskundgebung und die Auflösung der Versammlung statt. ...
2. Die Zahl der schwarzen, schwarz-weiß-roten und der Länderfahnen ... wird auf eine Fahne je 15 Teilnehmer beschränkt, insgesamt werden jedoch nicht mehr als 10 Fahnen zugelassen. ...
4. Sie beabsichtigen, für jeweils 50 Teilnehmer je einen Ordner/in einzusetzen. Aus polizeilicher Sicht ist dieses Verhältnis zu gering, um die Ordnung in der Versammlung aufrecht zu erhalten. Sie haben deshalb für je 30
Teilnehmer/innen Ihrer Versammlung je einen Ordner/in einzusetzen.'
Durch die vorstehend zitierte Wegstreckenvorgabe änderte das Polizeipräsidium Aachen die ursprünglich angemeldete Wegstrecke teilweise ab. ...
Die gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach Erledigung der Auflagenverfügung des Polizeipräsidiums Aachen vom 29. März 2010 durch Zeitablauf statthafte und unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auch zulässige
Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers ist unbegründet, weil die in Ziffer 1. der Auflagenverfügung des Polizeipräsidiums Aachen vom 29. März 2010 angeordnete Wegstreckenvorgabe rechtlich nicht zu beanstanden ist.
In dem zeitgleich mit dem Klageverfahren vom Kläger eingeleiteten Eilverfahren 6 L 125/10 hat das erkennende Gericht zu der im vorliegenden Klageverfahren entscheidenden Frage, ob das Polizeipräsidium Aachen die vom Kläger
angemeldete Wegstrecke unverändert hätte bestätigen oder zumindest als Rückweg die vom Kläger im Rahmen des Kooperationsgesprächs vom 18. Mai 2010 benannte Alternativroute hätte genehmigen müssen, im Rahmen der
Begründung seines Eilbeschlusses vom 31. März 2010 ausgeführt:
‚Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in
Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben,
Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen
werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.
Davon ausgehend hat der Antragsgegner im Wesentlichen zutreffend prognostiziert, dass nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung - wie vom
Antragsteller angemeldet - unmittelbar gefährdet ist, weil die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur gewährleistet werden kann, wenn Protest und Gegenprotest räumlich getrennt werden. Erfolgt die räumliche
Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten nicht, bestünde die unmittelbare Gefahr, dass Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers mit Teilnehmern der drei angemeldeten Gegendemonstrationen mit der Folge
zusammentreffen, dass es zu Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten kommt.
Der gegenteilige Vortrag des Antragtellers in der Antragsschrift, es bestehe keine Gefahrenlage, den er damit begründet,
- der Antragsgegner habe keine Tatsachen benannt, die die Prognose eines gewaltsamen Versammlungsverlaufs begründen könnten, -von seiner Versammlung gehe keine Gefahr aus und
- die Annahme, dass die mehr oder minder unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters stehende Versammlung ausarten könnte, liege fern,
ist nicht geeignet, die in der Begründung der Auflage 1. zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Antragsgegners zu erschüttern, ein wirksamer Schutz der jeweiligen Versammlungen und damit die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung könne nur gewährleistet werden, wenn Protest und Gegenprotest räumlich getrennt würden. Der Antragsgegner hat diese Prognose zwar in der Verfügung vom 29. März 2010 nicht näher
begründet, hatte hierzu aber auch keinen Anlass. Denn in den Kooperationsgesprächen mit dem Antragsteller hatte er das Konzept der räumlichen Trennung - das bereits im Jahre 2009 praktiziert worden ist und auf den aus früheren
Verfahren dem Gericht bekannten gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Teilnehmern der rechten Szene und extremen linken Gruppierungen, mit deren Teilnahme an den Demonstrationen in Stolberg am 3. April 2010 zu rechnen
ist - offen vertreten, ohne dass das Fehlen einer Gefahrenlage vom Antragsteller auch nur angedeutet worden wäre. Dass eine räumliche Trennung von Versammlungsteilnehmern aus der Szene der autonomen und freien rechten Kräfte
und Gegendemonstranten des Antifa-Bündnisses Aachen tatsächlich zur Gefahrenabwehr geboten ist, liegt angesichts der gerichtsbekannten polizeilichen Erfahrungen mit diesen Gruppierungen auf der Hand.
Die zur Abwehr dieser Gefahren für die öffentliche Sicherheit vom Antragsgegner in den Auflagen Ziffern 1. und ... verfügten Einschränkungen sind unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden.
Zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört zwar die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht aber durch Rechte
Anderer beschränkt sein. In einem solchen Fall kann die praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz auch dadurch hergestellt werden, dass die Modalitäten der Versammlungsdurchführung durch Auflagen verändert werden.
Die Abwägung, ob und inwieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten.
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. November 2003, Az. 12 B 11822/03, juris.
Diese Abwägung hat der Antragsgegner in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen. Er hat die gegenseitigen Interessen zu einem dem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG gerecht werdenden schonenden Ausgleich gebracht.
Die vom Antragsgegner verfügten Auflagen Ziffern 1. und ... sind geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig, einen gewaltfreien Verlauf der Demonstration des Antragstellers wie auch der Gegendemonstrationen zu gewährleisten.
Auch die mit Auflage Ziffer 1. angeordnete Verlegung eines Teilstücks des vom Antragsteller angemeldeten Aufzugsweges begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Einwendungen greifen
nicht durch. Die mit der Auflage verfolgte räumliche Trennung der Demonstration des Antragstellers und der drei angemeldeten Gegendemonstrationen ist geeignet und erforderlich, einen gewaltfreien Verlauf der Demonstrationen
sicherzustellen. Insbesondere hat der Antragsgegner die gegenläufigen Interessen der Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers und der Gegendemonstrationen in einen angemessenen Ausgleich gebracht.
Der Antragsgegner hat sein Ermessen bezüglich der Abänderung des Aufzugsweges des Antragstellers nicht dadurch unsachgemäß ausgeübt, dass er dem Interesse des Antragstellers an der Durchführung seines Aufzuges auf exakt
dem angemeldeten Weg nicht ein größeres Gewicht als dem Interesse der Gegendemonstranten an der Zuweisung der von ihnen angemeldeten Demonstrationsorte beigemessen hat. Dem Antragsteller steht ein so genanntes
‚Erstanmelderprivileg', das er für sich unter Hinweis auf eine bereits im Jahr 2008 von ihm für einen Zeitraum von zehn Jahren dem Antragsgegner übergebene ‚Sammelanmeldung' für Versammlungen jeweils am dritten April eines
jeden Jahres in Anspruch nehmen möchte, nämlich nicht zu.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der die Kammer folgt, widerspricht eine formale Anknüpfung an den Zeitpunkt der Anmeldung und die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den
Erstanmelder dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Der Prioritätsgrundsatz wird nur maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu
dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 1 BvR 961/05 -, juris, Rdnr. 25 f.
Daran anknüpfend lässt sich selbst dann, wenn die ‚Sammelanmeldung' aus dem Jahr 2008 nach dem Versammlungsgesetz wirksam erfolgen konnte, nicht feststellen, dass die Anmeldung der Gegendemonstrationen allein oder
überwiegend zu dem Zweck erfolgt ist, die Versammlung des Antragstellers an dem von ihm im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts ausgewählten Ort zu verhindern.
Dem Antragsteller ist zwar einzuräumen, dass die Gegendemonstrationen als Reaktion auf die Anmeldung seiner Demonstration stattfinden. Auch trifft es zu, dass die Gegendemonstranten dem Antragsteller und den von ihm
erwarteten Versammlungsteilnehmern den nur begrenzt für Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel zur Verfügung stehenden öffentliche Raum im Innenstadtbereich bewusst streitig machen. Dadurch erhalten die
Gegendemonstrationen jedoch noch nicht den Charakter von ‚Verhinderungsdemonstrationen' im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn bei wertender Betrachtung verfolgen die Gegendemonstranten
mit ihrem Protest, der das Zurückdrängen der Demonstranten des Antragstellers durch eigene Aktivitäten einschließt, deutlich überwiegend ein Anliegen, das durch die Grundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit und der
Versammlungsfreiheit geschützt ist.
Unter dem Motto ‚Wir sind Stolberger, Nazis sind es nicht' beabsichtigen die Gegendemonstranten, friedlich dagegen zu protestieren, dass Stolberg in den Ruf einer Hochburg von Anhängern rechtsextremer Anschauungen gerät und
ein bundesweites Negativimage dadurch erhält, dass Kräfte der rechtsextremen Szene die im Frühjahr 2008 in Stolberg erfolgte Tötung eines Jugendlichen aus Eschweiler durch einen ausländischen Jugendlichen dadurch ausnutzen,
dass sie regelmäßig in Stolberg demonstrieren, jährlich einen Trauermarsch zum Tatort veranstalten und das Opfer des Verbrechens für sich als einen der Ihren vereinnahmen, um ihn als Märtyrer der extremen Rechten stilisieren zu
können. Durch die Gegendemonstrationen soll demgegenüber der Öffentlichkeit bekundet werden, dass Stolberg kein Ort für Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Bestrebungen ist, sondern dass in dieser Stadt ein friedliches
Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen stattfindet. Dies soll - wie schon im Vorjahr - durch die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten, darunter auch eines türkischen Vereins, veranschaulicht werden. Die
Gegendemonstranten verfolgen damit ein legitimes versammlungsrechtliches Ziel, das naturgemäß einschließt, dass sich die Gegendemonstranten im Zentrum ihrer Stadt denen entgegenstellen, die durch eine eigene Demonstration
nach Meinung der Gegendemonstranten den guten Ruf der Stadt Stolberg und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in ihr gefährden. Bei zusammenfassender Bewertung überwiegt damit das Bestreben der
Gegendemonstranten, sich durch eine positive Darstellung ihrer Stadt gegen ein negatives Image im Sinne einer Hochburg rechtsextremer Kräfte zur Wehr zu setzen und dafür den öffentlichen Raum der eigenen Stadt zu nutzen,
deutlich die (Neben-)Absicht, den Aktionsraum des Antragstellers und der von ihm angesprochenen Szene zurückzudrängen.
Davon ausgehend ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner zum Zweck der Herstellung praktischer Konkordanz mit der Auflage Ziffer 1 angeordnet hat, dass der Aufzug des Antragstellers nach der Kundgebung am
Tatort einen Rückweg nördlich der Kreuzung Eschweiler Straße/Salmstraße/Auf der Mühle zu nehmen hat und nicht den bei Anmeldung der Versammlung geplanten und mit dem Hilfsantrag zu 1.b. im Klageverfahren 6 K 603/10
nochmals mit einer geringfügigen Modifizierung angemeldeten Rückweg über die Frankenthalstraße und die Rathausstraße nehmen darf.
Der dagegen im Wesentlichen erhobene Einwand des Antragstellers, durch die Verlegung des Rückweges nach Norden werde sein Aufzug in ein Gewerbe- bzw. Industriegebiet abgedrängt, in dem eine wirksame öffentliche
Kommunikation nicht möglich sei, greift nicht durch. Der angeordnete Rückweg liegt nicht im Zentrum der Stolberger Innenstadt, wohl aber in der Innenstadt. Er führt nicht nur durch gewerbliche Ansiedlungen, sondern auch durch
Wohnbereiche und Mischgebiete. Das so genannte Zentrum der Stolberger Innenstadt mit seiner Fußgängerzone in der Salmstraße befindet sich stellenweise nur wenige hundert Meter vom angeordneten Rückweg des Aufzugs des
Antragstellers entfernt. Bei einer Gesamtschau wird der Antragsteller damit durch die Anordnung eines Rückwegs nördlich der Kreuzung Eschweiler Straße/Salmstraße/Auf der Mühle nicht in einen abgelegenen und - weil nicht
öffentlichkeitswirksam - nicht für seinen Aufzug geeigneten Platz ‚abgeschoben'. Eine andere Beurteilung ist nach der vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum
Anspruch auf die Zuweisung eines ‚zentralen' Platzes nicht geboten, weil die Kleinräumigkeit der Stolberger Innenstadt bei der Vielzahl der für den 3. April 2010 angemeldeten Demonstrationen es dem Antragsgegner - wie
anschließend ausgeführt wird - unmöglich macht, dem Antragsteller einen Rückweg über die zentrale Rathausstraße zu ermöglichen.
Der Antragsgegner hat aus tragfähigen Erwägungen entschieden, den Gegendemonstrationen den zentralen öffentlichen Raum entlang der Rathausstraße und der Salmstraße wie angemeldet zu überlassen. Er ist - wie bereits dargelegt -
zu Recht zugunsten der Gegendemonstrationen davon ausgegangen, dass sie ein grundrechtlich geschütztes Anliegen verfolgen. Auch hat er sachlich vertretbar berücksichtigt, dass an den Gegendemonstrationen überwiegend
Stolberger Bürger teilnehmen, deren Zahl die Zahl der Teilnehmer an der Demonstration des Antragstellers deutlich übersteigt und dem Antragsteller bereit anlässlich des Fackelmarsches am Karfreitag Zugang in das Zentrum der
Innenstadt gewährt worden ist.
Angesichts der dadurch entstandenen räumlichen Verteilung der Demonstration des Antragstellers und der Gegendemonstrationen in der Stolberger Innenstadt ist die räumliche Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten
entlang einer Ost-West-Linie in Höhe der Kreuzung Eschweiler Straße/Salm-straße/Auf der Mühle polizeitaktisch nachvollziehbar zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten. Ein Abweichen von diesem
Konzept zugunsten des Antragstellers würde zwangsläufig zu einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen. Der dagegen vom Antragsteller erhobene Einwand, eine wirkliche Gefahr gewalttätiger
Auseinandersetzungen bestehe nicht, wenn Teilnehmer an seiner Demonstration auf Teilnehmer der Gegendemonstrationen treffen, ist - wie ebenfalls bereits dargelegt worden ist - nicht stichhaltig.
Schließlich kann der Antragsteller auch nicht mit dem Argument durchdringen, die Trennungslinie müsse zu seinen Gunsten nach Süden verschoben werden, weil er seinen Aufzugsweg stärker an dem Weg ausrichten wolle, den L. P.
vor seiner Tötung gegangen ist. Dieses Anliegen wiegt nicht so schwer, dass es eine Änderung des polizeilichen Konzepts der räumlichen Trennung von Demonstration und Gegendemonstrationen, das der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient, rechtfertigen könnte.
Schließlich spricht für die Verhältnismäßigkeit des gefundenen Ergebnisses, dass der Antragsteller trotz der verfügten Einschränkungen im Wesentlichen seine Versammlung wie geplant durchführen kann. Der Hinweg zum Tatort ist
nicht geändert worden. Die Kundgebung am Tatort kann wie geplant durchgeführt werden. Der Rückweg führt - wie dargelegt - nicht durch ein abgelegenes Gewerbegebiet.
Spricht somit Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, fällt auch die weitere Interessenabwägung zum Nachteil des Antragstellers aus. Das polizeiliche Konzept, die Veranstaltung des Antragstellers so
weit einzuschränken, dass die Teilnehmer an der Versammlung des Antragstellers auch auf dem Rückweg zum Bahnhof ‚Schneidmühle' konsequent von Gegendemonstranten getrennt werden, gewährleistet den nach Lage der Dinge
schonendsten Ausgleich der betroffenen Interessen, der aber auch erforderlich ist, um der nahe liegenden Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern an der Versammlung des Antragstellers und
Gegendemonstranten zu verhindern. Dies gilt - wie bereits dargelegt - sowohl für den ursprünglich vom Antragsteller geplanten Aufzugsweg wie auch für den im vorliegenden Verfahren mit dem Hilfsantrag beanspruchten
Aufzugsweg über die Jordanstraße/Blaustraße zum Mühlener Bahnhof.
Schwere Nachteile für den Antragsteller, die Anlass zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geben könnten, sind nicht ersichtlich. ‚
An der im Eilverfahren vertretenen und im Einzelnen begründeten rechtlichen Beurteilung hält das Gericht auch im hier zu entscheidenden Hauptsacheverfahren fest. Das Klagevorbringen enthält keine wesentlich neuen Argumente,
die zu einer für den Kläger günstigeren Beurteilung Anlass geben könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 161 Abs. 2 der VwGO. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, hat der Kläger die Hälfte der Kosten gemäß § 154 Abs. 1 § VwGO zu tragen. Soweit die Beteiligten das
Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, haben Kläger und Beklagter gemäß 161 Abs. 2 VwGO jeweils ein Viertel der Kosten zu tragen; dies entspricht der Billigkeit, weil bezüglich der Auflage zu 2.
der Beklagte unter Hinweis auf einen Schreibfehler bereits im Eilverfahren 6 L 125/10 nachgegeben und sich damit zu Recht in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, und weil bezüglich der Auflage zu 4. nach Erörterung der Sach-
und Rechtslage der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage zu 4. mit Blick auf den im Parallelverfahren 6 K 602/10 geschlossenen Vergleich nicht weiter verfolgt hat. ..."
***
Eine von einem NPD-Kreisverband anlässlich eines Fußball-Länderspiels geplante Versammlung darf wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten werden, wenn aufgrund des vom Veranstalter als zentral und
unverzichtbar bezeichneten Mottos "Weiß ist nicht nur eine Trikotfarbe - für eine echte deutsche Nationalmannschaft" konkret zu erwarten ist, dass durch Teilnehmer und Redner der Versammlung der Straftatbestand der
Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verwirklicht wird, indem Deutsche anderer Hauptfarbe bzw. mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation
gehörend ausgegrenzt werden (VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 25.03.2011 zu 5 L 266/11.NW zu Art 5 Abs 1, 5 Abs 2, 8 GG, § 130 Abs 1 Nr 1, Nr 2 StGB u.a.):
„... Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die in § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersammlG - normierten Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot vor. Danach kann die zuständige Behörde
eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Hier
besteht eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, weil aufgrund des - von Antragstellerseite als zentraler und unverzichtbarer Inhalt der Versammlung bezeichneten - Mottos konkret zu erwarten ist, dass durch
Teilnehmer und Redner der Versammlung der Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verletzt werden wird. Die Antragsgegnerin hat in der angefochtenen Verfügung in ohne Weiteres
nachvollziehbarer und rechtlich überzeugender Weise dargelegt, dass das Versammlungsmotto - nach Wortlaut, sprachlichem Kontext und den konkreten Begleitumständen - hier nur so verstanden werden kann, dass der Begriff
„weiß" für Angehörige einer „weißen Rasse" steht und somit Deutsche anderer Hautfarbe bzw. mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation gehörend ausgrenzen will.
Eine andere Deutung scheidet unter den vorliegenden Umständen aus. Der Zusammenhang mit dem am 26. März stattfindenden Fußball-Länderspiel Deutschland-Kasachstan in Kaiserslautern, der Umstand, dass derzeit in der
Öffentlichkeit keine aktuellen Korruptions-Skandale im Fußballsport diskutiert werden und vor allem die Angaben des für die Versammlung auf Antragstellerseite Verantwortlichen im Kooperationsgespräch mit der Antragsgegnerin
lassen an der rassistisch-diskriminierenden Absicht des Mottos, das außerdem auch eine „echte" deutsche Nationalmannschaft fordert und damit zusätzlich deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund ausgrenzen will, keine
Zweifel aufkommen. Auf die ausführlichen zutreffenden Gründe des Bescheides, die die Kammer sich zu Eigen macht, wird daher Bezug genommen.
Dass das Landgericht Berlin den Bundesvorsitzenden der NPD in Bezug auf die Verwendung eines ähnlichen Mottos in einem Druckwerk, - einem sog. WM-Planer anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 - kürzlich vom
Vorwurf der Volksverhetzung - noch nicht rechtskräftig - freisprach, stellt die Richtigkeit der Deutung des Versammlungsmottos und der damit verbundenen Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB im vorliegenden Fall nicht in
Frage, denn die maßgebenden Umstände sind nicht vergleichbar. Der Veranstaltungsleiter des Antragstellers hat es im Übrigen im Kooperationsgespräch abgelehnt, den Inhalt des bei der Versammlung auch geplanten Redenbeitrags
dieses Bundesvorsitzenden näher zu beschreiben, und damit die Gelegenheit versäumt, die berechtigten Befürchtungen der Antragsgegnerin in Bezug auf volksverhetzende, rassistische Äußerung zu zerstreuen.
Die Verbotsverfügung steht somit in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und missachtet nicht den hohen Rang, der dem Schutz der Grundrechte auf Meinungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit (Art.
5 und Art. 8 Grundgesetz) im Rechtsstaat zukommt. Der Staat schützt die Versammlungsfreiheit als Bürgerrecht, um Bürgerfreiheiten zu sichern und die Demokratie funktionsfähig zu halten. Die Meinungs- und die
Versammlungsfreiheit gilt gerade auch für Minderheiten und ihre Meinung, solange die Meinungsäußerung nicht gegen Strafrechtsnormen verstößt. Daher weist das Bundesverfassungsgericht zur Auslegung des Art. 5 Abs. 1 und 2
GG immer unmissverständlich darauf hin, dass auch im Rahmen von Versammlungen für den Inhalt von Aussagen - u. a. das Motto einer Versammlung und etwa zu erwartende Äußerungen von Versammlungsteilnehmern - gilt, dass
die Bürger grundsätzlich auch frei sind, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern, und dass Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung ihre
Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken finden, auch dann, wenn die Äußerung „in einer oder durch eine Versammlung erfolgt" (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 23. April 2004 - 1
BvQ 19/04-, BVerfGE 111, 147, Leitsatz 2; w. Nachw. zur Rechtsprechung des BverfG in den Gründen der Entscheidung).
Wenn aber - wie hier - durch die betroffenen Inhalte der zu erwartenden Meinungsäußerungen der Straftatbestand des § 130 StGB erfüllt wird, greifen diese Schranken ein und der Antragsteller kann sich demgegenüber nicht mehr auf
den Schutz der Grundrechte des Art. 5 und Art. 8 GG berufen. Denn wenn die Meinungsäußerung die Menschenwürde eines anderen antastet, ist für eine Abwägung kein Raum mehr. In einem solchen Fall muss die Meinungsfreiheit
stets zurücktreten (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2010, 1 BvR 369/04, NJW 2010, 2193).
Da das Motto für den Antragsteller unverzichtbar ist, wie sein Vertreter erklärt hat, kamen mildere Mittel wie etwa versammlungsrechtliche Auflagen nicht in Betracht. Auch das weiter in der Verfügung ausgesprochene Verbot von
Ersatzveranstaltungen (d.h. Veranstaltungen unter dem gleichen oder einem ähnlichen, ebenfalls strafrechtlich relevanten Motto) an einem anderen Ort im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin ist nach alledem nicht zu
beanstanden. ..."
***
„... I. 1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragsteller entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß
§ 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Der
Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Bei der vorzunehmenden Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu.
Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage der Antragsteller gegen Ziffer 1., 2.9 und 2.11 des angegriffenen Bescheids mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Insoweit erweist er sich aller Voraussicht
nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Bei rechtsbeschränkenden Eingriffen bei Versammlungen gelten folgende Voraussetzungen: Erstens muss jede einzelne Anordnung eine Rechtsgrundlage haben, zweitens steht die Anordnung der Behörde, falls sie nicht schon
zwingend von Gesetzes wegen zu treffen ist, im Ermessen der Behörde, drittens ist diese Ermessensentscheidung - wie jede Ermessensentscheidung - fehlerfrei zu treffen, aber auch zu begründen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. März 2011 betreffend die Kürzung der beantragten Wegstrecke als rechtswidrig.
Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient die
Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten. Lässt ein angefochtener Bescheid entgegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG nicht erkennen, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung maßgeblich waren, ist von einem
materiellen Ermessensmangel auszugehen, denn Ermessen ist nicht zu ‚beachten', sondern im Einzelfall auszuüben (BayVGH, B.v. 26.02.2009, Az: 4 CS 08.3123). Ausnahmen vom Begründungserfordernis, die sich nur aus dem
Gesetz ergeben können, sind vorliegend nicht ersichtlich. Angesichts der hohen Bedeutung der Begründung einer Ermessensentscheidung ist erforderlich, dass jede einzelne konkrete Anordnung begründet wird, eine pauschale
Begründung für die Gesamtheit der Beschränkungen reicht nicht aus.
Aufgrund dessen ist es bereits sehr fraglich, ob die angeordnete Routenänderung allein durch den Hinweis auf die erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Personennahverkehrs als ausreichend begründet angesehen
werden kann. Jedenfalls genügt sie in der Sache nicht, um die Auflage gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu begründen. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des
Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Wegen der grundlegenden
Bedeutung der Versammlungsfreiheit gelten strenge Anforderungen für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose. Die mit der Formulierung der ‚erkennbaren Umstände' bezeichnete Prognosebasis setzt tatsächliche
Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tatsachen voraus, bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht (BVerfG, B.v. 26.01.2001, NJW 2001, 1404). Der Prognosemaßstab der ‚unmittelbaren Gefährdung' erfordert, dass der
Eintritt eines Schadens für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Notwendig ist dabei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnis oder Tatsachen zu der nun geplanten
Veranstaltung. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 01.05.2001, NJW 2001, 2078).
Vorliegend fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zwar zählt die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit.
Inwieweit hier aber, wie von Art. 15 Abs. 1 BayVersG gefordert, eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, ist nicht konkret dargelegt. Auch in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2011 beruft sich die Antragsgegnerin lediglich pauschal
auf die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere angesichts der beabsichtigten Zeitschiene, die mit dem Berufsverkehr kollidiert. Es wird allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt,
worin diese Beeinträchtigungen im Einzelnen bestehen sollen (z.B. welche Linien betroffen sind oder mit welchen Verspätungen zu rechnen ist). Auch aus der E-Mail der ... ergibt sich hierzu nichts, die sich ebenfalls lediglich
pauschal auf massive Beeinträchtigungen beruft.
Bei der Wahl ihres Vorgehens ist von der Versammlungsbehörde zudem zu beachten, dass dem Veranstalter durch Art. 8 Abs. 1 GG die grundsätzliche Befugnis eingeräumt ist, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung
selbst zu entscheiden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.01.2006, Az: 1 BvQ 4/06, NVwZ, 2006, 586). Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt zwar nicht uneingeschränkt. Bei der Beeinträchtigung öffentlicher Straßen und Flächen durch eine
Versammlung ist allerdings auch maßgeblich auf den Widmungszweck derselben abzustellen. Bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt,
kommen Einschränkungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Vorsaussetzungen in Betracht (vgl. VGH Kassel, B.v. 31.07.2008, Az: 6 B 1629/08). Dies gilt hier umso mehr, als hier wohl vornehmlich nicht die
Sicherheit, sondern lediglich die Leichtigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Verkehrsbeeinträchtigungen, die sich zwangsläufig aus der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke ergeben, sind
grundsätzlich hinzunehmen. Derartige Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, werden Dritte
grundsätzlich zu ertragen haben. Die zuständige Behörde hat im Sinne praktischer Konkordanz für einen möglichst schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen.
Soweit die Antragsgegnerin auf Erfahrungen aufgrund der ‚Montagsspaziergänge' abstellt, so ist bereits nicht dargelegt, ob es sich hierbei um eine mit der vorliegenden vergleichbare Versammlung handelt. So ist insbesondere nicht
dargelegt, welche Teilnehmerzahlen bei den ‚Montagsspaziergängen' vorherrschen und für welche Dauer die Straßenbahnstrecke in Anspruch genommen wird.
3. Auch die Ziffer 2.9 des angegriffenen Bescheids erweist sich als voraussichtlich rechtswidrig. Unabhängig davon, dass die geforderte Ordnerzahl von sieben Ordnern bis zu einer Teilnehmerzahl von 100 Personen sowie ein weiterer
Ordner pro zusätzlich angefangener 20 Teilnehmer vom Üblichen deutlich nach oben abweicht (vgl. z.B. Urteil der erkennenden Kammer vom 12.03.2009, Az: W 5 K 08.1758; BayVGH, B.v. 23.10.2008, Az: 10 ZB 07.2665) enthält
der Bescheid bezüglich dieser Anordnung keinerlei Begründung. Weder ist dargelegt, warum überhaupt Ordner erforderlich sein sollen, noch warum sie in einer derart hohen Zahl notwendig sein sollen. Damit liegt in formeller
Hinsicht ein Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG vor, wobei wohl zudem von einem Ermessensausfall auszugehen ist.
4. Gleiches gilt für die Anordnung in Ziffer 2.11 des Bescheids der Antragsgegnerin.
Darüber hinaus ist hier bereits problematisch, ob für diese Anordnung die Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 6 BayVersG herangezogen werden kann. Denn danach hat der Veranstalter der zuständigen Behörde auf Anforderung die
persönlichen Daten eines Ordners nur dann mitzuteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Zudem besteht im Hinblick auf
die bundesrechtliche Lage, bei der die Nennung von Name und Anschrift grundsätzlich als zulässig angesehen wird, keine Vergleichbarkeit. Denn auf Bundesebene verlangt § 18 Abs. 2 VersG eine Genehmigung für die Ordner. Eine
vergleichbare Regelung gibt es im Bayerischen Versammlungsgesetz nicht. Unabhängig davon ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fraglich, ob die Versammlungsbehörde auch das Geburtsdatum der Ordner
verlangen kann. ..." (VG Würzburg Beschluss vom 21.03.2011 - W 5 S 11.219)
***
„... Beschränkungen der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung greifen regelmäßig in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ein. Das gilt insbesondere wenn, wie vorliegend, versammlungstypische Äußerungsformen,
wie Aufrufe, gemeinsame Lieder oder Transparente oder die Verwendung von öffentlichkeitswirksamen Symbolen wie Fahnen behindert bzw. untersagt werden. Beschränkungen in der Kombination des Inhalts und der
versammlungsspezifischen Ausdrucksformen von Meinungen greifen zudem in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ein.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671 und juris, RdNr. 14 ff. ...
Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit ist inhaltsgleich mit dem des allgemeinen Polizeirechts; er umfasst die Individualrechtsgüter Dritter, die Integrität der Rechtsordnung, Bestand- und Funktionsfähigkeit des
Staates und seiner Einrichtungen sowie die tragenden Prinzipien seiner verfassungsmäßigen Ordnung.
Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen
Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Mehrheitsanschauungen allein reichen zur Bestimmung des Gehalts der
öffentlichen Ordnung nicht. Art. 8 GG ist für die Freiheitlichkeit der demokratischen Ordnung besonders wichtig als Minderheitenschutzrecht. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG ist daher auch bei der Bestimmung der
Reichweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen.
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es hiernach, dass § 15 VersG gemäß § 20 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, erlaubt, vorausgesetzt, dass
diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und
provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Die öffentliche Ordnung kann
auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag/Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise
Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. In solchen Fällen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die Versammlung verboten werden.
In Übereinstimmung mit der (strafgerichtlichen) Rechtsprechung stellen allein Aussagen wie ‚Deutschland den Deutschen' bzw. ‚Deutschland uns Deutschen' regelmäßig selbst dann keinen Angriff auf die Menschenwürde der in
der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Ausländer dar, wenn sie im Kontext mit der weiteren - vorliegend mangels Anfechtung nicht streitbefangenen - Aussage ‚Ausländer raus' stehen. ...
Wie ausgeführt entspricht es gesicherter verfassungsrechtlicher Rechtsprechung, dass die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen wird. Überschreiten
- wie hier - die zu erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit, sind beschränkende Verfügungen nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der
Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O, juris, RdNr. 30 ff. ...
Denn das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat. Mit der Bedeutung der Versammlungsfreiheit wäre es zu Folge der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar, bereits aus derartigen Formen gemeinsamer Meinungskundgabe, wie dem lauten gemeinsamen Rufen oder Skandieren sowie der Verwendung von Transparenten oder Flugblättern, jene
versammlungsspezifischen Wirkungen ableiten zu wollen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf die öffentliche Ordnung zu
rechtfertigen. Von Verfassungs wegen muss für die Zulässigkeit der Beschränkung durch Auflagen das in § 15 Abs. 1 VersG formulierte Erfordernis erfüllt sein, dass die öffentliche Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der
Verfügung erkennbaren, zu der Nutzung versammlungstypischer Kundgabeformen hinzutretenden Umständen durch die Art und Weise der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O., juris, RdNr. 38. ...
‚Die Kammer folgt allerdings der vom OVG Berlin wiederholt
vgl. Beschluss vom 30. April 2004 - OVG 1S 27.04 -
vertretenen Auffassung, dass eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung bei einem massenweisen Verwenden von Fahnen bei öffentlichen Aufzügen besteht, wenn dadurch die Erinnerung an nationalsozialistische
Aufmärsche hervorgerufen wird. Denn ebenso wie das Tragen von Waffen und Uniformen als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung wegen ihrer damit demonstrierten organisierten Gewaltbereitschaft verboten sind (§§
2 Abs. 3, 3 Abs. 1 VersG), sind auch andere Formen martialischen Auftretens wegen des dadurch erzeugten Klimas der Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen, den inneren Frieden gefährdenden Einschüchterung der
Bevölkerung nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt
OVG Berlin, Beschlüsse vom 11. März 2000 - OVG 1 SN 20.00/OVG 1 S 3.00 - und vom 30. April 2003 - OVG 1 S 30.03 -.
Gerade aber das Mitführen einer größeren Zahl von Fahnen, die nicht Länder-, Bundes- oder EU-Flaggen sind, sondern Symbole nichtstaatlicher Organisationen oder Gruppierungen, erscheint unter Berücksichtigung der sonstigen
äußeren Umstände eines Demonstrationszuges wie des vorliegend streitigen geeignet, den martialischen Eindruck auf Dritte besonders zu betonen. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie hier - schwarz-weiß-rote Fahnen neben
NPD-Fahnen als eindeutigen Symbolen rechtsextremistischen Gedankengutes mitgeführt werden sollen und jedenfalls aus dieser Kombination heraus Assoziationen zu nationalsozialistischen Aufmärschen erwachsen. Dieser Gefahr
kann durch die vom Antragsgegner ausgesprochene Beschränkung der Zahl der mitgeführten Fahnen begegnet werden. Durch die Beschränkung auf drei Fahnen für eine Demonstration von bis zu 150 Teilnehmer sowie eine weitere
Fahne für jeweils 50 weitere Teilnehmer ist aber auch hinreichend gewährleistet, dass die Antragstellerin ihr Demonstrationsanliegen zum Ausdruck bringen kann.'
Mit einer solchen Situation ist die vorliegend in Rede stehende, eher unbedeutende stationäre Kundgabe vom 8. Oktober 2008 nicht vergleichbar.
Angesichts der nicht dargelegten Gefährdung der öffentlichen Ordnung/Sicherheit ist unerheblich, ob das Versammlungsanliegen des Klägers auch mit nur einer Fahne verwirklicht werden konnte. Vielmehr ist angesichts des
Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters unter den hier gegebenen Umständen eine zahlenmäßige Beschränkung auf faktisch nur eine Fahne des Klägers verfassungsrechtlich nicht haltbar.
(Auch) die Frage, unter welchen Umständen und in welcher Form eine (andere) zahlenmäßige Beschränkung der Fahnen des Klägers rechtmäßig verfügt werden könnte, ist nur unter Würdigung der jeweiligen spezifischen
Besonderheiten einer jeden Versammlung einzelfallbezogen zu beurteilen und vorliegend nicht abstrakt zu entscheiden.
3. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist schließlich nicht hinreichend belegt, soweit unter Ziff. 3 Abs. 5 des Bescheides der Gebrauch ‚nationalsozialistischen Propagandajargons' u.a. verboten
worden ist.
Diese Auflage wurde in dem Bescheid vom 6. Oktober 2008 nicht konkret begründet. Soweit der Beklagte diese in der Klageerwiderung - nachvollziehbar - in Zusammenhang mit den übrigen in Ziff. 3 verfügten Auflagen stellt und
damit wiederum als zur Verhinderung eines Einschüchterungs-/Provokationseffekts notwendig gewertet wissen will, fehlt es auch insoweit an einer entsprechenden Tatsachengrundlage, dass ein solcher Effekt angesichts der hier in
Rede stehenden Versammlung eintreten könnte, also derartige Gefahren konkret zu befürchten waren.
Die spezifischen Umstände der vorliegenden Veranstaltung sprechen wiederum eindeutig gegen die Tragfähigkeit eine solchen Prognose.
Darüber hinaus bestehen durchgreifende Bedenken an der Bestimmtheit der Regelung.
Das Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG erfordert, dass die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung in der Sache selbst hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sein muss. Der Entscheidungsinhalt muss in
diesem Sinne für den Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich sein und den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Sache geregelt oder
verbindlich durch den Verwaltungsakt gefordert wird.
Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O., juris, RdNr. 8.
Was im Einzelfall unter einem ‚nationalsozialistischen Propagandajargon' bzw. unter ‚nationalsozialistisch geprägter Begriffe' und einer ‚sinnunterstützende Sprechweise, die an nationalsozialistische Demagogen erinnert', konkret zu
verstehen ist, ist schwerlich in diesem Sinne hinreichend eindeutig, auch wenn dem Beklagten darin zuzustimmen ist, dass bei dem Kläger bzw. seinem Vorsitzenden als Versammlungsleiter ein entsprechendes Wissen über den
einschlägigen ‚Propagandajargon' und über die Sprechweise der Nazidemagogen vorausgesetzt werden kann.
Insoweit muss zudem wiederum beachtet werden, dass die Grenze für Meinungsäußerungen allein die allgemeinen (Straf-) Gesetze bilden. Solche Meinungskundgaben können nach den oben (unter 1.) aufgezeigten Grundsätzen im
Vorfeld einer Versammlung nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen untersagt werden. Soweit nicht ausnahmsweise durch die Art und Weise der Art der Äußerungen Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die öffentliche
Ordnung begründbar sind - was hier nicht hinreichend belegt ist -, ist es um so weniger möglich, im Vorfeld einer Versammlung tatsachengestützt zu beurteilen, ob bestimmte Äußerungen einen strafbaren ‚nationalsozialistischen
Propagandajargon' beinhalten oder eine ‚sinnunterstützende Sprechweise' strafrechtsrelevant ‚an Nazi-Demagogen erinnert', zumal es gerade auf die konkrete Äußerungsweise in der Versammlung ankommt.
Da der Beklagte mithin keine hinreichenden Tatsachen oder sonstige Erkenntnisse benannt hat, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit erwarten ließen, durften
(auch) derartige unkonkretisierte Äußerungen nicht vorab durch Auflagen untersagt werden und ist der Beklagte bei einem etwaigen Tätigen derartiger Äußerungen in der Versammlung ggf. auf eine nachträgliche Strafverfolgung
und/oder auf eine Auflösung der Versammlung zu verweisen. Wegen der Rechtswidrigkeit der Auflage in Ziff. 3. Abs. 5 kann offen bleiben, ob dadurch auch bestimmte ‚Gestiken' von Nazidemagogen verboten worden sind, oder
nicht. ..." VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.05.2010 - 14 K 5459/08
***
Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt
werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG):
„... I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen versammlungsrechtliche Auflagen.
Mit Schreiben an die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2009 meldete der stellvertretende Landesvorsitzende des Antragstellers für diesen eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel als Aufzug unter dem
Motto ‚Deutsche wehrt euch gegen Islamisierung und Überfremdung!' für Sonnabend, den 1. August 2009, 15.00 bis 19.00 Uhr, im Stadtgebiet der Antragsgegnerin an (Bl. 11 f. d.A.). Hierbei wurde, ausgehend von etwa 150
Teilnehmern, die Verwendung von sechs bis acht Ordnern (ein Ordner je 25 Teilnehmer) beantragt; zu diesen hieß es weiter, sie würden ‚gemäß den gesetzlichen Bestimmungen weiße Armbinden mit schwarzem Aufdruck ‚Ordner'
tragen, ... sind volljährig und unbewaffnet und nur ehrenamtlich tätig'.
Am 8. Juli 2009 fand ein Kooperationsgespräch zwischen den Beteiligten statt.
Die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin ordnete durch Verfügung vom 17. Juli 2009 (Bl. 13 - 25 d.A.) verschiedene Auflagen an, darunter:
‚6. Das Tragen von dunklen Springerstiefeln, Bomberjacken (schwarz, blau, militärgrün, dunkelblau) und militärischer Kopfbedeckung einzeln oder in Verbindung sowie sonstiger einheitlicher Kleidungsstücke ist als Tragen
uniformähnlicher Kleidungsstücke zum Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung anzusehen und somit untersagt. Das gleichzeitige Tragen von Sonnenbrillen und Kapuzen ist untersagt. ...
12. Der Versammlungsbehörde sind bis spätestens Freitag, den 31.07.2009, 10.00 Uhr, vorgesehene Musikgruppen, Liedermacher oder Tonträger und Redner namentlich zu benennen. Weiterhin sind zum genannten Termin die zum
Vortrag kommenden Liedtexte der Musikgruppen/Liedermacher/Tonträger zur inhaltlichen Prüfung zu übergeben. ...
14. Durch den Veranstalter ist pro zwanzig Teilnehmer ein Ordner einzusetzen. Die zum Einsatz kommenden Ordner sind entsprechend den Bestimmungen des Versammlungsgesetzes zu kennzeichnen (weiße Armbinde mit der
Aufschrift ‚Ordner'). Die Ordner sind durch den Versammlungsleiter in Anwesenheit der Polizei und der Versammlungsbehörde vor Ort in ihre Aufgaben einzuweisen und über ihre Rechte und Pflichten zu belehren. Die Ordner
müssen volljährig und im Besitz eines gültigen Personalausweises sein, der auf Verlangen vorzulegen ist. Zur Überprüfung der Zuverlässigkeit der zum Einsatz kommenden Ordner ist bis zum 31.07.2009, 10.00 Uhr, eine Liste mit
den tatsächlich zum Einsatz kommenden Ordnern mit Angabe der Namen, Vornamen und Wohnanschrift zu übergeben.'
Zugleich wurde die sofortige Vollziehung angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen angeführt, andernfalls könnten die Auflagen wegen der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs unterlaufen werden.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24. Juli 2009 (Bl. 3 f. d.A.) ließ der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflagen Nr. 6, 12 und 14 einlegen und zugleich begründen.
Am 29. Juli 2009 ist bei dem Verwaltungsgericht Gießen die Antragschrift vom 28. Juli 2009 in vollständiger Fassung einschließlich Unterschrift eingegangen, mit der der Antragsteller sinngemäß die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt. Gegenüber dem Gericht hat der Bevollmächtigte des Antragstellers am 29. Juli 2009 telefonisch klargestellt, dass der Widerspruch sich hinsichtlich der Auflage Nr. 6 nur auf
deren Satz 2 beziehe (Vermerk auf Bl. 33R d.A.).
Durch Verfügung vom 29. Juli 2009 (Bl. 37 f. d.A.) änderte die Antragsgegnerin die Nr. 6 ihrer Verfügung wie folgt:
‚Zu 6. Der letzte Satz ‚Das gleichzeitige Tragen von Sonnenbrillen und Kapuzen ist untersagt' wird gestrichen. Bei dieser Entscheidung geht die Versammlungsbehörde davon aus, dass die Teilnehmer der Demonstration bemüht sind,
einen Vermummungscharakter zu vermeiden.'
Zugleich wurde in den Auflagen Nr. 12 und 14 der Zeitpunkt auf Sonnabend, 1. August 2009, 10.00 Uhr, geändert.
Der Antragsgegnerin ist vom Gericht Gehör gewährt worden.
II. Auf den Antrag des Antragstellers ist die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs - soweit ihm nicht abgeholfen wurde, also gegen die Auflagen Nr. 12 und 14 in der Verfügung der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom
17. Juli 2009 in der Fassung der Änderungen vom 29. Juli 2009 - wiederherzustellen (1.), wobei die Kosten der Antragsgegnerin zur Last fallen (2.) und der Streitwert auf die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts festzusetzen ist (3.).
1. Der Antrag, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragsstellers vom 24. Juli 2009 gegen die Auflagen Nr. 12 und 14 der ordnungsbehördlichen
Verfügung der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2009 wiederherzustellen, ist begründet, denn diese Verfügung erweist sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung
und unter Orientierung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO als offensichtlich rechtswidrig.
a. Die Auflage Nr. 12, durch die Mitteilungspflichten begründet werden sollen, verkennt das von Verfassungs wegen bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters zu denjenigen Vorkehrungen, mit denen er die beabsichtigte
kommunikative Wirkung zu erreichen gedenkt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, Absatz-Nr. 23 m.w.N.). Irgendwelche Umstände dafür, dass der
Antragsteller beabsichtige, musikalische oder sonstige Darbietungen strafbaren Inhalts zu präsentieren, trägt die Antragsgegnerin nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin eine Vorfeldüberprüfung des beabsichtigen Programms
durchführen möchte, fehlt dafür die notwendige gesetzliche Grundlage und intendiert die Verfügung ein Genehmigungserfordernis, das schlicht nicht besteht.
b. Die Auflage Nr. 14 beruht auf einem Fehlverständnis von Aufgaben und Funktion von Ordnern.
Ordner dienen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG dem Versammlungsleiter - nicht der Versammlungsbehörde oder der Polizei - zur Durchführung seiner Rechte aus § 8 VersammlG. Die allgemeinen
Anforderungen an ihre Personen bestimmt § 9 Abs. 1, § 2 Abs. 3 VersammlG; werden darüber hinaus anlassbezogen besondere Voraussetzungen aufgestellt, bedürften diese einer spezifizierten Begründung. Kann der
Versammlungsleiter eine unmittelbar Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung des Aufzugs auch mit Hilfe seiner Ordner nicht abwenden, bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, die Versammlung oder den Aufzug
nach § 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 VersammlG aufzulösen. Eine Rechtspflicht, personenbezogene Daten derjenigen, die - in dem erforderlichen Umfang - als Ordner bestellt werden sollen, der Versammlungsbehörde zu übermitteln, um
dieser eine Überprüfung dieser Personen im Wege des Datenabgleichs o.ä. zu ermöglichen, enthält das -ungeachtet des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder durch Art. 1 Nr. 7
Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) in Hessen fortgeltende - Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789) mit nachfolgenden
Änderungen - FNA 2180-4 - nicht. Bezeichnenderweise besteht nach § 9 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersammlG auch nur die Verpflichtung, ‚die Zahl der ... bestellten Ordner ... auf Anfordern mitzuteilen' und kann die Polizei ‚die
Zahl ... angemessen beschränken'; abgestellt wird damit auf das Quantum, nicht die Qualität. Umstände, die es im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 17. Juli 2009 oder ihrer Änderung am 29. Juli 2009 ausnahmsweise hätten
rechtfertigen können, über die vom Antragsteller in seiner Anmeldung vom 7. Mai 2009 gemachten Angaben hinaus weitere Angaben zu den Personen der Ordnern zu verlangen, sind weder von der Antragsgegnerin geltend gemacht
noch sonst ersichtlich. Hierzu bedürfte es konkreter Tatsachen, die annehmen ließen, die Ordner seien nicht ehrenamtlich tätig oder entsprächen nicht den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 VersammlG. Für
derartige Feststellungen ist indes derzeit nichts erkennbar.
Soweit andere gesetzliche Befugnisse unter den dort bestimmten Voraussetzungen eine Identitätsfeststellung der Ordner ermöglichten, bliebe es diesen Personen ebenso unbenommen, sich hierzu ihrer Personalausweise zu bedienen,
wie sie auf Verlangen einer zur Prüfung der Personalien ermächtigten Behörde vorzulegen wären. Eine Rechtspflicht zum ständigen Mitführen von Personalausweisen besteht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über
Personalausweise aber gerade nicht und darf auch nicht zum Zwecke der Vereinfachung des Verwaltungshandelns angeordnet werden.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil sie unterlegen ist.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, 2 GKG. Dabei legt das Gericht den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5 000 Euro zugrunde, ermäßigt diesen aber in Hinblick darauf, dass
es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes handelt, auf die Hälfte. ..."
***
„... Der Kläger wehrt sich gegen einen erledigten Verwaltungsakt. Denn die vom Beklagten erteilten Auflagen entfalten nach Durchführung der Versammlung, für die die Auflagen bestimmt waren, aufgrund Zeitablaufs keine
Rechtswirkung mehr.
In diesen Fällen der vorprozessualen Erledigung ist in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 - , NJW 2000, 3051 [BVerfG 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00] ; BVerwG, Urteil vom 23. März 1999 - 1 C 12/97 -, NVwZ 1999, 991.
Der Kläger zu 2. hat auch ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflagen bzw. von Teilen der Auflagen, die er mit der Klage angreift. Das Feststellungsinteresse ist bereits wegen der
vom Kläger geltend gemachten Wiederholungsgefahr zu bejahen, nachdem der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich dargelegt hat, dass er - abgesehen von geringfügigen Abweichungen, die sich
aus den jeweils angemeldeten Hilfsmitteln ergeben könnten - bei Aufzügen des Klägers zu 2. die mit dem Auflagenbescheid vom 30. Januar 2008 verfügten Auflagen - also auch die vom Kläger zu 2. für rechtswidrig gehaltenen
Auflagen - im Prinzip stets wieder anordnen wird.
Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass er es unterlassen hat, vor Durchführung der Versammlung um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Denn ungeachtet der auch im Eilverfahren gebotenen
Prüfungsdichte, vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, und vom 3. März 2004 - 1 BvR 233, 461/03 -, BVerfGE 110, 77 ff. [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] , kann der
einstweilige Rechtsschutz ein Hauptsacheverfahren nicht ersetzen.
Schließlich ist die Klage des Klägers zu 2. nicht mit Blick auf § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig. Die nach dieser Norm erforderliche Klagebefugnis ist zwar nach allgemeiner Auffassung wie bei der Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage Sachurteilsvoraussetzung auch der Fortsetzungsfeststellungsklage.
Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Auflage, § 113 Rdnr. 125 m.w.N.
Der Kläger zu 2. ist als Adressat belastender Ordnungsverfügungen - als solche sind die beanstandeten Auflagen ausnahmslos zu qualifizieren - indessen zweifelsfrei klagebefugt, und zwar auch, soweit er bekundet hat, er habe einige
der ihm untersagten Handlungen und Meinungsäußerungen ohnehin nicht beabsichtigt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten, der Kläger zu 2. werde durch Auflagen, die er ohnehin befolgen wolle, selbst dann ‚nicht
beschwert', wenn sie rechtswidrig wären, entfällt durch das Bekunden des Adressaten einer Ordnungsverfügung, er habe die ihm durch die Ordnungsverfügung untersagten Handlungen und Meinungsäußerungen ohnehin nicht
vornehmen wollen, weder die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO noch etwa das allgemeine Rechtsschutzinteresse für eine Klage. Nach allgemein anerkannter Auffassung führt der aus den Grundrechten als Freiheits- oder
Abwehrrechte abzuleitende Anspruch auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang im Fall seiner Verletzung zu einem Anspruch des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts auf Beseitigung des rechtswidrigen Eingriffs.
Vgl. von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Auflage, § 42 Rdnr. 98.
Die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes in der Sache ist mit dem dargelegten Anspruch des Adressaten eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts unvereinbar und somit abzulehnen, und zwar insbesondere mit Blick
auf versammlungsrechtliche Auflagen wie im vorliegenden Fall. Der Veranstalter einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hat ein nachvollziehbares Interesse, sich gerichtlich gegen einschränkende Auflagen auch dann zu
wehren, wenn sie keine der vom Veranstalter geplanten Meinungsäußerungen verbieten. Auch ein solches- aus der Sicht des Veranstalters der Versammlung überflüssiges - Verbot greift in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit
des Veranstalters ein. Von versammlungsrechtlichen Auflagen, zu deren Anordnung die konkrete Versammlung keinen Anlass bietet, geht nämlich eine einschüchternde Wirkung aus. Potenzielle Versammlungsteilnehmer können
durch die - unterstellt: unberechtigte - Auflagen von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, bleibt zugunsten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, dass jede
versammlungsrechtliche Auflage in Bezug auf den Leiter der Versammlung gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 VersG strafbewehrt und in Bezug auf die Versammlungsteilnehmer gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG bußgeldbewehrt. Je mehr
Auflagen ergehen, deren Erlass durch die Versammlung nicht veranlasst ist, desto mehr werden der Versammlungsleiter, aber auch die Versammlungsteilnehmer - auch wegen der Befürchtung, dass ihnen später vielleicht zu Unrecht
unterstellt wird, sie hätten gegen eine von Ihnen als unbestimmt empfundene Auflage verstoßen - in der freiheitlichen Ausübung ihrer Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit faktisch eingeschränkt.
Schließlich beeinträchtigen unberechtigte Auflage die Außendarstellung des Veranstalters nachteilig, weil ein Durchschnittsbetrachter unterstellen wird, die Versammlungsbehörde habe sicherlich mit gutem Grund die Auflagen zur
Verhinderung tatsächlich mit der Durchführung der Versammlung verbundener Gefahren angeordnet. Weil damit die Möglichkeit der Verletzung von Rechten des Veranstalters einer Versammlung durch rechtswidrige Auflagen aus
den vorstehenden Gesichtspunkten immer gegeben ist, kann auch dem Kläger zu 2. nicht das Recht abgesprochen werden, in der Sache gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die von ihm für nicht erforderlich - weil nicht durch die
konkrete Versammlung veranlasste - Auflage 9 rechtswidrig gewesen ist, soweit mit ihr das Absingen/Abspielen von Märschen oder Marschliedern verboten worden ist.
Die Klage ist auch begründet.
Die mit der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Januar 2008 angeordneten Auflagen sind rechtswidrig gewesen, soweit der Kläger zu 2. sie mit der Klage beanstandet.
Bei dieser Entscheidung orientiert sich die Kammer an den vom Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG entwickelten Grundsätze
Vgl. VG Köln, Beschluss vom 9. November 2005 - Az. 20 L 1794/05 - , [...], m.N. der Rechtsprechung des BVerfG für die Zeit bis August 2005; vgl. ferner für den anschließenden Zeitraum: BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 2006
- 1 BvQ 4/06 -, NVwZ 2006, 586-588; vom 26. Januar 2006 - 1 BvQ 3/06 -, NVwZ 2006, 585- 586; vom 01. Dezember 2007 - 1 BvR3041/07 -, [...]; vom 25. März 2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907-2909; vom 7. November
2008 1 BvQ 43/08 -, [...].
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.
Vgl. BVerwG, Urteil 25. Juni 2008 - Az. 6 C 21/07 -, DVBl 2008, 1248 -1251, und [...].
Auch wegen der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses
der Verfügung erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind deshalb konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnr. 20.
Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz
hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, [...], Rdnr. 17.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG außerdem im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare
Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter
wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen
Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die öffentliche Ordnung durch die Art und Weise der Kundgabe einer Meinung verletzt werden, etwa durch ein aggressives und provokatives, die Bürger
einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge
mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. Art. 8 GG schützt
zwar Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischen oder in vergleichbarer Weise aggressiven und einschüchternden Begleitumständen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90- 93, und [...], Rdnr. 24; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnr. 31.
Die vorstehenden Ausführungen bedürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings einer einschränkenden Auslegung dahingehend, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung als Grundlage
beschränkender Verfügungen ausscheidet, soweit sie im Inhalt von Meinungsäußerungen gesehen wird.
Meinungsäußerungen sind in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG Schranken der
Meinungsfreiheit festgelegt. Das für ein demokratisches Gemeinwesen konstituierende Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht insbesondere zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine
tatbestandliche Eingrenzung unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen.
Ermächtigungen zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten knüpfen n i c h t a n d i e G e s i n n u n g, s o n d e r n a n G e f a h r e n f ü r R e c h t s g ü t e r a n, die aus konkreten Handlungen folgen. Dementsprechend hat der
Gesetzgeber in der Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter - etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht -
verletzen. Die Strafrechtsordnung ermöglicht die Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die etwa durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen
missachtet, so liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit, sodass die Ordnungsbehörden eine so begründete Gefahr regelmäßig wegen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit - also gestützt auf § 15 Abs.
1 Alternative 1 VersG - abwehren dürfen, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen.
Vgl. zum Vorstehenden nochmals BVerfG, Beschlüsse vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90-93, und vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...].
Überschreiten die zu erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit, sind beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung - also auf § 15 Abs. 1 Alternative 2 VersG gestützt Verfügungen -
jedoch nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich - wie bereits dargelegt wurde - die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der A r t u n d W e i s e d e r D u r c h f ü h r u n g d e r V e r s a
m m l u n g ergibt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 20.
Davon ausgehend sind die vom Kläger zu 2. beanstandeten Auflagen bzw. Teile einzelner Auflagen im Auflagenbescheid des Beklagten vom 30. Januar 2008 rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte - der seinen Auflagenbescheid
auf die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt hat - keine Tatsachen bezeichnet hat, die diese Prognose belegen.
Mit der Klageerwiderung hat der Beklagte klargestellt, dass die Mehrzahl der vom Kläger zu 2. beanstandeten Auflagen im Kern angeordnet worden sei, um die Wahrnehmung des Aufzugs als rechter Aufmarsch sowie das Eintreten
der zu befürchtenden Einschüchterungseffekte bei Andersdenkenden zu verhindern.
Die Kammer neigt zu der Einschätzung, dass der Beklagte an einer Klarstellung und gegebenenfalls auch an der Ergänzung der Begründung des durch Zeitablauf erledigten Bescheids vom 30. Januar 2008 im Klageverfahren nicht
unter dem Gesichtspunkt des Nachschiebens von Gründen gehindert ist, sofern das Wesen des Verwaltungsakts vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht verändert wird, neue Tatsachen, die erst nach Erledigung entstanden
sind, nicht zur Begründung herangezogen werden und der Kläger zu 2. durch die nachträgliche Begründung nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.
A.A. Kuntze in in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung , Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 4. Auflage, § 114 Rdnr. 50.
Sie lässt letztlich jedoch offen, ob der Beklagte mit der Klageerwiderung in unzulässiger Weise Gründe nachgeschoben hat, weil die in der Klageerwiderung mitgeteilten Gründe nicht zu einer veränderten Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der mit der Klage beanstandeten Auflagen führen.
Dies vorausgeschickt hat der Beklagte auch bei Berücksichtigung der Klageerwiderung seine zentrale Prognose - auf die er den Bescheid vom 30. Januar 2008 ganz wesentlich gestützt hat -, eine unmittelbare Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei gegeben, weil der vom Kläger zu 2. angemeldete Aufzug als rechter Aufmarsch wahrgenommen und der zu befürchtende Einschüchterungseffekt bei Andersdenkenden mit der erforderlichen
hohen Wahrscheinlichkeit eintreten werde, nicht durch konkrete Tatsachen nachvollziehbar belegt.
In der Klageerwiderung führt er hierzu aus, die Auflagen 9 bis 13, 16 und 17 seien als Gesamtheit zu sehen, weil auch das Erscheinungsbild des Aufzuges sich nicht in einzelne ‚harmlose' Verhaltensweisen zerlegen lasse, sondern
seine Wirkung auf die Öffentlichkeit in der Bündelung aller Einzelaktivitäten entfalte. Hier sei das Ganze eben mehr als die Summe der Teile. Das Marschieren in Blöcken, Zügen und Reihen, das Mitführen von Fackeln und Fahnen,
das Schlagen von Trommeln, das Verwenden von Aufschriften mit Bezug zum Nationalsozialismus und insbesondere das Skandieren ausländerfeindlicher Parolen verdichte sich zu einem Gesamtbild, das einen
Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeuge. Dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Gefahr für die öffentliche Ordnung begründende
herausgehobene Aspekt der Gesamtbetrachtung der einzelnen Verhaltensweisen sei bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auflagen 9 bis 13 sowie 16 und 17 zu Grunde zu legen.
Es fehlen jedoch belastbare Tatsachen dafür, dass mit dem vom Beklagten befürchteten ‚worst-case-Szenario' tatsächlich zu rechnen war. Aus dem Bündel von Einzelaktivitäten, die im Zusammenwirken einen Einschüchterungseffekt
sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugen würden, war konkret lediglich zu erwarten, dass schwarze Fahnen, Fackeln und Trommeln mitgeführt würden; dies war mit Sicherheit
anzunehmen, weil der Kläger zu 2. diese Hilfsmittel im Anmeldungsschreiben vom 15. Januar 2008 angegeben hatte. Allerdings war der Kläger zu 2. bereit - und dies ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen -, die Zahl der Fackeln
auf vier zu beschränken. Nach seiner hierzu erfolgten und unwidersprochen gebliebenen Klarstellung in der mündlichen Verhandlung hat er im Kooperationsgespräch den Vertretern des Beklagten erklärt, die vier Träger des Sarges
sollten mit jeweils einer Hand den Sarg und mit der jeweils anderen Hand je eine Fackel tragen. Die Gewissheit, dass somit als Hilfsmittel vier Fackeln, schwarze Fahnen und Trommeln mitgeführt werden sollten, rechtfertigt für sich
nicht die Prognose, diese Hilfsmittel erzeugten einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft.
Soweit der Beklagte bei Versammlungen des NPD-Kreisverbandes Düren generell das Zeigen schwarzer Fahnen untersagt, ignoriert er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das hierzu - bezogen auf eine vergleichbare
Demonstration der NPD in Lübeck - schon im Jahr 2002 ausgeführt hat:
‚ Das in der nach § 15 Abs. 1 VersG ergangenen Auflage enthaltene Verbot des Mitführens einer angemessenen Anzahl schwarzer Fahnen stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG dar. Nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte für das Gefahrenpotential des Mitführens der Fahnen werden nicht angegeben. Dass schwarze Fahnen eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben, ist allgemein ebenso wenig
nachvollziehbar wie im konkreten Fall die Annahme, sie erhielten diesen Aussagengehalt durch das spezifische Erscheinungsbild des Aufzuges.
Tatsächliche Anhaltspunkte für die angenommene einschüchternde Wirkung des Mitführens der Fahnen oder für sonstige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung werden ebenfalls nicht benannt. ........ Mit der von der
Behörde und den Gerichten gegebenen Begründung könnte praktisch jede Versammlung rechtsextremistischer Veranstalter ohne konkreten Nachweis einer Gefahr unter Berufung auf § 15 VersG mit Auflagen versehen werden, selbst
wenn diese das Versammlungsanliegen weitestgehend vereiteln. Die Auflage der Versammlungsbehörde beruht ohne nähere Begründung im Tatsächlichen auf der Behauptung einer Verletzung der öffentlichen Ordnung bei
rechtsextremistischen Aufzügen. Könnten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stets auf solche Weise gerechtfertigt werden, wären Inhalt und Anzahl der Auflagen keine Grenzen gesetzt und das Versammlungsrecht derartiger
Veranstalter wäre generell weitgehend ausgehöhlt.'
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. März 2002 - Az. 9/02 -, NVwZ 2002, 983 [BVerfG 29.03.2002 - 1 BvQ 9/02] -984, und [...], Rdnrn. 9 und 11.
So liegt der Fall auch hier. Dass schwarze Fahnen eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben, ist allgemein ebenso wenig nachvollziehbar wie im konkreten Fall die Annahme, sie erhielten diesen
Aussagengehalt durch das spezifische Erscheinungsbild des Aufzuges. Mit Gegenindizien, etwa dem Versammlungsmotto, der Zahl der Versammlungsteilnehmer und der Abschirmung der Versammlungsteilnehmer durch
zahlenmäßig überlegene Polizeikräfte setzt sich der Beklagte nicht auseinander. Auch zieht er nicht in Erwägung - wozu er in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet gewesen wäre -, ob die angenommene
Gefahr durch eine Begrenzung der Zahl der schwarzen Fahnen und etwa die - mildere - Anordnung, die Fahnen als Zeichen der Trauer nur abgesenkt zu tragen, hätte ausgeräumt werden können. Auch bleibt bei der
Prognoseentscheidung des Beklagten gänzlich unberücksichtigt, dass der Kläger zu 2. im Rahmen der Kooperation der Änderung des ursprünglichen Aufzugsweges zugestimmt hat, um ein Aufeinandertreffen mit Gegendemonstranten
zu vermeiden und dadurch die Gesamtgefahrenlage zu entspannen.
Entsprechendes gilt für den beabsichtigten Einsatz von vier Fackeln und Trommeln als Hilfsmittel der Meinungsäußerung und ein Mittel, die mit der Demonstration beabsichtigte Botschaft optisch und akustisch zu unterstreichen.
Auch insoweit versäumt es der Beklagte, die gegen das Erzeugen eines Einschüchterungseffekts sowie eines Klimas der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft sprechenden Indizien (Versammlungsmotto, geringe
Zahl der Versammlungsteilnehmer und Anwesenheit zahlenmäßig überlegener Polizeikräfte, deren Anwesenheit in den Augen des nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Maßstab in den Blick zu nehmenden
Durchschnittsbürgers jedem Einschüchterungseffekt wesentlich entgegenwirkt) in die mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz vorzunehmende Güterabwägung einzubeziehen. Auch zieht er nicht in Erwägung - wozu er
in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet gewesen wäre -, ob der von Trommeln ausgehenden angenommenen Gefahr (Gefahr des Marschierens) etwa durch die - mildere - Anordnung hätte begegnet werden
können, eine begrenzte Anzahl von Trommeln nur während der geplanten Kranzzeremonie einzusetzen. Ebenso verkennt der Beklagte, dass bei Dunkelheit eingesetzte Fackeln nicht per se eine eindeutig auf den Nationalsozialismus
bezogene Symbolik haben.
Vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 16. November 2007 - Az. 3 B 447/07 -, [...].
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass (1.) der vom Beklagten seiner Gefahrenprognose zugrunde gelegte Symbolgehalt des Mitführens von Fackeln und schwarzen Fahnen auf einer Versammlung der NPD so nicht
nachzuvollziehen ist und (2.) außerdem die vom Kläger zu 2. geplante Verwendung von Trommeln, Fackeln und schwarzen Fahnen das verfügte vollständige Verbot dieser Hilfsmittel nicht tragen konnte, weil die angenommene
Gefahr der Einschüchterung Andersdenkender und der Erzeugung eines Klimas der Gewalt jedenfalls durch mildere Auflagen als ein vollständiges Verbot dieser Hilfsmittel hätte beseitigt werden können.
Soweit der Beklagte die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Wahrnehmung des angemeldeten Aufzugs als rechter Aufmarsch und die Erzeugung eines Einschüchterungseffekts
bei Andersdenkenden darüber hinaus auf die Annahme gestützt hat, es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass in Blöcken, Zügen und Reihen marschiert werde (Auflage 9), Marschlieder und Märsche abgespielt oder gesungen würden
(Auflage 9), Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts mit leicht abgewandelten, aber ihrem Gesamteindruck nach deutlich an die nationalsozialistische Zeit erinnernden nationalsozialistischen Symbolen und Gegenständen ihre
Zugehörigkeit zu dieser politischen Richtung dokumentieren und ihre verfassungsfeindlichen Ansichten verbreiten würden (Auflage 10), die in Auflage 12 bezeichneten, ihrem Gesamteindruck nach deutlich an die
nationalsozialistische Zeit erinnernden Buchstabenfolgen und Abkürzungen sichtbar getragen würden, die mit der Auflage 16 verbotenen Parolen verbreitet würden und durch den durch die Auflage 17 verbotenen
nationalsozialistischen Propagandajargon und typische nationalsozialistische Bekleidungsstücke dazu beigetragen würde, Einschüchterungseffekte und ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft zu
verhindern, hat er schlichtweg keinerlei Tatsachen bezeichnet, die diese Prognose belegen. Es fehlt insoweit an jeglicher Begründung der angenommenen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das Gericht ist als Folge der
bestehenden Gewaltenteilung nicht befugt, anstelle der Versammlungsbehörde zu begründen, dass die angenommenen Gefahren unmittelbar bevorstanden. Entgegen der von dem im Termin zur mündlichen Verhandlung
bevollmächtigten Rechtsanwalt des Beklagten geäußerten Rechtsauffassung war die Entscheidung, ob und welche Auflagen zu erlassen waren, nicht als gebundene Entscheidung, sondern als Ermessensentscheidung zu treffen.
Dementsprechend ist die Kammer nur befugt zu überprüfen, ob der vom Beklagten seiner Auflagenentscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt ihn zu einem Einschreiten berechtigte (so genanntes Entschließungsermessen) und er bei
der Ausübung seines Handlungsermessens die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder nicht zweckentsprechend von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat, vgl. § 114 Satz 1 VwGO . Deshalb hätte der Beklagte
begründen müssen, weshalb unter Berücksichtigung des Versammlungsmottos und der sonstigen Begleitumstände im konkreten Einzelfall mit den in den Auflagen 9, 10, 12, 16 und 17 bezeichneten Gefahren unmittelbar zu rechnen
war. Weil der Beklagte seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen ist, sondern seine Gefahrenprognose bezüglich der hier in Rede stehenden Auflagen nur auf bloße Behauptungen und Vermutungen gestützt hat, genügt sie
nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen mit der Folge der Rechtswidrigkeit dieser Auflagen.
#Dies gilt insbesondere auch für die Annahme, es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass im Verlauf der Demonstration die mit der Auflage 16 verbotenen Parolen ‚Deutschland den Deutschen', ‚Deutschland uns Deutschen', ‚Ausländer
raus', ‚180 Nationalitäten in Düren sind 179 zu viel', ‚Ali, Mehmet, Mustafa - geht zurück nach Ankara', ‚Wir sind wieder da!', ‚Trotz Verbot sind wir nicht tot!', ‚Frei, sozial und national!', ‚alle Variationen der Wortfolgen 'hier
marschiert ...!' bzw. 'hier spaziert ...!'' und ‚nationaler Widerstand!' verbreitet und damit das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit unter dem Gesichtspunkt der von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG erfassten Menschenwürde verletzt würde.
Wie bereits dargelegt wurde (vgl. die Seiten 25 und 26 des Urteilsabdrucks), hat der Gesetzgeber in der Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen zum Schutz u.a. des Rechtsguts der Menschenwürde
Dritter beschränkt. Die Strafrechtsordnung ermöglicht die Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die etwa durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Überschreiten die zu erwartenden Meinungsäußerungen
nicht die Schwelle der Strafbarkeit - davon geht der Beklagte in Bezug auf die in Rede stehenden Parolen aus -, so verlieren sie nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte den Schutz der Art. 8 und 5 Abs. 1 GG .
Dementsprechend dürfen Meinungsäußerungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit nicht wegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden, um das Rechtsgut der Menschenwürde zu schützen.
Vgl. nochmals BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 26-29, und 29. März 2002, - 1 BvQ 9/02 -, [...], Rdnr. 11.
Der Beklagte durfte das Verbot der in Rede stehenden, vom Beklagten für sich genommen nicht als strafbar eingestuften Parolen allenfalls zum Schutz der öffentlichen Ordnung erlassen. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist eine
Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit zum Schutz der öffentlichen Ordnung aber nur, wenn sich - wie bereits dargelegt wurde - die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise
der Durchführung der Versammlung ergibt. Das laute Skandieren einzelner Parolen rechtfertigt nicht die Annahme, wegen dieser Art und Weise der Kundgabe einer Meinung werde die öffentliche Ordnung so sehr gestört, dass die
Meinungsäußerung durch eine versammlungsrechtliche Auflage untersagt werden dürfe. Erforderlich ist vielmehr eine nachvollziehbare Begründung, dass durch das laute Skandieren und durch das Hinzutreten weiterer die
Versammlung prägender Umstände zum Beispiel eine militante, aggressive und fremdenfeindliche Stimmung entsteht, durch die Andersdenkende eingeschüchtert werden.
Vgl. nochmals BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, [...], Rdnrn. 30 ff.-
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung genügt die Gefahrenprognose des Beklagten nicht. Er stützt die Annahme, dass durch das laute Skandieren der
in Rede stehenden Parolen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein agressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Klima entstehen würde, erkennbar im Wesentlichen auf die Wirkung des Inhalts der Parolen. Er versäumt es
hingegen, nachvollziehbar und gestützt auf Tatsachen darzulegen, dass durch die Art und Weise des Auftretens der Versammlungsteilnehmer zum Beispiel ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft
entstehen würde. Damit genügt die Auflage 16 nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Beschränkungen von Meinungsäußerungen im Rahmen einer Versammlung.
Das Verbot durch Auflage 15, während des Aufzuges mehr als eine Fahrspurbreite in Anspruch zu nehmen und keine Transparente von mehr als 2,50 m Breite oder mehr als 1,0 m Höhe zu verwenden, wird ebenfalls nicht in einer den
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise begründet. In der Klageerwiderung hat der Beklagte hierzu erstmals vorgetragen, die Auflage 15 sei das Ergebnis hergestellter praktischer Konkordanz. Bei einer
Teilnehmerzahl von 50 bis 80 Personen könne der Aufzug seine Route auf einer Fahrspur verfolgen.
Breitere Transparente hätten auf einer Fahrspur nicht gefahrlos mitgeführt werden können. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass aus Rücksichtnahme auf die Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer nicht zugunsten des Rechts
des Klägers zu 2. aus Art. 8 GG , selbst zu bestimmen, mit welchen Mitteln er Aufmerksamkeit für sein Anliegen erregt, zumindest auf einem Teilstück des Aufzugsweges oder während der geplanten Standkundgebungen gefahrlos
hätten zugelassen werden können, benennt der Beklagte jedoch nicht. Die vom Kläger zu 2. angemeldete Transparentbreite wich mit 3,0 m nur 50 cm von der erlaubten Breite ab. Die Höhe der angemeldeten Transparente wich
ebenfalls nur 50 cm von der Höhe ab; sie war ohnehin unerheblich für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer. Vor diesem Hintergrund bedurfte es näherer Angaben z.B. zu den Fahrbahnbreiten und eventuell zusätzlich zur
Verfügung stehenden Bürgersteigen, um das strikte Bestehen des Beklagten auf einer maximalen Breite der Transparente von 2,50 m und einer Höhe von 1,0 m zu begründen. Auch die Gefahrenprognose zu der Auflage 15 erweist
sich damit als nicht nachvollziehbar und als unzureichend für das strikte Verbot, größere Transparente einzusetzen und während des gesamten Aufzugs nur eine Fahrspur zu benutzen.
Schließlich rügt der Kläger zu 2. zu Recht auch die Rechtswidrigkeit der in der Auflage Nr. 7 getroffenen Anordnung, den Teilnehmenden seien die sie betreffenden Auflagen ‚in kleinen Gruppen' in geeigneter Weise bekannt zu
geben. Begründet wird die Maßnahme damit, dass die Bekanntgabe der beschränkenden Verfügung an die Teilnehmer/innen der Versammlung erforderlich sei, damit diese sich entsprechend den Auflagen verhielten und damit den
Ablauf der Versammlung nicht stören oder gar deren Durchführung gefährden würden.
Diese Begründung ist im Ansatz verfehlt. Versammlungsrechtliche Auflagen sind ein Mittel, den gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut
der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen.
Vgfl. BVerfG, Urteil vom 5. September 2003 - Az. 1 BvQ 32/03 -, [...], Rdn. 29. 155 Die Auflage 7 dient aber nicht - wie erforderlich - ‚anderen' verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern, sondern dem
Schutz der Versammlung selbst, also dem Schutz des Veranstalters vor den Versammlungsteilnehmern. Dass die Auflage 7 darüber hinaus auch dem mit § 15 Abs. 1 VersG bezweckten Rechtsgüterschutz dient, wird mit keinem Wort
begründet. Unabhängig davon wird mit keinem Wort dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass tatsächlich mit mehr Sicherheit zu erwarten ist, dass alle Versammlungsteilnehmer den Inhalt des Auflagenbescheids zur
Kenntnis nehmen, wenn er ihnen ‚in kleinen Gruppen' bekannt gegeben wird, denn zur Bekanntgabe der sie betreffenden Auflagen an die Teilnehmenden in geeigneter Weise war der Kläger zu 2. ohnehin verpflichtet.
Da die Klage ohnehin Erfolg hat, lässt die Kammer offen, ob die Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Auflagen sich aus weiteren Gesichtspunkten ergibt.
Die Klage des Klägers zu 1. ist abzuweisen. Sie ist unzulässig, weil dem Kläger zu 1. die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO fehlt, die nach allgemeiner Auffassung wie bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Sachurteilsvoraussetzung auch der Fortsetzungsfeststellungsklage ist.
Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Auflage, § 113 Rdnr. 125 m.w.N.
Der ausdrücklich nur an den Veranstalter der Versammlung gerichtete Auflagenbescheid vom 30. Januar 2008 hat den Kläger zu 2., nicht aber den Kläger zu 1. beschwert, weil er das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Kläger
zu 2., nicht aber eine Rechtsposition des Kläger zu 1. einschränkte.
Der vom Kläger zu 1. für erforderlich gehaltenen Geltendmachung der Rechte des Klägers zu 2. im eigenen Namen in so genannter Prozessstandschaft bedarf es nicht, weil der Kläger zu 2. - wie bereits dargelegt - im gerichtlichen
Verfahren beteiligungsfähig ist und somit gegen eine Verletzung seiner Rechte selbst klagen kann. ..." (VG Aachen, Urteil vom 14.01.2009, 6 K 374/08)
***
Klage gegen Kontrollen bei Versammlung und deren Auflösung (VG Köln, Urteil vom 07.12.2006 - 20 K 5272/04 - Einkesseln der Versammlungsteilnehmer für mehrere Stunden - Kessel 3):
„... Die Klägerin meldete zusammen mit einer weiteren Person mit Schreiben vom 12.03. und vom 23.04.2003, gerichtet an das Ordnungsamt der Stadt Köln, die Veranstaltung ‚6. Antirassistisches Grenzcamp' auf dem städtischen
Gelände ‚Poller Wiesen' für den Zeitraum vom 30.07.2003 bis zum 11.08.2003 an. Es würden ca. 1500 Teilnehmer während der gesamten 10 Tage erwartet und die Veranstaltung solle im Freien in Form eines Zeltlagers abgehalten
werden. In der Folgezeit nahm der Beklagte Kontakt zu den Organisatoren der Veranstaltung auf, die einen vierköpfigen Arbeitskreis bildeten, zu dem auch die Klägerin gehörte, und der mit dem Beklagten am 27.06. und 25.07.2003
Kooperationsgespräche führte. Daneben schlossen die vier Arbeitskreis-Teilnehmer mit der Stadt Köln einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Nutzung eines Teilstücks der Grünfläche ‚Poller Wiesen' als Zeltplatz im Rahmen
des ‚Antirassistischen Grenzcamps'.
Der Beklagte bestätigte mit an die vier Mitglieder des Arbeitskreises gerichteten Bescheiden vom 01.08.2003 gemäß § 14 des Versammlungsgesetzes die Anmeldung der Versammlung jeweils für diejenigen Tage, für die sich die
einzelnen Arbeitskreis-Teilnehmer als Versammlungsleiter erklärt hatten. Die Klägerin hatte die Versammlungsleitung am 03.08., 05.08. und am 09.08.2003 übernommen. Gleichzeitig erließ der Beklagte jeweils drei gleichlautende Auflagen.
Im Laufe der Veranstaltungstage kam es nach den Feststellungen des Beklagten zu mehreren strafrechtlich relevanten Vorfällen, während andere Veranstaltungsteile störungsfrei verliefen; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 111 - 115
des eingereichten Verwaltungsvorganges verwiesen. Am 08.08.2003 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Grenzcampteilnehmern und eingesetzten Polizeibeamten, nachdem ein Kradfahrer der Polizei an der Weiterfahrt
gehindert worden und einer Polizistin eine Videokamera entrissen worden war. Die Einzelheiten hierzu sind zwischen den Beteiligten streitig. Für den 09.08.2003 war in Köln-Poll eine der rechtsextremen Szene zuzurechnende
Demonstration angemeldet. Nach den Erkenntnissen der Polizei war dies den Teilnehmern des Grenzcamps bekannt geworden und es seien von diesen Vorbereitungen zur Störung bzw. Verhinderung dieser Demonstration getroffen
worden. Der Beklagte richtete daraufhin ab 10.30 Uhr im Umfeld des Grenzcampgeländes Kontrollstellen ein, was zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Versammlungsteilnehmern führte. Auch diesbezüglich sind die
Einzelheiten zwischen den Beteiligten streitig. Um 14.00 Uhr wurde vom Einsatzleiter des Beklagten des Beklagten eine Auflösungsverfügung formuliert, die aber zunächst nicht erlassen wurde. Stattdessen fanden über mehrere
Stunden hinweg Verhandlungen zwischen dem Beklagten und der Versammlungsleitung statt, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler. Um 18.18 Uhr verkündete der Einsatzleiter des Beklagten per
Lautsprecherdurchsage die Auflösung der Versammlung Grenzcamp. Des Weiteren wurde den auf dem Grenzcamp anwesenden Personen über Lautsprecher mitgeteilt, dass gemäß § 163 b Abs. 1 u. 2 StPO ihre Personalien festgestellt
und Lichtbilder gefertigt werden sollten; sie sollten sich zu diesem Zwecke an den fünf eingerichteten Durchlassstellen melden, durch die sie das Gelände dann verlassen könnten. Dieser Aufforderung folgte nur ein Teil der
anwesenden Personen, die verbliebenen 377 Personen wurden eingekesselt und zur Gefangenensammelstelle nach Brühl verbracht. Dort wurden sie nach Personalienfeststellung mit Lichtbildfertigung in den Morgenstunden des
10.08.2003 freigelassen. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 forderte die Klägerin den Beklagten auf, sich zur Rechtswidrigkeit seiner Maßnahmen zu erklären. Eine Reaktion hierauf sowie
auf eine entsprechende Erinnerung vom 16.12.2003 erfolgte nicht.
Die Klägerin hat am 16.07.2004 Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit von mehreren am 09.03.2003 vom Beklagten getroffenen Maßnahmen begehrt. Zur Begründung trägt sie vor: Die Klageerhebung sei
geboten, da der Beklagte auf die schriftlichen Aufforderungen ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 sowie die Erinnerung vom 16.12.2003 nicht reagiert habe. Das Vorgehen der eingesetzten Polizeikräfte des
Beklagten gegen die Versammlungsteilnehmer des Grenzcamps sei nicht nachvollziehbar. Es habe sich bis zur Auflösung um ca. 18.00 Uhr um eine angemeldete und bestätigte Versammlung gehandelt. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehöre es zu den originären demokratischen Rechten, nicht nur an einer Versammlung teilzunehmen, sondern dies auch anonym zu tun. Dieses grundlegende Recht sei durch die Polizei
durch Errichtung der Sperren massiv eingeschränkt worden. Was den Vorfall mit dem Kradfahrer der Polizei anbetreffe, so sei dieser am frühen Morgen des 08.08.2003 entgegen den getroffenen Absprachen auf das Gelände des
Grenzcamps gefahren und habe auf Nachfragen äußerst ungehalten reagiert, so dass sich eine lautstarke Diskussion entwickelt habe. Die Person, die die Videokamera der Polizei entwendet haben soll, sei ihr, der Klägerin, wie auch der
übrigen damaligen Versammlungsleitung nicht bekannt gewesen und auch bis heute unbekannt. Am 09.08.2003 habe die Polizei gegen 9.30 Uhr damit begonnen, nach und nach sämtliche Zu- und Abfahrtswege vom Camp
abzuriegeln. Gegen 10.30 Uhr sei es dann insgesamt nicht mehr möglich gewesen, das Camp zu verlassen; Polizeibeamte hätten eine mehrreihige Kette in 50 m Entfernung vom Eingang gebildet. Aus Protest gegen das polizeiliche
Verhalten hätten einige Grenzcampteilnehmer Menschenketten gebildet; in der Folge sei es dann zu zahllosen Provokationen seitens der Polizei gekommen. Die Gangart der Polizei sei immer härter geworden, gegen 13.00 Uhr sei sie
unangekündigt bis zum Eingang des Grenzcamps vorgerückt. Ab diesem Zeitpunkt sei das Verlassen des Geländes auf die Straße - ‚Alfred-Schütte-Allee' bzw. ‚Am Schnellert ‚ - nicht mehr möglich gewesen. Nach Gesprächen der
Versammlungsleiter mit Vertretern des Beklagten habe sich dann die Lage vorübergehend entspannt, dabei seien die Versammlungsteilnehmer davon ausgegangen, dass sie nur bis zum Ende der rechtsradikalen Demonstration um
17.00 Uhr festgehalten würden. Gegen 15.00 Uhr sei dann mitgeteilt worden, dass das Grenzcamp geräumt werden solle, weil die angemeldete rechtsradikale Demonstration geschützt werden müsste und 70 % aller Campteilnehmer
straffällig geworden seien. Außerdem habe die Stadt Köln den Mietvertrag über die Poller Wiesen telefonisch gekündigt. Ab 16.00 Uhr habe dann die Polizei das Camp umstellt und der Einsatzleiter gegen 17.30 Uhr erklärt, dass die
Versammlung aufgelöst werden solle, um die Personalien der Campteilnehmer festzustellen. Nach mehreren Aufforderungen der Polizei an die verbliebenen Campteilnehmer, sich zum Ausgang zu begeben und die Personalien
feststellen zu lassen, sei dann gegen 19.00 Uhr über Lautsprecher die Versammlung für aufgelöst erklärt worden. Der erneuten Aufforderung, sich im Eingangsbereich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, seien
nur wenige Grenzcampteilnehmer nachgekommen. Daraufhin sei das gesamte Gelände mit Absperrgittern und mehrreihigen Polizeiketten umstellt worden. Die verbliebenen Teilnehmer seien eingekesselt worden und hätten mehrere
Stunden in dem Kessel verbleiben müssen, bis dann der Abtransport in zwei Gelenkbussen sowie kleineren Gefangenentransportern zur Gefangenensammelstelle nach Brühl erfolgt sei. Dort habe sich die Durchführung der
erkennungsdienstlichen Behandlung bis zum Vormittag des 10.08.2003 hingezogen, erst danach seien sie freigelassen worden.
Das Gericht hat das Verfahren abgetrennt, soweit sich die Klägerin (auch) gegen die nach Auflösung der Versammlung ergangenen polizeilichen Maßnahmen wendet (und unter dem Aktenzeichen 20 K 1709/06 fortgeführt).
Soweit sich die Klägerin zunächst auch gegen das ‚gegen 11.00 Uhr ausgesprochene Betretungsverbot für das Grenzcamp' gewandt hat, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 den Rechtsstreit im
Anschluss an eine vom Beklagten hierzu abgegebene Erklärung insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Im vorliegenden Verfahren beantragt die Klägerin nunmehr,
1. festzustellen, dass die Einrichtung der Kontrollstellen nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG am 09.08.2003 - Alfred-Schütte-Allee und ‚Am Schnellert ‚ - bezüglich den Versammlungsteilnehmern der angemeldeten Versammlung
Grenzcamp rechtswidrig war, soweit sie sich ausweisen lassen mussten,
2. festzustellen, dass die Auflösungsverfügung des Beklagten vom 09.08.2003 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die noch streitgegenständlichen Maßnahmen für rechtmäßig. Bereits im Vorfeld der Versammlung habe er deutlich gemacht, dass die Polizei allen erkennbaren Absichten zur Ausübung von Gewalttätigkeiten und anderen
Straftaten konsequent entgegenwirken sowie Straftaten konsequent verfolgen werde. Für Samstag, den 09.08.2003, habe eine der rechtsextremen Szene zuzuordnende Person eine Versammlung (Aufzug mit Kundgebungen)
angemeldet, die in Köln-Poll, ca. 2 km vom Grenzcampgelände entfernt, stattfinden sollte. Die dem Veranstalter am 06.08.2003 ausgehändigte Anmeldebestätigung sei diesem von Unbekannten an einer U-Bahn-Haltestelle entwendet
worden. Dem Schriftstück sei der bestätigte Aufzugsweg zu entnehmen gewesen, den man bis dahin nicht veröffentlicht habe. In der Nacht zum Samstag seien immer wieder Einzelpersonen und kleinere Personengruppen aus dem
Grenzcamp im Stadtteil Poll beobachtet worden. In den Morgenstunden des Samstags hätten Polizeikräfte entlang des Aufzugsweges Depots mit Wurfmaterialien (Steine, Farb- und Fäkalienbeutel) entdeckt; an den bereit gestellten
polizeilichen Absperrgittern seien die Sicherungsschlösser beschädigt worden und die Gitter mit Fäkalien beschmiert worden. Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse sei zum Schutz der angemeldeten rechtsextremen Versammlung
am 09.08.2003 mit Zustimmung der Bezirksregierung Köln im Umfeld des Grenzcampgeländes ab ca. 10.30 Uhr je eine Kontrollstelle in der ‚Alfred- Schütte-Allee', der Straße ‚Am Schnellert ‚ sowie am linksrheinischen Aufgang zur
Südbrücke eingerichtet worden gem. § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW, um zu erwartende Straftaten nach § 27 VersG zu verhüten. Die Sperrstellen in der ‚Alfred- Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hätten sich nicht direkt
am Grenzcampgelände, sondern in einer Entfernung von etwa 400 - 500 m befunden, auch um die Teilnehmer des Grenzcamps nicht durch eine Polizeipräsenz in unmittelbarer Nähe zu provozieren. Die räumliche Distanz habe zur
Folge gehabt, dass jeder, der die Landzunge zu verlassen gedachte, die Sperrstellen passieren musste. Auch Anwohner, Spaziergänger und andere Personen seien unmittelbar von dieser Maßnahme betroffen gewesen. Es sei nicht
darum gegangen, die Teilnahme an oder das Verlassen der Versammlung ‚Grenzcamp' zu be- oder verhindern. Zweck der Einrichtung der Kontrollstellen sei ausschließlich der Schutz der Versammlung der rechtsextremen Szene
gewesen. Es sei zwingend davon auszugehen gewesen, dass eine gewaltsame Verhinderung bzw. Störung der Versammlung der rechtsextremen Szene konkret geplant gewesen sei. Ebenso habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich
Teilnehmer des Grenzcamps an diesen Aktionen zu beteiligen gedachten, zumal die rechtsextreme Szene ‚gegen das 6. Antirassistische Grenzcamp in Köln- Poll' (so wörtlich angemeldet) zu demonstrieren gedachte. Es sei von
Grenzcampteilnehmern versucht worden, die in der ‚Alfred-Schütte-Allee' eingerichtete Kontrollstelle zu umgehen und im Camp sei über Lautsprecher zum Verlassen des Geländes über die Südbrücke aufgerufen worden. Als eine
große Personengruppe auf die Südbrücke gedrängt sei, auf der sich eine Schienentrasse und teilweise in der Sanierung befindliche Gehwege befunden hätten, habe der rechtsrheinische Zugang zur Südbrücke von Einsatzkräften
gesperrt werden und die Südbrücke von Personen geräumt werden müssen. An diesem Zugang zur Südbrücke sei um 11.11 Uhr eine zusätzliche Kontrollstelle nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW eingerichtet worden. Diese habe sich
unmittelbar am Eingangsbereich des Grenzcampgeländes befunden, dort habe die Lage gegen 12.16 Uhr zu eskalieren begonnen. Die dort eingesetzten Polizeikräfte seien gewalttätigen Angriffen von Grenzcampteilnehmern ausgesetzt
gewesen. Aus einer dicht gedrängten Gruppe von etwa 100 bis 150 Personen seien die Beamten mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln und Steinen beworfen worden. Einige dieser Personen seien vermummt gewesen. Darüber hinaus sei
beobachtet worden, dass Personen unter der Südbrücke Steine und Holzlatten deponiert hätten. Zum Schutz der Einsatzkräfte an der Kontrollstelle sowie zur Festnahme erkannter Straftäter seien Einsatzkräfte von der Kontrollstelle
‚Am Schnellert ‚ in Richtung der Störer vorgerückt und hätten eine Polizeikette gebildet. Aus der Gruppe vor der Polizeikette seien die Polizeikräfte nochmals mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln, gefüllten Wasserflaschen und
vereinzelt mit Steinen beworfen worden, zudem seien die Einsatzkräfte mit Wasser bespritzt worden. Zwischen der Personengruppe unmittelbar vor der Polizeikette und den restlichen Personen auf dem Gelände des Grenzcamps sei es
auch während des Bewurfs der Polizeikräfte zu ständigen Bewegungen gekommen. Es seien auch Personen, die an den Ausschreitungen teilgenommen hätten, aus dem Grenzcamp heraus in Form von Anfeuerungsrufen und den Rufen
von Parolen gegen die Polizei unterstützt worden. Die Versammlung ‚Grenzcamp' sei um 18.18 Uhr in rechtmäßiger Weise aufgelöst worden, denn die Angriffe der Versammlungsteilnehmer gegen die Integrität der eingesetzten
Beamtinnen und Beamten sowie die nachhaltige Verletzung der Rechtsordnung (u.a. Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung) hätten eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dargestellt. Der Auflösung seien
stundenlange Vermittlungsversuche, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler, vorangegangen. Dabei habe die Polizei immer wieder herausgestellt, dass die eingerichteten Sperrstellen ausschließlich dem Schutz der
nicht verbotenen rechten Versammlung in Köln-Poll, die bis um 17.00 Uhr dauern sollte, gedient habe. Letztlich seien sämtliche Versuche, die Lage mittels Gesprächen mit den Verantwortlichen des Camps zu beruhigen, gescheitert.
Im Zeitpunkt der Auflösung der Versammlung sei davon auszugehen gewesen, dass es auch bei einer Beendigung des Polizeieinsatzes, verbunden mit der Entfernung der Sperrstellen und dem Abzug sämtlicher Polizeikräfte, nicht zu
einer ruhigen und ordnungsgemäßen Fortsetzung der Aktivitäten der Grenzcampteilnehmer gekommen wäre. Vielmehr habe befürchtet werden müssen, dass dem Ende des Polizeieinsatzes ein Entladen der aufgestauten Aggressionen
seitens der Campteilnehmer folgen würde. Die Auflösung sei damit Folge der gewaltsamen Auseinandersetzungen an diesem Tage gewesen, andererseits hätten aber auch die im Zeitraum vom 31.07. bis zum 08.08.2003 begangenen
Straftaten, die den Teilnehmern des Grenzcamps zuzurechnen gewesen seien, zu der Entscheidung beigetragen. So sei am 08.08.2003 ein Kradfahrer der Polizei auf der ‚Alfred-Schütte-Allee' von mehreren Grenzcampteilnehmern
gewaltsam an der Weiterfahrt gehindert worden. Mehrere Personen hätten auf das Krad eingeschlagen und dabei sei die Antenne abgebrochen. Als weitere Polizeikräfte eingetroffen seien, sei einer Beamtin aus der Gruppe heraus die
zu Beweiszwecken eingesetzte Videokamera geraubt worden. Der Täter sei unerkannt mit der Kamera auf das Grenzcampgelände geflüchtet. Auch in den Vortagen hätten Grenzcampteilnehmer an verschiedenen Orten mehrere
Straftaten begangen; wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten wird insoweit auf Bl. 60, 61 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten eingereichten Verwaltungsunterlagen und auf die von ihm vorgelegten zwei Videokassetten Bezug
genommen. ...
Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, wird es in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt. Im Übrigen hat die Klage teilweise - im Klageantrag zu 2. - Erfolg.
1. Der Klageantrag zu 1. ist unzulässig.
Dabei kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO handelt, da die Einrichtung einer polizeilichen Kontrollstelle als solche einen Realakt darstellt,
vgl. Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz NRW, 9. Auflage, § 12 Rdnr. 25,
oder aber um eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Hinblick darauf, dass die Klägerin geltend macht, mit den an den beiden Kontrollstellen durchgeführten
Ausweiskontrollen habe der Beklagte gezielt versucht, die Identität der Teilnehmer der Versammlung ‚Grenzcamp' zu ermitteln. Jedenfalls fehlt es der Klägerin an dem nach beiden Vorschriften erforderlichen berechtigten Interesse an
der von ihr begehrten Feststellung. Dass ein solches Interesse unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr vorläge, ist weder hinreichend substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich. Die von der Klägerin im Jahre 2003 in
Köln angemeldete Versammlung ‚Grenzcamp' hatte zuvor in jeweils verschiedenen anderen Städten stattgefunden, nach dem Jahre 2003 - soweit bekannt - überhaupt nicht mehr. Des Weiteren ist das Vorliegen des erforderlichen
berechtigten Interesses in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe zu bejahen, sofern Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nicht erreichbar ist. Im Bereich des Versammlungsrechts
führt der Sofortvollzug behördlicher Maßnahmen in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Weise. Zudem sind in versammlungsrechtlichen Verfahren die Besonderheiten der
Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse liegt stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt.
Vgl. BVerfG, BVerfGE 110, 77 = DVBl. 2004, 822.
Dies ist hier nicht gegeben: Zwar war die Klägerin Anmelderin und am 09.08.2003 Leiterin der Versammlung ‚Grenzcamp'. Durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen und die dort durchgeführten Ausweiskontrollen wurde
indes in die Durchführung und den Ablauf dieser Versammlung nicht unter Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG eingegriffen. Der Beklagte hat vielmehr ausdrücklich und substantiiert vorgetragen,
dass sich die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 nicht gegen die Versammlung ‚Grenzcamp' richtete bzw. einer Beschränkung oder Behinderung des Zugangs und des Weggangs zu und von dieser Versammlung,
sondern ausschließlich dem Schutz der an diesem Tage ebenfalls stattfindenden rechtsextremen Versammlung ca. 2 km entfernt in Köln-Poll diente, nämlich um bezogen auf diese Versammlung Straftaten nach § 27 VersG zu
verhüten. Hierzu hat der Beklagte auch, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2006 durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen hat, die erforderliche Zustimmung der Bezirksregierung Köln eingeholt. Es war
auch vorgesehen, die beiden Kontrollstellen nach Abschluss der rechten Demonstration um 17.00 Uhr wieder zu entfernen (nachdem ihr Zweck erfüllt war). Es ist weder von der Klägerin substantiiert vorgetragen worden noch
ansonsten erkennbar, dass durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 um 10.30 Uhr Teilnehmern der bereits seit dem 01.08.2003 stattfindenden Versammlung Grenzcamp faktisch der Zugang zum
Grenzcampgelände oder dessen Verlassen in unzumutbarer Weise erschwert worden wäre. Was die Grenzcampteilnehmer anbetrifft, die sich am 09.08.2003 an den Kontrollstellen ausweisen mussten, kann nicht festgestellt werden,
dass es sich bei der vorgenommenen Identitätsfeststellung mittels Anhaltung um eine tiefgreifende Grundrechtseinschränkung handelte. Dass es sich bei dem Vorbringen des Beklagten - wie die Klägerin meint - um eine
Schutzbehauptung handele, die nur vorgeschoben sei, um eine in Wirklichkeit beabsichtigte ‚Disziplinierung' der Campteilnehmer zu verschleiern, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die beiden Sperrstellen in der
‚Alfred-Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hatten sich nicht direkt am Grenzcampgelände, sondern in einiger Entfernung davon befunden, so dass auch andere Personen diese passieren und sich kontrollieren lassen
mussten. Allerdings hatte die Einrichtung der Kontrollstellen für alle Versammlungsteilnehmer auf dem Grenzcampgelände zur Folge, dass sie im Zeitraum deren Bestehenbleibens nicht nach Köln-Poll gelangen konnten, ohne
kontrolliert zu werden. Insoweit ist aber die Einschätzung des Beklagten auf Grund der von ihm gewonnenen Erkenntnisse, an deren Richtigkeit kein Anlass zu zweifeln besteht, nicht zu beanstanden, dass gerade aus dem Kreis der
Grenzcampteilnehmer heraus die Begehung von Straftaten nach § 27 VersG im Zusammenhang mit der rechtsextremen Demonstration in Köln-Poll zu befürchten war.
2. Der Klageantrag zu 2. ist zulässig und begründet.
Betreffend die vom Beklagten verfügte Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' am 09.08.2003 ist die Klage der Klägerin als Versammlungsleiterin an diesem Tage als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung
des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt - wie bereits oben ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die
Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn also die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder - wie vorliegend - die Versammlung aufgelöst worden ist.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die am 09.08.2003 um 18.18 Uhr vom Beklagten ausgesprochene Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' war rechtswidrig.
Nach der seinerzeitigen Fassung des § 15 Abs. 2 VersG (heute: § 15 Abs. 3 VersG) konnte der Beklagte als zuständige Behörde die Versammlung auflösen, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. 1 gegeben waren. Ein
Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG kann ausgesprochen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar
gefährdet ist. Dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen (noch) im Zeitpunkt des Erlasses der Auflösungsverfügung um 18.18 Uhr vorlagen, hat der Beklagte nicht hinreichend dargetan. Zur Begründung seiner - in seinem
Ermessen stehenden - Auflösungsverfügung hat er per Lautsprecherdurchsage den Versammlungsteilnehmern mitgeteilt: ‚Aus ihrer Mitte wurden Straftaten in Form von Steinwürfen und Vermummung begangen und die
Versammlung hat einen gewalttätigen Verlauf genommen.' Die vom Beklagten angeführten gewalttätigen Auseinandersetzungen und die Angriffe von Versammlungsteilnehmern gegen die Polizeikräfte - deren Umfang im Übrigen
zwischen den Beteiligten streitig ist - hatten indes am Mittag des 09.08.2003 stattgefunden. Dies ergibt sich sowohl aus der Dokumentation der Ereignisse im Verwaltungsvorgang des Beklagten als auch aus den Angaben des
zuständigen Einsatzabschnittsleiters des Beklagten, Herrn T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006. Auch aus den beiden vom Beklagten vorgelegten Videokassetten, die Aufzeichnungen vom Kontrollpunkt ‚Am
Schnellert ‚ sowie den Auseinandersetzungen zwischen Campteilnehmern und Polizeikräften im Eingangsbereich des Grenzcamps enthalten, ergibt sich nichts anderes. Aus den Videoaufnahmen ist ersichtlich, dass die am Eingang des
Grenzcamps zusammengekommenen Personen sich handgreifliche Auseinandersetzungen mit den dort eingesetzten Polizeikräften geliefert hatten, mehrere dieser Personen hatten sich mittels vor ihre Gesichter gezogener Halstücher
vermummt. Aus ihren Reihen wurden jedenfalls auch Pet-Flaschen mit Wasser sowie Obst auf die Polizisten geworfen. Ob es darüber hinaus auch zu Steinwürfen gegen die Polizeikette gekommen ist, ist auf den beiden Videobändern
nicht zu erkennen. Jedoch hat der zuständige Einsatzabschnittsleiter des Beklagten, Herr T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt, dass er selbst mitbekommen habe, dass
Steine in seiner Nähe geworfen worden waren. An dieser Darstellung zu zweifeln, sieht die Kammer keinen Anlass. Es muss aber nach den zur Zeit des Erlasses der Auflösungsverfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sein. Zur Annahme einer solchen Gefährdung genügt nicht eine abstrakte Gefahr, die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der
Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein.
Vgl. OVG NRW, NVwZ 1989, 886 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 Rdnr. 127.
Vorliegend ist es zwischen den Beteiligten im Wesentlichen unstreitig, dass es in den letzten Stunden vor der Auflösungsverfügung - im Wesentlichen ab 13.00 Uhr - zu keinen gezielten Aktionen seitens der Demonstranten
gekommen ist. Der letzte Aufruf der Einsatzleitung der Polizei, den Bewurf der Beamten zu unterlassen, ist laut des Einsatzprotokolls um 12.41 Uhr erfolgt. Danach haben mehrstündige Verhandlungen stattgefunden, über deren
Verlauf und evtl. Ergebnisse keine schriftlichen Aufzeichnungen des Beklagten vorliegen. Auch die Angaben der Beteiligten in den beiden mündlichen Verhandlungen haben insoweit keinen hinreichenden Aufschluss erbracht.
Verbleibende Zweifel, insbesondere zur weiteren Entwicklung der Lage am Demonstrationsort, gehen zu Lasten des Beklagten, der die Beweislast dafür trägt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass der
Auflösungsverfügung vorlagen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Auflösung einer Versammlung das letzte, äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren darstellt.
Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 und NVwZ 2004, 90; BVerwG, BVerwGE 64, 55; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rdnr. 145 ff. m.w.N.
Solche Gefahren sind im Verwaltungsvorgang des Beklagten allenfalls dokumentiert bis 12.41 Uhr. Danach wurden die bezeichneten stundenlangen Verhandlungen mit den Versammlungsteilnehmern unter Einschaltung von dritten
Personen als Vermittler geführt, bis dann - nach Angaben der Klägerin für die Versammlungsleitung überraschend - die Auflösung erfolgte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Polizei bei ihrer Gefahrenprognose ein nicht
geringer Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist; es ist jedoch die Annahme, dass noch um 18.18 Uhr ein erhebliches Gefährdungspotential von den Versammlungsteilnehmern ausging, nicht hinreichend belegt. Fest steht jedenfalls,
dass sich die vom Beklagten zur Mittagszeit als eskaliert bezeichnete Lage beruhigt hatte, und zwar bereits über einen mehrstündigen Zeitraum hinweg. Darüber hinaus war im Zeitpunkt der Auflösung die Demonstration der
rechtsextremen Szene auch schon seit über einer Stunde beendet und somit als Reizobjekt für die Grenzcampteilnehmer nicht mehr vorhanden. Der Beklagte hat jedoch ersichtlich die Auflösungsverfügung im Hinblick auf die
Ereignisse in den Mittagsstunden als gerechtfertigt angesehen, die sich im Anschluss an das Vorrücken der Polizeikräfte zum Campeingang an der Südbrücke nach seiner Darstellung abgespielt hatten. Dies reicht indes - ohne
Berücksichtigung und Gewichtung der seit mehreren Stunden beruhigten Situation zwischen den Grenzcampteilnehmern und der Polizei sowie des Endes der rechtsradikalen Demonstration - zur Begründung der um 18.18 Uhr zu
treffenden Gefahrenprognose nicht aus. Hinzu kommt, dass sich von den ca. 700 auf dem Gelände befindlichen Personen schätzungsweise - nach Anschauung des vorgelegten Videomaterials - nur ca. 100 Personen an den
unfriedlichen Aktionen beteiligt hatten. Ebensowenig ist (die vom Beklagten zusätzlich angeführte) Berufung auf in den Vortagen von Gruppen der Versammlungsteilnehmer außerhalb des Grenzcampgeländes begangene Straftaten -
die allerdings in keiner Weise zu bagatellisieren sind - ausreichend zur Rechtfertigung der getroffenen Gefahrenprognose. ..."
***
Die ca einstündige Beschränkung des freien Abgangsrechts für Versammlungsteilnehmer ist als beschränkende Verfügung gem § 15 Abs 2 VersG (VersammlG) als Minusmaßnahme zur Auflösung gerechtfertigt, wenn nach den
zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass aus der Versammlung heraus Blockaden von Castor-Transporten auf DB-Gleisen geplant und
durchgeführt werden (VG Karlsruhe, Urteil vom 09.09.2002 - 12 K 2302/01 - Anhalten eines Demonstrationszuges - Kessel 2):
„... Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme aus Anlass der Durchführung einer Versammlung vor dem Hintergrund des Abtransports abgebrannter Brennelemente (sog. Castoren) mit
dem Zug aus dem Kernkraftwerk Philippsburg zur Wiederaufbereitungsanlage in La Hague.
Mit Schreiben vom 06.04.2001 meldete der Kläger beim Ordnungsamt der Gesamtgemeinde Philippsburg für den Zeitraum vom 08.04.2001 bis 11.04.2001 eine versammlungsrechtliche Mahnwache auf dem Kirchplatz in
Philippsburg-Rheinsheim an. Beabsichtigt war die Aufstellung eines überdachten Infotisches sowie eines Verpflegungs- und Aufwärmzeltes und die Aufstellung einer angemessenen Zahl von Toilettenhäuschen. Erwartet wurden für
den Sonntag (08.04.2001) ca. 500 Teilnehmer, ab Montag (09.04.2001) bis zu 1.000 Teilnehmer. Einer Verlegung des Versammlungsorts vom Kirchplatz auf den Festplatz in Rheinsheim stimmte der Kläger mit Fax vom 07.04.2001
zu.
Mit seiner am 10.09.2001 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage beantragt der Kläger, festzustellen, dass die am 10.04.2001 auf dem Festplatz in Rheinsheim von ca. 12.00 Uhr bis ca. 14.30 Uhr erfolgte
Ingewahrsamnahme der an diesem Ort von ihm angemeldeten Mahnwache rechtswidrig gewesen sei.
Zur Begründung führt der Kläger unter anderem aus, gegen den am 10.04.2001 erwarteten Castor-Transport aus dem Kernkraftwerk Philippsburg habe es in Philippsburg und Umgebung in den Tagen davor und auch am Dienstag, den
10.04.2001, Demonstrationen und Protestaktionen gegeben. Teil dieser Proteste sei auch die von ihm angemeldete Mahnwache auf dem Festplatz in Rheinsheim gewesen. Dort hätten sich ab Montagnachmittag Menschen versammelt
und - teilweise über Nacht unter freiem Himmel - auf den Castor-Transport gewartet. Am späten Dienstagvormittag hätten sich etwa 300 bis 500 Menschen bei der Mahnwache versammelt. Gegen 11.45 Uhr habe sich eine
Spontan-Demonstration von der Mahnwache weg in Richtung Bahnhof Rheinsheim bewegt. Dieser Demonstrationszug sei aber bereits nach wenigen hundert Metern von der Polizei gestoppt worden. Einige der
Demonstrationsteilnehmer seien entgegen der Aufforderung der Polizei auf der Straße sitzen geblieben und anschließend in Gewahrsam genommen worden. Der weit überwiegende Teil sei der Aufforderung der Polizei jedoch
nachgekommen und habe sich schließlich auf den Festplatz zurückbegeben. Dabei seien sie von einem großen Polizeiaufgebot eskortiert worden. Es hätten sich nun wieder etwa 300 bis 400 Menschen auf der Mahnwache befunden.
Diese sei schon am Morgen von etlichen Polizisten umstellt gewesen. Nach der Rückkehr des Demonstrationszuges gegen 12.00 Uhr sei der Platz dann abgeriegelt worden. Die Mahnwache sei weder zu diesem Zeitpunkt noch später
von der Versammlungsbehörde oder der Polizei aufgelöst worden. Es sei niemand mehr auf den Festplatz hinauf- oder heruntergelassen worden. Die polizeilichen Absperrungen hätten sich nicht in allen Bereichen unmittelbar an den
Festplatz angeschlossen. Im nördlichen Bereich sei auch die H.-Straße bis etwa Höhe Stiefelgasse zugänglich gewesen. Dadurch habe sich optisch nicht eindeutig das Bild eines Kessels ergeben, aber auch auf dieser Seite sei es
unmöglich gewesen, die Versammlung zu verlassen. In den ersten beiden Stunden dieser Maßnahme sei es unmöglich gewesen, mit einem Verantwortlichen des Einsatzes zu sprechen oder von den eingesetzten Beamten eine
Begründung für ihr Vorgehen zu erhalten. Es sei lediglich erklärt worden, dass sich alle auf dem Festplatz Anwesenden in Gewahrsam befinden würden. Später habe die Polizeieinsatzleitung erklärt, die Teilnehmer an der Mahnwache
seien solange nicht in Gewahrsam, wie sie nicht versuchten, den Platz zu verlassen. Falls sie den Platz verlassen wollten, würden sie in Gewahrsam genommen. Tatsächlich habe aber die Polizei mit allen Mitteln verhindert, dass es
Einzelnen gelungen sei, die Mahnwache zu verlassen. Mehrere Versuche von Mahnwacheteilnehmern, die Absperrungen zu überwinden, seien von der Polizei verhindert worden. Nur einer kleinen Gruppe sei es kurz vor Beendigung
der Maßnahme gegen 14.15 Uhr gelungen, die Polizeikette zu überwinden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Castor-Zug Rheinsheim passiert. Nach der Durchfahrt des Zuges sei die Einkesselung der Mahnwache gegen 14.30 Uhr
aufgehoben worden. In einer späteren Presseerklärung habe die Polizei davon gesprochen, dass der Platz mit der Mahnwache abgeriegelt worden sei, um weitere Ingewahrsamnahmen zu verhindern.
In rechtlicher Hinsicht führt der Kläger aus, er habe als Anmelder der Mahnwache ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme, da ein massiver Eingriff in seine Grundrechte vorgelegen
habe (Rehabilitationsinteresse). Auch bestehe Wiederholungsgefahr, da er als engagierter Atomkraftkritiker und Gegner von Castor-Transporten gewillt sei, auch in nächster Zeit derartige Mahnwachen anzumelden.
Die Abriegelung des Festplatzes stelle eine rechtswidrige Ingewahrsamnahme der Mahnwacheteilnehmer dar. Da während des Zeitraums von etwa 2 ½ Stunden der Platz nicht habe verlassen werden können, könne die polizeiliche
Maßnahme nur als Ingewahrsamnahme nach § 28 PolG qualifiziert werden. Diese Vorschrift sei aber wegen des Vorrangs des Versammlungsgesetzes nicht anwendbar, da es sich um eine angemeldete und nicht verbotene oder
aufgelöste Versammlung gehandelt habe. Das Versammlungsgesetz sehe indes keine Vorschrift vor, die eine Abriegelung der Versammlung rechtfertige. Diese Maßnahme sei daher rechtswidrig gewesen. Die Versammlungsfreiheit
nach Art. 8 GG schütze das freie Zusammenströmen, die eigentliche Versammlung, und das freie Auseinanderströmen der Teilnehmer gleichermaßen. Das freie Auseinanderströmen sei durch die Abriegelung der Versammlung für 2
½ Stunden unmöglich gemacht worden. Auch sei durch die Abriegelung die Kommunikation mit umstehenden Dritten unmöglich gemacht worden. Es habe ein eindeutiger Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit der
Teilnehmer der Mahnwache vorgelegen, welcher durch das Versammlungsgesetz nicht gedeckt gewesen sei.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er hält die Sachverhaltsschilderung des Klägers in wesentlichen Punkten für unvollständig und ergänzungsbedürftig, weshalb auch die von ihm gezogenen rechtlichen Schlüsse
unzutreffend seien.
Im Zusammenhang mit geplanten Castor-Transporten habe die Anti-AKW-Szene öffentlich nicht nur zu Protesten, sondern auch zu massenhaften Blockadeaktionen mit dem Ziel der Verhinderung des Brennelementetransports
aufgerufen, wobei Philippsburg zum Aktionsschwerpunkt erklärt worden sei. Wegen entsprechender Blockadeaktionen von Mitgliedern der Anti-AKW-Szene aus Anlass früherer Castor-Transporte habe deshalb das Landratsamt
Karlsruhe als zuständige Versammlungsbehörde mit Allgemeinverfügung vom 06.04.2001 ein Versammlungsverbot im Umfeld des KKW Philippsburg und im Bereich der Transportstrecke angeordnet. Die vom Kläger
ordnungsgemäß angemeldete Mahnwache sei am Nachmittag des 09.04.2001 auf dem Festplatz in Rheinsheim eingerichtet worden. Am Abend des Tages hätten sich dort ca. 90 Personen mit ca. 40 Fahrzeugen aufgehalten; bis gegen
23.00 Uhr sei die Gruppe auf 150 Personen angewachsen. Im Laufe der Nacht hätten Teilnehmer eines in Oberhausen-Rheinhausen eingerichteten "Protest-Camps" nahezu geschlossen ihren Standort zum Festplatz Rheinsheim
verlagert. Ab 3.30 Uhr (10.04.) hätten die polizeilichen Einsatzkräfte vom Festplatz ausgehende Aktivitäten von Teilnehmern der dort als Mahnwache angemeldeten Versammlung festgestellt. Immer wieder hätten sich von dort kleine
Gruppen in Bewegung gesetzt und versucht, über die L 555 zum Industriegleis bzw. auf verschiedenen Wegen zum DB-Gleis der Hauptstrecke Philippsburg-Germersheim, der erwarteten Transportroute des Brennelementetransports,
zu gelangen. Bis zum Morgengrauen hätten wegen dieser Aktivitäten insgesamt 102 Platzverweise ausgesprochen und neun Personen wegen Nichtbefolgung dieser Platzverweise in Gewahrsam genommen werden müssen. Diese
nächtlichen Aktivitäten hätten den Schluss zugelassen, dass der Festplatz nicht so sehr, wie vom Kläger angegeben, als Ort einer Mahnwache, sondern vielmehr als Anlaufstelle und Sammelpunkt für Personen habe dienen sollen, die
Aktionen gegen den erwarteten Transport hätten unternehmen wollen und deren erklärtes Ziel die Verhinderung dieses Transports gewesen sei. Diese Vermutung sei auch durch die im Laufe des Vormittags eingetretenen Ereignisse
bestätigt worden. So seien zwei Fahrzeuge, in denen sich Ankettvorrichtungen befunden hätten, und die in den Bereich der Bahngleise hätten eindringen wollen, sichergestellt worden. Auf dem Festplatz seien im Laufe des Vormittags
des 10.04.2001 rege Aktivitäten im Sinne eines ständigen Kommens und Gehens festzustellen gewesen. Immer wieder hätten sich kleine Personengruppen in Richtung der polizeilich abgesperrten Bahngleise in Bewegung gesetzt. In
Zivilkleidung aufklärende Polizeibeamte hätten berichtet, dass sich die auf dem Festplatz befindlichen Personen in drei Gruppen hätten teilen wollen, eine Gruppe hätte Polizeikräfte binden sollen, während die beiden anderen Gruppen
Blockadeaktionen hätten durchführen sollen. Zur gleichen Zeit habe ein Sprecher der Anti-Atom-Initiativen-Südwest in einem Fernsehinterview gegenüber dem Südwestrundfunk trotz des durch das Landratsamt Karlsruhe
ausgesprochenen Versammlungsverbots für den Bereich der Bahnstrecke ausdrücklich bestätigt, dass dort versucht werde, trotzdem auf die Gleise zu gelangen. Gegen 11.00 Uhr hätten sich auf dem Festplatz ca. 300
Versammlungsteilnehmer eingefunden. Zu diesem Zeitpunkt seien Säcke mit Stroh abgefüllt worden. Gegen 11.25 Uhr habe sich ein Aufzug mit ca. 300 Teilnehmern formiert, die in Marschform den Festplatz Richtung H.-Straße
verlassen hätten. Bis auf ca. 8 bis 10 zurückgebliebenen Personen habe sich auf dem Festplatz danach niemand mehr befunden. Eine kleinere Gruppe der Aufzugsteilnehmer - ca. 50 Personen - sei in die Oskar-Frey-Straße Richtung
Ortsausgang Rheinsheim (L 555 Richtung Philippsburg) abgebogen; die überwiegende Anzahl sei über die H.-Straße in Richtung der DB-Bahngleise marschiert. Der letztgenannte Aufzug habe vor der Einmündung Raiffeisenstraße
eine kurzfristig eingerichtete polizeiliche Absperrkette erreicht und sei dort zunächst aufgehalten worden. Zahlreiche Demonstrationsteilnehmer hätten die mitgeführten Strohsäcke oder mit Stroh gefüllten Rucksäcke schützend vor
den Oberkörper gehalten und damit gegen die Absperrkräfte gedrückt. Eine Sprecherin der Versammlungsteilnehmer habe über Megaphon aufgefordert, nicht stehen zu bleiben, sondern immer weiter zu gehen. Unter dem immer
stärker werdenden Druck der Aufzugsteilnehmer seien einzelne Polizeibeamte gestürzt und überrannt worden. Die so durch die polizeiliche Absperrung gebrochenen Aufzugsteilnehmer seien weiter in Richtung Bahngleise marschiert.
Um 11.30 Uhr sei im weiteren Verlauf der H.-Straße in Höhe der Einmündung der Auwaldstraße - ca. 100 m vor der Bahnlinie - durch polizeiliche Einsatzkräfte erneut eine Fahrzeugsperre und davor eine Polizeikette errichtet worden.
Die Aufzugsteilnehmer hätten versucht, auch diese Polizeikette wie zuvor praktiziert zu überrennen. Nachdem die Demonstrationsteilnehmer jedoch erkannt hätten, dass sie die zweite polizeiliche Absperrung nicht würden
durchbrechen können, hätten sich ca. 100 Personen auf die Straße gesetzt. Um 11.35 Uhr habe der zuständige Abschnittsführer einem Sprecher mitgeteilt, dass es sich um einen nicht angemeldeten Aufzug handle und man sich kurz
vor dem Bereich des in der Allgemeinverfügung des Landratsamts Karlsruhe bestimmten Verbots von Versammlungen und Aufzügen befinde. Um 11.45 Uhr habe der Abschnittsleiter die Versammlungsteilnehmer in mehreren
Lautsprecherdurchsagen zur Rückkehr zum Festplatz aufgefordert. Nachdem ein Sprecher des Aufzugs zum Jubel der Teilnehmer über Megaphon mitgeteilt habe, dass die in Richtung Philippsburg abgegangene Gruppe erfolgreich die
Gleise erreicht habe, sei um 12.15 Uhr der größte Teil der Demonstrationsteilnehmer unter Polizeibegleitung zum Festplatz zurückgekehrt. Tatsächlich hätten es auch einige Personen der zum Ortsausgang Rheinsheim in Richtung
Philippsburg marschierenden Gruppe erreicht, bis zu den Bahngleisen vorzudringen, von wo sie jedoch beim Eintreffen von Kräften des Bundesgrenzschutzes wieder geflüchtet seien.
Bis gegen 12.30 Uhr sei somit der größte Teil der Aufzugsteilnehmer zum Festplatz zurückgekehrt; nur Kleingruppen seien noch rings um Rheinsheim unterwegs gewesen und hätten versucht, die Bahngleise zu erreichen. Polizeikräfte
in Hundertschaftstärke hätten sich zu diesem Zeitpunkt im Bereich des Festplatzes befunden. Entgegen der Darstellung in der Klageschrift sei es jedoch - wenn auch zum Teil polizeilich kontrolliert - jedermann möglich gewesen, den
Festplatz zu betreten oder zu verlassen. In dieser Phase hätten sich auf dem Festplatz verschiedene Gruppen gebildet und offensichtlich über das weitere Vorgehen beraten. Rund um den Platz hätten immer wieder kleinere
Sitzblockaden der Zufahrtswege stattgefunden. Die Ausfahrt des Zuges mit den abgebrannten Brennelementen aus dem Kernkraftwerk sei zwischen 13.00 Uhr und 13.20 Uhr vorgesehen gewesen. Gegen 13.15 Uhr hätten sich auf dem
Festplatz zwei größere Gruppen formiert, wobei als Teilnehmer vornehmlich die Personen erkannt worden seien, die bereits die beiden Durchbruchsversuche auf der H.-Straße und auf der L 555 unternommen hätten. In dieser
Situation habe sich die polizeiliche Einsatzleitung gegen 13.20 Uhr dazu entschlossen, nach den Erfahrungen des Vormittags und aufgrund der erklärten Zielsetzung, eine Blockade des Transports erreichen zu wollen, den Festplatz
weiträumig abzusperren. Hierbei habe es sich um eine Sofortanordnung gehandelt, die wegen der Eilbedürftigkeit nicht durch die Versammlungsbehörde habe getroffen werden können. Ziel dieser Maßnahme sei es gewesen, weitere
auf eine Blockade des Castor-Transports gerichtete Aktivitäten der Versammlungsteilnehmer in Form einer räumlichen und zeitlichen Beschränkung ihrer Fortbewegungsfreiheit zu verhindern. Der Zugang zum Festplatz sei weiterhin
möglich gewesen; auch der Fahrzeugverkehr sei weitgehend aufrecht erhalten worden. Kleinere und größere vom Festplatz kommende Gruppierungen von Personen, von denen erneute Störungen zu erwarten gewesen seien, seien
hingegen an den eingerichteten polizeilichen Sperrstellen zurückgewiesen worden. Einzelpersonen, von denen keine Störungen zu erwarten gewesen seien, hätten passieren können. Diese Form der Absperrung sei zunächst lediglich
bis ca. 13.40 Uhr, also für ca. 20 Minuten vorgesehen gewesen, da bis dahin der Brennelementezug Rheinsheim hätte passieren sollen. Infolge eines nicht vorhersehbaren technischen Defekts an einer Weiche habe sich der Transport
jedoch verzögert, sodass die Maßnahme weiter habe aufrechterhalten werden müssen. Gegen 13.35 Uhr habe sich vom Festplatz aus ein Aufzug mit ca. 20 Personen in Richtung H.-Straße/G.-Straße unter Mitführung von
Transparenten in Bewegung gesetzt. Ca. 50 m westlich des Festplatzes sei der Aufzug an der H.-Straße an einer Polizeisperre angehalten worden. Dabei habe es sich im Wesentlichen um Teilnehmer gehandelt, die bereits zuvor auf der
H.-Straße die Polizeisperre durchbrochen hätten. Der Aufzug habe vom Festplatz regen Zulauf erhalten und sei auf 50 Personen angewachsen. Eine Sprecherin habe über Megaphon erklärt, dass es sich um einen Spontanaufzug handle,
da man die Bürgerinnen und Bürger von Rheinsheim über den laufenden Atomtransport informieren wolle. Nachdem ihnen die räumliche und zeitliche Beschränkung - befristet bis zum Passieren des Transports - dargelegt worden sei,
seien die Aufzugsteilnehmer gegen 13.50 Uhr zum Festplatz zurückgekehrt. Um 14.07 Uhr habe sich erneut ein Aufzug mit ca. 100 Teilnehmern gebildet. Diese Personengruppe sei über die H.-Straße in Richtung G.-Straße marschiert
und habe westlich vom Festplatz eine auf der H.-Straße eingerichtete Polizeisperre durchbrochen, wobei mehrere Beamte gestürzt und ein Beamter verletzt worden seien. Nachdem um 14.10 Uhr der Transportzug die Rheinbrücke in
Richtung Germersheim passiert habe, seien die Absperrmaßnahmen im Bereich des Festplatzes um 14.20 Uhr aufgehoben worden. Um 14.28 Uhr hätten ca. 30 Atomkraftgegner westlich des Rheinsheimer Sportplatzes einen aus
Germersheim in Richtung Philippsburg fahrenden Regionalzug gestoppt, wobei ein Teil dieser Demonstranten festgenommen worden sei. Hierbei habe es sich um Angehörige des eben geschilderten Aufzugs gehandelt, die unmittelbar
zuvor vom Festplatz kommend die Polizeisperre auf der H.-Straße in Rheinsheim Richtung G.-Straße durchbrochen hätten.
Diese Geschehnisse seien vom Kläger in seiner Klageschrift auf eine Spontandemonstration von der Mahnwache weg in Richtung Bahnhof Rheinsheim reduziert worden. Tatsächlich hätte ein Unterbleiben der geschilderten
polizeilichen Maßnahmen mit Sicherheit dafür gesorgt, dass sich so viele Teilnehmer der Mahnwache wie möglich zu dem erwarteten Transportweg der DB-Bahngleise begeben und die angekündigten Blockadeaktionen in allen
möglichen Formen unternommen hätten.
In rechtlicher Hinsicht führt der Beklagte aus, es sei fraglich, ob der Kläger als Anmelder der Mahnwache auf dem Festplatz in Rheinsheim ein für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliches Feststellungsinteresse habe. Denn der
Kläger habe einen Aufzug nicht angemeldet und auf ausdrückliche Nachfrage auch bestritten, dass ein solcher geplant gewesen sei. Seine angemeldete Mahnwache habe in allen Phasen des Einsatzgeschehens ungehindert in der
angemeldeten Form auf dem Festplatz durchgeführt werden können. Auch sei der Zugang zum Festplatz und zur Mahnwache entgegen der Darstellung in der Klageschrift jederzeit gewährleistet gewesen. Im Übrigen sei die Klage
auch unbegründet, da der Kläger nicht in eigenen Rechten betroffen sei. Die polizeilichen Maßnahmen hätten sich nicht gegen die vom Kläger als Mahnwache angemeldete Versammlung gerichtet, sondern gegen zahlenmäßig
teilweise sehr starke Gruppierungen, die die Mahnwache verlassen hätten, um eigene Ziele zu verfolgen. Diese Personengruppen seien nicht Teile der Mahnwache gewesen, sondern hätten eigenständige nicht angemeldete unechte
Spontanversammlungen gebildet. Nur gegen diese Gruppierungen und die von ihnen ausgehenden demonstrativen Aktionen und Einzelaktivitäten hätten sich die beschränkenden Verfügungen und polizeilichen Maßnahmen gerichtet.
Nach dem Gesamtbild der Ereignisse seien dies jedoch keine Spontanversammlungen gewesen, sondern es habe sich um im voraus geplante vorgetäuschte Spontanaktionen gehandelt, mit denen ein Überraschungseffekt erzielt und
ausgenutzt habe werden sollen und die deshalb nicht angemeldet worden seien. Ziel eines Großteils der Demonstranten auf dem Festplatz sei es von vornherein gewesen, auf die Gleise zu gelangen und den Weitertransport der
Brennelemente zu verhindern. Bis ca. 13.20 Uhr habe es entgegen der Darstellung des Klägers keine einschließenden räumlichen Beschränkungen am Festplatz gegeben. Zwar sei nicht auszuschließen, dass es in Einzelfällen zu
Zurückweisungen einzelner Störergruppen gekommen sei, die in Richtung Bahngleise gestrebt hätten. Nachdem sich aber gegen 13.15 Uhr, also unmittelbar vor der geplanten Abfahrt des Zuges aus dem Kernkraftwerk Philippsburg,
auf dem Festplatz abseits vom Kern der Mahnwache erneut zwei größere Gruppen formiert hätten, die sich offensichtlich aus den gleichen Personen zusammengesetzt hätten, die bereits zuvor versucht hätten, zu den Bahngleisen
vorzudringen, sei aufgrund der unmittelbar bevorstehenden erneuten erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit um 13.20 Uhr von der polizeilichen Einsatzleitung eine weiträumige Absperrung des Festplatzes bis zum Passieren
des Zuges mit den abgebrannten Brennelementen verfügt worden. Es habe sich hierbei nicht um eine Ingewahrsamnahme der auf dem Festplatz anwesenden Personen, sondern um eine räumliche und zeitliche beschränkende
Verfügung aufgrund von § 15 Abs. 2 VersG als Minusmaßnahme anstelle einer sonst unausweichlichen Auflösung der Versammlung auf dem Festplatz gehandelt. Eine Auflösung der als Mahnwache angemeldeten Versammlung sei
nicht beabsichtigt gewesen; vielmehr habe diese ungehindert durchgeführt werden sollen. Betroffen von der Maßnahme seien auch nicht alle Teilnehmer der Versammlung auf dem Festplatz gewesen; sie seien auch nicht der Adressat
der Maßnahme gewesen. Betroffen seien lediglich diejenigen Personengruppen gewesen, insbesondere neugebildete Aufzüge, die den Festplatz in der offenkundigen Absicht verlassen hätten, zu den Bahngleisen zu gelangen und dort
Blockadeaktionen durchzuführen. Nur diese seien an den Sperrstellen aufgehalten worden, wo ihnen jeweils auch Inhalt und Dauer der Verfügung eröffnet worden sei. Eine Auflösung dieser eigenständigen Aufzüge sei nicht
erforderlich gewesen, da sie jeweils nach kurzer Zeit selbständig zum Festplatz zurückgekehrt seien. Nach glaubhafter Darstellung von als Demonstrationsbetreuern eingesetzten Polizeibeamten hätten sehr wohl Einzelpersonen ohne
erkennbare Störabsichten die Polizeisperren passieren können. Eine kollektive Gewahrsamnahme sei weder angeordnet noch von den Polizeibeamten vollzogen worden. Vielmehr habe es sich um eine freiheitsbeschränkende
Maßnahme von einstündiger Dauer (13.20 Uhr bis 14.20 Uhr) gehandelt, die zum Zeitpunkt der Entscheidung nur für maximal 20 bis 30 Minuten vorgesehen gewesen sei und sich lediglich durch den technischen Defekt an einer
Weiche um ca. 30 Minuten verzögert habe. Diese räumliche und zeitliche Beschränkung sei für die Betroffenen selbst im Vergleich zur Auflösung mit anschließender Ingewahrsamnahme das mildere Mittel gewesen. Die Maßnahme
sei auch geeignet gewesen, den polizeilichen Zweck zu erreichen. Eine Auflösung ohne anschließende Gewahrsamnahme der potentiellen Störer, deren erklärtes Ziel die Blockade der Gleise gewesen sei, wäre ein ungeeignetes Mittel
gewesen. Auch sei der Verweis des Klägers auf die Entscheidung des VG Hamburg zum sogenannten "Hamburger Kessel" auf die hier vorliegende Situation nicht übertragbar. In Rheinsheim sei es gerade nicht um die Verhinderung
der vom Kläger angemeldeten Mahnwache gegangen; vielmehr habe diese jederzeit wie von ihm beabsichtigt oder jedenfalls angemeldet, durchgeführt werden können. Unter den gegebenen Umständen seien die polizeilichen
Maßnahmen rechtlich zulässig und in der praktizierten Form auch erforderlich gewesen, um gravierende Rechtsbrüche und erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit zu verhindern. Die Anschlussaktion um 14.28 Uhr, bei der
Atomkraftgegner, die die Sperre durchbrochen hätten, einen Regionalzug auf freier Strecke gestoppt hätten, belege, welche Folgen ein unterlassenes polizeiliches Einschreiten in der beschriebenen Art und Weise beim Passieren des
Zuges mit den Brennelementen gehabt hätte.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Gericht liegen ein Heft Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Plan zur Allgemeinverfügung des
Landratsamts Karlsruhe vom 06.04.2001 vor. ...
I. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO an sich statthaft und zulässig. Nach dieser Vorschrift spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt hat, auf
Antrag aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vor Klageerhebung erledigten
polizeilichen Maßnahme ergibt sich im Fall des Klägers zum einen aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation, da er im Fall der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme als Veranstalter und Teilnehmer der von ihm
angemeldeten Versammlung in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit) verletzt wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa E 96, 27, 40 zu Art. 2 Abs. 2 GG) gebietet das
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG, dass der in seinen Freiheitsgrundrechten Betroffene den Schutz durch Gerichte auch dann suchen darf, wenn der beanstandete Eingriff nicht mehr fortdauert, sondern
dem Betroffenen nur noch ideell belastet (vgl. auch VG Mainz, NVwZ-RR 1991, S. 242, 243 zu Art. 8 Abs. 1 GG). Darüber hinaus hat der Kläger auch ein berechtigtes Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der
Wiederholungsgefahr. Er hat in der Klageschrift substantiiert geltend gemacht, dass er als engagierter Atomkraftkritiker und Gegner von Castor-Transporten gewillt sei, auch in naher Zukunft Mahnwachen aus Anlass von
Castor-Transporten durchzuführen. Dieses Vorbringen reicht für die Annahme einer Wiederholungsgefahr aus, denn nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung muss nicht feststehen, dass sich eine völlig identische
Entscheidungssituation wiederholen muss; vielmehr genügt es, wenn gewisse Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in absehbarer Zeit mit im Wesentlichen gleichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zu rechnen ist (VGH
Bad.-Württ., Beschl. v. 29.03.1993 - 1 S 118/93 -, VBlBW 1993, S. 343; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.02.2001 - 4 K 3227/00 -). Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedurfte es nicht (Eyermann-Rennert, VwGO, Komm., 10.
Aufl. § 68 RN 4 m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; a.A.: Schenke, VwGO, Komm., 12. Aufl. § 113 RN 127).
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die vom Kläger beanstandete polizeiliche Maßnahme war rechtmäßig und hat diesen nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 4 i.V.m. S. 1 VwGO).
1. Die hier fragliche Maßnahme einer zeitweiligen Aussetzung des ungehinderten Auseinanderströmens der Versammlungsteilnehmer vom Festplatz in Rheinsheim im Zeitraum zwischen 13.20 Uhr und 14.20 Uhr findet ihre
Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 2 VersG. Diese Vorschrift ermächtigt nicht nur zur Auflösung einer Versammlung, wie es ihr Wortlaut auf den ersten Blick nahe legen mag. Vielmehr ist die Auflösung nur das letzte, äußerste Mittel zur
Abwehr der von einer Versammlung ausgehenden Gefahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (E 64, 56 und Beschl. v. 14.01.1987 - 1 B 219/86 - Juris) kann sich die zuständige Behörde anstelle einer als
unverhältnismäßig erscheinenden Auflösungsverfügung der ihr nach geltendem Recht zustehenden polizeilichen Befugnisse zur Abwehr unmittelbarer Gefahren bedienen und im konkreten Fall das Mittel anwenden, das zur
Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und nicht unverhältnismäßig ist. Dieser Rechtsprechung folgend hat auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausgeführt, dass § 15 Abs. 2 VersG die Behörde zum Einsatz
eines Mittels unterhalb der Schwelle ermächtigt, die eine Auflösung der Versammlung erlaubt. Danach darf die Behörde neben einer - hier nicht in Betracht kommenden - Teilauflösung auch von dem Mittel der räumlichen
Beschränkung einer Versammlung nachträglich Gebrauch machen, wie sich aus der in § 15 Abs. 2 VersG in Bezug genommenen Befugnis nach § 15 Abs. 1 VersG, die Versammlung von "bestimmten Auflagen" abhängig zu machen,
ergibt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.06.1988, NVwZ 1989, S. 163 und Urt. v. 14.12.1989, VBlBW 1990, S. 300, 301).
2. Nach den Ausführungen des in der mündlichen Verhandlung angehörten, für den Polizeieinsatz vom 10.04.2001 verantwortlichen Polizeiführers, des Leitenden Polizeidirektors xxx, war auf dessen Anordnung hin im Zeitraum
zwischen 13.20 Uhr und 14.20 Uhr der Abgang vom Festplatz in Rheinsheim nur nach vorheriger polizeilicher Kontrolle möglich. Gruppen durften den Festplatz regelmäßig nicht verlassen. Einzelpersonen konnten hingegen bei
Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses die Polizeiabsperrung passieren. Der Zugang zum Festplatz war indes jederzeit möglich. Das erkennende Gericht hat keinen Anlass, diese Sachverhaltsdarstellung des verantwortlichen
Polizeiführers in Zweifel zu ziehen, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung dieser Darstellung nicht substantiiert entgegengetreten ist. Gestützt wurde diese beschränkende Maßnahme nach Auskunft des verantwortlichen
Polizeiführers auf § 15 Abs. 2 VersG. Damit scheidet eine Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts unter eine Vorschrift des allgemeinen Polizeirechts (hier: die Regelung über den polizeilichen Gewahrsam gem. § 28 PolG) von
vornherein aus. Denn nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urt. v. 09.06.1988, aaO), der das erkennende Gericht folgt, kommt es für die gerichtliche Beurteilung der hier beanstandeten
Maßnahme ausschließlich auf die Erwägungen des für den Polizeieinsatz maßgeblichen Polizeiführers an, dem die Entscheidung oblag, in welcher Weise und nach welcher Rechtsgrundlage gegen die Versammlungsteilnehmer
eingeschritten werden sollte und der die angeordnete Maßnahme auf § 15 Abs. 2 VersG gestützt hat.
3. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes lag in dieser Beschränkung ein Eingriff in die vom Kläger als Versammlung angemeldete Mahnwache. Denn die Schutzwirkung des Art. 8 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht nur auf die
eigentliche Durchführung der Mahnwache, die - was auch der Kläger nicht bestreitet - zu keinem Zeitpunkt von Seiten der Polizei in Frage gestellt wurde. Vielmehr schützt die Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht
neben der eigentlichen Versammlung auch das freie Zusammenströmen und das freie Auseinanderströmen der Teilnehmer (vgl. dazu VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986, NVwZ 1987, S. 829, 833). Mit der ca. einstündigen
Beschränkung des Abgangsrechts war somit ein Eingriff in das Versammlungsgrundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verbunden, da Teilnehmern an der angemeldeten Mahnwache ein ungehindertes Verlassen des Versammlungsortes nicht
mehr möglich war. Zugleich wurde in die Rechtsposition des Klägers als Veranstalter und Leiter der Versammlung eingegriffen, da mit der beschränkenden Verfügung eine Beeinträchtigung seiner Befugnis, über den weiteren Ablauf
der Versammlung zu bestimmen, verbunden war (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 10. Aufl., § 1 RN 44).
4. Diese kurzfristige Einschränkung des durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Rechts auf freien Abzug war jedoch durch die auf § 15 Abs. 2 VersG gestützte beschränkende Verfügung gerechtfertigt. Die Polizei durfte nach Auffassung
des erkennenden Gerichts zu Recht davon ausgehen, dass zum Zeitpunkt der Anordnung der beschränkenden Verfügung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet war (§ 15 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VersG).
a) Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung auf eine Anzahl von Umständen hingewiesen, die mit dem zeitlichen Näherrücken der Durchfahrt des Castor-Zuges durch Rheinsheim die Befürchtung bestätigten, dass es bei einem
weiteren ungehinderten Verlauf der Mahnwache zu unkontrollierten Ausschreitungen, insbesondere zu Blockaden der DB-Gleise kommen würde. Bereits am frühen Vormittag des 10.04.2001 setzten sich nach den vom Kläger nicht
bestrittenen Angaben des Beklagten aus der Mahnwache heraus Gruppen in Bewegung, um auf verschiedenen Wegen zum DB-Gleis der Hauptstrecke Philippsburg-Germersheim zu gelangen. Im Lauf des Vormittags des 10.04.2001
wurden zwei Fahrzeuge von Umweltschutzorganisationen sichergestellt, die - mit Ankettvorrichtungen beladen - in den Bereich der Bahngleise eindringen wollten (s. Anlagen 4, 5 a und 5 b in den Verwaltungsakten des Beklagten).
Ab 11.00 Uhr formierten sich aus der Mahnwache heraus zwei Aufzüge (mit ca. 50 Personen, die in Richtung Ortsausgang Rheinsheim marschierten, und ca. 250 Personen, die sich über die H.-Straße in Richtung DB-Gleise in
Bewegung setzten), deren Absicht darin bestand, die im Umkreis aufgestellten Polizeiabsperrungen mit Gewalt zu durchbrechen und auf die Bahngleise zu gelangen. Dies wird durch Luftbildaufnahmen in den Verwaltungsakten des
Beklagten dokumentiert (Anlagen 7 a und 7 b) und wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen. Schließlich gelang es auch einer kleinen Personengruppe der erstgenannten Gruppierung, kurzfristig zu den Bahngleisen
vorzudringen. Auch hat ein Sprecher der Anti-Atom-Initiative Südwest in einem Fernsehinterview gegenüber dem Südwestrundfunk ausdrücklich bestätigt, dass trotz des von der zuständigen Versammlungsbehörde verfügten
Versammlungsverbots für den Bereich der Bahnstrecke versucht werde, dennoch auf die Gleise zu gelangen. Aufgrund dieser Umstände durfte die Polizei zum Zeitpunkt des Erlasses der beschränkenden Verfügung zu Recht
annehmen, dass es bei der erwarteten Durchfahrt des Zuges durch Rheinsheim zu weiteren gewaltsam verlaufenden Durchbruchsversuchen mit dem Ziel der Blockade des DB-Gleises kommen würde (zur Zulässigkeit der
Einbeziehung des Vorgeschehens in die polizeiliche Einschätzung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.02.1986, VBlBW 1986, S. 308 ff. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
b) Die hier beabsichtigte Blockade des Verkehrsweges, auf dem Castoren-Behälter transportiert werden sollten, berechtigte das beklagte Land zu der hier getroffenen versammlungsrechtlichen Maßnahme. Denn die bewusste und
gewollte Verhinderung genehmigter und damit im Einklang mit der Rechtsordnung stattfindender Transporte von Industriegütern und Industrieabfällen verletzt die rechtsstaatliche Friedensordnung und gefährdet damit die öffentliche
Sicherheit. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall eine Blockadehandlung als strafrechtlich bewehrte Nötigung (§ 240 StGB; vgl. dazu BVerfG, Beschl. des Ersten Senats vom 24.10.2001, DVBl. 2002, S. 256 ff.) anzusehen ist,
verstößt die Blockierung eines Schienenwegs, auf dem ein genehmigter Transport stattfinden soll, gegen die öffentliche Sicherheit (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.02.2000 - 1 S 414/00 - Juris). Auch nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen Gefährdungen der Durchführbarkeit der Castor-Transporte durch Blockierung der Transportstrecke und die damit verbundenen Gefährdungen der körperlichen Unversehrtheit von Personen
sowie die damit einhergehenden Beschädigungen von Sachen von erheblichem Wert, die darüber hinaus strafbewehrte Eingriffe in den Bahnverkehr darstellen, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG (BVerfG, Beschl. des Ersten Senats vom 26.03.2001, DVBl. 2001, S. 797 ff., 798).
c) Nach den zur Zeit des Erlasses der angegriffenen beschränkenden Maßnahme erkennbaren Umständen war die öffentliche Sicherheit auch unmittelbar gefährdet. Das Erfordernis der Unmittelbarkeit beschreibt im vorliegenden
rechtlichen Zusammenhang nicht eine besondere zeitliche Nähe der Gefahr, sondern den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Erforderlich ist, dass ein Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
bevorsteht (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.03.1993, aaO, S. 344). Diese Voraussetzungen lagen nach den obigen Ausführungen (4 a) hier vor. Aufgrund der im Laufe des Vormittags des 10.04.2001 eingetretenen Vorfälle und der
zum maßgebenden Zeitpunkt vorhandenen polizeilichen Erkenntnisse, wonach sich unmittelbar vor dem erwarteten Eintreffen des Castor-Zugs in Rheinsheim (um ca. 13.15 Uhr) auf dem Festplatz wiederum zwei Gruppierungen
formiert hatten, deren Teilnehmer vornehmlich aus demjenigen Personenkreis bestand, der bereits die beiden Durchbruchsversuche auf der Huttenheimer-straße und der L 555 unternommen hatte, durfte die Polizei zu Recht davon
ausgehen, dass erneute Blockadeversuche mit hoher Wahrscheinlichkeit stattfinden würden.
5. Die Polizei durfte auch den Kläger in seiner Eigenschaft als Veranstalter und Teilnehmer der angemeldeten Mahnwache im Wege der hier angegriffenen beschränkenden Verfügung versammlungsrechtlich in Anspruch nehmen.
Hierbei kann das erkennende Gericht offen lassen, ob der Verlauf der Mahnwache, wie er sich mit den schließlich gewalttätig verlaufenden Aufzügen am Vormittag des 10.04. darstellte, in jeder Hinsicht auch den Vorstellungen des
Klägers entsprach. Hierfür spricht allerdings dessen Einlassung in der mündlichen Verhandlung, "er stehe in Übereinstimmung mit diesen Aktionen" und "es sei ihm klar gewesen, dass Blockadeaktionen stattfinden würden". Dies
bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da nach der - vom erkennenden Gericht geteilten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 29.03.1993, aaO) eine Versammlung trotz
friedlicher Absichten der Veranstalter (sogar) verboten werden kann, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei der Durchführung der Versammlung erhebliche, den Demonstrationsverlauf
bestimmende Ausschreitungen gewaltbereiter Gruppen zu erwarten sind und hierdurch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung besteht. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Nach den bereits oben (4
a) beschriebenen Vorkommnissen im Laufe des Vormittags des 10.04.2001 war die Mahnwache auf dem Festplatz bei objektiver Betrachtung Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten der Versammlungsteilnehmer, die letztlich auf die
Durchführung von Blockaden der Bahngleise hinzielten. Wie die vom Beklagten angefertigten Lichtbilder belegen, befanden sich auf dem Festplatz zum Zeitpunkt, als sich (um ca. 11.25 Uhr) die oben beschriebenen beiden Aufzüge
in Richtung Ortsausgang Rheinsheim bzw. H.-Straße formierten, lediglich noch eine kleine Gruppe von etwa acht bis zehn Personen auf dem Festplatz (Anlagen 6 a und b in den Verwaltungsakten des Beklagten). Damit war der
Mahnwache aber bei objektiver Betrachtung eine eigenständige Bedeutung faktisch nicht mehr beizumessen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kreis der Mahnwacheteilnehmer im Wesentlichen mit dem Kreis der letztlich
blockadewilligen Aufzugsteilnehmer identisch war, sodass sich der Kläger das Verhalten der störungsbereiten Aufzugsteilnehmer versammlungsrechtlich zurechnen lassen muss, zumal er nach eigener Bekundung in der mündlichen
Verhandlung keinerlei Anstrengungen unternommen hatte, um etwa einen bestimmenden Einfluss auf den weiteren Verlauf der Mahnwache zurückzugewinnen. Bei dieser Sachlage durfte die Polizei zum hier maßgeblichen Zeitpunkt
des Erlasses der beschränkenden Verfügung zu Recht davon ausgehen, das aus der Mahnwache heraus unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen würden, denen durch die hier angegriffene räumliche Beschränkung
im Sinne einer Beschränkung des Abgangsrechts entgegengewirkt werden durfte.
6. Diese ca. einstündige Beschränkung des freien Abgangsrechts für Versammlungsteilnehmer war nach Überzeugung des erkennenden Gerichts geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Angesichts des Umstandes, dass die
Mahnwache bereits - wie angemeldet - seit dem 08.04.2001 durchgeführt werden konnte, bedeutete die lediglich einstündige Beschränkung des Abgangsrechts eine nur unwesentliche Einschränkung. Der mit der Mahnwache verfolgte
kommunikative Zweck wurde im Grunde nicht beeinträchtigt, da die Mahnwache als solche weiter durchgeführt werden konnte und auch der Zugang zu ihr nicht verwehrt wurde (zum kommunikativen Zweck vgl. BVerfG, Erster
Senat, Beschl. v. 26.03.2001, aaO, S. 800). Die einstündige Beschränkung des Abgangsrechts stellte in ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung zudem eine geringere Beeinträchtigung dar als etwa die gänzliche Auflösung der
Versammlung und nachfolgende Ingewahrsamnahme von blockadewilligen bzw. -verdächtigen Versammlungsteilnehmern. Darüber hinaus bestand für Einzelpersonen die Möglichkeit, ihr Verlassensrecht gegenüber der Polizei
geltend zu machen. Sollte nicht blockadeverdächtigen Einzelpersonen ungerechtfertigterweise das Abgangsrecht verwehrt worden sein, wäre es deren Sache gewesen, eine Verletzung ihres Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 GG)
gerichtlich geltend zu machen. Hingegen ist der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht befugt, Freiheitsrechte Dritter einzuklagen. Auch hat er für seine Person nicht geltend gemacht, er habe als nicht blockadeverdächtiger
Versammlungsteilnehmer den Festplatz verlassen wollen, sei hieran aber von Polizisten - entgegen der Anordnung der Polizeileitung - gehindert worden.
7. Das erkennende Gericht hat ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte von dem ihm nach § 15 Abs. 2 VersG eingeräumten und gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren Ermessen (§ 114 VwGO) fehlerhaft Gebrauch
gemacht hätte. Angesichts der am Vormittag des 10.04.2001 stattgefundenen Ereignisse erscheint die hier getroffene beschränkende Verfügung als das Ergebnis einer verhältnismäßigen Zuordnung der miteinander kollidierenden
Rechte und Rechtsgüter. Ein unzulässiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit war damit nach Auffassung der Kammer nicht verbunden. Die Erwägung des Beklagten, eine Auflösung der Versammlung und eine anschließende
Ingewahrsamnahme von blockadeverdächtigen Teilnehmern hätte einen schwerwiegenderen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt, erscheint dem Gericht tragfähig und orientiert sich an dem Willen des Gesetzgebers, die
Durchführung einer Versammlung soweit als möglich zu gewährleisten (vgl. dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO, § 15 RN 77). Von daher liegt auch der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom
30.10.1986 (aaO) zum sogenannten "Hamburger Kessel" neben der Sache, da dieser Entscheidung ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde liegt.
8. Schließlich durfte der am Ort des Geschehens präsente Polizeivollzugsdienst anstelle der sachlich und örtlich zuständigen Kreispolizeibehörde (§ 62 Abs. 3 PolG i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 LVG i.V.m. § 1 Abs. 1 VersGZuV) die
beschränkende Verfügung erlassen, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 PolG vorlagen. Nach dieser Vorschrift nimmt der Polizeivollzugsdienst die polizeilichen Aufgaben wahr, wenn ein sofortiges Tätigwerden erforderlich
erscheint. Diese Voraussetzungen lagen hier vor, da nach der - gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren - Einschätzung des Polizeivollzugsdienstes zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme ein sofortiges Eingreifen
unaufschiebbar war (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.12.1989, aaO zum früheren § 46 Abs. 2 Nr. 2 PolG; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, aaO, § 15 RN 122 und Deger, Die Versammlungsfreiheit im Spannungsfeld mit
behördlichen Auflagen und Genehmigungen, VBlBW 1995, S. 303, 305). ..."
***
Das Versammlungsgesetz enthält keine Rechtsgrundlage dafür, die Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität
festzustellen. Zu den Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs wegen rechtswidriger und schuldhafter polizeilicher Freiheitsentziehung und Gewahrsamnahme bei einer unangemeldeten Demonstration (LG Hamburg, Urteil
vom 06.03.1987 - 3 O 229/86 - Hamburger Kessel - Schmerzensgeld für polizeiliche Freiheitsentziehung - Kessel 1):
„... Die Kl. begehrten aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Amtspflichtverletzung ein Schmerzensgeld für eine Freiheitsentziehung. Die Kl. fanden sich am 8. 6. 1986 gegen 12.00 Uhr zu einer nicht angemeldeten
Demonstration auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg ein. Insgesamt hatten sich gegen 12.15 Uhr dort ca. 800 Personen versammelt, um demonstrativ ihrem Protest dagegen Ausdruck zu geben, daß am Vortag für einen Großteil der
Teilnehmer einer angemeldeten Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Brokdorf durch weiträumige Absperrungen und Kontrollmaßnahmen seitens der Polizei eine Teilnahme nicht möglich gewesen sei. Die
Bekl. war über das geplante Treffen am 8. 6. 1986 informiert. Zunächst wurden um das Heiligengeistfeld in Bereitstellungsräumen insgesamt drei Hundertschaften zusammengezogen. Um 12.22 Uhr wurde vom örtlichen Leiter des
Polizeieinsatzes an die bereitstehenden Polizeikräfte der Befehl zur Einschließung der Versammlung gegeben. Daraufhin rückten die Einheiten in Kettenformation vor. Innerhalb weniger Minuten war die Versammlung, in der sich
auch die Kl. aufhielten, von einer Polizeikette eingeschlossen. Eine Auflösungsverfügung erfolgte dann nicht mehr, da sich die Polizeiführung dazu außerstande sah wegen in der Zwischenzeit begonnener Gewalttätigkeiten hinter
ihrem Rücken in der F.-Straße.
Die Einschließung führte dazu, daß die sich im Kreis befindlichen Personen auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, wo sie über Stunden ausharren mußten. Später wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Toilette im
U-Bahnhof F.-Straße zu benutzen, wobei die betreffenden Personen einzeln jeweils von einem Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin dorthin geleitet wurden. Gegen 14.30 Uhr bot die Bekl. über Lautsprecher den
Eingeschlossenen an, den Kreis einzeln und nach Überprüfung der Personalien zu verlassen. Gleichzeitig wurde seitens der Beklagten angeordnet, jeden Eingeschlossenen nach einer etwaigen Entlassung aus dem Kreis in
anschließende polizeiliche Gewahrsam zu nehmen. Die Kl. machten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Ab ca. 16 Uhr begann die Bekl. mit dem Abtransport der Eingeschlossenen, unter ihnen die Kl., zu verschiedenen, im
ganzen Stadtgebiet verteilten Revierwachen bzw. eigens eingerichteten Sammelstellen, wo sie in polizeilichem Gewahrsam verblieben. Diese Maßnahme zog sich über Stunden hin. Bei den Versammlungsteilnehmer wurden dabei
zwei körperliche Durchsuchungen durchgeführt. Auf den Revierwachen wurden mangels weiterer Kapazitäten jeweils mehrere Personen in einer Einzelzelle untergebracht. Auch die Verpflegung der Ingewahrsamgenommenen war nur
vereinzelt sichergestellt. Dem Wunsch der Betroffenen, Verwandte, Anwälte etc. zu informieren, wurde lediglich insoweit entsprochen, als es nach Auffassung der Bekl. die Aufrechterhaltung des Amtsbetriebes zugelassen hat. Die
Kl. wurden im Laufe der Nacht und der frühen Morgenstunden (bis ca. 4.00 Uhr) aus dem Gewahrsam entlassen. Die Klage hatte Erfolg. ...
Der von den Kl. geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG, § 847 BGB ist… begründet, denn die über Stunden andauernde Einschließung auf dem Heiligengeistfeld und
die sich anschließende Ingewahrsamnahme der Kl. stellen nach Auffassung der Kammer eine rechtswidrige (I.) und schuldhafte (II.) Amtspflichtverletzung dar.
I. Bei der Zusammenkunft auf dem Heiligengeistfeld am 8. 6. 1986 handelt es sich um eine Versammlung im Rechtssinne.
Eine Versammlung i. S. des Art. 8 I GG, § 1 I VersammlG liegt vor, wenn mehrere Personen an einem bestimmten Ort zusammenkommen, um politische oder sonstige öffentliche Angelegenheiten untereinander zu erörtern bzw. eine
bestimmte Einstellung dazu kundzutun (vgl. Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 8 Rdnr. 41). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Selbst die Bekl. ist nach ihrem eigenen Vortrag von dem Bestehen einer - wenn auch
unangemeldeten - Versammlung ausgegangen, die grundsätzlich den Schutz von Art. 8 GG genoß. Maßnahmen gegen eine solche Versammlung können, auch wenn diese unfriedlich verläuft, somit nur nach Maßgabe des
Versammlungsgesetzes ergriffen werden (BVerfG 69, 315 (361) = NJW 1985, 2395). In diesem Sinne ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit polizeifest (vgl. Ott, VersammlG, 4. Aufl (1983), Einf. Rdnr. 10).
Dies räumt auch die Bekl. ein, indem sie vom Erfordernis einer Auflösung gem. § 15 I VersammlG ausgeht.
Das Vorgehen der Bekl. war jedoch nicht von den versammlungsrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten gedeckt. Das Versammlungsgesetz enthält keine Befugnisse, die es gestatten, alle Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung
am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen. Nach § 15 II VersammlG ist eine Versammlung, bei deren Durchführung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung zu besorgen ist, aufzulösen. Die Kammer geht hierbei zugunsten der Bekl. davon aus, daß die Einschätzung ihrer Bediensteten von einem zu erwartenden unfriedlichen Verlauf aufgrund der Ereignisse der vorausgegangenen
Tage nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen war und aus der Sicht der Bekl. berechtigt erschien.
Die Auflösung einer Versammlung muß jedoch gegenüber den Teilnehmern erklärt werden, damit diese Gelegenheit haben, ihrer Entfernungspflicht zu genügen (§ 13 II VersammlG). Das Vorgehen der Bekl., die Teilnehmer durch
Einschließung an den Versammlungsort zu binden, stellt entgegen der Ansicht der Bekl. keine Auflösung i. S. der §§ 13, 15 VersammlG dar. Auch eine konkludente Auflösung kann hierin nicht gesehen werden. Denn mit der
Maßnahme der Einschließung wurde vielmehr verhindert, daß die Teilnehmer sich entfernen konnten. Dies lag auch im Sinne der Bekl., da nach ihrem eigenen Vortrag die Eingeschlossenen an den Ort gebunden werden sollten.
Demzufolge konnte die Maßnahme der Einschließung auch von den Teilnehmern der Versammlung nicht als Auflösungsverfügung, d. h. als Befehl, den Versammlungsort zu verlassen verstanden werden.
Im übrigen ging die Einsatzleitung selbst am 8. 6. 1986 ausweislich des Abteilungsbefehls erkennbar davon aus, daß die nach Versammlungsrecht erforderliche Auflösungsverfügung nicht bereits in der Einschließung lag, vielmehr
einer gesonderten Verfügung bedurfte.
Die Maßnahmen der Bekl. waren aber auch im weiteren Verlauf aus anderen Gründen rechtswidrig. Selbst wenn zum Zeitpunkt des Vorgehens um 12.22 Uhr die Bekl. in der Einschließung das einzige Mittel gesehen hätte, um
eventuelle Gewalttätigkeiten zu verhindern, hätte sie die Maßnahme spätestens dann beenden müssen, als für sie erkennbar war, daß die Einschließung ein für den verfolgten Zweck, Isolierung des Gewaltpotentials, ungeeignetes
Mittel war, denn unstreitig gingen die erfolgten Gewalttätigkeiten nicht von den Eingeschlossenen aus, sondern von Personen, die sich außerhalb des Heiligengeistfeldes befanden. Aufgrund der weiter vorgetragenen Tatsachen konnte
die Bekl. nicht davon ausgehen, daß die im bisherigen Verlauf friedlichen Versammlungsteilnehmer innerhalb der Einschließung nach einer Aufhebung der polizeilichen Maßnahme das Gewaltpotential auf der Feldstraße nennenswert
verstärkt hätten, zumal sie ihre Bereitschaft gezeigt hatten, solche Gegenstände abzulegen, die als Aktiv-Bewaffnung in Betracht gezogen werden konnte. Von daher drängt sich die Annahme auf, daß es gerade nicht gelungen war, die
potentiellen Gewalttäter zu isolieren, sondern daß diese entweder der Einschließung sich rechtzeitig entziehen konnten oder erst im späteren Verlauf von außen hinzugekommen sind. Nach Auffassung der Kammer wäre dies auch von
der Bekl. erkennbar gewesen, denn durch ihre speziellen Einsatzkommandos, die sie am Heiligengeistfeld eingesetzt hatte, wäre es ihr möglich gewesen, den tatsächlichen Verlauf der Geschehnisse zu registrieren und daran die
Tauglichkeit der von ihr ergriffenen Maßnahme zu messen. Dies hat die Bekl. jedoch versäumt. Die Aufrechterhaltung der Einschließung über Stunden war auch aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.
Dies scheint auch der Einschätzung der Einsatzleitung der Polizei entsprochen zu haben, als sie schließlich damit begann, die Teilnehmer aus der Einschließung heraus auf auswärtige, im gesamten Stadtgebiet verstreute Sammelstellen
zu verbringen.
Aber auch dieses aus der Sicht der Einsatzleitung zur Entschärfung der Situation vor Ort getroffenen Maßnahme der Ingewahrsamnahme der Versammlungsteilnehmer erweist sich aus verschiedenen Gründen als rechtswidrig. Das
Versammlungsgesetz sieht eine derartige Maßnahme gegen Versammlungsteilnehmer nicht vor. Aber auch auf der Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes war diese konkrete Maßnahme nicht zulässig. Nach § 13 I Nr. 1
HbgSOG darf eine Person gegen ihren Willen nur dann in Gewahrsam genommen werden, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht abgewehrt oder eine Störung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht beseitigt werden kann. Die Eingeschlossenen stellten selbst eine derartige Gefahr oder Störung nicht dar, denn die Gewalttätigkeiten gingen nicht von diesem Kreis aus, sondern von
außerhalb Stehenden. Die von der Bekl. zur Begründung ihrer Maßnahme gegebenen Darlegungen, es sei zu erwarten gewesen, daß einzelne Teilnehmer nach ihrer Entlassung sich innerhalb des Stadtgebietes unfriedlich verhalten
würden, vermag die Ingewahrsamnahme nicht zu rechtfertigen. Bereits aus diesem Grunde erweist sich die andauernde Ingewahrsamnahme als unverhältnismäßig.
Hinzu kommt, daß bei Anordnung einer polizeilichen Maßnahme auch deren ordnungsgemäße Durchführung gewährleistet, insbesondere die Abwicklung in angemessener Zeit möglich sein muß. Tatsächlich zog sich aber die
Ingewahrsamnahme der Teilnehmer, unter ihnen die Kl., vom späten Nachmittag bis zum frühen Morgen des 9. 6. 1986 hin. Dies beruhte unter anderem auf einer offensichtlichen Fehleinschätzung der Anzahl der Eingeschlossenen.
Wegen einer im Verhältnis zu der tatsächlichen Anzahl völlig unzureichenden Kapazität an Transportmitteln einschließlich Sicherheitspersonal und wegen des Fehlens geeigneter Sammelstellen konnte die Maßnahme nicht in
angemessener Zeit abgeschlossen werden.
Nach Auffassung der Kammer waren sowohl das stundenlange Eingeschlossensein als auch die weiteren sich ebenfalls über Stunden hinziehenden Ingewahrsamnahme auf den verschiedenen Polizeirevierstellen in der Stadt für die Kl.
nicht mehr zumutbar und unverhältnismäßig. Bei einem Vorgehen nach HbgSOG werden bestimmte Mindestanforderungen an die tatsächliche Durchführung gestellt, die im Falle der Kl. nicht eingehalten worden sind. Dies gilt auch
im Hinblick auf die unzureichenden Unterbringungsmöglichkeiten auf den Polizeirevieren.
Darüber hinaus stellen die unzulängliche Versorgung der Eingeschlossenen sowie die ungenügenden hygienischen Verhältnisse, denen die Kl. ausgesetzt waren, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Kl. dar, die nicht mehr durch
den Zweck der Maßnahme gerechtfertigt werden kann. Ähnliches gilt auch für die meist unzureichenden Möglichkeiten auf den Revierstellen für die Ingewahrsamgenommenen, Personen ihres Vertrauens bzw. Anwälte und Verwandte
zu informieren. Die Führung der Bekl. hätte, nachdem erkennbar war, daß die Ingewahrsamnahme nur unter diesen unzureichenden Bedingungen durchgeführt werden konnte, diese beenden müssen.
Hatte die Polizei keine Möglichkeit, die Ingewahrsamnahme gem. § 13 HbgSOG ordnungsgemäß durchzuführen, mußte sie von einer derartigen Maßnahme gänzlich absehen. Denn einer in Gewahrsam genommenen Person dürfen nur
solche Beschränkungen auferlegt werden, die den Zweck des Gewahrsams sichern sollen oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung während des Gewahrsams erforderlich sind (§ 13 IV HbgSOG). Die den Klägern zugemuteten
Beeinträchtigungen (Mehrbelegung von Einzelzellen, unzureichende Versorgung, eingeschränkte Möglichkeit, Verwandte oder Anwälte zu informieren) übersteigen die gesetzlich zugelassenen.
Die Bekl. handelte bei ihrem Vorgehen auch schuldhaft. ...
III. Auch ein Mitverschulden der Kl. gem. § 254 BGB dadurch, daß sie es abgelehnt haben, auf das Angebot der Bekl. gegen 14.30 Uhr, den Kreis der Versammlungsteilnehmer nach Feststellung ihrer Personalien zu verlassen,
einzugehen, liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. ...
IV. Durch das Vorgehen der Bekl. wurde in die persönliche Freiheit der Kl. und in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht erheblich eingegriffen. Gem. § 847 BGB steht ihnen hierfür ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld zu.
Bei der Bemessung der Höhe war zu berücksichtigen, daß die Kl. auf sehr engem Raum zusammengedrängt waren, sie über Stunden hinweg im Ungewissen darüber blieben, was mit ihnen geschehen würde, Durchsuchungen über sich
hatten ergehen lassen müssen sowie die unzulängliche Unterbringung auf den Polizeirevieren bzw. den sonstigen eingerichteten Sammelstellen haben erdulden müssen. Hingegen darf bei der Bemessung nicht außer acht bleiben, daß
die Kl. sich freiwillig zu einer unangemeldeten Demonstration, die nach der Vorgeschichte einige Brisanz in sich barg, zusammengefunden haben. Von daher haben sie solche Beeinträchtigungen, die gemeinhin mit solchen
Veranstaltungen einhergehen, bewußt und gewollt in Kauf genommen. Als Folge des rechtswidrigen Handelns der Bekl. und damit als für die Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen sind daher nur die darüber hinausgehenden
Beeinträchtigungen anzusehen.
Zwar hat der Senat in dem in seiner Sitzung vom 30. 6. 1986 gefaßten Beschluß sein Bedauern über das Vorgehen der Beklagten ausgedrückt (Anlage 5 zur Drucks. 11/6556), andererseits hat die Bekl. dem vorprozessualen Begehren
der Kl. auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages von 100 DM nicht entsprochen und auch in der Klageerwiderung ihr Vorgehen als rechtsmäßig angesehen. Durch dieses in sich widersprüchliche Verhalten relativiert sich die vom Senat
ausgesprochene „Entschuldigung" und wird den an eine Genugtuung zu stellenden Voraussetzungen nicht gerecht. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für angemessen, den Klägern als Ausgleich für die erlittenen
Rechtsbeeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von je 200 DM zuzusprechen. ..."
***
§ 16
(1) Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sind innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane der Länder verboten. Ebenso ist es verboten, zu öffentlichen Versammlungen unter freiem
Himmel oder Aufzügen nach Satz 1 aufzufordern.
(2) Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder werden durch Landesgesetze bestimmt.
(3) Das Weitere regeln die Bannmeilengesetze der Länder.
Leitsätze/Entscheidungen:
Eine öffentliche Versammlung bzw. Demonstration unter freiem Himmel innerhalb des befriedeten Bannkreises des BVerfG ist kraft Gesetzes verboten, wenn nicht das Bundesinnenministerium sie ausdrücklich zulässt. Soll eine
öffentliche Versammlung bzw. Demonstration gezielt im befriedeten Bezirk des BVerfG stattfinden, so ist es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, etwa durch Auflagen hinsichtlich des Demonstrationsweges die Einhaltung des
geschützten Bezirkes zu sichern (VGH Mannheim, Beschluss vom 11.08.2000 - 1 S 1750/00, Die Justiz 2001, 180).
***
Zur Ausnahme von dem Verbot, innerhalb der Bannmeile eine Demonstration durchführen zu dürfen (OVG Münster, Entscheidung vom 22.12.1993 - 23 A 865/91, NVwZ-RR 1994, 391).
***
Schutzgut des Bannkreisgesetzes ist die Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments. Es soll unbeeinflußt vom Druck, der von Versammlungen unmittelbar vor seinen Toren ausgehen kann, seine Entscheidung treffen können.
Zu den Voraussetzungen der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach dem Bannkreisgesetz (VG Hamburg, Entscheidung vom 12.10.1984 - 1 2930/84, NVwZ 1985, 678, 634).
***
§ 17
Die §§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 17a
(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen
geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.
(2) Es ist auch verboten,
1. an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen
Aufmachung zurückzulegen.
2. bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.
(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn es sich um Veranstaltungen im Sinne des § 17 handelt. Die zuständige Behörde kann weitere Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.
(4) Die zuständige Behörde kann zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Sie kann insbesondere Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen.
Leitsätze/Entscheidungen:
Zur Auslegung einer das gesetzliche Verbot des Mitführens von Vermummungsgegenständen (§ 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) wiederholenden "Auflage". Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem
Himmel oder eines Aufzugs, für die Einhaltung des - gesetzeswiederholend - verfügten Verbots des Mitführens von Vermummungsgegenständen zu sorgen, kann allenfalls unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1
VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint;VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12):
„.. Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt
zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche
Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei
sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage" bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es
kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006
- 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage", die im
versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art
gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen" angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich
diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden
Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt" aus dem Gesetz
ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder
spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht
erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer
7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage" bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05
- NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …" eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat,
dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile
vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl.
BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom
12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt
(BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO
(vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen
der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten
Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR
1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 <Rn. 22>; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen
Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer
Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort
durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen
rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 <Rn. 23>). Dies ist hier der Fall.
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen
gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht
nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft
Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113
Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden
Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass
eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts
handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen
Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 <juris Rn. 15>; BayVGH, Beschl. v.
18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 <juris Rn. 46> m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret
anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre
Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für
dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel
ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen
Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig
machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit
im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen,
wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR
233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von
der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in
keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von
Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres
feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder
Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht
erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot,
welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu
Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik
des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann
daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden. ..."
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Mit Inkrafttreten des NVersG am 01.02.2011 wurde, bezogen auf das Land Niedersachsen, das bis dahin geltende VersG (Bund) ersetzt. Die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nach dem NVersG setzt
voraus, dass die Rechtswidrigkeit der Vermummung zuvor durch einen die Verhaltenspflicht konkretisierenden Verwaltungsakt festgestellt worden ist (OLG Celle, Beschluss vom 04.05.2011 - 32 Ss 6/11 zu NVersG §§ 9 Abs. 2 Nr. 1,
20 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; VersG § 17a Abs. 2 Nr. 1).
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Zur Strafbarkeit des Beisichführens sog. Schlagschutzhandschuhe bei öffentlichen Versammlungen (OLG Dresden, Beschluss vom 17.06.2008 - 1 Ss 401/08):
„... I. Das AG Leipzig hat den Angekl. mit Urt. v. 13. 02. 2008 wegen Tragens von Schutzwaffen zu einer Geldstrafe von 30 TS zu je 26,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig hat es die Einziehung der sichergestellten
Schlagschutzhandschuhe angeordnet.
Hiergegen hat der Angekl. form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt, das er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als (Sprung-) Revision bezeichnet hat. Er rügt mit der näher ausgeführten Sachrüge die Verletzung materiellen Rechts.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG.
Die Feststellungen des AG tragen eine Verurteilung nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 17a Abs. 1 VersG nicht.
Die vom Angekl. während der Teilnahme an einer Spontanversammlung bei sich geführten Handschuhe, die im Bereich der Fingerknöchel mit Quarzsand verstärkt waren, sind keine Schutzwaffen (im technischen Sinn) i.S.v. § 17a
Abs. 1 1. Alt. VersG. Hierunter sind Gegenstände zu verstehen, die zur Verteidigung gegen Angriffe dienen und diese Zweckbestimmung i.d.R. bereits bei ihrer Herstellung beigelegt bekommen haben (vgl. Ott/Wächtler, Gesetz, über
Versammlungen und Aufzüge, 6. Aufl., § 17a Rn. 7; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., § 17a Rn. 14; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. § 17a Rn. 2).
Ein solcher Gegenstand liegt hier - wie das AG zu Recht ausgeführt hat - nicht vor.
Zutreffend ist das AG vielmehr davon ausgegangen, daß hier ein Gegenstand vorliegt, der i.S.d. § 17a Abs. 1 2. Alt. VersG als Schutzwaffe geeignet ist. Hierunter sind alle Gegenstände zu verstehen, deren Zweckbestimmung nicht,
wie die Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, mit denen die Versammlungsteilnehmer vielmehr auch andere Zwecke verfolgen können, die aber zum Schutz jedenfalls
geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 87; Köhler/Dürig-Friedl a.a.O. Rn. 3). Da die vom Angekl. bei sich geführten Handschuhe im Knöchelbereich mit
Quarzsand verstärkt waren, sind diese objektiv geeignet, zur Verteidigung gegen Angriffe zu dienen. So kann der Träger der seine so geschützten Hände vor den Kopf hält, sich auf diese Weise auch gegen Schläge Richtung
Kopfbereich schützen.
Zusätzlich zur objektiven Eignung als Schutzwaffe muß in Fällen des § 17a Abs. 1 2. Alt. VersG jedoch noch der erkennbare Wille des Versammlungsteilnehmers hinzukommen, den Gegenstand als Schutzwaffe zu verwenden, um der
Anwendung unmittelberen Zwangs widerstehen zu können (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel a.a.O. Rn. 15). Ob der Versammlungsteilnehmer die entsprechende Absicht hat und der als Schutzwaffe geeignete Gegenstand dazu bestimmt ist,
Vollstreckungsmaßnahmen eines Träger von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, muß sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben, insbes. aus dem erklärten oder offenkundigen Willen des Trägers (Dietel/Gintzel/Kniesel a.a.O. Rn.
21). Derartige Umstände hat das AG nicht festgestellt. Es ist vielmehr der Aussage des Angekl. gefolgt, der angegeben hatte, er sei zu der Versammlung in Leipzig »als Sozius auf einem Motorrad angereist« und habe dabei die
Handschuhe getragen. ..."
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Das Vermummungsverbot nach § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG steht nicht unter dem Vorbehalt, dass nur Vollstreckungsbehörden gegenüber die Identität nicht verschleiert werden darf, sondern gilt uneingeschränkt wegen der
abstrakten Gefahr, die von einer Vermummung bei einer Demonstration ausgeht (KG Berlin, Urteil vom 07.10.2008 - (4) 1 Ss 486/07 (286/07) - Kessel wegen Vermummung bei einer Demonstration - Kessel 4):
„... Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hatte die Angeklagte am 21. April 2005 von dem Vorwurf freigesprochen, sich am 1. Mai 2004 als Teilnehmerin einer öffentlichen Demonstration mittels eines Schals und einer Kapuze
vermummt zu haben, um die Feststellung ihrer Identität zu verhindern (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V. mit § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersG). Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat am 15. Dezember
2006 das Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen. Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 30. August 2007 erneut
freigesprochen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg. Das Amtsgericht Tiergarten hat folgende Feststellungen getroffen (UA S. 2 und 3):
‚Am 01. Mai 2004 kam es in Berlin-Lichtenberg und Friedrichshain zu einer genehmigten Demonstration der NPD. Die Demonstration sollte gegen 14.00 Uhr beginnen. Die genehmigte Route des Aufzuges verlief auf der Frankfurter
Allee von Lichtenberg kommend stadteinwärts Richtung Friedrichshain, und zwar dort auf der stadteinwärts führenden Straßenseite. Nach einem Wendepunkt in Friedrichshain sollte sodann der Aufzug sich auf derselben Route
wieder stadtauswärts auf der Frankfurter Allee Richtung Lichtenberg bewegen. Da es bereits gegen 14.00 Uhr auf und an der Frankfurter Allee zu einem Aufmarsch von Gegendemonstranten in Höhe Atzpodienstraße gekommen war,
begann die Demonstration der NPD mit erheblicher Verspätung. Um einen reibungslosen Ablauf der Demonstration zu gewährleisten, begannen bereits Polizeikräfte die Gegendemonstrationen von der Frankfurter Allee
zurückzudrängen. Etwa gegen 14.30 Uhr gelang es den eingesetzten Polizeikräften, eine größere Gruppe von Störern an der Aral-Tankstelle, die sich an der stadtauswärts führenden Seite der Frankfurter Allee, Höhe Atzpodienstraße
befindet, einzukesseln. In dem von Polizeibeamten umringten Kessel befand sich auch die Angeklagte. Um eine Konfrontation zwischen Teilnehmern des NPD-Aufzuges und den Gegendemonstranten zu erschweren und einen
Sichtkontakt zu verhindern, parkten die eingesetzten Polizeidienstkräfte auf dem Mittelstreifen der Frankfurter Allee auf Höhe der fraglichen Aral-Tankstelle Mannschaftswagen der Polizei, die Stoßstange an Stoßstange abgestellt
wurden. Die in der Einschließung befindlichen Gegendemonstranten wurden von den eingesetzten Polizeibeamten zunächst fotografiert und gefilmt, was der Angeklagten auch klar war. Als etwa gegen 18.00 Uhr der NPD-Aufzug die
Frankfurter Allee stadteinwärts auf Höhe der Aral-Tankstelle entlang zog, verhüllte die Angeklagte ihr Gesicht mit einem schwarzen Fließtuch; zudem zog sie die Kapuze ihres Pullovers über den Kopf, so dass von ihrem Gesicht nur
noch die Augen zu sehen waren. Die Angeklagte wollte damit erreichen, dass sie für die von ihr erwarteten Film- und Fotoaufnahmen aus der NPD-Demonstration heraus nicht zu erkennen war. Nachdem der NPD-Aufzug nach
einigen Minuten vorüber gezogen war, nahm die Angeklagte sowohl die Kapuze als auch das Fließtuch wieder von ihrem Kopf, so dass sie für die Polizeibeamten wieder erkennbar war. Erneut legte die Angeklagte ihre Vermummung
an, als der NPD-Aufzug etwa 20 Minuten später - also gegen 18.20 Uhr - wieder auf der Frankfurter Allee stadtauswärts marschierte. Die Angeklagte handelte dabei wieder aus derselben Motivation.'
1. Das Amtsgericht führt zutreffend aus, dass der festgestellte Sachverhalt die äußeren Merkmale des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersG erfüllt. Die Angeklagte hat als Demonstrantin an einem öffentlichen Aufzug unter freiem Himmel
teilgenommen. Sie hat zeitweise eine Kapuze und einen Fliesschal über ihr Gesicht gezogen, um sich unkenntlich zu machen und die Feststellung ihrer Identität zu verhindern.
2. Das Amtsgericht ist dennoch zu einem Freispruch gelangt, weil nicht feststellbar gewesen sei, dass die Angeklagte gegenüber Polizeibeamten die Feststellung ihrer Identität verhindern wollte. Ihr sei vielmehr bewusst gewesen, dass
die Polizeibeamten von dem Beweissicherungskommando sie längst gefilmt und fotografiert hätten. Der Angeklagten sei auch klar gewesen, dass ihre Identität den eingesetzten Polizeibeamten bereits bekannt gewesen sei; zudem habe
sie sich etwa vier Stunden zuvor gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten mit unverhülltem Antlitz zu erkennen gegeben. Weil sie sich aber lediglich gegenüber den NPD-Demonstranten unkenntlich habe machen wollen, sei bereits
nach dem Wortlaut des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersG ein entsprechender Verstoß nicht gegeben. Grundsätzlich sei eine Identitätsfeststellung hoheitlich handelnden Amtspersonen - hier Polizeibeamten - in den rechtlich dafür
vorgesehenen Fällen vorbehalten. Mithin hätten auch Privatpersonen, zum Beispiel Gegendemonstranten kein Recht, eine Identitätsfeststellung anderer Teilnehmer zu treffen. Dass die Norm des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersG
Zivilpersonen derartige Rechte einräume, ließe sich dem Gesetz nicht entnehmen. Nur in Ausnahmefällen habe der Bürger Anspruch gegen einen Dritten auf Identitätsfeststellung. Diese Ausnahmefälle habe der Gesetzgeber indes im
Einzelfall ausdrücklich geregelt. So habe ein Unfallbeteiligter gemäß § 142 StGB kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen einen Anspruch gegen den weiteren Unfallbeteiligten auf Feststellung seiner Person. Eine ausdrückliche
Regelung, dass Demonstrationsteilnehmer einen Anspruch auf Identitätsfeststellung bei dritten Personen zukomme, habe der Gesetzgeber hier gerade nicht getroffen (UA S. 3 und 4).
3. Mit diesen Ausführungen verkennt das Amtsgericht den Regelungsgehalt der §§ 17 a Abs. 2 Nr. 1, 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG. Seine Auslegung der Normen ist weder nach dem Wortlaut noch nach dem Willen des Gesetzgebers geboten.
a. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 79, 106 (121) = NJW 1985, 1599). Der (noch mögliche) Wortsinn markiert die äußerste
Grenze zulässiger Auslegung, das heißt der Wortsinn, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut in dem Zusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 73, 206 (335); BVerfGE 71, 108 [115] = NJW 1986, 1671).
Einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz zum Beispiel durch ‚verfassungskonforme Auslegung, einen anderen Inhalt zu geben, ist dem Richter versagt (vgl. BVerfGE 8, 28 = NJW 1958, 1227).
b. Nach Wortlaut und Sinn der §§ 17 a Abs. 2 Nr. 1, 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG genügt es für das Verbot, dass die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des
so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Weitere Merkmale enthält der Tatbestand nicht. Insbesondere bedarf es nicht der zusätzlichen Feststellung, dass die Vermummung dafür geeignet sein muss, die
Identifizierung von Personen gegenüber Polizeibeamten oder anderen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständigen Personen zu verhindern (zu der Voraussetzung der Friedensstörung ebenso KG, Urteil vom 20. September
1996, NStZ-RR 1997, 185). Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt, dass der Wille des Gesetzgebers auf diese Art der Regelung gerichtet war. Mit der Einführung des Vermummungsverbotes als Straftat verfolgte der
Gesetzgeber das Ziel, gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demonstrationen einzudämmen und den damit verbundenen ernsthaften Störungen des Gemeinschaftsfriedens entgegenzuwirken. Die
Vermummung sollte verboten werden, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten nach der Überzeugung des Gesetzgebers in einem eindeutigen Zusammenhang stehen (vgl. BT-Drs.
11/4359, Seite 14). Die Regelung des § 17 Abs. 3 VersG wurde bewusst als Ausnahme gestaltet (vgl. BT-Drs. 11/4359, S. 14). Ausdrücklich war der Wille des Gesetzgebers im Übrigen darauf gerichtet, dass das Tatbestandsmerkmal
‚Aufmachung' grundsätzlich ein Mittel zur Unkenntlichmachung, z. B. Verkleidung, Maskierung oder Bemalung, erfasst. Die beabsichtigte und hier nach Strafvorschrift vorgeschriebene Weise, eine zur Verhinderung der
Identitätsfeststellung geeignete Aufmachung von einer nicht verbotenen Aufmachung abzugrenzen, liegt allein in dem Tatbestandsmerkmal, wonach die Aufmachung den Umständen nach darauf gerichtet sein muss, die Feststellung
der Identität zu verhindern. Weitere Voraussetzungen oder Einschränkungen enthält der Gesetzeswortlaut nicht. Weder bedarf es der zusätzlichen Feststellung, dass die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet ist (KG a.a.O.),
noch ist es erforderlich, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (LG Verden, Urteil vom 9. November 2006 [Bd. I d.A. Bl. 227], bestätigt durch
Beschluss des OLG Celle vom 17. April 2007 [Bd. II d.A. Bl. 36]). Maßgeblich ist allein die Tatsache der Vermummung, die sich aus der bereits dargestellten Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt. Der Gesetzgeber ging von der
Annahme aus, ‚dass beim Auftreten von Vermummten oder passiv bewaffneten Personen ein unfriedlicher Verlauf' der Demonstration zu erwarten sei, ‚dass heute Vermummung in aller Regel eine Vorstufe zum Gewaltausbruch
darstelle' (vgl. BT-Drs. 11/2834, S. 12). ‚Nach den auch in der Anhörung bestätigten praktischen Erfahrungen indiziere und provoziere das Auftreten Vermummter die Bereitschaft zur Gewalt und Begehung von Straftaten.
Vermummte stellten bei einer Demonstration regelmäßig den Kern der Gewalttäter. Sie bestärkten diejenigen Demonstrationsteilnehmer, die ohnehin zur Anwendung von Gewalt neigten, in ihrer Gewaltbereitschaft und könnten in
gleicher Weise auch Dritte schon durch ihr äußeres Erscheinungsbild (‚Schwarze Blöcke') beeinflussen' (BT-Drs. 11/4359 S. 14). Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war es mithin nicht das Ziel des Gesetzgebers, mit der
Änderung des Versammlungsgesetzes lediglich hoheitlich handelnden Personen die Möglichkeit zu sichern, Versammlungsteilnehmer zu identifizieren, sondern eine allgemeine Regelung zum Verhindern abstrakter Gefahren zu
schaffen. Die Annahme, dass Vermummungen kausal für das Entstehen gewaltsamer Auseinandersetzungen bei Versammlungen sind, wird selbst von Kritikern der gesetzlichen Regelung eingeräumt (z.B. Maatz MDR 1990, 577,
579). Dementsprechend wird auch in der Schweiz davon ausgegangen, dass die Anwesenheit Vermummter bei Demonstrationen die Gefahr von Ausschreitungen wesentlich erhöhe (BGer. EuGRZ 1992, 137, 140), worauf bereits die
Staatsanwaltschaft im Anschluss an KG NStZ-RR 1997, 185 zutreffend hingewiesen hat.
4. Die Annahme des Amtsgerichts, Sinn des Vermummungsverbots sei es allein, den Strafverfolgungsbehörden die Identifizierung von Versammlungsteilnehmern zu ermöglichen, widerspricht auch der Systematik des Gesetzes, wie
die beiden nachfolgenden zutreffend von der Staatsanwaltschaft angeführten Beispiele belegen.
a) In § 17 a VersG wird sowohl das Vermummen als auch das Mitführen von Schutzwaffen verboten und beides wird in § 27 VersG unter Strafe gestellt. Trotz des systematischen Zusammenhangs dieser Regelung sieht das Gesetz
aber nur bei dem Verbot der Schutzwaffen in §§ 17 a Abs. 1, 27 Abs. 2 Nr. 1 VersG vor, dass diese ‚den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsmaßnahmen abzuwehren'. Ein
solcher Zusatz fehlt hingegen beim Vermummungsverbot.
b) Nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 VersG kann die zuständige Behörde Ausnahmen vom Vermummungsverbot zulassen, wenn ‚eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Ordnung nicht zu besorgen ist', und nach § 17 a Abs. 4
VersG kann die zuständige Behörde zur Durchsetzung des Vermummungsverbots Anordnungen treffen und ‚insbesondere Personen, die dem Vermummungsverbot zuwider handeln, von der Veranstaltung ausschließen'. In diesen
Regelungen finden sich keine Hinweise darauf, dass Ausnahmen vom Vermummungsverbot auch dann zugelassen werden können und ein Ausschluss dann unzulässig wäre, wenn den Versammlungs- oder gar
Strafverfolgungsbehörden die Identität der (vermummten) Versammlungsteilnehmer bekannt ist.
Würde man der Rechtsauffassung des Amtsgerichts folgen, so wäre die Norm ohne praktische Relevanz. Im vorliegenden Fall hätten sich auch die Teilnehmer des NPD-Umzuges vermummen dürfen, wenn auch nur eine Kamera in
ihre Richtung gehalten worden wäre, da der Umzug durch Polizeibeamte begleitet und sicher auch gefilmt wurde und demnach der Polizei die Identität der Teilnehmer bekannt war. Ferner müsste die zuständige Behörde, bevor sie das
Gesetz anwenden und gegebenenfalls vermummte Teilnehmer ausschließen dürfte, stets prüfen, ob die Identität der vermummten Personen nicht bereits anderweitig festgestellt wurde. Eine derartige Verpflichtung ist dem Gesetz nicht
zu entnehmen.
5. Die Feststellungen des Amtsgerichts, die Angeklagte habe sich vermummt, weil sie befürchtete, von Teilnehmern des vorbeiziehenden NPD Aufzuges fotografiert oder gefilmt zu werden und ihr Bild dann in ‚rechten Kreisen' oder
im Internet verbreitet und sie sich persönlichen Angriffen der ‚rechten Szene' ausgesetzt sehen würde, bieten - wie die Staatsanwaltschaft zu Recht festgestellt hat - auch keinen Anlass zur Annahme eines Rechtfertigungsgrundes. Ob
es zu derartigen Aufnahmen gekommen ist, hat das Amtsgericht zwar nicht positiv festgestellt, jedoch auch nicht ausgeschlossen (UA. S. 3). Diese Frage kann aber dahinstehen, weil das Verhalten der Angeklagten selbst dann nicht
gerechtfertigt wäre, wenn ihre Annahme zutreffend gewesen wäre.
a) Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit Versammlungen durch das Vermummungsverbot dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit den Vorrang vor dem Recht am eigenen Bild eingeräumt, welches nach wohl
herrschender Meinung ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellen kann (vgl. z.B. Fischer, StGB 55. Aufl., § 32 Rn. 8). Wer an einer Demonstration teilnimmt, hat es zu dulden, dass er identifiziert und gegebenenfalls auch bildlich
festgehalten werden kann, vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG (vgl. auch Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2006, § 23 KunstUrhG, Rdn. 17, 18, 19).
b) Darüber hinaus standen der Angeklagten gleich mehrere wirksame und mildere Mittel zur Verfügung. Sie hätte dem NPD-Demonstrationszug den Rücken zukehren oder durch ein Vorhalten der Hände eine Identitätsfeststellung
verhindern können. Diese Mittel wären milder gewesen, weil dadurch die ‚abstrakte' Gefahr einer Eskalation, anders als bei der Vermummung, nicht herbeigeführt worden wäre.
Ein strafbefreiender Verbotsirrtum kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn ein möglicher Irrtum wäre vermeidbar gewesen. Die Angeklagte hätte sich vor Eintreffen des NPD-Aufzuges an die anwesenden Polizeibeamten wenden und
ihr Vorhaben ankündigen bzw. sich darüber informieren können, ob eine Vermummung unter diesen Umständen strafbar sei. Sie hätte dann erfahren, dass dies nicht erlaubt ist.
6. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück. ..."
***
Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert; das sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur
Vermummung dienen. Ein Halstuch ist ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) bestimmt, wenn es vom Betroffenen als solches verwendet wird,
indem dieser durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begeht (OLG München, Beschluss vom 02.10.2008, 34 Wx 10/08):
„... Der Antragsteller begehrt als Betroffener eines polizeilichen Gewahrsams die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung durch die Polizei am Samstag, den 2.12.2006, in der Zeit vom 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr
rechtswidrig war.
Am 2.12.2006 führten Anhänger der NPD einen Marsch durch die Augsburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung durch. Der Betroffene, der Teilnehmer einer genehmigten Gegendemonstration war, hatte sich für die Zeit von
13.29 Uhr bis 13.34 Uhr ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden, das vom Kinnbereich bis unter die Augen reichte. Bei seiner vorläufigen Festnahme gegen 13.45 Uhr hatte der Betroffene, nach Aufforderung durch einen
Polizeibeamten, das Tuch bereits wieder abgenommen. Er wurde zum Polizeipräsidium gebracht und dort bis gegen 15.15 Uhr als Beschuldigter wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vernommen. Anschließend
wurde der Betroffene aufgrund polizeilicher Anordnung bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr in einer Arrestzelle festgehalten. Die Polizeibehörde stützte die Maßnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 PAG darauf, dass der
Betroffene bereits am 27.5.2006 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch Mitführen von Gegenständen zur Verhinderung der Identitätsfeststellung aufgefallen und deshalb davon auszugehen sei, der Betroffene
werde nach einer sofortigen Entlassung an den Demonstrationsort zurückkehren und sich wieder vermummen. Eine richterliche Vorführung fand nicht statt.
Der Antragsteller hat am 20.12.2006 beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig war. Mit Beschluss vom 30.8.2007 stellte das Amtsgericht fest, dass die
Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde als auch ihrer Ausgestaltung nach rechtmäßig war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit von 15.15
Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt wurde, mit Beschluss vom 20.12.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er wiederholte den
beim Landgericht gestellten (beschränkten) Antrag. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. ...
1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung ist statthaft, da sie vom Landgericht zugelassen wurde (Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG), ist und auch im Übrigen zulässig (Art. 18 Abs. 2, Abs. 3
Sätze 2 und 3 PAG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, §§ 20 , 22 Abs. 1 , § 29 Abs. 1 und 4 FGG ).
Gegenstand der Rechtsbeschwerde bildet nach den gestellten Anträgen die Haft als solche, nicht deren konkrete Ausgestaltung, mag darauf auch in der Begründung erneut eingegangen sein. Auf die umstrittene Frage, ob die
Rechtswegregelung des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 PAG auf polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme auszudehnen (BayVGH NJW 1989, 1754; Schmidbauer/Steiner Bayerisches
Polizeiaufgabengesetz 2. Aufl. Art. 18 Rn. 13) und damit auch insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, kommt es nicht an. Ebenso nicht angegriffen ist die Entscheidung des Amtsgerichts zur Zulässigkeit
der Festhaltung bis zur Beendigung strafprozessualer Maßnahmen gegen 15.15 Uhr.
2. Das Landgericht hat zur Sache ausgeführt:
Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei unbegründet.
a) Die ursprünglich von der Polizeibehörde herangezogene Norm des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG sei nicht anwendbar, da der Betroffene in der Vergangenheit nicht mehrfach aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von
Straftaten betroffen worden sei. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Betroffene nur in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auffällig geworden.
b) Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG erfüllt. Die von der Polizeibehörde getroffene Prognoseentscheidung, der Betroffene werde unmittelbar nach einer eventuellen Entlassung aus dem
Polizeigewahrsam gegen 15.15 Uhr erneut Straftaten begehen, sei nicht zu beanstanden. Aufgrund des hohen Rangs des Freiheitsrechts müsse nach den konkreten Umständen eine Wiederholung der verbotenen Verhaltensweise
erwartet werden. Der Betroffene habe vor seiner Festnahme gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mit einem Tuch vermummt an einer Demonstration teilgenommen habe. Bei dem Betroffenen sei ein sonstiger Gegenstand
i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG aufgefunden worden, der erfahrungsgemäß zur Tatbegehung - der Vermummung - bestimmt gewesen sei. Bei der Prognoseentscheidung seien auch die konkreten örtlichen Verhältnisse und
Umstände in die Überlegung mit einzubeziehen gewesen. Mittels der in kurzen Zeittakten verkehrenden Straßenbahn habe der Betroffene problemlos umgehend an den Demonstrationsort zurückkehren können und damit genügend
Zeit für einen erneuten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Verfügung gehabt. Ein Tuch oder einen Schal zum Vermummen hätte sich der Betroffene ohne Probleme erneut besorgen können. Diese Gefahr habe trotz der
erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestanden. Das ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Betroffene bereit am 27.5.2006 im gleichen Verhaltensspektrum auffällig geworden sei. Wenn der Betroffene vortrage, dass seine
Vermummung nur zum Schutz gegen Nazi-Fotografen habe dienen sollen, so würde dies die polizeiliche Prognoseentscheidung nur stützen. Denn aus der Sicht des Betroffenen wäre eine Vermummung erforderlich und würde bei
einer erneuten Teilnahme an der Gegendemonstration wieder notwendig.
Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Schutz eines bedeutenden Rechtsgutes, nämlich des friedlichen Verlaufs von Demonstrationen zu gewährleisten gewesen sei. Vermummte Teilnehmer würden provozierend, eskalierend
und einschüchternd auf andere wirken. Vor allem aber bestehe für vermummte Demonstrationsteilnehmer ein erhöhter Anreiz, sich nicht friedlich zu verhalten, da sie davon ausgehen könnten, dass sie aufgrund ihrer Vermummung bei
strafrechtlich relevanten Aktionen nicht erkannt und zur Verantwortung gezogen werden könnten.
c) Die Beurteilung der Polizeibehörde, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr nicht hätte herbeigeführt werden können, sei zutreffend gewesen. Für eine
umfassende richterliche Würdigung der Prognoseentscheidung hätten Beweise wie die Vernehmung der Polizeibeamten und die Sichtung des gefertigten Film- und Videomaterials erhoben werden müssen. Mit einer richterlichen
Entscheidung vor 18.00 Uhr wäre daher nicht zu rechnen gewesen.
d) Schließlich sei auch die Art und Weise des Gewahrsams rechtmäßig gewesen.
3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG , §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO ) stand.
a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG lagen vor.
(1) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung über die polizeiliche Ingewahrsamnahme der Betroffene nicht mehr Teilnehmer einer Versammlung war. Vielmehr
war er wegen einer Straftat ( § 17 a Abs. 2 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG ) aus der Versammlung rechtmäßig entfernt worden. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der
Ingewahrsamnahme von 13.45 bis 15.15 Uhr.
(2) Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von
einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann. Die erneute Begehung einer Straftat ist zu befürchten, wenn eines der Regelbeispiele des Art. 17 Abs. 1 PAG erfüllt ist. Bestimmte Verhaltensweisen indizieren
dabei die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose ( OLG Rostock vom 30.8.2007, 3 W 107/07 Rn. 29 zitiert nach [...]). Nur ausnahmsweise kann im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalles ausreichen, wenn sich
bereits daraus die sichere Prognose für das Vorliegen einer Gefahr ergibt (OLG Rostock aaO. Rn. 30 zitiert nach [...]).
aa) Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG nicht erfüllt sind. Denn mindestens zwei vorausgegangene Fälle aus vergleichbarem Anlass (Schmidbauer Art. 17 PAG
Rn. 57) können dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Ein bloß einmaliger Verstoß gegen das Versammlungsgesetz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.
bb) Demgegenüber hatte der Betroffene nach den tatrichterlichen Feststellungen das Kriterium von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG durch das Mitführen und Benützen des Halstuches als Vermummungsmittel erfüllt.
Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert. Dies sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur
Vermummung dienen (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 49). Dies wird durch die amtliche Begründung (LT-Drs. 11/9078, S. 5) bestätigt, wonach die Polizei in die Lage versetzt werden soll, die ungehinderte Ausübung der
Versammlungsfreiheit im Rahmen des Art. 8 GG zu ermöglichen.
Das Halstuch war nach den tatrichterlich festgestellten Umständen ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG), bestimmt, da es vom Betroffenen als
solches verwendet worden war. Dieser hatte nämlich durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.
cc) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG vor, so folgt daraus nicht zwangsläufig die Befugnis zur Ingewahrsamnahme. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die vorhandenen
Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall befürchten lassen, der Betroffene werde im Fall seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen.
Die Auffassung des Landgerichts, die polizeiliche Prognoseentscheidung sei nicht zu beanstanden gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wenige
Monate zuvor wegen eines gleichartigen Delikts während einer Versammlung aufgefallen war und dass nicht davon auszugehen ist, der Betroffene werde sich durch die vorangegangenen Polizeimaßnahmen davon abhalten lassen, zur
Demonstration zurückzukehren, um daran erneut im vermummten Zustand teilzunehmen. Diesen Schluss konnte der Tatrichter auch aus dem Motiv des Betroffenen ziehen, der sein Verhalten damit erklärt hat, er habe sich zum Schutz
vor Fotografen der NPD vermummt; dieser Grund hätte nämlich nach einer etwaigen Freilassung noch während der laufenden Demonstration unverändert fortgegolten. Darauf, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht
die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG
15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).
Nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wäre es dem Betroffenen auch möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren, so dass auch insoweit nichts gegen die Annahme
spricht, die Begehung einer neuen, ähnlich strukturierten Straftat stehe unmittelbar bevor.
Beim Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt es sich um eine Straftat (vgl. § 27 Abs. 2 VersG ) in Form eines Vergehens ( § 12 Abs. 2 StGB ). Auf etwaige zu Gunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe
kommt es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt ( OLG Frankfurt vom 20.6.2007, 20 W 391/06 = NVwZ-RR 2008, 244). Polizeigewahrsam ist zur Verhinderung von Straftaten allgemein
zulässig, nicht nur von ‚Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit'. Diese Einschränkung bezieht sich nur auf Ordnungswidrigkeiten ( BayObLG vom 28.5.1998, 3 Z BR 66/98 = NVwZ 1999, 106). Darüber hinaus
obliegt der Polizei der Schutz einer friedlichen Demonstration. Sie ist gehalten, den Teilnehmern die Ausübung dieses Grundrechts zu ermöglichen.
dd) Die Gewahrsamnahme war auch unerlässlich und der angestrebte Zweck nicht mit einfacheren Mitteln zu erreichen. Ein Platzverweis (Art. 16 PAG) als milderes Mittel hätte nicht ausgereicht, um den Betroffenen davon
abzuhalten, in wenigen Minuten wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren. Bei einem Halstuch handelt es sich zudem um einen Gegenstand, der unschwer sofort wieder beschafft werden könnte. Davon, dass der Betroffene
allein durch die Identitätsfeststellung und Beschuldigtenvernehmung so beeindruckt war, um von der erneuten Begehung einer Straftat abgehalten zu sein, brauchte aus Rechtsgründen nicht ausgegangen zu werden. Die gegenteilige
Annahme wird vielmehr durch die Tatsache gestützt, dass der Betroffene erst wenige Monate zuvor wegen einer ähnlichen Handlung aufgefallen war und selbst durch das damalige Ermittlungsverfahren nicht davon abzuhalten war,
sich erneut zu vermummen.
Die vom Tatrichter bestätigte Prognose der Polizei ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
b) Der Gewahrsam des Betroffenen war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (vgl. Art. 104 Abs.
2 GG , Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG), rechtswidrig.
Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine
nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste.
Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in diesem Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (z.B. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ). Diese Verpflichtung wird in Art. 18 Abs. 1 Satz 1
PAG für die polizeiliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.
Das Merkmal der ‚Unverzüglichkeit' i.S. des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden
muss (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ; OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges,
Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen,
kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die
unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfG aaO.).
Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn die polizeiliche Prognose ergibt, dass eine richterliche
Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung
führen (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540 m.w.N.). Demgemäß sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 2 PAG, verfassungsrechtlich bedenkenfrei, eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn eine richterliche Entscheidung
voraussichtlich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.
Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der
Ingewahrsamnahme gegen 15.15 Uhr stand bereits fest, dass der Betroffene gegen 18.00 Uhr, nämlich nach Beendigung der abgehaltenen Demonstration, entlassen würde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeibehörden davon
ausgingen, innerhalb dieser Zeit werde eine richterliche Entscheidung nicht herbeizuführen sein. Die richterliche Entscheidung darf nur aufgrund konkreter nachgeprüfter Tatsachen ergehen. Dabei darf der Richter sich nicht allein auf
das Vorbringen der Polizei stützen. Er hat vielmehr nach Art. 104 Abs. 2 GG selbst über die Zulässigkeit einer weiteren Freiheitsentziehung zu entscheiden und die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen
(BVerfG NVwZ 2006, 579 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] /580; Senat vom 28.10.2005, 34 Wx 125/05 Rn. 12 zitiert nach [...]). Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass die Polizei dem Richter mehr als nur einen kurzen
Aktenvermerk vorlegt. Vielmehr benötigt der Richter wenigstens neben einer Sachverhaltsschilderung auch ggfs. schriftliche Zeugenaussagen sowie eine mündliche Anhörung des Betroffenen und eventuell auch der Zeugen. Zur
Erstellung einer derartigen Akte bis zur Einschaltung des Richters muss der Polizei eine gewisse Zeit zugestanden werden; tagsüber reicht eine Zeit von zwei bis drei Stunden im Allgemeinen aus ( OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W
79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Da anschließend der Richter sowohl die Akten lesen und den Betroffenen persönlich anhören muss, um sodann eine schriftlich nachvollziehbar begründete Entscheidung zu treffen, ist der hier
gezogene Schluss, dass in weniger als drei Stunden eine richterliche Entscheidung nicht habe erwartet werden können, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene bereits gegen 13.45 Uhr aufgrund
strafprozessualer Befugnisse festgenommen wurde. Die Einschaltung eines Richters zu diesem Zeitpunkt war noch nicht erforderlich, da über die Gewahrsamnahme erst nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und
der dabei gewonnenen Erkenntnisse entschieden wurde.
c) Die Ingewahrsamnahme wurde auch nicht durch die Art und Weise ihres Vollzugs dem Grunde nach rechtswidrig. Der Betroffene trägt dazu vor, dass er in der Zelle wegen (zur polizeilichen Eigensicherung erfolgter) Wegnahme
von Pullover und Stiefeln gefroren habe. Zwar kann die Art und Weise der Ingewahrsamnahme, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände schwerwiegende Verstöße gegen verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte
vorliegen, dazu führen, dass die Maßnahme dem Grunde nach auch bei ursprünglicher Befugnis aus Art. 17 PAG rechtswidrig wird. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht der Fall. Dass gesundheitliche
Schäden gedroht hätten, wurde nicht einmal vorgetragen. Bloße Unbequemlichkeiten oder Beschwernisse stellen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme jedoch nicht in Frage ( BVerfG vom 13.12.2005, 2 BvR 447/05 = NVwZ
2006, 579/580).
d) Schließlich beruhen die nach § 12 FGG ausreichenden Feststellungen des Tatrichters auch auf einer im Übrigen verfahrensfehlerfreien Grundlage.
Das Amtsgericht wie das Landgericht haben von einer mündlichen Anhörung des anwaltlich vertretenen Betroffenen, der sich umfassend zur Sach- und Rechtslage eingelassen hat, abgesehen. Eine weitergehende Sachaufklärung
versprach die mündliche Anhörung nicht. Zwar hat das - inzwischen aufgelöste - Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (BayObLG NVwZ 1990, 194/196; siehe auch Berner/Köhler PAG 19. Aufl. Art 18 Rn. 12; Schmidbauer
Art. 18 PAG Rn. 20; offen gelassen in BayVerfGH NJW 1992, 1499), dass auch bei der Nachprüfung einer vor gerichtlicher Entscheidung beendeten Freiheitsentziehung der Betroffene grundsätzlich in allen Tatsacheninstanzen
mündlich anzuhören ist, und dies mit § 13 Abs. 2, § 5 Abs. 1 FreihEntzG begründet. Jedoch verlangt § 5 Abs. 1 FreihEntzG zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung (BVerfG InfAuslR
1996, 198). Sinn der Vorschrift ist es u.a., dass sich der entscheidende Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen kann. Bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann
sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft aber im Allgemeinen nicht mehr verschaffen. Aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG lässt sich für die Anhörungspflicht
Entscheidendes nicht entnehmen. Insbesondere ist es nicht zwingend, dass wegen der Verweisung auf das Verfahren nach dem FreihEntzG über den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 FreihEntzG hinaus eine mündliche Anhörung
auch bei einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit grundsätzlich (Ausnahme: § 5 Abs. 2 FreihEntzG) unerlässlich wäre (ebenso OLG Celle FGPrax 2005, 48 [OLG Celle 25.10.2004 - 16 W 145/04] /49). Vielmehr
erschiene es unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich, eine Person, die gerade um ihre Rehabilitierung wegen einer Freiheitsentziehung kämpft, nur aus formalen Gründen, erneut einer Einschränkung ihrer Freiheitsrechte
durch richterliche Vorladung, ggf. mit der in § 5 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG verbundenen Sanktion, auszusetzen. Auch eine Parallelbetrachtung des Verwaltungsgerichtsverfahrens führt zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses nicht in
allen Fällen zwingend die mündlichen Anhörung eines Beteiligten erfordert (vgl. §§ 83 , 95 VwGO ). Zum anderen besteht kein grundrechtlich abgesicherter Anspruch auf eine mündliche Anhörung (vgl. BayVerfGH NVwZ 1991,
664/669). Art. 103 Abs. 1 GG begründet nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer gerichtlichen Entscheidung. Dieses kann auch schriftlich erfolgen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 152 m.w.N.).
Auch wenn danach eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 FreihEntzG im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nicht zwingend ist, so ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen, sei es in einer oder auch in beiden
Tatsacheninstanzen, nicht ausgeschlossen. Wegen § 12 FGG wird sie sogar im Allgemeinen unerlässlich sein. ..."
***
Zur Begriffsbestimmung des „als Schutzwaffe geeigneten Gegenstands". § 27 II VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffe geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige
Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Die Tat kann in einem solchen Fall nur durch Notwehr gerechtfertigt sein (OLG Hamm, Urteil vom 22.10.1997 - 2 Ss 735/97, NStZ-RR 1998, 87):
„... Der Angekl. befand sich unter Demonstranten, die am 16. 3. 1996 in der Innenstadt von D. an einer vom Polizeipräsidenten in D. verbotenen Demonstration kurdischer Volkszugehöriger für die Belange der Kurden in der Türkei
teilnahmen. Gegen 15.45 Uhr waren Gruppen von gewalttätigen Demonstranten auf dem W-Weg verteilt. Dabei wurde von einem Unbekannten ein ca. 3 kg schwerer Türgriff aus Messing auf den Polizeibeamten und Zeugen K
geworfen. Der Zeuge K beobachtete ferner, daß Demonstranten auf dem W-Weg Holzlatten ergriffen, die neben einem Container mit Bauabfällen lagen. Der Zeuge K, der sich anschließend über den W-Weg in östlicher Richtung
bewegte, sah mehrere zerstörte Schaufensterscheiben. Der Angekl. nahm eine Holzlatte mit einer Länge von mindestens einem halben bis einem Meter an sich und hielt sie eine Zeit lang in der Hand. Dann warf er sie weg.
Anschließend wurde er von Polizeibeamten festgenommen. Das AG verurteilte den Angekl. wegen unerlaubter Waffenführung bei einer öffentlichen Versammlung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6
Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das LG sprach ihn unter Aufhebung des Urteils frei. Die dagegen gerichtete Revision der StA hatte Erfolg. ...
II. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Freispruch des Angekl. nicht gerechtfertigt. Sein Verhalten erfüllt zumindest den Tatbestand des § 27 II Nr. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der bei
öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände mit sich führt, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von
Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Die von dem Angekl. nach den Urteilsfeststellungen mitgeführte Holzlatte ist sowohl ein i.S. von § 27 I 1 VersG zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeigneter Gegenstand
als auch ein als Schutzwaffe i.S. von § 27 II Nr. 1 VersG geeigneter Gegenstand. Als Schutzwaffen geeignete Gegenstände sind nämlich solche, deren Zweckbestimmung nicht, wie bei Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres
Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 17a VersG
Rdnr. 4). Hierzu gehören auch Holzlatten, die beispielsweise wie ein Schutzschild zur Abwehr eingesetzt werden können.
Für das Vorliegen einer Straftat gem. § 27 VersG kommt es mithin darauf an, mit welcher Zweckbestimmung der Angekl. die Holzlatte mitgeführt hat. In den Feststellungen des LG heißt es hierzu, daß der Angekl. die Holzlatte
zumindest zu dem Zweck mitgeführt hat, sich gegen die Polizeibeamten verteidigen zu können. Soweit es in den Urteilsgründen weiter heißt, es stehe nicht fest, daß der Angekl. die Latte mit der Zweckbestimmung mit sich führte,
Vollstreckungsmaßnahmen von Polizeibeamten abzuwehren, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß nicht festgestellt werden konnte, daß der Angekl. die Latte zur Abwehr rechtmäßiger
Vollstreckungsmaßnahmen mit sich führte. Die Erwägungen der Kammer zur mangelnden Tatbestandsmäßigkeit des Mitführens der Holzlatte aufgrund der vom Angekl. vorgebrachten rechtswidrigen Übergriffe der Polizeibeamten
halten einer rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Zu Unrecht hat das LG eine Strafbarkeit gem. § 27 II Nr. 1 VersG von der Rechtmäßigkeit der abzuwehrenden Vollstreckungsmaßnahmen abhängig gemacht. Zwar ist das
Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände verboten, wenn der Teilnehmer die Absicht hat, sie auch zum Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen zu verwenden (vgl. Wache, § 17a
VersG Rdnr. 4), auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen kommt es in diesem Zusammenhang jedoch nicht an. Da das Mitführen von Schutzwaffen selbst bereits grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verboten ist, zu
welchem Zweck sich die Versammlungsteilnehmer mit ihnen ausgerüstet haben (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 3), ist die zusätzliche Zweckbestimmung „Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen" bei (bloß) als Schutzwaffen
geeigneten Gegenständen nach Auffassung des Senats nur insoweit von Bedeutung, als damit die Straffreiheit des Mitführens zu anderweitigen Zwecken klargestellt wird.
Auf die Frage, ob der Angekl. - wie er sich eingelassen hat - rechtswidrige Übergriffe von Polizeibeamten beobachtet und infolge dieser Beobachtung die Holzlatte ergriffen hat - kommt es mithin nach den bisherigen Feststellungen
nicht an. § 27 II Nr. 1 VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Das Mitführen der
Holzlatte wäre danach lediglich dann gem. § 32 StGB gerechtfertigt gewesen, wenn dies zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich gewesen wäre. Feststellungen hierzu sind im angefochtenen Urteil jedoch
nicht getroffen worden. Dort heißt es lediglich, daß der Angekl. die Holzlatte eine Zeit lang in der Hand gehalten und dann weggeworfen habe. Gegen die Absicht des Angekl., die Holzlatte zur Abwehr eines gegenwärtigen,
rechtswidrigen Angriffs zu benutzen, spricht zudem die Einlassung des Angekl., er habe eine Holzlatte ergriffen und sei aus Angst vor den Polizeibeamten davongelaufen.
Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen mithin die Freisprechung des Angekl. nicht, das angefochtene Urteil war deshalb im Ganzen aufzuheben. Insoweit kann dahinstehen, ob die Ausführungen des LG zum Freispruch vom
Vorwurf einer in Tateinheit zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz stehenden Sachbeschädigung einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhalten. Die Frage, ob der Angekl. - sofern kein Notwehr- oder Nothilferecht gegeben
war - die Latte nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen mitgeführt hat, muß der Beweiswürdigung des Tatrichters aufgrund der erneuten Hauptverhandlung vorbehalten
bleiben. ..."
***
Es reicht aus, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Es bedarf nicht der
zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedenstörung geeignet ist. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG (KG, Urteil vom 20.09.1996 - (5) 1 Ss 207/93 (38/93), NStZ-RR 1997, 185).
Auf dem Wege zu einer öffentlichen Versammlung führt Waffen oder Schutzwaffen, wer sich von dem Ort, an dem sich diese bisher befunden haben, mit ihnen zielgerichtet auf den Versammlungsort zubewegt. Nicht erforderlich ist,
daß sich der Täter räumlich oder zeitlich unmittelbar zum Versammlungsort begibt (BayObLG, Entscheidung vom 10.05.1994 - 4 St RR 57/94, NStZ 1994, 497).
*** (LG, VG)
Das Gericht hält daran fest, dass zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Anhaltens einer sich fortbewegenden Versammlung (Aufzug) durch das Einziehen zweier Polizeiketten, um so von der Polizei als problematisch eingestufte
Personen zu separieren, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (Entgegen: VGH Kassel, Beschluss vom 24. Februar 2014, 8 F 263/14 u.a.). Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung ist
davon auszugehen, dass das Anhalten des Blockupy Aufzugs am 1. Juni 2013 als Minusmaßnahme zu einer Auflösung gerechtfertigt war (VG Frankfurt, Beschluss vom 10.03.2014 - 5 K 4350/13.F):
„... I. Der Antragsteller begehrt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine beabsichtigte Klage gegen das Land Hessen, mit der er gerichtlich festzustellen beantragt, dass
- die vollständige Umschließung des Teils der Versammlung ‚Blockupy Frankfurt - Widerstand im Herzen des Europäischen Krisenregimes - Internationale Demonstration', in dem er sich aufgehalten hat, am 1. Juni 2013 in Frankfurt
am Main,
- die Platzverweisung, welche die Polizei ihm gegenüber am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main ausgesprochen hat,
rechtswidrig gewesen seien.
Dem Gegner des beabsichtigen Klageverfahrens ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon das Polizeipräsidium Frankfurt am Main mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 Gebrauch gemacht hat.
II. Zwar liegen die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Prozesskostenhilfebewilligung vor, doch fehlt der beabsichtigten Klage bei der im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren allein möglichen
summarischen Betrachtung teilweise die hinreichende Erfolgsaussicht:
1. Soweit der Antrag die vollständige Umschließung des Demonstrationszugs betrifft, ist eine Prozesskostenhilfebewilligung abzulehnen. Dies folgt jedoch nicht bereits daraus, dass für diesen Teil des Streits nicht der
Verwaltungsrechtsweg offenstehe (a.) und eine Verweisung im Prozesskostenhilfeverfahren ausgeschlossen ist (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, Stand: April 2013, § 41 mit Vorbem. § 17 GVG, Rdnr. 20),
sondern aus der fehlenden hinreichenden Erfolgsaussicht (b.).
a. Entgegen der Sicht des möglichen Beklagten sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in den Verfahren 8 F 263/14 u.a. ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Insoweit gilt, was das Gericht in seinem
den Beteiligten bekannten Beschluss vom 11. Dezember 2013 - 5 K 2637/.F - (abrufbar über www.lareda.hessenrecht.hessen.de) ausgeführt hat. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof nimmt den durch die Videoaufzeichnungen und
das Verlaufsprotokoll belegten tatsächlichen Ablauf nicht hinreichend zur Kenntnis, sondern stützt sich lediglich auf dessen Interpretation im schriftsätzlichen Vorbringen des möglichen Beklagten, die von der Annahme getragen zu
sein scheint, eine Rechtfertigung des polizeilichen Vorgehens sei allein auf repressiver Grundlage möglich, und verkennt sowohl den Regelungsmechanismus von § 17a Abs. 2 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO wie den Umstand, dass
sich der Streit um den Schutz des durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Versammlungsrechts dreht:
Für die Frage der Rechtswegeröffnung genügt es in Fällen der rechtlichen Kumulation, wenn die den Rechtsweg begründende Norm - hier die des § 15 Abs. 3 des Versammlungsgesetzes - möglicherweise anwendbar ist (vgl. Ehlers,
a.a.O., § 41 mit § 17 GVG Rdnr. 34); alles Weitere ist eine Frage der konkreten Umstände (Ehlers, a.a.O., § 40 Rdnr. 217) und bedarf so der Klärung in der mündlichen Verhandlung, nicht einer Festlegung im Zwischenstreit über die
Rechtswegeröffnung. Sämtliche hier getroffenen polizeilichen Maßnahmen sind indes wenigstens doppelfunktional, könnten also ebenso auf eine präventive Ermächtigung gestützt werden, wodurch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet
ist. Der 8. Senat verkennt - möglicherweise im Hinblick auf die für das Versammlungsrecht bestehende Zuständigkeit des 2. Senats - die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, unter deren Prämisse der gesamte
Geschehensablauf am 1. Juni 2013 steht und die selbst in straf- und strafverfahrensrechtlicher Hinsicht zu beachten ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06
-, Rdnr. 18 ff.), sowie dass dessen Schranken zuvörderst verwaltungs-, nicht strafrechtlicher Natur sind.
b. b. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist insoweit jedoch nach § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO abzulehnen, denn die Umschließung war bei vorläufiger Betrachtung nach § 15 Abs. 3 des Versammlungsgesetzes als
Minusmaßnahme zu einer Auflösung (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. September 1981 - 1 C 88.77 -, BVerwGE 64, 55 <58> = juris Rdnr. 37) gerechtfertigt. Danach kann die zuständige Behörde sich zur Abwehr der von
einem Aufzug ausgehenden unmittelbaren Gefahren aller ihr nach geltendem Recht zur Abwehr unmittelbarer Gefahren zustehenden polizeilichen Befugnisse bedienen und im konkreten Fall das Mittel einsetzen, das sich angesichts
der konkreten Gefahrenlage als zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und angemessen erweist, auch um damit den Schutz des ungestörten Versammlungsablaufs für die übrigen Teilnehmer (vgl. Bundesverfassungsgericht,
Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - sub C III 3 b, BVerfGE 69, 315 <361> = juris Rdnr. 92) zu gewährleisten. Damit kommt sogar eine Gewahrsamnahme von störenden Teilen einer Versammlung in
Betracht.
Die vorliegenden Bildaufnahmen belegen, dass sich im Demonstrationszug zum Zeitpunkt des Einziehens der beiden Polizeiketten um 12.49 Uhr vor und hinter dem Lautsprecherwagen eine nach vorn und zu den Seiten, weniger nach
hinten, klar abgrenzbare Gruppe von Teilnehmern in ‚Schildkrötenformation' geordnet hatte, indem sie sich auch nach den Seiten mit Transparenten begrenzten, Schirme aufspannten und wenigstens teilweise vermummten sowie
Schutzbewaffnung annahmen. Damit verstieß ein Großteil dieser Versammlungsteilnehmer nicht nur gegen versammlungsbehördliche Auflagen, was eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 des Versammlungsgesetzes
darstellte, sondern auch gegen Strafandrohungen jedenfalls aus § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 des Versammlungsgesetzes. So ist auf der von dem möglichen Beklagten vorgelegten DVD Nr. 4, Datei Vts 08.1, gut zu erkennen, dass sich -
kurz vor der Umschließung - vor dem Lautsprecherwagen ein durch ein vorderes und mehrere seitliche, hohe Transparente abgegrenzter und so als geschlossene Formation auftretender Block gebildet hatte. Zunächst in dessen
vorderen Teil, später dann im gesamten, von der Umschließung betroffenen Bereich, hatten Versammlungsteilnehmer zahlreiche Regenschirme aufgespannt - ohne dass hierfür ein wetterbedingter Anlass bestand -, die eine Einsicht in
diese Gruppierung erschwerten, wenn nicht zum Teil unmöglich machte. In dieser Video-Datei ist ebenso deutlich - von oben gefilmt - zu erkennen, wie sich eine erhebliche Anzahl in der in diesem Block befindlichen Personen
vermummte, indem sie sich, bereits schwarz gekleidet, schwarze Masken zumindest über den größten Teil ihrer Gesichter zogen, des Weiteren, dass sich hinter dem Lautsprecherwagen eine erhebliche Anzahl in auffallender Weise
schwarz gekleideter Versammlungsteilnehmer befand, zum Teil ebenfalls seitlich klar abgegrenzt durch hohe Transparente. Auch dort hatten sich die Teilnehmer als Block formiert, erschienen teilweise vermummt und mit
Schutzbewaffnung versehen. In der ebenfalls auf der DVD Nr. 4 befindlichen Datei Vts 06.1 ist zu sehen, dass um 12.46 Uhr, also kurz vor der Umschließung, aus dem vorderen Block einzelne Pyrotechnik abgefeuert oder bei nicht
unerheblicher Rauchentwicklung zur Seite geschleudert wurde. Auch in der Videoaufzeichnung DVD Nr. 2, Datei 01.1, ist zunächst der durch die Transparente und Regenschirme praktisch nicht einsehbare, massiv und abgegrenzt
wirkende, vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block zu erkennen, ebenso das Abfeuern von Pyrotechnik hieraus. Ebenso ist bei einigen Versammlungsteilnehmern passive Bewaffnung (Schutzschilder, Plastikschutz) festzustellen
(gleich der Datei 01.2). Die Versammlungsteilnehmer in diesen Bereichen vermittelten den klaren Eindruck, dass sie sich von dem überwiegenden Teil der nachfolgenden Teilnehmer in der geschilderten Weise abgesondert hatten und
zugleich durch ihre Vermummung zielgerichtet bemüht waren, einer eigenen Identifikation entgegenzuwirken sowie ein Verbergen in der Anonymität der Masse zu erreichen. Darüber hinaus machte die durch Transparente und
Schutzschilder erreichte Geschlossenheit der Formation es für die Polizei faktisch unmöglich, ohne Eigengefährdung etwa mit Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten in diese Blöcke einzudringen, um aus der Menge heraus
begangene Straftaten zu verhindern oder durch Ergreifen von Straftätern die Begehung weiterer Straftaten zu unterbinden und so möglicherweise auf andere Art und Weise die vorhandene unmittelbare Gefahr zu beseitigen. Aufgrund
des dokumentierten äußeren Erscheinungsbildes dieser Formation drängt sich auf, dass aus ihr heraus im weiteren Streckenverlauf, der in die Nähe des derzeitigen Sitzes der Europäischen Zentralbank geführt hätte, nicht nur
versammlungsspezifische Straftaten begangen worden wären. Dass diesem Verhalten, das die Grenze zur Unfriedlichkeit zu überschreiten begann, seitens des Versammlungsleiters, insbesondere durch Ordner, entgegengewirkt worden
wäre, ist nicht ersichtlich. Ein polizeiliches Einschreiten zum Schutz der Versammlungsfreiheit derjenigen Personen, die sich räumlich vor dieser Gruppierung befanden, sowie der ganz überwiegenden Zahl der Teilnehmer des
Aufzugs, die sich hinter dieser Gruppierung befand, war bei vorläufiger Betrachtung somit geboten. Dabei erscheint das gewählte Mittel des Separierens dieser Gruppierung durch Einziehen zweier Polizeiketten auch dann vertretbar,
wenn berücksichtigt wird, dass es hierdurch zu einem Anhalten des Aufzugs kommen musste. Da die Dokumentation des weiteren Geschehens nichts dafür erkennen lässt, dass die separierte Gruppe ihr unfriedliches Verhalten - etwa
durch das Auflösen der ‚Schildkrötenformation', Ablegen von Vermummungen und Schutzbewaffnung - änderte, somit bei vorläufiger Beurteilung - nach dem allgemeinen polizeilichen Grundsatz ‚Prävention vor Repression' -
weiterhin von der Möglichkeit eines polizeilichen Ausschlusses nach § 19 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes auszugehen war, hing die Aufhebung dieser Separierung und Ermöglichung der weiteren Teilnahme der betroffenen
Personen am Aufzug davon ab, ob der polizeiliche Gesamteinsatzleiter mit dem Versammlungsleiter und dieser mit einem ‚Plenum' der Gruppierung sich auf Minusmaßnahmen zu einem Ausschluss verständigen konnten oder nicht.
Eine derartige Verständigung kam nicht zustande, so dass mit Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr der Ausschluss von der Versammlung verfügt wurde. Danach standen gegenüber den separierten
Personen wieder die Befugnisse des allgemeinen Polizeirechts zur Verfügung.
Der Antragsteller hat auch nicht aufgezeigt, dass er quasi als bloß Unbeteiligter zu den separierten Personen geraten sei - was im hinteren Bereich sowie bei vereinzelten Personen jenseits der seitlichen Transparente möglich erscheint
-, sich um ein Verlassen der Abgrenzung bemüht habe und ihm diese verwehrt worden sei. Er hat auf gerichtliche Nachfrage lediglich bekräftigt, sich im umschlossenen Bereich aufgehalten zu haben, ohne dies zu präzisieren. Bei
vorläufiger Betrachtung ist deshalb davon auszugehen, dass er entweder zu den aktiven Störern oder zumindest zu deren Unterstützern zählte, denn, wie oben ausgeführt, aus den vorgelegten Bild- und Tonaufnahmen ergibt sich mit
hinreichender Deutlichkeit, dass zumindest der weit überwiegende Teil der separierten Teilnehmer der Versammlung ein unfriedliches, zum Teil auch strafrechtlich relevantes Verhalten zeigte, aus dem eine unmittelbare Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit folgte. Dass der Antragsteller nach außen hin erkennbar deutlich gemacht hätte, sich von diesem Verhalten zu distanzieren, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
2. Soweit der Antrag die verfügte Platzverweisung betrifft, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Hier bedarf der Klärung, ob die Voraussetzungen eines Aufenthaltsverbots nach § 31 Abs. 3 HSOG vorgelegen haben oder, im Fall einer
möglichen Umdeutung in eine Platzverweisung nach § 31 Abs. 1 HSOG, ob die gesetzte Rechtsfolge des Verbots, sich im weitaus größten Teil der Frankfurter Innenstadt aufzuhalten, von der Eingriffsbefugnis, die insoweit lediglich
von einem ‚Ort' spricht und damit lokal begrenzter zu verstehen sein könnte, gedeckt ist. Der Antragsteller hat auch ungeachtet der zwischenzeitlich eingetretenen Unwirksamkeit dieser Regelung ein berechtigtes Interesse an der
Klärung, ob die Beschränkung der Freiheit seiner Person gerechtfertigt war. ..."
***
Zum Verbot des Tragens und Mitsichführens von sog. „Guy-Fawkes-Masken" bei einer Versammlung (VG Regensburg, Beschluss vom 10.02.2012 - RO 9 E 12.257):
„... Das Verfahren ist demnach einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
entscheiden. Der Billigkeit entsprach es, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, der Antragstellerseite brauchte daher keine weitere Frist für eine Stellungnahme zur zu treffenden Kostenentscheidung eingeräumt werden.
a) Dem liegt folgender bisheriger Sachstand zugrunde:
Der Antragsteller zu 2) hat bei der Antragsgegnerin für Samstag, 11. Februar 2012, eine Versammlung unter dem Motto ‚Stop Acta!' angemeldet. Als Versammlungsgegenstände wurden im Laufe des Verfahrens u.a. sog.
‚Guy-Fawkes-Masken' genannt.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigte die Antragsgegnerin den Eingang der Anzeige der geplanten Versammlung und traf verschiedene Festlegungen. Im Sachverhalt ist angemerkt, dass das Bayerische Staatsministerium des
Innern zur Problematik der ‚Guy-Fawkes-Masken' dahingehend Stellung genommen habe, dass die Masken unter das Vermummungsverbot fielen. Am Bescheidsende ist unter ‚Hinweise' angemerkt, dass auf das Vermummungsverbot
des Art. 16 Abs. 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) hingewiesen werde.
Mit am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag (Ziffer 1), im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, hinsichtlich der
von der Antragstellerin zu 1) organisierten Kundgebung am 11.02.2012 in Regensburg beginnend um 14.00 Uhr, eine Ausnahme von Artikel 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG dahingehend zuzulassen, dass auf der Kundgebung das
Mitsichführen und Tragen von Guy-Fawkes-Masken vor dem Gesicht erlaubt ist. Daneben wurden insgesamt vier weitere Anträge hilfsweise gestellt. Wegen der vorgetragenen Gründe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes Bezug genommen.
Hierzu gehört, teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit Telefax vom 10. Februar 2012 mit, dass sie die unter Ziffer 1 des Schriftsatzes der Antragsteller vom 10. Februar 2012 begehrte Ausnahme von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2
BayVersG zulasse.
b) Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat die Antragsgegnerin dem Begehren aus Gründen abgeholfen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Schon dies spricht nach Billigkeitsgesichtspunkten dafür, die Kosten des Verfahrens
ihr aufzuerlegen.
c) Ungeachtet dessen ist nach dem zugrunde zu legenden Streitstand davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin voraussichtlich unterlegen wäre und ihr auch deshalb die Kosten aufzuerlegen sind. Der Antrag wäre nämlich nicht nur
nach § 123 VwGO in Form einer Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig gewesen, sondern zumindest bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet. Es spricht nämlich einiges dafür, dass ein
Anordnungsanspruch hinsichtlich des Hauptantrags gegeben gewesen wäre.
Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hatte, hatte die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden. Im Laufe des Verfahrens war
von Veranstalterseite offenbar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass als Versammlungsgegenstände ‚Guy-Fawkes-Masken' geplant sind. Zwar müssen Masken nicht zwangsläufig vor dem Gesicht getragen werden, nach Art.
16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG ist aber bereits das Mitsichführen von Gegenständen verboten, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Bereits deshalb hätte für
die Antragsgegnerin Anlass bestanden, die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG von Amts wegen zu prüfen, ein Antragsvorbehalt ist im Gesetz nicht enthalten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz,
16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34).
Bei summarischer Prüfung wäre wohl auch davon auszugehen gewesen, dass die von Antragstellerseite vorgesehenen Masken beim Tragen vor dem Gesicht unter das Vermummungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG
fallen und daher nicht ohne Erteilung einer Ausnahme getragen werden dürfen. Danach ist es kraft Gesetzes verboten, an Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung
teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG fällt grundsätzlich ‚jedes Mittel, mit dem die Unkenntlichmachung oder das
Verbergen der Gesichtszüge erreicht wird. Dies kann durch Bemalen, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird durch Verkleidung oder Maskierung,
insbesondere durch Aufsetzen von Gesichtsmasken (…) erreicht' (so zu § 17a Abs. 2 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes des Bundes als vergleichbarer Regelung Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 17a VersG, Rn. 7, zitiert
nach BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2006, Az. 24 CS 06.314 <juris>). Die Vermummung ist gesetzlich grundsätzlich verboten, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten
erfahrungsgemäß durchaus in Zusammenhang stehen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) <juris> zu den Motiven des Bundesgesetzgebers für die vergleichbare Regelung in § 17a Abs. 2 Nr. 1
des Versammlungsgesetzes des Bundes, die auch für die entsprechende Regelung im BayVersG angenommen werden können). Die zuständige Behörde kann aber nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG Ausnahmen von diesen Verboten
zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu besorgen ist.
Die streitgegenständlichen Masken haben offenbar eine Größe, mit der der gesamte Gesichtsbereich verdeckt werden kann; die Masken sind damit zumindest im Falle des Tragens vor dem Gesicht geeignet, dieses so zu verhüllen, dass
eine Identifizierung des einzelnen Teilnehmers nicht mehr möglich ist. Neben dieser objektiven Eignung muss allerdings die Aufmachung den Umständen nach auch darauf gerichtet sein, die Identifizierung zu verhindern. Davon ist
bei den sog. ‚Guy-Fawkes-Masken' auszugehen, die offenbar zum Sinnbild der Anonymität als Deckmantel für revolutionäre Aktionen wurden und speziell bei der Anonymous-Bewegung gerade dazu dienen, die Forderung nach
Anonymität und entsprechender Bewegungsfreiheit im Internet symbolhaft auszudrücken. Mit den Masken soll daher bei der beabsichtigten Versammlung gerade auch eine Anonymität der Versammlungsteilnehmer hergestellt, mithin
eine Identifizierung verhindert werden. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7.
Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) <juris> m.w.Nachw.).
Wenn man davon ausgeht, dass das Tragen der ‚Guy-Fawkes-Masken' dem Vermummungsverbot unterfällt, so wäre die Versagung eines dann erforderlichen Dispenses angesichts der verfassungsrechtlichen Dimension nur unter sehr
engen Voraussetzungen zulässig gewesen; eine derartige Entscheidung muss die verfassungsrechtlichen Positionen der Antragsteller insbesondere in Bezug auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit in besonderer
Weise würdigen und mit den von der Antragsgegnerin zu vertretenden öffentlichen Sicherheitsbelangen miteinander und untereinander gerecht abwägen. Die Prognose, ob eine die Erteilung einer Ausnahme ausschließende
Gefährdung gegeben sein kann, ist auf hinreichend sichere Tatsachen zu stützen; fehlen solche Erkenntnisse, wird das Ermessen regelmäßig in Richtung auf Erteilung des Dispenses reduziert sein, hiervon abweichender
Ermessensgebrauch wäre nicht grundrechtsfreundlich (vgl. Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 <beck-online>). Die zuständige Behörde hat nach
Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34 immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hat.
Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen
vermitteln soll. Vorliegend mag zwar nicht auszuschließen sein, dass öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt werden, ein mehr als nur geringer Umfang war im maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht erkennbar. Eine hinreichend
belastbare, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose durch die Polizei, die auf eine andere Beurteilung hinführen würde, ist nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Polizei im Rahmen des Kooperationsgesprächs offenbar zu
erkennen gegeben, vorliegend keine sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen die Masken zu haben. Auch die Antragsgegnerin selbst hat offenbar anerkannt, dass die im die Versammlung tragenden Bündnis zusammengefassten
Organisationen und Gruppierungen vor Ort nicht durch Gewalt oder Ähnliches aufgefallen seien. Zwar ist zuzugeben, dass mit den Masken eine Identifizierung verhindert bzw. es zumindest erleichtert werden kann, das Gesicht
schnell zu verhüllen, und so womöglich Straftaten zu begehen, ohne identifiziert werden zu können; auf der anderen Seite könnte - wer es darauf anlegen wollte - auch ohne weiteres andere geeignete Gegenstände mit sich führen, um
dann sein Gesicht zu verhüllen; dabei ist es unerheblich, ob derartige Gegenstände zunächst verdeckt oder angesichts der im Versammlungszeitpunkt voraussichtlich herrschenden Temperaturen auch offen mitgeführt werden, Schals,
Mützen oder ähnliche wärmende Kleidungsstücke sind von der Versammlungsbehörde ja nicht verboten worden. Daher scheint es vorliegend angesichts der Gefahrenprognose für die konkrete Veranstaltung nicht gerechtfertigt
gewesen zu sein, das Kundgebungsmittel des Tragens und Mitsichführens von ‚Guy-Fawkes-Masken' verboten sein zu lassen. Dies hat die Antragsgegnerin offenbar inzwischen erkannt und dementsprechend tatsächlich noch
Ausnahmen von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zugelassen.
Zusammenfassend ist damit zumindest bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte (über die weiterhin gestellten Hilfsanträge wäre daher nicht mehr zu
entscheiden gewesen). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass dies freilich nicht bedeutet, dass diese Ausnahmen vorbehaltlos erteilt werden müssten. Vielmehr ist etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall zu denken, dass die
friedliche Qualität der Versammlung verloren geht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34), unabhängig davon, ob dies aus Gründen erfolgt, die im Tragen oder Mitsichführen der Masken
ihre Ursache haben, oder aus anderen Gründen.
Ein Anordnungsgrund bestand angesichts des für den 11. Februar 2012 geplanten Versammlungstermins ohne Weiteres. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre hier im Lichte des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden
Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ausnahmsweise zulässig gewesen, weil anderenfalls ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff). ..."
***
Nach Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes ist es erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll. Diese Absicht ist nicht nachzuweisen, wenn durch die Vermummung allein das
Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners verhindert werden soll, um späteren Repressalien zu entgehen (LG Hannover, Urteil vom 20.01.2009 - 62 c 69/08 zu VersG §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1 - mehrmaliges
Anhalten eines Demonstrationszuges gegen Neonazis - Kessel 6):
„... Am 19. 01. 2008 gegen 16.06 Uhr befand sich die Angekl. im Demonstrationszug gegen Neonazis in B. in der ...straße und in einer Entfernung von 20 bis 30 m vom Café Rock Averne. Letzteres ist bekannt als Treffpunkt von
Angehörigen der sog. rechten Szene. Als die Angekl. sich in Höhe des Cafés befand, wurde sie von dem Zeugen PK W. gefilmt, wie sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap mit der Aufschrift »Lonsdale« tragend und einen Schal
über ihren Mund gezogen dort stand und nach einer kürzeren Ansprache über den in wenigen Metern Entfernung vor ihr befindlichen Lautsprecherwagen an den Kameraleuten - immer noch vermummt - weiterzog.
Die Kammer konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. die Vermummung erst kurz bevor sie gefilmt wurde, angelegt hatte und diesem Hinweise auch über Lautsprecher
vorausgegangen waren, Demonstrationsteilnehmer würden von Mitgliedern der sog. rechten Szene aus dem Bereich des Cafés Rock Avenue heraus fotografiert und gefilmt. Die Kammer konnte des weiteren nicht mit einer für die
Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. mit dem Bedecken weiter Teile ihres Gesichts lediglich verhindern wollte, daß die Mitglieder der sog. rechten Szene und Gegner der Demonstration, an der sie
teilnahm, Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht anfertigen könnten, um diese dann zwecks weiterer Diffamierungen zu verwenden. Vielmehr erscheint die Möglichkeit als naheliegend, daß es ihr darum ging, zu verhindern, daß
Mitglieder der rechtsradikalen Szene in den Besitz von Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht gelangen und durch die Vermummung den Anreiz, sie zu fotografieren, vermindern wollte.
Während der Demonstration fotografierte ein älterer Herr mit Bart, der Gerüchten zufolge nach ebenfalls der rechten Szene angehörte, mit einer Kamera und zwei Beobachter der Demonstration mit Handys in den Demonstrationszug
hinein. Diese Fotografierenden befanden sich im Bereich des Cafés Rock Avenue. ...
IV. Von dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz war die Angekl. aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Es fehlt an der nach § 27 Abs. 2 Ziff. 2 Versammlungsgesetz
geforderten Absicht, die Feststellung der Identität zu verhindern. Zwar ist dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz nach nur allgemein gefordert, daß die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die
Feststellung der Identität zu verhindern. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes gem. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden
verhindert werden soll (so auch AG Rothenburg/Wümme in NSDZ 2006, 358, AG Tiergarten, Urteil v. 21. 04. 2005, Az. 256 Cs 81 Js 1217/04 (947/04), zitiert nach Juris). Diese Absicht ist der Angekl. gerade nicht nachzuweisen gewesen.
Die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz im o.g. Sinne ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend. Würde die Vorschrift nicht in dem genannten Sinne teleologisch reduziert werden, so würde die
Strafvorschrift de facto zu einer Bestrafung der Teilnahme an einer genehmigten Versammlung und damit einem Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG führen. Das systematische
Hineinfotografieren in Demonstrationszüge des jeweiligen politischen Gegners würde so nämlich dazu führen, daß im Falle nachfolgender Repressalien mit Hilfe dieser Fotos die Demonstrationsteilnehmer vor der Alternative stünden,
entweder Repressalien seitens der politischen Gegner hinzunehmen oder aber eine Bestrafung seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen Verstoßes gegen das sog. Vermummungsverbot. Die einzig noch verbleibende Alternative
bestünde in einem Verzicht auf Teilnahme an einer solchen Demonstration. Damit aber würde die Gefahr bestehen, daß politische Demonstrationen linker und rechter Gruppierungen auf Dauer de facto durch das systematische
Fotografieren in diese Demonstrationszüge hinein durch politische Gegner unterbunden würden, gegen das es - so lange der Gesetzgeber das Fotografieren von Demonstrationszügen und einzelner Demonstrationsteilnehmer während
der Demonstration sowie die Verwendung oder Weitergabe solcher Fotos nicht sanktioniert - keinen anderen Schutz als die Vermummung geben kann. Letztlich würde so die strafrechtliche Verfolgung von Vermummungen einzig mit
dem Ziel, das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners zu verhindern dazu führen, daß sich die Strafverfolgungsbehörden unwillentlich zum Werkzeug der jeweiligen politischen Gegner machen, deren Ziel das
Verhindern solcher Demonstrationen ist. ..."
***
Ein innerhalb des Mundes zu tragender Mundschutz (Beißschiene) ist weder eine Schutzwaffe noch ein Gegenstand, der als Schutzwaffe geeignet ist, im Sinne von §§ 17a I, 27 II Nr. 1 VersG (LG Cottbus, Beschluss vom 22.12.2006 -
24 jug Qs 61/06, NStZ-RR 2007, 282).
Der Begriff der Aufmachung in § 17a II Nr. 1 VersG enthält seiner Wortbedeutung nach das Element der Künstlichkeit i. S. einer inadäquaten Veränderung des gewöhnlichen Erscheinungsbilds. Nicht erfasst wird daher die bloße
identitätsverdeckende Wirkung eines den Umständen nach adäquaten Verhaltens, wie das Hochhalten eines großflächigen Transparents bei einer Demonstration (KG, Urteil vom 12.06.2002 - (5) 1 Ss 424/00 (6/01), NJW 2002, 3789).
*** (AG)
Zur Frage der Fortgeltung von Straftatbeständen aus dem Versammlungsgesetz des Bundes nach Inkrafttreten des Landesversammlungsgesetzes (LG Stendal, Beschluss vom 04.04.2014 - 503 Qs 1/14):
„... Die sofortige Beschwerde ist indes nicht begründet. Das Amtsgericht - Jugendrichterin - hat mit zutreffenden Erwägungen die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Das (im Folgenden als gegeben
unterstellte) Verhalten des Angeschuldigten ist nicht strafbar.
§ 15 Abs.1 u. Abs.2 des Landesversammlungsgesetzes (im Folgenden: VersammlG-LSA) bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei
Aufzügen oder auf dem Weg dorthin'. § 26 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-LSA stellt eine Missachtung dieses Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes unter Strafe.
Der Angeschuldigte hat sich nach diesen Vorschriften nicht strafbar gemacht, weil sein Verhalten in keinem Zusammenhang mit einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder dem Weg dorthin steht.
Der Begriff der Versammlung einschließlich des Aufzuges als besondere Form der Versammlung erfasst nur solche Zusammenkünfte, bei denen sich Menschen zur gemeinsamen Meinungsbetätigung treffen. Versammlungen sind
demnach Zusammenkünfte einer unbestimmten Anzahl von Personen zur Mitwirkung (z.B. Beratung, Aussprache, Kundgebung, Zustimmung) mit einem gemeinsamen Ziel (vgl. Maunz in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lief.23,
Oktober 1996, Art. 74 Rdnr.92). Vom Versammlungsbegriff nicht erfasst ist demgegenüber der Besuch kultureller oder unterhaltsamer Veranstaltungen, weil es hierbei nicht um eine Meinungsbetätigung zur Erreichung eines
gemeinsamen Zieles geht (vgl. Maunz, a.a.O. Rdnr.94). Indem der Angeschuldigte eine Sportveranstaltung besucht hat, hat er demnach nicht an einer Versammlung teilgenommen.
Der Angeschuldigte hat sich auch nicht nach § 27 Abs. 2 Ziff.1 u.Ziff.2 in Verbindung mit § 17 a Abs.1 u. Abs.2 des Versammlungsgesetzes des Bundes (im Folgenden: VersammlG-Bund) strafbar gemacht. § 17 a Abs.1 u. Abs.2
VersammlG-Bund bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder
auf dem Weg dorthin' (Hervorhebung durch die Kammer). § 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund stellt eine Missachtung dieses Verbotes unter Strafe. Mithin ist nach dem VersammlG-Bund, anders als nach dem
VersammlG-LSA, auch eine im Gesetz im Einzelnen beschriebene Bewaffnung beziehungsweise Vermummung bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel', wozu auch öffentliche Sportveranstaltungen wie
Fußballspiele zählen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil v. 11.04.2011 - 2 Ss 36/11; LG Dresden, Beschluss v. 28.02.2007 - 3 Qs 20/07; zitiert jeweils nach juris), oder auf dem Weg dorthin verboten und strafbar.
Das VersammlG-Bund gilt indes im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht - auch nicht teilweise - fort. Nachdem sich infolge einer Änderung des Grundgesetzes ab 01. September
2006 die konkurrierende Gesetzgebung nicht mehr auf das Versammlungsrecht erstreckt, galt gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 1 GG das VersammlG-Bund zunächst als Bundesrecht fort. Es konnte indes gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 2 GG
durch Landesrecht ersetzt werden. Von dieser Ersetzungsbefugnis hat der Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er das VersammlG-LSA vom 3. Dezember 2009 verabschiedet hat. Damit ist im Land Sachsen-Anhalt das
VersammlG-Bund in seiner Gesamtheit ersetzt worden.
Zwar ist, da Art. 125 a Abs.1 Satz 2 GG keine Anforderungen an den Umfang der Ersetzung fortgeltenden Bundesrechtes stellt, grundsätzlich auch eine partielle Ersetzung möglich. Bedingung in diesem Fall ist indes, dass die
verbleibende bundesrechtliche Regelung sinnvoll bleibt (vgl. Uhle in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lfg.46, März 2006, Art. 125a Rdnr.30). Das Bundesverfassungsgericht spricht im Rahmen der parallelen Fragestellung des
Art. 125a Abs.2 Satz 2 GG davon, dass es aufgrund der Ersetzungsbefugnis einem Land gestattet ist, die Materie, gegebenenfalls auch einen ‚abgrenzbaren Teilbereich', in eigener Verantwortung zu regeln (BVerfGE 111, 10, 30).
Selbst wenn der Landesgesetzgeber bei Erlass des VersammlG-LSA nur eine partielle Ersetzung des VersammlG-Bund und eine Fortgeltung des im VersammlG-Bund normierten strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel' gewollt hätte, bestünden Bedenken, ob es sich insoweit um einen abgrenzbaren Teilbereich handelt, insbesondere, ob die verbleibende
bundesrechtliche Regelung sinnvoll bliebe. Dies kann indes dahinstehen.
Denn jedenfalls hatte der Landesgesetzgeber bei Verabschiedung des VersammlG-LSA nicht den Willen, lediglich eine partielle Ersetzung des Bundesrechtes vorzunehmen. Er wollte vielmehr die gesamte im VersammlG-Bund
geregelte Materie durch ein eigenes, den Besonderheiten des Landes Sachsen-Anhalt angepasstes, Gesetz regeln.
Die Kammer hat die Plenarprotokolle und Ausschussprotokolle zum Gesetzgebungsvorgang des VersammlG-LSA eingesehen, um die Motive des Landesgesetzgebers bei der Formulierung des Gesetzes nachzuvollziehen. Ihnen ist zu
entnehmen, dass der erste Entwurf vom 02. Juni 2008 eines VersammlG-LSA (Drs. 5/1301) in § 1 die Fortgeltung des VersammlG-Bund (mit Ausnahme der §§ 15, 16 und 29a) als Landesrecht und in §§ 2 bis 6 weitere Regelungen
vorsah. Später wurde statt der ursprünglich vorgesehenen statischen Verweisung auf das VersammlG-Bund ein vollständig ausformuliertes Landesgesetz favorisiert, mit dem das VersammlG-Bund im Wesentlichen übernommen, in
einzelnen Punkten nachgebessert und um landesspezifische Regelungen ergänzt werden sollte. Nachdem im Verlauf der mehr als ein Jahr andauernden Beratungen mehrere Verfassungsrechtsexperten, kommunale Spitzenverbände und
der Landesbeauftragte für den Datenschutz angehört, Stellungnahmen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages eingeholt und der mitberatende Ausschuss für Recht und Verfassung beteiligt worden waren, lag dem
federführenden Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 schließlich ein überarbeiteter Gesetzentwurf zur Einzelberatung vor.
Dieser sah in § 15 Abs.1 ein wie folgt formuliertes Bewaffnungsverbot vor:
‚Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen
geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 15 Abs.2 sah der Entwurf ein Vermummungsverbot für ‚derartige Veranstaltungen' oder den Weg dorthin vor.
§ 26 Abs.2 Ziff.1 des Entwurfes war wie folgt formuliert:
‚Wer
1. entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als
Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt, (…) wird (…) bestraft.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 26 Abs.2 Ziff.2 stellte der Entwurf den Verstoß gegen das Vermummungsverbot des § 15 Abs.2 Ziff.1 bei ‚derartigen Veranstaltungen' oder dem Weg dorthin unter Strafe.
Die Formulierungen in § 15 Abs.1 u. Abs.2 und § 26 Abs.2 des Entwurfes entsprach genau derjenigen in § 17a Abs.1 u. Abs.2 und § 27 Abs.2 VersammlG-Bund. Im Verlauf der bis zum 16. September 2009 erfolgten Diskussionen,
Anhörungen und Beratungen war zu keinem Zeitpunkt erwogen worden, von dieser Formulierung abzuweichen.
Dem Innenausschuss lag in seiner Sitzung am 16. September 2009, in der der Gesetzentwurf beraten werden sollte, hierzu ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD vor, der hinsichtlich der hier in Rede
stehenden Vorschriften wie folgt lautet:
‚§ 15 Abs.1 wird wie folgt gefasst:
‚(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind,
Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.' (…)
§ 26 Abs.2 Nr.1 wird wie folgt gefasst:
‚1. entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt
sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich führt,''.
Eine Begründung für den Änderungsantrag, demzufolge das strafbewehrte Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' gelten sollte, lässt sich dem Protokoll der
Ausschusssitzung nicht entnehmen.
Der Innenausschuss nahm in seiner Sitzung vom 16. September 2009 den Änderungsantrag, soweit er sich auf §§ 15 und 26 VersammlG-LSA bezog, an und empfahl dem Landtag, den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung
anzunehmen, was der Landtag in seiner Sitzung vom 08. Oktober 2009 dann auch tat.
Aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens ergibt sich, dass gegen die konkrete Formulierung des sich auch auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes in §§ 15 und 26 des Entwurfes eines VersammlG-LSA, wie er dem Innenausschuss in seiner Sitzung vom 16. September 2009 zunächst vorlag, im Verlauf der vorangegangenen mehr als ein Jahr andauernden
Beratungen zu keinem Zeitpunkt verfassungsrechtliche oder sonstige Bedenken geäußert worden waren. Insbesondere wurde die Kompetenz des Landesgesetzgebers für die Normierung eines sich auch auf ‚sonstige öffentliche
Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes nicht in Frage gestellt. Die Befugnis des Landes für die Normierung eines derartigen Verbotes ergab sich unzweifelhaft zumindest aus
seiner Gesetzgebungskompetenz für das Gefahrenabwehrrecht. Da sich der Landesgesetzgeber aus rechtlichen Gründen nicht gehindert sah, ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter
freiem Himmel' zu normieren, hatte er bis zur Sitzung des Innenausschusses am 16. September 2009 auch nicht erwogen, insoweit von der im VersammlG-Bund enthaltenen Formulierung abzuweichen.
Die Gründe, die den Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 dazu bewogen haben, dem Änderungsantrag zuzustimmen und in dem Gesetzentwurf das Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht, wie ursprünglich
vorgesehen, auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' zu erstrecken, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Das Sitzungsprotokoll gibt hierüber keinen Aufschluss.
Dass jedenfalls nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insoweit nicht teilweise fortgelten sollte, sondern mit der Verabschiedung des VersammlG-LSA das VersammlG-Bund insgesamt ersetzt werden sollte,
lässt sich dem Gang der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes in der öffentlichen Sitzung des Landtages am 8. Oktober 2009 entnehmen. In deren Verlauf sprach der damalige Minister des Innern Hövelmann davon ‚das alte
Bundesgesetz (und nicht nur Teile davon, Anm. d. Kammer) in Landesgesetzen moderner zu gestalten'. Weiter führte er aus: ‚Vor uns liegt nunmehr der Entwurf eines Gesetzes, der zu einem vollständigen und eigenständigen
Landesversammlungsrecht führen soll. Mit diesem Entwurf sind nicht nur die redaktionellen Ungereimtheiten des noch (und damit künftig nicht mehr, auch nicht teilweise, Anm. d. Kammer) geltenden Bundesgesetzes bereinigt
worden. Es sind auch verfassungsrechtliche Mängel beseitigt und die hinsichtlich mehrerer Vorschriften angebrachten Präzisierungen und Korrekturen herbeigeführt worden. Zugleich sind im Vergleich zum bisherigen Bundesrecht
nicht nur einige verfassungsrechtlich gebotene Entschärfungen vorgesehen worden. …'. Der Abgeordnete BB fasste den Gang des Gesetzgebungsverfahrens wie folgt zusammen: ‚In den Ausschussberatungen haben wir uns den
Wunsch der Opposition zu eigen gemacht, ein Vollgesetz zu verabschieden. Diese Lösung hat den Vorzug, dass man nicht in zwei Gesetzen, einem des Bundes und einem des Landes, suchen muss, um alle die Versammlungen
betreffenden Gesetzesregelungen im Blick zu haben. … Wir haben darauf geachtet, von dem guten Bundesgesetz nicht unnötig abzuweichen, haben es dann in einzelnen Punkten eben doch getan.' Diese Äußerungen belegen
eindrucksvoll, dass nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insgesamt durch ein Landesgesetz ersetzt werden sollte. Aus keinem der Plenar- und Ausschussprotokolle ergeben sich Anhaltspunkte, dass der
Landesgesetzgeber nur eine partielle Ersetzung und damit verbundene teilweise Fortgeltung des VersammlG-Bund gewollt hätte. Im Gegenteil, den Worten des Abgeordneten SPD) ( BB zufolge sollte ein Nebeneinander von
Bundesgesetz und Landesgesetz gerade vermieden werden.
Im Ergebnis dessen gelten §§ 17a Abs.1 u. Abs.2, 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund, die ein strafbewehrtes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot auch für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel'
enthalten, im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht fort. Das Verhalten des Angeschuldigten ist mithin nicht strafbar. ..."
***
Wer als Teilnehmer einer Gegendemonstration unter freiem Himmel mit seiner Aufmachung die Anfertigung von Lichtbildern durch gewaltbereite Mitglieder der rechten Szene erschweren bzw. vereiteln will, verhindert damit nicht
die Feststellung seiner Identität durch die Strafverfolgungsbehörden (AG Rotenburg (Wümme), Urteil vom 12.07. 2005 - 7 Cs 523 Js 23546/04 (9/05), NStZ 2006, 358):
„... Mit Strafbefehl des AG ist dem Angekl. vorgeworfen worden, entgegen § 17a II Nr. 1 VersG an einer Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die
Feststellung der Identität zu verhindern, teilgenommen zu haben, indem er als Teilnehmer einer Demonstration gegen eine NPD-Kundgebung sich mittels eines dunklen Schals, den er über Mund und Nase gezogen hatte und einer bis
über die Augenbauen gezogenen Mütze derart vermummte, dass sein Gesicht nicht mehr erkennbar war. Der Angekl. wurde aus rechtlichen Gründen freigesprochen. ...
Während der Demonstration wurden von Demonstrationsteilnehmern der NPD, u.a. von J.R, mit Teleobjektiven und Digitalkameras in die Gegenkundgebung hinein Porträtaufnahmen von den Gegendemonstranten gefertigt. Bilder
von Gegendemonstranten gegen die rechte Szene werden auf Websites der rechten Szene veröffentlicht. Auf diesen Websites wird zum Teil ausdrücklich zur Ausübung von Gewalt gegen die von der rechten Szene porträtierten
Personen aufgerufen. Der Angekl. hat sich wie oben beschrieben mittels Schal und Mütze zeitweise vermummt, um seine Identität vor den Parteimitgliedern der NPD und Sympathisanten der rechten Szene geheim zu halten. Der
Angekl. ist lediglich auf dem Bild 3 vollständig vermummt. Wenn der Angekl. die Feststellung seiner Identität gegenüber den Einsatzkräften der Polizei hätte vereiteln wollen, hätte es nahegelegen, während der Anfertigung des
gesamten Videobandes dauerhaft vermummt aufzutreten, was nicht geschehen ist. Die Lichtbildaufnahmen durch die Polizei sind jedenfalls auch nicht im Geheimen vorgenommen worden und waren für den Angekl. auch ersichtlich.
Letztendlich bestand für den Angekl. auf Grund seiner friedlichen Teilnahme an der Gegendemonstration auch kein Grund, seine Identität vor den Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen.
Nach Auffassung des Gerichts ist deshalb der objektive Tatbestand des § 17a II Nr. 1 VersG nicht erfüllt. Zweck dieser Vorschrift ist die Verhinderung der Feststellung der Identität durch die Strafverfolgungsbehörden (vgl. dazu AG
Tiergarten (256 Cs 947/04). Solange ein Angekl. jedoch mit seiner Aufmachung die Anfertigung von Lichtbildern von gewaltbereiten Mitgliedern der rechten Szene erschweren bzw. vereiteln will, liegt damit eine Verhinderung der
Feststellung der Identität durch die Strafverfolgungsbehörden nicht vor und war subjektiv vom Angekl. auch nicht beabsichtigt. ..."
§ 18
(1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.
(2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen.
(3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.
Leitsätze/Entscheidungen:
Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, die Personalien der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die auf Anforderung der Polizei oder der Versammlungsbehörde
vorzulegen ist, kann grundsätzlich unter den engen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) begründet werden (hier verneint). Die Anordnung, mit der der Versammlungsleiter und
die Ordner verpflichtet werden, die Polizei über versammlungsrechtliche und strafrechtliche Verstöße zu informieren, die von dem Versammlungsleiter oder den Ordnern nicht unterbunden werden können, ist rechtswidrig (VGH
Ba-Wü, Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10).
***
Ein Versammlungsausschluss muss bestimmt und unmissverständlich ausgesprochen werden. Er kann nicht konkludent erfolgen und nicht mit nach außen wirkenden Ordnungsverstößen von Versammlungsteilnehmern begründet
werden, die inhaltlich mit dem Zweck der Versammlung übereinstimmen. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit steht nicht im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG,
sondern stellt eine ergänzende Verstärkung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einer Veranstaltung dar. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht objektiv, sondern unter Zugrundelegung eines weiten Kunstbegriffs aus der
Sicht der "Kunstszene" einschließlich des Künstlers selbst zu bestimmen und erfasst auch politisches Straßentheater. Der Begriff "Theateraufführung" in der Ausnahmevorschrift des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WaffG lässt im Wege
verfassungskonformer Auslegung das öffentliche Führen sog. Anscheinswaffen zu, wenn sie nach den Gesamtumständen ersichtlich zweckentfremdet als Hilfsmittel einer szenischen Darstellung verwendet werden (HessVGH, Urtei
vom 17.03.2011 - 8 A 1188/10 zu Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 8 GG, § 15 VersG, § 18 VersG, § 12 VersG u.a.).
***
Ein Ausschluss von der Versammlung liegt erst dann vor, wenn die zuständige Behörde dem einzelnen Versammlungsteilnehmer klar und unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr auf die Versammlungsfreiheit
berufen kann und sich aus der Versammlung zu entfernen hat. Die für das Vorliegen einer Störung nach § 18 III VersG erforderliche schwere Beeinträchtigung des Verlaufs der Versammlung liegt dann nicht vor, wenn das "störende"
Verhalten Kern der Versammlung ist und in Übereinstimmung mit dem Zweck der Versammlung steht (OVG Schleswig, Urteil vom 14.02.2006 - 4 LB 10/05, NordÖR 2006, 166).
***
„... Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, wonach vorläufiger Rechtsschutz nicht gegen die Anordnung des Sofortvollzugs zur Benennung der Ordner bis zum 02.04.2002, 12.00 Uhr gewährt
werde, ist dagegen begründet. Hinzuweisen ist darauf, dass nach § 18 Abs. 2 VersG die Verwendung von Ordnern für Versammlungen unter freiem Himmel der polizeilichen Genehmigung bedarf, die bei der Anmeldung zu
beantragen ist. Aus dieser Regelung, die nach § 19 Abs. 1 VersG auch auf Aufzüge entsprechend anzuwenden ist, folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Polizei auch die Zuverlässigkeit der Ordner überprüfen
kann (a.A.: Ridder/ Breitbach/ Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18 RdNr. 13 m. w. N.). Der Senat hält es bei der gegebenen Sachlage für ausreichend, dass zum Zwecke dieser Überprüfung eine Benennung der Ordner unter
Angabe des Namens und Wohnanschrift durch den Antragsteller gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei vor Ort bis spätestens eine Stunde vor Beginn der Versammlung zu erfolgen hat. Dies dürfte ausreichend sein. ..." (OVG
Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 103/02)
***
Die Untersagung der Teilnahme von störenden Personen des eigenen Anhangs des Veranstalters an einer Versammlung unter freiem Himmel ist zulässig (VGH München, Beschluss vom 24.02.1995 - 21 CS 95.683, BayVerwBl 1995, 403).
Bei der Errichtung und dem Betrieb eines Informationsstandes, an dem politische Schriften verteilt und Passanten in Gespräche verwickelt werden sollen, handelt es sich nicht um eine Versammlung, weil eine solche Veranstaltung auf
Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen, nicht aber auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform abzielt. Aus der Stellung als Leiter einer öffentlichen Versammlung läßt sich nicht ohne
weiteres die Verantwortlichkeit für eine durchgeführte Sammlung herleiten (OLG Koblenz, Beschluß vom 29.06.1981 - 1 Ss 298/81, NStZ 1981, 484).
*** (VG)
Kein Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz zur Ermessensbetätigung von Polizeibehörden, um befürchtete Störungen einer Versammlung durch Versammlungsteilnehmer zu verhindern (VG Frankfurt, Beschluss vom
26.03.2013 - 5 L 1646/13.F):
„... I. Der Antragsteller hat für den bevorstehenden F einen „Ostermarsch" in H-Stadt angemeldet. Der Ostermarsch stehe unter dem Motto „I". Es sei eine Auftaktkundgebung mit anschließender Demonstration vorgesehen und es
würden bis zu 300 Teilnehmer erwartet. In den vergangenen Jahren hätten sich den Ostermärschen gegen den Willen der Anmelder immer wieder Gruppen von etwa … - … Personen angeschlossen, die aufgrund der von ihnen
mitgeführten Fahnen und Transparente der Jugendorganisation der J, den K (), zuzuordnen gewesen seien. Die in den vergangenen Jahren jeweils vor Ort eingesetzten Polizeibeamten hätten keine Maßnahmen gegen die Teilnahme der
Mitglieder der K an den Ostermärschen getroffen.
Es gehe dem Antragsteller darum zu verhindern, dass die Repräsentanten derjenigen Gruppierung, die beispielhaft für neofaschistische Politik stünden, an der von dem Antragsteller angemeldeten Demonstration selbst teilnähmen. Die
Versammlung würde sich ad absurdum führen, würde den Anhängern der K die Teilnahme ermöglicht.
Die für den diesjährigen Ostermarsch vorgesehene Einsatzleitung der Polizei habe bei einem Kooperationsgespräch erklärt, dass sie keine Maßnahmen ergreifen werde, solange die der K zuzurechnenden Teilnehmer nicht unfriedlich seien.
Der Antragsteller hat am 21.03.2013 den vorliegenden gerichtlichen Eilantrag gestellt. Der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, beim Auftauchen von Neonazis in
der Versammlung am ….03.2013 eine Ermessensentscheidung über den Ausschluss von Versammlungsteilnehmern nach § 18 Abs. 3 VersammlG zu treffen. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Nach Auffassung des Antragsgegners sei der Antrag nicht statthaft; er sei zu unbestimmt und es fehle an einem Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsgegenstand können nicht darin bestehen, dass eine Verpflichtung mit dem Inhalt
ergehe, dass der Antragsgegner bereits vor einer Versammlung verpflichtet werde, bestimmte öffentlich-rechtliche Befugnisse in einer gerichtlich vorgegebenen Art und Weise auszuüben. Die vorliegende Antragstellung ziele darauf
ab, dass das Gericht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ein Rechtsgutachten zu einem möglichen zukünftigen abstrakten Sachverhalt erstellen solle.
Der Antragsteller sei auch nicht antragsbefugt. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setze voraus, dass der Antragsteller geltend macht, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Demnach müsse der Antragsteller zumindest einen
Anordnungsanspruch schlüssig behaupten und damit ein Recht geltend machen, welches gerade ihm zustehen und welches verletzt sein könnte. Der Antragsteller stütze sich auf § 18 Abs. 3 VersammlG. Es handele sich um eine
Eingriffsgrundlage des Versammlungsrechts, die eine Minusmaßnahme gegenüber der Auflösung darstelle. Die Rechtsnorm enthalte jedoch kein subjektives Recht zugunsten eines Einzelnen in der Form, dass ein unbestimmter
Personenkreis bereits vor einer öffentlichen Versammlung von dieser fernzuhalten sei. Es handele sich allein um eine öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage, die der Polizei ein Einschreiten bei einer Versammlung ermögliche,
wenn Teilnehmer aus dieser Versammlung heraus diese gröblich störten. Dabei diene die Eingriffsgrundlage allein dem Schutz der Ordnung einer Versammlung unter freiem Himmel, nicht jedoch dem Individualschutz eines
Einzelnen. Weiterhin vermittle die Norm dem Antragsteller auch kein individuelles Recht, um die zukünftige Ausübung des Entschließungsermessens des Antragsgegners gerichtlich vorwegzunehmen oder den Antragsgegner
vorbeugend zu einer Ermessensausübung zu verpflichten.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bei dem nach § 52 Nr. 3 Satz 5 i.V.m. Satz 2 VwGO örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Frankfurt am Main muss erfolglos bleiben. Für den Antrag
besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.
Der Antragsteller stützt sein Begehren auf § 18 Abs. 3 VersammlG. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei Teilnehmer an Versammlungen unter freiem Himmel, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung
ausschließen. Und nach § 19 Abs. 4 VersammlG kann die Polizei Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von einem Aufzug ausschließen. Die Maßnahmen stehen im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei.
Es handelt sich vorliegend um einen vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzantrag. Konkrete Ermessenserwägungen in Bezug auf die angesprochenen Maßnahmen können erst dann angestellt werden, wenn eine Störung der
Veranstaltung zum angemeldeten Zeitpunkt erkennbar wird. Ziel des Antragstellers ist insoweit, eine Klärung der Ermessensbetätigung auf bislang ungesicherter, lediglich möglicher Tatsachengrundlage herbeizuführen. Damit wird
eigentlich eine gutachterliche Tätigkeit des Gerichts verlangt.
Denn allen vorliegenden Erkenntnissen vermag das Gericht keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass Sorge bestehen könnte, der Antragsgegner würde beim Auftreten einer Störung der Ordnung der angemeldeten Versammlung
und des nachfolgenden Aufzugs (des Demonstrationsmarschs) sein Ermessen nicht betätigen oder sich dabei nicht an den Vorgaben des § 40 HVwVfG ausrichten.
Der Antragsteller hat hierzu vorgetragen, in den vergangenen Jahren hätten jeweils zwischen … - … Personen an den Ostermärschen teilgenommen, die der Jugendorganisation der J zuzuordnen gewesen seien, und die Polizei hätte
keine Maßnahmen ergriffen. Gröbliche Störungen der Ordnung im Sinne von § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 4 VersammlG werden aus diesem Vortrag jedoch nicht erkennbar, und es bleibt außerdem unbekannt, ob eventuell einschlägige
Ermessenserwägungen von der Polizei angestellt worden waren.
Der Begriff der Ordnung i.S. von § 18 Abs. 3, § 19 Abs. 4 VersammlG stellt auf die innere und äußere Ordnung der Versammlung, also vor allem ihre Zielsetzung und ihren Ablauf, ab. Versammlungen sollen geordnet ablaufen, damit
sich alle Teilnehmer entfalten und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Versammlungsrechtes ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung erforderlich, um behördlich einschreiten zu können. Nur erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter erlauben einen so schwerwiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit wie den Ausschluss von Personen (siehe
auch: VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2010, Az 18 K 3033/09, juris).
Im Übrigen wird regelmäßig zu prüfen sein, ob beim Auftreten von Störungen der Versammlung anstelle eines Ausschlusses von Personen den Umständen entsprechend mildere Mittel zur Verfügung stehen. So würde zu erwägen sein,
ob Personen oder Personengruppen durch polizeiliche Verfügung aufgegeben werden kann, ausreichend Abstand zu den dem Antragsteller zuzurechnenden Versammlungsteilnehmern zu halten, mit der Folge, dass eine angemessene
Distanzierung erkennbar wird (BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004, 1 BvR 1726/01, juris).
Wie in dem von dem Antragsteller vorgelegten Protokoll eines Kooperationsgespräches festgehalten wird, beabsichtige die Polizei, um einen friedlichen Verlauf des bevorstehenden Ostermarsches zu gewährleisten, opponierende
Teilnehmer, wenn sie an der Versammlung teilnehmen, von den übrigen Teilnehmern soweit wie möglich und nötig zu trennen. Ziel der polizeilichen Maßnahmen sei die Gewährleistung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit
aller Teilnehmer, die Abwehr von Gefahren und die Verhinderung von Straftaten.
Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung deutlich gemacht, dass die Polizei bei der gesamten Veranstaltung, also bei der Versammlung und bei dem Aufzug, jederzeit die entstehenden Sachverhalte prüfen werde und bei der
Erfüllung entsprechender Tatbestandsmäßigkeiten von seinem Ermessen Gebrauch machen werde. Die Polizei treffe ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. Hierbei würden sowohl das Entschließungsermessen, d. h. die
Entscheidung über das „Ob" des Einschreitens als auch das Auswahlermessen, d. h. die Entscheidung über das geeignete Mittel unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und über die Störerauswahl ausgeübt. Die eingesetzten
Beamtinnen und Beamten würden jederzeit die sich aus dem Verlauf der Veranstaltung ergebende Sachverhalte auf etwaige Verstöße prüfen und dann unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens die gesetzlich vorgesehenen
Maßnahmen ergreifen.
Soweit der gestellte Antrag darauf gerichtet ist, den Antragsgegner zu verpflichten, (schon) „beim Auftauchen von Neonazis in der Versammlung" eine Ermessensentscheidung nach § 18 Abs. 3 VersammlG zu treffen, besteht auch
hierfür keine rechtliche Grundlage. Allein die bloße Anwesenheit von einer überschaubaren Zahl von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung stellt noch keine gröbliche Störung der Ordnung der Versammlung im Sinne des § 18 Abs.
3 VersammlG (und § 19 Abs. 4 VersammlG) dar, selbst wenn die angemeldete Veranstaltung gerade gegen rechtsextreme Gesinnung gerichtet ist.
Als gröbliche Störungen können ganz verschiedenartige Ereignisse in Betracht kommen, so etwa Sachbeschädigungen oder gar Landfriedensbruch, aber auch nach außen gerichtete Meinungskundgaben in beleidigender Form oder mit
verfassungsfeindlichem Inhalt. Die bloße Teilnahme unerwünschter Personen reicht hierfür aber nicht ohne weiteres aus (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O).
Der Antragsgegner hat im Einzelnen dargelegt, dass bei der vorgesehenen Veranstaltung jedenfalls nicht mit einer „Tatenlosigkeit" der Polizei zu rechnen sein wird. Soweit dies bis-her absehbar ist, bestehen insgesamt keine
Anhaltspunkte, dass die Polizei die ihr im Rahmen der Rechtsordnung übertragenen Aufgaben vernachlässigen wird. ..."
***
„... 1. Der - sinngemäß gestellte - Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin - 6 K 1459/12 - gegen Ziffer 5. des Auflagenbescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde E. vom 7. Mai 2012, mit der der
Antragstellerin für die Veranstaltung mit dem Thema ‚Freiheit statt Islam!' am 8. Mai 2012 in E. das ‚Zeigen der Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' untersagt worden ist, wiederherzustellen, hat Erfolg. Er ist zulässig
und begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Namentlich entspricht sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das
besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.
Erforderlich ist insoweit eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche
öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden, zurücktreten muss,
vgl. statt Vieler: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rdnr. 85.
Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner. Mit seiner Argumentation, die beschränkende Verfügung stelle sicher, dass die geplante Veranstaltung einen
störungsfreien Verlauf nehme und Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit auf ein Mindestmaß reduziert würden, und sie erfolge, um den Anspruch der Allgemeinheit auf Erhaltung der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten,
zeigt er nachvollziehbar die besondere Dringlichkeit des Sofortvollzugs des streitigen Auflagenbescheides zum Schutz der Teilnehmer an der Demonstration der Antragstellerin wie auch der Teilnehmer der Gegendemonstration auf.
Die Erwägungen des Antragsgegners lassen damit erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der
sofortigen Vollziehung kommt es demgegenüber nicht an. Vielmehr trifft das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte vorzunehmende eigene Entscheidung über die
Rechtfertigung des Sofortvollzugs,
vgl. Verwaltungsgericht (VG) Aachen, zuletzt Beschluss vom 3. Februar 2012 - 6 L 40/12 -.
Der Eilantrag ist gleichwohl begründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung insgesamt zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.
Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des
Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers
daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht auf das hohe Gewicht
der in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Versammlungsfreiheit den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu,
vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), u.a. Beschluss vom 14. Mai 1985 - l BvR 233, 341/81 -, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfGE) Band 69, 315.
Dementsprechend hat ein solcher Antrag Erfolg, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht bestehen kann oder wenn auch nicht
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Rechtmäßigkeit des Demonstrationsverbots ausgegangen werden kann.
Hiervon ausgehend ist der gestellte Eilantrag begründet, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners spricht.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder - hier relevant - von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot oder eine beschränkende Verfügung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von
Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den
Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und <juris>.
Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG genügt deshalb auch nicht eine abstrakte Gefahr. Die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der
Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf ‚erkennbaren Umständen' beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder
Vermutungen können nicht ausreichen.
Unter Zugrundelegung der dargelegten Maßstäbe ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 15 Abs. 1 VersG)
für den Fall, dass bei der angemeldeten Versammlung ‚die Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard' gezeigt wird, nicht glaubhaft belegt ist.
Der Antragsgegner begründet das mit der Auflage Nr. 5 verfügte Verbot, eine - nicht näher bezeichnete - Karikatur von Kurt Westergaard zu zeigen, zwar nicht ausdrücklich. Aus dem Sachzusammenhang, insbesondere der Weisung
im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) vom 7. Mai 2012 (Az. 402 - 57.02.01) sowie der unter dem gleichen Datum verfassten und an die Verwaltungsgerichtsbarkeit
NRW gerichteten ‚Schutzschrift' des IM NRW (gleiches Az.), folgt jedoch, dass das streitgegenständliche Verbot im Wesentlichen auf den Vorfällen anlässlich der Veranstaltungen der Antragstellerin in Solingen am 1. Mai 2012 und
insbesondere in Bonn am 5. Mai 2012 fußt. Bei diesen Veranstaltungen hatte das Zeigen der Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard zu gewalttätigen Reaktionen seitens der Gegendemonstranten geführt, in deren Verlauf
Steine geworfen und Polizisten attackiert wurden. Im Verlauf der Ausschreitungen in Bonn wurden durch Gewalttäter, die den Salafisten zugeordnet wurden, 29 Polizisten - zum Teil schwer - verletzt.
Damit hat der Antragsgegner zwar aufgezeigt, dass es im Verlauf der beiden genannten Veranstaltungen zu unmittelbaren Gefahren für erhebliche Rechtsgüter gekommen ist. Es fehlt aber an einem Nachweis, dass der Eintritt des
befürchteten Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit', auch für die konkrete Veranstaltung in E. zu erwarten ist.
Der Hinweis, die in Bonn von der Polizei festgenommenen 111 Salafisten stammten aus dem gesamten Bundesgebiet, was den Schluss darauf zulasse, dass ‚die auch jetzt noch andauernde Mobilisierung Salafisten bundesweit zur
Teilnahme an den heute und morgen stattfindenden Versammlungen bewegen' werde, ist erkennbar unkonkret und spekulativ. Der Antragsgegner hat keine Tatsachengrundlage aufgezeigt, die zumindest Anhaltspunkte dafür bieten
könnte, dass die gewaltbereite Salafisten-Szene etwa der ‚Tour' der Antragstellerin durch Nordrhein-Westfalen folgt und deswegen auch in E. mit einem Zusammentreffen und vergleichbaren Ausschreitungen wie in Bonn zu rechnen
sein könnte. Es fehlt auch an Indizien dafür, dass die vom IM NRW mehrfach zitierten ‚gegenwärtigen Aufrufe im Internet' gerade auch die Veranstaltung in E. betreffen; erwähnt wird hier allein die in Internetforen erfolgte
Aufforderung von mehr als 2.000 Personen, an der Abschlussveranstaltung am Nachmittag des 8. Mai 2012 in Köln teilzunehmen. Allein der Hinweis auf die räumliche und zeitliche Nähe der E1. Veranstaltung zu der in Köln ist
erkennbar unzureichend, eine unmittelbare Gefährdung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu belegen.
Gegen das tatsächliche Bestehen einer unmittelbaren Gefährdung spricht auch der Verlauf der zeitlich nach der gewalttätig verlaufenen Veranstaltung in Bonn durchgeführten Veranstaltungen in Bielefeld, Münster und Hagen. Für die
Veranstaltung in Münster wurde nach Kenntnis der Kammer kein Verbot, Mohammed-Karikaturen zu zeigen, verfügt. Derartige Verbote für die Veranstaltungen in Bielefeld und Hagen wurden durch die Verwaltungsgerichte Minden
und Arnsberg im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für rechtswidrig gehalten, weshalb den auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der eingereichten oder noch einzureichenden Klagen gerichteten Anträgen mit - den
Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bekannten - Beschlüssen vom 7. Mai 2012 stattgegeben wurde,
vgl. VG Minden, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 11 L 302/12 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 7. Mai 2012 - 3 L 336/12 -.
Obwohl damit davon ausgegangen werden kann, dass bei diesen Veranstaltungen die fraglichen Karikaturen gezeigt worden sind, ist es - möglicherweise auch zurückzuführen auf eine deutlich höhere Polizeipräsenz - nicht zu den
befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den auch in Bielefeld, Münster und Hagen vor Ort anwesenden Gegendemonstranten gekommen,
vgl. zu den insoweit im Internet aufrufbaren Presseberichten: (allgemein) http://www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html; Bielefeld:
http://www.westfalen-blatt.de/nachricht/2012-05-07-pro-nrw-demo-karrikaturen-duerfen-gezeigt-werden/613/c48d92873e 56a09a782644183e54a24e/; Münster: http://www.wn.de/Muenster/
Kundgebung-Pro-NRW-verlaeuft-friedlich-Ein-Dutzend-Rechtsex-tremer-demonstriert-vor-Hiltruper-Moschee; Hagen: http://www.lo-kalkompass.de/hagen/leute/pro-nrw-in-hagen-d164703.html; (alle abgerufen am 7. Mai 2012).
Auch bei der überwiegenden Mehrzahl der früheren Veranstaltungen seit Beginn der ‚Tour' durch NRW am 28. April 2012 ist es ausweislich der zur Gerichtsakte gelangten Pressemitteilungen der Polizei zu den Veranstaltungen in
Oberhausen, Herten und Hamm am 2. Mai 2012 und in Krefeld und Düsseldorf am 4. Mai 2012 nicht zu Ausschreitungen gekommen,
vgl. zu den Veranstaltungen von Pro NRW auch: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30. April 2012 - 5 B 546/12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2012 - 18 L 760/12 -;
VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 - 20 L 560/12 -.
Lediglich die Veranstaltungen in Solingen und Bonn bilden die - unrühmliche und traurige - Ausnahme. Dafür aber, dass die Rahmenbedingungen in E. mit den Umständen dieser beiden Veranstaltungen vergleichbar wären, fehlt es an
begründeten Anhaltspunkten. Insbesondere fehlt es an verlässlichen Indizien dafür, dass Anhänger der gewaltbereiten Salafisten-Szene überhaupt zu der Veranstaltung nach E. kommen werden. Auch die mögliche Annahme, dass
Salafisten, für die mit Blick auf die Veranstaltung in Köln ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden ist,
vgl. http://www1.wdr.de/themen/panorama/salafisten160.html (abgerufen am 7. Mai 2012),
die E1. Veranstaltung als ‚Ausweichveranstaltung' nutzen könnten, bleibt erkennbar spekulativ. Sollte es tatsächlich hierauf gerichtete Aufrufe im Internet oder über andere Medien geben, ist vielmehr davon auszugehen, dass dies den
Verfassungsschutzbehörden, die die Salafisten auch in Nordrhein-Westfalen überwachen,
vgl. Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2010, S. 216 - 219,
bekannt ist und im vorliegenden Verfahren dann auch vorgetragen worden wäre. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass es diese Erkenntnisse tatsächlich nicht gibt.
Letztlich fehlt es im angefochtenen Bescheid auch an einer Auseinandersetzung damit, ob die Polizei nicht in der Lage ist, mit ihren Mitteln Vorfälle, wie sie in Bonn geschehen sind, bei künftigen Veranstaltungen auszuschließen.
Zum einen dürfte die Polizei aufgrund der Vorfälle mit einer erhöhten Polizeistärke vor Ort sein. Zum anderen hat der Antragsgegner die Gefahr eines unmittelbaren Aufeinandertreffens der Antragstellerin mit Gegendemonstranten
durch eine Verlagerung des Kundgebungs-ortes und eine Vergrößerung des Abstandes zwischen beiden Gruppen zusätzlich entschärft. Auch diese Maßnahmen dürften dazu beitragen, dass das hier streitgegenständliche Zeigen der
Mohammed-Karikaturen nicht zu einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG führt. Sollte sich eine derartige Gefahr gleichwohl im Verlauf der Veranstaltung wider Erwarten ergeben, bleiben dem Antragsgegner die
sich aus dem Versammlungsgesetz ergebenden Eingriffsmöglichkeiten. Die angefochtene Auflage erweist sich hingegen als rechtswidrig. ..." ( VG Aachen, Beschluss vom 08.05.2012 - 6 L 220/12)
***
Die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls (hier: des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes) legitimiert nicht dessen Verletzung. Zur Frage, welche Art von Versammlung dem ernsten Charakter
des Karfreitags widerspricht (VG Gießen, Beschluss vom 05.04.2012 - 4 L 745/12.GI):
„... I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Untersagung der für Karfreitag, den 6. April 2012, angemeldeten Kundgebung ‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen'.
Am 16. März 2012 meldete der Antragsteller bei der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen eine Demonstration für den 6. April 2012, 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr, auf dem Kirchenplatz in Gießen an, die unter dem Motto
‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' stehen sollte, in den Medien aber auch unter den Mottos ‚Tanzen gegen das Tanz-Verbot', ‚Kommet und tanzet zuhauf' und ‚Kommt tanzend vorbei' angeführt wurde. Am 29. März 2012
fand ein Kooperationsgespräch statt, bei dem außer dem Kirchenplatz - auf dem sich außer einem Kirchturm nur noch die Silhouette einer im zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche findet - noch der Berliner Platz vor dem Rathaus sowie
die Fußgängerüberführung Seltersweg als Veranstaltungsort in Erwägung gezogen wurden. Nach internen Abstimmung(sschwierigkeit)en zwischen der Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen als örtlicher Ordnungsbehörde
und dem Regierungspräsidium Gießen als Bezirksordnungsbehörde übte das Regierungspräsidium Gießen sein Selbsteintrittsrecht aus und untersagte durch Verbotsverfügung vom 3. April 2012 die angemeldete Kundgebung ebenso
wie Ersatzveranstaltungen an anderen Orten in Gießen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung (Blatt 5 bis 13 d. A.).
Am 4. April 2012 hat der Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und vorsorglich am selben Tag beim Regierungspräsidium Gießen Widerspruch eingelegt. Das Regierungspräsidium Gießen verteidigt
seine Verbotsverfügung.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss erfolglos bleiben [A.], so dass die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zur Last fallen [B.] und wobei der Streitwert auf den gesetzlichen Auffangstreitwert
festzusetzen ist [C.].
A. Der Antrag, die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 3. April 2012 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
auszusetzen, ist zulässig [1.], aber unbegründet [2.].
1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als Rechtsbehelf, der den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO herbeizuführen geeignet ist, dem Antragsteller allein die Anfechtungsklage zur Verfügung steht, oder ob im Hinblick auf
den auslegungsfähigen Wortlaut des § 16a Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (HessAGVwGO) in der Fassung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381), geändert durch Gesetz vom
17. Oktober 2005 (GVBl. I S. 674) - FFN 212-5 -, derzufolge es dann, wenn das Regierungspräsidium einen Verwaltungsakt erlassen hat, eines Vorverfahrens nicht ‚bedarf', i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO auch der
kostengünstigere Widerspruch eröffnet ist, da von einer materiellen Erledigung der angegriffenen Verfügung während der Rechtsbehelfsfrist auszugehen ist und im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Begehrens offenbleiben kann, ob
die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs oder die einer noch zu erhebenden Klage wiederherzustellen sei. Da die Anmeldung aufrechterhalten bleibt, kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Internet
verbreitet hat, ‚die Demo am Karfreitag in Gießen (finde) nicht statt.'
2. Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung unter Ausrichtung an den - mangels anderer gesetzlicher Vorgaben hier entsprechend
heranzuziehenden - Kriterien des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 3. April 2012. Das Regierungspräsidium Gießen war sachlich und örtlich zuständig
[a.] und hat - bezogen auf das Begehren des Antragstellers - materiell zutreffend entschieden [b.]
a. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14) - FFN 310-63 - war das Regierungspräsidium Gießen als
Bezirksordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG ermächtigt, die Befugnisse der ihm unterstellten Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Gießen als örtlicher Ordnungsbehörde im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 HSOG auszuüben und damit selbst eine Anordnung zu treffen. Das Versammlungswesen fällt nach § 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und
zur Durchführung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12. Juni 2007 - FFN 310/105 - i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG in den Aufgabenbereich der allgemeinen Ordnungsbehörden. Auf Seite 3,
zweiter und letzter Absatz, der angegriffenen Verfügung hat das Regierungspräsidium Gießen nachvollziehbar die Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht den Selbsteintritt erforderten.
b. Der Ansicht des Regierungspräsidiums Gießen, der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes in der Fassung vom 29. Dezember 1971 (GVBl. I S. 343) - FFN 17-6 - stehe der geplanten Kundgebung
entgegen, ist zu folgen. Danach sind am Karfreitag von 0.00 Uhr an öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesem Feiertag entsprechenden ernsten Charakter tragen,
verboten. Diesem Verbot ist über die versammlungsrechtliche Ermächtigung des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978
(BGBl. I S. 1789) - FNA 2180-4 -, das in Hessen nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als Bundesrecht fortgilt, Geltung zu verschaffen, denn jede Veranstaltung - auch unter dem Privileg einer Versammlung -, die
diesem ernsten Charakter des Karfreitags nicht Rechnung trüge, stellte sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände so als Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Kundgebung ohne Zweifel
um eine Versammlung [(1)], doch ist sie - jedenfalls in der angemeldeten Form - nicht durchzuführen [(2)].
(1) Eine Kundgebung unter dem Motto ‚Gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen' ist auch dann eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie als Ausdrucksmittel Tanzelemente zu integrieren beabsichtigt, da die
Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung - und zwar hinsichtlich einer vom Antragsteller für geboten erachteten Novellierung des Hessischen Feiertagsgesetzes - gerichtet ist (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 <104>). Wegen dieser Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geht sie damit über eine
öffentliche Tanzveranstaltung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes hinaus, die mehr auf Tanzlustbarkeiten im Sinne von § 33b der Gewerbeordnung zielen dürfte, deren Abhaltung indes landesrechtlichen
Bestimmungen vorbehalten bleibt.
(2) Diese Versammlung unterfällt indes dem Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, nach dem für Versammlungen unter freiem Himmel das Versammlungsrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann.
In der angemeldeten Art und Weise verbleibt nur die Möglichkeit des Verbots [(a)], während Auflagen als milderes Mittel ausscheiden [(b)].
(a) Das Kundgabemittel des Tanzes als Ausdruck des Protests gegen den Normbefehl des § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes ist - jedenfalls in der beabsichtigten Form - mit dem gesetzlich normierten ernsten Charakter des
Karfreitags nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller die Motive des Gesetzgebers, die insbesondere den Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes tragen, offenbar nicht teilt. Denn
zum einen folgt aus dem Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und
Feiertage aus Art. 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383), der nach Art. 140 GG Bestandteil dieses Grundgesetzes ist, konkretisiert wird und demzufolge ‚der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage … als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt' bleiben (siehe auch Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 -, BVerfGE
125, 39 <84 ff.>; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 35.09 -, juris, Abs.-Nr. 16), zum anderen legitimiert die - politische - Forderung nach der Novellierung eines Normbefehls nicht dessen
Verletzung. Auch wenn dem Tanz gesellschaftlich verschiedene Funktionen zuzubilligen sind, überwiegt doch typischerweise eine ausgelassene, freudige Grundeinstellung und stellt der Antragsteller genau hierauf ab. Diese
Grundeinstellung ist typischerweise mit dem ernsten Charakter des Karfreitags, an den der Normbefehl des § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Feiertagsgesetzes anknüpft, nicht in Einklang zu bringen.
(b) Möglichkeiten, durch geeignete Auflagen nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes das kommunikative Anliegen des Antragstellers mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines jedenfalls nicht unerheblichen
Bevölkerungsanteils vor dem objektivrechtlich bestehenden staatlichen Schutzauftrag in praktische Konkordanz zu bringen, sind nicht erkennbar. Soweit eine Auflage des Inhalts, die Versammlung nicht am Karfreitag, dem 6. April
2012, sondern am Karsamstag, dem 7. April 2012, abzuhalten, in Erwägung zu ziehen ist (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, zu einer Versammlung an
dem durch Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl. I S. 17, eingeführten Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als einer Verwaltungs-, nicht Rechtsvorschrift), ist nichts dafür erkennbar,
dass dies dem auf Protest gegen das Hessische Feiertagsgesetz durch dessen Zuwiderhandlung gerichteten Anliegen des Antragstellers entsprechen könnte. Auch andere Auflagen, durch die die vom Antragsteller beabsichtigte
Kundgabe mit dem äußeren Erscheinungsbild des Karfreitags, wie es aus § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes folgt, in Einklang zu bringen sein könnte, sind nicht erkennbar: Der Normgeber will die Bevölkerung am Karfreitag nicht
mit einer Kundgabe wie der vom Antragsteller beabsichtigten konfrontieren. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Fortführung der vom Regierungspräsidium Gießen vertretenen Ansicht eine
‚Christopher-Street-Demonstration' in einem konservativen Dorf nicht erlaubt sei, geht fehl, da insoweit mangels einer dem § 8 des Hessischen Feiertagsgesetzes entsprechenden konkreten Normierung auf die in § 15 Abs. 1 des
Versammlungsgesetzes zwar auch angeführte ‚öffentliche Ordnung', mithin bloße Sozialnormen, abgestellt werden müsste, die freilich im Allgemeinen weder Verbote noch Auflösungen, sondern nur Auflagen zu rechtfertigen
vermöchte (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschl. des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 <353>). ..."
***
„... I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Auflage bezüglich einer in Berlin-Schöneweide geplanten Versammlung.
Unter dem 06.02.2012 meldete der Antragsteller über die Internetwache der Polizei eine Versammlung zum Thema ‚Gegen organisierte Nazi-Strukturen in Schöneweide' für den 02.03.2012, 18 Uhr an. Der Aufzug sollte
ausweislich der Anmeldung schließlich von Norden kommend über die E… durch die B… zum M… führen und dort mit einer Abschlusskundgebung enden.
Am 06.02.2012 wurde auf der Website http://www.antifa-berlin.info ein Aufruf zu der Versammlung unter der Überschrift ‚Antifa-Demo in Schöneweide' veröffentlicht, dessen Untertitel ‚'Was zuviel ist, ist zuviel' - 3 Jahre
Nazikneipe ‚Z…', sind 3 Jahre zuviel! Nazinetzwerke aufdecken und zerschlagen' lautete. In der in dem Aufruf verlinkten Langfassung finden sich unter anderem Ausführungen zu der Kneipe ‚Z…' in der B… und zu dem von
dem Landesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), S…, in der B… betriebenen Ladenlokal ‚H…' sowie zu Herrn S… selbst. Ein Hinweis auf seine private Wohnanschrift findet sich darin nicht. Auch in
den weiteren der Gerichtsakte und dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Mobilisierungsaufrufen ist eine Nennung der Privatanschrift von Herrn S… nicht vorzufinden. Die Mobilisierungsaufrufe enthalten auch keine
Bezugnahmen auf die private Wohnanschrift des Herrn S….
Unter dem 22.02.2012 wurde auf der Website http://de.indymedia.org ein Artikel unter der Überschrift ‚Schöneweide bei Nazis weiter hoch im Kurs' veröffentlicht, in dem unter anderem steht: ‚Hier wohnen maßgebliche Akteure
wie S… (unter seinem falschen Namen ‚M…' in der B…) und hier haben sie ihre Infrastruktur und Rückzugsräume.'
Am 29.02.2012 führte die Versammlungsbehörde telefonisch ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller. Dabei wurden ausweislich des in dem Verwaltungsvorgang befindlichen Vermerks unter anderem die ‚Reizobjekte, wie:
‚H…', H…, der G…, ‚H…' und die Wohnanschrift des Herrn S…' thematisiert. Der Antragsteller habe bekannt gegeben, dass ihm die Wohnanschrift des Herrn S… nicht persönlich bekannt gewesen sei.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 01.03.2012 bestätigte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung der Versammlung und erließ zu Ziff. 1 folgende Auflage: ‚Der Aufzug ist nach der E… nicht über die B…
sondern über die S… zum angemeldeten Abschlusskundgebungsort M… zu führen und dort zu beenden. Es wird untersagt, den Aufzug durch die B… zu führen.' Es wurde zudem festgelegt, dass auf dem
Schnittstellenbereich von E…- und S… eine Zwischenkundgebung mit dem Blick auf das Lokal ‚Z…' stattfinden solle. Zur Begründung führte die Versammlungsbehörde insbesondere an, dass der Antragsteller bereits Anmelder eines
Aufzuges am 08.07.2011 gewesen sei, der durch die B… geführt habe und bei dem es zu Flaschenwürfen und einem Landfriedensbruch gekommen sei. Für den jetzigen Aufzug würde auf verschiedenen Internetplattformen mobilisiert.
Durch die Veröffentlichung auf http://de.indymedia.org bestünde eine Kenntnis der Teilnehmer von dem Wohnort des Herrn S…. In dem auf http://www.antifa-berlin.info veröffentlichten Aufruf, der zwar nicht von dem Antragsteller
stamme, diesem aber zuzurechnen sei, werde zudem deutlich gemacht, dass die verantwortlichen Ladenbesitzer aus der Anonymität gezogen werden müssten. Aufgrund dessen sei eine direkte Einwirkung auf das unmittelbare private
Wohnumfeld des Herrn S… zu besorgen, die wegen dessen Recht auf Privatsphäre eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit erfordere. Die Auflage sei auch verhältnismäßig, da der Aufzug im Übrigen durchgeführt werden dürfe
und ein Sichtkontakt zu den in den Aufrufen thematisierten Objekten durch den Zwischen- und Abschlusskundgebungsort gewährleistet sei.
Mit Schreiben vom 01.03.2012 hat der Antragsteller Widerspruch gegen die Auflage zu Ziff. 1 beim Beklagten eingelegt.
Mit seinem am gleichen Tag bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Er trägt vor, die Gefahrenprognose des Antragsgegners entbehre einer tatsächlichen
Grundlage, da frühere Veranstaltungen, auch die Versammlung vom 08.07.2011, ohne größere Störungen verlaufen seien. Thema der jetzigen Versammlung seien zudem ausschließlich die Kneipe ‚Z…' und der Laden ‚H…', eine
Thematisierung von Herrn S… oder dessen Privatwohnung sei nicht beabsichtigt. Insofern sei die vorliegende Versammlung auch nicht mit Versammlungen vor dem Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters vergleichbar, da bei
jenen die Person und die Politik des Regierenden Bürgermeisters gerade Versammlungsgegenstand gewesen seien. Herr S… suche zudem auch in seinem Laden ‚H…' die Öffentlichkeit, weshalb er keines entsprechenden Schutzes
bedürfe. Eine Verlegung der Aufzugroute sei darüber hinaus unverhältnismäßig, da sie das zentrale Anliegen der Versammlung, nämlich den Protest gegen die ‚rechten Lokalitäten' in der B… verhindere.
Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 01.03.2012 gegen die Auflage zu Ziff. 1 des Bescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom selben Tag wiederherzustellen.
Der gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist begründet.
Im Rahmen der zur Prüfung des Begehrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt
das private Aus-setzungsinteresse. Die Interessenabwägung richtet sich dabei in erster Linie nach der in summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes, mithin den voraussichtlichen
Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Lediglich an einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt kann auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG ein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen.
Nach diesen Maßstäben bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Auflage. Eine Hauptsacheklage des Antragstellers wäre gemessen an dem Maßstab des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
voraussichtlich erfolgreich.
Zwar dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung angesichts der im Gefahrenabwehrrecht insofern herabgesetzten Anforderungen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss v. 24.01.2012 - 10 S 3175/11; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 10.06.2009 - OVG 1 S 97.09, jeweils zit. nach juris) noch im Einklang mit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO stehen. Die auf § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) basierende,
formell rechtmäßige Auflage erweist sich bei summarischer Prüfung aber als materiell rechtswidrig. Denn sie stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verbürgte Recht des Antragstellers
auf Versammlungsfreiheit dar.
Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985,
2395, 2396). Staatliche Eingriffe in dieses Recht müssen daher gerechtfertigt sein. Als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG fungiert insofern das VersammlG, insbesondere § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann eine
Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Insofern bestehen schon Zweifel, ob eine derartige Gefährdung der hier allein in Betracht kommenden öffentlichen Sicherheit hinreichend erkennbar ist.
Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 25.06.2008 - 6 C 21/07, NJW 2009, 98, 99).
Dies umfasst auch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Herrn S…. Wie die Kammer bereits in mehreren Verfahren entschieden hat (vgl. zuletzt VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2012 - VG
1 L 37.12 m.w.N.), gewährt Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen ‚Innenraum", in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt
hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63, zit. nach juris).
Nach diesen Maßstäben steht Herrn S… als Landesvorsitzendem der NPD zwar grundsätzlich der Schutz seiner Privatsphäre, d.h. insbesondere seines unmittelbaren privaten Wohnumfelds zu. Aus der Gerichtsakte und insbesondere
dem eingereichten Verwaltungsvorgang ist aber nicht mit der notwendigen Prognosesicherheit zu erkennen, dass es im Verlauf der Versammlung zu einer Verletzung dieses Rechtes kommen wird. Die darin enthaltenen
Mobilisierungsaufrufe enthalten keinerlei Bezugnahme auf die Privatwohnung von Herrn S…, sondern beziehen sich sämtlich auf das von ihm betriebene Geschäft ‚H…' und die Gaststätte ‚Z…'. Allein aus dem Umstand, dass sich
einer dem linken Spektrum zuzuordnenden Website die private Anschrift von Herrn S… entnehmen lässt, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Schluss abzuleiten, dass es auch zu einer Störung des Rechts auf Privatsphäre
kommen wird. Denn allen Versammlungsaufrufen ist die Fokussierung auf die Kneipe ‚Z…' und das Geschäft ‚H…' deutlich zu entnehmen.
Anders als bei Versammlungen, in denen - wie etwa im Verfahren VG 1 L 37.12 - die Ansprache der Person des öffentlichen Lebens ausdrücklich Zweck der Versammlung ist, geht es dem Antragsteller als Anmelder vorliegend
insbesondere darum, die Häufung von Gewerbebetrieben, die bestimmte politische Ansichten bedienen, auf der Versammlung zu thematisieren. Die mit einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Herrn S… einhergehende
Thematisierung seiner persönlichen Beteiligung daran wäre daher allenfalls ein Thema unter vielen. Hinzu kommt, dass vorliegend keine Zwischenkundgebung vor dem privaten Wohnhaus von Herrn S… geplant ist. Eine solche wäre
ebenso wie vergleichbare Aktionen während des Aufzugs nach Auffassung der Kammer auch nicht zulässig und rechtfertigte gegebenenfalls eine Auflösung der Versammlung. Der Aufzug soll sein Wohnhaus aber passieren, da es sich
- unter Umständen aus Zufall - in der gleichen Straße wie ‚Z…H…' und ‚H…' befindet und daher zwangsläufig auf der Aufzugsroute liegt.
Unter diesen Umständen muss die Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz der Grundrechte zugunsten der Versammlungsfreiheit ausfallen. Das durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsanliegen würde durch eine
Sperrung der gesamten B… zunichte gemacht. Denn anders als vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid dargestellt, ist die Kammer der Auffassung, dass ein hinreichender kommunikativer Kontakt jedenfalls zu dem Geschäft
‚H…' - anders als zu der Kneipe ‚Z…' - durch eine Zwischenkundgebung noch vor der Einmündung in die B… gerade nicht sichergestellt wäre.
Die Versammlungsfreiheit als kollektive Seite der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395, 2396) schützt aber auch das Interesse des
Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfG, Beschluss v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2167,
2169). Die Freihaltung der nach Auffassung des Antragstellers besonders von der ‚rechten Szene' besetzten B… stände zu diesen Maßstäben in deutlichem Gegensatz und wäre nur durch einen entsprechend schwerwiegenden Eingriff
in das Persönlichkeitsrecht von Herrn S... zu rechtfertigen. Ein solcher ist aus den vorgenannten Gründen aber nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten. ..." (VG Berlin, Beschluss vom 02.03.2012 - 1 L 49.12)
***
Einschließung von Versammlungsteilnehmern zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten (VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2010 - 18 K 3033/09 zu §§ 18 III, 19 IV VersammlG, Art 8 Abs 1 GG - Einschließung von
Versammlungsteilnehmern zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten und zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren - Kessel 7):
„... A. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ausweislich des polizeilichen Verlaufsberichtes erfolgte die
Einschließung der Versammlungsteilnehmer zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten und zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren (siehe Seite 18 oben des Verwaltungsvorgangs). Bei einer derartigen doppelfunktionalen
Maßnahme, die sich von ihrer Zielrichtung her sowohl dem Recht der präventiven Gefahrenabwehr als auch dem Gebiet der Strafverfolgung zuordnen lässt, kommt es für die Abgrenzung des Rechtswegs darauf an, auf welcher Seite
aus der Sicht des Betroffenen das Schwergewicht des polizeilichen Handelns lag.
Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 27. November 2008 - Au 5 K 08.547 -, <juris>.
Aus Sicht der Kläger handelte es sich bei der Einschließung in erster Linie um eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Maßnahme der Gefahrenabwehr. Denn der Beklagte bezeichnete die Einschließung gegenüber den
Versammlungsteilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage ausdrücklich als Ausschluss aus der Versammlung, also als Maßnahme auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes (vgl. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG). Die anschließend
getroffenen Folgemaßnahmen, für die ebenfalls sowohl gefahrenabwehrrechtliche als auch strafverfahrensrechtliche Befugnisnormen in Betracht kommen (vgl. etwa für die Identitätsfeststellung § 12 PolG NRW einerseits, § 163b
StPO andererseits), teilen schwerpunktmäßig die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Ausschlusses. Dieser war von vornherein auf die Ermöglichung weiterer polizeilicher Maßnahmen gerichtet. Auf Grund der übergreifenden
‚Klammer' des Art. 8 GG stehen die Folgemaßnahmen in einem derart engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Ausschluss, dass eine unterschiedliche Rechtswegzuordnung auf die künstliche
Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts hinausliefe. Dies bedeutet nicht, dass Befugnisnormen der StPO hier keine Rolle spielen. Hinsichtlich der strafverfahrensrechtlichen Komponente der angegriffenen Maßnahmen
greift vielmehr § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ein, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden - also auch rechtswegfremden - rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.
Ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) kombiniert mit - soweit Realakte in Streit stehen - einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft ist, oder ob es sich insgesamt um eine
allgemeine Feststellungsklage handelt, weil sich alle angegriffenen Maßnahmen bereits vor Klageerhebung erledigt hatten,
vgl. zur statthaften Klageart bei vorprozessual erledigtem Verwaltungsakt: BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, NVwZ 2000, 63 ff.,
kann dahinstehen. Denn die Zulässigkeitsvoraussetzungen beider Klagearten unterscheiden sich nicht. In jedem Fall ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse erforderlich, das bei den Klägern wegen ihrer Grundrechtsbetroffenheit
durch den Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Gestalt eines Rehabilitationsinteresses gegeben ist. Eine Klagefrist ist weder bei der allgemeinen
Feststellungsklage noch bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen vorprozessual erledigten Verwaltungsakt zu wahren.
Vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, a.a.O.
B. Die Klage ist auch begründet. Sämtliche streitgegenständliche Maßnahmen des Beklagten sind rechtswidrig.
I. Das gilt zunächst für die Einschließung. Diese stellt einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Kläger dar, der nicht durch eine gesetzliche Ermächtigungsnorm gedeckt ist.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes beschränkt werden (Abs. 2 der Vorschrift).
1. Das Verhalten der Kläger fiel in den Schutzbereich des Art. 8 GG. Die Kläger haben an einer Versammlung teilgenommen. Versammlung i.S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur
gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 f.
Dass diese Voraussetzungen hier vorlagen, ist nicht zweifelhaft. Zwar war die Versammlung entgegen § 14 VersG nicht angemeldet. Der Schutz des Art. 8 GG besteht aber unabhängig von einem Verstoß gegen die gesetzliche
Anmeldepflicht. Der Verstoß hat lediglich zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 3 VersG die Auflösung der Versammlung in Betracht kommt, nicht jedoch, dass es sich von vornherein um ein nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG
fallendes Verhalten handelt. Bis zu einer Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, a.a.O.
Allerdings ist die Teilnahme an einer Versammlung nur geschützt, wenn sie friedlich und ohne Waffen erfolgt. Insoweit ist bereits der Schutzbereich der Grundrechtsnorm zurückgenommen. Friedlich ist eine Versammlung, die keinen
gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten
stattfinden oder ein gewalttätiger Verlauf unmittelbar bevorsteht; eine Vermummung kann die Erwartung unfriedlichen Verhaltens stützen.
Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 8 GG Rz. 8 ff.
Bei der Beurteilung ist grundsätzlich auf den einzelnen Teilnehmer abzustellen, nicht auf die Versammlung insgesamt. Für die friedlichen Teilnehmer muss der Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn
einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Versammlung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten
diese es in der Hand, die Demonstration ‚umzufunktionieren' und gegen den Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - (Brokdorf), BVerfGE 69, 315 ff. (361).
Grundsätzlich muss daher gegen die störende Minderheit vorgegangen werden. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gegen die Versammlung als solche eingeschritten und durch
Auflösung auch den friedlichen Teilnehmern der Schutz des Art. 8 GG genommen werden.
Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, a.a.O., Rz. 10.
Ferner darf die Demonstrationsfreiheit nicht dadurch unterlaufen werden, dass an die Bejahung der Teilnahme an Gewaltakten zu geringe Anforderungen gestellt werden. Deshalb reicht es für die Annahme einer Mittäterschaft oder
Beihilfe an solchen Ausschreitungen nicht schon aus, dass der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit Gewalttätigkeiten einzelner oder
ganzer Gruppen rechnet und weiß, dass er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Für eine Teilnahme ist mehr erforderlich, nämlich die
Feststellung, dass Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie darauf ausgerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch Anfeuerung oder ostentatives
Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf ‚passiv' bleibende Sympathisanten wäre verfassungswidrig, weil sie das Gebrauchmachen von der Versammlungsfreiheit mit einem
unkalkulierbaren Risiko verbinden und so das Grundrecht faktisch unzulässig beschränken würde.
Vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. (zur zivilrechtlichen Haftung für Demonstrationsschäden).
Bezogen auf die Kläger folgt hieraus, dass ihre Teilnahme an der Versammlung nicht von vornherein wegen Unfriedlichkeit aus dem Schutzbereich des Art. 8 GG herausfiel. Zwar haben sich einzelne Versammlungsteilnehmer
(vom Beklagten als ‚polizeilich relevante Spitzengruppe' bezeichnet, vgl. den Verlaufsbericht, Seite 18 unten des Verw.vorgangs) gewalttätig verhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger über die bloße Anwesenheit
hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten, so dass ihnen deren Verhalten zuzurechnen wäre, sind aber
weder von dem Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Schlussvermerk des Verfahrens StA X, 50 Js 191/09 betreffend die Klägerin zu 1. heißt es, der Beschuldigten könne keine Tathandlung konkret zugeordnet werden
(Bl. 18 der Strafakte). Soweit sich in der Akte (Bl. 8) ein Foto der Klägerin mit vor das Gesicht gezogenem Schal befindet, handelt es sich offenbar um eines der Fotos, die von der Polizei unmittelbar nach dem Verlassen der
Einschließung zwecks Beweissicherung vor Verbringung der jeweiligen Person zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gemacht wurden; die Klägerin zu 1. dürfte dabei von dem Fotografen gebeten worden sein, den Schal vor das
Gesicht zu ziehen, um bei einem Abgleich mit aufgenommenem Videomaterial ihre eventuelle Täterschaft belegen zu können. Auch der Klägerin zu 2. ließ sich nach Auswertung des Beweismaterials keine Tathandlung konkret
zuordnen (siehe Bl. 19 der Strafakte 50 Js 151/09). Hinsichtlich des Klägers zu 3. heißt es im Schlussvermerk zu dem Verfahren 50 Js 7765/08, auf den gefertigten Videoaufnahmen sei er nicht zu identifizieren; es hätten sich auch
sonst keine konkreten Hinweise ergeben, dass er sich in irgendeiner Form aktiv an Aktionen aus dem Aufzug beteiligt habe; bei seiner Einlieferung seien keine beweisrelevanten Gegenstände gefunden worden (Bl. 21 der Strafakte).
2. Die Einschließung griff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Die Kläger wurden durch sie daran gehindert, weiter an der Versammlung teilzunehmen.
a) Dieser Eingriff ist nicht auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes gerechtfertigt.
aa) Gemäß § 15 Abs. 3 VersG kann eine Versammlung aufgelöst werden, und zwar (u.a.) dann, wenn sie - wie hier nicht angemeldet ist oder wenn die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind, etwa weil eine nicht anders
abwendbare unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (§ 15 Abs. 1 VersG). Eine solche gegen die gesamte Versammlung - also auch die friedlichen Teilnehmer - gerichtete Maßnahme hat der Beklagte
ausdrücklich nicht getroffen. Nach seinem eigenen Vorbringen wollte er von einer Auflösung absehen, um den friedlichen Teilnehmern die Fortführung des Aufzugs zu ermöglichen.
bb) Der Beklagte hat die Einschließung vielmehr auf §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4, 17a Abs. 3 VersG gestützt. Nach diesen Vorschriften kann die Polizei Teilnehmer an einer Versammlung unter freiem Himmel (§ 18 Abs. 3 VersG) und
Teilnehmer an einem Aufzug (§ 19 Abs. 4 VersG), welche die Ordnung gröblich stören, sowie Teilnehmer, die gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot des § 17a VersG verstoßen (§ 17a Abs. 4 Satz 2 VersG), von der
Veranstaltung ausschließen.
Die Einschließung der Kläger war jedoch von den o.g. Vorschriften nicht gedeckt. Diese waren hier weder von den tatbestandlichen Voraussetzungen noch von der Rechtsfolge her einschlägig:
(1) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger bei ihrer Teilnahme an der Versammlung gröblich die Ordnung störten oder gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot verstießen.
Der Begriff der Ordnung i.S. der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG stellt auf die innere und äußere Ordnung der Versammlung ab. Versammlungen sollen geordnet ablaufen, damit sich alle Teilnehmer entfalten und das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Versammlungsrechtes ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich. Nur erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter
erlauben einen so schwer wiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit wie den Ausschluss. Entgegen der Ansicht der Kläger sind dabei sowohl Aktionen innerhalb der Versammlung als auch das Verhalten der Teilnehmer nach
außen, z.B. gegen Nichtteilnehmer oder Sachen gerichtete Handlungen, in den Blick zu nehmen. Nach außen hin können z.B. Meinungskundgaben in beleidigender Form oder mit verfassungsfeindlichem Inhalt, Sachbeschädigungen
oder gar Landfriedensbruch unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sein. Adressat des Ausschlusses ist stets der konkrete Teilnehmer, der durch sein Verhalten die Ordnung gröblich stört.
Vgl. zu alledem Kay/Böcking, Versammlungsrecht, 1994, Rz. 266 ff.
Zwar kam es hier im Verlauf des Aufzuges zu nicht unerheblichen gewalttätigen Ausschreitungen, die wohl einen Ausschluss der jeweiligen Täter rechtfertigten. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass die gröbliche Störung der
Ordnung gerade (auch) von dem Verhalten der Kläger ausging. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese sich an den Übergriffen gegen Polizeibeamte etc. beteiligten, bestehen nicht; auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass sie gegen
die Verbote des § 17a Abs. 1 oder 2 VersG verstießen. Die Ausschreitungen anderer Versammlungsteilnehmer müssen sie sich nicht zurechnen lassen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür die bloße Teilnahme an der Versammlung nicht
ausreicht. Sonstige Gründe für eine Zurechnung, etwa wegen einer nach außen wahrnehmbaren Solidarisierung mit den Gewalttätern oder sonstiger Unterstützungsleistungen, sind nicht erkennbar und werden auch von dem Beklagten
nicht geltend gemacht.
(2) Als Rechtsfolge des Ausschlusses sieht das Gesetz vor, dass die betroffene Person die Versammlung sofort zu verlassen hat (vgl. §§ 18 Abs. 1, 11 Abs. 2 VersG). Damit stimmte die Zielrichtung der vom Beklagten
vorgenommenen Einschließung nicht überein. Der Beklagte wollte mit dieser Maßnahme nicht erreichen, dass die Kläger sich entfernten; im Gegenteil ging es ihm darum, sie am Ort festzuhalten, damit sie zwecks Aufnahme der
Personalien sowie Fertigung von Fotos zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gebracht werden konnten; dort sollten sie (bei freien Kapazitäten) erkennungsdienstlich behandelt und vernommen werden. Die Pflichten
ausgeschlossener Versammlungsteilnehmer stehen jedoch nicht zur Disposition der Polizei. Diese darf das Instrument des Ausschlusses sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - nur mit der vom Gesetz vorgegebenen
Zielrichtung (Verlassen der Versammlung), also zu versammlungsrechtlichen Zwecken anwenden, nicht jedoch in den Dienst der Strafverfolgung stellen. Ist - wie hier - letzteres der Fall, liegt eine Zweckentfremdung des Ausschlusses
vor. Der Beklagte bezeichnete die Einschließung nur verbal als Ausschluss; der Sache nach handelte es sich um eine Ingewahrsamnahme zwecks Durchführung weiterer polizeilicher Maßnahmen.
b) Mit einer Ermächtigungsnorm außerhalb des Versammlungsgesetzes, etwa nach allgemeinem Polizeirecht oder Strafprozessrecht, lässt sich der durch die Einschließung erfolgte Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ebenfalls
nicht rechtfertigen.
aa) Der Beklagte hat die Einschließung ausdrücklich als Ausschluss bezeichnet und sie als solche gegenüber den Teilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben. Daran muss er sich festhalten lassen. Ein Auswechseln
der Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht kommt bei Ermessensentscheidungen (um eine solche handelt es sich hier) nicht in Betracht.
bb) Abgesehen davon schließt das Versammlungsgesetz als lex specialis für versammlungsbezogene Eingriffe die subsidiäre Anwendung allgemeiner polizeirechtlicher Ermächtigungsnormen aus. In den durch Art. 8 GG ‚polizeifest'
geschützten Rechtsstatus der Versammlungsteilnehmer kann zum Zwecke der Gefahrenabwehr ausschließlich nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, DVBl 2001, 839 ff.; ferner VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.
cc) Ein repressives polizeiliches Tätigwerden gegenüber Teilnehmern an einer nicht aufgelösten Versammlung kommt mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und den rechtsstaatlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, <juris>, Rz. 23.
Dafür, dass ein solcher hier vorliegt, ist nichts ersichtlich. Ungeachtet dessen scheiden Vorschriften der StPO als Ermächtigungsgrundlage für die Einschließung jedoch auch deshalb aus, weil ihre rechtlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt sind. In Betracht kommen lediglich die Festhaltung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO) und die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO).
(1) Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist. Der
Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (Satz 2 der Vorschrift). Ein Verdacht im Sinne dieser Vorschrift besteht, wenn der Schluss auf
die Begehung einer Straftat gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die die Täterschaft als möglich erscheinen lassen.
Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 163b Rz. 4.
Solche Anhaltspunkte sind indessen nicht schon dann gegeben, wenn jemand an einer Versammlung teilnimmt, aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden. Auch insoweit kommt es
vielmehr auf den konkreten Versammlungsteilnehmer an; der Tatverdacht muss individuell bestehen. Auf die oben (unter I.1.) wiedergegebenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs
- Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. -
zur Mittäterschaft oder Beihilfe ‚passiv' bleibender Versammlungsteilnehmer wird verwiesen. Da sich Gewalttätigkeiten kaum jemals ganz ausschließen lassen, liefe sonst nahezu jeder Versammlungsteilnehmer Gefahr, allein wegen
des Gebrauchmachens vom Grundrecht des Art. 8 GG mit Strafverfolgungsmaßnahmen überzogen zu werden. Im Fall der Kläger lagen, wie dargelegt, im Zeitpunkt des Einschreitens keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie über ihre
bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten. Insbesondere gehörten sie nicht zu den 33 ‚qualifizierten'
Straftätern, die bereits während des Aufzugs individuell von der Polizei (wohl durch Videoüberwachung) in den Blick genommen worden waren und letztlich den Anlass für die Einschließung gegeben hatten.
Dass die Polizei im Zeitpunkt des Einschreitens selbst nicht jeden einzelnen im vorderen Bereich des Aufzugs aufhältigen und dann eingeschlossenen Teilnehmer für tatverdächtig hielt, geht in aller Deutlichkeit aus dem
Einsatztagebuch hervor. In dem Eintrag für 15.22 Uhr (Bl. 144 des Verw.vorgangs) heißt es:
‚Ein Zug der 9. BPH wird herangeführt, um den harten Kern (ca. 20 Personen) aus dem Aufzug herauszutrennen und zu separieren'.
Der Eintrag für 15.42 Uhr (Bl. 148 des Verw.vorgangs) lautet:
‚Die VT, die aus dem Aufzug separiert werden sollen, haben sich weiter in die Mitte begeben, da sie zuvor mit Pfefferspray bedacht worden waren. Es ist beabsichtigt, diese dort herauszutrennen, und die übrigen VT in den
ursprünglichen Aufzugsweg zu drängen, um ihnen nach wenigen Metern eine Alternativstrecke anzubieten.'
Demnach war ein Einschreiten nur gegen den harten Kern, bestehend aus ca. 20 Personen, beabsichtigt. Diese sollten von den anderen Versammlungsteilnehmern separiert werden. Aus welchem Grund die Polizei dann ihr Vorhaben
so nicht durchführte, sondern pauschal Zugriff auf 194 Personen (über die Hälfte aller Versammlungsteilnehmer) nahm, ist nach Aktenlage unklar. Auf eine kurzfristige Änderung des Lagebildes mit der Folge eines plötzlich
festgestellten individuellen Tatverdachts gegen jede einzelne im vorderen Bereich aufhältige Person dürfte die spontane Ausweitung der Maßnahme jedenfalls nicht zurückzuführen sein. Dagegen spricht zum einen der zuletzt zitierte
Eintrag in Einsatztagebuch, der die Situation unmittelbar vor Durchführung der Maßnahme wiedergibt, und zum anderen der polizeiliche Vermerk vom 3. August 2008, in dem auf Seite 3 (Bl. 66 der Gerichtsakte) ausgeführt ist:
‚Letztlich fand, noch bevor die Personen innerhalb des Demonstrationszuges getrennt werden konnten, teilweise eine Vermengung der einzelnen Gruppen statt, d.h. Personen, die zuvor noch in der 1. Reihe waren, gingen dann in den
hinteren Teil des Demonstrationszuges und umgekehrt'.
Angesichts dieser Vermischung hing es offensichtlich nicht von einem individuellen Tatverdacht, sondern mehr oder weniger vom Zufall ab, ob ein Versammlungsteilnehmer zu der eingeschlossenen Gruppe gehörte oder nicht. Nahe
liegend erscheint es daher, dass taktische Erwägungen und faktische Gegebenheiten - etwa die örtliche Möglichkeit eines ‚Einschnitts' in den Aufzug - zu der Ausweitung des polizeilichen Zugriffs führten, und dass sich die Maßnahme
anschließend zum ‚Selbstläufer' entwickelte.
(2) Allerdings kann gemäß § 163b Abs. 2 StPO auch eine solche Person zur Feststellung der Identität festgehalten werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist und nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Eine solche Maßnahme hat der Beklagte indessen nicht getroffen. Die Kläger wurden nicht als Zeugen festgehalten, sondern als potenzielle Beschuldigte. Nach dem Vorbringen des
Beklagten bestand gegen alle eingeschlossenen Personen der dringende Verdacht, Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs zu sein.
Vgl. den Bericht der Bereitschaftspolizei vom 3. Juni 2009 zur Fertigung der Klageerwiderung (Bl. 6 des Verw.vorgangs).
Demgemäß sind Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden.
(3) Die vorläufige Festnahme setzt gemäß § 127 Satz 1 StPO voraus, dass jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Wie sich aus obigen
Ausführungen ergibt, lagen auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitpunkt des Einschreitens nicht vor.
II. Die Folgemaßnahmen (weiteres Festhalten der Kläger innerhalb der Einschließung, Identitätsfeststellung, Fertigung von Fotos, Verbringung zum Polizeipräsidium, Festhalten in Bussen im Hof des Präsidiums, erneute Fertigung von
Fotos im Präsidium, weiteres Festhalten der Klägerin zu 2. im Präsidium) teilen die rechtliche Bewertung der Einschließung, sind also ebenfalls rechtswidrig. Sämtlichen Folgemaßnahmen stand entgegen, dass die Kläger als nicht
rechtmäßig ausgeschlossene Teilnehmer an einer Versammlung unter dem Schutz des Art. 8 GG standen und in strafprozessualer Hinsicht kein individueller Tatverdacht gegen sie bestand.
1. Gefahrenabwehrrechtlich gilt auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen die ‚Polizeifestigkeit' der Versammlungsfreiheit. Eine Aufspaltung dahingehend, dass die Einschließung als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG
rechtswidrig war, die zwar später getroffenen, aber an die Einschließung anknüpfenden, durch sie erst ermöglichten Maßnahmen dagegen nicht mehr an Art. 8 GG zu messen sind, würde der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht.
Die Versammlungsfreiheit schützt das freie Zusammenkommen, die eigentliche Versammlung und das freie Auseinandergehen der Teilnehmer gleichermaßen.
Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.
Ohne Gewährleistung des freien Zu- und Abgangs bestünde die Möglichkeit, die Ausübung des Freiheitsrechts systemwidrig mittels dafür nicht vorgesehener allgemeiner polizeirechtlicher Eingriffsermächtigungen zu beeinträchtigen
und faktisch auszuschließen. Wer damit rechnen muss, dass er nach seiner Teilnahme an einer nicht verbotenen und auch nicht aufgelösten Versammlung einer Identitätsfeststellung unterzogen, fotografiert und zum Polizeipräsidium
gebracht wird, dürfte es sich genau überlegen, ob er tatsächlich von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen will.
2. Einem repressiven Vorgehen auf Grundlage der StPO stand auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen das Fehlen eines individuell gegen die Kläger gerichteten Tatverdachts entgegen. Ob darüber hinaus das Verbringen zum
Polizeipräsidium und die dort folgenden Maßnahmen gegen das Übermaßverbot verstießen, nachdem bereits am Ort der Versammlung die Personalien der Kläger aufgenommen und Fotos gefertigt worden waren, kann nach alledem
aus sich beruhen. ..."
***
Nach der gegenwärtigen Rechtslage besteht in Hessen für das Verlangen der Versammlungsbehörde, der Versammlungsleiter möge ihr innerhalb einer bestimmten Frist personenbezogen Daten derjenigen, die als Ordner bestellt
werden sollen, mitteilen, keine Ermächtigung ( VG Gießen, Beschluss vom 30.07.2009 - 10 L 1583/09.GI zu §§ 15 I , 18 II, 9 VersammlG).
§ 19
(1) Der Leiter des Aufzuges hat für den ordnungsmäßigen Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18 gelten.
(2) Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.
(3) Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, so ist er verpflichtet, den Aufzug für beendet zu erklären.
(4) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsetzung eines Platzverweises im Wege der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers.
I. 1. Die NPD erhielt für den 7. Oktober 2000 eine Sondernutzungsgenehmigung, um einen Informationsstand am Karlsplatz in München in der Zeit von 9.00 bis 12.00 Uhr zu errichten. Der Beschwerdeführer befand sich an diesem
Vormittag gegen 9.15 Uhr auf dem Karlsplatz in einer Personengruppe. Die Polizei forderte ihn auf, den Platz zu verlassen, und wies ihn auf eine mögliche Ingewahrsamnahme hin. Er leistete der Aufforderung keine Folge. Um 9.20
Uhr wurde er bis 12.00 Uhr in Gewahrsam genommen.
2. Der Beschwerdeführer beantragte beim Amtsgericht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung.
Das Amtsgericht holte Stellungnahmen der beteiligten Polizeibeamten ein, in denen es hieß, der Beschwerdeführer sei PDS-Mitglied, in der Demonstrationsszene einschlägig polizeilich bekannt und der linksextremistischen Szene
zuzuordnen. Er habe sich eine Woche vor seiner Festnahme an einer Demonstration beteiligt und sich in einer Menschenmenge aufgehalten, die eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung der NPD verbal gestört habe. Nach
Beendigung der Versammlung hätten er und andere den Abmarsch der Versammlungsteilnehmer und die Abfahrt des Lautsprecherfahrzeugs der NPD verhindern wollen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu
erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer das Betreiben des Informationsstandes durch die NPD auf dem Karlsplatz habe verhindern oder stören wollen. Es habe die Gefahr der Begehung von Straftaten bestanden.
Durch Beschluss stellte das Amtsgericht fest, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) rechtmäßig gewesen sei. Sie sei erforderlich gewesen, um
die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits bei früheren Demonstrationen als
Störer aufgefallen sei, lege die Vermutung nahe, dass er auch im Rahmen der in Rede stehenden Veranstaltung versucht hätte, den planmäßigen Ablauf der Veranstaltung zu stören und in diesem Zusammenhang Straftaten zu begehen.
Der Beschwerdeführer sei trotz mehrfacher Aufforderung der Polizeibeamten dem Platzverweis nicht nachgekommen; seine Ingewahrsamnahme sei daher das einzige und zugleich mildeste Mittel gewesen, um eine Begehung von
Straftaten zu verhindern. Da der Gewahrsam nur bis 12.00 Uhr gedauert habe, sei die polizeiliche Maßnahme nicht unangemessen gewesen.
3. Die sofortige Beschwerde wies das Landgericht zurück und führte aus: Die beanstandete Maßnahme sei unerlässlich zur Durchsetzung der Platzverweisung gewesen (vgl. Art. 17 Abs. 2 Nr. 3 PAG), mit der eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung durch eine Ansammlung von Gegnern der NPD in Sichtweite des Informationsstandes habe abgewehrt werden sollen. Die Polizei treffe ihre Maßnahmen auf der Grundlage der jeweils gegebenen
Verhältnisse und Erkenntnismöglichkeiten nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei bei der Prüfung der "Unerlässlichkeit" der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung in
erhöhtem Maße zu beachten. Die Freiheit der Person stelle ein so hohes Rechtsgut dar, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden dürfe. Die Polizei habe zu Recht angenommen, dass die Ansammlung einer
Gruppe von vehementen Gegnern der NPD in Sichtweite von deren Informationsstand eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Der Beschwerdeführer habe bei seiner Anhörung vor dem Landgericht
selbst erklärt, er habe die Veranstaltung der NPD "nicht unwidersprochen vor sich gehen lassen" wollen. Ziel sei es gewesen, so viele Menschen wie möglich aufmerksam zu machen und den Platz zu füllen, um sich mit dieser
Menschenmenge dem Informationsstand zu nähern, während gleichzeitig Sprüche hätten skandiert werden sollen wie "Gebt den Faschisten keine Chance" und "Für das Verbot der NPD". Es sei daher das Ziel des Beschwerdeführers
gewesen, den Betrieb des Informationsstandes der NPD, die sich als nicht verbotene Partei auf Grundrechte berufen könne, zumindest verbal massiv zu stören und ihn nach Möglichkeit durch das Vorrücken einer größeren
Menschenmenge ganz zu verhindern.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 GG und trägt zur Begründung vor: Seine Ingewahrsamnahme sei verfassungswidrig gewesen. Die Teilnahme an einer spontanen
Versammlung gegen eine Veranstaltung der NPD sei nicht grundrechtwidrig. Das Aufstellen eines Informationsstands sei keine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG. Bei Abwägen der Umstände des Falles sei ein Eingriff in
das Recht der Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Ein Informationsstand sei nicht höher zu bewerten als eine spontane Gegenversammlung. Die Veranstalter des Informationsstands
seien nicht gehindert gewesen, ihr Propagandamaterial zu verteilen. Der Beschwerdeführer sei ohne ausreichende Gründe in polizeilichen Gewahrsam genommen worden. Die Begründung, es seien erhebliche Störungen gegen den
Informationsstand der NPD zu befürchten gewesen, sei nicht tragfähig. Zu keinem Zeitpunkt sei festgestellt worden, dass er eine Woche vorher eine Veranstaltung der NPD gestört habe. Es seien zwar an diesem Tag Demonstranten
aufgenommen worden, er aber nicht. Dass er an einer früheren Demonstration teilgenommen habe, innerhalb derer sich Störer befunden hätten, rechtfertige keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit.
Er habe durch ein Telefonat kurzfristig erfahren, dass die NPD an diesem Tag einen Informationsstand auf dem Karlsplatz habe aufstellen wollen. Er sei dorthin gegangen und habe dort eine Gruppe von fünf bis sieben Personen
vorgefunden. Kurz darauf sei er von einem Polizisten in Zivil angesprochen und befragt worden, weshalb er sich auf dem Platz aufhalte; er habe auf diese Frage nicht geantwortet. Nach wenigen Minuten sei er, ohne dass eine Gefahr
für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestanden habe, aufgefordert worden, den Platz zu verlassen. Diese Aufforderung sei gegenüber weiteren anwesenden Personen erklärt worden. Die Polizei habe angedroht, dass bei einer
Nichtbefolgung eine Ingewahrsamnahme erfolge. Er sei dann als Einziger in Gewahrsam genommen worden. ...
II. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz der Versammlungsfreiheit sind geklärt (vgl. BVerfGE 69,
315 <342 ff.>; 104, 92 <104>). Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Auch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf Versammlungsfreiheit
im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt.
1. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Art. 8 GG.
a) Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sich als Teilnehmer einer Versammlung auf den Schutz des Art. 8 GG berufen konnte.
aa) Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl.
BVerfGE 104, 92 <104>). Danach war das Zusammentreffen des Beschwerdeführers und weiterer Personen auf dem Karlsplatz eine Versammlung. Nach den gerichtlichen Feststellungen hielten sich der Beschwerdeführer und andere
Personen in Sichtweite des Informationsstandes der NPD auf. Sie hatten sich zusammengefunden, um gegen den Informationsstand der NPD auf dem Karlsplatz zu protestieren. Entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts
war daher nicht nur eine bloße Ansammlung von Personen gegeben.
bb) Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers nach Art. 8 Abs. 1 GG scheidet hier nicht schon wegen fehlender Friedlichkeit und Waffenlosigkeit der Versammlungsteilnehmer aus. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn
Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden (vgl. BVerfGE 104, 92 <105 f.>). Für einen unfriedlichen Verlauf der
Versammlung in diesem Sinn war vorliegend nichts ersichtlich.
cc) Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob die Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen.
Da das Landgericht die Anwendbarkeit des Art. 8 GG verkannt hat, ist nicht geprüft worden, ob die versammlungsrechtlichen Voraussetzungen der Durchführung einer Versammlung erfüllt waren. Insbesondere hat das Landgericht
nicht geklärt, ob die Versammlung als so genannte Spontanversammlung einzuordnen war. Versammlungsrechtliche Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG sind auf die Spontanversammlung nicht anwendbar,
soweit der mit der Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschrift nicht erreicht werden könnte (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; 85, 69 <74 f.>). Aber auch wenn die Versammlung nicht als
Spontanversammlung zu bewerten wäre, würde aus dem Verstoß gegen die Anmeldepflicht lediglich folgen, dass die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG in Betracht kam (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel,
Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Aufl., 2004, § 15 Rn. 68 m.w.N.). Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen der Behörde. Bis zu einer wirksamen Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.
b) Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt das Teilnahmerecht der Versammlungsteilnehmer. Erst nach Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem
Ausschluss des Teilnehmers aus der Versammlung kommt ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann.
aa) Art. 8 GG erlaubt Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel nur nach Maßgabe des Absatzes 2. Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich dementsprechend nach dem
Versammlungsgesetz (vgl. BVerwG, NVwZ 1988, S. 250; OVG Bremen, StV 1987, S. 115). Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des
Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Dementsprechend geht das Versammlungsgesetz als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerwGE 82, 34 <38>; VGH Mannheim, DVBl 1998, S. 837 <839>). Ein auf
allgemeines Polizeirecht - hier Art. 16 PAG - gegründeter Platzverweis scheidet deshalb aus, solange sich eine Person in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl.
Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz, 1999, Art. 16 PAG Rn. 32). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
bb) Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass der Schutz des Versammlungsrechts für den Beschwerdeführer ausschied. Auf Versammlungsrecht konnte weder eine Auflösung der Versammlung noch ein Ausschluss des
Beschwerdeführers gestützt werden.
(1) Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Verbot und Auflösung einer Versammlung stellen die intensivsten Eingriffe in das
Grundrecht dar (vgl. BVerfGE 87, 399 <409>). Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung, deren Nichtbefolgung nach § 26 VersG strafbewehrt ist, eindeutig und nicht missverständlich formuliert
ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist. Adressaten sind alle Versammlungsbeteiligten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rn. 58 f. m.w.N.). Das Landgericht hat nicht
festgestellt, dass eine Auflösungsverfügung ergangen ist. In der von ihm erwähnten Aufforderung an den Beschwerdeführer, den Platz zu verlassen, liegt keine Auflösung der Versammlung insgesamt.
(2) Auch ein Ausschluss des Beschwerdeführers war versammlungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
(a) Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 18 Rn.
32). Damit endet der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 18 Rn. 36). Ein Ausschluss von Teilnehmern an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ist insbesondere in § 18
Abs. 3 und § 19 Abs. 4 VersG vorgesehen, wenn sie die Ordnung der Versammlung gröblich stören.
(b) Die Ausschlussverfügung muss ebenso wie eine Auflösung hinreichend bestimmt sein. Dem Versammlungsteilnehmer muss unmissverständlich bedeutet werden, dass gerade er mit dem Ausschluss gemeint ist. Es kann
dahinstehen, ob die an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung diesen Inhalt haben konnte, obwohl die Behörde gar nicht vom Vorliegen einer Versammlung ausging. Jedenfalls waren die versammlungsrechtlichen
Voraussetzungen einer Ausschlussverfügung offensichtlich nicht gegeben.
Auf eine gröbliche Störung der Versammlung nach § 18 Abs. 3 VersG konnte der Polizeibeamte sich nicht berufen, da der Beschwerdeführer sich in Übereinstimmung mit dem Zweck der von ihm mitinitiierten Versammlung
verhielt. Auf eine Störung der Versammlung selbst hat der Beamte sich auch nicht berufen. Im Übrigen lag eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht vor.
Im Gerichtsverfahren wurde zur Begründung für das Vorliegen einer Gefahr im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in der Demonstrationsszene einschlägig bekannt und als Mitglied der PDS der linksextremistischen
Szene zuzuordnen. Er habe in der Woche zuvor bereits eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung der NPD verbal gestört. Er habe nach Beendigung dieser Versammlung den Abmarsch mit anderen Versammlungsteilnehmern
und die Abfahrt des Lautsprecherfahrzeugs der NPD verhindern wollen. Eine nähere Begründung dafür, warum der nicht vorbestrafte Beschwerdeführer bei einer weiteren Teilnahme an der Versammlung Straftaten begehen würde und
um welche es sich handeln könnte, enthalten die gerichtlichen Entscheidungen nicht. Das Landgericht nimmt lediglich allgemein und ohne Bezug auf den Beschwerdeführer an, dass beim Vorrücken der Menschenmenge gegen den
Informationsstand wechselseitige Beleidigungen der politischen Gegner und Körperverletzungen drohten. Es fehlen zudem Ausführungen dazu, warum der Beschwerdeführer sich solche Straftaten Dritter hätte zurechnen lassen
müssen.
Ebenso fehlen Ausführungen dazu, warum im Falle einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die Veranstaltung der NPD keine milderen Mittel verfügbar waren. Den Versammlungsteilnehmern hätte beispielsweise durch
polizeiliche Verfügung aufgegeben werden können, ausreichenden Abstand zum Informationsstand der NPD einzuhalten, mit der Folge, dass beide Veranstaltungen hätten durchgeführt werden können. Hätte der Beschwerdeführer
sich an eine solche Verfügung nicht gehalten, wären weitere Maßnahmen gegen ihn zulässig gewesen.
cc) Die Feststellungen des Landgerichts genügen den aus Art. 8 GG gegebenen Vorgaben nicht. Da das Versammlungsrecht auf Maßnahmen gegenüber dem Beschwerdeführer mangels Auflösung der Versammlung oder seines
rechtmäßigen Ausschlusses aus ihr weiterhin anwendbar war, konnte ein Platzverweis nicht auf Art. 16 PAG gestützt werden. Seine Rechtmäßigkeit ist aber eine Voraussetzung für eine Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3
PAG (vgl. Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz, 1999, Art. 17 PAG Rn. 61). Damit war auch diese rechtswidrig. Da der Beschwerdeführer an der weiteren
Teilnahme an der Versammlung gehindert war, stellte die Ingewahrsamnahme einen Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG dar.
2. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 GG ergebenden Vorgaben zu einem
anderen Ergebnis gekommen wäre. Die Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93 c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). ..." (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.10.2004 -
1 BvR 1726/01)
*** (OVG)
„... Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, wonach vorläufiger Rechtsschutz nicht gegen die Anordnung des Sofortvollzugs zur Benennung der Ordner bis zum 02.04.2002, 12.00 Uhr gewährt
werde, ist dagegen begründet. Hinzuweisen ist darauf, dass nach § 18 Abs. 2 VersG die Verwendung von Ordnern für Versammlungen unter freiem Himmel der polizeilichen Genehmigung bedarf, die bei der Anmeldung zu
beantragen ist. Aus dieser Regelung, die nach § 19 Abs. 1 VersG auch auf Aufzüge entsprechend anzuwenden ist, folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Polizei auch die Zuverlässigkeit der Ordner überprüfen
kann (a.A.: Ridder/ Breitbach/ Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18 RdNr. 13 m. w. N.). Der Senat hält es bei der gegebenen Sachlage für ausreichend, dass zum Zwecke dieser Überprüfung eine Benennung der Ordner unter
Angabe des Namens und Wohnanschrift durch den Antragsteller gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei vor Ort bis spätestens eine Stunde vor Beginn der Versammlung zu erfolgen hat. Dies dürfte ausreichend sein. ..." (OVG
Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 103/02)
***
„... Unbegründet ist die Beschwerde auch, soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Be-schluss dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Untersagung der Leitung des Aufzugs durch den
Antragsteller gewährt hat. Denn diese Untersagung dürfte rechtswidrig sein, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG nicht vorliegen.
Zu bemerken ist hierbei zunächst, dass sich insoweit die Frage erheben könnte, ob für die Untersagung der Leitung eines Aufzugs durch eine Auflage § 15 Abs. 1 VersG überhaupt eine Rechtsgrundlage sein kann. § 19 Abs. 1 VersG ,
wonach der Leiter des Aufzugs für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat, verweist insoweit zunächst nicht auf § 7 Abs. 1 VersG, worin geregelt ist, dass jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben muss. Aus dem Sinn
der Regelung in § 19 Abs. 1 VersG dürfte jedoch folgen, dass ungeachtet dieser fehlenden Verweisung auch Aufzüge einen Leiter haben müssen. Insoweit könnte sich allerdings die Fra-ge erheben, ob dieses Leitungsrecht nicht ebenso
wie das nach § 7 Abs. 1 VersG eine allein grundrechtssichernde Funktion zugunsten des Veranstalters hat und mit diesem Sinn eine nicht zwangsweise durchsetzbare Ordnungsvorschrift ist. Dies könnte zur Folge haben, dass eine
Durchsetzung sowohl dahingehend, dass eine bestimmte Person als Leiter eingesetzt wird wie auch umgekehrt, dass eine Person als Leiter ausgeschlossen wird, auch durch eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht durchgesetzt
werden kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller vorliegend nicht nur Leiter, sondern auch Veranstalter des Aufzugs ist. Wenn aber dem Leiter, der zugleich Veranstalter eines Aufzugs ist, von der Versammlungsbehörde
abgesprochen wird, die Leitung der Veranstaltung zu übernehmen, weil von ihm in dieser Funktion eine un-mittelbare Gefährdung ausgehe, hätte die Antragsgegnerin - ausgehend von ihrer Sichtweise - ein Verbot nach § 15 Abs. 1
VersG verfügen müssen.
Auch wenn der Senat jedoch im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ungeachtet dessen davon ausgehen würde, dass gleichwohl die in Rede stehende Untersagung der Aufzugsleitung durch eine Auflage nach § 15 Abs.
1 VersG erfolgen könnte, lägen die Voraussetzungen dieser Norm jedenfalls nicht vor, weil die darin angesprochene Gefährdungslage nicht gegeben sein dürfte.
Die Antragsgegnerin hat insbesondere auf Vorfälle vom 01.09.2001 (dem Antragsteller wird zum Vorwurf gemacht, auf einer Versammlung ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS' gerufen zu haben), vom 03.11.2001 (dem Antragsteller
wird vorgeworfen, ein Uniformverbot zögerlich durchgesetzt zu haben) und vom 02.02.2002 (dem Antragsteller wird vorgeworfen, entgegen einer versammlungsrechtlichen Auflage die Parole ‚Hier marschiert der nationale
Widerstand!' gerufen zu haben) abgestellt. Auf Grund dieser Erkenntnisse vermag der Senat eine konkrete Gefährdungslage noch nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat diese Vorfälle weder in den Gründen ihres
Auflagenbescheides vom 18.03.2002 noch in ihrer Beschwerdebegründung so substanziiert geschildert, dass dem Senat in der Kürze der Zeit eine hinreichende Prüfung der Vorwürfe - zu der die Antragsgegnerin als
Versammlungsbehörde verpflichtet gewesen wäre - möglich ist. Insbesondere ist es dem Senat - im Gegensatz zur Antragsgegnerin - nicht möglich gewesen, die Straf- und Ermittlungsakten beizuziehen. In Anbetracht der hohen
Bedeutung von Art. 8 GG kann dieses Versäumnis nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. ..." (OVG Sachsen, Beschluss vom 04.04.2002, 3 BS 105/02)
*** (VG)
Der polizeiliche Ausschluss der eingekesselten Versammlungsteilnehmer des Aufzugs "Blockupy 2013" war versammlungsrechtlich gerechtfertigt (VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2014 - 5 K 2340/13.F):
„... Der Kläger meldete mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 und 8. Januar 2013 für den 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main eine Demonstration unter dem Motto ‚Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und
Troika' an. Die Veranstaltung sollte um 10.00 Uhr beginnen und um 18.00 Uhr enden, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer wurde mit ca. 20000 Personen angegeben.
Mit Verfügung vom 16. Mai 2013 erteilte die Versammlungsbehörde eine Vielzahl von Auflagen, die vom Kläger einzuhalten seien. Unter anderem legte die Versammlungsbehörde eine andere Demonstrationsroute als die von dem
Kläger gewünschte fest (die allerdings der ursprünglich von dem Kläger angemeldeten Route entsprach). Die später vom Kläger gewünschte Route lehnte die Versammlungsbehörde mit der Begründung ab, dass bezüglich dieser
modifizierten Route, die nur in Wurfweite an der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbeiführe, seitens des Beklagten aus Sicherheitsgründen Bedenken bestünden. Das Verwaltungsgericht Frankfurt stellte mit Beschluss vom 28. Mai
2013 - 5 L 2209/13.F - die aufschiebende Wirkung eines von dem Kläger gegen die Auflagenverfügung eingelegten Widerspruches bezüglich der geänderten Route wieder her, bezüglich anderer angegriffener Auflagen lehnte es den
Eilantrag ab. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde der Stadt Frankfurt am Main wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Mai 2013 - 2 B 1274/13 - zurück. In dieser Entscheidung führte der Hessische
Verwaltungsgerichtshof - in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - aus, dass auch bei der letztjährigen Demonstration sogenannte ‚schwarze Blöcke' präsent gewesen seien, ohne dass es
zu schwerwiegenden Übergriffen gegen Polizeibeamte oder massive Sachbeschädigungen gekommen wäre. Allein der Umstand, dass die Demonstrationsroute anders verlaufe und - im Gegensatz zum letzten Jahr - in ‚Wurfweite' an
der EZB vorbeiführe, vermöge die Gefährdungsprognose nicht wesentlich zu verändern. Vielmehr müssten Tatsachen aus dem Kreis der wahrscheinlichen Demonstrationsteilnehmer dazu kommen, die Hinweise auf eine
Gewaltbereitschaft - im Unterschied zum letztjährigen Demonstrationszug - liefern könnten.
Am 1. Juni 2013 setzte sich dann der Demonstrationszug um 12.25 Uhr vom Baseler Platz in Frankfurt aus in Bewegung. Unstreitig fuhr relativ nahe der Spitze dieses Demonstrationszuges ein (angemeldeter) Lautsprecherwagen, vor
und hinter dem sich zwei Blöcke bildeten. Nachdem diese beiden Blöcke (einschließlich des Lautsprecherwagens) von der Wilhelm-Leuschner-Straße kommend vollständig in die Hofstraße gezogen waren, wurden sie um 12.49 Uhr
durch das Einziehen von zwei Polizeiketten nach vorne und hinten von den anderen Versammlungsteilnehmern getrennt und angehalten. Es kam dann in der Folge zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu Kontakten, die aber zu
keinem Ergebnis führten. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde nach dem Scheitern der Verhandlungen entschieden, die umschlossenen Aufzugteilnehmer von der Versammlung auszuschließen. Nach dem Vortrag des Beklagten
wurde der (Teil-)Ausschluss um 14.37 Uhr dem Kläger und durch Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr den umschlossenen Aufzugsteilnehmern bekannt gemacht. Im weiteren Verlauf wurde dann die
Identität der insgesamt 943 eingeschlossenen Personen festgestellt, was aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsstreitverfahrens ist.
Am 6. Juni 2013 hat der Kläger vorliegende Klage erhoben.
Zur Zulässigkeit der erhobenen Klage trägt der Kläger vor, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergäbe sich aus der Intensität des Grundrechtseingriffes und der bestehenden Wiederholungsgefahr. Zur weiteren Begründung seiner
Klage hat er im Wesentlichen vorgetragen, eine Verfügung nach § 19 Abs. 4 VersG könne nicht gegen den Willen des Versammlungsleiters ergehen, weil das Ausschlussrecht der Polizei keinen Eingriff in die inneren Angelegenheiten
einer Versammlung gestatte. Der Verfügung nach § 19 Abs. 4 VersG müsse daher eine entsprechende Bitte des Versammlungsleiters vorausgehen, diese sei aber nicht erfolgt. Darüber hinaus habe auch keine ‚gröbliche Störung'
vorgelegen. Die Ausschlussentscheidung sei auch ermessensfehlerhaft erfolgt, da zur Zeit der Verfügung um 14.37 Uhr nach dem weitgehenden Entgegenkommen der Versammlungsleitung klar gewesen sei, dass die Versammlung
ohne verbotene Gegenstände hätte weitergeführt werden können. Schließlich seien unter den fast 950 Teilnehmern, gegen die eine Ausschlussverfügung ergangen sei, selbst nach dem eigenen Vortrag der Beklagten noch nicht einmal
die Hälfte überhaupt einer Störung verdächtigt gewesen.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Verfügung der Beklagten vom 01. Juni 2013 gemäß § 19 Abs. 4 VersG einen Teil der Demonstrationsteilnehmer von der Demonstration auszuschließen, rechtswidrig war. Der Beklagte
beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Teilausschluss nach § 19 Abs. 4 VersG sei aufgrund der Erkenntnislage zum Anordnungszeitpunkt rechtmäßig gewesen. Von den Teilnehmern seien Störungen und Straftaten begangen worden. Es habe eine
unmittelbare Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit den Straftaten und Auflagenverstößen, die aus den umschlossenen schwarzen Blöcken heraus vor und während der Umschließung begangen worden seien,
vorgelegen. Es sei zu befürchten gewesen, dass die Störer ihr strafbares und ordnungswidriges Verhalten fortsetzen wollten und dann der gesamte Aufzug einen gewaltsamen Charakter angenommen hätte. Die Störer hätten sowohl die
polizeilichen Verfügungen als auch Anweisungen des Klägers missachtet. Mildere Mittel gleicher Wirkung anstelle des Teilausschlusses seien nicht ersichtlich gewesen. Die Polizei habe sich bis zuletzt darum bemüht, die von den
umschlossenen Blöcken ausgehende Gefahrenlage einvernehmlich zu bewältigen und die Aufzugsteilnehmer, die den ‚schwarzen Blöcken' angehört hätten, zu einem gesetzes- und auflagenmäßiges Verhalten zu bewegen. Dies sei an
den Störern gescheitert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Beklagte hat verschiedene DVDs mit Aufnahmen des Demonstrationszuges vorgelegt, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren und zum Teil in der mündlichen Verhandlung vorgeführt wurden. ...
Die Klage ist zulässig.
Der Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer von der Versammlung stellt sich für den Kläger, der den Demonstrationszug angemeldet hat und verantwortlicher Versammlungsleiter war, als belastende Maßnahme dar, die sich
mittlerweile erledigt hat.
Dabei kann dahinstehen, ob in diesem Fall die Klage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage oder als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft ist (hierzu:
BVerwG, Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 -, juris Rdnr. 15 = NJW 2012, 2676), denn das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung besteht. Dabei kann das
Feststellungsinteresse sowohl mit einem erheblichen Eingriff in eine grundgesetzlich besonders geschützte Rechtsposition des Klägers als Leiter einer Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG) als auch damit begründet werden, dass bei - dem
Kläger als Versammlungsleiter - belastenden Maßnahmen, die sich ihrer Natur nach bereits zwangsläufig vor Erhebung einer Klage erledigt haben - so wie im vorliegenden Falle - aufgrund eines effektiven Rechtsschutzes
grundsätzlich die gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahmen durch ein Gericht gewährleistet sein muss (vgl. hierzu: Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 113 Anm. 145).
Die Klage ist aber nicht begründet. Der Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer von der Versammlung, der um 14.37 Uhr gegenüber dem Kläger und durch Lautsprecherdurchsagen um 14.58 Uhr, 15.04 Uhr und 15.09 Uhr den
betroffenen Demonstrationsteilnehmern bekannt gegeben worden ist, war rechtmäßig und verletzt so den Kläger nicht in seinen Rechten als Versammlungsleiter.
Die Voraussetzungen der Ermächtigungslage des § 19 Abs. 4 VersG für einen Ausschluss der Versammlungsteilnehmer lagen vor.
Nach dieser Vorschrift kann die Polizei - das Polizeipräsidium Frankfurt als zuständige Polizeibehörde nach § 91 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a, § 94 Satz 1 HSOG - Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen.
Die ausgeschlossenen Demonstrationsteilnehmer haben die Ordnung der Versammlung gröblich gestört.
Zu dem Verhalten der eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmer hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil gleichen Datums - Az.: 5 K 2334/13.F - ausgeführt:
‚Die tatsächlichen Umstände des Demonstrationsverlaufs bis zum Einzug der beiden Polizeiketten sind auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten und der Klägerbevollmächtigten zur Verfügung gestellten vier
DVDs zu sehen, die von dem Beklagten in dem vorliegenden Verfahren dem Gericht vorgelegt worden sind. Es handelt sich hierbei um die DVDs mit der Überschrift ‚Blockupy 2013, 01.06.2013', die mit den Ziffern 1 - 4
durchnummeriert sind. Diese vier DVDs, eine weitere DVD, die spätere, nach Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer aufgezeichnete Vorgänge zeigt, sowie einen (standardisierten, auch in anderen die ‚Blockupy'-Demonstration
vom 1. Juni 2013 betreffende Verwaltungsstreitverfahren vorgelegten ) 82-seitigen Verwaltungsvorgang, sind von dem Beklagten im vorliegenden Verfahren als ‚Behördenakten' vorgelegt worden. Die Klägervertreterin hatte Einsicht
in sämtliche dieser Datenträger bzw. Akten und somit vollständige Akteneinsicht. Weitere Verwaltungsvorgänge hat weder der Beklagte vorgelegt noch sind sie vom Gericht angefordert, weil für nötig befunden worden.
Das Gericht hat zusammen mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zunächst wesentliche Teile der DVD Nr. 3 (Aufnahme des Demonstrationszuges durch ein in einem Hubschrauber befindliches Filmteam von oben von
12.30 Uhr bis nach dem Einzug der Polizeiketten), der DVD Nr. 1 (Einzug der vorderen Polizeikette, gefilmt von der Seite und von vorne) und verschiedenen Dateien, die sich auf der DVD Nr. 4 befinden, in Augenschein genommen.
Diese in der Verhandlung abgespielten Videodateien zeichnen ein realistisches Bild von der Lage, wie sie sich bis zum Anhalten des Zuges und im Zeitpunkt des Anhaltens des Zuges dargestellt hat. Dass diese von der Polizei
gemachten Filmaufnahmen nicht den soweit dort dokumentierten tatsächlichen Geschehensverlauf wiedergeben, wird weder vom Kläger behauptet noch ist dies für das Gericht in irgendeiner Art und Weise erkennbar. Dass der
Beklagte (insbesondere auf der DVD Nr. 4) Vorgänge über Geschehnisse zusammengestellt hat, die nach seiner Ansicht für das polizeiliche Handeln besondere Relevanz haben, liegt in der Natur der Sache und ist auch keine
unzulässige Manipulation. Es ist unstreitig - und von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten -, dass die Geschehnisse, so wie sie filmisch festgehalten wurden, so stattgefunden haben. Der Hinweis des Klägers, es
handele sich hierbei nur um das Verhalten einer bestimmten, zahlenmäßig begrenzten Gruppe und der weitere größte Teil der Versammlungsteilnehmer habe ein anderes Verhalten an den Tag gelegt, ist ebenfalls unstreitig. Der
Beklagte hat keine weiteren für die Entscheidung dieses Rechtsstreites relevanten Vorgänge als die dokumentierten behauptet, und auch das Gericht geht davon aus, dass es demzufolge keine weiteren, das Anhalten des
Demonstrationszugs begründenden Vorfälle gegeben hat.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts rechtfertigen die auf den Videodateien zum Zeitpunkt des Einzugs der beiden Polizeiketten festgehaltenen, erkennbaren Geschehnisse die streitgegenständliche Maßnahme.
Es ist auf den Dateien deutlich zu sehen, dass sich zum Zeitpunkt des Einziehens der beiden Polizeiketten vor und hinter dem Lautsprecherwagen eine nach vorn und zu den Seiten, weniger nach hinten, klar abgrenzbare Gruppe von
Teilnehmern in ‚Schildkrötenformation' geordnet hatte. Die vor dem Lautsprecherwagen befindliche Gruppe - hierbei dürfte es sich um etwas weniger als die Hälfte der insgesamt eingeschlossenen 943 Teilnehmer gehandelt haben -
hatte sich nach den Seiten mit Transparenten begrenzt und teilweise Schirme aufgespannt. Dies hatte zur Folge, da die vorderen und seitlichen Transparente bis zu bzw. über die Köpfe der darin befindlichen Demonstrationsteilnehmer
gezogen waren und die Sicht von oben durch die aufgespannten Schirme verdeckt wurde, dass dieser vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block zwar bunt anzusehen, aber nicht einzusehen war. Auch Aufnahmen von oben lassen
nur einen sehr eingeschränkten Blick in diesen von den anderen Versammlungsteilnehmern strikt abgegrenzten, monolithisch wirkenden Block zu. Allerdings ist auf einem Video, DVD 4, Datei Nr.5 mit dem Titel ‚Aufteilung vorderer
Teil des Zuges von oben', das in der mündlichen Verhandlung abgespielt wurde und das den Zeitpunkt kurz vor dem Anhalten bzw. vor dem Einzug der beiden Polizeiketten betrifft, zu erkennen, dass sich in diesem vorderen Block
eine nicht unerhebliche Zahl von schwarz gekleideten Personen Gesichtsmasken überzieht oder bereits vermummt ist. Es ist im Weiteren zu erkennen, dass sich Personen in diesem vorderen Block vor den Gesichtern einen
Plastikschutz angebracht haben und Schutzschilder tragen. Jedoch sind die vermummten oder schutzbewaffneten Personen, die sich in dem vorderen Block aufhalten, aufgrund der geschilderten Nicht-Einsehbarkeit dieses Blockes nur
teilweise bzw. eingeschränkt zu erkennen. Dies ist besonders eindrucksvoll dokumentiert auf dem Video DVD 4, Datei Nr. 13, mit dem Titel ‚Schwarzer Block Abschirmung nach außen'. Hier ist die optische Abgrenzung des vorderen
Blockes nach Außen durch Transparente und Schirme auch in Nahaufnahme dargestellt; es ist zu sehen, dass sich hinter den Transparenten und unter den Schirmen eine Vielzahl schwarz gekleideter und/oder vermummter Personen
befinden, die aber nur teilweise zu erkennen sind. Auf diesem Video sind auch Schutzschilder zu sehen. Schließlich ist bezüglich des vorderen Blockes noch festzustellen, dass kurz vor dem Anhalten des Demonstrationszuges aus
diesem Block zweimal Pyrotechnik abgefeuert oder geworfen wird.
Der hinter dem Lautsprecherwagen befindliche Teil ist in seinem vorderen Bereich ebenfalls durch ca. mannshohe Transparente seitlich klar abgegrenzt. In diesem Block befinden sich überwiegend in auffallender Weise schwarz
gekleidete Versammlungsteilnehmer, zum Teil vermummt, zum Teil nicht, zu sehen auf dem Video DVD 4, Datei Nr. 7, mit dem Titel ‚Schwarzer Block hinter LKW'.
Diese festgestellten Umstände rechtfertigen nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedenfalls die streitgegenständliche Maßnahme; angesichts dieser Umstände war das Anhalten des Demonstrationszuges und das damit zwangsläufig
verbundene Einkesseln der Demonstrationsteilnehmer rechtmäßig und insbesondere auch verhältnismäßig.
Zum einen lagen erhebliche Verstöße gegen die in der Auflagenverfügung der Versammlungsbehörde der Stadt Frankfurt am Main vom 16. Mai 2013 gemachten und sowohl von dem Verwaltungsgericht Frankfurt als auch von dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof als rechtmäßig befundenen Auflagen vor.
In der Auflagenverfügung ist unter anderem bestimmt:
12. Transparente, mit Ausnahme des Fronttransparents, dürfen maximal 3 m lang sein. Sie dürfen nicht aneinander geknotet werden und der Abstand zwischen jedem Transparent muss mindestens 1,50 m betragen. Transparente dürfe
nicht so getragen werden, dass sie als Sichtschutz für die Versammlungsteilnehmer dienen können.
13. Das Mitführen von Seilen ist untersagt. …
16. Das Abbrennen oder Verbrennen von Gegenständen jeglicher Art wird untersagt (der Genuss handelsüblicher Tabakwaren ist davon nicht erfasst). Auch ist es verboten, während der gesamten Veranstaltung pyrotechnische
Erzeugnisse mitzuführen. …
18. Getränke dürfen während der gesamten Veranstaltung nur in Kunststoffbehältnissen oder Tetra-Packungen mitgeführt werden. Das Mitführen von Glasflaschen ist verboten.
Insbesondere die in dem Block vor dem Lautsprecherwagen befindlichen Demonstrationsteilnehmer verstießen mit ihrem Verhalten massiv gegen die Auflage Nr. 12 und wohl auch Nr. 13, da zumindest nach äußerem Anschein die
verschiedenen Transparente fest miteinander verbunden waren, was wohl nur durch Seile möglich ist. Aber auch Verstöße bezüglich Nr. 16 und 18 der Auflagen sind durch die Videoaufnahmen belegt. So ist auf einer Aufnahme zu
sehen, dass es aus dem vorderen Block zu Flaschenwürfen gekommen ist.
Auch haben eine erhebliche Zahl der Demonstrationsteilnehmer im vorderen und hinteren Block durch die Vermummung eine Straftat gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG, und zumindest eine Vielzahl von Demonstrationsteilnehmern im
vorderen Block durch das Mitführen von Schutzbewaffnung - die Plastikschilder und Schutzschilder - eine Straftat nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersG begangen, wonach es verboten ist, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem
Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, mit sich zu führen.
Es mag zutreffend sein, dass - wie vom Kläger gerügt - ein bloßer Auflagenverstoß nicht zur Einkesselung von Demonstrationsteilnehmern bzw. zum Anhalten eines Demonstrationszuges führen kann oder darf. Es mag weiterhin
zutreffen, dass die Vermummung Einzelner nach den oben dargelegten von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen nicht dazu führen kann, andere Teilnehmer der Demonstration durch ein Blockieren des gesamten
Demonstrationszuges ihr Demonstrationsrecht zu nehmen. Die streitgegenständliche Maßnahme ist aber nicht durch einen bloßen Auflagenverstoß oder die Vermummung Einzelner gerechtfertigt, sondern durch die Gesamtumstände
und die sich hieraus ergebenden Weiterungen. Die Auflage Nr. 12, wonach ein Sichtschutz durch Transparente untersagt war, ist hier nicht als einfache Auflage abzutun, um dann weiter zu argumentieren, ein Verstoß hiergegen könne
keinesfalls - auch im Zusammenspiel mit anderen Verstößen - die streitgegenständliche Maßnahme rechtfertigen.
Es fällt bei der rechtlichen Beurteilung der streitgegenständlichen Maßnahme besonders ins Gewicht, dass durch das Aufziehen der seitlichen mannshohen Transparente und das Aufspannen der Schirme - seien es nun Regen- oder
Sonnenschirme - durch die in dem vorderen Block befindlichen Demonstrationsteilnehmer ein Raum geschaffen wurde, der sich der Kontrolle von außen durch die Polizei fast vollständig entzog.
Hierdurch wurde eine Situation geschaffen, die von der Polizei zu Recht als eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesehen werden musste, die so nicht akzeptiert werden konnte. Erkennbar befanden sich in diesem
vorderen Block eine erhebliche Anzahl auffallend schwarz gekleideter und teilweise vermummter Personen. Erkennbar demonstrierten sämtliche sich in diesem vorderen Teil befindlichen Demonstrationsteilnehmer, dass sie sich
weder an die Auflagenverfügung noch an die Vorschriften des Versammlungsgesetzes halten wollten oder sich daran gebunden fühlten. Soweit Personen in diesem Block nicht selbst vermummt waren oder Schutzbewaffnung mit sich
führten, so unterstützten sie durch die hochgehaltenen Transparente und mitgeführten Schirme erkennbar das Verhalten von Personen, die sich strafbar machten bzw. solidarisierten sich hiermit, indem sie diese Personen vor den
Blicken der Polizei verbargen. Die Versammlungsteilnehmer in diesen Bereichen vermittelten den klaren Eindruck, dass sie sich von dem überwiegenden Teil der nachfolgenden Teilnehmer abgesondert hatten und zugleich durch ihre
Vermummung zielgerichtet bemüht waren, einer eigenen Identifikation entgegenzuwirken sowie ein Verbergen in der Anonymität der Masse zu erreichen bzw. dies unterstützten. Es wird von dem Beklagten in der Substanz
unbestritten vorgetragen, dass vom Lautsprecherwagen Durchsagen kamen wie: ‚Heute lassen wir es krachen' oder ‚…wir hauen euch die Stadt kaputt.' Der Kläger hat in seiner Klageerwiderung - die er in der mündlichen Verhandlung
vorgelegt hat - diesen Vortrag des Beklagten nicht substantiiert bestritten, sondern hierzu lediglich vorgetragen, der Beklagte habe keinen ausreichend konkreten Sachverhalt vorgetragen, und aggressive Meinungsäußerungen seien
nicht geeignet, eine Gefahrenprognose zu stützen. Letzteres mag in dieser Allgemeinheit zutreffen, sieht man jedoch diese aggressive Meinungsäußerungen - die von dem Beklagten auf Seite 8 der Klageerwiderung unter Hinweis auf
nachfolgende englische und italienische Übersetzungen substantiiert dargelegt werden - im Zusammenhang mit dem oben aufgezeigten Verhalten bzw. Verhältnissen, so verlassen diese Drohungen den Bereich der reinen Rhetorik und
können bei einer Gefahrenprognose nicht mehr ignoriert werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Demonstrationszug in wenigen hundert Metern die EZB - ein besonderes Angriffsziel für fundamentalistische Gruppen -
erreichen würde.
Für die Polizeibeamten war nicht abzusehen und zu erkennen, was sich in dem nicht einsehbaren Raum abspielte, ob dort Vorbereitungshandlungen für einen Angriff nach außen vorbereitet wurden oder nicht. Angesichts des gezeigten
Verhaltens dieser Demonstrationsteilnehmer durfte man durchaus mit allem rechnen.
Das Gericht teilt hier nicht die Ansicht des Klägers, dass es sich bei den oben geschilderten Umständen um eine harmlose Demonstrationsform kreativer, bunter Art handelte und hierin lediglich ein besonderer politischer
Gestaltungswille zum Ausdruck kam. Das Gericht erachtet eine solche Einschätzung schlichtweg als lebensfremd. Allein aus dem Umstand, dass sich - wie vom Kläger vorgetragen - die an der Durchführung der Demonstration
beteiligten Gruppen auf eine gewaltfreie Demonstration geeinigt haben sollen - was vom Gericht nicht angezweifelt wird -, kann nicht geschlossen werden, dass tatsächlich alle Demonstrationsteilnehmer dann auch gewaltfrei sind.
Dies haben andere Demonstrationen in anderen deutschen Städten eindrucksvoll bewiesen. Auch ist es nach Ansicht des Gerichts im Gegensatz zum Vorbringen des Klägers nicht ohne Bedeutung, dass die Polizei im weiteren Verlauf
der Aufzugsstrecke feststellte, dass eine Verkehrsinsel aufgebrochen war und größere Steine herumlagen, die als Wurfgeschosse gebraucht werden konnten. Insgesamt handelte es sich um eine Gefahrensituation, die die Polizei zum
gefahrenabwehrenden Handeln veranlassen musste.
Es ist zwar zutreffend, dass - wie vom Kläger vorgetragen - bisher nichts weiter Schlimmeres geschehen war. Präventives Handeln bedeutet aber nicht, dass erst dann eingegriffen wird, wenn der Schaden eingetreten ist, sondern dass
eingegriffen wird, wenn ausreichend Umstände darauf hindeuten, dass ein erheblicher Schaden eintreten wird. Solche Umstände lagen vor.
Insbesondere der vor dem Lautsprecherwagen befindliche Block hatte durch die Schaffung eines uneinsehbaren sozusagen abgedunkelten Raumes einen Zustand geschaffen, der es der Polizei unmöglich machte, festzustellen, was sich
in diesem Raum abspielte. Die Polizei war nicht in der Lage konkret einzuschätzen, ob und inwieweit dort Straftaten oder gewalttätige Aktionen vorbereitet wurden oder nicht; dies war aber zum Schutz von Leib und Leben sowie des
Eigentums Dritter zwingend erforderlich. Die Polizei, die auf der einen Seite den Schutz des Versammlungsrechtes zu gewährleisten hat, der auf der anderen Seite aber auch den Schutz der öffentlichen Sicherheit, d.h. der Schutz von
Leben und Gesundheit und von Eigentum und Vermögen Dritter obliegt, muss in der Lage sein, alle für die öffentliche Sicherheit relevanten Vorgänge im öffentlichen Straßenraum während einer Demonstration, die ein gewisses
Gefährdungspotential in sich tragen, zu erkennen und zu bewerten. Auf Grund des gezeigten Verhaltens der Demonstrationsteilnehmer war die Annahme, es drohten erhebliche, nicht kalkulierbare Gefahren, realistisch, lebensnah und angebracht.
Der Schluss, dass in einem gezielt rechtswidrig geschaffenen, nicht einsehbaren Raum, in dem sich eine erhebliche Anzahl vermummter Personen aufhält, Taten vorbereitet werden, die bei Einsehbarkeit und rechtzeitigem Erkennen zu
einem sofortigen Einschreiten der Polizei führten würden, ist naheliegend und folgerichtig, denn aus welchem Grund sonst sollten sich die Demonstrationsteilnehmer so verhalten.
Gleiches gilt für den abgeschnittenen hinteren Teil. Die dort befindliche überwiegende Anzahl auffallend schwarz gekleideter und teilweise vermummter Personen ließ ohne weiteres den Schluss zu, dass bei Aktionen des vorderen
Teils sich die hinter dem Lautsprecherwagen befindlichen Teile diesen Aktionen anschließen würden. Es ist zwar zutreffend, dass der Punkt des Einzugs der Polizeikette im hinteren Teil sich nicht zwingend aus den Umständen
herleiten lässt. Zutreffend hat der Kläger darauf hingewiesen, dass ausweislich der Bildaufnahmen sich sowohl vor als auch hinter der Polizeikette ähnliche Personen - ähnliche Kleidung, ähnliches Verhalten - befanden. Da aber der
hintere, in Formation befindliche Teil des Demonstrationszuges mehr oder weniger nahtlos in den nicht formiert marschierenden folgenden Teil der Versammlung überging, war hier kein derart abgegrenzter Block vorhanden wie vor
den Lautsprecherwagen. Von daher war es nicht zu vermeiden, dass ein bestimmter Einzugspunkt ausgewählt wurde, der aber auch einige Meter davor oder dahinter hätte liegen können. Als völlig willkürlich und somit rechtswidrig
stellt sich für das Gericht der Punkt des Einzugs der hinteren Polizeikette jedenfalls nicht dar.'
Aus diesen obigen Ausführungen aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt geht hervor, dass die eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmer durch ihr Verhalten die Ordnung des Aufzuges im Sinne des § 19 Abs. 4 VersG
gröblich störten. Sie gefährdeten durch ihr Verhalten in ganz erheblichem Maße die öffentliche Sicherheit. Da die eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmer bis zum Ausschluss ihr Verhalten nicht änderten, sondern in dem oben
geschilderten Zustand verharrten, lag auch zum Zeitpunkt ihres Ausschlusses aus der Versammlung (weiterhin ) eine gröbliche Störung des Aufzuges durch sie vor.
Dem Ausschluss der Versammlungsteilnehmer steht auch nicht entgegen, dass nach § 19 Abs. 1 VersG zunächst und zuerst der Leiter des Aufzuges, der Kläger, für den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu sorgen hat und es
demzufolge zunächst ihm obliegt, Maßnahmen zu treffen, die eine eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit beenden.
Die Polizei durfte hier einschreiten, da der Kläger als Leiter der Versammlung offensichtlich nicht Willens oder in der Lage war, selbst die Störung zu beseitigen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in dem Verfahren 5 K 2334/13.F in seinem Urteil gleichen Datums hierzu ausgeführt:
‚Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme folgt weiter insbesondere auch aus dem Umstand, dass die Polizei die Kooperation mit dem Kläger als Versammlungsleiter suchte und mit ihm über das weitere Vorgehen Verhandlungen
aufnahm, der Kläger aber erkennbar auf die sich rechtswidrig verhaltenden Versammlungsteilnehmer zwecks Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes keinen Einfluss nehmen wollte oder nehmen konnte, somit seinen sich aus
§§ 8, 19 Abs.1 VersG ergebenden Pflichten, für einen ordnungsgemäßen Ablauf des Aufzuges zu sorgen, nicht nachkam. Der Kläger hat diesbezüglich in seiner Klagebegründung vorgetragen und auch in der mündlichen Verhandlung
erläutert, dass er zwar Versammlungsleiter gewesen sei, es neben ihm aber noch eine demokratisch verfasste ‚Demonstrationsleitung' gegeben habe. Alle Maßnahmen seien innerhalb der Demonstrationsleitung demokratisch
abgestimmt und entschieden worden. Er hat weiter vorgetragen, dass er nach dem Hinweis der Polizei auf einen angeblich vermummten Block von 150 Personen mit den weiteren Leitern seiner Demonstration gesprochen habe, die
sich beim vorderen Lautsprecherwagen aufgehalten hätten und einen direkten Blick auf die vermeintliche ‚Gruppe' gehabt hätten. Er habe die Rückmeldung bekommen, dass es diesen Block 150 vermummter Personen nicht gäbe. Es
gäbe einzelne Personen mit Sonnenbrillen, Kapuzen, auch Tücher, aber keine umfassende Vermummung, schon gar keine Gruppe von 150 umfassend Vermummten, einen ‚Block'. Er habe immer Kontakt zu der Demonstrationsleitung
gehabt und sei über diese informiert gewesen, wie sich die Situation um den Lautsprecherwagen dargestellt habe.
Aus dieser Einlassung des Klägers lässt sich der Schluss ziehen, dass der Kläger, der davon spricht, immer Kontakt zur ‚Demonstrationsleitung' gehabt zu haben, sich selbst nicht als Demonstrationsleiter, als Versammlungsleiter im
Sinne von §§ 8, 19 Abs.1 VersG mit den sich hieraus ergebenden Befugnissen, aber auch Pflichten, betrachtet hat. Des Weiteren folgt aber aus dieser Einlassung für das Gericht auch, dass der Kläger sich offenkundig nicht selbst über
die Verhältnisse, wie sie sich vor, insbesondere aber auch nach der Einkesselung dargestellt haben, informiert hat. Er hat es offensichtlich nicht für nötig befunden, während der über eineinhalb Stunden - bis zum Ausschluss -
dauernden Einkesselung der Demonstrationsteilnehmer sich selbst einen persönlichen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen und entsprechend auf die Demonstrationsteilnehmer einzuwirken. Das Gericht hat deshalb ganz
erhebliche Zweifel, ob der Kläger willens und in der Lage war, auf die sich rechtswidrig verhaltenden eingekesselten Demonstrationsteilnehmer einzuwirken.'
Aus diesen Ausführungen - die für eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren gleichermaßen gelten - folgt, dass der Kläger seiner Verpflichtung nach § 19 Abs. 1 VersG zur Beendigung des Verhaltens der
Demonstrationsteilnehmer nicht nachkommen konnte oder wollte, so dass die Polizei selbst hier aus eigenem Entschluss den Ausschluss der Versammlungsteilnehmer verfügen konnte. Soweit der Kläger vorträgt, ein Ausschluss der
Versammlungsteilnehmer sei rechtlich nur zulässig, wenn von ihm als Versammlungsteilnehmer gewünscht, irrt er. Vielmehr ermächtigt § 19 Abs. 4 VersG die Polizei, aus eigenem Entschluss bei einer gröblichen Störung des
Aufzugs durch Versammlungsteilnehmer diese von der Versammlung auszuschließen (vgl. hierzu: Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl, § 19 Anm. 13 a.E.).
Die Maßnahme war schließlich auch verhältnismäßig. Der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme steht zunächst nicht entgegen, dass sich der Ausschluss auf eine verhältnismäßig große Gruppe von Versammlungsteilnehmern bezog,
nämlich konkret auf 943 Personen. Wie oben ausgeführt, machte jedenfalls die ganz überwiegende Anzahl dieser eingeschlossenen und dann ausgeschlossenen Demonstrationsteilnehmer durch ihr Verhalten deutlich, dass sie - soweit
sie nicht selbst durch ihr jeweiliges Verhalten die öffentliche Sicherheit gefährdeten - dieses Verhalten jedenfalls deckten und sich somit damit solidarisierten. Bis zum Ausschluss der Versammlungsteilnehmer ist weder auf den zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Videoaufnahmen zu erkennen noch substantiiert vorgetragen, dass sich die weiterhin in Blockformation befindlichen Versammlungsteilnehmer in irgendeiner Form von dem
Verhalten der in den beiden Blöcken befindlichen Personen distanzierten.
Die Maßnahme ist auch verhältnismäßig, da hier - auch und gerade in Ansehung der Versammlungsfreiheit der hinter dem Kessel gestauten, weitaus größten Zahl der Versammlungsteilnehmer - ein milderes Mittel als der Ausschluss
dieser störenden Versammlungsteilnehmer nicht gegeben war. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zwischen dem Einschluss der Versammlungsteilnehmer um 12.49 Uhr und dem frühestens um 14.37 Uhr dem Kläger
gegenüber erklärten Ausschluss dieser Versammlungsteilnehmer während eines Zeitraums von nahezu zwei Stunden die Polizei ernsthafte Versuche unternahm, die eingeschlossenen Versammlungsteilnehmer zu einem rechtmäßigen
Verhalten zu bewegen, damit diese den Aufzug weiter fortsetzen konnten und somit auch ein Ausschluss der Versammlungsteilnehmer von der Versammlung vermieden werden konnte. Die Polizei machte sowohl den
eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmern selbst durch direkte Ansprache und auch dem Kläger mehrfach das Angebot, nach Ablegen der Vermummung und der Schutzbewaffnung den Demonstrationszug weiterzuführen. Wie sich
aus dem bei den Behördenakten befindlichen Verlaufsprotokoll ergibt, wie aber auch der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt hat, scheiterten diese Verhandlungen dann daran, dass die Polizei darauf
bestand, eine Durchlasskontrolle mit Kontrolle der Kleidung und der Rucksäcke der eingeschlossenen Demonstrationsteilnehmer - allerdings ohne Identitätsfeststellung - durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in seinem Urteil in dem Verfahren 5 K 2334/13.F hierzu ausgeführt:
‚Keine Rolle spielte hierbei, dass nach dem Vortrag des Klägers - der dann mit der Polizei in Verhandlungen trat - die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer dieses Angebot dann doch angenommen haben sollen, die Polizei jedoch
noch eine Durchlasskontrolle forderte. Das Gericht sieht das Bestehen der Polizei auf eine solche Durchlasskontrolle - ohne Identitätsfeststellung - weder als menschenunwürdig noch sonstwie rechtswidrig, sondern als erforderlich und
rechtmäßig an. Angesichts des gezeigten Verhaltens war sicherzustellen, dass nicht in mitgeführter Kleidung oder in den Rucksäcken weitere Gegenstände verborgen waren, die kurz danach wieder zu ähnlichen Zuständen, wie
festgestellt, führten. Dass dies eine bestimmte Zeit in Anspruch genommen hätte, liegt auf der Hand, dass dies den Zeitrahmen der Demonstration vollständig gesprengt hätte, ist Spekulation und wenig wahrscheinlich. Dies kann aber
auch dahinstehen, da die Demonstrationsteilnehmer selbst Veranlassung hierfür gegeben haben.'
Somit lagen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 VersG für einen Ausschluss der Demonstrationsteilnehmer durch die Polizei vor, so dass die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m § 708 Nr. 11, § 711 ZPO. ..."
***
„... Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31. Juli 2013 (Ziff. 1 und Ziff. 5) wiederherzustellen, ist ohne Erfolg.
Die mit dem versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid unter Ziff. 1 erfolgte Untersagung des Aufstellens und Betreibens von Verkaufsständen sowie eines Standes des ‚Berliner Wassertisches' im Rahmen der
Abschlussveranstaltung der Hanfparade 2013, sofern nicht ordnungsbehördliche Erlaubnisse vorliegen, ist nach der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden (nachfolgend 1.).
Gleiches gilt für die ebenfalls unter Ziff. 1 des Auflagenbescheides geregelte Untersagung der Einrichtung eines abgezäunten Bereichs hinter der Bühne und das damit zusammenhängende Aufstellen von zwei Pavillons ohne
entsprechende ordnungsbehördliche Erlaubnis (nachfolgend 2.) sowie für die gemäß Ziff. 5 erforderliche schriftliche Benennung eines speziellen Wagenverantwortlichen und dessen Personalien durch den Veranstalter bzw.
Versammlungsleiter (nachfolgend 3.). Deshalb überwiegt in allen diesen Punkten das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des Bescheides verschont zu bleiben
(§ 80 Abs. 5 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Auflagen ist § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur
Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass -
unabhängig von der Frage der Einordnung einer Veranstaltung als Versammlung im allgemeinen - einzelne Ausstattungsgegenstände oder sonstige Elemente, die nicht unmittelbar dem Versammlungszweck dienen, auf der Grundlage
des § 15 Abs. 1 VersG von der Versammlungsbehörde untersagt werden können, sofern nicht eine ordnungsbehördliche (insb. straßenrechtliche) Erlaubnis vorliegt. Das Aufstellen von Verkaufsständen gehört dabei in der Regel nicht
zu den durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten und deshalb auch nach dem Versammlungsgesetz ohne Erlaubnis zulässigen Tätigkeiten (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. August 2012 - OVG 1 S 111.12; OVG Berlin,
Beschluss vom 8. Juli 1999, LKV 1999, 372; VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Dezember 1993, NVwZ-RR 1994, 370; Beschluss der Kammer vom 9. August 2012 - VG 1 L 188.12). Denn solche erwerbswirtschaftlichen
Betätigungen stehen grundsätzlich nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum
Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, BVerfGE 69, 315 [342ff.]; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, BVerwGE 82, 34 [39]).
Auch die vom Antragsteller geplanten Verkaufsstände (einschließlich der Verzehrstände) dienen nicht unmittelbar dem Versammlungszweck. Dies gilt gleichermaßen für solche Verkaufsstände, an denen Hanfprodukte oder in ‚Head-
und Growshops' Produkte mit Bezug zur Hanfpflanze (z.B. Konsumzubehör) verkauft werden sollen. Denn auch sie sollen dazu dienen, Waren zu ‚präsentieren' (vgl. Seite 2 des Schreibens des Antragstellers vom 25. Juli 2013, Bl. 22
d.A.). Eine solche Präsentation von Waren ist einseitig als Verkaufsangebot angelegt und verfolgt daher nicht den Zweck, auf die kollektive Meinungsbildung und -äußerung Einfluss zu nehmen (Urteil der Kammer vom 11. Dezember
2012 - VG 1 K 354.11 - Seite 13 des Umdrucks).
Die geplanten Verzehrstände sind auch nicht zwingend für die Durchführung der Versammlung erforderlich und aus diesem Grund versammlungsbezogen. Den Veranstaltungsteilnehmern steht es nämlich frei, eigene Verpflegung von
Anfang an mitzuführen oder in unmittelbarer Nähe befindliche anderweitige Nahversorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. August 2012 - OVG 1 S 111.12; Beschluss der
Kammer vom 9. August 2012 - VG 1 L 188.12). Weshalb es für die Eigenverpflegung nach Meinung des Antragstellers ‚prall gefüllter Taschen' bedarf, die bei Einsatzkräften Irritationen auslösen würden, ist nicht nachvollziehbar.
Soweit der Antragsgegner das Aufstellen des Standes des ‚Berliner Wassertisches' untersagt hat, ist dies nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar soll dort - nach den Angaben des Antragstellers im 2.
Veranstaltergespräch (Bl. 77 d.A.) - Wasser unentgeltlich angeboten werden und ist ein solches Angebot in der Regel versammlungsbezogen, weil damit typischerweise kein anderer Zweck verfolgt wird, als die Teilnahme an der
Veranstaltung zum Zwecke der Meinungsbildung und -kundgabe physisch zu gewährleisten (vgl. Urteil der Kammer vom 11. Dezember 2012 - VG 1 K 354.11 - Seite 12 des Umdrucks, zur Ausgabe von Wasser zum
Selbstkostenpreis). Hier liegt der Fall jedoch anders, weil der ‚Berliner Wassertisch' die Ausgabe von Wasser offenbar dazu nutzen will, auf den Bürgerentscheid zur Privatisierung der Wasserbetriebe aufmerksam zu machen. Damit
aber geht es ihm gerade nicht - zumindest nicht in erster Linie - darum, die Meinungsbildung und -kundgabe in Bezug auf die Legalisierung von Hanf zu gewährleisten.
Eine andere Beurteilung der vom Antragsteller vorgesehenen Stände folgt auch nicht aus dem Urteil der Kammer vom 11. Dezember 2012 (VG 1 K 354.11). In diesem Verfahren war allein die Frage zu entscheiden, ob die
Abschlussveranstaltung der ‚Hanfparade 2011' nach ihrem Gesamtgepräge als Versammlung anzusehen war. Dies hat die Kammer bejaht, ohne damit festzustellen, dass jedes einzelne Element dieser Veranstaltung, unabhängig von
seinem inneren Zusammenhang mit dem Versammlungszweck, den Schutz des Art. 8 GG genießt. Die ständige Rechtsprechung, nach der nicht versammlungsbezogene Stände und sonstige Aufbauten (z.B. Zelte, Pavillons)
straßenrechtlich erlaubnispflichtig sind, wird mit dem Urteil nicht in Frage gestellt.
2. Auch die Einrichtung eines abgezäunten Bereichs hinter der Bühne mit zwei Pavillons dient nicht unmittelbar dem Versammlungszweck. Eine für die Durchführung der Versammlung begehrte Infrastruktur unterfällt dem
Schutzbereich von Art. 8 GG nur dann, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe
wesensnotwendig sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2012 - OVG 1 S 108.12). Dafür ist nichts ersichtlich. Der abgezäunte Bereich ist entgegen der Auffassung des Antragstellers weder notwendig, um -
mithilfe darin aufgestellter Pavillons - Bühnentechnik zu schützen, noch, um Transparente aufhängen zu können, die für auf der Rückseite der Bühne ankommende Versammlungsteilnehmer gut sichtbar sind. Insoweit hat der
Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht (vgl. zuletzt Schriftsatz vom 8. August 2013), weshalb Transparente nicht ebenso gut an der Rückseite der Bühne befestigt werden können. Ein Pavillon ist darüber hinaus insofern
entbehrlich, als die Technik, sofern nicht ohnehin eine sichere Unterbringung auf der Bühne möglich ist, durch Abdeckungen gegen Witterungseinflüsse geschützt werden kann; ferner kann der Schutz gegen herandrängende
Versammlungsteilnehmer statt durch einen Zaun durch eine entsprechende Anzahl von Ordnern, ggf. mithilfe von Flatterbändern, gewährleistet werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2012 - OVG 1 S
134.12; Beschluss der Kammer vom 28. September 2012 - VG 1 L 254.12).
3. Schließlich unterliegt auch die Verpflichtung des Antragstellers bzw. Versammlungsleiters zur Benennung eines Wagenverantwortlichen einschließlich der vollständigen Personalien keinen Rechtmäßigkeitsbedenken. § 15 Abs. 1
VersG findet auch hier Anwendung. Der Einwand des Antragstellers, der Wagenverantwortliche diene allein dem Versammlungsleiter bei der Durchführung seiner Aufgaben und gerade nicht der Versammlungsbehörde, greift nicht
durch. Soweit § 19 Abs. 1 Satz 1 VersG die Verantwortlichkeit des Versammlungsleiters für den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung begründet, wozu er sich gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 VersG der Hilfe von Ordnern bedienen
darf, schließen diese Vorschriften die Erteilung einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG zur Bestellung eines speziellen Ordners als Wagenverantwortlichen für ein Fahrzeug nicht aus (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juni
2010 - OVG 1 N 82.09). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG liegen vor, weil durch das beabsichtigte Mitführen von insgesamt 12 bis 15 Kraftfahrzeugen bis 7,5 Tonnen eine unmittelbare Gefährdung insbesondere
für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer verbunden ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 29. April 2009 - 1 A 115.07). Die Auflage ist entgegen der Auffassung des Antragstellers schließlich auch insoweit verhältnismäßig,
als sie eine Pflicht zur vollständigen Angabe der Personalien des Wagenverantwortlichen enthält. Denn nur mit Kenntnis der vollständigen Personalien ist die Polizei in der Lage, dessen Zuverlässigkeit zu überprüfen (vgl. OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juni 2010 - OVG 1 N 82.09). ..." (VG Berlin, Beschluss vom 09.08.2013 - 1 L 230.13)
***
Einschließung von Versammlungsteilnehmern zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten (VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2010 - 18 K 3033/09 zu §§ 18 III, 19 IV VersammlG, Art 8 Abs 1 GG - Kessel 7):
„... A. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ausweislich des polizeilichen Verlaufsberichtes erfolgte die
Einschließung der Versammlungsteilnehmer zur Verhütung der Begehung weiterer Straftaten und zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren (siehe Seite 18 oben des Verwaltungsvorgangs). Bei einer derartigen doppelfunktionalen
Maßnahme, die sich von ihrer Zielrichtung her sowohl dem Recht der präventiven Gefahrenabwehr als auch dem Gebiet der Strafverfolgung zuordnen lässt, kommt es für die Abgrenzung des Rechtswegs darauf an, auf welcher Seite
aus der Sicht des Betroffenen das Schwergewicht des polizeilichen Handelns lag.
Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 27. November 2008 - Au 5 K 08.547 -, <juris>.
Aus Sicht der Kläger handelte es sich bei der Einschließung in erster Linie um eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Maßnahme der Gefahrenabwehr. Denn der Beklagte bezeichnete die Einschließung gegenüber den
Versammlungsteilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage ausdrücklich als Ausschluss aus der Versammlung, also als Maßnahme auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes (vgl. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG). Die
anschließend getroffenen Folgemaßnahmen, für die ebenfalls sowohl gefahrenabwehrrechtliche als auch strafverfahrensrechtliche Befugnisnormen in Betracht kommen (vgl. etwa für die Identitätsfeststellung § 12 PolG NRW
einerseits, § 163b StPO andererseits), teilen schwerpunktmäßig die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Ausschlusses. Dieser war von vornherein auf die Ermöglichung weiterer polizeilicher Maßnahmen gerichtet. Auf Grund der
übergreifenden ‚Klammer' des Art. 8 GG stehen die Folgemaßnahmen in einem derart engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Ausschluss, dass eine unterschiedliche Rechtswegzuordnung
auf die künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts hinausliefe. Dies bedeutet nicht, dass Befugnisnormen der StPO hier keine Rolle spielen. Hinsichtlich der strafverfahrensrechtlichen Komponente der
angegriffenen Maßnahmen greift vielmehr § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ein, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden - also auch rechtswegfremden - rechtlichen Gesichtspunkten
zu entscheiden hat.
Ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) kombiniert mit - soweit Realakte in Streit stehen - einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft ist, oder ob es sich insgesamt um eine
allgemeine Feststellungsklage handelt, weil sich alle angegriffenen Maßnahmen bereits vor Klageerhebung erledigt hatten,
vgl. zur statthaften Klageart bei vorprozessual erledigtem Verwaltungsakt: BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, NVwZ 2000, 63 ff.,
kann dahinstehen. Denn die Zulässigkeitsvoraussetzungen beider Klagearten unterscheiden sich nicht. In jedem Fall ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse erforderlich, das bei den Klägern wegen ihrer Grundrechtsbetroffenheit
durch den Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Gestalt eines Rehabilitationsinteresses gegeben ist. Eine Klagefrist ist weder bei der allgemeinen
Feststellungsklage noch bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen vorprozessual erledigten Verwaltungsakt zu wahren.
Vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 7/98 -, a.a.O.
B. Die Klage ist auch begründet. Sämtliche streitgegenständliche Maßnahmen des Beklagten sind rechtswidrig.
I. Das gilt zunächst für die Einschließung. Diese stellt einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit der Kläger dar, der nicht durch eine gesetzliche Ermächtigungsnorm gedeckt ist.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes beschränkt werden (Abs. 2 der Vorschrift).
1. Das Verhalten der Kläger fiel in den Schutzbereich des Art. 8 GG. Die Kläger haben an einer Versammlung teilgenommen. Versammlung i.S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur
gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 f.
Dass diese Voraussetzungen hier vorlagen, ist nicht zweifelhaft. Zwar war die Versammlung entgegen § 14 VersG nicht angemeldet. Der Schutz des Art. 8 GG besteht aber unabhängig von einem Verstoß gegen die gesetzliche
Anmeldepflicht. Der Verstoß hat lediglich zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 3 VersG die Auflösung der Versammlung in Betracht kommt, nicht jedoch, dass es sich von vornherein um ein nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG
fallendes Verhalten handelt. Bis zu einer Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, a.a.O.
Allerdings ist die Teilnahme an einer Versammlung nur geschützt, wenn sie friedlich und ohne Waffen erfolgt. Insoweit ist bereits der Schutzbereich der Grundrechtsnorm zurückgenommen. Friedlich ist eine Versammlung, die
keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige
Gewalttätigkeiten stattfinden oder ein gewalttätiger Verlauf unmittelbar bevorsteht; eine Vermummung kann die Erwartung unfriedlichen Verhaltens stützen.
Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 8 GG Rz. 8 ff.
Bei der Beurteilung ist grundsätzlich auf den einzelnen Teilnehmer abzustellen, nicht auf die Versammlung insgesamt. Für die friedlichen Teilnehmer muss der Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben,
wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Versammlung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des
Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, die Demonstration ‚umzufunktionieren' und gegen den Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - (Brokdorf), BVerfGE 69, 315 ff. (361).
Grundsätzlich muss daher gegen die störende Minderheit vorgegangen werden. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gegen die Versammlung als solche eingeschritten und durch
Auflösung auch den friedlichen Teilnehmern der Schutz des Art. 8 GG genommen werden.
Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, a.a.O., Rz. 10.
Ferner darf die Demonstrationsfreiheit nicht dadurch unterlaufen werden, dass an die Bejahung der Teilnahme an Gewaltakten zu geringe Anforderungen gestellt werden. Deshalb reicht es für die Annahme einer
Mittäterschaft oder Beihilfe an solchen Ausschreitungen nicht schon aus, dass der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit Gewalttätigkeiten
einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß, dass er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Für eine Teilnahme ist mehr
erforderlich, nämlich die Feststellung, dass Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie darauf ausgerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch
Anfeuerung oder ostentatives Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf ‚passiv' bleibende Sympathisanten wäre verfassungswidrig, weil sie das Gebrauchmachen von der
Versammlungsfreiheit mit einem unkalkulierbaren Risiko verbinden und so das Grundrecht faktisch unzulässig beschränken würde.
Vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. (zur zivilrechtlichen Haftung für Demonstrationsschäden).
Bezogen auf die Kläger folgt hieraus, dass ihre Teilnahme an der Versammlung nicht von vornherein wegen Unfriedlichkeit aus dem Schutzbereich des Art. 8 GG herausfiel. Zwar haben sich einzelne Versammlungsteilnehmer (vom
Beklagten als ‚polizeilich relevante Spitzengruppe' bezeichnet, vgl. den Verlaufsbericht, Seite 18 unten des Verw.vorgangs) gewalttätig verhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger über die bloße Anwesenheit hinaus
aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten, so dass ihnen deren Verhalten zuzurechnen wäre, sind aber weder von dem Beklagten
vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Schlussvermerk des Verfahrens StA X, 50 Js 191/09 betreffend die Klägerin zu 1. heißt es, der Beschuldigten könne keine Tathandlung konkret zugeordnet werden (Bl. 18 der Strafakte). Soweit
sich in der Akte (Bl. 8) ein Foto der Klägerin mit vor das Gesicht gezogenem Schal befindet, handelt es sich offenbar um eines der Fotos, die von der Polizei unmittelbar nach dem Verlassen der Einschließung zwecks Beweissicherung
vor Verbringung der jeweiligen Person zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gemacht wurden; die Klägerin zu 1. dürfte dabei von dem Fotografen gebeten worden sein, den Schal vor das Gesicht zu ziehen, um bei einem
Abgleich mit aufgenommenem Videomaterial ihre eventuelle Täterschaft belegen zu können. Auch der Klägerin zu 2. ließ sich nach Auswertung des Beweismaterials keine Tathandlung konkret zuordnen (siehe Bl. 19 der Strafakte 50
Js 151/09). Hinsichtlich des Klägers zu 3. heißt es im Schlussvermerk zu dem Verfahren 50 Js 7765/08, auf den gefertigten Videoaufnahmen sei er nicht zu identifizieren; es hätten sich auch sonst keine konkreten Hinweise ergeben,
dass er sich in irgendeiner Form aktiv an Aktionen aus dem Aufzug beteiligt habe; bei seiner Einlieferung seien keine beweisrelevanten Gegenstände gefunden worden (Bl. 21 der Strafakte).
2. Die Einschließung griff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Die Kläger wurden durch sie daran gehindert, weiter an der Versammlung teilzunehmen.
a) Dieser Eingriff ist nicht auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes gerechtfertigt.
aa) Gemäß § 15 Abs. 3 VersG kann eine Versammlung aufgelöst werden, und zwar (u.a.) dann, wenn sie - wie hier nicht angemeldet ist oder wenn die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind, etwa weil eine nicht anders
abwendbare unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (§ 15 Abs. 1 VersG). Eine solche gegen die gesamte Versammlung - also auch die friedlichen Teilnehmer - gerichtete Maßnahme hat der Beklagte
ausdrücklich nicht getroffen. Nach seinem eigenen Vorbringen wollte er von einer Auflösung absehen, um den friedlichen Teilnehmern die Fortführung des Aufzugs zu ermöglichen.
bb) Der Beklagte hat die Einschließung vielmehr auf §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4, 17a Abs. 3 VersG gestützt. Nach diesen Vorschriften kann die Polizei Teilnehmer an einer Versammlung unter freiem Himmel (§ 18 Abs. 3 VersG) und
Teilnehmer an einem Aufzug (§ 19 Abs. 4 VersG), welche die Ordnung gröblich stören, sowie Teilnehmer, die gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot des § 17a VersG verstoßen (§ 17a Abs. 4 Satz 2 VersG), von der
Veranstaltung ausschließen.
Die Einschließung der Kläger war jedoch von den o.g. Vorschriften nicht gedeckt. Diese waren hier weder von den tatbestandlichen Voraussetzungen noch von der Rechtsfolge her einschlägig:
(1) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger bei ihrer Teilnahme an der Versammlung gröblich die Ordnung störten oder gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot verstießen.
Der Begriff der Ordnung i.S. der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG stellt auf die innere und äußere Ordnung der Versammlung ab. Versammlungen sollen geordnet ablaufen, damit sich alle Teilnehmer entfalten und das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Versammlungsrechtes ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich. Nur erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter
erlauben einen so schwer wiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit wie den Ausschluss. Entgegen der Ansicht der Kläger sind dabei sowohl Aktionen innerhalb der Versammlung als auch das Verhalten der Teilnehmer nach
außen, z.B. gegen Nichtteilnehmer oder Sachen gerichtete Handlungen, in den Blick zu nehmen. Nach außen hin können z.B. Meinungskundgaben in beleidigender Form oder mit verfassungsfeindlichem Inhalt, Sachbeschädigungen
oder gar Landfriedensbruch unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sein. Adressat des Ausschlusses ist stets der konkrete Teilnehmer, der durch sein Verhalten die Ordnung gröblich stört.
Vgl. zu alledem Kay/Böcking, Versammlungsrecht, 1994, Rz. 266 ff.
Zwar kam es hier im Verlauf des Aufzuges zu nicht unerheblichen gewalttätigen Ausschreitungen, die wohl einen Ausschluss der jeweiligen Täter rechtfertigten. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass die gröbliche Störung der
Ordnung gerade (auch) von dem Verhalten der Kläger ausging. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese sich an den Übergriffen gegen Polizeibeamte etc. beteiligten, bestehen nicht; auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass sie gegen
die Verbote des § 17a Abs. 1 oder 2 VersG verstießen. Die Ausschreitungen anderer Versammlungsteilnehmer müssen sie sich nicht zurechnen lassen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür die bloße Teilnahme an der Versammlung nicht
ausreicht. Sonstige Gründe für eine Zurechnung, etwa wegen einer nach außen wahrnehmbaren Solidarisierung mit den Gewalttätern oder sonstiger Unterstützungsleistungen, sind nicht erkennbar und werden auch von dem Beklagten
nicht geltend gemacht.
(2) Als Rechtsfolge des Ausschlusses sieht das Gesetz vor, dass die betroffene Person die Versammlung sofort zu verlassen hat (vgl. §§ 18 Abs. 1, 11 Abs. 2 VersG). Damit stimmte die Zielrichtung der vom Beklagten
vorgenommenen Einschließung nicht überein. Der Beklagte wollte mit dieser Maßnahme nicht erreichen, dass die Kläger sich entfernten; im Gegenteil ging es ihm darum, sie am Ort festzuhalten, damit sie zwecks Aufnahme der
Personalien sowie Fertigung von Fotos zur Gefangenensammelstelle im Präsidium gebracht werden konnten; dort sollten sie (bei freien Kapazitäten) erkennungsdienstlich behandelt und vernommen werden. Die Pflichten
ausgeschlossener Versammlungsteilnehmer stehen jedoch nicht zur Disposition der Polizei. Diese darf das Instrument des Ausschlusses sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - nur mit der vom Gesetz vorgegebenen
Zielrichtung (Verlassen der Versammlung), also zu versammlungsrechtlichen Zwecken anwenden, nicht jedoch in den Dienst der Strafverfolgung stellen. Ist - wie hier - letzteres der Fall, liegt eine Zweckentfremdung des Ausschlusses
vor. Der Beklagte bezeichnete die Einschließung nur verbal als Ausschluss; der Sache nach handelte es sich um eine Ingewahrsamnahme zwecks Durchführung weiterer polizeilicher Maßnahmen.
b) Mit einer Ermächtigungsnorm außerhalb des Versammlungsgesetzes, etwa nach allgemeinem Polizeirecht oder Strafprozessrecht, lässt sich der durch die Einschließung erfolgte Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG ebenfalls
nicht rechtfertigen.
aa) Der Beklagte hat die Einschließung ausdrücklich als Ausschluss bezeichnet und sie als solche gegenüber den Teilnehmern mittels Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben. Daran muss er sich festhalten lassen. Ein Auswechseln
der Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht kommt bei Ermessensentscheidungen (um eine solche handelt es sich hier) nicht in Betracht.
bb) Abgesehen davon schließt das Versammlungsgesetz als lex specialis für versammlungsbezogene Eingriffe die subsidiäre Anwendung allgemeiner polizeirechtlicher Ermächtigungsnormen aus. In den durch Art. 8 GG ‚polizeifest'
geschützten Rechtsstatus der Versammlungsteilnehmer kann zum Zwecke der Gefahrenabwehr ausschließlich nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, DVBl 2001, 839 ff.; ferner VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.
cc) Ein repressives polizeiliches Tätigwerden gegenüber Teilnehmern an einer nicht aufgelösten Versammlung kommt mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und den rechtsstaatlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, <juris>, Rz. 23.
Dafür, dass ein solcher hier vorliegt, ist nichts ersichtlich. Ungeachtet dessen scheiden Vorschriften der StPO als Ermächtigungsgrundlage für die Einschließung jedoch auch deshalb aus, weil ihre rechtlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt sind. In Betracht kommen lediglich die Festhaltung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO) und die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO).
(1) Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist. Der
Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (Satz 2 der Vorschrift). Ein Verdacht im Sinne dieser Vorschrift besteht, wenn der Schluss auf
die Begehung einer Straftat gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die die Täterschaft als möglich erscheinen lassen.
Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 163b Rz. 4.
Solche Anhaltspunkte sind indessen nicht schon dann gegeben, wenn jemand an einer Versammlung teilnimmt, aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden. Auch insoweit kommt es
vielmehr auf den konkreten Versammlungsteilnehmer an; der Tatverdacht muss individuell bestehen. Auf die oben (unter I.1.) wiedergegebenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs
- Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 37/82 -, BHGZ 89, 383 ff. -
zur Mittäterschaft oder Beihilfe ‚passiv' bleibender Versammlungsteilnehmer wird verwiesen. Da sich Gewalttätigkeiten kaum jemals ganz ausschließen lassen, liefe sonst nahezu jeder Versammlungsteilnehmer Gefahr, allein wegen
des Gebrauchmachens vom Grundrecht des Art. 8 GG mit Strafverfolgungsmaßnahmen überzogen zu werden. Im Fall der Kläger lagen, wie dargelegt, im Zeitpunkt des Einschreitens keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie über ihre
bloße Anwesenheit hinaus aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren, Unterstützung leisteten oder sich zumindest äußerlich erkennbar mit den Gewalttätern solidarisierten. Insbesondere gehörten sie nicht zu den 33 ‚qualifizierten'
Straftätern, die bereits während des Aufzugs individuell von der Polizei (wohl durch Videoüberwachung) in den Blick genommen worden waren und letztlich den Anlass für die Einschließung gegeben hatten.
Dass die Polizei im Zeitpunkt des Einschreitens selbst nicht jeden einzelnen im vorderen Bereich des Aufzugs aufhältigen und dann eingeschlossenen Teilnehmer für tatverdächtig hielt, geht in aller Deutlichkeit aus dem
Einsatztagebuch hervor. In dem Eintrag für 15.22 Uhr (Bl. 144 des Verw.vorgangs) heißt es:
‚Ein Zug der 9. BPH wird herangeführt, um den harten Kern (ca. 20 Personen) aus dem Aufzug herauszutrennen und zu separieren'.
Der Eintrag für 15.42 Uhr (Bl. 148 des Verw.vorgangs) lautet:
‚Die VT, die aus dem Aufzug separiert werden sollen, haben sich weiter in die Mitte begeben, da sie zuvor mit Pfefferspray bedacht worden waren. Es ist beabsichtigt, diese dort herauszutrennen, und die übrigen VT in den
ursprünglichen Aufzugsweg zu drängen, um ihnen nach wenigen Metern eine Alternativstrecke anzubieten.'
Demnach war ein Einschreiten nur gegen den harten Kern, bestehend aus ca. 20 Personen, beabsichtigt. Diese sollten von den anderen Versammlungsteilnehmern separiert werden. Aus welchem Grund die Polizei dann ihr Vorhaben
so nicht durchführte, sondern pauschal Zugriff auf 194 Personen (über die Hälfte aller Versammlungsteilnehmer) nahm, ist nach Aktenlage unklar. Auf eine kurzfristige Änderung des Lagebildes mit der Folge eines plötzlich
festgestellten individuellen Tatverdachts gegen jede einzelne im vorderen Bereich aufhältige Person dürfte die spontane Ausweitung der Maßnahme jedenfalls nicht zurückzuführen sein. Dagegen spricht zum einen der zuletzt zitierte
Eintrag in Einsatztagebuch, der die Situation unmittelbar vor Durchführung der Maßnahme wiedergibt, und zum anderen der polizeiliche Vermerk vom 3. August 2008, in dem auf Seite 3 (Bl. 66 der Gerichtsakte) ausgeführt ist:
‚Letztlich fand, noch bevor die Personen innerhalb des Demonstrationszuges getrennt werden konnten, teilweise eine Vermengung der einzelnen Gruppen statt, d.h. Personen, die zuvor noch in der 1. Reihe waren, gingen dann in den
hinteren Teil des Demonstrationszuges und umgekehrt'.
Angesichts dieser Vermischung hing es offensichtlich nicht von einem individuellen Tatverdacht, sondern mehr oder weniger vom Zufall ab, ob ein Versammlungsteilnehmer zu der eingeschlossenen Gruppe gehörte oder nicht. Nahe
liegend erscheint es daher, dass taktische Erwägungen und faktische Gegebenheiten - etwa die örtliche Möglichkeit eines ‚Einschnitts' in den Aufzug - zu der Ausweitung des polizeilichen Zugriffs führten, und dass sich die Maßnahme
anschließend zum ‚Selbstläufer' entwickelte.
(2) Allerdings kann gemäß § 163b Abs. 2 StPO auch eine solche Person zur Feststellung der Identität festgehalten werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist und nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Eine solche Maßnahme hat der Beklagte indessen nicht getroffen. Die Kläger wurden nicht als Zeugen festgehalten, sondern als potenzielle Beschuldigte. Nach dem Vorbringen des
Beklagten bestand gegen alle eingeschlossenen Personen der dringende Verdacht, Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs zu sein.
Vgl. den Bericht der Bereitschaftspolizei vom 3. Juni 2009 zur Fertigung der Klageerwiderung (Bl. 6 des Verw.vorgangs).
Demgemäß sind Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden.
(3) Die vorläufige Festnahme setzt gemäß § 127 Satz 1 StPO voraus, dass jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Wie sich aus obigen
Ausführungen ergibt, lagen auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitpunkt des Einschreitens nicht vor.
II. Die Folgemaßnahmen (weiteres Festhalten der Kläger innerhalb der Einschließung, Identitätsfeststellung, Fertigung von Fotos, Verbringung zum Polizeipräsidium, Festhalten in Bussen im Hof des Präsidiums, erneute Fertigung von
Fotos im Präsidium, weiteres Festhalten der Klägerin zu 2. im Präsidium) teilen die rechtliche Bewertung der Einschließung, sind also ebenfalls rechtswidrig. Sämtlichen Folgemaßnahmen stand entgegen, dass die Kläger als nicht
rechtmäßig ausgeschlossene Teilnehmer an einer Versammlung unter dem Schutz des Art. 8 GG standen und in strafprozessualer Hinsicht kein individueller Tatverdacht gegen sie bestand.
1. Gefahrenabwehrrechtlich gilt auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen die ‚Polizeifestigkeit' der Versammlungsfreiheit. Eine Aufspaltung dahingehend, dass die Einschließung als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG
rechtswidrig war, die zwar später getroffenen, aber an die Einschließung anknüpfenden, durch sie erst ermöglichten Maßnahmen dagegen nicht mehr an Art. 8 GG zu messen sind, würde der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht.
Die Versammlungsfreiheit schützt das freie Zusammenkommen, die eigentliche Versammlung und das freie Auseinandergehen der Teilnehmer gleichermaßen.
Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 12 VG 2442/Sb -, NVwZ 1987, 829 ff.
Ohne Gewährleistung des freien Zu- und Abgangs bestünde die Möglichkeit, die Ausübung des Freiheitsrechts systemwidrig mittels dafür nicht vorgesehener allgemeiner polizeirechtlicher Eingriffsermächtigungen zu beeinträchtigen
und faktisch auszuschließen. Wer damit rechnen muss, dass er nach seiner Teilnahme an einer nicht verbotenen und auch nicht aufgelösten Versammlung einer Identitätsfeststellung unterzogen, fotografiert und zum Polizeipräsidium
gebracht wird, dürfte es sich genau überlegen, ob er tatsächlich von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen will.
2. Einem repressiven Vorgehen auf Grundlage der StPO stand auch hinsichtlich der Folgemaßnahmen das Fehlen eines individuell gegen die Kläger gerichteten Tatverdachts entgegen. Ob darüber hinaus das Verbringen zum
Polizeipräsidium und die dort folgenden Maßnahmen gegen das Übermaßverbot verstießen, nachdem bereits am Ort der Versammlung die Personalien der Kläger aufgenommen und Fotos gefertigt worden waren, kann nach alledem
aus sich beruhen. ..."
***
§ 19a
Für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen gilt § 12a.
Leitsätze/Entscheidungen:
Die Ermächtigung der Polizei zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach § 1 Abs. 3 des Berliner Gesetzes über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen vom
23. April 2013 ist mit der Verfassung von Berlin vereinbar (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 11.04.2014 - 129/13).
*** (OVG)
Zur Videobeobachtung einer Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern (OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010 - 5 A 2288/09 zu Art 8 I, 2 I, 1 I 1 GG, §§ 12a, 19a VersammlG):
„... Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Videobeobachtung der Versammlung am 4. Juni
2008 in N. zum Thema: "Urantransporte stoppen" rechtswidrig war. Es ist zutreffend davon ausgegangen, das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer und das Übertragen der Bilder auf einen
Monitor habe den Kläger in seinem Versammlungsgrundrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) und in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.
Auch wenn die Bilder lediglich in Echtzeit übertragen und nicht gespeichert worden sind und dies dem Versammlungsleiter mitgeteilt worden ist, war die aufnahmebereite Kamera über die gesamte Dauer der Veranstaltung von einem
ausgefahrenen Kameraarm eines unmittelbar vorausfahrenden Beweissicherungsfahrzeugs der Polizei auf die nur etwa 40 bis 70 Versammlungsteilnehmer gerichtet. Bei dieser Ausgangslage ist die Annahme des Verwaltungsgerichts
nicht zu beanstanden, die Videobeobachtung habe die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle überschritten und die innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer beeinträchtigt. Bürger hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung
von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden können. Durch die Kameraübertragung war auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner
Versammlungsteilnehmer auf einem Monitor im Fahrzeuginnenraum möglich. Zudem war bei der aufnahmebereiten Kamera aus Sicht eines (verständigen) Versammlungsteilnehmers zu befürchten, die Aufnahme könne beabsichtigt
oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden.
Unter diesen Gesichtspunkten war der konkrete Einsatz der Kameraübertragung geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und
Einschüchterungseffekten zu erzeugen. So unterschied sich der Einsatz signifikant sowohl von bloßen Übersichtsaufnahmen, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür
erforderlich sind, als auch von einer reinen Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte. Anders als solche Maßnahmen ohne Eingriffsqualität wäre der in Rede stehende Kameraeinsatz mit Blick auf den grundrechtlich
geschützten staatsfreien Charakter von Versammlungen allenfalls auf der Grundlage einer auf das notwendige Maß beschränkten gesetzlichen Ermächtigung zulässig gewesen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 349; so ist wohl auch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 f. zu verstehen; siehe ferner
Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 12 a Rn. 14, und Söllner, Anmerkung zum Urteil des VG Berlin vom 5. Juli 2010 - 1 K 905.09 -, DVBl. 2010, 1248, 1249 f.
Einer gesetzlichen Ermächtigung hätte es ferner deshalb bedurft, weil die Videobeobachtung der Versammlung zugleich in das Recht der Teilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG. i. V. m. Art. 1 Abs. 1
GG eingriff. Diesbezüglich war die Eingriffsschwelle unabhängig von einer Speicherung der Bilder überschritten, weil die die Versammlung begleitende Beobachtung eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern
ermöglichte, von großer Streubreite war und der Beklagte mit ihr zudem eine gewisse Beeinflussung der inneren Versammlungsfreiheit beabsichtigt hatte. Hiervon waren zahlreiche Personen betroffen, die in keiner Beziehung zu
einem konkreten Fehlverhalten standen.
Vgl. zu diesen Kriterien für einen Eingriff BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05, 1254/07 -, BVerfGE 120, 378, 397 ff., 402 f. sowie Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497, 501; siehe
ferner BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16 f.; OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A 3375/07 -, OVGE 52, 122 = juris, Rn. 39 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -,
NVwZ 2004, 498, 500.
Für die allein an den Grundrechten auszurichtende Bewertung der Eingriffsqualität ist es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, welche Gründe dafür maßgeblich waren, dass der Gesetzgeber mit Geltung für
Nordrhein-Westfalen (anders z. B. in Bayern nach Art. 9 BayVersG) neben den §§ 19 a, 12 a VersG keine weiteren Ermächtigungen mit niedrigeren Eingriffsvoraussetzungen geschaffen hat. Entscheidend ist nur, dass die
Voraussetzungen dieser als Ermächtigungsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschriften nicht vorlagen. Hiernach wären Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern nur zulässig gewesen, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt hätten, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese qualifizierten Voraussetzungen waren aus den vom Verwaltungsgericht im
angegriffenen Urteil zutreffend genannten Gründen (S. 8, dritter Absatz bis S. 10, erster Absatz) nicht gegeben. Hierfür genügte entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere nicht, dass nach Erfahrungen von früheren
Urantransporten Restrisiken und Störungen des Transports am 4. Juni 2008 nicht von vornherein mit Sicherheit auszuschließen waren. Auch wenn sich die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose des Beklagten nach der maßgeblichen
ex-ante-Sicht der eingesetzten Beamten richtet, ergibt sich daraus kein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum, der allein auf Grund der Unberechenbarkeit von Versammlungsverläufen eine andere Einschätzung
rechtfertigen könnte.
Vgl. zu den ähnlichen Anforderungen an beschränkende Verfügungen nach § 15 Abs. 1 VersG BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, 672.
Der in Rede stehende Kameraeinsatz stellt sich auch nicht gegenüber zulässigen Maßnahmen nach §§ 19 a, 12 a VersG als reine Vorbereitungshandlung dar. Insbesondere greift der Einwand des Beklagten nicht durch, das
Aufzeichnungssystem habe lediglich in einen jederzeit arbeitsfähigen Zustand versetzt werden sollen. Zum einen sind Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf die Ermächtigung in §§ 19 a, 12 a VersG erst dann veranlasst, wenn
einzelne Versammlungsteilnehmer ein Verhalten erkennen lassen, das den Eintritt erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung konkret erwarten lässt. Hierzu ist es unstrittig im gesamten Versammlungsverlauf
nicht gekommen. Zum anderen hätte sich der Eingriff in Grundrechte von Versammlungsteilnehmern ohne wesentliche Einschränkung des polizeilichen Vorsorgekonzepts vermeiden lassen, indem eine im Stand-by-Modus geschaltete
Kamera erkennbar von der Versammlung abgewendet worden wäre. Bereits hierdurch wären die eingesetzten Beamten innerhalb weniger Sekunden in der Lage gewesen, etwaige von ihnen wahrgenommene Gefahrenlagen im Bild
einzufangen, ohne dass hierfür anlasslos durchgehend Bilder der Versammlung auf einen Monitor hätten übertragen werden müssen. Um einen Grundrechtseingriff zu vermeiden, hätte der Beklagte insbesondere nicht auf veraltete
Systeme zurückgreifen oder den Kamerawagen im Bedarfsfall erst herbeiholen müssen.
Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob schon eine reine Videobeobachtung unmittelbar am Ort des Geschehens - ohne Aufzeichnung und ohne Weiterleitung an eine Zentralstelle - bei einer Versammlung unter Anwesenheit bzw. Begleitung von Polizeivollzugsbeamten
einen Grundrechtseingriff begründen kann,
lässt sich bereits ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts im bejahenden Sinne beantworten. Danach ist jeweils durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls
zu ermitteln, ob eine Videobeobachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zur Folge hat. Dabei ist maßgeblich auch zu berücksichtigen, ob die Videobeobachtung in ihrer konkreten Ausgestaltung
geeignet ist, einzelne Bürger von der rechtmäßigen Ausübung ihrer Grundrechte wie z. B. der Versammlungsfreiheit abzuhalten, weil sie nicht übersehen können, ob ihnen daraus Risiken entstehen können.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 - 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, 43. ..."
*** (VG)
Die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG (juris: VersammlG ND) setzt voraus, dass es sich um eine unübersichtliche Versammlung handelt. Eine Versammlung ist unübersichtlich, wenn sie
von einem zentral postierten Polizeibeamten aufgrund ihrer Größe oder der Beschaffenheit des Versammlungsorts nicht überblickt werden kann (VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2013 - 1 A 283/12 - Videoaufzeichnungen -
Videoüberwachung):
„... Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die polizeiliche Videoüberwachung und die Auflösung einer Versammlung rechtswidrig gewesen sind.
Am 13.07.2012 wurde im N. O. in E. der sog. Zukunftsvertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Stadt E. unterzeichnet. Zu diesem Zweck war der Besuch des damaligen niedersächsischen Innenministers Schünemann
angekündigt, der das O. über den nördlichen Treppenaufgang betreten sollte. Ab etwa 13.00 Uhr fanden sich sowohl Gegner der Unterzeichnung des Zukunftsvertrags (insgesamt 50 bis 60 Personen, unter ihnen der Kläger) als auch
Polizeikräfte auf dem Marktplatz vor dem N. O. im Bereich des nördlichen Treppenaufgangs ein, wobei die örtliche Polizei (17 Personen) durch Angehörige der Bereitschaftspolizei (94 Personen) unterstützt wurde. Ab etwa 14.40 Uhr
versperrten sechs Personen mit einem Transparent den Treppenaufgang und gaben ihn auch nach Aufforderung durch die Polizei nicht frei. Ein Versammlungsleiter wurde auf Anfrage der Polizei nicht benannt. Der verantwortliche
Einheitsführer erteilte sodann eine ausdrückliche Weisung, den Treppenaufgang freizumachen, und legte den Ort für die Weiterführung der Versammlung in etwa zehn Meter Entfernung vom derzeitigen Standort fest. Als die
Versammlungsteilnehmer hierauf nicht reagierten, erklärte er die Versammlung für aufgelöst, teilte dies den Teilnehmern mit und forderte sie auf, mindestens zehn Meter in Richtung der Fußgängerzone zu gehen. Als dies nicht
befolgt wurde, erteilte er eine Platzverweisung und drohte den Demonstranten die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Nachdem die Androhung nach dreimaliger Wiederholung keinen Erfolg gezeigt hatte, wurde die Treppe gegen
14.45 Uhr geräumt und die Versammlungsteilnehmer wurden durch eine Polizeikette ca. drei Meter zur Seite geschoben. Kurz darauf traf der Innenminister ein und betrat über die geräumte Treppe das O.. Gegen 15.24 Uhr verließ der
Minister das O. wieder und reiste ab. Danach löste sich die Protestaktion auf. Zur Videodokumentation verwendete die Polizei eine Handkamera, mit der zwischen 14.42 Uhr und 15.25 Uhr etwa zehn Minuten lang aufgezeichnet
wurde. Daneben wurde eine auf einem Kraftfahrzeug installierte sog. Turmkamera eingesetzt, die zwischen 14.44 Uhr und 15.25 Uhr etwa 12,5 Minuten aufzeichnete.
Am 26.11.2012 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er zunächst die Feststellung begehrt hat, dass die polizeiliche Videoüberwachung der Versammlung vom 13.07.2012 rechtswidrig gewesen sei. Mit Schreiben vom 06.05.2013 hat
er die Klage um den Antrag auf Feststellung erweitert, dass die Auflösung der Versammlung rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung führt der Kläger aus, die Polizei habe am fraglichen Tag ohne erkennbaren Anlass und ohne das
Vorliegen der Voraussetzungen des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes eine Videoüberwachung der Versammlung durchgeführt. Diese habe ein Gefühl des Überwachtwerdens und damit der Einschüchterung verursacht und ihn
in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit habe nicht vorgelegen. Die Versammlung sei auch nicht unübersichtlich gewesen. Er beabsichtige, weiterhin an
Versammlungen teilzunehmen, und berufe sich auf eine Wiederholungsgefahr. Die Polizei habe die Versammlung aufgelöst, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Die Auflösung sei unverhältnismäßig gewesen,
weil eine Beschränkung ausgereicht hätte.
Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die polizeiliche Videoüberwachung der Versammlung vom 13.07.2012 am N. O. in E. sowie die Auflösung dieser Versammlung rechtswidrig gewesen sind. Die Beklagte beantragt, die Klage
abzuweisen. Sie führt aus, die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen habe der Gefahrenabwehr gedient. Person und Amt des niedersächsischen Innenministers seien in der Vergangenheit durch linksmotivierte Gruppen in E. immer
wieder heftig kritisiert worden. Insbesondere habe man bei einer Veranstaltung in der Universität E. am 10.01.2012 Erfahrungen gesammelt, als das Dienstkraftfahrzeug des Innenministers umlagert worden sei und er mit
Einsatzfahrzeugen der Polizei habe abreisen müssen. Dabei sei ein Begleitfahrzeug durch einen Steinwurf erheblich beschädigt worden. Bereits am 26.04.2012 habe es eine Protestveranstaltung wegen des Zukunftsvertrags gegeben.
Aufgrund der Veröffentlichung des Termins vom 13.07.2012 habe die Polizei mit einer Protestaktion von 50 bis 100 Personen gerechnet. Die Auflösung der Versammlung sei notwendig gewesen, um den Zugang des Ministers zum N.
O. zu gewährleisten. Die Meinungskundgabe der Teilnehmer sei durch das Zurückdrängen weder verhindert noch erschwert worden, sondern habe am neuen Ort in unmittelbarer Nähe fortgesetzt werden können. Die vorübergehende
Auflösung sei in ihrer Wirkung einer Beschränkung gleichgekommen und verhältnismäßig gewesen. Nachdem die Träger des Transparents von der Treppe abgedrängt worden seien, hätten sich hinter ihnen weitere
Versammlungsteilnehmer konzentriert und körperlichen Gegendruck ausgeübt, den sie verbal aggressiv begleitet hätten. Auch der Kläger sei hieran beteiligt gewesen. Weil Widerstandshandlungen und Körperverletzungsdelikte zu
befürchten gewesen seien, habe man eine Videoaufzeichnung erstellt, um später bei Bedarf einen Beweis im Strafverfahren führen zu können. Man habe befürchtet, dass die polizeiliche Absperrung überwunden werden könnte und der
störungsfreie Verlauf der Unterzeichnung des Zukunftsvertrags bzw. die körperliche Unversehrtheit von Polizeibeamten oder des Innenministers und seiner Begleitung beeinträchtigt würden. Die Demonstranten hätten die Polizisten
provoziert und versucht, das Wenden der Dienstkraftfahrzeuge des Ministers zu behindern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Akte eines gegen den Kläger durch die Staatsanwaltschaft E. geführten strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens (XX Js XXXXX/XX) Bezug genommen. ...
Entscheidungsgründe: Die Klage hat zum Teil Erfolg und wird im Übrigen abgewiesen. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Auflösung der am 13.07.2012 durchgeführten Versammlung rechtswidrig gewesen sei, ist
die Klage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft. Ob der Kläger wegen der durch die Polizei ergriffenen Maßnahmen einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff unterlag bzw. ob er sich wegen
seiner Absicht, auch künftig in E. an Versammlungen teilzunehmen, auf ein Feststellungsinteresse wegen Vorliegens einer Wiederholungsgefahr berufen kann, kann dahinstehen, denn die gegen eine Auflösung der Versammlung
gerichtete Klage ist jedenfalls nicht begründet.
Gemäß § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
abzuwenden. Sie kann nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG eine Versammlung auflösen, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Nach der Auflösung
haben sich die teilnehmenden Personen unverzüglich zu entfernen (§ 8 Abs. 2 Satz 3 NVersG). Obwohl der verantwortliche Einheitsführer in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 26.05.2013 ausgeführt hat, er habe die
Versammlung am 13.07.2012 aufgelöst, und das Wort Auflösung auch auf der mittels Handkamera gefertigten Videoaufzeichnung hörbar ist, war in der Maßnahme nach rechtlicher Bewertung durch das Gericht keine Auflösung,
sondern lediglich eine räumliche Beschränkung der Versammlung gemäß § 8 Abs. 1 NVersG zu sehen. Unter einer Auflösung ist die Beendigung einer bereits begonnenen Versammlung mit dem Ziel zu verstehen, die
Personenansammlung zu zerstreuen. Wie auch das Verbot ist die Auflösung nur als ‚ultima ratio' zulässig, wenn Beschränkungen der Versammlung keinen Erfolg versprechen und elementare Rechtsgüter gefährdet sind. Eine solche
Beendung mit dem Ziel der Zerstreuung der Ansammlung verfolgte der verantwortliche Polizeibeamte jedoch ersichtlich nicht. In seiner schriftlichen Stellungnahme hat er ausgeführt:
‚Ich habe dann die Versammlung gem. § 8 (2) NVersG aufgelöst und dieses auch klar und verständlich den Versammlungsteilnehmern mitgeteilt. Um die Personen aber nicht gänzlich von der Beobachtung der Ankunft des
Innenministers auszuschließen, eine unmittelbare Einwirkung auf ihn aber zu verhindern, entschloss ich mich, den Bereich der Entfernung auf ein Minimum zu reduzieren. Ich ergänzte die Auflösungsverfügung um den rechtlichen
Hinweis: ‚… bitte gehen Sie mindestens 10 m in Richtung Fußgängerzone'.'
Auch der Videoaufzeichnung ist zu entnehmen, dass der ‚Auflösungsanordnung' die mehrfache Aufforderung an die Versammlungsteilnehmer voranging, die P. freizumachen und sich etwa 10 Meter in Richtung Q. zu begeben. Mit
der Maßnahme wollte der Polizeiführer somit lediglich eine geringfügige räumliche Beschränkung der Versammlung erreichen, ohne ihren Teilnehmern den Grundrechtsschutz zu nehmen. Auch objektiv gesehen führte die Maßnahme
nicht zu einem Verlust des Grundrechtsschutzes. Vielmehr wurde es den Versammlungsteilnehmern ermöglicht, ihre Kundgebung in etwa zehn Metern Entfernung zum ursprünglichen Kundgebungsort ohne wesentliche
Unterbrechung mit demselben Inhalt, demselben Teilnehmerkreis und denselben Möglichkeiten, öffentlich ihre Meinung zu äußern, fortzuführen. Die Versammlung war nach Durchführung der Maßnahme somit noch dieselbe wie
zuvor und ihre Teilnehmer übten ihr Demonstrationsrecht bis zur Abreise des Innenministers ungehindert aus.
Da somit bei rechtlicher Bewertung keine Auflösung der Versammlung angeordnet wurde, kann eine Klage gegen eine Auflösung in der Sache keinen Erfolg haben. Die bloße Beschränkung der Versammlung ist vom Kläger nicht zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht worden; vielmehr hat er hierzu lediglich vorgetragen, eine Beschränkung hätte als im Vergleich zu einer Auslösung weniger belastende Maßnahme ausgereicht. Eine Beschränkung ist gegenüber
der Auflösung auch kein bloßes ‚Minus', dessen Rechtmäßigkeit das Gericht im Rahmen des gestellten Antrags hätte überprüfen müssen. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme, die eigenen rechtlichen Anforderungen unterliegt
und deren Überprüfung der Kläger daher ausdrücklich hätte beantragen müssen.
Selbst wenn man mit dem Kläger zu der Auffassung gelangen würde, dass eine von der Polizei als Auflösung bezeichnete Maßnahme rechtlich stets als Auflösung zu bewerten wäre, hätte die Klage keinen Erfolg. Wäre die
Versammlung tatsächlich aufgelöst worden, so wäre nämlich in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang zu der aufgelösten erneut eine Versammlung mit demselben Teilnehmerkreis und zu demselben Thema
durchgeführt worden. Die Maßnahme hätte deshalb keine rechtserheblichen Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts durch die Versammlungsteilnehmer und insbesondere den Kläger gehabt. Dieser konnte
seinen Protest in unmittelbarer Nähe zum ursprünglichen Versammlungsort in unveränderter Weise zu Ausdruck bringen und wurde dabei sowohl vom Minister als auch von der Öffentlichkeit in derselben Weise wahrgenommen, wie
dies von ihm beabsichtigt und am ursprünglichen Versammlungsort möglich gewesen war.
Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Fertigung von Videoaufzeichnungen der Versammlung vom 13.07.2012 rechtswidrig gewesen sei, ist die Klage als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO
statthaft. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger an der baldigen Feststellung ein berechtigtes Interesse hat. Demgegenüber handelt es
sich nicht um eine Fortsetzungsfeststellungsklage, da die Fertigung von Videoaufzeichnungen kein Verwaltungsakt, sondern ein Realakt der Polizei war.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere kann der Kläger sich auf ein Feststellungsinteresse berufen, indem er geltend macht, durch die Fertigung von Videoaufzeichnungen in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie in seinem Versammlungsgrundrecht (Art. 8 GG) verletzt worden zu sein. Rechtsgrundlage für die Fertigung von Bild- und Tonübertragungen und -aufzeichnungen ist § 12 NVersG. Nach § 12
Abs. 1 Satz 1 NVersG kann die Polizei unter im Einzelnen festgelegten Voraussetzungen Bild- und Tonaufzeichnungen von einer bestimmten Person offen anfertigen; Derartiges bezweckte die Polizei vorliegend nicht, da die
Videoaufzeichnungen nicht gezielt auf eine bestimmte Person ausgerichtet waren, sondern die Versammlung als Ganze erfassen sollten. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG kann die Polizei eine unübersichtliche Versammlung und ihr
Umfeld mittels Bild- und Tonübertragungen offen beobachten, wenn dies zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist. Sie kann nach § 12 Abs. 2 Satz 2
NVersG zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit offen Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten teilnehmenden Personen (Übersichtsaufzeichnungen) anfertigen. Um eine derartige
Übersichtsaufzeichnung handelt es sich vorliegend. Dem steht nicht entgegen, dass bei der Auswertung Einzelpersonen identifizierbar sind (vgl. hierzu BVerfG, Entscheidung vom 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342 zu
Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG). Dies lässt sich aus § 12 Abs. 2 Satz 3 NVersG schließen, wonach die Auswertung von Übersichtsaufzeichnungen mit dem Ziel der Identifizierung einer Person nur unter bestimmten Bedingungen
zulässig ist. Diese Regelung lässt erkennen, dass die Möglichkeit der Identifizierung auch bei der Übersichtsaufzeichnung vom Gesetzgeber gesehen und gebilligt worden ist.
Mit der Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen waren wegen der damit verbundenen potenziellen Einschüchterungseffekte gewichtige Nachteile für die Versammlungsteilnehmer verbunden.
Übersichtsaufzeichnungen sind für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, da sie gleichzeitig dazu führen, dass Einzelpersonen individualisierbar werden. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen
und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht nach dem Stand der Technik nicht. Übersichtsaufzeichnungen begründen daher für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer
Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer
Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer
Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten (BVerfG, Entscheidung vom 17.02.2009, a.a.O.). Die
Fertigung von Übersichtsaufzeichnungen war daher geeignet, den Kläger in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu beeinträchtigen. Daneben berührte sie sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Darüber hinaus kann sich der Kläger auch unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr auf ein Feststellungsinteresse berufen. In versammlungsrechtlichen Verfahren sind bei der Beurteilung des Feststellungsinteresses die
Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger und zum
anderen voraus, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77). Auf Seiten des Klägers reicht es aus, wenn sein
Wille erkennbar ist, in Zukunft an Versammlungen teilzunehmen, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Dagegen darf für die Bejahung des
Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004,
a.a.O.). Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, er beabsichtige, auch in Zukunft an vergleichbaren Veranstaltungen teilzunehmen, und es ist nicht auszuschließen, dass hierbei wiederum Übersichtsaufzeichnungen angefertigt werden.
Indem die Beklagte ihr Verhalten verteidigt, zeigt sie des Weiteren, dass sie an ihrer Rechtsauffassung zu den Anforderungen an die Anfertigung von Videoaufzeichnungen festhält.
Die Klage ist insoweit auch begründet. Aus der Systematik des § 12 Abs. 2 NVersG geht hervor, dass die Fertigung offener Bild- und Tonaufzeichnungen in Form von Übersichtsaufzeichnungen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 NVersG
ebenso wie das bloße Beobachten der Versammlung (ohne dass dabei Aufzeichnungen gefertigt werden) gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG voraussetzt, dass es sich um eine unübersichtliche Versammlung handelt. Dies ergibt sich
bereits daraus, dass § 12 Abs. 2 in Satz 1 NVersG einleitend die Voraussetzung einer unübersichtlichen Versammlung nennt und in Satz 2 sodann von ‚Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten teilnehmenden Personen'
spricht. Bei den ‚nicht bestimmten teilnehmenden Personen' kann es sich nur um Personen handeln, die an einer Versammlung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 und damit an einer unübersichtlichen Versammlung teilnehmen. Für eine solche
Auslegung spricht auch die ursprüngliche Fassung des Gesetzesentwurfs (Lt-Drs. 16/2075, S. 6 f.), die wie folgt formuliert war:
‚Die Polizei darf von einer Versammlung und ihrem Umfeld Übersichtsaufnahmen zur Leitung des Polizeieinsatzes anfertigen, wenn dies wegen der Größe oder der Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist.
Sie darf auch (Hervorhebung durch das Gericht) Übersichtsaufzeichnungen anfertigen, wenn …'
Die Verwendung des Wortes ‚auch' zeigt den Bezug zum vorangehenden Satz und damit auch zur Unübersichtlichkeit der Versammlung (das Tatbestandsmerkmal der Größe wurde später fallen gelassen). Auch die hierzu formulierte
Begründung (Lt-Drs. 16/2075, S. 35) spricht für eine solche Sichtweise. Dort heißt es:
‚Im bisherigen Recht fehlt eine Befugnis zur Anfertigung der für eine polizeiliche Lagebeurteilung unabdingbaren Übersichtsaufnahmen von Versammlungen und deren Umfeld. Absatz 2 Satz 1 enthält daher eine solche Befugnis der
Polizei zur Leitung des Polizeieinsatzes, wenn dies wegen der Größe oder der Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist. Eine Speicherung der erhobenen Daten erlaubt Absatz 2 Satz 1 nicht, weil für den
Zweck der Einsatzleitung eine Echtzeitübertragung ausreicht. Übersichtsaufzeichnungen sind nach Absatz 2 Satz 2 darüber hinaus nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von der Versammlung
(Hervorhebungen durch das Gericht) erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen.'
Die Formulierungen ‚darüber hinaus' und ‚von der Versammlung' stellen den Bezug zum ersten Satz des zweiten Absatzes her und zeigen, dass auch Übersichtsaufzeichnungen nur bei unübersichtlichen Versammlungen zulässig sind.
Für diese Auslegung der Kammer spricht schließlich auch, dass Übersichtsaufzeichnungen einen wesentlich stärkeren Eingriff in die Rechte der Versammlungsteilnehmer darstellen als bloße Bild- und Tonübertragungen und nicht
anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber für die bloßen Übertragungen engere Voraussetzungen schaffen wollte als für die Aufzeichnungen.
Das Merkmal der Unübersichtlichkeit steht in engem Zusammenhang mit dem Gefahrenabwehrzweck der Maßnahme. Nur wenn die Unübersichtlichkeit die Aufzeichnung erfordert, um von der Versammlung ausgehende erhebliche
Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, ist sie gerechtfertigt. Dabei wird Unübersichtlichkeit anzunehmen sein, wenn die Versammlung von einem zentral postierten Polizeibeamten aufgrund ihrer Größe oder der
Beschaffenheit des Versammlungsorts nicht überblickt werden kann (Wefelmeier/Miller, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2012, § 12 Rn. 16; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2011, § 12 Rn. 17). Das Gericht
teilt die Auffassung des Klägers, es habe sich bei der Versammlung am 13.07.2012 nicht um eine unübersichtliche Versammlung im Sinne der genannten Vorschrift gehandelt. Mit den Videoaufzeichnungen wurde am fraglichen Tag
um 14.42 Uhr begonnen. Zu dieser Zeit befand sich im Bereich des nördlichen Treppenaufgangs des N. O. es eine etwa 50, allenfalls 60 Personen umfassende Gruppe von Versammlungsteilnehmern. Die Größe der Gruppe bewegte
sich somit im unteren Bereich dessen, was die Polizei erwartet hatte. Den Videoaufzeichnungen ist zu entnehmen, dass die Personengruppe auf eingeschränktem Raum in der Nähe der Polizeibeamten stand und deshalb gut zu
übersehen war. Die Versammlungsteilnehmer verließen den Versammlungsort während der gesamten Aufzeichnungen nicht, sondern bewegten sich lediglich in überschaubarem Umfang hin und her. Nach dem Verlaufsbericht der
Polizei befanden sich insgesamt 111 Polizeibeamte am Versammlungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe. Es erscheint der Kammer nicht nachvollziehbar, dass eine so große Gruppe von Polizeibeamten nicht den Überblick über
eine etwa halb so große Anzahl von Versammlungsteilnehmern gehabt haben soll.
Darüber hinaus war die Fertigung von Übersichtsaufzeichnungen - obwohl sie nur einen geringen zeitlichen Umfang hatte - unverhältnismäßig, weil sie in der konkreten Situation nicht erforderlich war. Selbst wenn man davon
ausgeht, dass bei einem ungeschützten Eintreffen des Innenministers und seiner Begleitpersonen deren Gesundheit und körperliche Unversehrtheit durch die Versammlungsteilnehmer gefährdet gewesen wären und somit eine
erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben war, so konnte diese Gefahr angesichts der im Vergleich zur Anzahl der Versammlungsteilnehmer erheblich größeren Anzahl von Polizeibeamten bereits dadurch abgewendet
werden, dass der Versammlungsort verlegt und der Aufgang zum O. durch eine Polizeikette abgesperrt wurde. Eine Situation, die die Anfertigung von Videoaufzeichnungen zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche
Sicherheit gerechtfertigt hätte, bestand um 14.42 Uhr nicht und ergab sich auch nicht im Zeitraum bis zum Abschluss der Aufzeichnungen. ..."
***
Es wird festgestellt, dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen, die anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin durch den Beklagten erfolgt ist, rechtswidrig war (VG Berlin, Urteil vom
26.04.2012 - VG 1 K 818.09 - Videoaufzeichnungen - Videoüberwachung):
„... Der Kläger begehrt die Unterlassung von polizeilichen Maßnahmen der Bild- und Tonaufnahmen und -aufzeichnung im Zusammenhang mit Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bzw. die Feststellung deren Rechtswidrigkeit.
Der Kläger ist Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der sich mit Fragen der Innen- und Rechtspolitik befasst und zu diesem Zweck u.a. jährlich in den Monaten September oder Oktober eine Versammlung mit
bundesweiter Mobilisierung unter dem Motto ‚Freiheit statt Angst' in Berlin organisiert. Die Versammlungen fanden bisher am 22. September 2007, am 11. Oktober 2008, am 12. September 2009, am 11. September 2010 und zuletzt
am 10. September 2011 statt, wobei der Kläger nach seinen Angaben an allen diesen Aufzügen teilnahm.
Bei den Aufzügen 2009 und 2010 fertigte der Beklagte von einem an der Spitze der Versammlungen fahrenden Fahrzeug Übersichtsaufnahmen der Demonstrationszüge an. Im Vorfeld des Aufzugs 2009 hatte der Beklagte eine
Gefahrenprognose erstellt, wonach bei der Versammlung mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechnen sei. So hätten an den Versammlungen in den Jahren 2007 und 2008 Personen aus der linksradikalen und
linksextremistischen Szene teilgenommen, die mit Polizeikräften und anderen Versammlungsteilnehmern zusammengestoßen seien. Zudem hätte die Erkenntnis vorgelegen, dass Mitglieder des ‚Antikapitalistischen Blocks' an der
Versammlung teilnehmen wollten, die zuvor im März 2009 bei einem anderen Aufzug durch massive Gewalttätigkeiten aufgefallen seien. Nach Polizeiangaben nahmen im September 2009 am Aufzug etwa 700 Angehörige des
‚Antifaschistischen Blocks' teil, aus deren Bereich es zu Flaschenwürfen in Richtung eingesetzter Polizeibeamter kam.
Vom Kläger gestellte Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen zur Verhinderung von polizeilichen Film- und Fotoaufnahmen bei den Aufzügen in den Jahren 2010 und 2011 blieben erfolglos (Beschlüsse der Kammer vom
8. September 2010 - VG 1 L 226.10 - und vom 7. September 2011 - VG 1 262.11 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. September 2011 - OVG 1 S 157.11 -).
Mit seiner am 24. September 2009 erhobenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten, es künftig zu unterlassen, im Zusammenhang mit diesen Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen von ihm zu fertigen oder fertigen zu lassen
oder entsprechende Aufnahmegeräte auf ihn zu richten oder richten zu lassen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 12a VersammlG vorliegen.
Zur Begründung seiner Klage führt er aus, er sei auf diesen Versammlungen von der Polizei wiederholt, pauschal und ohne äußeren Anlass gefilmt und fotografiert worden. Er sei dabei sowohl von auf Fahrzeugen montierten Kameras
als auch von tragbaren Geräten erfasst worden. Dies zeige z.B. eine von ihm gefertigte Filmaufnahme des Aufzugs vom 12. September 2009, welche einen friedlichen Versammlungsverlauf belege, bei der er aber dennoch von einer
Kamera auf einem Polizeifahrzeug gefilmt worden sei. Zudem habe er zeitweise das Transparent an der Spitze des Aufzugs getragen und sei daher der Aufnahme durch das voranfahrende Polizeifahrzeug ausgesetzt gewesen. Auch
beim Aufzug vom 11. September 2010 sei er wiederholt - nach seiner Beobachtung viermal - z.T. auch verdeckt anlasslos gefilmt worden. Außerdem habe er erneut das Fronttransparent getragen. Er sei hiernach betroffen gewesen. Da
der Beklagte im Übrigen im Bezug auf den Aufzug vom 12. September 2009 einräume, seine Kamerawagen an strategischen Stellen entlang der Wegstrecke des Aufzugs aufgestellt zu haben, sei es für ihn schlechterdings nicht
möglich gewesen, nicht von einer Filmaufnahme betroffen zu sein.
Die anlassunabhängige Überwachung von Versammlungen durch Bild- und Tonaufnahmen greife in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ein. Wer bei der Ausübung dieses Grundrechts mit einer staatlichen
Überwachung rechnen müsse, verzichte möglicherweise aufgrund der Einschüchterungswirkung auf seine Teilnahme. Zudem sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Ferner entstünden für die
Versammlungsteilnehmer weitere Risiken (z.B. das einer ungerechtfertigten Strafverfolgung) durch die Möglichkeit einer automatischen Gesichtserkennung oder einem etwaigen missbräuchlichen oder fahrlässigen Umgang mit den
Aufzeichnungen bei den Polizeibehörden. Ein solcher Grundrechtseingriff sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei § 19a VersammlG i. V. m. § 12a VersammlG nicht einschlägig, da hierfür eine gesicherte Gefahrenprognose
erforderlich sei, die es in seinem Falle nicht gegeben habe. Für § 12a VersammlG sei gerade erforderlich, dass die erhebliche Gefahr von der Versammlung ausginge. Dies sei bei der Versammlung von 2009 nicht der Fall gewesen.
Dem Vorbringen des Beklagten, es sei in 2009 zu Straftaten gekommen, könne nicht gefolgt werden, da eine derartige Feststellung einer strafgerichtlichen Entscheidung bedürfe. In jedem Falle habe sich der Kläger weder an Störungen
beteiligt noch habe es in seiner Umgebung derartige Vorfälle gegeben. Außerdem stehe er nicht in Verbindung mit radikalen oder extremistischen Gruppen. Gleichfalls könne die Gefahrenprognose des Beklagten die
Voraussetzungen nicht stützen. Geschehnisse aus der Vergangenheit könnten keine Anhaltspunkte für eine Gefahr darstellen. Der Kläger bestreitet zudem eine nennenswerte Teilnahme von Anhängern des antikapitalistischen Blocks
bei der Versammlung. Es könne in diesem Zusammenhang auch nicht angehen, dass die Teilnahme einer Minderheit Eingriffe in die Grundrechte der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer bedinge. In Bezug auf den Aufzug von
2010 habe der Beklagte sogar gegenüber der Presse erklärt, dieser sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Ein Rückgriff auf die Normen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts sei wegen der Spezialität des Versammlungsrechts nicht möglich.
Auch seien bloße Übersichtsaufnahmen nicht zulässig, da damit § 12a VersammlG umgangen werde, zumal der Aufnahmezweck für den einzelnen Versammlungsteilnehmer nicht erkennbar sei und gleichfalls eine abschreckende
Wirkung eintrete. Im Übrigen seien Übersichtsaufnahmen auch unnötig, da eine Abstimmung der Polizeikräfte auch mit Polizei- oder Mobilfunk möglich sei. Eine Notwendigkeit, die Aufnahmen zur Beweissicherung zu verwenden,
sei nicht gegeben, da es jedenfalls in der Person des Klägers an entsprechenden Vorfällen fehle. Auch der Verweis auf die erwartete hohe Teilnehmerzahl sei untauglich. Würde man ab einer bestimmten Teilnehmerzahl stets eine
abstrakte Gefahr annehmen, würden die strengen Voraussetzungen des § 12a VersammlG fast immer vorliegen. Außerdem seien auch im Rahmen von Übersichtsaufnahmen Einzelpersonen individualisierbar, sodass hierin auch ein
Grundrechtseingriff liege. Dieser entfalle im Übrigen auch nicht deshalb, weil sich der Betroffene im öffentlichen Raum bewege oder von der Maßnahme wisse. Es sei auch unerheblich, dass die gemachten Aufnahmen nicht dauerhaft
gespeichert würden, sondern nur nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen worden seien. Es trete der gleiche Einschüchterungseffekt ein, zumal ein Versammlungsteilnehmer die Art der Aufnahme von außen nicht erkennen
könne. Auch bei Echtzeitübertragungen ohne dauerhafte Aufzeichnung bestehe eine Missbrauchsgefahr, da diese mit Funksignalen übertragen würden, die ohne Verschlüsselung mit geringem technischen Aufwand von Unbefugten
eingesehen und mitgeschnitten werden könnten. Schließlich würde aus ähnlichen Erwägungen bereits vom Richten einer ausgeschalteten Kamera auf Versammlungsteilnehmer eine einschüchternde Wirkung und damit ein
Grundrechtseingriff ausgehen. Der Kläger bezweifelt, dass eine generelle Weisung des Polizeipräsidenten in der Einsatzrealität wirklich umgesetzt werde.
Nachdem der Kläger verschiedene Klageanträge angekündigt hat, beantragt er nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger auf rechtmäßigen Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die anlassunabhängige Überwachung durch Staat und Wirtschaft zum Thema haben, unter
freiem Himmel in Berlin zu filmen, zu fotografieren, akustisch aufzuzeichnen oder eine Kamera auf diesen zu richten, solange nicht tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger oder in dessen unmittelbarem
räumlichen Umfeld befindliche Personen, Tiere oder Sachen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblicher Weise gefährden,
2. hilfsweise festzustellen, dass Übersichtsaufnahmen anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, die Klage sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Kläger habe schon nicht schlüssig dargelegt, dass er von einer Übersichtsaufnahme betroffen gewesen
sei oder es alsbald und beliebig sein könne. Auch habe es Bild- und Tonaufnahmen zu den vom Kläger angegebenen Orten und Zeiten nicht gegeben. Übersichtsaufnahmen habe es nur an der Spitze des Aufzugs gegeben, wovon der
Kläger bereits nach seinem eigenen Vortrag gar nicht hätte betroffen sein können. Es sei auch sonst nicht festzustellen, dass er durch die Bilddokumentation tatsächlich betroffen wäre. Der Kläger habe vielmehr nicht substantiiert
vorgetragen, dass er bei der Versammlung am 12. September 2009 aufgenommen worden sei. Er müsse die fraglichen, seine Grundrechte beeinträchtigenden Maßnahmen nach Art, Zusammenhang, Zeitpunkt und Ort konkret
benennen. Allein die Tatsache der Teilnahme an der Versammlung rechtfertige die Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung noch nicht. Aus dem gleichen Grunde fehle dem Kläger auch im Falle einer etwaigen Umstellung auf
eine Feststellungsklage dahin, dass die Maßnahmen des Beklagten beim Aufzug am 12. September 2009 rechtswidrig gewesen seien, das erforderliche Feststellungsinteresse.
Da dem Kläger durch die Anfertigung von Bildaufnahmen nicht von vornherein eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte drohe, sei die Klage überdies auch unbegründet. Würde man dennoch von einer Grundrechtsbetroffenheit des
Klägers ausgehen, so wäre dieser Eingriff in jedem Falle gerechtfertigt, denn er könne wegen der gesicherten Gefahrenprognose auf § 12a VersammlG gestützt werden. Der tatsächliche Verlauf des Aufzugs im September 2009 habe
die getroffene Prognose bestätigt. Daher seien bei der Versammlung sowohl situativ, etwa im Zusammenhang mit Einzelmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten, als auch in Form von Überblicksaufnahmen Videoaufnahmen
gefertigt worden. Der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen komme dabei eine weniger einschneidende Wirkung zu. Zudem komme dem Einschüchterungseffekt durch die Präsenz einer Kamera nur dann durchschlagende Kraft zu,
wenn eine durch die Übersichtsaufnahmen zentralisierte Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nach den Umständen nicht erforderlich sei. Umgekehrt seien Übersichtsmaßnahmen zur Durchführung des Polizeieinsatzes bei einer
entsprechenden Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich, wovon man bei einer erwarteten Teilnehmerzahl von 20.000 Personen ausgehen müsse. Die Übersichtsaufnahmen seien daher - auch im Sinne einer
versammlungsfreundlichen Einsatzbewältigung - rechtmäßig. Zudem mache es objektiv keinen Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Versammlung durch eine Sehhilfe beobachte oder ob die Bilder in Echtzeit und ohne
Aufzeichnung in eine Befehlsstelle übertragen würden.
Der Beklagte verweist abschließend darauf, dass nach aktueller Weisungslage des Polizeipräsidenten in Berlin, basierend auf dem Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010, derzeit durch die Polizei keine Filmaufnahmen, auch keine
Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen angefertigt würden. Diese generelle Weisung werde in jeden einzelnen Einsatzbefehl bei Versammlungen aufgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten VG 1 L 226.10 und VG 1 L 262.11 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen. ...
Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. unzulässig. Für die Verurteilung zur vorbeugenden Unterlassung der benannten Film- und Fotoaufnahmen fehlt es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der für den Erfolg einer
Unterlassungsklage erforderlichen Wiederholungsgefahr. Aufgrund der im Blick auf das Urteil der Kammer vom 5. Juli 2010 (VG 1 K 905.09, juris) aktuell bestehenden Anordnungslage des Polizeipräsidenten in Berlin durch dessen
generelle Weisung vom 3. August 2010 ist nicht davon auszugehen, dass derzeit bei Versammlungen in Berlin durch die Polizei Film- und Fotoaufnahmen gefertigt werden, sofern nicht die Voraussetzungen der §§ 19a, 12a
VersammlG vorliegen. Der Polizeipräsident hat in seiner generellen Weisung klargestellt, dass ‚Übersichtsaufnahmen, die nicht an tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich einer bevorstehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung gebunden sind, … bei der gegebenen Rechtslage nicht mehr angefertigt werden' können und deshalb unzulässig sind. Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte dürfen zwar nach wie vor mitgeführt werden, weil ein
Einsatz im Rahmen der §§ 19a, 12a VersammlG erforderlich sein könnte, allerdings sei ‚darauf zu achten, dass dieses Mitführen/Begleiten der Versammlung so geschieht, dass nicht der Eindruck entstehen kann, es werde bereits aufgezeichnet.'
Die Kammer hat keine Veranlassung anzunehmen, diese Weisung des Polizeipräsidenten werde bei konkreten Versammlungen, so auch des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, nicht beachtet. Bei der durch eine klare
Befehlsstruktur gekennzeichneten Polizeibehörde muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass eine solche generelle Weisung des Behördenleiters von allen nachgeordneten Einsatzkräften beachtet wird, noch dazu wird nach
Darstellung des Beklagten diese Weisung auch zum Bestandteil der jeweils konkreten Einsatzbefehle gemacht. Dass eventuell einzelne Beamte weisungswidrig doch Film- und Fotoaufnahmen fertigen und dadurch ein
disziplinarrechtlich relevantes Verhalten zeigen, rechtfertigt nicht die Annahme einer Wiederholungsgefahr, denn hierfür muss vom rechtmäßigen Handeln der Polizeibeamten, also aufgrund der Weisungslage, ausgegangen werden.
Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Klageantrags zu 2. ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig. Die Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung durch Einsatzkräfte der Polizei stellte einen
Realakt dar. Da dieser sich bereits erledigt hat, kann das diesbezügliche staatliche Handeln zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das feststellungsfähige und konkrete Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO
ergibt sich aus der durchgeführten polizeilichen Beobachtung des Klägers und anderer Teilnehmer der Versammlung. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger, der an den Versammlungen des Arbeitskreises teilgenommen und
nach seinen Darlegungen mehrfach in den vorderen Reihen der jeweiligen Aufzüge gelaufen ist, der unstreitig erfolgten polizeilichen Beobachtung ausgesetzt war. Das berechtigte Interesse des Klägers nach § 43 Abs. 1 VwGO an der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten polizeilichen Maßnahmen ist bereits durch die Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis folgt ebenfalls aus der Möglichkeit eines Eingriffs in die Grundrechte des Klägers. Nach
Vortrag des Klägers hat dieser auch an den Versammlungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung teilgenommen; Zweifel an der Richtigkeit dieser Darlegung sind weder ersichtlich noch konkret dargetan.
Die Klage ist mit dem Hilfsantrag auch begründet. Die Überwachung der bisherigen Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in den Jahren 2010 und früher durch den Beklagten mittels Bild- und
Tonaufnahmegeräten war rechtswidrig.
In ihrem Urteil vom 5. Juli 2010 hat die Kammer zu einem vergleichbaren Sachverhalt folgendes ausgeführt:
‚Die Beobachtung der Versammlung am 5. September 2009 mittels eines Video-Wagens der Polizei und die Übertragung der so gewonnen Bilder in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip - ohne Einverständnis der Teilnehmer -
stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) dar und bedurfte somit einer Rechtsgrundlage. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw.
Wahrnehmung des Grundrechts zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch
ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -,
BVerfGE 105, 279, 300). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich jedenfalls für die speziellen Grundrechte
durchgesetzt hat, lässt für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni
2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 299 - 301).
Daran gemessen stellt die Beobachtung der Versammlung im Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Denn wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine
Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten
möglicherweise gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl 2007, 497 - 502). Durch diese Einschüchterung der Teilnehmer könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und
demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden (VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 13). Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft
gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich
registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des
Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen
Gemeinwesens ist (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 43 - Volkszählung; BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 369).
Es macht hier keinen Unterschied, ob die durch die Polizei gefertigten Aufnahmen auch gespeichert wurden, denn das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln
knüpft einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Teilnehmer an. Demnach ist die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip auch geeignet, bei den Teilnehmern ein
Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese - wenn auch ungewollt - in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Ob die Aufnahmen tatsächlich auch gespeichert wurden, kann
der einzelne Versammlungsteilnehmer nicht wissen.
Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte der Polizei in dem Übertragungswagen dem Kläger zu 2.) erklärten, es fände keine Aufzeichnung der Bilder statt, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Zum einen wurde dies nicht allen
Versammlungsteilnehmern kundgetan. Zum anderen bleibt die einschüchternde Wirkung des für alle Teilnehmer deutlich sichtbaren und ständig vorausfahrenden Übertragungswagens erhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer
muss ständig damit rechnen, durch eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen) individuell und besonders beobachtet zu werden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist dies generell möglich, so
dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen nicht mehr besteht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369; VG Münster,
Urteil vom 21. August 2009 - 1 K 1403/08 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass die technische Möglichkeit, die Übersichtsaufnahmen auch zu speichern, dem Grunde nach besteht und jederzeit mittels Knopfdruck erfolgen kann - auch
versehentlich. Insofern verweist der Beklagte zu Unrecht darauf, dass hier kein Unterschied zu einem die Sachlage beobachtenden Polizeibeamten vor Ort vorliege. Dieser würde die Versammlungsteilnehmer - in der Regel abseits
stehend - wohl kaum in derselben Weise irritieren, wie ein nur wenige Meter vor ihnen herfahrender Übertragungswagen, der fortlaufend mehrere Kameras auf sie gerichtet hat.
Das Beobachten der Versammlungsteilnehmer stellt ferner einen Eingriff in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken der
Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR
209/83 -, BVerfGE 65, 1, 41 - 42 - Volkszählung). Ob sich die Klägerin zu 1.) als juristische Person auf die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht berufen kann (Art. 19 Abs. 3 GG), kann dahingestellt bleiben, da
zumindest der Kläger zu 2.) die Verletzung dieses Grundrechts erfolgreich rügen kann. Bereits die Beobachtung der Versammlungsteilnehmer im Kamera-Monitor-Verfahren, ohne eine Speicherung der Daten, stellt einen Eingriff dar,
denn die Beobachtung, Auswertung und Speicherung der Daten stellt aus der Sicht der betroffenen Versammlungsteilnehmer einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009 - 16 A
3375/07 - juris Rn. 39 - Videoüberwachung einer Universitätsbibliothek). Es besteht jederzeit die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu
erfassen. Durch die so aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt
(VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 - 507 (500) - Videoüberwachung im öffentlichen Verkehrsraum; VG Sigmaringen, Beschluss vom 2. April 2004 - 3 K 1344/04 - juris Rn. 27 -
Videoüberwachung eines Volksfestes; Roggan, Die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen - Oder: Immer mehr gefährliche Orte für Freiheitsrechte, NVwZ 2001, 134, 136; zur Grundrechtsgefährdung als Eingriff vgl. Sachs in:
ders., GG, 5. Aufl. 2009, Vor Art. 1 RdNr. 95 m.w.N.).
Da die Beobachtung der Versammlung vom 5. September 2009 sowohl einen Eingriff in den Schutzbereichs der vorrangigen Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG als auch in den der informationellen Selbstbestimmung aus Art.
2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, bedurfte es zu dessen Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang der Beschränkungen erkennbar ist. Eine solche Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden.
Von der im Zuge der Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) hat das Land
Berlin bisher keinen Gebrauch gemacht. Als Rechtsgrundlage für die Videobeobachtung der Versammlung am 5. September 2009 kommt somit lediglich § 12a Abs. 1 S. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) i.V.m. § 19a VersG in
Betracht. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen
erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 1 S. 2 VersG dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese Voraussetzungen liegen
nicht vor, da zum Zeitpunkt des Aufzuges keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar waren, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Eine
Gefahrenprognose im Vorfeld des Aufzuges am 5. September 2009 in Berlin, welche ein polizeiliches Eingreifen erforderlich gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte selbst trägt vor, der Aufzug sei friedlich und störungsfrei
verlaufen. Dass es im Voraus zu einigen Zusammenstößen mit der Polizei am Schacht Asse oder in Morsleben kam, ändert hieran nichts. Ob dies der Klägerin zu 1.) zugerechnet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Diese
Zusammenstöße mit der Polizei betrafen - wie von dem Beklagten zutreffend formuliert - ‚Reizobjekte.' Eine derartige Gefährdungslage bestand innerhalb Berlins ohnehin nicht. Der von dem Beklagten dokumentierte und mittels
Videokamera aufgezeichnete Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal, wo eine unbekannte Person selbiges bestiegen hatte, datierte vom 29. August 2009 und betraf offenbar eine andere Veranstaltung. Ein möglicher Hausfriedensbruch
durch eine Einzelperson wäre überdies nicht geeignet, ein polizeiliches Einschreiten gegen die gesamte Versammlung zu rechtfertigen. Auch der Beklagte selbst sieht den Vorfall am Sowjetischen Ehrenmal nicht im Zusammenhang
mit dem Aufzug der Klägerin zu 1.). Darüber hinaus war die Beobachtung des Aufzuges durch die Polizei nicht auf Gefahrenabwehr gerichtet. Der Beklagte selbst trägt vor, keine Gefahrenlage erkannt zu haben, sondern lediglich
Übersichtsaufnahmen zum Zwecke der Lenkung und Leitung in die Einsatzleitstelle übertragen zu haben. Daran muss er sich messen lassen.
Andere Rechtsgrundlagen für das polizeiliche Handeln sind nicht ersichtlich. Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht des Landes Berlin zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nicht möglich (BVerfG, Beschluss vom
26. Oktober 2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, 80 - 81; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34, 38; VGH Mannheim, Urteil vom 26. Januar 1998 - 1 S 3280/96 -, DVBl 1998, 837, 839). Ein Rückgriff
auf das allgemeine Polizeirecht wäre lediglich zum Schutz der Versammlung oder als milderes Mittel gegenüber einer tatbestandlich zulässigen Auflösung möglich. Diese Fälle liegen indes nicht vor.
Aufgrund des Eingriffscharakters des polizeilichen Handelns bedurfte dieses gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Die durch den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 12a VersG geäußerte Auffassung, die
bloße Videobeobachtung einer Versammlung - ohne eine Speicherung der Aufnahmen - sei wohl kein Grundrechtseingriff, da der Einzelne aufgrund mangelnder technischer Möglichkeiten nicht individualisierbar gemacht werden
könne (BT-Drs. 11/4359, S. 17), ist mittlerweile überholt (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 368 - 369). Die gegenteilige Ansicht des Beklagten ist nicht zutreffend. Sein Hinweis, das
polizeiliche Handeln habe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestanden, da die vorliegende Versammlung aufgrund ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zur Lenkung und Leitung habe überwacht
werden können (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, BVerfGE 122, 342, 372 - 373), geht fehl. Denn der maßgebliche Unterschied zu dem dort entschiedenen Fall ist der, dass das betroffene Land Bayern eine
eigens die Übersichtsaufnahmen einer Versammlung gestattende gesetzliche Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz des Landes Bayern geschaffen hatte. Dessen Anwendbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht sodann einstweilen
auf die Fälle unübersichtlicher Großdemonstrationen beschränkt. An einer derartigen Rechtsgrundlage fehlt es jedoch im Land Berlin. Das Bundesverfassungsgericht selbst scheint die grundsätzliche Notwendigkeit einer gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage ebenfalls vorauszusetzen.'
An diesen Ausführungen hält die Kammer auch im hier zur Entscheidung stehenden Verfahren fest. Es fehlt weiterhin an einer Rechtsgrundlage für die bis zum Jahr 2010 erfolgten anlassunabhängigen Beobachtungen der vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veranstalteten Versammlungen in Berlin. Nach dem im Land Berlin weiterhin geltenden Versammlungsgesetz des Bundes sind die §§ 19 a und 12 a VersammlG die einzigen Normen, aufgrund
derer Bild- und Tonaufnahmen angefertigt werden dürfen. Deren Voraussetzungen lagen bei den hier streitigen Aufnahmen aber offensichtlich nicht vor. Ein gesondertes Versammlungsgesetz nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts für Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen hat das Land Berlin noch nicht erlassen. ..."
***
Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit
(Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt. Das bloße Beobachten und Anfertigen von
Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, überschreitet die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich der
Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und zu bestimmten, aus seiner Sicht den beobachtenden Polizeibeamten
gerecht werdenden Verhaltensweisen veranlasst oder sogar von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer ist es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine
Speicherung der Daten erfolgt. Die §§ 12a und 19a des Versammlungsgesetzes stellen keine Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Übersichtsaufnamen zur Lenkung und Leitung während einer Versammlung dar, sofern nicht eine
erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen während einer Versammlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 - 1 K 905.09).
***
Zur Zulässigkeit polizeilicher Maßnahmen im Vorfeld einer öffentlichen Versammlung (VG Lüneburg, Urteil vom 30.03.2004 - 3 A 116/02, NVwZ-RR 2005, 248).
§ 20
Das Grundrecht des Artikels 8 des Grundgesetzes wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts eingeschränkt.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 21
Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin bis zum Erlass eines rechtskräftigen Urteils zu verpflichten, es im Internet zu unterlassen, die Potsdamerinnen und Potsdamer zum Protest
gegen den geplanten Aufmarsch der NPD am 15. September 2012 in Potsdam aufzufordern, mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten
einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO lägen nicht vor, weil Bedenken gegen das Bestehen eines Anordnungsgrundes gegeben seien und die Antragstellerin dessen ungeachtet einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht
habe. Ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB analog stehe ihr nicht zu. Der Standort des streitigen Aufrufs auf der Internetseite der Antragstellerin (Potsdam Aktuell) wie seine Aufmachung und seine Formulierung ließen ihn
für einen objektiven Betrachter zunächst nicht als eine amtliche Äußerung der Antragsgegnerin erkennen. Es handele sich um einen gemeinsamen Aufruf mit dem Bündnis ‚Potsdam bekennt Farbe' und zahlreichen namentlich
aufgeführten Unterzeichnern im Rahmen der Aktionen des vorgenannten Bündnisses. Dessen ungeachtet erfasse der Aufruf den örtlichen Wirkungskreis der Antragsgegnerin, insbesondere, weil dieser gemeinsame Aufruf die Ideen
und Forderungen des von Potsdamerinnen und Potsdamern formulierten und veröffentlichten ‚Neuen Potsdamer Toleranzedikts 2008' aufgreife. Ungeachtet der Einstufung des streitigen Aufrufs verstoße dieser auch nicht gegen das
Sachlichkeitsgebot. Toleranz und friedlicher Protest gegen Meinungsäußerungen anderer sei vornehmlich unter Berücksichtigung des vorgenannten ‚Neuen Potsdamer Toleranzedikts' ein für Jedermann gerechtfertigtes Anliegen und
müsse im Übrigen auch ganz im Sinne der Antragstellerin selbst sein. Da der Aufruf nicht zum Zwecke einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechts auf Versammlungsfreiheit der Antragstellerin erfolgt sei, verstoße er auch nicht
gegen die Grundsätze der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit, zumal die Antragsgegnerin auch nicht für das Versammlungsrecht zuständig sei.
Das für die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde.
Es kann zunächst offen bleiben, ob es sich - wie die Antragsgegnerin meint - bei der in der Beschwerdeschrift (Seite 3) formulierten Änderung des Antragsbegehrens, wonach dieser sich nunmehr nicht mehr gegen den Aufruf als
solchen, sondern gegen seine Veröffentlichung im Internet auf der offiziellen Seite der Antragsgegnerin richten soll, um eine im Beschwerdeverfahren unzulässige Antragsänderung handelt. Denn der für den Erlass der begehrten
einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsanspruch ist sowohl mit der bisherigen als auch mit der jetzt formulierten Zielrichtung auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 VwGO, §
920 Abs. 2 ZPO). Insoweit macht die Beschwerde - in weiten Passagen lediglich unter Wiederholung ihrer Ausführungen in der Antragsschrift und damit schon ohne die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotene Auseinandersetzung
mit der erstinstanzlichen Entscheidung - im Kern geltend, die Ausführungen auf der Internetseite der Antragsgegnerin (www.potsdam.de/cms/beitrag/10098215/31478 unter ‚Potsdam Aktuell'), die diese sich (jedenfalls) zu eigen
mache, verletzten sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie in ihren Rechten aus § 5 PartG und verstießen gegen den Neutralitätsgrundsatz sowie das Sachlichkeitsgebot. Denn die Antragsgegnerin dürfe
sich als Hoheitsträgerin zwar durchaus für Toleranz und friedliche Ausübung von Meinungsäußerungen einsetzen, müsse es aber auch dulden, dass eine kleine politische Partei ihr Versammlungsgrundrecht wahrnehme, und sie sei
nicht zuständig für das Aufrufen zu Protesten gegen eine Versammlung; dazu seien andere politische Parteien berufen, mit denen die Antragstellerin im Wettbewerb stehe. Mit ihrem Aufruf bezwecke die Antragsgegnerin indes, die
politischen Aktivitäten, hier also die Versammlung der Antragstellerin, zu behindern oder mindestens Stimmung dagegen zu machen.
Dieses Vorbringen greift nicht durch. Die Antragstellerin kann sich für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit eines
Obsiegens in der Hauptsache mit Erfolg weder auf eine Verletzung ihrer Rechtspositionen aus § 5 PartG noch aus Art. 3 Abs. 1 GG, hier insbesondere in der Ausprägung des Neutralitätsgrundsatzes, berufen; Gleiches gilt hinsichtlich
des Sachlichkeitsgebots sowie hinsichtlich der Rechtsposition der Antragstellerin als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung. Dazu im Einzelnen:
Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von § 5 PartG geltend macht, greift diese Bestimmung hier schon tatbestandlich nicht ein. Nach der genannten Norm (hier: Satz 1) sollen alle Parteien gleichbehandelt werden, wenn ein
Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt. Um einen solchen Fall der Zurverfügungstellung von Einrichtungen oder der Gewährung öffentlicher Leistungen
geht es hier ersichtlich nicht.
Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des sog. Neutralitätsgrundsatzes beanstandet, ist auch für den Senat schon nicht hinreichend deutlich, dass es sich aus der Sicht eines objektiven
Beobachters um zuvörderst der Antragstellerin zurechenbare Inhalte handelt. Richtig ist zwar, dass auf Seite 2 der Internetveröffentlichung im Text derselben namentlich auch die Landeshauptstadt Potsdam zu dem inmitten stehenden
Protest aufruft. Dennoch erschließt sich eine Urheberschaft der Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres. Denn auf der zunächst erscheinenden Seite 1 des Aufrufs heißt es im Text erst einmal wie folgt: ‚Das Bündnis 'Potsdam bekennt
Farbe' ruft für den 15. September zu einem Schulterschluss in einem stadtweiten Bündnis 'Potsdam nazifrei' auf…'. Auf Seite 2 heißt es im Zusammenhang mit der Erwähnung der Antragsgegnerin vollständig wie folgt: ‚Die
Landeshauptstadt Potsdam, das Bündnis 'Potsdam bekennt Farbe' und die Unterzeichner dieses Aufrufes fordern alle Potsdamerinnen und Potsdamer zum friedlichen, gewaltfreien und kreativen Protest gegen den geplanten Aufmarsch
auf'; im Anschluss an den Text werden - in hervorgehobener Weise abgesetzt - die genannten Unterzeichner im Einzelnen aufgeführt, darunter etwa der Oberbürgermeister der Stadt, und zwar - aufgrund seiner namentlichen Nennung -
mutmaßlich als Privatperson, sowie eine Reihe weiterer Repräsentanten und Mitglieder aus dem zivilgesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Raum, darunter mehrere Fraktionen. In der Zusammenschau dürfte sich dies -
unbeschadet des Umstandes, dass sich der fragliche Internetauftritt auf einer Seite der Antragsgegnerin findet - aus Sicht eines objektiven Beobachters eher als ein Aufruf des dem gesellschaftlichen Raume zuzuordnenden Bündnisses
‚Potsdam bekennt Farbe' darstellen als zuvörderst der Antragsgegnerin zuzuordnen sein.
Unabhängig hiervon ist auch alles andere als klar, ob der auf dem Gedanken der Chancengleichheit beruhende Neutralitätsgrundsatz (insofern als spezielle Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG) in der
vorliegenden Konstellation - also vor dem Hintergrund einer Meinungskundgabe zu einer Versammlung - als solcher überhaupt geeignet ist, Grenzen von staatlichen Hoheitsträgern bei Äußerungen zu Versammlungen zu ziehen (vgl.
dazu BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2009 - 6 B 4/09 -, Juris, Rdn. 5, zum Urteil des Senats vom 20. November 2008 - OVG 1 B 5.06 -, OVGE 29, S. 170 ff., 182); diese Frage kann im vorliegenden (Eil-)Verfahren auch nicht
abschließend geklärt werden. Es gilt hier aber jedenfalls soviel: Der auf dem Gedanken der Chancengleichheit der Parteien beruhende Grundsatz staatlicher Neutralität knüpft an den Gedanken an, dass der Staat - insbesondere durch
Leistungsgewährung wie etwa bei der Parteienfinanzierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 -, BVerfGE 111, 54, 104 ff.) oder durch öffentliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 2. März 1977 - 2 BvR 424/75 -, BVerfGE 44, 124, 138 ff., 144 ff.) - in den Wettbewerb der politischen Willensbildung nicht eingreifen soll und in diesem Sinne insbesondere die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen
darf. Vorliegend geht es freilich nicht um eine Ressourcenverteilung in diesem Sinne oder um etwaige staatliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen, sondern um öffentlichen Meinungskampf und -austausch im Umfeld einer
öffentlichen Versammlung, der schon seiner Natur nach auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung und in diesem Sinne auf ‚Rede' und ‚Gegenrede' abzielt (vgl. dazu - entsprechend bei Bürgerbegehren - OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 15 B 2455/03 -, Juris, Rdn. 16 ff.). Dass sich die Antragsgegnerin an einem solchen öffentlichen Meinungsaustausch und den diesbezüglich diskutierten Themen überhaupt
nicht beteiligen dürfte, behauptet auch die Antragstellerin nicht und findet auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze (s. dazu - im Zusammenhang mit Art. 4 GG - etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Juni
2002 - 1 BvR 670/91 - Juris, Rdn. 54).
Soweit als Grenze solcher - ggf. auch kritischer (vgl. BVerfG, a.a.O.) - Äußerungen das sog. Sachlichkeitsgebot heranzuziehen ist (s. dazu insb. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.), hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt,
dass die diesbezüglichen Grenzen vorliegend nicht überschritten seien; mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde schon entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht auseinander. Dass die Antragsgegnerin hier außerhalb ihrer
kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen und ggf. in unsachlicher Art und Weise tätig geworden wäre, vermag auch der Senat dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu entnehmen.
Soweit die Antragstellerin schließlich eine Verletzung ihrer Rechtsposition als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung und damit der Sache nach eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 8 GG
geltend macht, greift auch dies nicht durch. Zwar muss es staatlichen Repräsentanten an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des
demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein (vgl. bereits Urteil des Senats vom 20. November 2008, a.a.O., OVGE 29, 170, 182). Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass die dafür maßgebliche Grenze, die
einfachrechtlich in § 21 VersammlG (hier in Zusammenschau mit § 111 StGB) nachgezeichnet ist, hier überschritten wäre. Nach den genannten Bestimmungen ist es unter Strafe gestellt, in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen
oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen; nach § 111 StGB darf hierzu auch nicht öffentlich
aufgefordert werden. Eine derartige öffentliche Aufforderung lässt sich dem inmitten stehenden Internetaufruf freilich nicht entnehmen. Darin ist zwar von ‚Protest' und dem ‚Ziel' die Rede, den fraglichen Aufmarsch zu ‚verhindern';
zugleich findet sich aber die Betonung, dass es sich um einen ‚friedlichen' und ‚gewaltfreien' Protest handeln solle. Irgendwelche konkreten Handlungsempfehlungen (etwa eine Sperrung der Aufzugsstrecke o.ä.), die eine Würdigung
des Aufrufs nach Maßgabe der vorgenannten Strafbestimmungen zuließen, enthält dieser ersichtlich nicht. Abgesehen davon wird aus dem Gesamtzusammenhang der auf dem weiterführenden Link des Bündnisses ‚Potsdam bekennt
Farbe' wiedergegebenen ‚Lokalen Aktionsplan' veröffentlichten Informationen deutlich, dass dem Aktionsbündnis daran gelegen ist, für die vielfältigen unter dem Toleranz-Motto stehenden Veranstaltungen, insbesondere für eine
Teilnahme an dem 5. Fest für Toleranz sowie an weiteren Veranstaltungen zu werben. ..." (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.09.2012 - OVG 1 S 127.12)
***
Das öffentliche Gelöbnis zur Vereidigung neu einberufener Rekruten der Bundeswehr stellt keine „Versammlung" i.S. von § 21 VersammlG dar. Zu den Voraussetzungen der Anwendung unmittelbaren Zwangs (§ 9 UZwGBw) gegen
die Störer eines öffentlichen Gelöbnisses (KG, Beschluss vom 12.06.2003 - (4) 1 Ss 270/02 (153/02), NStZ 2004, 45).
Gewalt i. S. des § 240 I StGB wird angewandt, wenn eine Straße durch in mehreren Reihen zum Teil eingehakt sitzende Demonstranten für Fußgänger blockiert und dadurch ein angemeldeter Demonstrationszug für zehn Minuten zum
Halten gezwungen wird. Ein solches Verhalten stellt auch eine grobe Störung eines Aufzugs i. S. des § 21 VersammlG dar (BayObLG, Urteil vom 16.10.1995 - 4 St RR 186/95, BayObLGSt 1995, 167).
*** (VG)
"... Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Satzes „Deshalb fordern wir alle Reinickendorferinnen und Reinickendorfer auf, friedlich gegen die NPD zu demonstrieren." in der Pressemitteilung Nr. 3263 vom 9. August
2012. ...
Rechtsgrundlage für die beanspruchte Unterlassung der genannten Äußerung ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB, der auch bei der Verletzung anderer absoluter Rechte
anzuwenden ist. Dieser Anspruch setzt voraus, dass durch hoheitliches Handeln der Amtsträger des Beklagten in ein subjektives Recht der Klägerin eingegriffen wird, in der Folge ein objektiv rechtswidriger Zustand entsteht und die
konkrete Gefahr der Wiederholung dieser Rechtsbeeinträchtigung droht. Als subjektive Rechte der Klägerin dürften zumindest die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG hier
betroffen sein.
Äußerungen eines Amtsträgers mit Eingriffsqualität sind jedoch statthaft, wenn sich dieser im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs bewegt und die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in der Form
des Sachlichkeitsgebotes gewahrt sind. Dies erfordert es, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Außerdem dürfen die Äußerungen nicht
unverhältnismäßig sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 15 B 1099/05 -, NVwZ-RR 2006, 273, 274 und Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 15 B 2544/03 -, NVwZ-RR 2004, 283, 284 f.; VG Stuttgart, Urteil vom
13. April 2011 - 7 K 602/11 -, NVwZ-RR 2011, 615, 616).
Im Einzelnen gilt dazu Folgendes: Der Aufgabenkreis des für das Land Berlin handelnden Bezirks Reinickendorf und seiner Amtsträger umfasst die regelmäßige Wahrnehmung der örtlichen Verwaltungsaufgaben nach den
Grundsätzen der Selbstverwaltung (Art. 66 Abs. 2 VvB). Die Bezirke sind Selbstverwaltungseinheiten Berlins ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Organe die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt sind (§ 2
BzVwG). Dabei nehmen die Bezirke alle Aufgaben der Verwaltung wahr, die nicht als Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung der Hauptverwaltung zugewiesen sind (§ 3 Abs. 2 BzVwG i. V. m. § 3 Abs. 2 AZG).
Die Amtsträger des Beklagten haben sich mit ihrer Äußerung gegen eine Veranstaltung der Klägerin gewandt, die auf dem Gebiet ihres Bezirks stattfinden sollte und stattgefunden hat. Folglich ist der bezirkliche Bezug gegeben, ohne
dass sich aus § 4 Abs. 1 AZG i. V. m. der Anlage zum AZG eine vorrangige Zuständigkeit der Hautverwaltung ergeben würden. Darüber hinaus waren die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt nach § 41 Abs. 1 S. 1
BzVwG jedenfalls berechtigt, auf die Veranstaltung der Klägerin und die Gegendemonstration als allgemein bedeutsame Angelegenheit hinzuweisen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Veranstaltung im Rahmen der
„Deutschlandtour" der Klägerin stattfand und somit Teil einer bundesweiten Kampagne war.
Die Äußerungen der Amtsträger des Beklagten verletzen auch nicht das Gebot der Sachlichkeit. Die Aufforderung, friedlich gegen die Versammlung der Klägerin zu demonstrieren, steht im Kontext weiterer Äußerungen des
Beklagten in der Pressmitteilung, die von der Klägerin nicht angegriffen worden sind. So heißt es dort u. a., die angemeldete Veranstaltung der Kläger sei „ein wiederholter Versuch der NPD, Reinickendorf zum Ort der Propaganda
ihres menschenverachtenden Gedankengutes zu machen". Außerdem heißt es: „In Reinickendorf ist weder am 10. August 2012 noch an irgendeinem anderen Tag Platz für Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus!" Diese
Aussagen sind, gemessen an den Erkenntnissen über die Klägerin aus öffentlich zugänglichen Verfassungsschutzberichten vom Tatsachenkern her zutreffend. Zwar mag das Motto der angemeldeten Versammlung („Wir wollen nicht
Zahlmeister Europas sein - Raus aus dem Euro") auf den ersten Blick nicht extremistisch zu sein (vgl. zum dahinter stehenden Konzept einer Verschleierung rechtsextremer Positionen: Berliner Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg.
Senatsverwaltung für Inneres und Sport, S. 76, http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/vs_bericht_2012_pressefassung.pdf?start&ts=1369742739&file=vs_bericht_2012_pressefassung.pdf.).
Die Klägerin vertritt diese Auffassung indes vor dem Hintergrund ihrer rechtsextremen Programmatik. Die gesamte europäische Einigungsbewegung, einschließlich des Euro, wird von ihr vehement bekämpft, weil sie im Widerspruch
zum Konzept einer „Volksgemeinschaft" steht. Die Erhaltung eines ethnisch homogenen Volkes ist für die Klägerin das oberste politische Ziel und die europäische Einheit die „perverse Gesellschaftsutopie der Eurokraten"
(Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg. Bundesministerium des Innern, Stand: Sept. 2013, S. 80 f.,http://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2012.pdf). Dieses völkische Grundkonzept der Klägerin hat zur Konsequenz, dass
nicht nur allen Ausländern, unbeachtet ihres Aufenthaltsstatus und ihrer Integration, sondern auch allen eingebürgerten Deutschen das Bleiberecht in Deutschland abgesprochen wird (Verfassungsschutzbericht a. a. O., S. 84 f.). Dieser
radikal ausgrenzende Ansatz, der nur ein ethnisch homogenes Gemeinwesen erlaubt, muss als menschenverachtend und rassistisch bezeichnet werden. Ähnliches gilt für den bei der Klägerin tief verwurzelten Antisemitismus
(Verfassungsschutzbericht a. a. O., S. 86 ff.). Diese Überzeugung zum extremistischen Charakter der Klägerin vertreten ist für Amtsträger rechtlich zulässig und sachlich begründet, ohne dass eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der NPD ergangen sein muss (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 25. April 1989 - 1 S 1635/88 -, VBlBW 1989, 332 m.w.N.). Auf dieser Grundlage verletzt die Aufforderung zur
Gegendemonstration durch den Beklagten nicht das Sachlichkeitsgebot.
Die streitige Äußerung ist auch sonst verhältnismäßig. Der Beklagte und seine Amtsträger haben weder eigenes rechtswidriges Verhalten gezeigt noch zu einem rechtswidrigen Handeln gegen die Klägerin aufgerufen. Mit dem OVG
Berlin-Brandenburg ist im Ausgangspunkt darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des
demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein muss (vgl. Urteil vom 20. November 2008 - OVG 1 B 5.06 - OVGE 29 -, 170, 182). Es ist aber nicht erkennbar, dass die dafür maßgebliche Grenze, die einfachrechtlich
in § 21 VersammlG (in Zusammenschau mit § 111 StGB) nachgezeichnet ist, hier überschritten wäre. Nach den genannten Bestimmungen ist es unter Strafe gestellt, in der Absicht, nicht-verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu
verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen; nach § 111 StGB darf hierzu auch nicht öffentlich aufgefordert werden.
Eine derartige öffentliche Aufforderung lässt sich dem streitigen Satz der Pressemitteilung nicht entnehmen, denn es wird dort lediglich dazu aufgefordert, „friedlich gegen die NPD zu demonstrieren" (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 14. September 2012 - OVG 1 S 127.12 -, juris, Rdnr. 10). Tatsächlich konnte die Veranstaltung der Klägerin am 10. August 2012 als einstündige Kundgebung stattfinden (Berliner Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg.
Senatsverwaltung für Inneres und Sport, S. 78, http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/vs_bericht_2012_pressefassung.pdf?start&ts=1369742739&file=vs_bericht_2012_pressefassung.pdf). Auch die
Klägerin selbst macht nicht geltend, dass es insofern zu einer Blockade oder Verhinderung kam.
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor. Die Beklagte und ihre Amtsträger haben die ihnen kraft Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten nicht in einer Weise genutzt, die mit ihren der Allgemeinheit
verpflichteten Aufgaben unvereinbar wären (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 5.96 -, BVerwGE 104, 323, 326 f.). Diese haben als kommunale Amtsträger gehandelt, die hier keinem gesteigerten
Neutralitätsgebot unterliegen, weil sie etwa gleichzeitig die Aufgaben der Versammlungsbehörde wahrzunehmen haben. Die staatliche Aufgabe der Versammlungsbehörde ist im Land Berlin dem Polizeipräsidenten zugewiesen (§ 3
Abs. 1 Nr. 2 AZG i. V. m. Nr. 23 Abs. 2 ZustKat Ord). Ein besonderer Anlass zur Mäßigung, um keine Zweifel an der Unparteilichkeit als Versammlungsbehörde aufkommen zu lassen, bestand deshalb vorliegend nicht (vgl. zu
abweichenden Konstellationen: VGH Kassel, Beschluss vom 3. Mai 2013 - 8 A 772/13.Z -, juris, Rdnr. 4 und VG Gera, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 E 465/10 Ge -, juris, Rdnr. 38). Zwar handeln sowohl die
Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt als auch der Polizeipräsident für den Beklagten, für Außenstehende sind sie jedoch in ihrem Handeln deutlich unterscheidbar und damit jeweils gesondert zu betrachten. ..." (VG
Berlin, Urteil vom 23.09.2013 - 1 K 280.12)
***
Klagegegenstand ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit mehrerer Auflagen eines Auflagenbescheids, durch den im Wesentlichen einem Veranstalterbündnis untersagt worden
ist, im Rahmen eines so genannten Blockadetrainings den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, die sie
befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge des politischen Gegners zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln. Die Klage hat keinen Erfolg, weil während des
Blockadetrainings mit hoher Wahrscheinlichkeit in nach § 111 StGB strafbarer Weise - unter anderem durch das Einüben von Sitzblockaden und so genannte szenische Wegtrageübungen - dazu aufgerufen werden sollte, durch
massenhafte Sitzblockaden bestimmte bereits angemeldete und nicht verbotene Demonstrationen politischer Gegner zu verhindern. Zur Berechtigung der Versammlungsbehörde, dem Veranstalter die Einsetzung von Ordnern und die
Übermittlung der Personalien der Ordner, so genannter Trainer und zu erwartender Redner durch Auflage aufzugeben (VG Aachen, Urteil vom 01.06.2011 - 6 K 363/11 zu Art 8 GG, Art 5 Abs 3 GG, Art 5 Abs 1 GG, §§ 21, 2 Abs 2
VersammlG u.a.):
„... Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit kommt ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in
Betracht, deren Schutz regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen der öffentlichen Sicherheit verwirklicht wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben,
Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen
werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Der Begriff der ‚unmittelbaren Gefahr' in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein
zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. ‚fast mit Gewissheit' zu erwarten ist.
Vgl. BVerwG, Urteil 25. Juni 2008 - Az. 6 C 21/07 -, DVBl 2008, 1248-1251, und juris.
Davon ausgehend hat das Polizeipräsidium Aachen zutreffend prognostiziert, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit unmittelbar bestanden hätte, wenn die vom Kläger geleitete Versammlung wie angemeldet hätte durchgeführt
werden dürfen, wenn also dem Kläger, Ordnern, so genannten Trainern oder anderen Personen, die sich in der Versammlung am 5. Februar 2011 unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer hätten wenden können, nicht untersagt
worden wäre, den Versammlungsteilnehmern - etwa durch das Einüben von Sitzblockaden und sogenannte szenische Wegtrageübungen - Taktiken und Techniken zu vermitteln, die sie befähigen sollten, durch grobe Störungen nicht
verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln.
Nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen ist das Polizeipräsidium Aachen nämlich zutreffend davon ausgegangen, dass bei Durchführung der Versammlung am 5. Februar 2011 ohne das Unterlassen der
durch die Auflage 4 untersagten Handlungen die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG unmittelbar gefährdet war, weil ‚fast mit Gewissheit' davon auszugehen war, dass dann im Rahmen des beabsichtigten
‚Blockadetrainings' von Trainern, dem Kläger, Ordnern oder anderen Personen, die sich in der Versammlung am 5. Februar 2011 unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer hätten wenden können, zentrale Rechtsgüter - nämlich die
grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit des Veranstalters und der Teilnehmer der für den 8. und 9. April 2011 angemeldeten ‚Naziaufmärsche' in Stolberg - dadurch verletzt worden wären, dass in
der Versammlung am 5. Februar 2011 konkret dazu aufgerufen worden wäre, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, und dass darüber hinaus im Sinne des
Veranstalters einige für die Verhinderung der ‚Naziaufmärsche' am 8. und 9. April 2011 hilfreiche Taktiken und Techniken vermittelt bzw. eingeübt und - vom Veranstalter beabsichtigt - über die Berichterstattung in den Medien als
legal, zumindest aber legitim (weil von der anwesenden Polizei geduldet) verbreitet worden wären.
Dabei kann dahinstehen, ob bereits das Einüben und Vermitteln von Techniken, die zur der Verhinderung einer erst zwei Monate später stattfindenden rechtmäßigen Versammlung eines politischen Gegners geeignet sind, eine Störung
der öffentlichen Sicherheit durch die Versammlung am 5. Februar 2011 im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG auch dann darstellt, wenn das Einüben und Vermitteln der Techniken am 5. Februar 2011 als bloße Vorbereitungshandlung
(noch) nicht strafbar ist, weil damit doch konkret daran gearbeitet und auch bezweckt wird, unter Missachtung und damit Verletzung der §§ 21 und § 2 Abs. 2 VersG bestimmte fest geplante und nicht verbotene Versammlung
politischer Gegner - hier die ‚Naziaufmärsche' am 8. und 9. April 2011 in Stolberg - durch massenhafte Sitzblockaden grob zu stören und möglichst zu verhindern
- vgl. hierzu VG Hannover, Beschluss vom 28. August 2009 - Az. 10 B 3436/09 - unveröffentlicht; Sächsisches OVG, Beschluss vom 31. Januar 2010 - Az. 3 B 37/10 / 6 L 32/10 -, unveröffentlicht; VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 19. Februar 2000 - 1 S 414/00 -, <juris> -,
kann hier offen bleiben. Denn ein solches szenisches, mimisches und gestisches ‚Blockadetraining' ist jedenfalls dann als eine schwerwiegende Verletzung der Rechtsordnung und damit als Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne
des § 15 Abs. 1 VersG zu werten, wenn es - wie hier - (1.) untrennbar mit einem Aufruf verbunden ist, eine rechtmäßige Demonstration eines politischen Gegners durch grobe Störungen der Versammlung des politischen Gegners zu
verhindern, und (2.) dieser Aufruf als eine Straftat im Sinne des § 111 StGB zu werten ist. So liegt der Fall hier.
Das Polizeipräsidium Aachen hat in der Begründung der Auflagenverfügung vom 31. Januar 2011 und in dem Bescheid vom 5. Februar 2011, mit dem es den undatierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der
sofortigen Vollziehung abgelehnt hat, erkennbare Umstände dargelegt, aus denen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schlussfolgerung zu ziehen war, dass das Blockadetraining am 5. Februar 2011 als Teil eines Mobilisierungsplans des
Veranstalterbündnisses einzuordnen ist, durch dessen Vollzug die Menschenmassen aktiviert und zur Teilnahme an Blockadeaktionen bewegt werden sollten, die notwendig gewesen wären, um durch friedliche Blockaden die
rechtmäßigen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern.
Dies folgt zwar nicht bereits zwingend aus dem vom Kläger bei der Anmeldung der Versammlung angegebenen Versammlungsthema ‚Blockadetraining', das isoliert und ohne Bezug zu den Demonstrationen der rechtsextremen Szene
am 8. und 9. April 2011 in Stolberg betrachtet auch als schlichte Meinungskundgabe mit dem Ziel, durch szenische, mimische und gestische Vorführen der eingeladenen Öffentlichkeit zu vermitteln, es sei eine demokratische
Bürgerpflicht, Naziaufmärsche zu verhindern, verstanden werden kann.
Das Polizeipräsidium Aachen hat indessen zutreffend erkannt und dargelegt, dass ein solches Verständnis des Versammlungsthemas zu kurz greifen würde. Es hat zu Recht bei der Bestimmung des Zwecks auch den Kontext
einbezogen, in den Versammlung am 5. Februar 2011 eingebunden war, und dabei das öffentlich verkündete politische Ziel und das darauf ausgerichtete Aktionsprogramm des Veranstalterbündnisses maßgeblich berücksichtigt.
Ausgehend von dieser Betrachtungsweise hat das Polizeipräsidium Aachen überzeugend dargelegt, dass die Versammlung am 5. Februar 2011 Teil einer Kampagne des Veranstalterbündnisses war, die darauf ausgerichtet war, die
rechtmäßigen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern. Dieses allem anderen übergeordnete Kampagneziel und die Einbindung des ‚Blockadetrainings' in die Kampagne hat das
Polizeipräsidium Aachen nachvollziehbar mit Internetaufrufen des Veranstalterbündnisses und Presseerklärungen aktiver Mitglieder und der Sprecherin des Bündnisses belegt. Aus diesen vom Kläger nicht bestrittenen und vom
Polizeipräsidium Aachen durch Internetausdrucke und Kopien von Presseartikeln dokumentierten öffentlichen Äußerungen aus den Reihen des Veranstalter-Bündnisses ergeben folgendes Bild:
Nachdem die Veranstalter der rechtsextremen Aufmärsche ihre Versammlungen für den 08. und 09. April 2011 angemeldet hatten und diese im Internet bewarben, rief das Veranstalterbündnisses dazu auf, durch Massenblockaden und
zivilen Ungehorsam die angemeldeten rechtsextremen Aufzüge im April 2011 zu verhindern. Es gelte: ‚Stolberg 2011 - Sie werden nicht durchkommen!' Hierzu erklärte das Bündnis: ‚Ziel aller in dem Bündnis vertretenen Gruppen
und Personen ist es, Anfang April 2011 den rechten Aufmarsch mit einer Massenblockade zu verhindern.' Es gelte das Motto: ‚Stolberg 2011 - Sie werden nicht durchkommen!' Weiter erklärte das Bündnis im Internet: ‚Ziel aller in
dem Bündnis vertretenen Gruppen und Personen ist es, Anfang April 2011 den rechten Aufmarsch mit einer Massenblockade zu verhindern.' Das Bündnis hat in seinem Internetauftritt weiter erklärt, dass durch die bisherigen Aktionen
in Stolberg die Naziaufmärsche nicht aufgehalten worden seien. Nicht zuletzt die Blockaden in Dresden, Wunsiedel, Lübeck und Köln hätten aber bewiesen, dass es mit vielen Menschen möglich sei, Naziaufmärsche zu verhindern.
Auch unterstützte das Bündnis das bundesweite Bündnis ‚Dresden-Nazifrei' in der dort für den 19. Februar 2011 geplanten Blockade eines Naziaufmarsches.
Einer der Bündnissprecher und Mitglied des Veranstalterbündnisses, Herr K. Z., erklärte gegenüber der Aachener Zeitung, er sehe in Blockaden ‚das einzig probate Mittel, solche Aufmärsche zu verhindern'. Weiter äußerte Herr Z.
nach der Bekanntmachung des angefochtenen Auflagenbescheids durch das Veranstalterbündnis im Internet öffentlich: ‚Wir werden das Blockade-Training wie geplant durchführen und lassen uns durch die Auflagen zunächst nicht stören'.
In seiner Pressemitteilung Nr. 2 vom 04. Februar 2011 ließ das Veranstalterbündnis durch die Sprecherin N. C. erklären: ‚Wir werden uns von der Aachener Polizei nicht einschüchtern lassen, wir werden am kommenden Samstag
unser Training auf dem Kaiserplatz durchführen und am 9. April den Nazi-Aufmarsch verhindern.'
Vor diesem Hintergrund hat das Polizeipräsidium Aachen nachvollziehbar die Schlussfolgerung gezogen, dass der erklärte maximale Erfolg für das Veranstalterbündnis die tatsächliche Verhinderung der rechtsextremen Aufmärsche in
Stolberg durch Massenblockaden gewesen sei und dass sich dieser Erfolg aus der damaligen Sicht des Veranstalterbündnisses nur realisieren ließ, wenn zuvor die Massen tatsächlich mobilisiert würden und aktiv an Blockaden
mitzuwirken bereit seien. Demzufolge sei die Durchführung öffentlicher Blockadetrainings aus der damaligen Sicht des Veranstalterbündnisses zur Zweckerreichung unverzichtbar gewesen.
Die Richtigkeit des vom Polizeipräsidium Aachen herausgearbeiteten Verständnisses des eigentlichen Zwecks der Versammlung am 5. Februar 2011 wird dadurch bestätigt, dass das Veranstalterbündnis selbst in dem undatierten und
nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Auflagen einräumt, mit dem Blockadetraining solle offen gezeigt werden, dass die Teilnehmer/innen eine moralische Pflicht zum zivilen Ungehorsam und
gewaltlosen Widerstand sähen, wenn Rechtsextreme demonstrierten und dieses vom Staat nicht unterbunden werde. Wer anderen Personen eine moralische Pflicht zum zivilen Ungehorsam und gewaltlosen Widerstand durch ein
Blockadetraining in einer Stadt einsuggeriert, in der er gleichzeitig mit Internetaufrufen eine Massenblockade zu organisieren versucht, der stellt nicht nur eine innere Haltung, die der öffentlichen Auseinandersetzung und Debatte im
Umgang mit Demonstrationen Rechtsextremer dienen soll, zu Schau, sondern der beabsichtigt gezielt, die Adressaten seiner Botschaft zu Teilnahme an der von ihm geplanten Massenblockade zu bewegen.
Für das erkennende Gericht steht damit fest, dass durch die Versammlung am 5. Februar 2011 als Teil einer Kampagne des Veranstalterbündnisses konkret dazu aufgefordert werden sollte, die für den 8. und 9. April 2011
angemeldeten ‚Naziaufmärsche' in Stolberg zu verhindern.
Der dagegen vom Kläger erhobene Einwand, das Blockadetraining sei lediglich eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit Gesetzgebung und Rechtsprechung in Bezug auf rechte Versammlungen und die beabsichtigten
Probeblockaden und szenischen Wegtrageübungen hätten lediglich als gemeinsame Meinungskundgabe ausdrücken sollen, Naziaufmärsche zu verhindern sei eine demokratische Bürgerpflicht, überzeugt nicht, sondern ist als der
Versuch zu werten, durch Verharmlosung und Verschleierung der wahren Absichten des Veranstalterbündnisses zu erreichen, dass demnächst mit gerichtlicher Billigung auf öffentlichen Versammlungen dazu aufgerufen werden darf,
rechtmäßige Demonstrationen eines politischen Gegners durch Massenblockaden zu verhindern und damit dem politischen Gegner dessen Demonstrationsrecht zu nehmen.
Einem solchen Begehren des Veranstalterbündnisses, für das im vorliegenden Klageverfahren der Kläger auftritt, darf das erkennende Gericht aus Rechtsgründen nicht entsprechen, weil der ohne das mit der angefochtene Auflage 4
ausgesprochene Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Versammlung am 5. Februar 2011 damals zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu
verhindern, als Straftat nach § 111 StGB einzuordnen ist.
Der Einwand des Klägers, mit der Durchführung von Blockade- und Wegtrageübungen werde kein Straftatbestand verwirklicht, da bei einer Probeveranstaltung weder die Polizei herausgefordert noch Dritte in ihren Rechten verletzt
würden, kann nicht überzeugen. Der Kläger verkennt insoweit die Regelungsweite des § 111 StGB.
Nach § 111 Abs. 1 StGB wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 StGB macht
sich auch derjenige strafbar, dessen Aufforderung ohne Erfolg bleibt; die Strafe darf in diesem Fall nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, dass die Aufforderung Erfolg hat. Dementsprechend bleibt ein nach § 111
Abs. 1 StGB strafbarer Aufruf auch dann eine Straftat, wenn die Aufforderung erfolglos bleibt.
Der ohne die Auflage 4 während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, hätte den
objektiven Tatbestand des § 111 Abs. 1 StGB erfüllt. Durch den Aufruf wäre auf andere Personen mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss hervorzurufen, strafbare Handlungen zu begehen, eingewirkt worden. Es wäre nämlich dazu
aufgefordert worden, grobe Störungen durch massenhafte Sitzblockaden in der Absicht zu verursachen, die nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu verhindern und damit
eine Straftat nach § 21 VersG zu begehen. Daran, dass die angestrebten massenhaften Sitzblockaden als ‚grobe Störung' i.S.d. § 21 VersG einzuordnen sind, ändert der Umstand, dass die angestrebten massenhaften Sitzblockaden - wie
schon der Kläger im Kooperationsgespräch betont hat - ‚friedlich' ablaufen sollten, nichts; denn auch ein ‚friedliches' Verhalten muss als ‚grobe Störung' i.S.d. § 21 VersG nach Sinn und Zweck dieser Strafbestimmung qualifiziert
werden, wenn es geeignet ist, eine nicht verbotene Versammlung zu verhindern. Dass während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011, wie der Kläger einwendet, nicht dazu aufgerufen worden wäre, zu bestimmten Uhrzeiten an
konkret benannten Örtlichkeiten am 8. und 9. April 2011 an Sitzblockaden in Stolberg teilzunehmen, steht der Wertung, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Aufruf zur Teilnahme an Sitzblockaden in Stolberg am 8.
und 9. April 2011 einen Aufruf zur Begehung einer rechtswidrigen Tat darstellt, nicht entgegen. Denn dafür genügt es, dass der Wille des Täters erkennbar wird, dass von den Adressaten seiner Äußerung strafbare Handlungen als
unmittelbare Konsequenz der Aufforderung begangen werden. Dass die Blockadeaktionen, zu denen aufgerufen wird, nach Zeit und Ort bereits festgelegt sind, ist nicht erforderlich. Bei § 111 StGB braucht die Aufforderung nämlich
nicht mit gleicher Präzision, wie dies für § 26 StGB erforderlich wäre, auf bestimmte Taten und Täter ausgerichtet zu sein.
Vgl. dazu Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Auflage 2010, § 111 Rdn. 3 bis 6, m.w.N.
Die weitere Voraussetzung für das Erfüllen des objektiven Tatbestands des § 111 Abs. 1 StGB, dass der Aufruf auf einer öffentlichen, eine Vielzahl von Personen umfassenden Versammlung erfolgt wäre, wäre ersichtlich auch erfüllt gewesen.
Ebenso wäre auch zum Begehen einer rechtswidrigen Tat aufgefordert worden. Dieser Feststellung steht die besondere Problematik, ob die durch den Aufruf angesprochenen Personen sich durch die Teilnahme an Sitzblockaden in
Stolberg am 8. und 9. April 2011 wegen Nötigung strafbar gemacht hätten oder ob sie sich nicht wegen Nötigung strafbar gemacht hätten, weil ihre Teilnahme an der Sitzblockade mit Blick auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu dieser Rechtsfrage nicht als verwerflich im Sinn des § 240 Abs. 2 StGB und damit nicht als rechtswidrig einzustufen gewesen wäre, nicht entgegen. Denn im vorliegenden Fall wäre jedenfalls auch dazu
aufgerufen worden, eine Straftat nach § 21 VersG zu begehen. Diese Straftat enthält im Gegensatz zu § 240 StGB keine Verwerflichkeitsklausel und ist einer Abwägung zwischen kollidierenden Rechten von Teilnehmern an einer
Sitzblockade und Teilnehmern an einer nicht verbotenen Versammlung, die an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts gehindert werden sollen, nicht zugänglich. Die insoweit vom Gesetzgeber in § 21 VersG vorgenommene
Grenzziehung ist - anders als in § 240 StGB - eindeutig und sie entspricht auch dem Kern des Grundrechtsschutzes der Versammlungsfreiheit mit folgender Konsequenz: Die Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung im
Sinne des § 21 VersG ist in aller Regel strafbar und damit verboten. Wer dennoch im Sinne des § 111 StGB zur Begehung einer solchen Straftat aufruft, handelt rechtswidrig.
Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 11 bis 13a, m.w.N.
Schließlich hätte der ohne die Auflage 4 während des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 zu erwartende Aufruf, durch massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, auch
den subjektiven Tatbestand des § 111 Abs. 1 StGB erfüllt. Wäre im Rahmen des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 - sei es durch nicht verbale oder durch verbale Darstellungen bzw. Äußerungen zu dem Aufruf, durch
massenhafte Sitzblockaden die rechtsextremen Demonstrationen am 8. und 9. April 2011 zu verhindern, gekommen, so hätten die für diese Appelle verantwortlichen Personen auch vorsätzlich gehandelt. Denn sie hätten - zumindest
mit Eventualvorsatz, der insoweit ausreicht - zur Begehung von Straftaten nach § 21 VersG aufgerufen und zugleich beabsichtigt, einen entsprechenden Tatentschluss bei Versammlungsteilnehmern zu bewirken.
Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 16 bis 17a.
Den Eventualvorsatz bezogen auf den Aufruf, Straftaten nach § 21 VersG zu begehen, hätten sie nicht erfolgreich mit der Einlassung abstreiten können, nach ihrer eigenen rechtlichen Einschätzung sei die Verhinderung rechtsextremer
Demonstrationen legal; denn im Kooperationsgespräch hatte das Polizeipräsidium Aachen den Kläger und damit auch das Veranstalterbündnis auf die Strafbarkeit der Verhinderung einer nicht verbotenen Demonstration nach § 21
VersG hingewiesen und damit die Organisatoren des und die während des Blockadetrainings verantwortlich als Versammlungsleiter, Ordner, Trainer oder Redner auftretenden Personen spätestens zu diesem Zeitpunkt ‚bösgläubig'
gemacht. Wer auch nach einem solchen kompetenten Hinweis auf die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens - hier von ‚Verhinderungsblockaden' - zu Sitzblockaden zur Verhinderung einer nicht verbotenen Demonstration aufruft,
kann sich nicht mit Erfolg auf einen Rechtsirrtum bezüglich der Strafbarkeit solcher Sitzblockaden berufen. Er handelt insoweit jedenfalls mit Eventualvorsatz, weil er um die Fragwürdigkeit seiner eigenen rechtlichen Beurteilung
weiß und die Begehung einer Straftat dennoch billigend in Kauf nimmt.
Zusammenfassend bleibt damit nochmals festzustellen, dass das Polizeipräsidium Aachen zutreffend prognostiziert hat, dass bei Durchführung des Blockadetrainings am 5. Februar 2011 in der vom Veranstalterbündnis gewollten
Form nahezu mit Gewissheit die öffentliche Sicherheit gestört worden wäre, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass ein nach § 111 StGB strafbarer Appell an die Versammlungsteilnehmer ergehen sollte, an
Sitzblockaden zu Verhinderung der für den 8. und 9. April angemeldeten und nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene in Stolberg teilzunehmen.
Die zur Abwehr dieser Gefahr in der Auflage 4 getroffenen Anordnungen erweisen sich als geeignet, erforderlich und insbesondere als angemessen.
Das mit der Auflage 4 verfügte Verbot, den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken - insbesondere durch das bei bereits andernorts durchgeführten öffentlichen Blockadetrainings praktizierte Einüben von Sitzblockaden
und sogenannte szenische Wegtrageübungen - zu vermitteln, um die Versammlungsteilnehmer zu befähigen, nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln, indem zumindest
eine grobe Störung verursacht wird, war geeignet, dem Blockadetraining den Charakter eines strafbaren Aufrufs zur Verhinderung der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 durch
massenhafte Sitzblockaden zu nehmen. Denn durch das Verbot des zentralen Stilmittels des beabsichtigten Aufrufs, nämlich der szenischen und gestischen Vermittlung von Blockadetechniken und -taktiken wie Sitzblockaden und
Wegtrageübungen, wurde dem Veranstalterbündnis, dem Kläger, den Versammlungsteilnehmern und auch der durch die Berichterstattung der Medien hierüber unterrichteten breiteren Öffentlichkeit unmissverständlich mitgeteilt, dass
Verhaltensweisen wie das Verhindern einer nicht verbotenen Demonstration, die grobe Störung einer Demonstration in der Absicht, sie zu verhindern, und der Aufruf zur Begehung solcher Straftaten in einer öffentlichen
Versammlung nicht nur durch Gesetz verboten, sondern sogar strafbar sind.
Das mit der Auflage 4 verfügte Verbot war auch erforderlich, und zwar auch die Ausdehnung des Verbots auf Ordner und allen anderen Personen, die sich in der Versammlung unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer wenden
würden. Das Polizeipräsidium Aachen hat in seinem Bescheid vom 5. Februar 2011, mit dem es einen nicht datierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Auflagenbescheids vom 31.
Januar 2011abgelehnt hat, nachvollziehbar, sachgerecht und zutreffend das Verbot damit begründet, dass Sprecher des Veranstalterbündnisses im Internet und in einer Presseerklärung öffentlich geäußert hatten, man werde sich ‚durch
die Auflagen zunächst nicht stören lassen' und das ‚Training um 15 Uhr auf dem Kaiserplatz durchführen'. Vor diesem Hintergrund hat das Polizeipräsidium Aachen zu Recht erwartet, dass die erteilten Auflagen in der Versammlung
missachtet werden würden. Auch hat es zu Recht erwartet, dass nicht nur der Kläger als Versammlungsleiter, sondern gegebenenfalls auch Ordner oder andere Personen, die als Trainer oder Redner gegenüber den
Versammlungsteilnehmern auftreten würden, ernsthaft als Personen in Betracht kamen, das mit der Auflage 4 verfügte Verbot zu umgehen. Diese Erwartung haben das Veranstalterbündnis und der Kläger selbst maßgeblich dadurch
genährt, dass der Kläger im Kooperationsgespräch nicht willens oder nicht in der Lage war, den geplanten Ablauf des von ihm angemeldeten Blockadetrainings konkret darzustellen.
Insbesondere hat der Kläger im Kooperationsgespräch den geplanten Ablauf des Blockadetrainings nicht in Bezug auf die vorgesehenen Trainer und deren Vermittlungsmethoden hinreichend substantiiert. Schon dieses Verhalten des
Klägers im Kooperationsgespräch rechtfertigte die Prognose, dass Trainer die Auflage 4 umgehen würden. Schließlich war angesichts der öffentlich erklärten Entschlossenheit des Veranstalterbündnisses, die Versammlung am 5.
Februar 2011 für einen Aufruf zu nutzen, die nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 durch massenhafte Sitzblockaden zu verhindern, auch die weitere Prognose gerechtfertigt, dass wegen
des Verbots mimischer, gestischer und szenischer Darbietungen versucht werden würde, den geplanten Appell zumindest durch ‚spontane' Redebeiträge in der Öffentlichkeit der Versammlung zu verbreiten. Ausgehend von dieser
zutreffenden Prognose war es erforderlich, das mit der Auflage 4 verfügte Verbot auf Ordner, Trainer und alle anderen Personen, die sich in der Versammlung unmittelbar an die Versammlungsteilnehmer wenden würden, auszudehnen.
Schließlich war das mit der Auflage 4 verfügte Verbot auch angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne.
Das Polizeipräsidium Aachen hat sich zu Recht verpflichtet gesehen, das durch die Grundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit geschützte Recht der Veranstalter der nicht verbotenen Demonstrationen
der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg davor zu schützen, dass es durch den für den 5. Februar 2011 geplanten Aufruf des Veranstalterbündnisses, die Demonstrationen der rechtsextremen Szene durch
massenhafte Sitzblockaden zu verhindern, tatsächlich verhindert oder zumindest grob beeinträchtigt würde. Die Verpflichtung des Polizeipräsidiums Aachen ergibt sich - wie dargelegt - aus dem strafrechtlichen Verbot des § 111 StGB
i.V.m. dem strafrechtlichen Verbot des § 21 VersG. § 21 VersG schützt nicht verbotene Versammlungen wie die Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg vor groben Störungen, und zwar auch
dann, wenn diese von ‚friedlichen' Sitzblockaden ausgehen, die in der Absicht durchgeführt werden, eine nicht verbotene Versammlung zu verhindern, zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln. Durch § 111 StGB ist es
verboten, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften auf andere Personen mit dem Ziel einzuwirken, in ihnen den Entschluss zur Begehung strafbare Handlungen hervorzurufen. Das in § 111 StGB
normierte Verbot bezweckt, besonders gefährliche Formen der Anstiftung bzw. versuchten Anstiftung unter Strafe zu stellen. Es schützt nicht nur das durch die Straftat, zu deren Begehung aufgefordert wird, bedrohte Rechtsgut - hier
konkret die Versammlungsfreiheit der Veranstalter der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg und der Teilnehmer an diesen Demonstrationen -, sondern auch den inneren
Frieden der Gemeinschaft, der durch die besondere Gefährlichkeit der in § 111 genannten Handlungen bedroht wird, weil durch den öffentlichen Aufruf zur Begehung von Straftaten die Gefahr einer Massenkriminalität entsteht.
Vgl. dazu Eser a.a.O., § 111 Rdn. 1, m.w.N.
Das Polizeipräsidium Aachen war dementsprechend grundsätzlich verpflichtet, strafbare öffentliche Aufrufe in einer öffentlichen Versammlung wie den vom Veranstalterbündnis für den 5. Februar 2011 geplanten Aufruf zur
Verhinderung der nicht verbotenen Demonstrationen der rechtsextremen Szene am 8. und 9. April 2011 in Stolberg zu unterbinden.
Demgegenüber können sich das Veranstalterbündnis und der Kläger nicht mit Erfolg auf
- ihr Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter einer öffentlichen Versammlung,
- ihre Meinungsäußerungsfreiheit oder
- die Freiheit der Kunst
berufen. Denn die Grundrechte, auf die sich das Veranstalterbündnis beruft, hat der Gesetzgeber durch § 111 Abs. 1 StGB und § 21 VersG in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend eingeschränkt, dass weder
das Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter einer öffentlichen Versammlung noch dessen Meinungsäußerungsfreiheit noch die Freiheit der Kunst es erlauben dazu aufzurufen, eine nicht verbotene Demonstration des politischen
Gegners in der Absicht, sie zu verhindern, durch massenhafte Sitzblockaden zumindest grob zu stören. In Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer öffentlichen Versammlung ergibt sich die Befugnis des
Gesetzgebers, die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit durch einfaches Gesetz - hier die §§ 111 Abs. 1 StGB und 21 VersG - einzuschränken, aus der Grundrechtsschranke des Art. 8 Abs. 2 GG; in Bezug auf die
durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerungsfreiheit ergibt sie sich aus der Grundrechtsschranke des Art. 5 Abs. 2 GG, wobei die §§ 111 Abs. 1 StGB und 21 VersG als ‚allgemeine Gesetze' einzuordnen sind, die
nicht auf das Verbot der Äußerung einer bestimmten Meinung abzielen, sondern - wie bereits dargelegt - allgemein den Schutz der Versammlungsfreiheit und des inneren Friedens bezwecken; in Bezug auf die durch Art. 5 Abs. 3 GG
geschützte Kunstfreiheit folgt die Berechtigung des Gesetzgebers, die Kunstfreiheit durch einfaches Gesetz einzuschränken, aus der Befugnis, im Fall von Grundrechtskollisionen - hier der Kunstfreiheit des einen mit der
Versammlungsfreiheit des anderen - auch schrankenlose Grundrechte zur Herstellung praktischer Konkordanz durch einfaches Gesetz einzuschränken, um sicherzustellen, dass durch die Ausübung eines schrankenlos gewährleisteten
Grundrechts nicht die Ausübung eines anderen Grundrechts unangemessen eingeengt oder gar verhindert wird.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Auflage 4 insgesamt rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Einwendungen gegen die Auflage 2, mit der das Veranstalterbündnis verpflichtet worden ist, für je 30 Teilnehmer/innen jeweils einen ehrenamtlichen Ordner einzusetzen, greifen nicht durch.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers und der von seinen Prozessbevollmächtigten für diese Rechtsauffassung in Bezug genommenen gerichtlichen Entscheidungen ist die Versammlungsbehörde nicht nur ‚allenfalls' gemäß § 9
Abs. 1 i.V.m. § 18 Abs. 2 VersG berechtigt, den Einsatz von Ordnern zu verfügen, deren Einsetzung der Versammlungsleiter wünscht. Vielmehr ist die Versammlungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG auch gegen den Wunsch des
Veranstalters und des Leiters einer Versammlung berechtigt, durch Auflage den Einsatz von Ordnern anzuordnen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Das erkennende Gericht schließt
sich insoweit der im Ergebnis und der Begründung zutreffenden Rechtsauffassung des OVG Rheinland-Pfalz an.
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. Februar 2010 - Az. 7 A 11095/09 -, <juris>, Rdn. 28 bis 33, m.z.w.N. in Rdn. 28.
Die Voraussetzungen, unter denen die Verpflichtung zur Verwendung von Ordnern nach § 15 Abs. 1 VersG angeordnet werden kann, waren im vorliegenden Fall gegeben. Nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren
Umständen ist das Polizeipräsidium Aachen nämlich zutreffend davon ausgegangen, dass bei Durchführung der Versammlung ohne die durch die Auflage 2 verfügte Verpflichtung des Veranstalterbündnisses und des Klägers, Ordner
einzusetzen, die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG unmittelbar gefährdet war, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass die Auflage 4 von Versammlungsteilnehmern missachtet würde und
mit Störungen durch Personen aus dem ‚schwarzen Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene habe gerechnet werden müssen. Dass tatsächlich eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass versucht würde, die Auflage 4 etwa
durch Redebeiträge von Versammlungsteilnehmern zu umgehen, ist im Einzelnen bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage 4 dargelegt worden. Dass tatsächlich auch mit Störungen der öffentlichen
Ordnung - insbesondere durch nach § 111 strafbare Aufrufe aus der Versammlung heraus - konkret zu rechnen war, hat das Polizeipräsidium Aachen ausreichend dadurch belegt, dass es bereits in dem Bescheid vom 5. Februar 2011,
mit dem es den undatierten und nicht unterschriebenen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung abgelehnt hat, unwidersprochen dargelegt hat, dass aufgrund der Tatsache, dass dem Veranstalterbündnis auch Gruppierungen
aus dem autonomen antifaschistischen Spektrum angehörten, die überregional Unterstützung für eine Blockade der Naziaufmärsche im April in Stolberg zugesagt hatten, damit zu rechnen war, dass aus diesen Kreisen Personen an dem
öffentlichen Blockadetraining teilnehmen würden. Davon ausgehend überzeugt die Einschätzung des Polizeipräsidiums Aachen, dass der Kläger bereits von sich aus eine Ordnerunterstützung hätte einplanen müssen, weil er alleine
nicht in der Lage gewesen wäre, Störungen durch Personen aus dem ‚schwarzen Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene abzuwehren und so die Ordnung der Versammlung aufrecht zu erhalten.
Letztlich ist auch die mit der Auflage 5 getroffene Anordnung, der Kläger habe die Personalien (Namen, Vornamen, Geburtsdaten und Wohnanschrift) der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner
oder Ordner seiner Kenntnis nach auftreten würden, spätestens am Veranstaltungstag bis zum Versammeln am Versammlungsort an den polizeilichen Verbindungsbeamten zu übergeben, rechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen
erhobenen Einwendungen des Klägers überzeugen nicht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers und der von seinen Prozessbevollmächtigten für diese Rechtsauffassung in Bezug genommenen Entscheidung des VG Gießen - Beschluss vom 30. Juli 2009, Az. 10 L 1583/09 - ist die
Versammlungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG berechtigt, dem Versammlungsleiter durch eine Auflage - die als sogenannte ‚Minus-Maßnahme' anstelle eines einschneidenderen Versammlungsverbots zu verstehen und von einer
auf § 15 Abs. 3 VersG gestützten ‚Minus-Maßnahme' zur Vermeidung einer Auflösungsverfügung gedanklich zu unterscheiden ist - aufzugeben, die Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer,
Redner oder Ordner auftreten würden, vorab mitzuteilen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der im Ergebnis und der Begründung
zutreffenden Rechtsauffassung des VGH München an.
Vgl. VGH München, Beschluss vom 12. September 1981 -Nr. 21 CE/CS 80 A.1680 -, JNW 1981, S. 2428 f.
Die Voraussetzungen, unter denen die Anordnung ergehen kann, die Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner auftreten, vorab mitzuteilen, waren bei Anordnung der
Auflage erfüllt. Wie bereits dargelegt wurde, war mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von Versammlungsteilnehmern, insbesondere aus den Reihen der als Teilnehmer zu erwartenden Personen aus dem ‚schwarzen
Block' der autonomen linken (gewaltbereiten) Szene, die Auflage 4 missachtet würde und es zu Störungen der öffentlichen Sicherheit kommen würde. Bei dieser Sachlage entsprach die Forderung des Polizeipräsidiums Aachen nach
Mitteilung der Personalien der Personen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmern als Trainer, Redner oder Ordner auftreten, pflichtgemäßer Ermessensausübung. Denn wenn - wie dargelegt - konkret damit zu rechnen ist, dass es
aus dem in Rede stehenden Personenkreis (Ordner, Trainer, Redner) heraus mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Missachtung der Auflage 4 und damit auch zu Störungen der öffentlichen Sicherheit kommen wird, ist eine zur
Gefahrenabwehr gebotene Überprüfung der Zuverlässigkeit der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 VersG zu genehmigenden Ordner und der als Trainer oder Redner auftretenden Personen der Versammlungsbehörde verantwortungsvoll nur in
Kenntnis der Personalien der betreffenden Personen möglich. ..."
***
„... Nach § 21 VersG macht sich strafbar, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder
grobe Störungen verursacht. Das gewaltlose räumliche Belegen einer Aufzugsstrecke in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern, stellt keine grobe Störung im Sinne dieser Vorschrift dar, wäre allerdings gleichwohl rechtswidrig
und berechtigt die Polizei zur Anwendung polizeilicher Zwangsmittel. Die zitierte Äußerung des Innensenators hält sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen, da sie nicht zur Blockade der Strecke aufgerufen hat, sondern lediglich das
zulässige Sich-Aufhalten friedlicher Bürger in der Nähe der Versammlungsstrecke der Klägerin billigt. Die Äußerungen der Polizei im Vorfeld stellten keine Aufforderung zur Blockade dar, sondern verwiesen lediglich auf die
Erfahrungen in früheren Jahren. Auch der Hinweis, dass man eine Demonstration nicht gegen Tausende friedlicher Demonstranten ‚durchknüppeln' werde, stellt eine zulässige rechtlicher Ermessenerwägung im Vorfeld dar. ..." (VG
Berlin, Urteil vom 08.03.2006, VG 1 A 98.05)
§ 22
Wer bei einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug dem Leiter oder einem Ordner in der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn während der
rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 23
Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder anderen Darstellungen zur Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug auffordert, nachdem
die Durchführung durch ein vollziehbares Verbot untersagt oder die Auflösung angeordnet worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 24
Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges Ordner verwendet, die Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt
sind, mit sich führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 25
Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges
1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder
2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Die Annahme einer Tarnung einer Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung durch die Art der Anmeldung kann nur zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese
Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens
muss das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)) berücksichtigt werden. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots hat von den Angaben
der Anmeldung auszugehen, es sei denn, es dränge sich auch bei grundrechtskonformer Deutung des Vorhabens der Eindruck auf, in Wahrheit sei ein anderer Inhalt geplant und der Veranstalter werde trotz der gesetzlichen
Strafdrohung ( § 25 Nr. 1 VersG ) eine Versammlung anderen Inhalts und damit anderen Gefahrenpotentials durchführen als angemeldet.
Diesen Anforderungen sind die Behörde sowie die Verwaltungsgerichte nicht gerecht geworden. Die Behörde hat sich mit den Gegenindizien nicht auseinander gesetzt und sie daher nicht in Gegenüberstellung mit den Indizien für
einen Tarncharakter gedeutet. Das Verwaltungsgericht - dem sich das Oberverwaltungsgericht pauschal angeschlossen hat - hat sich die Argumentation der Behörde zu Eigen gemacht und speziell zu der verbalen Distanzierung des
Antragstellers von einer auf das Rudolf Heß-Gedenken gerichteten Zielsetzung ausgeführt, dass es dem Antragsteller nicht zu glauben vermöge; sein persönlicher Werdegang und die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene
sprächen dagegen. In dieser Argumentation verkennt das Verwaltungsgericht das Verhältnis zwischen der grundrechtlichen Garantie und der Beschränkungsmöglichkeit. Beschränkungen setzen eine hinreichende Rechtfertigung im
Tatsächlichen voraus. Die Beweislast für die Tarnung eines das Verbot rechtfertigenden Inhalts und damit eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Die Tatsachenfeststellung fehlender Glaubwürdigkeit bedarf auch im
Eilverfahren konkreter Anhaltspunkte, etwa des Hinweises auf frühere Täuschungen durch den Antragsteller. Daran fehlt es. ..." (BVerfG, Beschluss vom18.08.2000, 1 BvQ 23/00)
*** (OLG)
Die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Auflage für die Durchführung einer angemeldeten Versammlung oder eines Aufzuges ist objektive Bedingung der Strafbarkeit des Versammlungsleiters nach § 25 Nr. 2 VersG
(OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.1981 - 5 Ss OWi 2225/80, StV 1982, 170).
Wird vor der Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel gegen Auflagen der Verwaltungsbehörde nach § 15 I VersG Widerspruch eingelegt, so kommt es für die Frage nach der aufschiebenden Wirkung des
Rechtsmittels entscheidend darauf an, ob sich der Widerspruch gegen alle Auflagen oder nur gegen bestimmte Auflagen richtet. Enthält dazu das mit der Revision angefochtene Urteil keine Feststellungen, so unterliegt die
Entscheidung der Aufhebung und Zurückverweisung in die Vorinstanz (OLG Koblenz, Urteil vom 29.01.1981 - 1 Ss 535/80, NStZ 1981, 187).
Wer mit seiner Zustimmung ordnungsgemäß als Leiter einer Demonstrationsveranstaltung unter freiem Himmel benannt worden ist, kann sich den ihm nach dem Versammlungsgesetz obliegenden Aufgaben nicht einseitig dadurch
entziehen, daß er die Aufgaben eines Leiters nicht mehr wahrnimmt. Zur Zulässigkeit beschränkender Auflagen bei Versammlungen unter freiem Himmel. Beschränkende Auflagen sind unwirksam, wenn sie den Leiter einer
Versammlung zu einem über den Zeitpunkt der Beendigung oder Auflösung der Veranstaltung hinausgehenden Tun verpflichten. Wer mit seiner Zustimmung ordnungsgemäß als Leiter einer Demonstrationsveranstaltung unter freiem
Himmel benannt worden ist, kann sich der ihm nach dem Versammlungsgesetz obliegenden Aufgaben nicht einseitig dadurch entziehen, daß er die Aufgaben eines Leiters nicht mehr wahrnimmt (OLG Köln, Entscheidung vom
06.12.1980 - 3 Ss 300/80, NJW 1981, 1680).
§ 26
Wer als Veranstalter oder Leiter
1. eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug trotz vollziehbaren Verbots durchführt oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt oder
2. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14) durchführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... „... Die angegriffenen Entscheidungen halten sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Das Landgericht stützt die Verwarnung des Beschwerdeführers nicht schon für sich tragend darauf, dass dieser die von ihm veranstaltete
Versammlung bei der unzuständigen Behörde angezeigt hat. Vielmehr stellt es maßgeblich auch darauf ab, dass keine hinreichenden Umstände ersichtlich seien, auf die der Beschwerdeführer die Annahme hätte stützen können, die
Anmeldung werde an die zuständige Versammlungsbehörde weitergeleitet. Diese Würdigung ist vertretbar. ..." (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.04.2015 - 1 BvR 629/13)
***
§ 26 Nr. 2 VersG genügt auch für Eilversammlungen den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II 2 GG; BVerfG, Entscheidung vom 23.10.1991 - 1 BvR 850/88):
„... Der Beschwerdeführer ist wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung unter freiem Himmel bestraft worden. Dagegen wendet sich seine Verfassungsbeschwerde.
A. 1. Der Beschwerdeführer war Unterzeichner eines Schreibens vom Mittwoch, dem 29. Januar 1986, das sich ‚An die Apartheidgegner - politische und kulturelle Organisationen in Mannheim' richtete und mit dem der ‚Mannheimer
Arbeitskreis gegen Apartheid' zu einer Protestversammlung gegen eine am 3. Februar 1986 beginnende Reise deutscher Polizeibeamter nach Südafrika aufrief. Auf dem Schreiben war die private Telefonnummer des
Beschwerdeführers angegeben, ferner die Telefonnummer der ‚Grünen im Rat', zu denen der Beschwerdeführer gehörte. Die Versammlung wurde nicht angemeldet. Am 3. Februar 1986 fanden sich um die Mittagszeit etwa 20
Personen, darunter der Beschwerdeführer, am Mannheimer Hauptbahnhof ein. Einige waren mit Trommeln, Trillerpfeifen und Transparenten ausgerüstet. Die Versammlung verlief friedlich und ohne Zwischenfälle. Nach Abfahrt der
Polizeibeamten löste sich die Gruppe der Demonstranten auf.
2. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer für schuldig befunden, als Veranstalter und Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchgeführt zu haben ( § 26 Nr. 2 , § 14 VersG), und ihn zu einer
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 35 DM verurteilt. In den Gründen hat es ausgeführt, daß der Beschwerdeführer zumindest Mitveranstalter der Versammlung gewesen sei und sie geleitet habe. Auf die Frage, ob die Versammlung
unter Wahrung der Frist des § 14 Abs. 1 VersG hätte angemeldet werden können, komme es nicht an. Entscheidend sei allein, daß überhaupt keine Anmeldung stattgefunden habe.
Das Landgericht hat den Schuldspruch des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als dieses den Beschwerdeführer auch als Leiter der Versammlung verurteilt hatte, und die Höhe des Tagessatzes auf 25 DM herabgesetzt. Der
Beschwerdeführer sei für den Aufruf verantwortlich und für die Anmeldung mitverantwortlich gewesen. Er habe zumindest damit gerechnet, daß die Versammlung auch von keinem anderen Mitglied des Arbeitskreises angemeldet
worden sei. Er habe dies jedoch um der Protestaktion willen billigend in Kauf genommen. Die Strafvorschrift des § 26 Nr. 2 VersG hat das Landgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23,
59 [BGH 08.08.1969 - 2 StR 171/69] ) für verfassungsmäßig erachtet.
Das Oberlandesgericht hat die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 , Art. 8 und Art. 103 Abs. 2 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Er hält § 26 Abs. 2 VersG für verfassungswidrig. Zumindest hätten die Strafgerichte bei seiner
Auslegung die Bedeutung von Art. 8 GG verkannt. Es sei allgemein anerkannt, daß ein uneingeschränktes Verbot von sogenannten Spontanversammlungen in den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit eingreife. § 14 VersG sei
deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß die Anmeldefrist von 48 Stunden nur dann eingehalten werden müsse, wenn dies nach den objektiven Umständen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der
Versammlung möglich sei. Die Durchführung einer nicht angemeldeten Spontanversammlung könne deshalb nicht strafbar sein. Dagegen komme bei § 26 Nr. 2 VersG eine verfassungskonforme Interpretation nicht in Betracht, weil
dessen Wortlaut eindeutig sei. Eine Auslegung gegen den Wortlaut dürfe nicht vorgenommen werden, so daß die Norm im ganzen nichtig sei. Im übrigen laufe sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit leer, wenn man das ihm
vorgeworfene Verhalten als strafwürdig ansehe. Es sei nicht nachgewiesen worden, daß er für die Verbreitung des Aufrufs gesorgt habe; es sei nicht einmal festgestellt, daß der Aufruf überhaupt verbreitet worden sei. Das ihm
vorgeworfene Verhalten beschränke sich darauf, daß er auf eine entsprechende Anfrage eines Polizeibeamten die Verantwortung für die Versammlung nicht von sich gewiesen habe.
4. Der Bundesminister des Innern ist der Auffassung, daß sich die Frage der Anwendbarkeit von § 26 Nr. 2 VersG auf Spontanversammlungen im vorliegenden Fall nicht stelle, weil die Versammlung entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers keine Spontanversammlung gewesen sei.
Das Justizministerium Baden-Württemberg hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Zwar rüge der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 26 Nr. 2 VersG , weil diese Strafbestimmung auch Spontanversammlungen
erfasse. Er habe jedoch keine konkreten Umstände dafür vorgetragen, daß es sich bei der Versammlung um eine Spontanversammlung gehandelt habe und daß ihm eine Anmeldung nicht möglich gewesen sei.
B. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung des Baden-Württembergischen Justizministeriums scheitert ihre Zulässigkeit nicht daran, daß die Protestaktion keine Spontanversammlung war. Wenn § 26 Nr. 2
VersG verfassungswidrig und nichtig ist, verletzt eine Bestrafung, die auf dieser Vorschrift beruht, den Beschwerdeführer zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG , ohne daß es auf die Eigenart der Versammlung
ankäme. Eine Verfassungswidrigkeit von § 26 Nr. 2 VersG liegt nicht von vornherein außerhalb des Möglichen.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist aber nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. § 26 Nr. 2 VersG , der seiner Verurteilung zugrunde liegt, ist mit dem
Grundgesetz vereinbar. Auslegung und Anwendung durch die Strafgerichte lassen sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden.
1. § 26 Nr. 2 VersG genügt dem Bestimmtheitsgebot von Art. 103 Abs. 2 GG und ist nach seinem Regelungsgehalt bei verfassungskonformer Auslegung des § 14 VersG auch mit Art. 8 GG vereinbar. ...
Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dabei erschöpft sich die Bedeutung dieses grundrechtsgleichen Rechts nicht in dem
Erfordernis, daß zur Tatzeit überhaupt eine gesetzliche Strafbestimmung für die Tat vorhanden ist. Diese muß vielmehr auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreiben, daß der Einzelne die Möglichkeit hat, das
durch die Strafnorm ausgesprochene Verbot eines bestimmten Verhaltens zu erkennen und die staatliche Sanktion im Fall der Übertretung vorherzusehen. Art. 103 Abs. 2 GG will damit zum einen sicherstellen, daß jedermann sein
Verhalten auf die Rechtslage einrichten kann und keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muß. Zum anderen soll gewährleistet werden, daß über die Strafbarkeit eines Verhaltens der Gesetzgeber und nicht der Richter
entscheidet (vgl. BVerfGE 25, 269 (285); 47, 109 (120) [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77] ).
Dadurch wird allerdings nicht die Verwendung auslegungsfähiger Begriffe ausgeschlossen. Es genügt vielmehr, wenn sich deren Sinn im Regelfall mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln läßt und in Grenzfällen dem
Adressaten zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar wird. Dabei zieht der Wortlaut der Norm der Auslegung die äußerste Grenze. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu
dem Ergebnis der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen (vgl. BVerfGE 45, 363 (371 f.) [BVerfG 21.06.1977 - 2 BvR 308/77] ; 47, 109 (121) [BVerfG 02.01.1978 - 2 BvR 33/77] ;
71, 108 (114) [BVerfG 22.10.1985 - 1 BvL 44/83] ). Damit wird jede Auslegung einer Strafbestimmung ausgeschlossen, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit
einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Dagegen sind restriktive Interpretationen unter Bestimmtheitsgesichtspunkten unbedenklich, wenn gewährleistet ist, daß für die
Normadressaten erkennbar bleibt, welches Verhalten eine Bestrafung nach sich ziehen kann und welches nicht.
Gemessen an diesen Grundsätzen läßt sich § 26 Nr. 2 VersG verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Die Vorschrift gehört zum Nebenstrafrecht. Sie weicht allerdings von typischen Normen des Nebenstrafrechts insofern ab, als sie
nicht schon einen Verstoß gegen die Anmeldepflicht des § 14 VersG , sondern erst die Durchführung einer unangemeldeten Versammlung unter Strafe stellt. Diese Abweichung hat ihren Grund aber darin, daß die Unterlassung der
Anmeldung nur dann Bedeutung erlangt, wenn die Versammlung tatsächlich stattfindet. Der Bezug zu der Anmeldepflicht selbst, den die Vorschrift durch den eingeklammerten Hinweis auf § 14 VersG herstellt, wird dadurch nicht
aufgehoben. Insofern läßt sich die Strafvorschrift nicht ohne die verwaltungsrechtliche Bestimmung verstehen. Die Verfassungsmäßigkeit von § 26 Nr. 2 VersG kann daher nur unter Einbeziehung von § 14 VersG beurteilt werden.
§ 14 VersG ist seinerseits bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, verstößt die Rechtspflicht, Versammlungen unter freiem Himmel vor ihrer
Bekanntgabe anzumelden, grundsätzlich nicht gegen Art. 8 GG . Die Vorschrift hat den Sinn, den Behörden diejenigen Informationen zu vermitteln, die sie benötigen, um Vorkehrungen zum störungsfreien Verlauf der Veranstaltung
und zum Schutz von Interessen Dritter oder der Gesamtheit treffen zu können (vgl. BVerfGE 69, 315 (350)). Sie soll überdies auf eine Verständigung zwischen Veranstaltern und Ordnungsbehörden hinwirken, die eine kooperative
Festlegung von Veranstaltungsplan und Ordnungsvorkehrungen begünstigt, und damit dem störungsfreien Verlauf der Versammlung dienen. Insofern behält die Anmeldepflicht auch bei Versammlungen ihren Sinn, die den
Ordnungsbehörden bereits aus anderen Quellen bekannt geworden sind (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 358 f.).
Auch die in § 14 VersG vorgesehene Anmeldefrist von 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung läßt sich für den Regelfall verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Sie gibt der Verwaltung die Möglichkeit, erforderlichenfalls
Auflagen zu Ort und Zeit der Versammlung anzuordnen, die dann bereits bei der Bekanntgabe berücksichtigt werden können. Sehen sich die Ordnungsbehörden zu einem Verbot der Versammlung gezwungen, so kann dieses
ausgesprochen werden, bevor noch öffentlich für die Teilnahme an der Versammlung geworben worden ist. Das rechtfertigt die Frist unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 GG .
Allerdings bedarf § 14 VersG der Einschränkung. Die Anmeldepflicht erstreckt sich nach seinem Wortlaut unterschiedslos auf sämtliche Versammlungen unter freiem Himmel. Das kann jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht
schon früher festgestellt hat, nicht für Spontanversammlungen gelten. Darunter sind Versammlungen zu verstehen, die sich aus einem momentanen Anlaß ungeplant und ohne Veranstalter entwickeln. Eine Anmeldung ist hier aus
tatsächlichen Gründen unmöglich. Ein Beharren auf der Anmeldepflicht des § 14 VersG müßte folglich zur generellen Unzulässigkeit von Spontanversammlungen führen. Das wäre mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht
vereinbar (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 350 f.).
Dagegen ist bisher nicht entschieden worden, wie es sich mit sogenannten Eilversammlungen verhält. Darunter werden Versammlungen verstanden, die im Unterschied zu Spontanversammlungen zwar geplant sind und einen
Veranstalter haben, aber ohne Gefährdung des Demonstrationszwecks nicht unter Einhaltung der Frist des § 14 VersG angemeldet werden können. Würde gleichwohl auf der in § 14 VersG vorgeschriebenen Frist beharrt, so hätte das
zur Folge, daß auch Eilversammlungen von vornherein unzulässig wären. Dieses Ergebnis wäre aber gleichfalls mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar.
Anders als bei Spontanversammlungen ist bei Eilversammlungen allerdings nicht die Anmeldung überhaupt, sondern lediglich die Fristwahrung unmöglich. Daher bedarf es hier keines Verzichts auf die Anmeldung, sondern nur einer
der Eigenart der Versammlung Rechnung tragenden Verkürzung der Anmeldefrist. Eilversammlungen sind bei verfassungskonformer Interpretation von § 14 VersG folglich anzumelden, sobald die Möglichkeit dazu besteht.
Regelmäßig wird das etwa zeitgleich mit dem Entschluß, eine Versammlung zu veranstalten, spätestens mit dessen Bekanntgabe der Fall sein.
Dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit droht durch diese Auslegung keine Schmälerung. Die Gefahr, daß sich bei einer verfassungskonformen Interpretation von § 14 VersG , die am Wortlaut der Vorschrift nichts ändert,
potentielle Veranstalter aus Furcht vor strafrechtlichen Sanktionen von der Organisation einer Eilversammlung abschrecken lassen, ist gering zu veranschlagen. Sie zwingt nicht dazu, auf die verfassungskonforme Interpretation zu
verzichten und § 14 VersG statt dessen für teilweise unvereinbar mit Art. 8 GG zu erklären.
Daß § 14 VersG einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, nimmt der Strafvorschrift des § 26 Nr. 2 VersG , die sich auf ihn bezieht, nicht die erforderliche Bestimmtheit. Die verfassungskonforme Interpretation von § 14 VersG
zieht den Kreis strafbaren Verhaltens nicht weiter, sondern enger. Für Spontanversammlungen entfällt die Anmeldepflicht. Für Eilversammlungen verkürzt sich die Anmeldefrist. In diesem Fall kann eine Bestrafung folglich nicht auf
die Versäumung der gesetzlichen Frist gestützt werden. Strafrechtlich relevant ist die versäumte Anmeldung vielmehr nur noch, soweit die Möglichkeit der Anmeldung bestand. Damit wird der Vorschrift kein neues
Tatbestandsmerkmal hinzugefügt, sondern nur ein vorhandenes, die Fristbestimmung, gemildert. Die Norm bringt aber gleichwohl hinreichend zum Ausdruck, daß Versammlungen, bei denen sich die Frist des § 14 VersG nicht
einhalten läßt, deswegen nicht von der Anmeldepflicht überhaupt befreit sind. Für den Normadressaten ist damit das Risiko der Strafbarkeit bei Nichtanmeldung mit der von Art. 103 Abs. 2 GG geforderten Klarheit erkennbar.
2. Auslegung und Anwendung des Versammlungsgesetzes durch die Strafgerichte begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Anwendung der Strafnorm des § 26 Nr. 2 VersG auf den Beschwerdeführer ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Bei der Versammlung, zu der der Beschwerdeführer aufgerufen hat, handelte es sich nicht um eine
Spontanversammlung, sondern um eine geplante Versammlung mit einem Veranstalter, wie sich aus seinem Aufruf ergibt. Selbst wenn die Protestaktion als Eilversammlung anzusehen wäre, weil die Wahrung der Frist des § 14 VersG
wegen des zwischen der Bekanntgabe und dem Aktionstag liegenden Wochenendes das Demonstrationsziel gefährdet hätte, wären der Beschwerdeführer oder der Arbeitskreis, in dessen Namen er auftrat, doch nicht daran gehindert
gewesen, die Versammlung überhaupt anzumelden.
Anhaltspunkte dafür, daß die Gerichte bei der Auslegung von § 26 Nr. 2 VersG das Recht aus Art. 8 GG grundsätzlich verkannt hätten, sind nicht ersichtlich. Im übrigen unterliegen ihre tatsächlichen Feststellungen und die daraus
gezogenen rechtlichen Schlüsse nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 18, 85 (92) [BVerfG 10.06.1964 - 1 BvR 37/63] ). ...
Abweichende Meinung der Richterin Seibert und des Richters Henschel zu der Senatsentscheidung vom 23. Oktober 1991 - 1 BvR 850/88 -
Mit der Senatsmehrheit sind wir der Auffassung, daß die in § 14 VersG vorgesehene 48-Stunden-Frist im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG für Eilversammlungen nicht gilt. Die von der Mehrheit in die Vorschrift hineininterpretierte
Verkürzung der Anmeldefrist überschreitet aber die Grenzen verfassungskonformer Auslegung und trägt vor allem dem wegen der Strafbewehrung durch § 26 Nr. 2 VersG zu beachtenden Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG
nicht Rechnung.
1. § 14 VersG verpflichtet jeden, der die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, dies ‚spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe' der zuständigen Behörde unter Angabe
des Gegenstandes anzumelden. Eine Aussnahme für Eilversammlungen ist nicht vorgesehen. Der Wortlaut der Vorschrift gibt auch keinerlei Ansatz dafür, Eilversammlungen aus ihrem Anwendungsbereich auszunehmen oder die
Anmeldefrist für sie zu verkürzen. Während aus dem Begriff ‚veranstalten' geschlossen werden kann, daß Spontanversammlungen von der Vorschrift nicht erfaßt werden, weil sie keinen Veranstalter haben, sind bei Eilversammlungen
alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt, so daß sich die fristgebundene Anmeldepflicht auch auf sie erstreckt.
Da dies zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Versammlungsfreiheit führen würde, ist die Vorschrift verfassungswidrig, soweit sie für Eilversammlungen keine Ausnahme vorsieht oder abweichende Regelungen enthält.
Einer verfassungskonformen Auslegung steht der klare Wortlaut entgegen (vgl. BVerfGE 72, 278 (295) [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 19/84] m.w.N.).
2. Unabhängig davon muß die verfassungskonforme Auslegung jedenfalls dort ihre Grenzen finden, wo sie der Sache nach auf eine richterrechtliche Ergänzung des Straftatbestandes hinausläuft.
Auch wenn man nicht der Auffassung folgt, daß § 14 Abs. 1 VersG teilweise verfassungswidrig ist, entsteht bei Beachtung der Versammlungsfreiheit eine Regelungslücke. Eine besondere Fristbestimmung für Eilversammlungen
enthält § 14 Abs. 1 VersG nicht. Die Annahme, daß die Anmeldung in diesen Fällen so früh wie möglich, spätestens gleichzeitig mit der Bekanntgabe zu erfolgen habe, läßt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht herleiten. Der
Sache nach handelt es sich bei der Verkürzung der Anmeldefrist um eine richterrechtliche Ergänzung der Tatbestandsvoraussetzungen, die zwar dem Gesetzeszweck und dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entsprechen mag,
sich aber nicht mehr im Rahmen des Wortlautes hält.
Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet nicht nur den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennbar sind und sich durch Auslegung
ermitteln lassen, sondern setzt auch der Auslegung Grenzen. Für die Bestimmtheit einer Strafnorm ist in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgebend. Das
Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit schließt eine Strafbegründung durch Analogie oder aufgrund Gewohnheitsrecht aus. Der Begriff ‚Analogie' ist dabei nicht im engeren, technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist
vielmehr jede ‚Rechts-Anwendung', die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (BVerfGE 71, 108 (115) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82] m.w.N.).
Die von der Senatsmehrheit vorgenommene Auslegung überschreitet diese Grenzen. Sie läßt sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, daß sie den Kreis strafbaren Verhaltens nicht weiter, sondern enger fasse. Die im Hinblick
auf Art. 8 Abs. 1 GG gebotene Erleichterung der Vorausetzungen für Eilversammlungen führt zwar zwangsläufig zu einer Reduzierung möglicher Verstöße, nicht aber zu einer hinreichenden Bestimmtheit des Straftatbestandes für Eilversammlungen.
Zwar schließt Art. 103 Abs. 2 GG die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe in Strafnormen und deren richterrechtliche Konkretisierung nicht aus. Hier geht es jedoch nicht darum, daß der Gesetzgeber auslegungsbedürftige
Begriffe verwendet hat. Die Strafnorm des § 26 Nr. 2 VersG in Verbindung mit § 14 VersG ist vielmehr in ihrer Tragweite für Eilversammlungen deshalb unklar, weil der Gesetzgeber bei der Formulierung des - insoweit eindeutigen -
Gesetzestextes der Versammlungsfreiheit nicht ausreichend Rechnung getragen hat und die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur zu einer Regelungslücke führt.
Diese vom Gesetzgeber verschuldete Unklarheit darf nicht zu Lasten des Normadressaten gehen. Seinem rechtsstaatlichen Schutz dient der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG . Jedermann soll vorhersehen können,
welches Verhalten strafbar ist (vgl. BVerfGE 71, 108 (114) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82] ). Wer eine Eilversammlung plant, kann aber dem Wortlaut der §§ 26 Nr. 2 und 14 Abs. 1 VersG nicht entnehmen, wann er sich
strafbar macht. Nimmt er den Gesetzestext ‚beim Wort', kann er die Versammlung überhaupt nicht durchführen, da ihm die Einhaltung der vorgeschriebenen Anmeldefrist nicht möglich ist. Läßt er sich durch den Wortlaut der
Vorschrift nicht abschrecken, weil er die Verfassungswidrigkeit einer so weitgehenden Regelung erkennt, kann er im Gesetz keine Aussage darüber finden, ob und gegebenenfalls wann er die Eilversammlung anmelden muß. Es ist
Aufgabe des Gesetzgebers, die erforderliche Klarheit zu schaffen. ..."
*** (BGH)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Aufruf zur Teilnahme an einer verbotenen Demonstration den Täter zum (Mit-)Veranstalter des Aufzuges macht (BGH, Urteil vom 27.09.1983 - 5 StR 294/83):
„... Nachdem der Landrat des Kreises Steinburg mit Verfügung vom 23. 2. 1981 die für den 28. 2. 1981 geplante Demonstration gegen die Errichtung des Kernkraftwerkes Brokdorf am Baugelände und in seiner näheren und weiteren
Umgebung verboten und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet hatte, traten Reporter von Funk, Fernsehen und Presse an die Geschäftsstelle des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) in
Karlsruhe heran, um eine Stellungnahme des Verbandes zu erhalten. Die Vorstandsmitglieder des BBU, zu denen auch der Angekl. gehörte, kamen darauf überein, daß dieser wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten die gewünschten
Stellungnahmen abgeben sollte. Er gab dann mehrere Interviews, die in den zweiten Programmen des Westdeutschen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks, in der ARD-Fernsehsendung ‚Tagesschau' und im
Politisch-Parlamentarischen Pressedienst (PPP) auszugsweise veröffentlicht wurden, ohne daß er auf die Auswahl der verbreiteten Abschnitte Einfluß gehabt hätte.
Der Angekl. äußerte sich in den veröffentlichten Interviews ausdrücklich oder sinngemäß dahin, daß die Demonstration trotz des Verbots stattfinden würde. In der ‚Tagesschau' am 23. 2. 1981 erklärte er wörtlich: ‚Wir bereiten uns
weiterhin vor auf kommenden Samstag, in Brokdorf zu demonstrieren. Wir haben keinerlei Veranlassung, unsere Absicht friedlich gegen das Atomkraftwerk zu demonstrieren, diese Absicht fallen zu lassen, und wir rufen auch alle
Atomenergiegegner auf, am kommenden Wochenende zur Demonstration mitzukommen'.
Das LG hat den Angekl. wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt und ihn von dem Vorwurf freigesprochen, als Veranstalter und Leiter einen öffentlichen Aufzug trotz vollziehbaren Verbots durchgeführt zu haben (§ 26 Nr. 1
VersG). Die allein den Freispruch angreifende Revision der StA hatte Erfolg. ...
Jedoch schließt die Annahme, der Angekl. habe sich in den Interviews hauptsächlich mit der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung auseinandergesetzt, entgegen der Ansicht des LG nicht aus, daß seine Äußerungen geeignet waren,
von der Öffentlichkeit und insb. von den Personen, die eine Teilnahme an der Demonstration erwogen, als Aufruf verstanden zu werden, sich auf jeden Fall (also auch bei fortbestehender Vollziehbarkeit des Verbots) an dem Aufzug
zu beteiligen, und auch tatsächlich so verstanden worden sind. Das hätte den Angekl. (objektiv) zum (Mit-) Veranstalter der trotz vollziehbaren Verbots durchgeführten Demonstration gemacht.
Der Freispruch kann daher keinen Bestand haben. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 II StPO an ein anderes LG zurück. Dieses wird die innere Tatseite sorgfältig zu prüfen haben. Hierbei kann bedeutsam sein, ob der Angekl.
damit gerechnet hat, daß seine Ausführungen nur auszugsweise veröffentlicht würden. ..."
*** (OLG)
Als Veranstalter i. S. des § 26 Nr. 2 VersG ist der Urheber in bezug auf die Versammlung und ihre Durchführung, der Veranlasser der spezifischen Gruppenbildung oder derjenige zu bezeichnen, der die Versammlung
eigenverantwortlich ins Werk setzt oder bewirkt, daß die Versammlung stattfindet (BayObLG, Entscheidung vom 08.09.1982 - RReg. 4 St 125/82, StV 1983, 243).
Eine Demonstration durch nur zwei Personen stellt noch keine Versammlung unter freiem Himmel i. S. des § 14 I VersG dar (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.1981 - 5 Ss 74/81 I, NStZ 1981, 226).
*** (VG/LG)
Zur Frage der Fortgeltung von Straftatbeständen aus dem Versammlungsgesetz des Bundes nach Inkrafttreten des Landesversammlungsgesetzes (LG Stendal, Beschluss vom 04.04.2014 - 503 Qs 1/14):
„... Die sofortige Beschwerde ist indes nicht begründet. Das Amtsgericht - Jugendrichterin - hat mit zutreffenden Erwägungen die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Das (im Folgenden als gegeben
unterstellte) Verhalten des Angeschuldigten ist nicht strafbar.
§ 15 Abs.1 u. Abs.2 des Landesversammlungsgesetzes (im Folgenden: VersammlG-LSA) bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei
Aufzügen oder auf dem Weg dorthin'. § 26 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-LSA stellt eine Missachtung dieses Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes unter Strafe.
Der Angeschuldigte hat sich nach diesen Vorschriften nicht strafbar gemacht, weil sein Verhalten in keinem Zusammenhang mit einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder dem Weg dorthin steht.
Der Begriff der Versammlung einschließlich des Aufzuges als besondere Form der Versammlung erfasst nur solche Zusammenkünfte, bei denen sich Menschen zur gemeinsamen Meinungsbetätigung treffen. Versammlungen sind
demnach Zusammenkünfte einer unbestimmten Anzahl von Personen zur Mitwirkung (z.B. Beratung, Aussprache, Kundgebung, Zustimmung) mit einem gemeinsamen Ziel (vgl. Maunz in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lief.23,
Oktober 1996, Art. 74 Rdnr.92). Vom Versammlungsbegriff nicht erfasst ist demgegenüber der Besuch kultureller oder unterhaltsamer Veranstaltungen, weil es hierbei nicht um eine Meinungsbetätigung zur Erreichung eines
gemeinsamen Zieles geht (vgl. Maunz, a.a.O. Rdnr.94). Indem der Angeschuldigte eine Sportveranstaltung besucht hat, hat er demnach nicht an einer Versammlung teilgenommen.
Der Angeschuldigte hat sich auch nicht nach § 27 Abs. 2 Ziff.1 u.Ziff.2 in Verbindung mit § 17 a Abs.1 u. Abs.2 des Versammlungsgesetzes des Bundes (im Folgenden: VersammlG-Bund) strafbar gemacht. § 17 a Abs.1 u. Abs.2
VersammlG-Bund bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder
auf dem Weg dorthin' (Hervorhebung durch die Kammer). § 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund stellt eine Missachtung dieses Verbotes unter Strafe. Mithin ist nach dem VersammlG-Bund, anders als nach dem
VersammlG-LSA, auch eine im Gesetz im Einzelnen beschriebene Bewaffnung beziehungsweise Vermummung bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel', wozu auch öffentliche Sportveranstaltungen wie
Fußballspiele zählen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil v. 11.04.2011 - 2 Ss 36/11; LG Dresden, Beschluss v. 28.02.2007 - 3 Qs 20/07; zitiert jeweils nach juris), oder auf dem Weg dorthin verboten und strafbar.
Das VersammlG-Bund gilt indes im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht - auch nicht teilweise - fort. Nachdem sich infolge einer Änderung des Grundgesetzes ab 01. September
2006 die konkurrierende Gesetzgebung nicht mehr auf das Versammlungsrecht erstreckt, galt gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 1 GG das VersammlG-Bund zunächst als Bundesrecht fort. Es konnte indes gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 2 GG
durch Landesrecht ersetzt werden. Von dieser Ersetzungsbefugnis hat der Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er das VersammlG-LSA vom 3. Dezember 2009 verabschiedet hat. Damit ist im Land Sachsen-Anhalt das
VersammlG-Bund in seiner Gesamtheit ersetzt worden.
Zwar ist, da Art. 125 a Abs.1 Satz 2 GG keine Anforderungen an den Umfang der Ersetzung fortgeltenden Bundesrechtes stellt, grundsätzlich auch eine partielle Ersetzung möglich. Bedingung in diesem Fall ist indes, dass die
verbleibende bundesrechtliche Regelung sinnvoll bleibt (vgl. Uhle in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lfg.46, März 2006, Art. 125a Rdnr.30). Das Bundesverfassungsgericht spricht im Rahmen der parallelen Fragestellung des
Art. 125a Abs.2 Satz 2 GG davon, dass es aufgrund der Ersetzungsbefugnis einem Land gestattet ist, die Materie, gegebenenfalls auch einen ‚abgrenzbaren Teilbereich', in eigener Verantwortung zu regeln (BVerfGE 111, 10, 30).
Selbst wenn der Landesgesetzgeber bei Erlass des VersammlG-LSA nur eine partielle Ersetzung des VersammlG-Bund und eine Fortgeltung des im VersammlG-Bund normierten strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel' gewollt hätte, bestünden Bedenken, ob es sich insoweit um einen abgrenzbaren Teilbereich handelt, insbesondere, ob die verbleibende
bundesrechtliche Regelung sinnvoll bliebe. Dies kann indes dahinstehen.
Denn jedenfalls hatte der Landesgesetzgeber bei Verabschiedung des VersammlG-LSA nicht den Willen, lediglich eine partielle Ersetzung des Bundesrechtes vorzunehmen. Er wollte vielmehr die gesamte im VersammlG-Bund
geregelte Materie durch ein eigenes, den Besonderheiten des Landes Sachsen-Anhalt angepasstes, Gesetz regeln.
Die Kammer hat die Plenarprotokolle und Ausschussprotokolle zum Gesetzgebungsvorgang des VersammlG-LSA eingesehen, um die Motive des Landesgesetzgebers bei der Formulierung des Gesetzes nachzuvollziehen. Ihnen ist zu
entnehmen, dass der erste Entwurf vom 02. Juni 2008 eines VersammlG-LSA (Drs. 5/1301) in § 1 die Fortgeltung des VersammlG-Bund (mit Ausnahme der §§ 15, 16 und 29a) als Landesrecht und in §§ 2 bis 6 weitere Regelungen
vorsah. Später wurde statt der ursprünglich vorgesehenen statischen Verweisung auf das VersammlG-Bund ein vollständig ausformuliertes Landesgesetz favorisiert, mit dem das VersammlG-Bund im Wesentlichen übernommen, in
einzelnen Punkten nachgebessert und um landesspezifische Regelungen ergänzt werden sollte. Nachdem im Verlauf der mehr als ein Jahr andauernden Beratungen mehrere Verfassungsrechtsexperten, kommunale Spitzenverbände und
der Landesbeauftragte für den Datenschutz angehört, Stellungnahmen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages eingeholt und der mitberatende Ausschuss für Recht und Verfassung beteiligt worden waren, lag dem
federführenden Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 schließlich ein überarbeiteter Gesetzentwurf zur Einzelberatung vor.
Dieser sah in § 15 Abs.1 ein wie folgt formuliertes Bewaffnungsverbot vor:
‚Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen
geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 15 Abs.2 sah der Entwurf ein Vermummungsverbot für ‚derartige Veranstaltungen' oder den Weg dorthin vor.
§ 26 Abs.2 Ziff.1 des Entwurfes war wie folgt formuliert:
‚Wer
1. entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als
Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt, (…) wird (…) bestraft.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 26 Abs.2 Ziff.2 stellte der Entwurf den Verstoß gegen das Vermummungsverbot des § 15 Abs.2 Ziff.1 bei ‚derartigen Veranstaltungen' oder dem Weg dorthin unter Strafe.
Die Formulierungen in § 15 Abs.1 u. Abs.2 und § 26 Abs.2 des Entwurfes entsprach genau derjenigen in § 17a Abs.1 u. Abs.2 und § 27 Abs.2 VersammlG-Bund. Im Verlauf der bis zum 16. September 2009 erfolgten Diskussionen,
Anhörungen und Beratungen war zu keinem Zeitpunkt erwogen worden, von dieser Formulierung abzuweichen.
Dem Innenausschuss lag in seiner Sitzung am 16. September 2009, in der der Gesetzentwurf beraten werden sollte, hierzu ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD vor, der hinsichtlich der hier in Rede
stehenden Vorschriften wie folgt lautet:
‚§ 15 Abs.1 wird wie folgt gefasst:
‚(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind,
Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.' (…)
§ 26 Abs.2 Nr.1 wird wie folgt gefasst:
‚1. entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt
sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich führt,''.
Eine Begründung für den Änderungsantrag, demzufolge das strafbewehrte Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' gelten sollte, lässt sich dem Protokoll der
Ausschusssitzung nicht entnehmen.
Der Innenausschuss nahm in seiner Sitzung vom 16. September 2009 den Änderungsantrag, soweit er sich auf §§ 15 und 26 VersammlG-LSA bezog, an und empfahl dem Landtag, den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung
anzunehmen, was der Landtag in seiner Sitzung vom 08. Oktober 2009 dann auch tat.
Aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens ergibt sich, dass gegen die konkrete Formulierung des sich auch auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes in §§ 15 und 26 des Entwurfes eines VersammlG-LSA, wie er dem Innenausschuss in seiner Sitzung vom 16. September 2009 zunächst vorlag, im Verlauf der vorangegangenen mehr als ein Jahr andauernden
Beratungen zu keinem Zeitpunkt verfassungsrechtliche oder sonstige Bedenken geäußert worden waren. Insbesondere wurde die Kompetenz des Landesgesetzgebers für die Normierung eines sich auch auf ‚sonstige öffentliche
Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes nicht in Frage gestellt. Die Befugnis des Landes für die Normierung eines derartigen Verbotes ergab sich unzweifelhaft zumindest aus
seiner Gesetzgebungskompetenz für das Gefahrenabwehrrecht. Da sich der Landesgesetzgeber aus rechtlichen Gründen nicht gehindert sah, ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter
freiem Himmel' zu normieren, hatte er bis zur Sitzung des Innenausschusses am 16. September 2009 auch nicht erwogen, insoweit von der im VersammlG-Bund enthaltenen Formulierung abzuweichen.
Die Gründe, die den Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 dazu bewogen haben, dem Änderungsantrag zuzustimmen und in dem Gesetzentwurf das Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht, wie ursprünglich
vorgesehen, auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' zu erstrecken, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Das Sitzungsprotokoll gibt hierüber keinen Aufschluss.
Dass jedenfalls nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insoweit nicht teilweise fortgelten sollte, sondern mit der Verabschiedung des VersammlG-LSA das VersammlG-Bund insgesamt ersetzt werden sollte,
lässt sich dem Gang der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes in der öffentlichen Sitzung des Landtages am 8. Oktober 2009 entnehmen. In deren Verlauf sprach der damalige Minister des Innern Hövelmann davon ‚das alte
Bundesgesetz (und nicht nur Teile davon, Anm. d. Kammer) in Landesgesetzen moderner zu gestalten'. Weiter führte er aus: ‚Vor uns liegt nunmehr der Entwurf eines Gesetzes, der zu einem vollständigen und eigenständigen
Landesversammlungsrecht führen soll. Mit diesem Entwurf sind nicht nur die redaktionellen Ungereimtheiten des noch (und damit künftig nicht mehr, auch nicht teilweise, Anm. d. Kammer) geltenden Bundesgesetzes bereinigt
worden. Es sind auch verfassungsrechtliche Mängel beseitigt und die hinsichtlich mehrerer Vorschriften angebrachten Präzisierungen und Korrekturen herbeigeführt worden. Zugleich sind im Vergleich zum bisherigen Bundesrecht
nicht nur einige verfassungsrechtlich gebotene Entschärfungen vorgesehen worden. …'. Der Abgeordnete BB fasste den Gang des Gesetzgebungsverfahrens wie folgt zusammen: ‚In den Ausschussberatungen haben wir uns den
Wunsch der Opposition zu eigen gemacht, ein Vollgesetz zu verabschieden. Diese Lösung hat den Vorzug, dass man nicht in zwei Gesetzen, einem des Bundes und einem des Landes, suchen muss, um alle die Versammlungen
betreffenden Gesetzesregelungen im Blick zu haben. … Wir haben darauf geachtet, von dem guten Bundesgesetz nicht unnötig abzuweichen, haben es dann in einzelnen Punkten eben doch getan.' Diese Äußerungen belegen
eindrucksvoll, dass nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insgesamt durch ein Landesgesetz ersetzt werden sollte. Aus keinem der Plenar- und Ausschussprotokolle ergeben sich Anhaltspunkte, dass der
Landesgesetzgeber nur eine partielle Ersetzung und damit verbundene teilweise Fortgeltung des VersammlG-Bund gewollt hätte. Im Gegenteil, den Worten des Abgeordneten SPD) ( BB zufolge sollte ein Nebeneinander von
Bundesgesetz und Landesgesetz gerade vermieden werden.
Im Ergebnis dessen gelten §§ 17a Abs.1 u. Abs.2, 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund, die ein strafbewehrtes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot auch für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel'
enthalten, im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht fort. Das Verhalten des Angeschuldigten ist mithin nicht strafbar. ..."
***
Klage gegen Kontrollen bei Versammlung und deren Auflösung (VG Köln, Urteil vom 07.12.2006 - 20 K 5272/04 - Einkesseln der Versammlungsteilnehmer für mehrere Stunden - Kessel 3):
„... Die Klägerin meldete zusammen mit einer weiteren Person mit Schreiben vom 12.03. und vom 23.04.2003, gerichtet an das Ordnungsamt der Stadt Köln, die Veranstaltung ‚6. Antirassistisches Grenzcamp' auf dem städtischen
Gelände ‚Poller Wiesen' für den Zeitraum vom 30.07.2003 bis zum 11.08.2003 an. Es würden ca. 1500 Teilnehmer während der gesamten 10 Tage erwartet und die Veranstaltung solle im Freien in Form eines Zeltlagers abgehalten
werden. In der Folgezeit nahm der Beklagte Kontakt zu den Organisatoren der Veranstaltung auf, die einen vierköpfigen Arbeitskreis bildeten, zu dem auch die Klägerin gehörte, und der mit dem Beklagten am 27.06. und 25.07.2003
Kooperationsgespräche führte. Daneben schlossen die vier Arbeitskreis-Teilnehmer mit der Stadt Köln einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Nutzung eines Teilstücks der Grünfläche ‚Poller Wiesen' als Zeltplatz im Rahmen
des ‚Antirassistischen Grenzcamps'.
Der Beklagte bestätigte mit an die vier Mitglieder des Arbeitskreises gerichteten Bescheiden vom 01.08.2003 gemäß § 14 des Versammlungsgesetzes die Anmeldung der Versammlung jeweils für diejenigen Tage, für die sich die
einzelnen Arbeitskreis-Teilnehmer als Versammlungsleiter erklärt hatten. Die Klägerin hatte die Versammlungsleitung am 03.08., 05.08. und am 09.08.2003 übernommen. Gleichzeitig erließ der Beklagte jeweils drei gleichlautende Auflagen.
Im Laufe der Veranstaltungstage kam es nach den Feststellungen des Beklagten zu mehreren strafrechtlich relevanten Vorfällen, während andere Veranstaltungsteile störungsfrei verliefen; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 111 - 115
des eingereichten Verwaltungsvorganges verwiesen. Am 08.08.2003 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Grenzcampteilnehmern und eingesetzten Polizeibeamten, nachdem ein Kradfahrer der Polizei an der Weiterfahrt
gehindert worden und einer Polizistin eine Videokamera entrissen worden war. Die Einzelheiten hierzu sind zwischen den Beteiligten streitig. Für den 09.08.2003 war in Köln-Poll eine der rechtsextremen Szene zuzurechnende
Demonstration angemeldet. Nach den Erkenntnissen der Polizei war dies den Teilnehmern des Grenzcamps bekannt geworden und es seien von diesen Vorbereitungen zur Störung bzw. Verhinderung dieser Demonstration getroffen
worden. Der Beklagte richtete daraufhin ab 10.30 Uhr im Umfeld des Grenzcampgeländes Kontrollstellen ein, was zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Versammlungsteilnehmern führte. Auch diesbezüglich sind die
Einzelheiten zwischen den Beteiligten streitig. Um 14.00 Uhr wurde vom Einsatzleiter des Beklagten des Beklagten eine Auflösungsverfügung formuliert, die aber zunächst nicht erlassen wurde. Stattdessen fanden über mehrere
Stunden hinweg Verhandlungen zwischen dem Beklagten und der Versammlungsleitung statt, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler. Um 18.18 Uhr verkündete der Einsatzleiter des Beklagten per
Lautsprecherdurchsage die Auflösung der Versammlung Grenzcamp. Des Weiteren wurde den auf dem Grenzcamp anwesenden Personen über Lautsprecher mitgeteilt, dass gemäß § 163 b Abs. 1 u. 2 StPO ihre Personalien festgestellt
und Lichtbilder gefertigt werden sollten; sie sollten sich zu diesem Zwecke an den fünf eingerichteten Durchlassstellen melden, durch die sie das Gelände dann verlassen könnten. Dieser Aufforderung folgte nur ein Teil der
anwesenden Personen, die verbliebenen 377 Personen wurden eingekesselt und zur Gefangenensammelstelle nach Brühl verbracht. Dort wurden sie nach Personalienfeststellung mit Lichtbildfertigung in den Morgenstunden des
10.08.2003 freigelassen. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 forderte die Klägerin den Beklagten auf, sich zur Rechtswidrigkeit seiner Maßnahmen zu erklären. Eine Reaktion hierauf sowie
auf eine entsprechende Erinnerung vom 16.12.2003 erfolgte nicht.
Die Klägerin hat am 16.07.2004 Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit von mehreren am 09.03.2003 vom Beklagten getroffenen Maßnahmen begehrt. Zur Begründung trägt sie vor: Die Klageerhebung sei
geboten, da der Beklagte auf die schriftlichen Aufforderungen ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.08.2003 und 09.09.2003 sowie die Erinnerung vom 16.12.2003 nicht reagiert habe. Das Vorgehen der eingesetzten Polizeikräfte des
Beklagten gegen die Versammlungsteilnehmer des Grenzcamps sei nicht nachvollziehbar. Es habe sich bis zur Auflösung um ca. 18.00 Uhr um eine angemeldete und bestätigte Versammlung gehandelt. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehöre es zu den originären demokratischen Rechten, nicht nur an einer Versammlung teilzunehmen, sondern dies auch anonym zu tun. Dieses grundlegende Recht sei durch die Polizei
durch Errichtung der Sperren massiv eingeschränkt worden. Was den Vorfall mit dem Kradfahrer der Polizei anbetreffe, so sei dieser am frühen Morgen des 08.08.2003 entgegen den getroffenen Absprachen auf das Gelände des
Grenzcamps gefahren und habe auf Nachfragen äußerst ungehalten reagiert, so dass sich eine lautstarke Diskussion entwickelt habe. Die Person, die die Videokamera der Polizei entwendet haben soll, sei ihr, der Klägerin, wie auch der
übrigen damaligen Versammlungsleitung nicht bekannt gewesen und auch bis heute unbekannt. Am 09.08.2003 habe die Polizei gegen 9.30 Uhr damit begonnen, nach und nach sämtliche Zu- und Abfahrtswege vom Camp
abzuriegeln. Gegen 10.30 Uhr sei es dann insgesamt nicht mehr möglich gewesen, das Camp zu verlassen; Polizeibeamte hätten eine mehrreihige Kette in 50 m Entfernung vom Eingang gebildet. Aus Protest gegen das polizeiliche
Verhalten hätten einige Grenzcampteilnehmer Menschenketten gebildet; in der Folge sei es dann zu zahllosen Provokationen seitens der Polizei gekommen. Die Gangart der Polizei sei immer härter geworden, gegen 13.00 Uhr sei sie
unangekündigt bis zum Eingang des Grenzcamps vorgerückt. Ab diesem Zeitpunkt sei das Verlassen des Geländes auf die Straße - ‚Alfred-Schütte-Allee' bzw. ‚Am Schnellert ‚ - nicht mehr möglich gewesen. Nach Gesprächen der
Versammlungsleiter mit Vertretern des Beklagten habe sich dann die Lage vorübergehend entspannt, dabei seien die Versammlungsteilnehmer davon ausgegangen, dass sie nur bis zum Ende der rechtsradikalen Demonstration um
17.00 Uhr festgehalten würden. Gegen 15.00 Uhr sei dann mitgeteilt worden, dass das Grenzcamp geräumt werden solle, weil die angemeldete rechtsradikale Demonstration geschützt werden müsste und 70 % aller Campteilnehmer
straffällig geworden seien. Außerdem habe die Stadt Köln den Mietvertrag über die Poller Wiesen telefonisch gekündigt. Ab 16.00 Uhr habe dann die Polizei das Camp umstellt und der Einsatzleiter gegen 17.30 Uhr erklärt, dass die
Versammlung aufgelöst werden solle, um die Personalien der Campteilnehmer festzustellen. Nach mehreren Aufforderungen der Polizei an die verbliebenen Campteilnehmer, sich zum Ausgang zu begeben und die Personalien
feststellen zu lassen, sei dann gegen 19.00 Uhr über Lautsprecher die Versammlung für aufgelöst erklärt worden. Der erneuten Aufforderung, sich im Eingangsbereich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, seien
nur wenige Grenzcampteilnehmer nachgekommen. Daraufhin sei das gesamte Gelände mit Absperrgittern und mehrreihigen Polizeiketten umstellt worden. Die verbliebenen Teilnehmer seien eingekesselt worden und hätten mehrere
Stunden in dem Kessel verbleiben müssen, bis dann der Abtransport in zwei Gelenkbussen sowie kleineren Gefangenentransportern zur Gefangenensammelstelle nach Brühl erfolgt sei. Dort habe sich die Durchführung der
erkennungsdienstlichen Behandlung bis zum Vormittag des 10.08.2003 hingezogen, erst danach seien sie freigelassen worden.
Das Gericht hat das Verfahren abgetrennt, soweit sich die Klägerin (auch) gegen die nach Auflösung der Versammlung ergangenen polizeilichen Maßnahmen wendet (und unter dem Aktenzeichen 20 K 1709/06 fortgeführt).
Soweit sich die Klägerin zunächst auch gegen das ‚gegen 11.00 Uhr ausgesprochene Betretungsverbot für das Grenzcamp' gewandt hat, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 den Rechtsstreit im
Anschluss an eine vom Beklagten hierzu abgegebene Erklärung insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Im vorliegenden Verfahren beantragt die Klägerin nunmehr,
1. festzustellen, dass die Einrichtung der Kontrollstellen nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG am 09.08.2003 - Alfred-Schütte-Allee und ‚Am Schnellert ‚ - bezüglich den Versammlungsteilnehmern der angemeldeten Versammlung
Grenzcamp rechtswidrig war, soweit sie sich ausweisen lassen mussten,
2. festzustellen, dass die Auflösungsverfügung des Beklagten vom 09.08.2003 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die noch streitgegenständlichen Maßnahmen für rechtmäßig. Bereits im Vorfeld der Versammlung habe er deutlich gemacht, dass die Polizei allen erkennbaren Absichten zur Ausübung von Gewalttätigkeiten und anderen
Straftaten konsequent entgegenwirken sowie Straftaten konsequent verfolgen werde. Für Samstag, den 09.08.2003, habe eine der rechtsextremen Szene zuzuordnende Person eine Versammlung (Aufzug mit Kundgebungen)
angemeldet, die in Köln-Poll, ca. 2 km vom Grenzcampgelände entfernt, stattfinden sollte. Die dem Veranstalter am 06.08.2003 ausgehändigte Anmeldebestätigung sei diesem von Unbekannten an einer U-Bahn-Haltestelle entwendet
worden. Dem Schriftstück sei der bestätigte Aufzugsweg zu entnehmen gewesen, den man bis dahin nicht veröffentlicht habe. In der Nacht zum Samstag seien immer wieder Einzelpersonen und kleinere Personengruppen aus dem
Grenzcamp im Stadtteil Poll beobachtet worden. In den Morgenstunden des Samstags hätten Polizeikräfte entlang des Aufzugsweges Depots mit Wurfmaterialien (Steine, Farb- und Fäkalienbeutel) entdeckt; an den bereit gestellten
polizeilichen Absperrgittern seien die Sicherungsschlösser beschädigt worden und die Gitter mit Fäkalien beschmiert worden. Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse sei zum Schutz der angemeldeten rechtsextremen Versammlung
am 09.08.2003 mit Zustimmung der Bezirksregierung Köln im Umfeld des Grenzcampgeländes ab ca. 10.30 Uhr je eine Kontrollstelle in der ‚Alfred- Schütte-Allee', der Straße ‚Am Schnellert ‚ sowie am linksrheinischen Aufgang zur
Südbrücke eingerichtet worden gem. § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW, um zu erwartende Straftaten nach § 27 VersG zu verhüten. Die Sperrstellen in der ‚Alfred- Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hätten sich nicht direkt
am Grenzcampgelände, sondern in einer Entfernung von etwa 400 - 500 m befunden, auch um die Teilnehmer des Grenzcamps nicht durch eine Polizeipräsenz in unmittelbarer Nähe zu provozieren. Die räumliche Distanz habe zur
Folge gehabt, dass jeder, der die Landzunge zu verlassen gedachte, die Sperrstellen passieren musste. Auch Anwohner, Spaziergänger und andere Personen seien unmittelbar von dieser Maßnahme betroffen gewesen. Es sei nicht
darum gegangen, die Teilnahme an oder das Verlassen der Versammlung ‚Grenzcamp' zu be- oder verhindern. Zweck der Einrichtung der Kontrollstellen sei ausschließlich der Schutz der Versammlung der rechtsextremen Szene
gewesen. Es sei zwingend davon auszugehen gewesen, dass eine gewaltsame Verhinderung bzw. Störung der Versammlung der rechtsextremen Szene konkret geplant gewesen sei. Ebenso habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich
Teilnehmer des Grenzcamps an diesen Aktionen zu beteiligen gedachten, zumal die rechtsextreme Szene ‚gegen das 6. Antirassistische Grenzcamp in Köln- Poll' (so wörtlich angemeldet) zu demonstrieren gedachte. Es sei von
Grenzcampteilnehmern versucht worden, die in der ‚Alfred-Schütte-Allee' eingerichtete Kontrollstelle zu umgehen und im Camp sei über Lautsprecher zum Verlassen des Geländes über die Südbrücke aufgerufen worden. Als eine
große Personengruppe auf die Südbrücke gedrängt sei, auf der sich eine Schienentrasse und teilweise in der Sanierung befindliche Gehwege befunden hätten, habe der rechtsrheinische Zugang zur Südbrücke von Einsatzkräften
gesperrt werden und die Südbrücke von Personen geräumt werden müssen. An diesem Zugang zur Südbrücke sei um 11.11 Uhr eine zusätzliche Kontrollstelle nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW eingerichtet worden. Diese habe sich
unmittelbar am Eingangsbereich des Grenzcampgeländes befunden, dort habe die Lage gegen 12.16 Uhr zu eskalieren begonnen. Die dort eingesetzten Polizeikräfte seien gewalttätigen Angriffen von Grenzcampteilnehmern ausgesetzt
gewesen. Aus einer dicht gedrängten Gruppe von etwa 100 bis 150 Personen seien die Beamten mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln und Steinen beworfen worden. Einige dieser Personen seien vermummt gewesen. Darüber hinaus sei
beobachtet worden, dass Personen unter der Südbrücke Steine und Holzlatten deponiert hätten. Zum Schutz der Einsatzkräfte an der Kontrollstelle sowie zur Festnahme erkannter Straftäter seien Einsatzkräfte von der Kontrollstelle
‚Am Schnellert ‚ in Richtung der Störer vorgerückt und hätten eine Polizeikette gebildet. Aus der Gruppe vor der Polizeikette seien die Polizeikräfte nochmals mit Obst, Gemüse, Fäkalienbeuteln, gefüllten Wasserflaschen und
vereinzelt mit Steinen beworfen worden, zudem seien die Einsatzkräfte mit Wasser bespritzt worden. Zwischen der Personengruppe unmittelbar vor der Polizeikette und den restlichen Personen auf dem Gelände des Grenzcamps sei es
auch während des Bewurfs der Polizeikräfte zu ständigen Bewegungen gekommen. Es seien auch Personen, die an den Ausschreitungen teilgenommen hätten, aus dem Grenzcamp heraus in Form von Anfeuerungsrufen und den Rufen
von Parolen gegen die Polizei unterstützt worden. Die Versammlung ‚Grenzcamp' sei um 18.18 Uhr in rechtmäßiger Weise aufgelöst worden, denn die Angriffe der Versammlungsteilnehmer gegen die Integrität der eingesetzten
Beamtinnen und Beamten sowie die nachhaltige Verletzung der Rechtsordnung (u.a. Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung) hätten eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dargestellt. Der Auflösung seien
stundenlange Vermittlungsversuche, auch unter Einschaltung dritter Personen als Vermittler, vorangegangen. Dabei habe die Polizei immer wieder herausgestellt, dass die eingerichteten Sperrstellen ausschließlich dem Schutz der
nicht verbotenen rechten Versammlung in Köln-Poll, die bis um 17.00 Uhr dauern sollte, gedient habe. Letztlich seien sämtliche Versuche, die Lage mittels Gesprächen mit den Verantwortlichen des Camps zu beruhigen, gescheitert.
Im Zeitpunkt der Auflösung der Versammlung sei davon auszugehen gewesen, dass es auch bei einer Beendigung des Polizeieinsatzes, verbunden mit der Entfernung der Sperrstellen und dem Abzug sämtlicher Polizeikräfte, nicht zu
einer ruhigen und ordnungsgemäßen Fortsetzung der Aktivitäten der Grenzcampteilnehmer gekommen wäre. Vielmehr habe befürchtet werden müssen, dass dem Ende des Polizeieinsatzes ein Entladen der aufgestauten Aggressionen
seitens der Campteilnehmer folgen würde. Die Auflösung sei damit Folge der gewaltsamen Auseinandersetzungen an diesem Tage gewesen, andererseits hätten aber auch die im Zeitraum vom 31.07. bis zum 08.08.2003 begangenen
Straftaten, die den Teilnehmern des Grenzcamps zuzurechnen gewesen seien, zu der Entscheidung beigetragen. So sei am 08.08.2003 ein Kradfahrer der Polizei auf der ‚Alfred-Schütte-Allee' von mehreren Grenzcampteilnehmern
gewaltsam an der Weiterfahrt gehindert worden. Mehrere Personen hätten auf das Krad eingeschlagen und dabei sei die Antenne abgebrochen. Als weitere Polizeikräfte eingetroffen seien, sei einer Beamtin aus der Gruppe heraus die
zu Beweiszwecken eingesetzte Videokamera geraubt worden. Der Täter sei unerkannt mit der Kamera auf das Grenzcampgelände geflüchtet. Auch in den Vortagen hätten Grenzcampteilnehmer an verschiedenen Orten mehrere
Straftaten begangen; wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten wird insoweit auf Bl. 60, 61 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten eingereichten Verwaltungsunterlagen und auf die von ihm vorgelegten zwei Videokassetten Bezug
genommen. ...
Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, wird es in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt. Im Übrigen hat die Klage teilweise - im Klageantrag zu 2. - Erfolg.
1. Der Klageantrag zu 1. ist unzulässig.
Dabei kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO handelt, da die Einrichtung einer polizeilichen Kontrollstelle als solche einen Realakt darstellt,
vgl. Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz NRW, 9. Auflage, § 12 Rdnr. 25,
oder aber um eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Hinblick darauf, dass die Klägerin geltend macht, mit den an den beiden Kontrollstellen durchgeführten
Ausweiskontrollen habe der Beklagte gezielt versucht, die Identität der Teilnehmer der Versammlung ‚Grenzcamp' zu ermitteln. Jedenfalls fehlt es der Klägerin an dem nach beiden Vorschriften erforderlichen berechtigten Interesse an
der von ihr begehrten Feststellung. Dass ein solches Interesse unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr vorläge, ist weder hinreichend substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich. Die von der Klägerin im Jahre 2003 in
Köln angemeldete Versammlung ‚Grenzcamp' hatte zuvor in jeweils verschiedenen anderen Städten stattgefunden, nach dem Jahre 2003 - soweit bekannt - überhaupt nicht mehr. Des Weiteren ist das Vorliegen des erforderlichen
berechtigten Interesses in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe zu bejahen, sofern Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nicht erreichbar ist. Im Bereich des Versammlungsrechts
führt der Sofortvollzug behördlicher Maßnahmen in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Weise. Zudem sind in versammlungsrechtlichen Verfahren die Besonderheiten der
Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse liegt stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt.
Vgl. BVerfG, BVerfGE 110, 77 = DVBl. 2004, 822.
Dies ist hier nicht gegeben: Zwar war die Klägerin Anmelderin und am 09.08.2003 Leiterin der Versammlung ‚Grenzcamp'. Durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen und die dort durchgeführten Ausweiskontrollen wurde
indes in die Durchführung und den Ablauf dieser Versammlung nicht unter Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG eingegriffen. Der Beklagte hat vielmehr ausdrücklich und substantiiert vorgetragen,
dass sich die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 nicht gegen die Versammlung ‚Grenzcamp' richtete bzw. einer Beschränkung oder Behinderung des Zugangs und des Weggangs zu und von dieser Versammlung,
sondern ausschließlich dem Schutz der an diesem Tage ebenfalls stattfindenden rechtsextremen Versammlung ca. 2 km entfernt in Köln-Poll diente, nämlich um bezogen auf diese Versammlung Straftaten nach § 27 VersG zu
verhüten. Hierzu hat der Beklagte auch, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2006 durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen hat, die erforderliche Zustimmung der Bezirksregierung Köln eingeholt. Es war
auch vorgesehen, die beiden Kontrollstellen nach Abschluss der rechten Demonstration um 17.00 Uhr wieder zu entfernen (nachdem ihr Zweck erfüllt war). Es ist weder von der Klägerin substantiiert vorgetragen worden noch
ansonsten erkennbar, dass durch die Einrichtung der beiden Kontrollstellen am 09.08.2003 um 10.30 Uhr Teilnehmern der bereits seit dem 01.08.2003 stattfindenden Versammlung Grenzcamp faktisch der Zugang zum
Grenzcampgelände oder dessen Verlassen in unzumutbarer Weise erschwert worden wäre. Was die Grenzcampteilnehmer anbetrifft, die sich am 09.08.2003 an den Kontrollstellen ausweisen mussten, kann nicht festgestellt werden,
dass es sich bei der vorgenommenen Identitätsfeststellung mittels Anhaltung um eine tiefgreifende Grundrechtseinschränkung handelte. Dass es sich bei dem Vorbringen des Beklagten - wie die Klägerin meint - um eine
Schutzbehauptung handele, die nur vorgeschoben sei, um eine in Wirklichkeit beabsichtigte ‚Disziplinierung' der Campteilnehmer zu verschleiern, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die beiden Sperrstellen in der
‚Alfred-Schütte-Allee' und in der Straße ‚Am Schnellert ‚ hatten sich nicht direkt am Grenzcampgelände, sondern in einiger Entfernung davon befunden, so dass auch andere Personen diese passieren und sich kontrollieren lassen
mussten. Allerdings hatte die Einrichtung der Kontrollstellen für alle Versammlungsteilnehmer auf dem Grenzcampgelände zur Folge, dass sie im Zeitraum deren Bestehenbleibens nicht nach Köln-Poll gelangen konnten, ohne
kontrolliert zu werden. Insoweit ist aber die Einschätzung des Beklagten auf Grund der von ihm gewonnenen Erkenntnisse, an deren Richtigkeit kein Anlass zu zweifeln besteht, nicht zu beanstanden, dass gerade aus dem Kreis der
Grenzcampteilnehmer heraus die Begehung von Straftaten nach § 27 VersG im Zusammenhang mit der rechtsextremen Demonstration in Köln-Poll zu befürchten war.
2. Der Klageantrag zu 2. ist zulässig und begründet.
Betreffend die vom Beklagten verfügte Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' am 09.08.2003 ist die Klage der Klägerin als Versammlungsleiterin an diesem Tage als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung
des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt - wie bereits oben ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets vor, wenn die angegriffene Maßnahme die
Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn also die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder - wie vorliegend - die Versammlung aufgelöst worden ist.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die am 09.08.2003 um 18.18 Uhr vom Beklagten ausgesprochene Auflösung der Versammlung ‚Grenzcamp' war rechtswidrig.
Nach der seinerzeitigen Fassung des § 15 Abs. 2 VersG (heute: § 15 Abs. 3 VersG) konnte der Beklagte als zuständige Behörde die Versammlung auflösen, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. 1 gegeben waren. Ein
Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG kann ausgesprochen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar
gefährdet ist. Dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen (noch) im Zeitpunkt des Erlasses der Auflösungsverfügung um 18.18 Uhr vorlagen, hat der Beklagte nicht hinreichend dargetan. Zur Begründung seiner - in seinem
Ermessen stehenden - Auflösungsverfügung hat er per Lautsprecherdurchsage den Versammlungsteilnehmern mitgeteilt: ‚Aus ihrer Mitte wurden Straftaten in Form von Steinwürfen und Vermummung begangen und die
Versammlung hat einen gewalttätigen Verlauf genommen.' Die vom Beklagten angeführten gewalttätigen Auseinandersetzungen und die Angriffe von Versammlungsteilnehmern gegen die Polizeikräfte - deren Umfang im Übrigen
zwischen den Beteiligten streitig ist - hatten indes am Mittag des 09.08.2003 stattgefunden. Dies ergibt sich sowohl aus der Dokumentation der Ereignisse im Verwaltungsvorgang des Beklagten als auch aus den Angaben des
zuständigen Einsatzabschnittsleiters des Beklagten, Herrn T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006. Auch aus den beiden vom Beklagten vorgelegten Videokassetten, die Aufzeichnungen vom Kontrollpunkt ‚Am
Schnellert ‚ sowie den Auseinandersetzungen zwischen Campteilnehmern und Polizeikräften im Eingangsbereich des Grenzcamps enthalten, ergibt sich nichts anderes. Aus den Videoaufnahmen ist ersichtlich, dass die am Eingang des
Grenzcamps zusammengekommenen Personen sich handgreifliche Auseinandersetzungen mit den dort eingesetzten Polizeikräften geliefert hatten, mehrere dieser Personen hatten sich mittels vor ihre Gesichter gezogener Halstücher
vermummt. Aus ihren Reihen wurden jedenfalls auch Pet-Flaschen mit Wasser sowie Obst auf die Polizisten geworfen. Ob es darüber hinaus auch zu Steinwürfen gegen die Polizeikette gekommen ist, ist auf den beiden Videobändern
nicht zu erkennen. Jedoch hat der zuständige Einsatzabschnittsleiter des Beklagten, Herr T. , in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt, dass er selbst mitbekommen habe, dass
Steine in seiner Nähe geworfen worden waren. An dieser Darstellung zu zweifeln, sieht die Kammer keinen Anlass. Es muss aber nach den zur Zeit des Erlasses der Auflösungsverfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sein. Zur Annahme einer solchen Gefährdung genügt nicht eine abstrakte Gefahr, die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der
Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein.
Vgl. OVG NRW, NVwZ 1989, 886 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 Rdnr. 127.
Vorliegend ist es zwischen den Beteiligten im Wesentlichen unstreitig, dass es in den letzten Stunden vor der Auflösungsverfügung - im Wesentlichen ab 13.00 Uhr - zu keinen gezielten Aktionen seitens der Demonstranten
gekommen ist. Der letzte Aufruf der Einsatzleitung der Polizei, den Bewurf der Beamten zu unterlassen, ist laut des Einsatzprotokolls um 12.41 Uhr erfolgt. Danach haben mehrstündige Verhandlungen stattgefunden, über deren
Verlauf und evtl. Ergebnisse keine schriftlichen Aufzeichnungen des Beklagten vorliegen. Auch die Angaben der Beteiligten in den beiden mündlichen Verhandlungen haben insoweit keinen hinreichenden Aufschluss erbracht.
Verbleibende Zweifel, insbesondere zur weiteren Entwicklung der Lage am Demonstrationsort, gehen zu Lasten des Beklagten, der die Beweislast dafür trägt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass der
Auflösungsverfügung vorlagen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Auflösung einer Versammlung das letzte, äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren darstellt.
Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 und NVwZ 2004, 90; BVerwG, BVerwGE 64, 55; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rdnr. 145 ff. m.w.N.
Solche Gefahren sind im Verwaltungsvorgang des Beklagten allenfalls dokumentiert bis 12.41 Uhr. Danach wurden die bezeichneten stundenlangen Verhandlungen mit den Versammlungsteilnehmern unter Einschaltung von dritten
Personen als Vermittler geführt, bis dann - nach Angaben der Klägerin für die Versammlungsleitung überraschend - die Auflösung erfolgte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Polizei bei ihrer Gefahrenprognose ein nicht
geringer Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist; es ist jedoch die Annahme, dass noch um 18.18 Uhr ein erhebliches Gefährdungspotential von den Versammlungsteilnehmern ausging, nicht hinreichend belegt. Fest steht jedenfalls,
dass sich die vom Beklagten zur Mittagszeit als eskaliert bezeichnete Lage beruhigt hatte, und zwar bereits über einen mehrstündigen Zeitraum hinweg. Darüber hinaus war im Zeitpunkt der Auflösung die Demonstration der
rechtsextremen Szene auch schon seit über einer Stunde beendet und somit als Reizobjekt für die Grenzcampteilnehmer nicht mehr vorhanden. Der Beklagte hat jedoch ersichtlich die Auflösungsverfügung im Hinblick auf die
Ereignisse in den Mittagsstunden als gerechtfertigt angesehen, die sich im Anschluss an das Vorrücken der Polizeikräfte zum Campeingang an der Südbrücke nach seiner Darstellung abgespielt hatten. Dies reicht indes - ohne
Berücksichtigung und Gewichtung der seit mehreren Stunden beruhigten Situation zwischen den Grenzcampteilnehmern und der Polizei sowie des Endes der rechtsradikalen Demonstration - zur Begründung der um 18.18 Uhr zu
treffenden Gefahrenprognose nicht aus. Hinzu kommt, dass sich von den ca. 700 auf dem Gelände befindlichen Personen schätzungsweise - nach Anschauung des vorgelegten Videomaterials - nur ca. 100 Personen an den
unfriedlichen Aktionen beteiligt hatten. Ebensowenig ist (die vom Beklagten zusätzlich angeführte) Berufung auf in den Vortagen von Gruppen der Versammlungsteilnehmer außerhalb des Grenzcampgeländes begangene Straftaten -
die allerdings in keiner Weise zu bagatellisieren sind - ausreichend zur Rechtfertigung der getroffenen Gefahrenprognose. ..."
***
Veranstalter ist, wer die Versammlung oder den Aufzug organisatorisch vorbereitet und plant oder zu ihm einlädt. Daß eine Person dem Anschein nach tatsächlich die Führung der Demonstration übernommen hat, reicht für eine
Strafbarkeit nach § 26 VersG nicht aus, soweit organisatorische Vorbereitungen und Planungen nicht vorliegen (LG Freiburg, Entscheidung vom 08.03.1988 - XI AK 71/87, StV 1988, 533).
§ 27
(1) Wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt, ohne dazu
behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne des Satzes 1 auf dem Weg
zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich führt, zu derartigen Veranstaltungen hinschafft oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereithält oder verteilt.
(2) Wer
1. entgegen § 17a Abs. 1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als
Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt,
2. entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen
Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt oder
3. sich im Anschluß an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zusammenrottet und dabei
a) Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt,
b) Schutzwaffen oder sonstige in Nummer 1 bezeichnete Gegenstände mit sich führt oder
c) in der in Nummer 2 bezeichneten Weise aufgemacht ist,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
Neben dem Vergehen nach §§ 125, 125a StGB tritt der ebenfalls erfüllte Straftatbestand des § 27 Versammlungsgesetz zurück (BGH, Entscheidung vom 21.09.1984 - 3 StR 395/84).
*** (OLG)
Auf die Verhinderung der Identitätsfeststellung gerichtet ist die Aufmachung dann, wenn der Versammlungsteilnehmer durch sie die Feststellung der Identität verhindern will, mithin absichtlich handelt. Es genügt für die Erfüllung
des Tatbestandes nicht, dass der Versammlungsteilnehmer allein aus gänzlich anderen Motiven als der Verhinderung seiner Identifikation eine zu diesem Zweck geeignete Aufmachung anlegt. Dies gilt auch dann, wenn er sich hierbei
der Eignung seiner Aufmachung zur Vermummung bewusst ist und insoweit vorsätzlich handelt. Neben den Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Verhinderung der Identifikation muss die dahingehende Absicht treten ( KG Berlin,
Beschluss vom 11.12.2012 - (4) 161 Ss 198/12 (310/12)):
„... Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt. Mit dem angefochtenen
Urteil hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass ihm die Zahlung der Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 15 € gestattet wird. Seine hiergegen gerichtete Revision, mit der er die
Verletzung sachlichen Rechts rügt und seinen Freispruch erstrebt, hat (vorläufigen) Erfolg.
I. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte nahm am Nachmittag des 27. November 2010 an einer bis zum Ende friedlich verbliebenen Demonstration der Bürgerinitiative ‚Me' anlässlich der Eröffnung eines Hotels in der S. Allee ... in ... an der Spitze des Zuges
teil. Die angemeldete und von Polizeibeamten zum Schutz gegen mögliche Ausschreitungen begleitete öffentliche Veranstaltung mit 300 bis 400 Teilnehmern begann am B. Platz in ... und endete auf der öffentlichen Straße vor dem
Hotel. Etwa 150 bis 200 Meter vor dem Endpunkt der Demonstrationsstrecke bemerkten die Polizeibeamten B. und S. den Angeklagten, der sich kurz zuvor die Kapuze seiner schwarzen Jacke, die er damals unter seinem dunklen
Anorak getragen hatte, bis zu den Augen über den Kopf und seinen dunkelbraunen Schal soweit über die Nase gezogen hatte, dass sein Gesicht bis auf die Augenpartie verdeckt war. Es herrschte eine Temperatur um -3°C. Dem
Angeklagten war ‚aus der Erfahrung als Teilnehmer von früheren Demonstrationen in ... bewusst, dass eine soweit gehende Gesichtsbedeckung bei Versammlungen unter freiem Himmel wegen der Schwierigkeit des möglicherweise
erforderlichen Identitätsnachweises verboten war. Er wusste, dass die den Zug begleitenden Polizeibeamten zur Verhinderung von derartigen Vermummungen […] präventiv einschreiten dürfen.' Gleichwohl entschied der Angeklagte
sich für diese ‚Form des Kälteschutzes', da er der Auffassung war, der Gesetzgeber dürfe ihm hinsichtlich der ‚zum Kälteschutz' getroffenen Vorkehrungen keine verbindlichen Vorschriften machen, jedenfalls müsse er diese nicht
beachten, ‚wenn sein Motiv allein darin liegt, unangenehm kalte Witterungseinflüsse konsequent von sich fern zu halten.'
2. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG als erfüllt angesehen und dies wie folgt begründet:
Der Angeklagte habe sein Gesicht mit Kleidungsstücken willentlich so verdeckt, dass er auf Fotos oder durch Zeugenbeschreibungen für den Fall, dass die Demonstration unfriedlich geworden wäre, nicht (sicher) hätte identifiziert
werden können. Der Angeklagte irre sich rechtlich, wenn er meine, dass das aus seiner Sicht nicht widerlegbare Tatmotiv des Vermummens gegen Kälte kein von der Norm erfasstes strafbares Verhalten sei. Er habe die objektiven
Umstände gekannt, die eine Identitätsfeststellung erheblich erschwerten und diesbezüglich vorsätzlich gehandelt. Sein Irrtum über die Strafbarkeit sei ohne rechtliche Bedeutung.
II. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststelllungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nicht.
1. Gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG macht sich strafbar, wer entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG an öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilnimmt, die geeignet und den Umständen nach
darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils belegen zwar rechtsfehlerfrei, dass der Angeklagte an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilgenommen hat, die geeignet war, die Feststellung
seiner Identität zu verhindern. Jedoch vermögen sie nicht zu belegen, dass die Aufmachung auch darauf gerichtet war, die Identitätsfeststellung zu verhindern.
Auf die Verhinderung der Identitätsfeststellung gerichtet ist die Aufmachung dann, wenn der Versammlungsteilnehmer durch sie die Feststellung der Identität verhindern will, mithin absichtlich handelt (vgl. KG NStZ-RR 1997, 185,
186 m.w.Nachw.; Ott/Wächtler/Heinhold, VersammlG 7. Aufl., Rdn. 40 zu § 17a; Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Rdn. 7 zu § 17a VersammlG). Hierbei ist zwar nicht erforderlich, dass die Verhinderung der
Identifikation alleinige oder vorrangige Motivation ist (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 2008 - (4) 1 Ss 486/07 (286/07) -). Jedoch genügt es für die Erfüllung des Tatbestandes andererseits auch nicht, dass der
Versammlungsteilnehmer allein aus gänzlich anderen Motiven als der Verhinderung seiner Identifikation eine zu diesem Zweck geeignete Aufmachung anlegt (vgl. zu dem gleich gelagerten Fall des § 27 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt.
VersammlG OLG Dresden StV 2010, 639; für eine Vermummung zur Meinungskundgabe BVerfGK 12, 354, 363). Dies gilt auch dann, wenn er sich hierbei der Eignung seiner Aufmachung zur Vermummung bewusst ist und insoweit
vorsätzlich handelt. Denn nach dem eindeutigen, den Tatbestand einschränkenden Wortlaut der Norm muss neben den Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Verhinderung der Identifikation auch die dahingehende Absicht treten.
2. Die Absicht, durch die gewählte Aufmachung die Identitätsfeststellung zu verhindern, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Vielmehr geht sie davon aus, der Angeklagte habe ‚zum Kälteschutz' gehandelt, wobei unklar bleibt, ob
die Strafkammer dies lediglich nach dem Zweifelsgrundsatz angenommen oder die volle richterliche Überzeugung von der Richtigkeit dieses Vorbringens des Angeklagten gewonnen hat. Die Beweiswürdigung setzt sich mit dem
Vorbringen des Angeklagten nicht auseinander, da die Tatrichterin die von dem Angeklagten behauptete Motivation - unzutreffend - für rechtlich bedeutungslos erachtet hat.
Die Feststellung der Absicht der Verhinderung der Identitätsfeststellung wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass festgestellt ist, dass dem Angeklagten das Verbot einer ‚soweit gehenden Gesichtsbedeckung' bewusst gewesen sei und
er gewusst habe, dass die Polizeibeamten ‚zur Verhinderung von derartigen Vermummungen […] präventiv einschreiten dürfen'. Auch wenn das Verbot des § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG, dessen sich der Angeklagte hiernach
bewusst gewesen sein soll, nur dann greift, wenn der Versammlungsteilnehmer in der Absicht der Verhinderung der Identifikation handelt, vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer mit den
vorstehenden Ausführungen mehr als den Vorsatz hinsichtlich der Eignung der Aufmachung zur Verhinderung der Identifikation feststellen wollte. Denn das von dem Angeklagten benannte Tatmotiv hat sie ausdrücklich als
bedeutungslos bezeichnet.
III. Das angefochtene Urteil war hiernach aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO). Da weitere Feststellungen zur Absicht des Angeklagten, auf die aus den Gesamtumständen geschlossen werden kann und soll (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel,
VersammlG 16. Aufl., Rdn. 26 zu § 17a), möglich erscheinen, war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Der neue Tatrichter wird durch Vernehmung weiterer als der bisher gehörten, die Demonstration begleitenden Polizeibeamten den Ablauf der Versammlung insbesondere zu dem Zeitpunkt näher aufzuklären suchen müssen, als der
Angeklagte seine Vermummung angelegt haben soll, und prüfen müssen, ob sich hieraus tragfähige Anhaltspunkte ergeben, dass der Angeklagte eine andere als die von ihm behauptete Motivation hatte.
Für den Fall einer erneuten Verurteilung weist der Senat darauf hin, dass die von der Strafkammer bewilligte Ratenzahlung angesichts der niedrigen Höhe der Teilzahlungsbeträge nicht ausreichend darauf Bedacht nimmt, dass das
Strafübel noch spürbar bleiben muss (vgl. Fischer, StGB 59. Aufl., Rdn. 10 zu § 42 m.w.Nachw.). Das Verschlechterungsverbot gilt insoweit nicht (vgl. Meyer-Goßner, StPO 55. Aufl., Rdn. 6 zu § 331). ..."
***
Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert; das sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur
Vermummung dienen. Ein Halstuch ist ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) bestimmt, wenn es vom Betroffenen als solches verwendet wird,
indem dieser durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begeht (OLG München, Beschluss vom 02.10.2008, 34 Wx 10/08):
„... Der Antragsteller begehrt als Betroffener eines polizeilichen Gewahrsams die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung durch die Polizei am Samstag, den 2.12.2006, in der Zeit vom 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr
rechtswidrig war.
Am 2.12.2006 führten Anhänger der NPD einen Marsch durch die Augsburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung durch. Der Betroffene, der Teilnehmer einer genehmigten Gegendemonstration war, hatte sich für die Zeit von
13.29 Uhr bis 13.34 Uhr ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden, das vom Kinnbereich bis unter die Augen reichte. Bei seiner vorläufigen Festnahme gegen 13.45 Uhr hatte der Betroffene, nach Aufforderung durch einen
Polizeibeamten, das Tuch bereits wieder abgenommen. Er wurde zum Polizeipräsidium gebracht und dort bis gegen 15.15 Uhr als Beschuldigter wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vernommen. Anschließend
wurde der Betroffene aufgrund polizeilicher Anordnung bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr in einer Arrestzelle festgehalten. Die Polizeibehörde stützte die Maßnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 PAG darauf, dass der
Betroffene bereits am 27.5.2006 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch Mitführen von Gegenständen zur Verhinderung der Identitätsfeststellung aufgefallen und deshalb davon auszugehen sei, der Betroffene
werde nach einer sofortigen Entlassung an den Demonstrationsort zurückkehren und sich wieder vermummen. Eine richterliche Vorführung fand nicht statt.
Der Antragsteller hat am 20.12.2006 beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig war. Mit Beschluss vom 30.8.2007 stellte das Amtsgericht fest, dass die
Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde als auch ihrer Ausgestaltung nach rechtmäßig war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit von 15.15
Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt wurde, mit Beschluss vom 20.12.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er wiederholte den
beim Landgericht gestellten (beschränkten) Antrag. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. ...
1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung ist statthaft, da sie vom Landgericht zugelassen wurde (Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG), ist und auch im Übrigen zulässig (Art. 18 Abs. 2, Abs. 3
Sätze 2 und 3 PAG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, §§ 20 , 22 Abs. 1 , § 29 Abs. 1 und 4 FGG ).
Gegenstand der Rechtsbeschwerde bildet nach den gestellten Anträgen die Haft als solche, nicht deren konkrete Ausgestaltung, mag darauf auch in der Begründung erneut eingegangen sein. Auf die umstrittene Frage, ob die
Rechtswegregelung des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 PAG auf polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme auszudehnen (BayVGH NJW 1989, 1754; Schmidbauer/Steiner Bayerisches
Polizeiaufgabengesetz 2. Aufl. Art. 18 Rn. 13) und damit auch insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, kommt es nicht an. Ebenso nicht angegriffen ist die Entscheidung des Amtsgerichts zur Zulässigkeit
der Festhaltung bis zur Beendigung strafprozessualer Maßnahmen gegen 15.15 Uhr.
2. Das Landgericht hat zur Sache ausgeführt:
Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei unbegründet.
a) Die ursprünglich von der Polizeibehörde herangezogene Norm des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG sei nicht anwendbar, da der Betroffene in der Vergangenheit nicht mehrfach aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von
Straftaten betroffen worden sei. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Betroffene nur in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auffällig geworden.
b) Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG erfüllt. Die von der Polizeibehörde getroffene Prognoseentscheidung, der Betroffene werde unmittelbar nach einer eventuellen Entlassung aus dem
Polizeigewahrsam gegen 15.15 Uhr erneut Straftaten begehen, sei nicht zu beanstanden. Aufgrund des hohen Rangs des Freiheitsrechts müsse nach den konkreten Umständen eine Wiederholung der verbotenen Verhaltensweise
erwartet werden. Der Betroffene habe vor seiner Festnahme gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mit einem Tuch vermummt an einer Demonstration teilgenommen habe. Bei dem Betroffenen sei ein sonstiger Gegenstand
i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG aufgefunden worden, der erfahrungsgemäß zur Tatbegehung - der Vermummung - bestimmt gewesen sei. Bei der Prognoseentscheidung seien auch die konkreten örtlichen Verhältnisse und
Umstände in die Überlegung mit einzubeziehen gewesen. Mittels der in kurzen Zeittakten verkehrenden Straßenbahn habe der Betroffene problemlos umgehend an den Demonstrationsort zurückkehren können und damit genügend
Zeit für einen erneuten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Verfügung gehabt. Ein Tuch oder einen Schal zum Vermummen hätte sich der Betroffene ohne Probleme erneut besorgen können. Diese Gefahr habe trotz der
erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestanden. Das ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Betroffene bereit am 27.5.2006 im gleichen Verhaltensspektrum auffällig geworden sei. Wenn der Betroffene vortrage, dass seine
Vermummung nur zum Schutz gegen Nazi-Fotografen habe dienen sollen, so würde dies die polizeiliche Prognoseentscheidung nur stützen. Denn aus der Sicht des Betroffenen wäre eine Vermummung erforderlich und würde bei
einer erneuten Teilnahme an der Gegendemonstration wieder notwendig.
Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Schutz eines bedeutenden Rechtsgutes, nämlich des friedlichen Verlaufs von Demonstrationen zu gewährleisten gewesen sei. Vermummte Teilnehmer würden provozierend, eskalierend
und einschüchternd auf andere wirken. Vor allem aber bestehe für vermummte Demonstrationsteilnehmer ein erhöhter Anreiz, sich nicht friedlich zu verhalten, da sie davon ausgehen könnten, dass sie aufgrund ihrer Vermummung bei
strafrechtlich relevanten Aktionen nicht erkannt und zur Verantwortung gezogen werden könnten.
c) Die Beurteilung der Polizeibehörde, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr nicht hätte herbeigeführt werden können, sei zutreffend gewesen. Für eine
umfassende richterliche Würdigung der Prognoseentscheidung hätten Beweise wie die Vernehmung der Polizeibeamten und die Sichtung des gefertigten Film- und Videomaterials erhoben werden müssen. Mit einer richterlichen
Entscheidung vor 18.00 Uhr wäre daher nicht zu rechnen gewesen.
d) Schließlich sei auch die Art und Weise des Gewahrsams rechtmäßig gewesen.
3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG , §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO ) stand.
a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG lagen vor.
(1) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung über die polizeiliche Ingewahrsamnahme der Betroffene nicht mehr Teilnehmer einer Versammlung war. Vielmehr
war er wegen einer Straftat ( § 17 a Abs. 2 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG ) aus der Versammlung rechtmäßig entfernt worden. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der
Ingewahrsamnahme von 13.45 bis 15.15 Uhr.
(2) Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von
einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann. Die erneute Begehung einer Straftat ist zu befürchten, wenn eines der Regelbeispiele des Art. 17 Abs. 1 PAG erfüllt ist. Bestimmte Verhaltensweisen indizieren
dabei die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose ( OLG Rostock vom 30.8.2007, 3 W 107/07 Rn. 29 zitiert nach [...]). Nur ausnahmsweise kann im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalles ausreichen, wenn sich
bereits daraus die sichere Prognose für das Vorliegen einer Gefahr ergibt (OLG Rostock aaO. Rn. 30 zitiert nach [...]).
aa) Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG nicht erfüllt sind. Denn mindestens zwei vorausgegangene Fälle aus vergleichbarem Anlass (Schmidbauer Art. 17 PAG
Rn. 57) können dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Ein bloß einmaliger Verstoß gegen das Versammlungsgesetz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.
bb) Demgegenüber hatte der Betroffene nach den tatrichterlichen Feststellungen das Kriterium von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG durch das Mitführen und Benützen des Halstuches als Vermummungsmittel erfüllt.
Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert. Dies sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur
Vermummung dienen (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 49). Dies wird durch die amtliche Begründung (LT-Drs. 11/9078, S. 5) bestätigt, wonach die Polizei in die Lage versetzt werden soll, die ungehinderte Ausübung der
Versammlungsfreiheit im Rahmen des Art. 8 GG zu ermöglichen.
Das Halstuch war nach den tatrichterlich festgestellten Umständen ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung ( § 17 a Abs. 2 Nr. 1 , § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG), bestimmt, da es vom Betroffenen als
solches verwendet worden war. Dieser hatte nämlich durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.
cc) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG vor, so folgt daraus nicht zwangsläufig die Befugnis zur Ingewahrsamnahme. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die vorhandenen
Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall befürchten lassen, der Betroffene werde im Fall seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen.
Die Auffassung des Landgerichts, die polizeiliche Prognoseentscheidung sei nicht zu beanstanden gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wenige
Monate zuvor wegen eines gleichartigen Delikts während einer Versammlung aufgefallen war und dass nicht davon auszugehen ist, der Betroffene werde sich durch die vorangegangenen Polizeimaßnahmen davon abhalten lassen, zur
Demonstration zurückzukehren, um daran erneut im vermummten Zustand teilzunehmen. Diesen Schluss konnte der Tatrichter auch aus dem Motiv des Betroffenen ziehen, der sein Verhalten damit erklärt hat, er habe sich zum Schutz
vor Fotografen der NPD vermummt; dieser Grund hätte nämlich nach einer etwaigen Freilassung noch während der laufenden Demonstration unverändert fortgegolten. Darauf, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht
die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG
15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).
Nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wäre es dem Betroffenen auch möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren, so dass auch insoweit nichts gegen die Annahme
spricht, die Begehung einer neuen, ähnlich strukturierten Straftat stehe unmittelbar bevor.
Beim Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt es sich um eine Straftat (vgl. § 27 Abs. 2 VersG ) in Form eines Vergehens ( § 12 Abs. 2 StGB ). Auf etwaige zu Gunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe
kommt es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt ( OLG Frankfurt vom 20.6.2007, 20 W 391/06 = NVwZ-RR 2008, 244). Polizeigewahrsam ist zur Verhinderung von Straftaten allgemein
zulässig, nicht nur von ‚Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit'. Diese Einschränkung bezieht sich nur auf Ordnungswidrigkeiten ( BayObLG vom 28.5.1998, 3 Z BR 66/98 = NVwZ 1999, 106). Darüber hinaus
obliegt der Polizei der Schutz einer friedlichen Demonstration. Sie ist gehalten, den Teilnehmern die Ausübung dieses Grundrechts zu ermöglichen.
dd) Die Gewahrsamnahme war auch unerlässlich und der angestrebte Zweck nicht mit einfacheren Mitteln zu erreichen. Ein Platzverweis (Art. 16 PAG) als milderes Mittel hätte nicht ausgereicht, um den Betroffenen davon
abzuhalten, in wenigen Minuten wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren. Bei einem Halstuch handelt es sich zudem um einen Gegenstand, der unschwer sofort wieder beschafft werden könnte. Davon, dass der Betroffene
allein durch die Identitätsfeststellung und Beschuldigtenvernehmung so beeindruckt war, um von der erneuten Begehung einer Straftat abgehalten zu sein, brauchte aus Rechtsgründen nicht ausgegangen zu werden. Die gegenteilige
Annahme wird vielmehr durch die Tatsache gestützt, dass der Betroffene erst wenige Monate zuvor wegen einer ähnlichen Handlung aufgefallen war und selbst durch das damalige Ermittlungsverfahren nicht davon abzuhalten war,
sich erneut zu vermummen.
Die vom Tatrichter bestätigte Prognose der Polizei ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
b) Der Gewahrsam des Betroffenen war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (vgl. Art. 104 Abs.
2 GG , Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG), rechtswidrig.
Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine
nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste.
Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in diesem Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (z.B. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ). Diese Verpflichtung wird in Art. 18 Abs. 1 Satz 1
PAG für die polizeiliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.
Das Merkmal der ‚Unverzüglichkeit' i.S. des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden
muss (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161 [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] ; OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges,
Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen,
kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die
unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfG aaO.).
Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn die polizeiliche Prognose ergibt, dass eine richterliche
Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung
führen (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540 m.w.N.). Demgemäß sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 2 PAG, verfassungsrechtlich bedenkenfrei, eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn eine richterliche Entscheidung
voraussichtlich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.
Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der
Ingewahrsamnahme gegen 15.15 Uhr stand bereits fest, dass der Betroffene gegen 18.00 Uhr, nämlich nach Beendigung der abgehaltenen Demonstration, entlassen würde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeibehörden davon
ausgingen, innerhalb dieser Zeit werde eine richterliche Entscheidung nicht herbeizuführen sein. Die richterliche Entscheidung darf nur aufgrund konkreter nachgeprüfter Tatsachen ergehen. Dabei darf der Richter sich nicht allein auf
das Vorbringen der Polizei stützen. Er hat vielmehr nach Art. 104 Abs. 2 GG selbst über die Zulässigkeit einer weiteren Freiheitsentziehung zu entscheiden und die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen
(BVerfG NVwZ 2006, 579 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] /580; Senat vom 28.10.2005, 34 Wx 125/05 Rn. 12 zitiert nach [...]). Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass die Polizei dem Richter mehr als nur einen kurzen
Aktenvermerk vorlegt. Vielmehr benötigt der Richter wenigstens neben einer Sachverhaltsschilderung auch ggfs. schriftliche Zeugenaussagen sowie eine mündliche Anhörung des Betroffenen und eventuell auch der Zeugen. Zur
Erstellung einer derartigen Akte bis zur Einschaltung des Richters muss der Polizei eine gewisse Zeit zugestanden werden; tagsüber reicht eine Zeit von zwei bis drei Stunden im Allgemeinen aus ( OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W
79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Da anschließend der Richter sowohl die Akten lesen und den Betroffenen persönlich anhören muss, um sodann eine schriftlich nachvollziehbar begründete Entscheidung zu treffen, ist der hier
gezogene Schluss, dass in weniger als drei Stunden eine richterliche Entscheidung nicht habe erwartet werden können, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene bereits gegen 13.45 Uhr aufgrund
strafprozessualer Befugnisse festgenommen wurde. Die Einschaltung eines Richters zu diesem Zeitpunkt war noch nicht erforderlich, da über die Gewahrsamnahme erst nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und
der dabei gewonnenen Erkenntnisse entschieden wurde.
c) Die Ingewahrsamnahme wurde auch nicht durch die Art und Weise ihres Vollzugs dem Grunde nach rechtswidrig. Der Betroffene trägt dazu vor, dass er in der Zelle wegen (zur polizeilichen Eigensicherung erfolgter) Wegnahme
von Pullover und Stiefeln gefroren habe. Zwar kann die Art und Weise der Ingewahrsamnahme, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände schwerwiegende Verstöße gegen verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte
vorliegen, dazu führen, dass die Maßnahme dem Grunde nach auch bei ursprünglicher Befugnis aus Art. 17 PAG rechtswidrig wird. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht der Fall. Dass gesundheitliche
Schäden gedroht hätten, wurde nicht einmal vorgetragen. Bloße Unbequemlichkeiten oder Beschwernisse stellen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme jedoch nicht in Frage ( BVerfG vom 13.12.2005, 2 BvR 447/05 = NVwZ
2006, 579/580).
d) Schließlich beruhen die nach § 12 FGG ausreichenden Feststellungen des Tatrichters auch auf einer im Übrigen verfahrensfehlerfreien Grundlage.
Das Amtsgericht wie das Landgericht haben von einer mündlichen Anhörung des anwaltlich vertretenen Betroffenen, der sich umfassend zur Sach- und Rechtslage eingelassen hat, abgesehen. Eine weitergehende Sachaufklärung
versprach die mündliche Anhörung nicht. Zwar hat das - inzwischen aufgelöste - Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (BayObLG NVwZ 1990, 194/196; siehe auch Berner/Köhler PAG 19. Aufl. Art 18 Rn. 12; Schmidbauer
Art. 18 PAG Rn. 20; offen gelassen in BayVerfGH NJW 1992, 1499), dass auch bei der Nachprüfung einer vor gerichtlicher Entscheidung beendeten Freiheitsentziehung der Betroffene grundsätzlich in allen Tatsacheninstanzen
mündlich anzuhören ist, und dies mit § 13 Abs. 2, § 5 Abs. 1 FreihEntzG begründet. Jedoch verlangt § 5 Abs. 1 FreihEntzG zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung (BVerfG InfAuslR
1996, 198). Sinn der Vorschrift ist es u.a., dass sich der entscheidende Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen kann. Bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann
sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft aber im Allgemeinen nicht mehr verschaffen. Aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG lässt sich für die Anhörungspflicht
Entscheidendes nicht entnehmen. Insbesondere ist es nicht zwingend, dass wegen der Verweisung auf das Verfahren nach dem FreihEntzG über den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 FreihEntzG hinaus eine mündliche Anhörung
auch bei einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit grundsätzlich (Ausnahme: § 5 Abs. 2 FreihEntzG) unerlässlich wäre (ebenso OLG Celle FGPrax 2005, 48 [OLG Celle 25.10.2004 - 16 W 145/04] /49). Vielmehr
erschiene es unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich, eine Person, die gerade um ihre Rehabilitierung wegen einer Freiheitsentziehung kämpft, nur aus formalen Gründen, erneut einer Einschränkung ihrer Freiheitsrechte
durch richterliche Vorladung, ggf. mit der in § 5 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG verbundenen Sanktion, auszusetzen. Auch eine Parallelbetrachtung des Verwaltungsgerichtsverfahrens führt zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses nicht in
allen Fällen zwingend die mündlichen Anhörung eines Beteiligten erfordert (vgl. §§ 83 , 95 VwGO ). Zum anderen besteht kein grundrechtlich abgesicherter Anspruch auf eine mündliche Anhörung (vgl. BayVerfGH NVwZ 1991,
664/669). Art. 103 Abs. 1 GG begründet nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer gerichtlichen Entscheidung. Dieses kann auch schriftlich erfolgen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 152 m.w.N.).
Auch wenn danach eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 FreihEntzG im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nicht zwingend ist, so ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen, sei es in einer oder auch in beiden
Tatsacheninstanzen, nicht ausgeschlossen. Wegen § 12 FGG wird sie sogar im Allgemeinen unerlässlich sein. ..."
***
Die Polizei darf in der Gefahrengesamtschau darauf schließen, dass der Betroffene sich im Rahmen von Demonstrationen gegen den G 8- Gipfel gewalttätig verhalten werde, wenn seine Aufmachung (schwarz gekleidet, Sonnenbrille,
Basecap, hochgebundene Hose, Stiefel und schwarzes Halstuch um die Hüften), derjenigen der Mitglieder des ‚schwarzen Blocks' gleicht und er zur Vermummung und (aktiven oder passiven) Bewaffnung geeignete Gegenstände mit
sich führt (hier: eine Faschingsbrille mit Nase, ein Paar Schlagschutzhandschuhe, gefüllt mit Sand bzw. Bleigranulat). Eine polizeiliche Sachbearbeitung in der GESA von 3 Stunden stellt vor dem Hintergrund von
Masseningewahrsamnahmen anlässlich des G 8-Gipfels 2007 keinen Verstoss gegen das Unverzüglichkeitsgebot aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG dar. Daran ändert auch die Zuweisung eines Sachbearbeiters für den Betroffenen erst
nach 2 1/2 Stunden nichts, da es auf die Gesamtbearbeitungszeit ankommt. Die Polizei ist über einen detaillierten GESA-Ablaufplan hinaus nicht verpflichtet, bei Masseningewahrsamnahmen die Reihenfolge der Abarbeitung zu
dokumentieren (OLG Rostock, Beschluss vom 28.08.2007 - 3 W 109/07):
„... Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 07.06.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen. ...
I. Der Betroffene erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Freiheitsentziehung.
Am 06.06.2007 gegen 14.55 Uhr wurde der Betroffene im Rahmen einer Personenkontrolle aus Anlass von Demonstrationen anlässlich des G 8-Gipfels im Bereich der K. Str./S. von der Polizei angehalten und abgetastet. Dabei fand
die Polizei in der Hüfttasche des Betroffenen ein Paar Schlagschutzhandschuhe, gefüllt mit Sand bzw. Bleigranulat, sowie eine Faschingsbrille mit Nase. Der Betroffene war schwarz gekleidet und trug eine Sonnenbrille sowie ein
Basecap. Seine Hose war hochgebunden, dazu trug er Stiefel. Um die Hüften hatte er ein schwarzes Halstuch gebunden. Die Polizei nahm den Betroffenen, den sie aufgrund seines militanten Eindrucks optisch dem ‚schwarzen Block'
zuordnete, um 15.00 Uhr in Gewahrsam; Schlagschutzhandschuhe, Brille mit Nase und Halstuch beschlagnahmte sie wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz . Im polizeilichen Kurzbericht heißt es zum Sachverhalt: ‚Der
Beschuldigte war auf dem Weg aus dem Camp R. in Richtung S.'. Hinsichtlich des Verbleibes des Betroffenen geht aus dem Kurzbericht hervor, dass er um 15.30 Uhr vom aufnehmenden Beamten an einen Kollegen übergeben wurde,
der ihn wiederum um 16.10 Uhr - zum Transport - weiterleitete. Um 19.38 Uhr wurde der Betroffene an die GESA in R. übergeben. Nach dem GESA-Ablaufplan wurden zunächst seine Daten aufgenommen; anschließend wurde ihm
um 20.04 Uhr eine Zelle zugewiesen. Weiter sind im Ablaufplan u.a. folgende Ereignisse dokumentiert:
Zeitpunkt Ereignis Bemerkungen
20.06 Uhr Sonstiges KEIN Rechtsanwalt gewünscht; wünscht einen Psychologen
21.58 Uhr Zuweisung Sachbearbeiter
22.46 Uhr Sonstiges GESA Akte zwecks Vorführung an die Geschäftsstelle AG Rostock, um 22.35Uhr abgegeben
23.29 Uhr Anforderung Transport Bitte Person auf Zimmer 450, da Vorführung sofort sein soll - eilt -
01.38 Uhr Sonstiges Telefonat des UA 4, dass der Proband einen Rechtsbeistand haben möchte sowie dringend Psychopharmaka benötigt/ 00.50 Uhr
01.40 Uhr Sonstiges Richterl. Vorführung war um 00.50 Uhr beendet.
Im Protokoll des Amtsgerichts Rostock über die mündliche Anhörung des Betroffenen am 07.06.2007 ist als Beginn der Anhörung 00.37 Uhr, als ihr Ende 01.09 Uhr vermerkt.
Vor dem Amtsgericht erklärte der Betroffene, er sei auf dem Weg ins Camp gewesen. Die Brille mit Nase gehöre seinem Kumpel. Die Handschuhe seien gut zum Motorradfahren, bei Stürzen werde man weniger verletzt. Er habe sich
von den großen Menschenmassen entfernt, weil ihm die Situation zu unheimlich geworden sei und er zum Konzert gewollt habe.
Mit Beschluss vom selben Tag ordnete das Amtsgericht Rostock die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams bis zum 08.06.2007, 22.00 Uhr, sowie die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung an. Es hielt die polizeiliche
Ingewahrsamnahme für rechtmäßig, da der Betroffene mit Sand gefüllte Schlagschutzhandschuhe sowie zur Vermummung geeignete Gegenstände mit sich geführt habe. Der Amtsrichter schätzte ein, dass der Betroffene weiterhin
beabsichtige, Straftaten zu begehen oder zu deren Begehung beizutragen. Der Betroffene sei wegen Landfriedensbruch und Bedrohung bereits in Erscheinung getreten. Seinem äußeren Auftreten nach gehöre er dem sogenannten
‚schwarzen Block' an, von dem bereits am 02.06.2007 im Zusammenhang mit dem G 8- Gipfel erhebliche Gewalt ausgegangen sei.
Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Er habe nichts Verbotenes getan. Es gäbe keinen Bezug zu einer Versammlung. Die Zuordnung zum ‚schwarzen Block' sei absurd. Jedem sei es erlaubt, sich so
zu kleiden, wie er es wolle.
Das Landgericht Rostock wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss vom 07.06.2007 zurück. Die Kammer ist der Ansicht, die Ingewahrsamnahme des Betroffenen sei rechtmäßig gewesen. Zur Begründung führt sie aus,
der Beschwerdeführer sei auf der K. Straße in S. festgenommen worden. R. und S. seien durch die K. Straße verbunden. Von der Kreuzung hinter S. führe eine Straße nach K., die andere nach H. Es sei gerichtsbekannt, dass am
06.06.2007 heftige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten rund um H. mit zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten stattgefunden hätten. Zu diesem Zeitpunkt habe der G 8- Gipfel in H. begonnen. Nach
Überzeugung der Kammer habe es für den Beschwerdeführer nur ein Ziel, H., gegeben, um an den Auseinandersetzungen als Demonstrant teilzunehmen. Entscheidend sei für die Kammer, dass der Beschwerdeführer sich mit der
Brille und der dazugehörigen Nase habe vermummen wollen. Die mit Bleigranulat gefüllten schwarzen Lederhandschuhe seien sehr schwer und nicht mit Motorradhandschuhen vergleichbar. Sie dienten nach Überzeugung des
Gerichts nur als Schlagwaffe. Bei diesem Sachverhalt liege eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vor. Die Polizei habe nicht mehr länger abwarten müssen, bis der Beschwerdeführer direkt in die Kämpfe eingreifen würde.
Diese Feststellungen werden auch durch § 55 Abs. 1 Nr. 2 b SOG M-V unterstützt. Die Kammer gehe davon aus, dass es sich bei den Schlaghandschuhen um eine Waffe handele. Eine bloße Beschlagnahme derselben wäre nicht
ausreichend gewesen. Die Schlaghandschuhe würden eine hohe Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers dokumentieren. Ihm sei jederzeit zuzutrauen, sich wieder in den Besitz solcher Schlaghandschuhe oder ähnlicher
Gegenstände, die zu Gewaltzwecken eingesetzt werden, zu begeben. Die Fortsetzung der Ingewahrsamnahme sei unerlässlich. Die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers dauere noch an. Aufgrund der gewalttätigen Energie sei er auch
in Zukunft bereit, zumindestens im Zusammenhang mit den noch anstehenden Demonstrationen Gewalt auszuüben.
Mit der am 20.06.2007 beim Oberlandesgericht eingereichten sofortigen weiteren Beschwerde rügt der Betroffene eine Rechtsverletzung. Ihm sei zu Unrecht der Kontakt zu einem Rechtsbeistand verweigert worden. Er habe bereits
vor seiner Vorführung vor das Amtsgericht den Wunsch geäußert einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, wie aus dem Ereignisprotokoll ersichtlich sei. Die richterliche Vorführung sei nicht unverzüglich erfolgt. Zwischen der
Ingewahrsamnahme gegen 15.00 Uhr und seiner Erfassung in der GESA gegen 19.14 Uhr liege eine Verzögerung von knapp 5 Stunden. Ein sachlicher Grund dafür sei aus den Akten nicht ansatzweise zu erkennen. Auch das weitere
Verfahren in der Sammelstelle sei äußerst zögerlich verlaufen. Die Gefahrenprognose der Vorinstanzen sei rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen entsprächen nicht den geographischen Gegebenheiten. Es fehle deshalb an jeder
Tatsachengrundlage für die Überzeugung des Landgerichtes, er, der Betroffene, habe allein das Ziel H. gehabt. Vielmehr habe er sich auf der K. Straße Richtung B. D. befunden. Zudem bewerte das Landgericht die Handschuhe
ausschließlich als Schlagwaffe. Nach einem Feststellungsbescheid des Bundeskriminalamtes vom 12.07.2006 seien diese Handschuhe mit Motorradhandschuhen vergleichbar. Durch die Verstärkung mit der Füllung sei die
Verletzungsgefahr eines Gegners nicht signifikant erhöht. Vielmehr diene die Füllung dem Schutz vor eigenen Verletzungen. Soweit das Amtsgericht darauf abgestellt habe, dass der Betroffene bereits wegen Landfriedensbruch und
Bedrohung aufgefallen sei, habe die Datenabfrage zum Zeitpunkt der Festnahme des Betroffenen noch überhaupt nicht vorgelegen. Zudem stammten die vorhandenen Einträge aus den Jahren 1999 und 2000 und lägen damit bereits
lange zurück. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betroffene noch Jugendlicher bzw. Heranwachsender gewesen. Die weitere Beteiligte verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II. Die sofortige weitere Beschwerde ist trotz der Freilassung des Betroffenen nach Ablauf des angeordneten Gewahrsams zulässig. Wird mit einer gerichtlichen Entscheidung tiefgreifend in ein Grundrecht eingegriffen, so gebietet der
aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete effektive Rechtsschutz auch nach Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahme vor Erschöpfung des Rechtsmittelweges, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, den Grundrechtseingriff auf
seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (BVerfG NJW 2002, 206 [BVerfG 02.08.2001 - 1 BvR 618/93] ).
III. Die sofortige weitere Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Zwar hat das Landgericht bei seiner Überprüfung nicht ausdrücklich auf den Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung abgestellt. Es hat seiner Entscheidung jedoch den bei der Ingewahrsamnahme und amtsrichterlichen Anhörung
festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt. Andere nachträgliche tatsächliche Feststellungen, die nach Auffassung des Senats weder die Rechswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme rückwirkend
beseitigen noch feststellen können, tragen die Entscheidung hierzu nicht.
Gegen die Begründung des Landgerichts, die die erstinstanzliche Entscheidung stützt, ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Die amtsrichterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V erfasst zum einen die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs (a.) und hat auch und insbesondere über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung
die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist (b.).
a) Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer
allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Situation unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver
Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann ( BGH, Beschl. vom 27.10.1988 - III ZR 256/87 , BGHR Verwaltungsrecht,
Allg. Grundsätze, Polizeirecht 1; OLG Hamm, Urt. v. 07.06.1978 - IV A 330/77 , NJW 1980, 138). Spätere Erkenntnisse nach eingehender Beweisaufnahme sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten
vor Ort nicht zur Verfügung standen.
Die auf eine polizeiliche Gefahr deutenden Tatsachen waren vorliegend gegeben. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat zu verhindern (§ 55 Abs. 1 Nr. 2
SOG M-V). Es muss eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Angesichts der Intensität des Eingriffs ist es erforderlich, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zu der Gewissheit führen,
dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit eintritt. Der bloße ‚Eindruck' reicht nicht aus (Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F, Rn. 570; vgl. auch Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und
Unterbringung, 4. Aufl., E, Rn. 50). Der Gefahrenmaßstab der Unmittelbarkeit des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V unterscheidet sich nicht von einer gegenwärtigen Gefahr (vgl. Heyen, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, in:
Manssen, Staats- und Verwaltungsrecht für Mecklenburg-Vorpommern, S. 255). Die gegenwärtige Gefahr ist in § 3 Abs. 3 Nr. 3 SOG M-V als eine Sachlage, bei der das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigende Ereignis
bereits eingetreten ist (Störung) oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht, legal definiert (vgl. auch BVerfGE 115, 320, 363 zu § 31 PolG NW 1990). Das bedeutet, dass ein
Schaden für Rechtsgüter in unmittelbarer Zukunft, in allernächster Zeit zu erwarten ist, wenn nicht in die Entwicklung eingegriffen wird (LVerfG M-V, LKV 2000, 345, 349 ‚großer Lauschangriff').
Die Polizei durfte aus der Aufmachung des Betroffenen, die derjenigen der Mitglieder des ‚schwarzen Blocks' gleicht, den zur Vermummung geeigneten Gegenständen (schwarzes Halstuch und Faschingsbrille mit Nase) sowie den
verstärkten, gefüllten Handschuhen, die geeignet sind, bei gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich von Demonstrationen eingesetzt zu werden, in der Gefahrengesamtschau darauf schließen, dass der Betroffene sich im Rahmen
von Demonstrationen gegen den G 8- Gipfel gewalttätig verhalten werde.
Am 06.06.2007 fanden im größeren Umkreis von H., dem Ort des G 8- Gipfeltreffens, eine Vielzahl von angemeldeten und unangemeldeten Demonstrationen und Straßenblockaden zum Auftakt des Gipfels statt. Diese
Veranstaltungen waren jedermann zugänglich und folglich öffentlich im Sinne des Versammlungsrechts. Deshalb und aufgrund der Aufmachung des Betroffenen sowie der von ihm mitgeführten Gegenstände durfte die Polizei
annehmen, dass der Betroffene an einer Demonstration teilnehmen wollte und sich auf dem Weg dorthin befand. Auf die Frage, ob er zu einer angemeldeten oder unangemeldeten Demonstration wollte, kommt es in diesem
Zusammenhang nicht an. Bei der Gefahrenschau durfte die Polizei mitberücksichtigen, dass es sich bei den Handschuhen versammlungsrechtlich um Schutzwaffen als passive Bewaffnung ( § 17a Abs. 1 VersG ) handelt. Schon das
Mitführen solcher Waffen auf dem Weg zu einer Versammlung erfüllt den Straftatbestand des § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersG . Die Ingewahrsamnahme konnte deshalb zutreffend gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b.) SOG M-V bereits zur
Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat (2. Alternative) erfolgen. Denn es war bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit eingetreten, da ein Strafgesetz verletzt wurde. Eine Gefahrenprognose, hier die Frage, ob die
Begehung einer Straftat unmittelbar bevorsteht (1. Alternative) war daneben nicht mehr erforderlich.
Daraus folgt, dass die Ingewahrsamnahme erst recht auch gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SOG M-V zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit rechtmäßig war.
Aus Rechtsgründen ist auch nicht zu beanstanden, dass die Polizei zum Zeitpunkt der Vornahme der Ingewahrsamnahme aufgrund der oben beschriebenen Gefährlichkeit deren Unerlässlichkeit bejaht hat.
b) Erfolgte die Ingewahrsamnahme rechtmäßig, hat der Richter weiter festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V weiterhin gegeben sind, d. h. die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Beseitigung der
Störung bzw. Abwehr einer Straftat unerlässlich ist. Denn die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten allein indiziert nicht schon die Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Fortdauer
der Ingewahrsamnahme. Vielmehr hat das Amtsgericht zu prüfen, ob im Falle der Freilassung weiterhin die Gefahr besteht, dass der Betroffene seine Straftat fortsetzen bzw. eine weitere Straftat begehen wird. Feststellungen zum
Fortbestehen der Störung oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung sind in dem nach den Umständen des Einzelfalles möglichen Umfang erforderlich. Der Senat
verkennt nicht, dass in dem Anhörungstermin der Richter nicht aufwändig Beweis erheben kann. Insbesondere kann er nicht die Polizeibeamten vernehmen, die weiterhin auf der Straße benötigt werden; kann er jedoch auf deren
schriftlich niedergelegten Zeugenangaben zurück greifen. Er ist im Weiteren vor allem auf den Akteninhalt und auf seine persönliche Überzeugung angewiesen. Es ist aber unerlässlich, dass der Richter zu der Überzeugung gelangt,
dass von dem Betroffenen weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine solche Prognose ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung, namentlich bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht
ungewöhnlich. So hat der Richter bei Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO auszuführen, aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten er Flucht- oder Verdunkelungsgefahr ableitet. Bei Anordnung der Abschiebehaft gem.
§ 62 AufenthG ist zu begründen, welche tatsächlichen Umstände die Gefahr begründen, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wird. Vielfach indizieren bestimmte Verhaltensweisen die die Freiheitsentziehung
rechtfertigende Prognose.
Bei der richterlichen Entscheidung gem. § 56 Abs. 5 SOG M-V über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams reicht es grundsätzlich nicht aus, dass einer der Regelfälle des § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz lit. a.) -c.) SOG
M-V erfüllt ist, da diese als Beweisanzeichen sich auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ingewahrsamsnahme selbst beziehen, also dass der Betroffene eine solche zu verhindernde Straftat begehen wird. Daraus
lässt sich nicht ohne weiteres ableiten, dass zu befürchten ist, der Betroffene werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen. Vielmehr kann auf diese Regelfälle nur insoweit zurückgegriffen werden,
als der Richter im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Fortdauer darin Anhaltspunkte für die Prognose finden kann. Diese Anhaltspunkte muss er aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall
verknüpfen und daraus eine Gefahrenschau entwickeln. Nur ausnahmsweise kann deshalb im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalls ausreichen, wenn sich bereits daraus die hinreichend sichere Gefahrenprognose ergibt.
Liegen die Voraussetzungen des Freiheitsentzugs anfänglich vor, so ist für die Bestimmung der Dauer des Einsperrens vor allem maßgeblich, ob die Tatbereitschaft fortbesteht (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger: Handbuch des
Polizeirechts, 4. Aufl., F, Rn. 631). Dies ist zuallererst ein Erkenntnisproblem. Pläne, Absichten, Geistes- oder Seelenzustände sind innere Tatsachen und der Beurteilung durch Dritte im Allgemeinen nur schwer zugänglich. Die
Fortdauer ist deshalb nicht am Merkmal der Unerlässlichkeit zu prüfen, die bereits als Tatbestandsmerkmal zur Kennzeichnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ingewahrsamnahme vorliegen muss. Vielmehr ist eine
Prognose anzustellen, ob zu befürchten ist, dass der Betroffene sich im Falle seiner Freilassung erneut so verhalten wird, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Auf das Merkmal der Gegenwärtigkeit kann
es bei dieser Prognose schon deshalb nicht ankommen, weil die akute Situation, die zur Ingewahrsamnahme des Betroffenen führte, durch die Freiheitsentziehung beendet worden ist. Entscheidend ist, ob der Betroffene sich an
entsprechenden zukünftigen - auch zur Zeit noch unbekannten Aktionen - beteiligen würde.
Der Amtsrichter hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wegen Landfriedensbruch und Bedrohung in Erscheinung getreten war. Auch ist nichts dagegen zu erinnern, dass der Amtsrichter von dem äußeren Auftreten
des Betroffenen und dem bereits am 02.06.2007 vom ‚schwarzen Block' ausgehenden Gewalttätigkeiten darauf geschlossen hat, dass der Betroffene weiterhin Straftaten begehen oder dazu beitragen werde.
2. Zu Recht hat das Landgericht als Tatsacheninstanz festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Gewahrsams vorlagen. Es hat seine Überzeugung insbesondere auf die beim Betroffenen gefundenen Handschuhe und
die Faschingsmaske gestützt. Zutreffend weist die Kammer daraufhin, dass der Betroffene auch nicht im Ansatz eine glaubhafte Erklärung dafür abgegeben habe, warum er diese Handschuhe bei sich führte.
Zwar wendet der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde richtig ein, dass das Landgericht die örtlichen Zusammenhänge fehlerhaft festgestellt hat, wenn es annimmt, die K. Straße verbinde die Orte R. und S.. Diese
Falschbezeichnung führt jedoch entgegen seiner Auffassung ebensowenig zu einer fehlerhaften Gefahrenprognose der Kammer, wie die unrichtige Feststellung, der Betroffene sei in S. festgenommen worden. Die Personenkontrolle
fand - wie sich unschwer dem Kurzbericht der Polizei entnehmen lässt - am Abzweig der K. Straße in Richtung S. statt. Ob der Betroffene zu diesem Zeitpunkt in Richtung S, oder, wie er behauptet, in Richtung B. D. unterwegs war,
kann für die Gefahrenprognose dahingestellt bleiben. Denn seine Gefährlichkeit ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass er sich im weiteren Umkreis von H. in der festgestellten ‚schwarzen' Aufmachung und mit den genannten
Gegenständen, Schlagschutzhandschuhen und Faschingsmaske, unterwegs befand und - auf welchem Weg auch immer - an öffentlichen Versammlungen gegen den G 8- Gipfel teilnehmen wollte, um sich dort zu vermummen und an
Gewalttätigkeiten unter Verwendung der mitgeführten Handschuhe zu beteiligen.
3. Mit seinem Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG vor, dringt der Betroffene nicht durch. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V, der Art. 104 Abs. 2 GG einfachrechtlich umsetzt, ist
bei einer polizeilichen Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen. Dies geschah im vorliegenden Fall.
Grundsätzlich sollte für das Einschalten des Richters tagsüber eine Zeit von 2 - 3 Stunden ausreichend sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG a.a.O., Rn. 21; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. E, Rn. 56).
Obwohl hier diese Zeitspanne erheblich überschritten wurde - zwischen der Ingewahrsamnahme um 15.00 Uhr und der richterlichen Vorführung um 00.37 Uhr verstrichen über 9 1/2 Stunden - entsprach die Sachbehandlung noch dem
Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung.
‚Unverzüglich' i. S. v. Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss (BVerfG a. a. O.;
BVerfGE 105, 239, 249) [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00] . Die Verzögerung muss bei Anlegung eines objektiven Maßstabes sachlich zwingend geboten sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 104, Rn. 21). Sachliche
Gründe können insoweit etwa sein die Länge des Weges vom Ort der Ingewahrsamnahme bis zur Protokollierungsstelle, das Verhalten der Betroffenen selbst oder aber Verzögerungen, die sich infolge von Massenfestnahmen aus
organisatorischen Gründen ergeben (so VG Gera, Beschluss vom 03.07.2004 - 1 K 1071/00 ).
Derartige sachliche Gründe liegen vor.
Zunächst verzögerte sich der Abtransport des Betroffenen zur GESA. Dort traf er erst um 19.38 Uhr also etwa 4 1/2 Stunden nach seiner Ingewahrsamnahme um 15.00 Uhr ein. Eine solche Verzögerung stellt zwar unter alltäglichen
Bedingungen einen Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot dar. Am 06.06.2007, dem ersten Tag des dreitägigen G 8- Gipfels können jedoch diese Maßstäbe ausnahmsweise nicht angelegt werden. Dem Senat ist aus anderen
anhängigen weiteren Beschwerdeverfahren wegen Ingewahrsamnahmen im Zuammenhang mit Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel gerichtsbekannt (so aus den Verf. 3 W 83/07 u. 3 W 102/07), dass am 06.06.2007 G 8-Gegner
eine Vielzahl von spontanen, unangemeldeten Demonstrationen durchgeführt haben, bei denen es u.a. zu Straßenblockaden kam, was die polizeilichen Transporte erschwerte. Letzteres ist auch offenkundig. Der G 8-Gipfel und die
dagegen gerichteten Demonstrationen haben in diesem Zeitraum die allgemein zugänglichen Medien beherrscht. Täglich wurde mehrmals über die aktuelle Sachlage berichtet. Darüber hat sich auch der Senat informiert. Bestehen
jedoch im Großraum R.-H.-K. Straßensperren und wird durch Demonstrationen und auch durch Straftaten die Befahrbarkeit der Straßen massenhaft eingeschränkt, so muss ein Ingewahrsamgenommener grundsätzlich gewisse
Verzögerungen hinnehmen. Das gilt umso mehr, als die Polizei mit Rücksicht auf wichtige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Demonstranten und Polizeibeamten eine offiziell bekanntgegebene Deeskalationsstrategie bei den
Demonstrationen verfolgte. Ihr kann deshalb grundsätzlich eine fehlende Unverzüglichkeit der richterlichen Vorführung eines Betroffenen wegen Transportverzögerungen nicht vorgeworfen werden, denn um eine solche zu vermeiden,
hätte sie jeweils die sofortige Räumung von Straßensperren bewerkstelligen müssen.
Die weitere Verzögerung von 3 Stunden bis zur Abgabe der Akte an das Amtsgericht um 22.35 Uhr ist auch vor dem Hintergrund der gerichtsbekannten Masseningewahrsamnahmen am 06.06.2007 nicht zu beanstanden. Dem Senat
ist bekannt, dass Polizei und Justiz im Vorfeld des G 8-Gipfels umfangreiche Vorbereitungen getroffen haben. So wurde bei der Polizeidirektion R., die K., als Sonderabteilung eingerichtet, Polizeikräfte aus anderen Bundesländern
angefordert und mehrere Sammelstellen vorbereitet. Seitens der Justiz wurden alle Amtsrichter des Landgerichtsbezirks R. im Vorfeld des G 8-Gipfels für den Bereitschaftsdienst in dieser Zeit an das Amtsgericht Rostock abgeordnet
und durch Abänderung der gerichtlichen Konzentrationsverordnung die alleinige Zuständigkeit dieses Amtsgericht für den Zeitraum 25.05. - 10.06.2007 im Bezirk des Landgerichts Rostock in erster Instanz für gerichtliche
Entscheidungen nach § 55 Abs.1 Nr. 2 bis 5 SOG M-V begründet (Verordnung über die zeitweilige Zuständigkeit für bestimmte Entscheidungen in Straf- und Freiheitsentziehungssachen vom 08. Mai 2007; GVOBl. M-V 2007, 205).
Polizeibeamte und Richter waren im Schichtdienst Tag und Nacht im Einsatz. Zusätzlich befanden sich weitere Richter aus anderen Landgerichtsbezirken in Bereitschaft. Wenn es trotz dieses erheblichen organisatorischen Aufwandes
zu zeitlichen Verzögerungen kommt, sind solche dann hinzunehmen, wenn festgestellt werden kann, dass entweder mit einem solchen Ausmaß von gleichzeitigen Ingewahrsamnahmen nicht gerechnet werden konnte und brauchte oder
bei einem zu erwartenden Ausmaß, die als hinreichend eingeplanten Kräfte tatsächlich dennoch nicht ausreichten, die Ingewahrsamnahmen bei der Polizei und dem Amtsgericht abzuarbeiten.
Dem Senat ist zwar nicht im Einzelnen bekannt, wieviele Polizeibeamte in dieser Nacht in der GESA zur Abarbeitung und zum Transport tatsächlich vor Ort waren (vgl. zum Umfang der Aufklärung des konkreten Sachverhaltes
BVerfG NVwZ 2006, 579, 581 [BVerfG 13.12.2005 - 2 BvR 447/05] ‚Castor-Transport'). Es kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben, ob sich die Polizei auf die Bewältigung dieser konkret zu erwartenden Situation personell
hinreichend eingestellt hat, weil sich unter Berücksichtigung aller Umstände insbesondere der Masseningewahrsamnahmen an diesem Tag die Bearbeitungszeit in der GESA von 3 Stunden noch im verfassungsmäßigen Rahmen hält.
Bedenklich erscheint zwar auf den ersten Blick die große Zeitdauer von 2 1/2 Stunden bis der Betroffene um 21.58 Uhr einem Sachbearbeiter zugewiesen wurde. Es würde jedoch die Dokumentationspflicht der Polizei überspannen,
über den detaillierten GESA-Ablaufplan hinaus noch die Gründe hierfür darzulegen, insbesondere bei Masseningewahrsamnahmen die Reihenfolge der Abarbeitung zu dokumentieren. Letztlich kann es für den Eingriff in das
Verfahrensgrundrecht des Betroffenen aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nur auf die Gesamtzeit der Bearbeitung ankommen. Vorliegend wurde die lange Zeitdauer bis zum Beginn der Sachbearbeitung durch die folgende, dann schnelle,
weitere Barbeitung bis zur Abgabe der Akte an das Amtsgericht um 22.35 Uhr aufgeholt.
Nach dem Eingang der Akte hat das Amtsgericht etwa eine Stunde später die sofortige Vorführung des Betroffenen angeordnet, wie sich aus dem Eintrag um 23.29 Uhr im GESA-Ablaufplan (Anforderung zum Transport) ersehen
lässt. Gegen die Verzögerung ist nichts einzuwenden, schon weil sich auch der Richter mit dem Fall vertraut machen muss. Die richterliche Vorführung begann jedoch dann erst eine weitere Stunde später um 00.37 Uhr am
07.06.2007. Grund dieser weiteren Verzögerung ist zunächst der Transport des Betroffenen zum Richter. Sollte die Verzögerung teilweise auch darauf beruhen, dass die richterliche Vorführung nicht sofort beginnen konnte, so wäre
deshalb das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt. Vielmehr ist auch der Justiz - wie der Polizei - bei der Bewältigung von Massenverfahren ein Zeitraum für die Organisation zuzubilligen, der durch solche Verzögerungen wie
vorliegend jedenfalls nicht überschritten wird.
Der Senat verkennt nicht, dass sich im Ergebnis die Verzögerungen aus Transport, polizeilicher Bearbeitung in der GESA und justizieller Tätigkeit beim Amtsgericht aufsummieren. Eine Gesamtbearbeitungszeit bis zum Beginn der
richterlichen Anhörung von 5 Stunden (19.38 Uhr bis 00.37 Uhr) - ohne Transportzeit - ist in der Gesamtsicht auch nicht unverhältnismäßig.
Nach der ersten richterlichen Anordnung der Fortdauer der Gewahrsamnahme gilt dieses strikte Unverzüglichkeitsgebot nach Auffassung des Senats nicht für das weitere Verfahren fort (vgl. Senatsbeschl. vom 07.06.2007 - 3 W 83/07
-). Zwar sind Beschwerden gegen Freiheitsentziehungsmaßnahmen im Rahmen des gerichtlichen Geschäftsganges vorrangig und eilig zu behandeln. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Entscheidung des Beschwerdegerichtes
unverzüglich im Sinne von Art. 104 GG herbeizuführen ist. Vielmehr ist auch hierbei auf den Geschäftsgang des betreffenden Gerichts Rücksicht zu nehmen. Der Betroffene hat noch in der Anhörung vor dem Amtsgericht
Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht hat den Betroffenen am 07.06.2007, um 18.00 Uhr angehört.
Eine verzögerliche Behandlung des Verfahrens kann dem Landgericht nicht vorgeworfen werden.
4. Auch ein Verstoß gegen ein faires Verfahren liegt nicht vor. Der Betroffene hat in seiner sofortigen Beschwerde nicht erklärt, wann er tatsächlich um einen Rechtsbeistand gebeten hat. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat vielmehr
nur aus dem GESA- Ablaufplan geschlussfolgert, dass dieser Wunsch bereits vor der richterlichen Vorführung geäußert worden sein müsse. Das ist jedoch nach den vorliegenden Unterlagen nicht der Fall. Nach dem amtsgerichtlichen
Anhörungsprotokoll dauerte die Anhörung von 00.37 Uhr bis 01.09 Uhr. Die Erklärung des Betroffenen, dass er einen Rechtsbeistand haben möchte, ist im amtsgerichtlichen Protokoll nicht enthalten. Der GESA- Ablaufplan kann
deshalb insoweit nur so verstanden werden, dass der Betroffene mit der Beendigung der richterlichen Vorführung, die zeitlich ebenfalls im Ablaufplan mit 00.50 Uhr angegeben wird, um einen Rechtsbeistand ersuchte. Da beide
Angaben erst etwa eine knappe Stunde später, im Zusammenhang mit der Rückkehr des Betroffenen, und deshalb nicht zeitgleich mit der Äußerung des Betroffenen eingetragen wurden - als Zeitpunkt der Eintragungen sind 1:38 und
1:40 vermerkt -, ist der Senat davon überzeugt, dass es sich bei der Zeitangabe 00.50 Uhr entweder um einen Übermittlungsfehler handelt oder die eigentliche Anhörung des Betroffenen zur Sache bereits um 00.50 Uhr beendet war,
anschließend der Beschluss gefertigt wurde und die Anhörung sodann bis 01.09 Uhr mit Verkündung des Beschlusses fortgesetzt wurde. ..."
***
Werden bei der Durchsuchung des Betroffenen eine Vielzahl und Menge von Gegenständen - insbesondere brennbaren Flüssigkeiten - aufgefunden, die nach Vermischung geeignet sind, auf Demonstrationen als Brandsätze verwendet
zu werden, so erfüllt bereits das Mitführen dieser Gegenstände den Straftatbestand des § 27 I 2 VersG, sodass eine polizeirechtliche Störung der öffentlichen Sicherheit bereits gegeben ist. Die Polizei darf in ihrer
Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung der Gefährlichkeit der aufgefundenen Gegenstände auch das Ausmaß des drohenden Schadens einbeziehen. Die Polizei muss deshalb mit ihrem Eingriff nicht bis zur Vermischung
zuwarten. Aus dem Vorliegen eines Regelfalls des § 55 I Nr. 2 lit. a - c MVSOG lässt sich nicht ohne weiteres auch ableiten, dass zu befürchten ist, der Betroffene werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder
fortsetzen. Vielmehr kann auf diese Regelfälle nur insoweit zurückgegriffen werden, als der Richter im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Fortdauer darin Anhaltspunkte für die Prognose finden kann. Diese
Anhaltspunkte muss er aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall verknüpfen und daraus eine Gefahrenschau entwickeln. Nur ausnahmsweise kann deshalb im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalls
ausreichen, wenn sich bereits daraus die hinreichend sichere Gefahrenprognose ergibt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier auf Grund der besonderen Gefährlichkeit der aufgefundenen Gegenstände vor. Verzögerungen der
richterlichen Vorführung des Betroffenen wegen des Umfangs der Durchsuchung und Sicherstellung der bei ihm gefundenen erheblichen Anzahl von Gegenständen, die auf Grund ihrer Gefährlichkeit besonders umsichtig und damit
zeitintensiv sicherzustellen waren, sind wie auch wegen der Erfassung dieser Gegenstände als Asservate, sachlich zwingend geboten i.S. von § 56 V MVSOG und Art. 104 II 2 GG. Eine richterliche Vorführung des Betroffenen erst 5
1/4 Stunden nach der Festnahme kann deshalb im Einzelfall noch unverzüglich sein (OLG Rostock, Beschluss vom 10.07.2007 - 3 W 92/07, OLGReport KG 2007, 882).
***
Zur Begriffsbestimmung des "als Schutzwaffe geeigneten Gegenstands". § 27 II verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffe geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige
Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Die Tat kann in einem solchen Fall nur durch Notwehr gerechtfertigt sein (OLG Hamm, Urteil vom 22.10.1997 - 2 Ss 735/97, NStZ-RR 1998, 87):
„... Der Angekl. befand sich unter Demonstranten, die am 16. 3. 1996 in der Innenstadt von D. an einer vom Polizeipräsidenten in D. verbotenen Demonstration kurdischer Volkszugehöriger für die Belange der Kurden in der Türkei
teilnahmen. Gegen 15.45 Uhr waren Gruppen von gewalttätigen Demonstranten auf dem W-Weg verteilt. Dabei wurde von einem Unbekannten ein ca. 3 kg schwerer Türgriff aus Messing auf den Polizeibeamten und Zeugen K
geworfen. Der Zeuge K beobachtete ferner, daß Demonstranten auf dem W-Weg Holzlatten ergriffen, die neben einem Container mit Bauabfällen lagen. Der Zeuge K, der sich anschließend über den W-Weg in östlicher Richtung
bewegte, sah mehrere zerstörte Schaufensterscheiben. Der Angekl. nahm eine Holzlatte mit einer Länge von mindestens einem halben bis einem Meter an sich und hielt sie eine Zeit lang in der Hand. Dann warf er sie weg.
Anschließend wurde er von Polizeibeamten festgenommen. Das AG verurteilte den Angekl. wegen unerlaubter Waffenführung bei einer öffentlichen Versammlung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6
Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das LG sprach ihn unter Aufhebung des Urteils frei. Die dagegen gerichtete Revision der StA hatte Erfolg. ...
II. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Freispruch des Angekl. nicht gerechtfertigt. Sein Verhalten erfüllt zumindest den Tatbestand des § 27 II Nr. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der bei
öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel Schutzwaffen oder Gegenstände mit sich führt, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von
Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Die von dem Angekl. nach den Urteilsfeststellungen mitgeführte Holzlatte ist sowohl ein i.S. von § 27 I 1 VersG zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeigneter Gegenstand
als auch ein als Schutzwaffe i.S. von § 27 II Nr. 1 VersG geeigneter Gegenstand. Als Schutzwaffen geeignete Gegenstände sind nämlich solche, deren Zweckbestimmung nicht, wie bei Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres
Trägers vor polizeilichen Zwangsmaßnahmen liegt, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 17a VersG
Rdnr. 4). Hierzu gehören auch Holzlatten, die beispielsweise wie ein Schutzschild zur Abwehr eingesetzt werden können.
Für das Vorliegen einer Straftat gem. § 27 VersG kommt es mithin darauf an, mit welcher Zweckbestimmung der Angekl. die Holzlatte mitgeführt hat. In den Feststellungen des LG heißt es hierzu, daß der Angekl. die Holzlatte
zumindest zu dem Zweck mitgeführt hat, sich gegen die Polizeibeamten verteidigen zu können. Soweit es in den Urteilsgründen weiter heißt, es stehe nicht fest, daß der Angekl. die Latte mit der Zweckbestimmung mit sich führte,
Vollstreckungsmaßnahmen von Polizeibeamten abzuwehren, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß nicht festgestellt werden konnte, daß der Angekl. die Latte zur Abwehr rechtmäßiger
Vollstreckungsmaßnahmen mit sich führte. Die Erwägungen der Kammer zur mangelnden Tatbestandsmäßigkeit des Mitführens der Holzlatte aufgrund der vom Angekl. vorgebrachten rechtswidrigen Übergriffe der Polizeibeamten
halten einer rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Zu Unrecht hat das LG eine Strafbarkeit gem. § 27 II Nr. 1 VersG von der Rechtmäßigkeit der abzuwehrenden Vollstreckungsmaßnahmen abhängig gemacht. Zwar ist das
Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände verboten, wenn der Teilnehmer die Absicht hat, sie auch zum Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen zu verwenden (vgl. Wache, § 17a
VersG Rdnr. 4), auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen kommt es in diesem Zusammenhang jedoch nicht an. Da das Mitführen von Schutzwaffen selbst bereits grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verboten ist, zu
welchem Zweck sich die Versammlungsteilnehmer mit ihnen ausgerüstet haben (vgl. Wache, § 17a VersG Rdnr. 3), ist die zusätzliche Zweckbestimmung „Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen" bei (bloß) als Schutzwaffen
geeigneten Gegenständen nach Auffassung des Senats nur insoweit von Bedeutung, als damit die Straffreiheit des Mitführens zu anderweitigen Zwecken klargestellt wird.
Auf die Frage, ob der Angekl. - wie er sich eingelassen hat - rechtswidrige Übergriffe von Polizeibeamten beobachtet und infolge dieser Beobachtung die Holzlatte ergriffen hat - kommt es mithin nach den bisherigen Feststellungen
nicht an. § 27 II Nr. 1 VersG verbietet auf öffentlichen Versammlungen auch das Mitführen als Schutzwaffen geeigneter Gegenstände, die dazu bestimmt sind, rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Das Mitführen der
Holzlatte wäre danach lediglich dann gem. § 32 StGB gerechtfertigt gewesen, wenn dies zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich gewesen wäre. Feststellungen hierzu sind im angefochtenen Urteil jedoch
nicht getroffen worden. Dort heißt es lediglich, daß der Angekl. die Holzlatte eine Zeit lang in der Hand gehalten und dann weggeworfen habe. Gegen die Absicht des Angekl., die Holzlatte zur Abwehr eines gegenwärtigen,
rechtswidrigen Angriffs zu benutzen, spricht zudem die Einlassung des Angekl., er habe eine Holzlatte ergriffen und sei aus Angst vor den Polizeibeamten davongelaufen.
Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen mithin die Freisprechung des Angekl. nicht, das angefochtene Urteil war deshalb im Ganzen aufzuheben. Insoweit kann dahinstehen, ob die Ausführungen des LG zum Freispruch vom
Vorwurf einer in Tateinheit zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz stehenden Sachbeschädigung einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhalten. Die Frage, ob der Angekl. - sofern kein Notwehr- oder Nothilferecht gegeben
war - die Latte nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen mitgeführt hat, muß der Beweiswürdigung des Tatrichters aufgrund der erneuten Hauptverhandlung vorbehalten
bleiben. ..."
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Es reicht aus, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Es bedarf nicht der
zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet ist. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG (KG, Urteil vom 20.09.1996 - (5) 1 Ss 207/93 (38/93), NStZ-RR 1997, 185):
„... Am 27. 1. 1993 fand aus Anlaß des gewaltsamen Todes einer Frau eine angemeldete Demonstration statt, an der etwa tausend Menschen teilnahmen. Die Demonstration verlief friedlich; zu keiner Zeit gab es Ausschreitungen
oder Hinweise auf Unfriedlichkeiten oder Gewalttätigkeiten. Auf Weisung ihres Einsatzleiters, vermummte Personen aus dem Demonstrationszug herauszuholen, nahmen zwei Polizeibeamte den Angekl. fest, nachdem zwischen
19.10 Uhr und 19.48 Uhr dreimal die Aufforderung aus dem an der Spitze des Zuges fahrenden Lautsprecherwagen der Polizei an die Teilnehmer ergangen war, Vermummungen abzulegen. Der Angekl. hatte eine Kapuze auf und ein
schwarzweiß gemustertes Halstuch über Mund und Nase gezogen, so daß man nur seine Augen sehen konnte, während bei dem überwiegenden Teil der übrigen Demonstrationsteilnehmer das gesamte Gesicht erkennbar war. Er befand
sich in der hinteren Hälfte des Zuges und war von seiner Festnahme, die er ruhig über sich ergehen ließ, sichtbar überrascht. Das AG sprach den Angekl. von dem Vorwurf eines Vergehens gem. §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG frei.
Die Revision des StA hatte Erfolg. ...
1. Das AG führt zutreffend aus, daß der festgestellte Sachverhalt die äußeren Merkmale des § 17a II Nr. 1 VersG erfüllt. Der Angekl. hat als Demonstrant an einem öffentlichen Aufzug unter freiem Himmel teilgenommen. Die dabei
getragene Kapuze und das soweit über Mund und Nase gezogene schwarz-weiß gemusterte Halstuch, daß nur noch die Augen frei blieben, verliehen ihm eine Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet war,
die Feststellung seiner Identität zu verhindern. Denn eine Notwendigkeit, daß der Angekl. in der geschilderten Aufmachung an der Demonstration teilnahm, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Trotz des Wintertages ließ der
überwiegende Teil der übrigen Demonstrationsteilnehmer das gesamte Gesicht erkennen.
2. Das AG ist trotzdem zum Freispruch gelangt, weil seiner Auffassung nach der Tatbestand der §§ 17a II Nr. 1 und 27 II Nr. 2 VersG verfassungskonform dahin zu reduzieren sei, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung
geeignet sein müsse. Das ist rechtsfehlerhaft, weil die Vorschriften diese Auslegung nicht zulassen.
a) Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 79, 106 (121) = NJW 1985, 1599). Der (noch) mögliche Wortsinn markiert die äußerste
Grenze zulässiger Auslegung, das heißt der Wortsinn, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 73, 206 (235); BVerfGE 71, 108 (115) = NJW 1986,
1671). Einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz durch „verfassungskonforme" Auslegung einen anderen Inhalt zu geben, ist dem Richter versagt (vgl. BVerfGE 8, 28 = NJW 1958, 1227).
Nach Wortlaut und Sinn der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG genügt es für das Verbot, daß die Vermummung objektiv geeignet und den objektiven Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität des so
aufgemachten Demonstrationsteilnehmers zu verhindern. Weitere Merkmale enthält der Tatbestand nicht. Insbesondere bedarf es nicht der zusätzlichen Feststellung, daß die Vermummung auch zur Friedensstörung geeignet ist. Das
geht deutlich durch Umkehrschluß aus § 17 III 2 VersG hervor. Denn in dieser als Ausnahmeregelung zu verstehenden Bestimmung wird die zuständige Behörde für den Fall, daß eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung nicht zu besorgen ist, ermächtigt, Ausnahmen vom Verbot unter anderem auch des § 17a II Nr. 1 VersG zuzulassen.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt, daß der Wille des Gesetzgebers auf diese Art der Regelung gerichtet war. Mit der Einführung des Vermummungsverbots als Straftat verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, gewalttätige
Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demonstrationen einzudämmen und den damit verbundenen ernsthaften Störungen des Gemeinschaftsfriedens entgegenzuwirken. Die Vermummung sollte verboten werden, weil das Auftreten
vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten nach der Überzeugung des Gesetzgebers in einem eindeutigen Zusammenhang steht (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14). Die Regelung des § 17 III VersG wurde bewußt
als Ausnahme gestaltet (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14). Ausdrücklich war der Wille des Gesetzgebers im übrigen darauf gerichtet, daß das Tatbestandsmerkmal „Aufmachung" grundsätzlich alle Mittel zur Unkenntlichmachung, wie zum
Beispiel Verkleidung, Maskierung oder Bemalung, erfaßt. Die beabsichtigte und in der Strafvorschrift vorgeschriebene Weise, eine zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignete Aufmachung von einer nicht verbotenen
Aufmachung abzugrenzen, liegt allein in dem Tatbestandsmerkmal, wonach die Aufmachung den Umständen nach darauf gerichtet sein muß, die Feststellung der Identität zu verhindern. Die weitere Einschränkung, der Teilnehmer
müsse außerdem die Eignung seiner Vermummung zur Friedensstörung in seinen Vorsatz mit aufgenommen haben, die das AG im Anschluß an den Aufsatz von Maatz (MDR 1990, 577 (584)) vorgenommen hat, entspricht gerade
nicht dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Dr 10/3580, S. 4).
b) Den festgestellten Willen des Gesetzgebers anders, wenn auch vermeintlich verfassungskonform auszulegen, ist dem Richter verwehrt (vgl. BVerfGE 71, 108 (115f.) = NJW 1986, 1671). Insbesondere ist der Richter nicht dazu
berufen, eine Entscheidung des Gesetzgebers aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen durch einen Rechtsprechungsakt zu ersetzen (vgl. BVerfGE 69, 316 (372) = NJW 1985, 2395; BVerfGE 82, 6 (12) = NJW 1990, 1593;
BVerfG, NStZ 1995, 399). Das AG hat dies verkannt. Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des AG Tiergarten.
3. Der Senat hat ergänzend geprüft, ob es geboten ist, die Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG gem. Art. 100 I 1 GG einzuholen. Der Senat hält diese Vorschrift
jedoch nicht für verfassungswidrig.
a) § 27 II Nr. 2 VersG verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG oder das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) abgeleitete Bestimmtheitsgebot. Der Senat kann die Bedenken, die in der
Literatur gegen die Bestimmtheit der Vorschrift erhoben worden sind (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 27 VersG Rdnr. 11 m.Nachw.), nicht teilen.
Art. 103 II GG verlangt für das Strafrecht, daß die Tatbestandsmerkmale so konkret zu umreißen und so genau zu bestimmen sind, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes zu erkennen sind und sich durch
Auslegung ermitteln lassen, so daß für jedermann vorhersehbar ist, welches Verhalten mit welcher Strafe bedroht ist, und er sein Verhalten entsprechend einrichten kann (vgl. BVerfGE 57, 250 (262) = NJW 1981, 1719; BVerfGE 78,
205 (212) = NJW 1988, 2593). Die Verwendung allgemeiner Begriffe, die einer gewissen Auslegung bedürfen, ist zulässig, weil der Gesetzgeber ohne die Verwendung solcher Begriffe nicht in der Lage wäre, der Vielgestaltigkeit der
Verhältnisse Herr zu werden. Das ist auch in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt (vgl. EGMR, EuGRZ 1984, 147 (150)). Was unter einer Aufmachung zu verstehen ist, die geeignet ist, die Feststellung der Identität zu
verhindern, kann nicht als mißverständlich angesehen werden. Es sind in Übereinstimmung mit dem oben dargelegten Willen des Gesetzgebers alle Mittel, wie zum Beispiel Verkleidung, Maskierung und Bemalung, deren Anwendung
es nicht erlaubt, das zu seiner Identifizierung notwendige Gesicht des Versammlungsteilnehmers zu erkennen. Was es bedeutet, daß eine solche Aufmachung den Umständen nach darauf gerichtet sein muß, die Feststellung der
Identität zu verhindern, ist ebenfalls in hinreichender Weise nachzuvollziehen. Maßgeblich ist, ob aus den Gesamtumständen zu schließen ist, daß der Teilnehmer die Feststellung seiner Person durch seine Aufmachung verhindern will
(vgl. hierzu BT-Dr 10/3580, S. 4; vgl. auch Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, VersR, § 17a Rdnr. 21 und § 27 Rdnr. 121 m.Nachw.). Dementsprechend sieht auch das Schweizerische Bundesgericht in dem gesetzlichen Verbot, sich
bei Versammlungen unkenntlich zu machen, das in der Schweiz im Kanton Basel-Stadt gilt, keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (BGer Lausanne, EuGRZ 1992, 137 (139)).
b) Das in § 27 II Nr. 2 VersG geregelte Vermummungsgebot verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG). Das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu
versammeln, kann für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden (Art. 8 II GG). § 27 II Nr. 2 VersG hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber durch Art. 8 II GG
eingeräumten Befugnis. Mit Art. 8 II GG trägt die Verfassung dem Umstand Rechnung, daß Versammlungen unter freiem Himmel Vorkehrungen notwendig machen, die einerseits die Voraussetzungen für die Ausübung des
Grundrechts schaffen und andererseits kollidierende Interessen Dritter wahren. Einschränkende Bestimmungen müssen einem aus der Sicht des Grundrechts legitimen Zweck dienen und sich auf das beschränken, was zum Schutz
gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muß (vgl. BVerfGE 69, 315 (349) = NJW 1985, 2395; BVerfGE 87, 399 (406f.) = NJW 1993, 581 = NStZ 1993, 190;
BVerfGE 84, 209; BVerfGE 57, 250 (268) = NJW 1981, 1790).
Das Vermummungsverbot greift zwar in den Schutzbereich des Art. 8 I GG ein, weil nicht jeder Versammlungsteilnehmer, der seine Identität verbergen will, damit notwendig auch die Absicht unfriedlichen Verhaltens verbinden muß.
Auch Zwecke, die sich im Rahmen der Gesetze halten, können damit verfolgt werden. Das Verbot greift jedoch nicht in den Kern des Grundrechts ein, was unzulässig wäre. Denn es gehört nicht zum Wesen der Versammlungsfreiheit,
sich in einer die Identität verbergenden Aufmachung zu versammeln. Betreffen die Einschränkungen aber den Randbereich des Grundrechts, so hat der Gesetzgeber bei der Wahl der Mittel einen weiten Entscheidungsspielraum, sofern
er sich im Rahmen der oben genannten Einschränkungen hält. Die Ziele, die der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgt, sind legitim. Die Absicht besteht darin, „gewälttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen zu verhindern und
dadurch einen Beitrag für den friedlichen Ablauf von Demonstrationen zu leisten" (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 13). Die Sicherheit von Leib, Leben und bedeutenden Sachwerten Dritter, die durch gewalttätige Ausschreitungen im Rahmen
öffentlicher Versammlungen beeinträchtigt werden können, soll gewährleistet werden. Ebenso wie das Uniformverbot des § 3 I VersG, das bereits verfassungsgerichtlich überprüft und für verfassungsmäßig erklärt worden ist (vgl.
BVerfG, MDR 1983, 22), dient das Vermummungsverbot zugleich dem Zweck, Dritte in ihrem Recht auf freie Meinungsbildung und -äußerung, das mit dem Versammlungsrecht in Verbindung steht, vor suggestiver Beeinflussung zu schützen.
Zur Durchsetzung dieser gesetzgeberischen Ziele ist das Vermummungsverbot geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Im Bereich der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit hat der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum.
Die verfassungsrechtliche Überprüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels, das der Gesetzgeber gewählt hat, beschränkt sich auf die Evidenzkontrolle. Das bedeutet, daß eine Regelung nur dann verfassungswidrig ist,
wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberische Maßnahme abgeben können (vgl. BVerfG, NJW 1988, 1195 (1196)). Der Annahme, daß die
Vermummung kausal ist für das Entstehen gewaltsamer Auseinandersetzungen bei Versammlungen, liegen einschlägige Erfahrungen zugrunde, die sie einleuchtend und wahrscheinlich machen. Das wird selbst von Kritikern der
Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung eingeräumt (vgl. u.a. Maatz, MDR 1990, 577 (579)). Gleiche Erfahrungen, daß die Anwesenheit Vermummter die Gefahr von Ausschreitungen bei Versammlungen wesentlich erhöht,
wurden auch in der Schweiz gemacht (vgl. BGer, EuGRZ 1992, 137 (140)). Daß eine mildere Maßnahme als die hier fragliche Regelung zur Erreichung des angestrebten Zwecks ausreichend wäre, läßt sich nicht feststellen. Dagegen
spricht, daß die Regelung erst eingeführt wurde, nachdem sich die 1985 geschaffenen bußgeldbewehrten Verbote als unzureichend erwiesen hatten, gegen gewalttätige Vermummte und Bewaffnete vorzugehen (vgl. BT-Dr 11/4359, S. 14).
c) Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Daß der Gesetzgeber dem öffentlichen Interesse, Gewalttätigkeiten und Straftaten unter dem Schutz der Anonymität zu verhindern und
die Gefahr solcher Vorkommnisse möglichst gering zu halten, den Vorrang gegenüber dem Interesse eines Versammlungsteilnehmers eingeräumt hat, seine Identität zu verbergen, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt erst recht unter dem
Gesichtspunkt, daß der Gesetzgeber die zuständige Behörde in § 17a III 2 VersG ermächtigt hat, in Einzelfällen Ausnahmen von dem Vermummungsverbot zuzulassen, wenn hierdurch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung nicht zu besorgen ist. Der Gesetzgeber hat damit gerade an besonders gelagerte Fälle eines überwiegenden berechtigten Interesses an dem Verbergen der Identität während einer Versammlung gedacht (vgl. BT-Dr 10/3580, S.
4 (5)). Diese Rechtsauffassung des Senats wird das AG seiner neuen Entscheidung zugrunde zu legen haben (§ 358 I StPO). ..."
***
Eine Versammlung, zu welcher nur Mitglieder einer politischen Partei und deren Ehegatten Zutritt haben, ist keine öffentliche Versammlung i. S. von § 27 I VersG (BayObLG, Entscheidung vom 25.11.1994 - 4 St RR 154/94, NStZ
1995, 242).
*** (LG/VG)
Zur Frage der Fortgeltung von Straftatbeständen aus dem Versammlungsgesetz des Bundes nach Inkrafttreten des Landesversammlungsgesetzes (LG Stendal, Beschluss vom 04.04.2014 - 503 Qs (303 Js 14896/13) 1/14, 503 Qs 1/14):
„... I. Die Anklage vom 13. November 2013 legt dem Angeschuldigten zur Last, als Heranwachsender am 25. Mai 2013 in Magdeburg durch dieselbe Handlung entgegen § 17 a Abs.2 Nr.1 Versammlungsgesetz an einer sonstigen
öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilgenommen zu haben und tateinheitlich entgegen § 17 a
Abs.1 Versammlungsgesetz bei einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen danach bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von
Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich geführt zu haben und sich dadurch nach § 27 Abs.2 Ziff.1 und Ziff.2 Versammlungsgesetz strafbar gemacht zu haben. Er soll in der MDCC-Arena nach Beendigung des Fußballspieles
zwischen dem 1. FC Magdeburg und dem FSV Zwickau in Höhe des Blockes 10 der Arena auf die Innenraumumzäunung gestiegen sein und sich dabei vermummt haben, indem er ein schwarzes so genanntes Ninja-Kappu über den
Kopf und hierüber die Kapuze seiner Jacke gezogen haben soll, wobei er durch den hoch geschlossenen Kragen seine Haare, Ohren, Mund und Nase verdeckt haben soll, um nicht erkannt zu werden. Zudem soll er weitere
Vermummungsgegenstände wie eine Sturmhaube, Sonnenbrille und ein sogenanntes Ninja-Kappu sowie Gebissschutz bei sich geführt haben, um diese im Bedarfsfall zur Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen einzusetzen.
Das Amtsgericht Burg - Jugendrichterin - hat mit Beschluss vom 27. Januar 2014 die Eröffnung des Hauptverfahrens auf Rechtsgründen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Versammlungsgesetz des Bundes, auf das die
Anklage gestützt sei, sei seit dem Inkrafttreten des Landesversammlungsgesetzes im Dezember 2009 im Land Sachsen-Anhalt nicht mehr anwendbar. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 27. Januar 2014 (Bl. 47-48
d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen ihr am 07. Februar 2014 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 11. Februar 2014 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht, gestützt auf ein an das Ministerium für Inneres und Sport gerichtetes Schreiben
des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung vom 20. Dezember 2013, geltend, auch nach Inkrafttreten des Landesversammlungsgesetzes gälten §§ 27 Abs.2, 28, 29 Abs.1 Nr.1a des Versammlungsgesetzes des Bundes fort, soweit
sie Verbote außerhalb von Versammlungen bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel' bzw. in der ‚Öffentlichkeit' unter Strafe stellten. Wegen der Einzelheiten wird auf das bezeichnete Schreiben des
Ministeriums für Justiz und Gleichstellung (Bl. 31-32 d.A.) Bezug genommen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 210 Abs.2, 304 Abs.1, 306 Abs.1, 311 Abs.1 und Abs.2 StPO).
Die sofortige Beschwerde ist indes nicht begründet. Das Amtsgericht - Jugendrichterin - hat mit zutreffenden Erwägungen die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Das (im Folgenden als gegeben unterstellte)
Verhalten des Angeschuldigten ist nicht strafbar.
§ 15 Abs.1 u. Abs.2 des Landesversammlungsgesetzes (im Folgenden: VersammlG-LSA) bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei
Aufzügen oder auf dem Weg dorthin'. § 26 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-LSA stellt eine Missachtung dieses Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes unter Strafe.
Der Angeschuldigte hat sich nach diesen Vorschriften nicht strafbar gemacht, weil sein Verhalten in keinem Zusammenhang mit einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder dem Weg dorthin steht.
Der Begriff der Versammlung einschließlich des Aufzuges als besondere Form der Versammlung erfasst nur solche Zusammenkünfte, bei denen sich Menschen zur gemeinsamen Meinungsbetätigung treffen. Versammlungen sind
demnach Zusammenkünfte einer unbestimmten Anzahl von Personen zur Mitwirkung (z.B. Beratung, Aussprache, Kundgebung, Zustimmung) mit einem gemeinsamen Ziel (vgl. Maunz in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lief.23,
Oktober 1996, Art. 74 Rdnr.92). Vom Versammlungsbegriff nicht erfasst ist demgegenüber der Besuch kultureller oder unterhaltsamer Veranstaltungen, weil es hierbei nicht um eine Meinungsbetätigung zur Erreichung eines
gemeinsamen Zieles geht (vgl. Maunz, a.a.O. Rdnr.94). Indem der Angeschuldigte eine Sportveranstaltung besucht hat, hat er demnach nicht an einer Versammlung teilgenommen.
Der Angeschuldigte hat sich auch nicht nach § 27 Abs. 2 Ziff.1 u.Ziff.2 in Verbindung mit § 17 a Abs.1 u. Abs.2 des Versammlungsgesetzes des Bundes (im Folgenden: VersammlG-Bund) strafbar gemacht. § 17 a Abs.1 u. Abs.2
VersammlG-Bund bestimmt ein näher ausgestaltetes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot ‚bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder
auf dem Weg dorthin' (Hervorhebung durch die Kammer). § 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund stellt eine Missachtung dieses Verbotes unter Strafe. Mithin ist nach dem VersammlG-Bund, anders als nach dem
VersammlG-LSA, auch eine im Gesetz im Einzelnen beschriebene Bewaffnung beziehungsweise Vermummung bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel', wozu auch öffentliche Sportveranstaltungen wie
Fußballspiele zählen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil v. 11.04.2011 - 2 Ss 36/11; LG Dresden, Beschluss v. 28.02.2007 - 3 Qs 20/07; zitiert jeweils nach juris), oder auf dem Weg dorthin verboten und strafbar.
Das VersammlG-Bund gilt indes im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht - auch nicht teilweise - fort. Nachdem sich infolge einer Änderung des Grundgesetzes ab 01. September
2006 die konkurrierende Gesetzgebung nicht mehr auf das Versammlungsrecht erstreckt, galt gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 1 GG das VersammlG-Bund zunächst als Bundesrecht fort. Es konnte indes gemäß Art. 125a Abs.1 Satz 2 GG
durch Landesrecht ersetzt werden. Von dieser Ersetzungsbefugnis hat der Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er das VersammlG-LSA vom 3. Dezember 2009 verabschiedet hat. Damit ist im Land Sachsen-Anhalt das
VersammlG-Bund in seiner Gesamtheit ersetzt worden.
Zwar ist, da Art. 125 a Abs.1 Satz 2 GG keine Anforderungen an den Umfang der Ersetzung fortgeltenden Bundesrechtes stellt, grundsätzlich auch eine partielle Ersetzung möglich. Bedingung in diesem Fall ist indes, dass die
verbleibende bundesrechtliche Regelung sinnvoll bleibt (vgl. Uhle in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Lfg.46, März 2006, Art. 125a Rdnr.30). Das Bundesverfassungsgericht spricht im Rahmen der parallelen Fragestellung des
Art. 125a Abs.2 Satz 2 GG davon, dass es aufgrund der Ersetzungsbefugnis einem Land gestattet ist, die Materie, gegebenenfalls auch einen ‚abgrenzbaren Teilbereich', in eigener Verantwortung zu regeln (BVerfGE 111, 10, 30).
Selbst wenn der Landesgesetzgeber bei Erlass des VersammlG-LSA nur eine partielle Ersetzung des VersammlG-Bund und eine Fortgeltung des im VersammlG-Bund normierten strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes bei ‚sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel' gewollt hätte, bestünden Bedenken, ob es sich insoweit um einen abgrenzbaren Teilbereich handelt, insbesondere, ob die verbleibende
bundesrechtliche Regelung sinnvoll bliebe. Dies kann indes dahinstehen.
Denn jedenfalls hatte der Landesgesetzgeber bei Verabschiedung des VersammlG-LSA nicht den Willen, lediglich eine partielle Ersetzung des Bundesrechtes vorzunehmen. Er wollte vielmehr die gesamte im VersammlG-Bund
geregelte Materie durch ein eigenes, den Besonderheiten des Landes Sachsen-Anhalt angepasstes, Gesetz regeln.
Die Kammer hat die Plenarprotokolle und Ausschussprotokolle zum Gesetzgebungsvorgang des VersammlG-LSA eingesehen, um die Motive des Landesgesetzgebers bei der Formulierung des Gesetzes nachzuvollziehen. Ihnen ist zu
entnehmen, dass der erste Entwurf vom 02. Juni 2008 eines VersammlG-LSA (Drs. 5/1301) in § 1 die Fortgeltung des VersammlG-Bund (mit Ausnahme der §§ 15, 16 und 29a) als Landesrecht und in §§ 2 bis 6 weitere Regelungen
vorsah. Später wurde statt der ursprünglich vorgesehenen statischen Verweisung auf das VersammlG-Bund ein vollständig ausformuliertes Landesgesetz favorisiert, mit dem das VersammlG-Bund im Wesentlichen übernommen, in
einzelnen Punkten nachgebessert und um landesspezifische Regelungen ergänzt werden sollte. Nachdem im Verlauf der mehr als ein Jahr andauernden Beratungen mehrere Verfassungsrechtsexperten, kommunale Spitzenverbände und
der Landesbeauftragte für den Datenschutz angehört, Stellungnahmen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages eingeholt und der mitberatende Ausschuss für Recht und Verfassung beteiligt worden waren, lag dem
federführenden Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 schließlich ein überarbeiteter Gesetzentwurf zur Einzelberatung vor.
Dieser sah in § 15 Abs.1 ein wie folgt formuliertes Bewaffnungsverbot vor:
‚Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen
geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 15 Abs.2 sah der Entwurf ein Vermummungsverbot für ‚derartige Veranstaltungen' oder den Weg dorthin vor.
§ 26 Abs.2 Ziff.1 des Entwurfes war wie folgt formuliert:
‚Wer
1. entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als
Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt, (…) wird (…) bestraft.'
(Hervorhebungen durch die Kammer).
In § 26 Abs.2 Ziff.2 stellte der Entwurf den Verstoß gegen das Vermummungsverbot des § 15 Abs.2 Ziff.1 bei ‚derartigen Veranstaltungen' oder dem Weg dorthin unter Strafe.
Die Formulierungen in § 15 Abs.1 u. Abs.2 und § 26 Abs.2 des Entwurfes entsprach genau derjenigen in § 17a Abs.1 u. Abs.2 und § 27 Abs.2 VersammlG-Bund. Im Verlauf der bis zum 16. September 2009 erfolgten Diskussionen,
Anhörungen und Beratungen war zu keinem Zeitpunkt erwogen worden, von dieser Formulierung abzuweichen.
Dem Innenausschuss lag in seiner Sitzung am 16. September 2009, in der der Gesetzentwurf beraten werden sollte, hierzu ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD vor, der hinsichtlich der hier in Rede
stehenden Vorschriften wie folgt lautet:
‚§ 15 Abs.1 wird wie folgt gefasst:
‚(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind,
Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.' (…)
§ 26 Abs.2 Nr.1 wird wie folgt gefasst:
‚1.
entgegen § 15 Abs.1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind,
Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von öffentlich-rechtlichen Befugnissen abzuwehren, mit sich führt,''.
Eine Begründung für den Änderungsantrag, demzufolge das strafbewehrte Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' gelten sollte, lässt sich dem Protokoll der
Ausschusssitzung nicht entnehmen.
Der Innenausschuss nahm in seiner Sitzung vom 16. September 2009 den Änderungsantrag, soweit er sich auf §§ 15 und 26 VersammlG-LSA bezog, an und empfahl dem Landtag, den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung
anzunehmen, was der Landtag in seiner Sitzung vom 08. Oktober 2009 dann auch tat.
Aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens ergibt sich, dass gegen die konkrete Formulierung des sich auch auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden strafbewehrten Bewaffnungs- und
Vermummungsverbotes in §§ 15 und 26 des Entwurfes eines VersammlG-LSA, wie er dem Innenausschuss in seiner Sitzung vom 16. September 2009 zunächst vorlag, im Verlauf der vorangegangenen mehr als ein Jahr andauernden
Beratungen zu keinem Zeitpunkt verfassungsrechtliche oder sonstige Bedenken geäußert worden waren. Insbesondere wurde die Kompetenz des Landesgesetzgebers für die Normierung eines sich auch auf ‚sonstige öffentliche
Veranstaltungen unter freiem Himmel' erstreckenden Bewaffnungs- und Vermummungsverbotes nicht in Frage gestellt. Die Befugnis des Landes für die Normierung eines derartigen Verbotes ergab sich unzweifelhaft zumindest aus
seiner Gesetzgebungskompetenz für das Gefahrenabwehrrecht. Da sich der Landesgesetzgeber aus rechtlichen Gründen nicht gehindert sah, ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter
freiem Himmel' zu normieren, hatte er bis zur Sitzung des Innenausschusses am 16. September 2009 auch nicht erwogen, insoweit von der im VersammlG-Bund enthaltenen Formulierung abzuweichen.
Die Gründe, die den Innenausschuss in seiner Sitzung am 16. September 2009 dazu bewogen haben, dem Änderungsantrag zuzustimmen und in dem Gesetzentwurf das Bewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht, wie ursprünglich
vorgesehen, auf ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel' zu erstrecken, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Das Sitzungsprotokoll gibt hierüber keinen Aufschluss.
Dass jedenfalls nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insoweit nicht teilweise fortgelten sollte, sondern mit der Verabschiedung des VersammlG-LSA das VersammlG-Bund insgesamt ersetzt werden sollte,
lässt sich dem Gang der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes in der öffentlichen Sitzung des Landtages am 8. Oktober 2009 entnehmen. In deren Verlauf sprach der damalige Minister des Innern Hövelmann davon ‚das alte
Bundesgesetz (und nicht nur Teile davon, Anm. d. Kammer) in Landesgesetzen moderner zu gestalten'. Weiter führte er aus: ‚Vor uns liegt nunmehr der Entwurf eines Gesetzes, der zu einem vollständigen und eigenständigen
Landesversammlungsrecht führen soll. Mit diesem Entwurf sind nicht nur die redaktionellen Ungereimtheiten des noch (und damit künftig nicht mehr, auch nicht teilweise, Anm. d. Kammer) geltenden Bundesgesetzes bereinigt
worden. Es sind auch verfassungsrechtliche Mängel beseitigt und die hinsichtlich mehrerer Vorschriften angebrachten Präzisierungen und Korrekturen herbeigeführt worden. Zugleich sind im Vergleich zum bisherigen Bundesrecht
nicht nur einige verfassungsrechtlich gebotene Entschärfungen vorgesehen worden. …'. Der Abgeordnete BB fasste den Gang des Gesetzgebungsverfahrens wie folgt zusammen: ‚In den Ausschussberatungen haben wir uns den
Wunsch der Opposition zu eigen gemacht, ein Vollgesetz zu verabschieden. Diese Lösung hat den Vorzug, dass man nicht in zwei Gesetzen, einem des Bundes und einem des Landes, suchen muss, um alle die Versammlungen
betreffenden Gesetzesregelungen im Blick zu haben. … Wir haben darauf geachtet, von dem guten Bundesgesetz nicht unnötig abzuweichen, haben es dann in einzelnen Punkten eben doch getan.' Diese Äußerungen belegen
eindrucksvoll, dass nach dem Willen des Landesgesetzgebers das VersammlG-Bund insgesamt durch ein Landesgesetz ersetzt werden sollte. Aus keinem der Plenar- und Ausschussprotokolle ergeben sich Anhaltspunkte, dass der
Landesgesetzgeber nur eine partielle Ersetzung und damit verbundene teilweise Fortgeltung des VersammlG-Bund gewollt hätte. Im Gegenteil, den Worten des Abgeordneten SPD) ( BB zufolge sollte ein Nebeneinander von
Bundesgesetz und Landesgesetz gerade vermieden werden.
Im Ergebnis dessen gelten §§ 17a Abs.1 u. Abs.2, 27 Abs.2 Ziff.1 u. Ziff.2 VersammlG-Bund, die ein strafbewehrtes Bewaffnungs- und Vermummungsverbot auch für ‚sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel'
enthalten, im Land Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten des VersammlG-LSA am 12. Dezember 2009 nicht fort. Das Verhalten des Angeschuldigten ist mithin nicht strafbar. ..."
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Eine Kontrollstelle im Sinne des § 18 Abs 2 Nr 5 HSOG (juris: SOG HE) ist auch dann an einem öffentlich zugänglichen Ort eingerichtet, wenn sie sich in einer nicht allgemein zugänglichen Autobahnmeisterei befindet, da diese nicht
durch eine Privatsphäre geschützt wird. Außerhalb der präventiven Befugnis zur Videographie einer Identitätsfeststellung nach § 14 Abs 6 HSOG (juris: SOG HE) besteht zwecks Eigensicherung der Polizeivollzugsbeamten die
Befugnis zur Datenerhebung durch Videographie aufgrund der allgemeinen Ermächtigung des § 13 Abs 1 Nr 3 (juris: SOG HE) HSOG zur Erhebung personenbezogener Daten, solange diese Maßnahme nicht in konkretisierter und
individualisierter Weise die Privat- oder gar Intimsphäre einer bestimmten Person beeinträchtigt (VG Frankfurt, Urteil vom 10.01.2014 - 5 K 1289/13.F - zum Volltext).
***
Eine Kontrollstelle im Sinne des § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG ist auch dann an einem "öffentlich zugänglichen Ort" eingerichtet, wenn sie sich in einer nicht allgemein zugänglichen Autobahnmeisterei befindet, da diese nicht durch eine
Privatsphäre geschützt wird. Außerhalb der präventiven Befugnis zur Videographie einer Identitätsfeststellung nach § 14 Abs. 6 HSOG besteht zwecks Eigensicherung der Polizeivollzugsbeamten die Befugnis zur Datenerhebung
durch Videographie aufgrund der allgemeinen Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 HSOG zur Erhebung personenbezogener Daten, solange diese Maßnahme nicht in konkretisierter und individualisierter Weise die Privat- oder gar
Intimsphäre einer bestimmten Person beeinträchtigt (VG Frankfurt, Urteil vom 03.07.2013 - 5 K 1101/13.F).
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Nach Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes ist es erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll. Diese Absicht ist nicht nachzuweisen, wenn durch die Vermummung allein das
Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners verhindert werden soll, um späteren Repressalien zu entgehen (LG Hannover, Urteil vom 20.01.2009 - 62c 69/08 zu VersG §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1):
„... Am 19. 01. 2008 gegen 16.06 Uhr befand sich die Angekl. im Demonstrationszug gegen Neonazis in B. in der ...straße und in einer Entfernung von 20 bis 30 m vom Café Rock Averne. Letzteres ist bekannt als Treffpunkt von
Angehörigen der sog. rechten Szene. Als die Angekl. sich in Höhe des Cafés befand, wurde sie von dem Zeugen PK W. gefilmt, wie sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap mit der Aufschrift »Lonsdale« tragend und einen Schal
über ihren Mund gezogen dort stand und nach einer kürzeren Ansprache über den in wenigen Metern Entfernung vor ihr befindlichen Lautsprecherwagen an den Kameraleuten - immer noch vermummt - weiterzog.
Die Kammer konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. die Vermummung erst kurz bevor sie gefilmt wurde, angelegt hatte und diesem Hinweise auch über Lautsprecher
vorausgegangen waren, Demonstrationsteilnehmer würden von Mitgliedern der sog. rechten Szene aus dem Bereich des Cafés Rock Avenue heraus fotografiert und gefilmt. Die Kammer konnte des weiteren nicht mit einer für die
Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß die Angekl. mit dem Bedecken weiter Teile ihres Gesichts lediglich verhindern wollte, daß die Mitglieder der sog. rechten Szene und Gegner der Demonstration, an der sie
teilnahm, Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht anfertigen könnten, um diese dann zwecks weiterer Diffamierungen zu verwenden. Vielmehr erscheint die Möglichkeit als naheliegend, daß es ihr darum ging, zu verhindern, daß
Mitglieder der rechtsradikalen Szene in den Besitz von Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht gelangen und durch die Vermummung den Anreiz, sie zu fotografieren, vermindern wollte.
Während der Demonstration fotografierte ein älterer Herr mit Bart, der Gerüchten zufolge nach ebenfalls der rechten Szene angehörte, mit einer Kamera und zwei Beobachter der Demonstration mit Handys in den Demonstrationszug
hinein. Diese Fotografierenden befanden sich im Bereich des Cafés Rock Avenue. ...
IV. Von dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz war die Angekl. aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Es fehlt an der nach § 27 Abs. 2 Ziff. 2 Versammlungsgesetz
geforderten Absicht, die Feststellung der Identität zu verhindern. Zwar ist dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz nach nur allgemein gefordert, daß die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die
Feststellung der Identität zu verhindern. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes gem. § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz erforderlich, daß die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden
verhindert werden soll (so auch AG Rothenburg/Wümme in NSDZ 2006, 358, AG Tiergarten, Urteil v. 21. 04. 2005, Az. 256 Cs 81 Js 1217/04 (947/04), zitiert nach Juris). Diese Absicht ist der Angekl. gerade nicht nachzuweisen gewesen.
Die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz im o.g. Sinne ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend. Würde die Vorschrift nicht in dem genannten Sinne teleologisch reduziert werden, so würde die
Strafvorschrift de facto zu einer Bestrafung der Teilnahme an einer genehmigten Versammlung und damit einem Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG führen. Das systematische
Hineinfotografieren in Demonstrationszüge des jeweiligen politischen Gegners würde so nämlich dazu führen, daß im Falle nachfolgender Repressalien mit Hilfe dieser Fotos die Demonstrationsteilnehmer vor der Alternative stünden,
entweder Repressalien seitens der politischen Gegner hinzunehmen oder aber eine Bestrafung seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen Verstoßes gegen das sog. Vermummungsverbot. Die einzig noch verbleibende Alternative
bestünde in einem Verzicht auf Teilnahme an einer solchen Demonstration. Damit aber würde die Gefahr bestehen, daß politische Demonstrationen linker und rechter Gruppierungen auf Dauer de facto durch das systematische
Fotografieren in diese Demonstrationszüge hinein durch politische Gegner unterbunden würden, gegen das es - so lange der Gesetzgeber das Fotografieren von Demonstrationszügen und einzelner Demonstrationsteilnehmer während
der Demonstration sowie die Verwendung oder Weitergabe solcher Fotos nicht sanktioniert - keinen anderen Schutz als die Vermummung geben kann. Letztlich würde so die strafrechtliche Verfolgung von Vermummungen einzig mit
dem Ziel, das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners zu verhindern dazu führen, daß sich die Strafverfolgungsbehörden unwillentlich zum Werkzeug der jeweiligen politischen Gegner machen, deren Ziel das
Verhindern solcher Demonstrationen ist. ..."
***
Ein innerhalb des Mundes zu tragender Mundschutz (Beißschiene) ist weder eine Schutzwaffe noch ein Gegenstand, der als Schutzwaffe geeignet ist, im Sinne von §§ 17a I, 27 II Nr. 1 VersG (LG Cottbus, Beschluss vom 22.12.2006 -
24 jug Qs 61/06, NStZ-RR 2007, 282).
Zum Mitführen eines Teleskop-Schlagstocks auf dem Weg zu und bei Veranstaltungen (LG Bad Kreuznach, Urteil vom 23.04.2001 - 1005 Js 9071/00 Cs Ns, GewA 2001, 383).
Eine Verurteilung wegen Führens von Waffen auf dem Wege zu einer Versammlung kommt nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte tatsächlich an der Versammlung teilnehmen wollte und sich nicht nur auf dem Weg dorthin
befand (LG Bochum, Entscheidung vom 03.06.1988 - Ns 28 Cs 33 Js 604/87, StV 1989, 22).
§ 28
Wer der Vorschrift des § 3 zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Leitsätze/Entscheidungen:
Versammlungsrecht im Terminal des Flughafens (VG Frankfurt, Beschluss vom 29.05.2013 - 5 L 2248/13.F):
„... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 27. Mai 2013 gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 24. Mai 2013 wird hinsichtlich Ziffer 1
insoweit wieder hergestellt, als die Demonstration im Terminal 1 des Flughafens Frankfurt am Main stattfinden kann mit der Maßgabe, dass hierfür die Anzahl der Teilnehmer auf 200 begrenzt wird. Die Route der Demonstration
verläuft wie folgt: Beginn im Terminal 1 Bereich B, im Halbkreis über den Bereich A durch die Geschäftsstraße bis zum sogenannten Markplatz bis zum Aufgang der Bundespolizei und im Halbkreis über die Geschäftsstraße durch
den Schalterbereich C und entlang der Glasfront zurück in den Bereich B.
Für die übrigen Teilnehmer verbleibt es bei der Strecke für die Demonstration, die in Ziffer 1 der Verfügung festgesetzt wurde. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens - mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selber zu tragen hat - haben die Antragsteller zu zwei Dritteln, die Antragsgegnerin zu einem Drittel zu tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt. ...
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 27. Mai 2013 gegen die ordnungsbehördliche Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main vom 24. Mai 2013 ist bezüglich der Auflagen
Ziffer 1 im tenorierten Umfang wiederherzustellen, im Übrigen ist der Antrag abzulehnen:
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse der Antragsteller daran, von der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer
sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht darauf, dass der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbots in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt, den
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs besondere Bedeutung zu. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist nach Möglichkeit nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 1 BvR 2794/10, zitiert nach juris).
Soweit die Verfügung den von den Antragstellern beantragten und gewünschten Demonstrationsverlauf im Terminal 1 in Gänze untersagt und auf eine Route außerhalb des Terminals verlegt, ist die Verfügung teilweise rechtswidrig,
da nicht einer angemessenen Anzahl von Kundgebungsteilnehmer - die das Gericht mit maximal 200 Teilnehmern bestimmt - gestattet wird, ihr kommunikatives Anliegen innerhalb des Terminal 1 und auf der von den Anmeldern
gewünschten Route zu verwirklichen.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler
Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; BVerwG, Urteil vom 15. Juni
2008 - 6 C 21.07 -, juris, Rn. 13 = BVerwGE 131, 216). Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Das für beschränkende
Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung verlangt eine Sachlage, in der es bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Interessen kommen wird. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, 1 BvR 2793/04, zitiert nach juris).
Auch wenn es zu dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters gehört, über den Ort und den Verlauf seiner Demonstration zu bestimmen (BVerfGE 69, 315 <343>), begründet die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu
beliebigen Orten. Insbesondere Orte, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird, sind von dem Versammlungsrecht
nach Artikel 8 GG ausgenommen. Für die Bereiche des Terminal 1 des Flughafen Frankfurt am Main, über die die Antragsteller die Demonstrationsroute führen wollen, ist dies jedoch nicht in Gänze der Fall. Im Terminal 1 befinden
sich neben den Schaltern der Fluggesellschaften, die die Reisenden mit ihrem Gepäck aufsuchen müssen, um einzuchecken und die Bordkarten zu erlangen, auch Orte des allgemeinen kommunikativen Verkehrs wie die sogenannte
Marktstraße und Geschäfte, die auch nichtreisende Kunden umwerben. Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 22. Februar 2011 - BvR 699/06 -, das generelle Verbot von Versammlungen auf
dem Flughafengelände für verfassungswidrig erachtet. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die für einen Flughafen spezifische Gefährdungslage die Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des
Flugbetriebes, Einschränkungen des Versammlungsrechtes rechtfertigen können. Insbesondere die räumliche Beengtheit der Terminals darf berücksichtigt werden, ebenso dass Blockadewirkungen in weitergehendem Umfang
unterbunden werden können, als im öffentlichen Raum (vergleiche BVerfG, a.a.O., juris, Rdnr. 91.)
Diesen Anforderungen wird die angegriffene Verfügung nicht gerecht, soweit es die von den Antragstellern beantragte Route abändert und nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einem Teil der Teilnehmer den Zugang in das
Terminal 1 ermöglicht. Soweit die Antragsgegnerin die Verlegung der Route der Demonstration darauf stützt, dass es durch die Beteiligung aktions- und gewaltbereiter Gruppen an der Demonstration zur Störung der Betriebs- und
Geschäftsabläufe des Flughafens kommen werde, sind die Tatsachen, die diesen einen Schadenseintritt mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, nicht vorgetragen. Der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main
(Seite 38 der Behördenakte) vom 14.Mai 2013 ist zu entnehmen, dass aufgrund der Beteiligung aktions- und gewaltorientierter Gruppierungen mit Störungen der Betriebs und Geschäftsabläufe zu rechnen sei. Die Möglichkeit, dass es
auch am Nachmittag des 31.Mai 2013 zu Blockadeaktionen kommen wird, sei nicht auszuschließen. Diese Beurteilung der Sicherheitsbehörde begründet jedoch noch keine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, der das Gericht folgt.
Allerdings ist vorliegend der Umstand zu beachten, dass die Störanfälligkeit eines Flughafens wegen der Komplexität des Betriebsablaufes höher anzusetzen ist, als die Störanfälligkeit des öffentlichen Straßenraumes, oder gar einer
für Versammlungen geeigneten Fläche wie einer Festwiese. Es ist zu beachten, dass für den 31.Mai 2013 ausweislich der Stellungnahme der Beigeladenen mit hohem Passagieraufkommen zu rechnen sei, der Raum im Terminal
jedoch begrenzt ist. Die Reisenden sind auf die Abfertigung innerhalb bestimmter Zeiträume angewiesen. Rettungs- und Fluchtwege müssen freigehalten werden. Auch dürfen die Äußerungen der Demonstranten nicht die Durchsagen
des Flughafenbetreibers übertönen, damit jederzeit Sicherheitswarnungen wahrgenommen werden können und die Fluggäste über Flugänderungen oder Änderungen zu ihrem Reiseverlauf informiert werden können. Die Beigeladene
hat in ihrer Stellungnahme vom 28. Mai 2013 darauf hingewiesen, dass es bei der Montagsdemonstration am 27. Mai 2013, bei der ausweislich Presseberichten zufolge sich erstmals „Blockupy" beteiligt habe, Sicherheitsprobleme
aufgetreten seien, weil Lautsprecher mitgeführt worden seien, die die Lautsprecherdurchsagen übertönt hätten. Auch darf nicht verkannt werden, dass der Antragsteller zu 1), der als L fungiert, ausweislich der polizeilichen
Stellungnahme vom 17. Mai 2013 Anmelder der Veranstaltung der N im Jahr 2012 war und in dieser Funktion sich nicht in der Lage gesehen hat, Gewaltausschreitungen bei dieser Demonstration mit erheblichen Personen- und
Sachschäden zu verhindern. Dies gilt auch für die von ihm angemeldete Versammlung am 22.Juni 2011 „M". Zuletzt hatte er an Gleisbesetzungen am 1. Mai 2013 teilgenommen und ist durch die Polizei wegen Widerstandes gegen
Polizeigewalt, Körperverletzung und Beleidigung angezeigt worden (Behördenakte Seite …). Damit ist durch ihn als L die Kooperationsbereitschaft mit den Sicherheitsorganen und dem Flughafenbetreiber nicht sichergestellt. Die
Veranstaltungen am 31. Mai 2013, die unter dem Motto „Blockupy" stehen, schließen nach dem Selbstverständnis der Veranstalter grundsätzlich zivilen Ungehorsam ein. Die hierfür gewählten Mittel schließen den Straftatbestand der
Nötigung ein. Für den für den Vormittag des 31. Mai 2013 ist zur Blockade der Europäischen Zentralbank aufgerufen. Es ist erklärtes Ziel der Aktivisten, die Arbeitnehmer der EZB am Aufsuchen ihres Arbeitsplatzes zu hindern. Dass
das Mittel der Blockade bei anderen Aktionen an diesem Tag nicht eingesetzt werden wird, ist deshalb unwahrscheinlich. Deshalb und weil zu der Demonstration am Flughafen auch über das Internetseite www.fightracismnow.net
auch zu Blockade des Frankfurter Flughafens aufgerufen wird, ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass eine erhebliche Anzahl an Sicherheitskräften im Terminal 1 erforderlich sein wird, um dort eine Blockade oder Gewalttaten zu
verhindern, sollten gewaltbereite Teilnehmer an der Demonstration des O, des Antragstellers zu 1) teilnehmen wollen, welcher eidesstattlich unter dem 27. Mai 2013 versichert hat, dass es kein Ziel der Blockade des Flughafens gebe.
Hierzu bedarf es räumlicher Kapazitäten, die nicht mit den sogenannten Montagsdemonstrationen vergleichbar sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, aber auch sachgerecht, die Anzahl der Teilnehmer für die
Demonstration im Terminal 1 auf die Zahl zu begrenzen, die der Veranstalter selbst als die voraussichtliche Zahl der Teilnehmer in der Anmeldung angegeben hat, um zum einen dem kommunikativen Anliegen am Ort der Wahl
Rechnung zu tragen und zugleich der erhöhten Störanfälligkeit des Flughafen Rechnung zu tragen. Für weitere Demonstrationsteilnehmer verbleibt es bei der von der Antragsgegnerin verfügten Route.
Im Übrigen hat der Eilantrag keinen Erfolg, weil die weiteren angegriffenen Auflagen offensichtlich rechtmäßig sind. Diese Auflagen entsprechen den von der Kammer selbst in vergleichbaren Fällen verfügten Auflagen. So hat das
erkennende Gericht mit Beschluss vom 14.Mai 2012 - 5 L 1697/12 - zur einer Demonstration mit dem gleichen Motto und ähnlicher Zielrichtung im vorigen Jahr wörtlich gleichlautende Auflagen bestimmt. Die Beschwerde gegen
diesen Beschluss hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 8 B 1158/12 zurückgewiesen.
Soweit Ziffer 6 vorsieht, dass die volljährigen Ordner im Besitz eines gültigen Personal-ausweis sein müssen, der auf Verlangen vorzulegen sei, entspricht dies bereits dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des
Personalausweisgesetzes. Das Mitführen eines Personalausweises oder Reisepasses ist sinnvoll, um es der Polizei gegebenenfalls zu ermöglichen, die Volljährigkeit und Identität eines Ordners festzustellen.
Soweit die Antragsteller die in Ziffer 7 der Verfügung auf zwei Meter begrenzte Länge von Stangen für Fahnen, Transparenten und Trageschilder angreifen, ist diese Regelung geboten, weil andernfalls Gegenstände mitgeführt werden,
die, ohne dass dies für Zwecke der Versammlung erforderlich wäre, als Waffen genutzt werden könnten. Die Einschränkung der Versammlungsteilnehmer durch diese Auflage ist im Übrigen nur marginal. Auf die in der angegriffenen
Verfügung gegebene ausführliche Begründung wird Bezug genommen.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Auflage Ziffer 8, in der die Länge der Transparente auf drei Meter begrenzt und ihre Verknotung verboten wird. Auch hier wird auf die in der Verfügung angegebene Begründung verwiesen.
Schließlich hat die Behörde zu Ziffer 11 der Auflage eingehend begründet, warum das Mitführen von Hunden bei Versammlungen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu untersagen ist. Auch hierauf wird Bezug genommen. Die
Mitnahme eines Hundes dient nicht dem Wohl des Tieres und kann zu Gefahren für die öffentliche Sicherheit führen, z. B. wenn Hunde aufgrund des Versammlungsgeschehens in Panik geraten und Menschen oder andere Hunde
beißen. In dem Verbot, Hunde mitzuführen, liegt im Übrigen keine ins Gewicht fallende Einschränkung der Versammlungsfreiheit.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu zwei Drittel und die Antragsgegnerin gemäß § 155 Abs. 2 VwGO zu einem Drittel zu tragen. Das Gericht misst der Auflage zu dem Veranstaltungsort ein höheres Gewicht bei als
anderen Auflagen. Jedoch sind die Antragsteller insoweit nicht vollumfänglich erfolgreich gewesen, weil eine Begrenzung der Teilnehmer notwendig erscheint. Kosten der Beigeladenen sind nicht im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO
erstattungsfähig, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und so nach § 154 Abs. 3 VwGO kein Kostenrisiko eingegangen ist. ..."
***
Die eisenbahnrechtlichen Vorschriften der §§ 64b II Nr. 1 EBO, 28 I Nr. 6, II AEG schränken das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Ihre Anwendung hängt nicht von der
Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots ab (BVerfG, Beschluss vom 12.03.1998 - 1 BvR 222/97, NStZ 1998, 359):
„... Die Bf. ist Atomkraftgegnerin. Sie wohnt im Landkreis Lüchow-Dannenberg, in dem sich ein Lager für radioaktive Abfälle befindet. Aus Anlaß eines Transports von Castor-Behältern mit atomaren Material in dieses Lager war für
den 25. 4. 1995 eine Versammlung geplant, die von der zuständigen Behörde mit einer in der örtlichen Zeitung am 21. 4. 1995 bekanntgemachten Allgemeinverfügung untersagt wurde. Die Bf. nahm dessen ungeachtet an der
Versammlung teil. Dabei befand sie sich an den Eisenbahnschienen der Bahnlinie Uelzen-Dannenberg, die nur noch für Castor-Transporte benutzt wird. Das Versammlungsverbot wurde später vom VG wegen unzureichender
Gefahrenprognose für rechtswidrig erklärt. Auf ihren Einspruch gegen den an sie gerichteten Bußgeldbescheid sprach das AG die Bf. mit der Begründung frei, Verstöße gegen Versammlungsverbote dürften nicht ohne Rücksicht
auf deren Rechtmäßigkeit geahndet werden. Ebenso wie das VG halte es das Versammlungsverbot für rechtswidrig, weil die Erwägungen zur Gefahrenprognose zu undifferenziert und zu pauschal gewesen seien. Mit dem
angegriffenen Beschluß ließ das OLG die Rechtsbeschwerde der StA zu, hob das angefochtene Urteil auf und verurteilte die Bf. wegen vorsätzlichen unbefugten Betretens einer Bahnanlage zu einer Geldbuße von 400 DM. Die auf der
Einlassung der Bf. beruhenden Feststellungen des AG belegten objektiv und subjektiv den Verstoß gegen § 64b EBO. Die Bf. habe zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt, als sie sich aus Protest gegen den Castor-Transport an
die Bahnschienen angekettet habe. Ein etwaiger Verbotsirrtum wäre durch Einholung einer zuverlässigen Rechtsauskunft vermeidbar gewesen. Die auf das Versammlungsgesetz bezogene Auffassung des AG, die Bf. habe erlaubt
gehandelt, sei rechtsfehlerhaft, für die Anwendbarkeit von § 28 (Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) und § 64b EBO jedoch nicht von unmittelbarer Bedeutung. Gegen deren Verfassungsmäßigkeit bestünden keine Bedenken. Eine
Kollision mit Art. 8 GG komme nicht in Betracht. Die Geldbuße sei § 28 II AEG zu entnehmen. Bei der Zumessung sei zu berücksichtigen, daß die Bf. unbestraft sei, ihr Eingriff in den Bahnbetrieb nur kurzzeitig gewesen sei und
nicht zu konkreten Behinderungen geführt habe. Überdies sei ein vermeindbarer Verbotsirrtum mildernd zu berücksichtigen. Mit ihrer nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde rügte die Bf. u.a. die Verletzung
von Art. 8 I GG. ...
II. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung i.S. von § 93a II lit. a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der
Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Eine Entscheidung des BVerfG ist auch nicht nach § 93a II lit. b BVerfGG zur Durchsetzung der von der Bf. geltend gemachten Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine
Aussicht auf Erfolg.
Zwar hat das OLG zu erkennen gegeben, daß es die Auffassung des AG mißbilligt, eine Ahndung der Tat aufgrund des Versammlungsgesetzes komme nicht in Betracht, weil das Versammlungsverbot rechtswidrig gewesen sei.
Insoweit stehen die Ausführungen nicht im Einklang mit Art. 8 I GG (vgl. BVerfGE 87, 399 (406ff.) = NJW 1993, 581). Die angegriffene Entscheidung beruht aber nicht auf dieser Ansicht. Das OLG hat die Verurteilung der Bf.
vielmehr allein auf die eisenbahnrechtlichen Vorschriften von § 64b II Nr. 1 EBO und § 28 I Nr. 6, II AEG gestützt. Diese schränken das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Da sie
sich im Unterschied zu § 29 I Nr. 1 VersG nicht speziell auf ein Verhalten im Zusammenhang mit verbotenen Versammlungen beziehen, sondern einer generell bestehenden Gefahr entgegenwirken, hängt ihre Anwendung auch nicht
von der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots ab. Bei der Auslegung und Anwendung der eisenbahnrechtlichen Vorschriften hat das OLG Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht verkannt.
Seine Auffassung, daß sich die Bf. nicht darauf berufen konnte, die Bahnstrecke sei von allen Seiten zugänglich und allein den Castor-Transporten vorbehalten, begegnet keinen Bedenken. Denn am Tag der Versammlung wurde auf
der Strecke ein die Castor-Behälter transportierender Zug erwartet. Bei der Zumessung des Bußgeldes hat das OLG Gesichtspunkte der Versammlungsfreiheit ausreichend berücksichtigt.
Für eine Verletzung von Art. 101 I und Art. 103 I GG ist nichts hervorgetreten. Insoweit wird auf eine weitere Begründung verzichtet (§ 93d I 3 BverfGG). ..."
*** (OLG)
Das Uniformverbot gilt der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen substituieren, symbolisieren die quasi-militärische Organisation einer Menge als "institutionelles Gehäuse" für
Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung und sind in der Regel geeignet, bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen. Das gilt insbesondere dann, wenn
der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 11.01.2011 - 2 Ss 156/10):
„... Das Amtsgericht St. Goar hat den Angeklagten N. mit Urteil vom 4. Mai 2010 wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot (§§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG) zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt und die
bei ihm sichergestellte Jungenschaftsjacke mit HDJ-Abzeichen eingezogen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung und der Gegenerklärung des Verteidigers vom 31. Dezember 2010 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO). Die Feststellungen der angefochtenen
Entscheidung tragen die Verurteilung wegen Vergehens nach den §§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG.
Der Verteidigung ist zwar im Ansatz zuzugeben, dass das Tragen gleichartiger Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung für sich allein genommen dem Verbot aus § 3 Abs. 1 VersammlG noch nicht
unterfällt. Eine abstrakte Gefährlichkeit des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke gibt es nicht. Das Uniformverbot gilt vielmehr der Uniform als Symbol organisierter Gewalt. Uniformen und Kleidungsstücke, die Uniformen
substituieren, symbolisieren aber die quasi-militärische Organisation einer Menge als „institutionelles Gehäuse" für Gewaltbereitschaft, Bedrohung und Einschüchterung (vgl. Rühl in NJW 1995, 561) und sind in der Regel geeignet,
bei dem Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen (vgl. Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Versammlungsgesetz, § 3 Rdn 7; KG, Urteil vom 19. März
2001 - 1 Ss 344/00 (105/00) -). Das gilt um so mehr, wenn der Eindruck durch das Hinzutreten weiterer Umstände verstärkt wird (vgl. BVerfG in NJW 1982, 1803) wie die vom Amtsgericht festgestellte Durchführung eines
Fahnenappells mit von Trommelschlägen begleitetem Marsch zum Fahnenmast und Hochziehen der Fahne bei halbkreisförmiger Aufstellung, die Aufstellung von mit Springerstiefeln, schwarzen Hosen und Koppeln bekleideten, um
das Gelände des Turner- und Jugendheims patrouillierenden, dem Schutz vor linken oder antifaschistischen Gruppen dienenden Wachposten, das Tragen von Abzeichen und das teilweise als seltsam diszipliniert und appellmäßig
empfundene, den Eindruck militärischen Drills erweckende Gebaren der Gruppe (vgl. BVerfG, a. a. O.). Hingegen sind Umstände, die der Annahme konkreter oder abstrakter Gefährlichkeit in obigem Sinne entgegenstehen würden
(vgl. Wache, a. a. O.), den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen.
Dass das Amtsgericht keine ausdrücklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen hat, wie die Verteidigung des Weiteren beanstandet, erweist sich nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe als unschädlich. Für
die Zuwiderhandlung gegen § 3 VersammlG reicht bedingter Vorsatz aus, der in doppelter Hinsicht gegeben sein muss. So muss der Täter einmal das Bewusstsein haben, dass er eine Uniform oder gleichartige Kleidungsstücke trägt,
die mit denen politisch Gleichgesinnter übereinstimmen, und zum Anderen durch das Tragen dieser Kleidungsstücke eine gemeinsame politische Gesinnung mit den Anderen zum Ausdruck bringen wollen (vgl. Wache, a. a. O., § 28
Rdn 5). Hieran kann im Fall des Angeklagten N. aufgrund des feststellten äußeren Geschehensablaufs indes kein Zweifel bestehen. Dasselbe gilt im Übrigen für die von dem Auftreten der Gruppe ausgehende mögliche
massen-suggestive Wirkung. ..."
*** (LG)
Zur Auslegung des § 31 VersG (LG Hamburg, Urteil vom 07.03.1983 - (34) 172/81 Kls, NStZ 1983, 419):
„... Die neun Angekl. wollten am 8. 2. 1981 eine Geländeübung durchführen, und zwar in dem Gebiet um den Truppenübungsplatz Höltigbau in Hamburg-Rahlstedt. Die Angekl. und zwar alle Gruppenmitglieder, trugen bei der Übung
militärische Kleidung, und zwar - im freien Handel erhältliche - Bundeswehr- oder Bundesgrenzschutzkleidungsstücke (Hosen und Tarnjacken) sowie sog. Knobelbecher oder Springerstiefel.
Nachdem die Angekl. ihre Personenkraftwagen verlassen hatten, teilten sie sich in zwei Gruppen und begannen mit dem „Geländespiel". Als Ziel war ein „Angriff" auf einen in etlicher Entfernung auf dem Gelände stehenden alten
Panzer ausersehen. Die StrK sprach die Angekl. vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Uniformverbot frei. ...
2. Mit der Feststellung der vorgenannten Merkmale ist dem Wortlaut nach der Tatbestand des § 3 VersG erfüllt. Die Kammer ist gleichwohl zu der Auffassung gelangt, daß eine Bestrafung der Angekl. aus dieser Vorschrift nicht in
Betracht kommt. Sie ist dabei von folgenden Überlegungen ausgegangen:
§ 3 des VersG verbietet - in Kombination mit § 28 VersG - unter Strafandrohung das Tragen von Uniformen in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer politischen Gesinnung. Dabei wird weder nach der Art der Uniform noch der der
Gesinnung differenziert. Erklärtes Ziel der Vorschrift (vgl. dazu die Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren, insb. die mündliche Begr. des Abgeordneten Dr. Becker als Berichterstatter des federführenden Bundestagsausschusses
- Sitzung v. 26. 6. 1959, Sitzungsprot. der 220. Sitzung, S. 9736 ff.; Begr. des Bundesrates für die Anrufung des Vermittlungsausschusses, BT-Dr 1/4387; BVerfG, NJW 1982, 1803; Füßlein, VersG, § 3 Anm. 5) ist es, den freien
politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (BVerfG, aaO). Dabei hat sich der Gesetzgeber
ersichtlich von den historischen Erscheinungsbildern insb. faschistischer und nationalsozialistischer Verbände orientiert, wenn auch eine Einschränkung auf politisch verwandte oder - bezüglich der Uniformierung - gleichartig
aussehende Gruppierungen nicht erfolgt ist.
Die Vorschrift beinhaltet damit eine Einschränkung des in Art. 5 I GG gewährten Rechts zur freien Meinungsäußerung, das neben den rein verbalen Äußerungen auch bildhafte und suggestiv-kollektive Meinungsbekundungen schützt
(BVerfG, aaO). Der hohe Rang des in Art. 5 I GG geschützten Rechtsguts einerseits und die Weite hinsichtlich der vielfältigen Erscheinungsformen von Uniformierungen in diversen - auch politischen - Zusammenhängen andererseits
erfordert es nach der Überzeugung der Kammer, den Tatbestand des § 3 VersG in dem Sinne einschränkend auszulegen, daß bereits durch die Auslegung der Tatbestandsmerkmale eine deutliche Abgrenzung der vom Gesetzeszweck
erfaßten Verhaltensweisen zu denjenigen möglich ist, die lediglich äußerlich den Tatbestand erfüllen, aber eines strafrechtlichen Verbots nicht bedürfen (die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch bis zur Anrufung des
Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat befürwortete Meinung, § 3 sei zu streichen, beruhte nicht zuletzt auf den schon damals befürchteten erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten in der Praxis - vgl. die Ausf. des
Abgeordneten Dr. Becker, aaO).
3. Diese Überlegungen führen nach der Auffassung des Gerichts dazu, daß der Tatbestand des § 3 VersG so auszulegen ist, daß im konkreten Fall die massen-suggestive Wirkung des Auftretens, der mit dem Uniformverbot begegnet
werden soll, entweder objektiv erreicht werden kann (wobei wegen des Charakters des § 3 VersG als eines Gefährdungsdelikts die abstrakte Gefahr genügt) oder zumindest subjektiv erreicht werden soll.
3. 1. Eine auf der objektiven Ebene der Tatbestandsmerkmale liegende Einschränkung ließe sich dadurch erreichen, daß man für die Verwirklichung des Tatbestands das Tragen von Uniformen oder uniformähnlichen
Kleidungsstücken fordert, die bereits für sich gesehen geeignet sind, die befürchtete massen-suggestive Wirkung zu erzeugen (z.B. Uniformen der ehemaligen SA/SS oder schwarze Uniformierung als Ausdruck faschistischer
Gesinnungen). Derartige eindeutige Uniformen oder uniform-ähnliche Kleidungen erzeugen entweder aufgrund der Assoziation mit historisch bekannten politischen Kampfverbänden oder aufgrund der Tatsache, daß mangels
Vorhandenseins einer „legalen Uniform-Trägerschaft" die entsprechende Bekleidung sofort mit politischen Meinungsäußerungen in Verbindung gebracht wird, eine massen-suggestive Wirkung, ohne daß dafür zusätzlich die
Gesinnung des Trägers bekannt sein muß bzw. durch weitere Verhaltensweisen erkennbar wird. Dagegen führt das Tragen sogenannter „legaler" Uniformen (Bundeswehr, Polizei, oder ähnl.) für sich gesehen noch nicht zu einer
solchen Wirkung, da der Betrachter zunächst davon ausgehen wird, es handele sich um einen „echten" Soldaten, Polizisten usw. Erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände, (z.B. Formationsmarsch in der Innenstadt;
Mit-sich-Führen von Spruchbändern; verbale Äußerungen) kann der Betrachter in diesen Fällen den Rückschluß auf den politischen Charakter des Uniformtragens ziehen (der Rechtsradikale, der in einer einwandfreien
Bundeswehr-Uniform durch die Stadt geht, erzeugt damit allein keinerlei massen-suggestive Wirkung, selbst wenn er diese Uniform aufgrund und als Ausdruck seiner politischen Gesinnung trägt). Die Einbeziehung solcher
Verhaltensweisen unter § 3 VersG würde - wenn keine weiteren Umstände im Einzelfall hinzutreten - zu einer unzulässigen Bestrafung lediglich der hinter dem - äußerlich unverfänglichen - Uniformtragen stehenden politischen
Gesinnung führen.
3. 2. Die notwendige einschränkende Auslegung des Tatbestandes des § 3 VersG könnte allerdings auch über die subjektive Tatseite erfolgen, indem man für die Verwirklichung die Absicht, eine massen-suggestive Wirkung zu
erzeugen, fordert. Diese Auslegung könnte sich auf das Tatbestandsmerkmal „als Ausdruck einer politischen Gesinnung" in § 3 VersG stützen, in dem bereits sprachlich eine deutliche Tendenz zu einer zielgerichteten Verhaltensweise
im Sinne von Absicht anklingt.
In der - ohnehin geringen - Rechtsprechung und Literatur ist dazu bisher nicht eindeutig Stellung genommen. Während teilweise Wendungen benutzt werden, die auf das Erfordernis einer solchen Absicht schließen lassen könnten
(z.B. Füßlein, aaO -aber abw.- im Sinne eines dolus eventualis - in der Kommentierung zu § 28 Anm. 1; Dietel-Gintzel, VersG, 6. Aufl., S. 63, 64), ist an anderer Stelle (Meyer, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 28 Anm. 4)
ohne weitere Begründung davon die Rede, daß ein bedingter Vorsatz ausreicht.
3. 3. Die Kammer neigt dazu, als restriktives Tatbestandsmerkmal dasjenige der „Geeignetheit der Uniform" in dem oben näher erläuterten Sinn für erforderlich zu halten, wobei dann - wegen des Charakters des Delikts als eines
abstrakten Gefährdungsdeliktes - subjektiv ein dolus eventualis als ausreichend zu erachten wäre. Dies würde zum einen die oben angesprochenen Gefahren des reinen Gesinnungsstrafrechts, zum anderen die erheblichen praktischen
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der subjektiven Abgrenzung vermeiden.
Im vorl. Falle bedurfte es jedoch einer abschließenden Entscheidung insoweit nicht, weil nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer weder das eine noch das andere eben abgehandelte Tatbestandsmerkmal gegeben ist. ..."
*** (StA)
Das Tragen von Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di verstößt nicht gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersG (StA Osnabrück, Entscheidung vom 28.04.2006 - 730 UJs 12661/06, NStZ 2007, 183):
„... Wie Ls. Die aus dünnem Plastikmaterial bestehenden Streikwesten sind keine Uniformen oder Uniformteile, weil die Streikenden Zivil- oder Arbeitskleidung tragen, die unter den Westen deutlich sichtbar bleibt.
Die Streikwesten sind auch keine ‚gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.v. § 3 VersammlG, weil sie als dünne Plastikgebilde mit Einweg-Charakter schon keinen Bekleidungscharakter aufweisen, aber zumindest nicht Uniformen ähnlich sind.
Die Auslegung des Merkmals ‚gleichartige Kleidungsstücke' anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt, dass hierunter nicht sämtliche gleichartigen zivilen Kleidungsstücke zu verstehen sind, sondern nur solche, die eine
uniformähnliche Wirkung entfalten, also suggestiv-militante Effekte erzielen.
Das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft bei einem Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung ist Ausdruck der grundrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit und nicht ‚Ausdruck einer gemeinsamen
politischen Gesinnung' i.S.v. § 3 VersammlG. ...
Die StA stellte das aufgrund einer Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren ein. ...
Es ist bei der StA Osnabrück eine Strafanzeige eines privaten Anzeigeerstatters vom 3. 3. 2006 gegen namentlich unbekannte Streikende, die in der Zeitung abgebildet waren, eingegangen mit dem Tatvorwurf, durch das Tragen von
Plastik-Streikwesten der Gewerkschaft Ver.di gegen das Uniformverbot gemäß §§ 3, 28 VersammlG verstoßen zu haben.
Gemäß § 3 I VersammlG ist es verboten, ‚in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' zu tragen. Ein Verstoß ist nach § 28 VersammlG strafbar.
Da davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den in der Strafanzeige bezeichneten gewerkschaftlichen Aktionen mit zahlreichen auf Zeitungsfotos abgebildeten Teilnehmern um Versammlungen im Sinne des
Versammlungsgesetzes handelte, ist zur Prüfung einer Strafbarkeit nach den §§ 3, 28 VersammlG festzustellen, ob es sich bei den Plastikwesten mit aufgedrucktem Gewerkschafts-Logo, die von den Teilnehmern getragen werden, um
Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke i.S.d. § 3 VersammlG handelt und ob diese als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden.
Bei den aus einem dünnen Plastikmaterial (ähnlich wie bei Müllsäcken) bestehenden Streikwesten handelt es sich offensichtlich nicht um Uniformen oder Uniformteile. Im Gegensatz zur Zivilkleidung handelt es sich bei einer
Uniform um eine einheitliche Dienstkleidung z.B. von Soldaten, von Polizeibeamten oder früher von Eisenbahn- oder Postbeamten. Uniformen können sein einheitliche Hemden, Jacken, Hosen, Röcke, Kopfbedeckungen oder Gürtel
(BayObLG v. 20. 1. 1987 - RReg. 4 St 209/86, NJW 1987, 1778 mwN). Stets muss die Kleidung nach Form, Farbe, Schnitt und sonstiger Aufmachung von der allgemein üblichen Bekleidung abweichen (KG v. 19. 3. 2001 - [3] 1 Ss
344/00 [105/00], juris). Die Streikenden tragen Zivil- oder Arbeitskleidung, über die sie die Plastikwesten gezogen haben. Die darunter getragene zivile Bekleidung bleibt weitgehend sichtbar und unterscheidet die einzelnen Personen deutlich.
Die Plastikwesten stellen auch kein Uniformteil dar. Uniformteile sind z.B. Waffenröcke, Mützen, Schulterstücke, Hemden mit aufgesetzten Brusttaschen und Schulterklappen oder Stiefel (BayObLG aaO). Uniformteile müssen
unschwer von einem objektiven Betrachter wegen ihrer Gleichartigkeit als Bestandteil einer Uniform erkannt werden können, sie müssen ihrem Charakter nach Unformen oder Uniformteilen entsprechen (KG aaO). Das KG weiter:
‚Das Verbot erfasst danach nur einen sehr engen Kreis gleichartiger Kleidungsstücke. Jede Form gleicher Kleidung darf gewählt werden, mit Ausnahme solcher, die den Eindruck von Uniformen oder Uniformteilen hervorrufen.' Die
Streikwesten vermitteln optisch und vom Material her alles andere als den Eindruck eines Uniformteiles.
Es bleibt zu prüfen, ob diese Westen als ‚gleichartige Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG anzusehen sind. Gleichartige Kleidungsstücke sind (nach dem Kommentar zu § 3 des VersammlG Dietel/Gintzel) Kleidung und
Kleidungsbestandteile jeder Art, die sich durch Uniformität auszeichnen und damit ihrem Charakter nach Uniformen oder Uniformteilen entsprechen, beispielsweise die Roben von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und
Geistlichen, die Bekleidung von Krankenschwestern und Nonnen, Sportbekleidung, Trachten, Kluften u.ä. Auch bestimmte Teile der Bekleidung (Krawatten, Kopfbedeckungen, u.U. auch gleichartige Masken oder Schutzhelme,
eventuell auch Stiefel und Koppel) kommen in Betracht.
Die Plastikwesten können zwar bei reiner Wortauslegung das Merkmal des gleichartigen Kleidungsstücks noch erfüllen, wobei man jedoch auch die Auffassung vertreten kann, dass ein dünnes Plastikgebilde mit Einweg-Charakter
kein Kleidungsstück sei, da sich niemand im Alltagsleben damit bekleiden würde und die Westen nicht einmal als Regenüberzug brauchbar sind. Danach würden die Streikwesten wegen der darauf befindlichen Aufdrucke (‚Ver.di'
und ‚Streik') eher den Charakter eines vom Träger umgehängten Plakates haben, was keinen Verstoß gegen § 3 VersammlG darstellen würde.
Selbst wenn man eine Kleidungseigenschaft bejahen würde, sind die Westen keine ‚gleichartigen Kleidungsstücke' i.S.d. § 3 VersammlG. Sie weisen nicht die gleiche Art wie eine Uniform auf. Sie zeigen keine Bezüge zu Uniformen
oder zur Bekleidung historisch bekannter militanter Gruppen (vgl. dazu BVerfG v. 27. 4. 1982 - 1 BvR 1138/81, NJW 1982, 1803; KG aaO). Sie substituieren keine Uniform (KG aaO). Weiterhin ist im Hinblick auf die
Entstehungsgeschichte des Versammlungsgesetzes und den mit dem Uniformverbot verfolgten Gesetzeszweck, den freien politischen Meinungskampf vor Beeinträchtigungen in suggestiv-militanter Form durch einschüchternde
militärische Uniformierung als Ausdruck politischer Gesinnung zu schützen (vgl. BT-Dr 1/4387), eine verfassungskonform eingeschränkte Auslegung des Merkmals der ‚gleichartigen Kleidungsstücke' geboten (BVerfG NJW 1982,
1803; LG Hamburg NStZ 1983, 419).
Gleichartige Kleidungsstücke im Sinne dieser Vorschrift sind danach nicht alle zivilen Kleidungsstücke von gleichem Aussehen, sie müssen eine uniformartige Wirkung entfalten. ‚Das Tragen speziell von Uniformen als Ausdruck
politischer Gesinnung ist aber - wie historische Erfahrungen bestätigen - geeignet, nicht nur die Außenwirkungen kollektiver Äußerungen zu verstärken, sondern darüber hinaus suggestiv-militante Effekte in Richtung auf
einschüchternde uniforme Militanz auszulösen' (BVerfG NJW 1982, 1803).
Die Plastikwesten der Streikenden erfüllen diese Voraussetzungen nicht, da sie weder den Effekt einer einschüchternden Militanz (wie z.B. braune oder schwarze Hemden, insbesondere bei Stiefelträgern) haben noch kann ihnen eine
Massensuggestivwirkung beigemessen werden. Hinzu kommt, dass es den Streikteilnehmern an einem militärischen Gebaren fehlte. Sie bewegten sich z.B. nicht als eine militärische Formation.
Weitere Voraussetzung für einen Verstoß gegen § 3 I VersammlG wäre außerdem, dass das gemeinsame Tragen eines einheitlichen Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung
bewertet wird und dies auch von den Trägern dieser Kleidungsstücke erkannt wird.
Von politischen Veranstaltungen sind solche abzugrenzen, die nur der Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen dienen und den besonderen Schutz des Art. 9 III GG genießen. Zum verfassungsrechtlich geschützten Bereich
der koalitionsmäßigen Betätigung einer Gewerkschaft gehört neben dem Recht auf Abschluss von Tarifverträgen u.a. das Recht, über Lohn und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung und ohne staatliche
Einflussnahme zu verhandeln (BVerfGE 44, 322, 340f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Ein gewerkschaftl. geführter Streik ist nur rechtmäßig, wenn es um Ziele geht, die tarifvertraglich regelbar sind, die tauglicher Inhalt eines
Tarifvertrages sein können (zuletzt BAG Urt. v. 27. 6. 1989, BAGE 62, 171 = AP Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 1989, 2229 unter Bezugnahme auf BAG Urt. v. 7. 6. 1988, BAGE 58, 343 = AP Nr. 106 zu Art. 9 GG,
Arbeitskampf = DB 1988, 2102).
Im vorliegenden Fall handelte es sich eindeutig um einen Streik im Rahmen einer tarifvertraglichen Auseinandersetzung um längere Arbeitszeiten. Es handelt sich damit nicht um einen politischen Streik. Daher wird man bei den
Streikteilnehmern das Tatbestandsmerkmal ‚Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung' i.S.d. § 3 VersammlG im vorliegenden Fall nicht annehmen können.
Der Tatbestand des § 3 VersammlG wird durch das Tragen der Plastik-Streikwesten nicht erfüllt, eine Strafbarkeit nach § 28 VersammlG ist dementsprechend nicht gegeben. ..."
***
Das öffentliche Tragen blau-gelb gefärbter Anoraks durch Abgeordnete der FDP verstößt nicht gegen das Uniformverbot des § 3 I VersG (StA Konstanz, Verfügung vom 23.02.1984 - 11 Js 16/84, NStZ 1984, 322).
§ 29
(1) Ordnungswidrig handelt, wer
1. an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug teilnimmt, deren Durchführung durch vollziehbares Verbot untersagt ist,
1a.entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 2 bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und
den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt.
2. sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt,
3. als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt,
4. trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortfährt, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu stören,
5. sich nicht unverzüglich nach seiner Ausschließung aus einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug entfernt,
6. der Aufforderung der Polizei, die Zahl der von ihm bestellten Ordner mitzuteilen, nicht nachkommt oder eine unrichtige Zahl mitteilt (§ 9 Abs. 2),
7. als Leiter oder Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges eine größere Zahl von Ordnern verwendet, als die Polizei zugelassen oder genehmigt hat (§ 9 Abs. 2, § 18 Abs. 2), oder Ordner verwendet, die anders
gekennzeichnet sind, als es nach § 9 Abs. 1 zulässig ist, oder
8. als Leiter den in eine öffentliche Versammlung entsandten Polizeibeamten die Anwesenheit verweigert oder ihnen keinen angemessenen Platz einräumt.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 5 mit einer Geldbuße bis tausend Deutsche Mark und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 bis 8 mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Deutsche Mark geahndet werden.
Leitsätze/Entscheidungen:
„... Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. April 2009 - 1125 OWi 111 Js 10211/09 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht München zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. August 2009 - 2 Ss
OWi 811/2009 - gegenstandslos.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt. ...
I. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Verurteilung zu einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
1. Die Beschwerdeführerin nahm am 1. Mai 2008 an einer Versammlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München mit dem Thema ‚01. Mai. Tag der Arbeit' teil. Angemeldet waren eine stationäre Auftaktkundgebung, ein
Versammlungszug und eine stationäre Abschlusskundgebung. Für die Versammlung hatte das Kreisverwaltungsreferat München als zuständige Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 28. April 2008 unter dem Unterpunkt
‚Kundgebungsmittel / Versammlungshilfsmittel' unter anderem die Auflage erlassen, dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen, sowie für
Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen. Während des Versammlungszuges benutzte die Beschwerdeführerin an zwei Orten einen Lautsprecher, welcher auf einem Handwagen mitgeführt wurde, für folgende Durchsagen:
‚Bullen raus aus der Versammlung!' und ‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!'.
2. Gegen die Beschwerdeführerin wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführerin mit angegriffenem Urteil wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtbeachtung
beschränkender Auflagen) gemäß § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG zu einer Geldbuße von 250 Euro.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Auflage bestünden keine Bedenken. Zwar sei ein gänzliches Verbot des Einsatzes von Lautsprecheranlagen bei einer Versammlung nicht zulässig, die Versammlungsbehörde könne jedoch insoweit
Beschränkungen anordnen, als beispielsweise die Sicherheit des Straßenverkehrs oder der Schutz unbeteiligter Dritter vor schädlichen Umwelteinwirkungen dies erforderten und die Verwendung von Lautsprechern nicht funktional zur
Verwirklichung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit notwendig seien. Der Zweck einer kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe entfalle, wenn der Einsatz elektronischer Verstärker allein oder hauptsächlich anderen
Zwecken als der Meinungskundgabe zu versammlungsbezogenen Themen diene. In diesem Falle sei der Einsatz des Verstärkers nicht anders zu bewerten, als wenn eine Einzelperson oder die Veranstalter eines Informationsstandes
sich eines Verstärkers bedienten, um ihr Anliegen zu verbreiten. Die Beschränkung von Lautsprecherdurchsagen auf versammlungsthemenbezogene Meinungsäußerungen und auf Ordnungsdurchsagen sei vor diesem Hintergrund im
Lichte der Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Die Beschränkung auf Ordnungsdurchsagen sei auch nicht wegen mangelnder Bestimmtheit unzulässig. Es handele sich dabei zwar um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei
vernünftiger Betrachtung sei jedoch offensichtlich, was damit gemeint sei: Durchsagen, welche Störungen des Versammlungszuges von außen oder innen vermeiden sollen.
Vorliegend habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Aussage aber weder eine eventuelle Störung der Versammlung beseitigen wollen noch habe sie eine versammlungsthemenbezogene Aussage getätigt. Sie habe vielmehr allein ihre
Meinung und ihr Missfallen zur beziehungsweise über die Teilnahme von Zivilpolizisten an dem Zug Ausdruck verleihen wollen und insoweit eher zur Hervorrufung von Störungen beigetragen als solche verhindern wollen. Auch eine
weitergehende Verknüpfung mit einem besonderen Thema oder mit dem spezifischen Versammlungsthema sei bei der getätigten Aussage nicht erkennbar. Insbesondere werde aus der Art der getätigten Äußerung deutlich, dass die
Beschwerdeführerin durch ihre Äußerung auch keinen politischen Diskurs und Meinungsaustausch über ein zu viel an Polizeipräsenz bei bayerischen Versammlungen beabsichtigt habe. Der Beschwerdeführerin sei die gegenständliche
Auflage auch bekannt gewesen und bewusst gewesen, dass die beiden von ihr getroffenen Aussagen weder in direktem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema standen noch einen geordneten Versammlungsablauf bezweckten.
3. Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag der Beschwerdeführerin, gemäß § 80 Abs. 1 OWiG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, als unbegründet.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere eine Verletzung in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
5. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. In einer dem Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis gegebenen
Stellungnahme der Landeshauptstadt München gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium des Innern hat die Landeshauptstadt München die Auffassung vertreten, dass die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen
Anforderungen entsprechen. Insbesondere fielen die fraglichen Äußerungen bereits nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, jedenfalls wäre der Eingriff aber gerechtfertigt. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz sowie das Bayerische Staatsministerium des Innern haben von einer weiteren Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG rügt, liegen die
Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz der Versammlungsfreiheit sind geklärt (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>;
84, 203 <209 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 f.>). Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
1. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet. Die Beschwerdeführerin war unstreitig Teilnehmerin einer auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung und damit einer Versammlung im
Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>). Vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit grundsätzlich umfasst war damit auch die Verwendung von Lautsprechern oder Megaphonen als Hilfsmittel (vgl. BVerfGK
11, 102 <108>). Die als bußgeldbewehrt erachteten Lautsprecherdurchsagen standen auch inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Durchführung der Versammlung. Mögen sie auch
keinen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen haben und nicht auf die Einhaltung der Ordnung gerichtet gewesen sein, so gaben sie jedenfalls das versammlungsbezogene Anliegen kund, dass sich in dem auf den
Willensbildungsprozess gerichteten Aufzug selbst nur solche Personen befinden sollen, die am Willensbildungsprozess auch teilnehmen, nicht aber auch am Meinungsbildungsprozess unbeteiligte Polizisten, die als solche nicht
erkennbar sind. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>). Wer an einer solchen Versammlung teilnimmt, ist
grundsätzlich auch dazu berechtigt, während der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen. Insoweit
ist die entsprechende Lautsprecheraussage nicht - wie das Amtsgericht annimmt - dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entzogen.
b) Durch die Sanktionierung der Lautsprecherdurchsagen mit einem Bußgeld greift die amtsgerichtliche Entscheidung in diesen Schutzbereich ein. Dieser Eingriff ist auf der Grundlage der gerichtlichen Feststellungen nicht gerechtfertigt.
(1) Zwar ist die Versammlungsfreiheit nicht unbeschränkt gewährleistet. Bei Versammlungen unter freiem Himmel sind zur Wahrung kollidierender Interessen Dritter Eingriffe in das Grundrecht gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz
oder aufgrund eines Gesetzes zulässig (vgl. BVerfGE 87, 399 <406>). Es handelt sich bei der zur Anwendung gelangten Bußgeldvorschrift des § 29 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 VersG um ein solches Gesetz, dessen Auslegung und
Anwendung grundsätzlich Sache der Strafgerichte ist (vgl. BVerfGK 10, 493 <495>). Allerdings haben die staatlichen Organe und damit auch die Strafgerichte die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der
grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutze gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>).
(2) Diesem Maßstab wird die amtsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld nicht gerecht.
Indem die amtsgerichtliche Entscheidung die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße in der Sache allein darauf stützte, dass sie die Lautsprecheranlage zu einem anderen Zweck als zu einer im engen Sinne
themenbezogenen Durchsage oder Ordnungsmaßnahme nutzte, verkennt sie den Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG, der - wie dargelegt - jedenfalls grundsätzlich auch Äußerungen zu anderen versammlungsbezogenen Fragen erlaubt.
Insoweit konnte sich das Gericht auch nicht uneingeschränkt auf die entsprechende Auflage berufen. Vielmehr durfte es die Auflage nur dann als verfassungsgemäß ansehen, wenn es sie einer Auslegung für zugänglich hielt, nach der
andere als strikt themenbezogene Äußerungen mit Versammlungsbezug von ihr nicht ausgeschlossen sind. An einer solchen Berücksichtigung des Schutzgehaltes der Versammlungsfreiheit fehlt es indes. Vielmehr belegt die
angegriffene Entscheidung die in Frage stehenden versammlungsbezogenen Äußerungen unabhängig von jeder Störung mit einer Geldbuße. Für eine Störung durch den Gebrauch der Lautsprecheranlage im konkreten Fall ist weder
etwas dargetan noch ist sie sonst ersichtlich. Die Lautsprecherdurchsagen der Beschwerdeführerin waren erkennbar nicht geeignet, mehr als allenfalls unerhebliche Unruhe innerhalb der Versammlung zu stiften. Der bloße Aufruf
‚Zivile Bullen raus aus der Versammlung - und zwar sofort!' mag bei lebensnaher Betrachtung kurzfristige Irritationen von Versammlungsteilnehmern hervorrufen, war aber ersichtlich nicht zur Störung des ordnungsgemäßen Verlaufs
der Versammlung geeignet. Insbesondere wurden Zivilpolizisten nicht konkret und in denunzierender Weise benannt und so etwa in die Gefahr gewalttätiger Übergriffe aus der Versammlung gebracht. Auch eine mögliche
Beeinträchtigung der Gesundheit von Dritten durch übermäßigen Lärm erscheint durch die bloß kurzzeitige zweimalige Benutzung des Lautsprechers ausgeschlossen. Insgesamt ist damit nicht erkennbar, dass Gefährdungen vorlagen,
die die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld rechtfertigten.
2. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auch auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei einer erneuten Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen
des Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Das angegriffene Urteil ist daher aufzuheben, die Sache ist an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2
BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde vom 5. August 2009 ist damit gegenstandslos.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). ..."
(BVerfG, Beschluss vom 26.06. 2014 - 1 BvR 2135/09)
***
„... Hinsichtlich der Möglichkeit nachträglicher Ahndung entnimmt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise dem Art. 8 GG das Erfordernis, dass die Strafgerichte für die Weigerung, sich unverzüglich aus einer aufgelösten
Versammlung zu entfernen, gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine Geldbuße nur dann verhängen dürfen, wenn feststeht, dass die Auflösung versammlungsrechtlich rechtmäßig war (vgl. BVerfGE 87, 399 <399, 407 ff. [BVerfG
24.11.1992 - 2 BvR 2033/89] >). Entsprechendes gilt für die Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug, welche durch vollziehbares Verbot untersagt sind, als Ordnungswidrigkeit gemäß § 29
Abs. 1 Nr. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. März 1998 - 1 BvR 2165/96 , 1 BvR 2168/96 -, JURIS, Rn. 13). Eine vergleichbare Argumentation liegt der Annahme eines Verstoßes gegen Art.
2 Abs. 1 GG zugrunde, wenn die Verweigerung der Angabe der Personalien nach § 111 OWiG geahndet wird, ohne dass zuvor die Rechtmäßigkeit der Aufforderung in vollem Umfang überprüft worden ist (vgl. BVerfGE 92, 191
<191, 199 ff. [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] >).
bb) Daraus folgt jedoch nicht, dass auch eine Bestrafung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB stets nur mit den Grundrechten vereinbar wäre, wenn die Diensthandlung nach öffentlich-rechtlichen
Maßstäben rechtmäßig ist. Denn das ausnahmslose Erfordernis einer verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Ausgangsmaßnahmen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Erwägungen der
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gestützt (vgl. BVerfGE 87, 399 <410>; 92, 191 <201> [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR 1564/92] ), deren Übertragbarkeit anhand der jeweils zu beurteilenden Sanktionsnorm zu prüfen und im Falle
des § 113 StGB zu verneinen ist.
(1) Der Bürger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Grundrechtsschutz sich in einem Rechtsstaat über die Beachtung der maßgebenden Gesetze durch die eingreifende Staatsgewalt verwirklicht. Soll bei der nachträglichen
Ahndung des Verhaltens eines Bürgers gleichwohl vom Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung abgesehen werden, bedarf dies besonderer Gründe. Ein solcher Grund kann in den präventiven, auf den Schutz des
handelnden Amtsträgers gerichteten Wirkungen einer Sanktionsandrohung liegen. Diesem Schutzziel steht allerdings das Interesse des Bürgers gegenüber, nicht auch noch mit einer Strafsanktion überzogen zu werden, wenn er an
seiner Grundrechtsausübung durch eine rechtswidrige Verwaltungsmaßnahme gehindert worden ist, der er sich widersetzt hat. Diese gegenläufigen Interessen bedürfen der angemessenen Zuordnung.
(2) Bei den von § 113 Abs. 1 StGB erfassten Tathandlungen des Widerstandleistens mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder des tätlichen Angriffs ist es danach weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung von
Verfassungs wegen verwehrt, sie im Rahmen der Auslegung und Anwendung des § 113 StGB auch dann als strafbar zu bewerten, wenn sie auf nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben als rechtswidrig zu beurteilende
Diensthandlungen reagieren.
Der entsprechende Grundrechtseingriff wiegt zwar schwerer als bei jenen Bußgeldtatbeständen, bei denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes
ausscheidet. Das Gewicht der präventiven Schutzzwecke, die Gesetzgeber und Strafgerichte der Strafandrohung beimessen dürfen, ist jedoch im Falle des § 113 Abs. 1 StGB so hoch, dass auch dieser schwerwiegendere Eingriff
gerechtfertigt ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1999 - 1 BvR 2017/97 -, NJW 2000, S. 943 <944> [BVerfG 19.11.1999 - 1 BvR 2017/97] ). Denn die Vorschrift erfasst mit dem
Widerstandleisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie dem tätlichen Angriff Verhaltensweisen, die sich nicht auf eine bloße Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen beschränken, sondern eigenständige
Rechtsgutbeeinträchtigungen von erheblichem Gewicht bewirken. Zudem betrifft sie häufig Situationen, in denen der Amtsträger bereits zu Zwangsmaßnahmen gegriffen hat, und der Betroffene sich durch die Widerstandshandlung
gerade entschlossen zeigt, sich auch hiergegen zur Wehr zu setzen. Soweit vollstreckungsrechtliche Duldungspflichten des Betroffenen bestehen, erweisen sich diese in solchen Situationen auch im Verbund mit der Drohung der
Zwangsanwendung gerade als nicht ausreichend, um dem Behördenwillen Nachdruck zu verleihen und dessen Durchsetzung zu gewährleisten. Angesichts dessen genügt die Verwendung des so genannten strafrechtlichen
Rechtmäßigkeitsbegriffs im Bereich des § 113 Abs. 3 StGB den grundrechtlichen Anforderungen, die an die Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Strafbewehrung derartiger Duldungspflichten zu stellen sind.
cc) Die Strafgerichte haben jedoch bei der konkretisierenden Auslegung und Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite der grundrechtlich
geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten.
Vorliegend bedarf keiner allgemeinen Klärung, welche Anforderungen danach an die in § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB geforderte Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungshandelns zu stellen sind, gegen die die
Widerstandshandlung sich richtet. Verfassungsrechtlich ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den
Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen, etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer spannungsreichen Lage, geschuldet sind (vgl. dazu auch BVerfGE 92, 191 <200> [BVerfG 07.03.1995 - 1 BvR
1564/92] ) und in der Folge in einer fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen. Andernfalls wäre der vom
Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise durch § 113 StGB beabsichtigte Schutz der Amtsträger deutlich abgeschwächt.
Andererseits können bestimmte Rechtsfehler der handelnden Amtsträger, wie in der Rechtsprechung und Literatur trotz eines anhaltenden Meinungsstreits über einzelne der Voraussetzungen anerkannt ist, dazu führen, dass eine
Verurteilung nach § 113 Abs. 1 StGB ausscheidet (dazu vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, Rn. 11 zu § 113 m.w.N.; Eser in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Rn. 23 ff. zu § 113). So hängt die
Rechtmäßigkeit jedenfalls von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beamten zum Eingreifen sowie von den zum Schutz des Betroffenen wesentlichen Förmlichkeiten ab, soweit solche vorgeschrieben sind. Als wesentliche
Förmlichkeiten werden in Rechtsprechung und Literatur beispielsweise angesehen: das Vorliegen eines vollstreckbaren Titels bei der Zwangsvollstreckung, die Eröffnung des zur Last gelegten Fehlverhaltens bei
Identifizierungsmaßnahmen, das Eröffnen des Vorführungsbefehls nach § 134 StPO oder die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung oder zur Durchsuchung (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 17; Eser, a.a.O., Rn. 26 jeweils
m.w.N). Ferner wird in der Rechtsprechung eine pflichtgemäße Prüfung der sachlichen Eingriffsvoraussetzungen verlangt. Entscheidend ist, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher
pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (vgl. BGHSt 21, 334 <363> [BGH 10.11.1967 - 4 StR 512/66] ; BGH, Urteil vom 23. Februar 1962 - 4 StR
511/61 -, NJW 1962, S. 1020 <1021 [BGH 23.02.1962 - 4 StR 511/61] l. Sp.>; KG, Urteil vom 11. Mai 2005 - <5> 1 Ss 61/05 <12/05> -, NStZ 2006, S. 414 <414 f.> [KG Berlin 11.08.2005 - 5 Ws 341/05 Vollz] ; vgl. auch die
Formulierung, die Amtshandlung müsse sich ‚objektiv im Rahmen des Vertretbaren' gehalten haben: OLG Köln, Urteil vom 17. Dezember 1985 - 1 Ss 318/85 -, NStZ 1986, 234 <235>).
Bei der Konkretisierung der nach dieser Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen der Wahrung wesentlicher Förmlichkeiten und der pflichtgemäßen Prüfung von Eingriffsvoraussetzungen haben die Strafgerichte der Bedeutung
der durch die Diensthandlung betroffenen Grundrechte Rechnung zu tragen. Werden dem Amtsträger ohne Weiteres erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner Befugnisse nicht beachtet, überwiegt das in einem Rechtsstaat
wichtige Interesse des Bürgers, darauf vertrauen zu dürfen, dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden entsprechende grundlegende rechtliche Anforderungen an
Grundrechtseingriffe verletzt, darf der auf die Möglichkeit zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung - für den kein Anlass bestanden hätte, wenn ein verständiger
Amtsträger die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb unterlassen hätte - nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer strafrechtlichen Sanktion geahndet werden.
Unberührt bleibt davon allerdings die Frage der Strafbarkeit einer im Zuge der Widerstandshandlung begangenen weiteren Straftat.
b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
aa) Der Einsatzleiter hat Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer als Teilnehmer einer Versammlung durchgeführt, ohne diese zuvor aufgelöst oder den Beschwerdeführer aus der Versammlung ausgeschlossen zu
haben. Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden - wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme - sind rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst oder der Teilnehmer
auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde (vgl. BVerfGK 4, 154 <158 ff.>; OVG Bremen, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BA 15/86 -, NVwZ 1987, S. 235 <236> [OVG Bremen
04.11.1986 - 1 BA 15/86] ; OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 31 ff.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, NVwZ 2001, S. 1315 [OVG
Nordrhein-Westfalen 02.03.2001 - 5 B 273/01] <betreffend eine Einkesselung>; VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 - 12 VG 2442/86 -, NVwZ 1987, S. 829 <831 f.> [VG Hamburg 30.10.1986 - 12 VG 2442/86 Sb] ).
Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschließt. Denn
es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig
Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der
Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten.
(1) Die Festnahme und der Abtransport des Beschwerdeführers waren nach den gerichtlichen Feststellungen auf die Beendigung sowohl seiner Teilnahme an der von ihm initiierten Veranstaltung als auch dieser Veranstaltung
insgesamt gerichtet. Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers zielte nicht mehr allein auf die Verhinderung des Megaphoneinsatzes. Vielmehr sollte die weitere Teilnahme des Beschwerdeführers an der Versammlung
unterbunden werden. Die abwehrenden Maßnahmen des Beschwerdeführers geschahen als Reaktion auf den Versuch, ihn in Verfolgung dieses Zwecks in Gewahrsam zu nehmen. Für einen die Mitwirkung an der Versammlung
ausschließenden Gewahrsam hätte kein Anlass bestanden, wenn es nur darum gegangen wäre, die Megaphonnutzung zu unterbinden. Dass die Zielsetzung der Ingewahrsamnahme deutlich darüber hinausging, zeigte sich auch daran,
dass sie bis zur Beendigung der CDU-Veranstaltung anhielt und dazu führte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr an der von ihm initiierten Versammlung teilnehmen konnte.
(2) Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich nach dem Versammlungsgesetz . Dieses Gesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154
<158>). Daraus ergeben sich besondere Anforderungen für einen polizeilichen Zugriff auf Versammlungsteilnehmer. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der
Versammlung beschränkt wird, scheidet aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsgesetzlichen Regelungen aus (vgl. BVerfGK 4, 154 <158, 160>). Für Beschränkungen der Versammlungsteilnahme stehen der Polizei lediglich die
abschließend versammlungsgesetzlich geregelten teilnehmerbezogenen Maßnahmen zu Gebote, für die im Interesse des wirksamen Grundrechtsschutzes strengere Anforderungen bestehen als für polizeirechtliches Einschreiten
allgemein. Diesen Anforderungen genügten die polizeilichen Maßnahmen nicht.
(a) Eine Auflösung der Versammlung ist nicht erfolgt.
Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung eindeutig und nicht
missverständlich formuliert ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist (vgl. BVerfGK 4, 154 <159>; OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 8 N 129.02 -, NVwZ-RR
2003, S. 896 <897> [OVG Berlin 17.12.2002 - 8 N 129/02] ). Dieses Erfordernis soll den Beteiligten Klarheit darüber verschaffen, dass nunmehr der Grundrechtsschutz entfällt. Die Gerichte haben vorliegend nicht festgestellt, dass
eine derartige Auflösungsverfügung erlassen worden ist. Auch wenn eine Auflösung nicht formgebunden ist, muss sie doch eigenständig erfolgen und eindeutig sein; sie ist insofern eine förmliche Voraussetzung der Rechtmäßigkeit
darauf aufbauender Handlung, wie hier einer Entfernung des Versammlungsleiters aus der Versammlung.
(b) Der Beschwerdeführer wurde auch nicht auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen.
Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch die Ausschlussverfügung muss hinreichend bestimmt
sein. Die Erklärung des Ausschlusses hat, wie diejenige der Auflösung (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 32), besondere Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit. Ihre
Notwendigkeit gibt der Polizei zum einen Anlass, sich über das Ziel ihrer Maßnahmen Rechenschaft zu geben und die rechtlichen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bedenken. Vor allem aber dient sie dazu, dem Teilnehmer
bewusst werden zu lassen, dass der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl. BVerfGK 4, 154 <159>). Ihm soll damit auch Gelegenheit gegeben werden, die Grundrechtsausübung ohne unmittelbaren Polizeizwang zu
beenden, indem er sich aus der Versammlung von sich aus entfernt. Dass eine diesen Anforderungen genügende Ausschlussverfügung vorliegend ergangen wäre, haben die Gerichte nicht festgestellt. Auch insofern hat es an einer
wesentlichen Förmlichkeit der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer gefehlt.
(c) Es ist auch keine anderweitige - etwa als Platzverweis intendierte - an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung mit vergleichbarem Inhalt ergangen, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob auch eine derartige Verfügung
ausreichen kann (vgl. BVerfGK 4, 154 <154, 159>).
bb) Die Kenntnis der Maßgeblichkeit versammlungsrechtlicher Regeln unter Einschluss der besonderen Voraussetzungen von Maßnahmen, die eine Versammlungsteilnahme unmöglich machen, kann von einem verständigen
Amtsträger erwartet werden. Kennt er sie nicht und verweigert er in der Folge dem Grundrechtsträger die in der Rechtsordnung geforderte Klarheit über den Wegfall des Schutzes der Versammlungsfreiheit, darf dies nicht dem
betroffenen Grundrechtsträger angelastet werden; Art. 8 Abs. 1 GG gebietet, eine derartige Vollstreckungshandlung grundsätzlich als rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB anzusehen.
Anlass für eine Ausnahme bestand im vorliegenden Fall nicht. Dass der Einsatzleiter das Erfordernis einer versammlungsrechtlichen Auflösung oder des Ausschlusses des Beschwerdeführers aus der Versammlung vor der
Durchführung von Vollstreckungshandlungen verkannt hat, war nicht den besonderen situativen Umständen seines Eingreifens geschuldet. Der bei der Ingewahrsamnahme aus der Versammlung heraus erfolgte Fehler prägte das
Handeln des Einsatzleiters von Anfang an, nämlich schon vor Beginn der tumultartigen Umstände im weiteren Verlauf der Aktion. Er beruhte auf einer grundsätzlichen Verkennung der rechtlichen Voraussetzungen
versammlungsbezogener Maßnahmen, also auch des Erfordernisses einer Versammlungsauflösung oder des Ausschlusses aus der Versammlung vor dem Eingreifen von Maßnahmen zur Realisierung von Auflösung oder Ausschluss.
3. Diese rechtlichen Voraussetzungen der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen und in der Folge der Bejahung einer Rechtmäßigkeit der Amtshandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB haben die Gerichte nicht
erkannt; dieser Fehler hat sich auf die Anwendung des § 113 Abs. 1 StGB ausgewirkt. Die Gerichte haben den Verstoß gegen Art. 8 GG durch die strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten des Beschwerdeführers, der sich der
Entfernung aus der Versammlung widersetzte, fortgesetzt.
Die Entscheidungen beruhen auf dieser Verletzung des Art. 8 GG . Bei Wahrung der grundrechtlichen Anforderungen hätten die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung gemäß § 113 Abs. 3 StGB nicht bejahen und auf dieser
Grundlage nicht zu einer Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte beziehungsweise - im Falle des Oberlandesgerichts - zur Aufrechterhaltung der Verurteilung gelangen dürfen.
4. Dies bedeutet nicht, dass die Tätlichkeit des Beschwerdeführers strafrechtlich sanktionslos bleiben muss. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, Rechtsgutverletzungen, die über die Missachtung der behördlichen Maßnahme
hinausgehen - etwa eine Körperverletzung - nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts zu ahnden. Vorliegend haben die Gerichte dementsprechend das Verhalten des Beschwerdeführers als gefährliche Körperverletzung eingeordnet.
Allerdings haben die Gerichte infolge der fehlerhaften Bewertung der Amtshandlung als rechtmäßig nicht prüfen müssen, ob und wie weit deren Rechtswidrigkeit Bedeutung für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung
haben musste. Insofern sei klarstellend darauf hingewiesen, dass die vorstehenden Ausführungen sich nur auf die Bestrafung nach § 113 StGB beziehen. Es ist von Verfassungs wegen nicht vorgegeben, dass die Rechtswidrigkeit der
Diensthandlung auch eine Bestrafung allein wegen der gefährlichen Körperverletzung ausschließt, etwa unter dem Gesichtspunkt der Notwehr. Aus einer Einstufung der Diensthandlung als rechtswidriger Angriff im Sinne von § 32
StGB (vgl. BGHSt 4, 161 <163 f.> [BGH 31.03.1953 - 1 StR 670/52] ) folgt im Hinblick auf die dann sich weiter stellenden Fragen der Erforderlichkeit und Gebotenheit der Verteidigungshandlung (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom
24. Dezember 2001 - 1 Ss 227/01 -, JURIS, Rn. 21 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, Rn. 36 f. zu § 113) keineswegs verfassungsrechtlich zwingend die Annahme einer Rechtfertigung durch Notwehr. Dies bedarf
vielmehr eigenständiger Prüfung.
II. Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Die Rüge der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist unsubstantiiert und damit unzulässig. Auch hat der Beschwerdeführer nicht in einer den
Substantiierungsanforderungen genügenden Weise dargelegt, dass die Aktion des Beschwerdeführers vom 23. August 2003 am Grundrecht der Kunstfreiheit ( Art. 5 Abs. 3 GG ) zu messen ist. Die Rüge der Verletzung von Art. 5 Abs.
1 Satz 1 GG ist zwar zulässig, hat aber keine Aussicht auf Erfolg. Die Handlung des Beschwerdeführers, die das Persönlichkeitsrecht der Oberbürgermeisterkandidatin verletzte, ist ohne Verstoß gegen das Grundrecht der
Meinungsfreiheit als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB gewertet worden.
III. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 GG , soweit seine Verurteilung wegen des am 11. Januar 2003 erfolgten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte - hier: in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - erfolgt ist. Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Von einer Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts wird abgesehen. Das
Landgericht, an welches die Sache zurückverwiesen wird, hat über die Bestrafung des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben neu zu entscheiden. ..." (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007, 1
BvR 1090/06)
***
Die Möglichkeit der Sanktionierung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit ist auf Auflagen i. S. des § 15 I VersG begrenzt, also auf solche beschränkenden Verfügungen, die speziell an unmittelbare Gefährdungen der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung anknüpfen und unter Beachtung des Art. 8 GG mithelfen sollen, die konkret bevorstehende Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern. Die in § 15 I VersG als Auflagen
bezeichneten beschränkenden Verfügungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 I GG).
Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Wird die versammlungsrechtliche Gefahr mittels einer ein konkretes Verhaltensgebot oder Verbot festlegenden Auflage i. S. des § 15 I VersG
bekämpft und verstößt ein Versammlungsteilnehmer gegen die Auflage, dann sind die Voraussetzungen für die spezifische versammlungsrechtliche Sanktion des § 29 I Nr. 3 erfüllt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass bei der Ahndung nicht berücksichtigt wird, wie die durch die Gefahrverwirklichung beeinträchtigte Einzelperson darauf reagiert hat (hier: kein Strafantrag wegen Beleidigung) oder wie ein Strafgericht strafrechtlich mit dem
Geschehen umgehen würde (BVerfG, Beschluss vom 21.03.2007 - 1 BvR 232/04).
Es ist mit Art. 8 GG unvereinbar, wenn die Strafgerichte die Weigerung, sich unverzüglich von einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, ohne Rücksicht darauf, ob die Auflösung rechtmäßig war, gemäß § 29 I Nr. 2 VersG
ahnden (BVerfG, Beschluß vom 01.12.1992 - 1 BvR 88/91 u. 1 BvR 576/91).
*** (OLG)
Von einer Versammlung kann erst gesprochen werden, wenn mindestens drei Personen zusammengekommen sind (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.09.1998 - Ss Z 225-98 (106-98), NStZ-RR 1999, 119):
„... Durch Bescheid der Stadt S. vom 21. 10. 1997 war dem Betr. auf seinen Antrag die Durchführung einer „Mahnwache„ für den 23. 10. 1997 unter Auflagen genehmigt worden. Am Vormittag, dem 22. 10. 1997, fand sich der Betr.
zusammen mit einerweiteren Person vor der Beratungsstelle „Pro Familia„ in S. ein. Sie gingen auf dem Gehweg des betreffenden Anwesens auf und ab, wobei sie Plakate trugen, auf denen die Ablehnung von Abtreibungen
zumAusdruck gebracht und die Beratungsstelle „Pro Familia„ als „Tötungsambulanz„ bezeichnet wurde. Sie verteilten Handzettel ähnlichen Inhalts und sprachen Passanten an. Auf eine entsprechende Anzeige der Beratungsstelle „Pro
Familia„ erschienen ein Polizeibeamter und eine Verwaltungsinspektorin der Stadt an der Örtlichkeit. Sie wiesen den Betr. darauf hin, daß es sich um keine genehmigte Versammlung handele, erklärten sodann die Versammlung für
aufgelöst und forderten den Betr. mehrfach auf, sich zu entfernen, was dieser hartnäckig verweigerte, so daß er schließlich in Gewahrsam genommenwurde. Das AG setzte gegen den Betr. wegen vorsätzlicher Verletzung der Pflicht,
sich nach Auflösung einer öffentlichen Versammlung unverzüglich zu entfernen, eine Geldbuße in Höhe von 200 DM fest. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zum Freispruch. ...
II. Der Betr. hat keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 29 I Nr. 2, 15 II VersG begangen. Nach diesen Bestimmungen handelt ordnungswidrig, wer sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugsdurch die
zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt. Der Betr. und sein Begleiter bildeten jedoch keine Versammlung im Sinne dieser Vorschriften. Wie viele Teilnehmer zusammengekommen sein müssen, damit von einer Versammlung
gesprochen werden kann, ist streitig (vgl. Wache, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 1 VersG Rdnr. 23 m.w. Nachw.). Dieheute herrschende Rechtsprechung geht davon aus, daß mindestens 3 Personen erforderlich sind
(BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226; OLG Hamburg, MDR 1965, 319; OLG Köln, MDR 1980,1040; AG Tiergarten, JR 1979, 207). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Schon der Wortsinn spricht gegen die Annahme, bereits 2 Menschen könnten eine Versammlung bilden. „Sich-Versammeln„ setzt begrifflich eine Zusammenkunft mehrerer voraus.Auch die historische Entwicklung der
Versammlungsfreiheit, die das Zusammentreffen mehrerer Personen sichern wollte, legt dies nahe und schließlich sprechen sachliche Gründe dafür, eine Mindestteilnehmerzahl von 3 Personen zur Erfüllungdes Merkmals
Versammlung zu verlangen. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes schränken das Grundrecht des Art. 8 GG ein mit dem Ziel, sowohl die Interessen anderer alsauch die Versammlung selbst zu schützen. Vor allem soll es den
zuständigen Behörden ermöglicht werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewahrt bleiben. Solche behördlichen Maßnahmen kommen aber nur in Betracht bei
Zusammenkünften einer „größeren„ oder „nicht allzu kleinen„ Anzahl von Personen (OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 226). Eine Zusammenkunft von 2 Personen erfordert solche Sicherungsmaßnahmenin aller Regel nicht.
Da somit nach den getroffenen Feststellungen die Beschuldigung nicht erwiesen ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, war das Urteil des AG Saarbrücken aufzuheben und der Betr. freizusprechen. ..."
***
Zum Begriff der Ansammlung i.S. des § 113 OwiG. Die Bestimmung des § 113 OWiG tritt im Falle der - rechtmäßigen - Auflösung einer Versammlung hinter der spezielleren Vorschrift des § 29 I Nr. 2 VersG zurück. Zur Frage der
Befugnis zur Auflösung von nicht angemeldeten Versammlungen, insbesondere von Eil- und Spontanversammlungen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.1984 - 5 Ss (OWi) 163/84 - 133/84 I, NStZ 1984, 513):
„... Am Morgen des 7. 7. 1983 fand im AG K. ein Termin zur Überprüfung der U-Haft gegen einen anläßlich der Philadelphiade in K. Inhaftierten statt. Wegen dieses Haftprüfungstermins versammelten sich im Bereich des AG auf der
S-Straße ca. 50 Personen, die mittels mitgeführter Transparente und verbal die Aufhebung des Haftbefehls forderten. Angemeldet war diese Veranstaltung nicht. Die Kundgebung fand im wesentlichen auf einem Bürgersteig der
S-Straße statt. Gegen 11 Uhr forderte der Einsatzleiter der Polizei mittels Lautsprecher die Teilnehmer dreimal auf, die S-Straße in Richtung Norden zu räumen. Während der 3. Aufforderung formierten sich die Teilnehmer zu einem
Demonstrationszug und marschierten zur JVA.
Die Betroffene gehörte zu den Teilnehmern der Kundgebung. Ob sie sich auch an dem Demonstrationszug zur JVA beteiligt hat, konnte nicht festgestellt werden. Ihrer Einlassung nach will sie nach der 3. Räumungsaufforderung
versucht haben, die S-Straße in Richtung Süden zu verlassen.
Durch Bußgeldbescheid vom 26. 10. 1983 setzte der Polizeipräsident in K. gegen die Betroffene eine Geldbuße von 200 DM fest. Auf ihren Einspruch hin hat das AG die Betroffene von dem gegen sie erhobenen Vorwurf
freigesprochen. Die Rechtsbeschwerde der StA hatte Erfolg. ...
I. Im Ergebnis mit Recht hat das AG zunächst einen Verstoß der Betroffenen gegen § 113 OWiG aus Rechtsgründen verneint. Ein solcher scheidet aber nicht deshalb aus, weil es sich, wie das AG meint, bei der Veranstaltung auf der
S-Straße nicht um eine Ansammlung i.S. von § 113 OWiG gehandelt hat. Eine Ansammlung liegt vor, wenn sich eine größere Anzahl von Personen - „die Menge" - zusammenfindet, bei der es nicht mehr darauf ankommt, ob ein
einzelner hinzukommt oder fortgeht. Wie die Ansammlung entstanden ist (organisiert oder zufällig), welchen Zweck oder welche gemeinsamen Interessen die Menschenmenge verbindet (Demonstration, Neugier) und welcher Art die
Ansammlung ist, ist unerheblich (Göhler, OWiG, 7. Aufl., § 113 Rdnr. 4). Auch eine Versammlung ist eine Ansammlung. Während indes eine Ansammlung, die keine Versammlung ist, jederzeit zerstreut werden kann (vgl. OLG
Karlsruhe, NJW 1974, 2144, 2146 f.), steht die Versammlung unter der Rechtsgarantie des Art. 8 GG. Eine Versammlung darf nur unter den gem. Art. 8 II GG, §§ 14, 15 VersG bestimmten Voraussetzungen aufgelöst werden. Wer
sich trotz rechtmäßiger Auflösung einer öffentlichen Versammlung durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt, verhält sich nach § 29 I Nr. 2 VersG ordnungswidrig. Diese Bestimmung ist gegenüber § 113 OWiG die
speziellere Vorschrift, so daß letztere, soweit es wie hier das Verhalten eines Teilnehmers einer Versammlung nach deren Auflösung anlangt, zurückzutreten hat (vgl. Göhler, aaO, Rdnr. 14).
II. 1. Zutreffend ist die Auffassung des AG, daß es sich bei der Kundgebung auf der S-Straße um eine öffentliche Versammlung i.S. von § 1 VersG unter freien Himmel gehandelt hat. ...
2. Soweit das AG aus Rechtsgründen die Verwirklichung des Tatbestands einer Ordnungswidrigkeit nach § 29 I Nr. 2 VersG verneint hat, lassen die Urteilsausführungen besorgen, daß das AG die Voraussetzungen verkannt hat, unter
denen eine nicht angemeldete Versammlung unter freiem Himmel aufgelöst werden darf. Seine Annahme, allein der in der Nichtanmeldung liegende Ungehorsam rechtfertige noch nicht die Auflösung, vielmehr müsse es infolge der
Nichtanmeldung der Versammlung zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gekommen sein, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.
a) aa) Nach § 15 II VersG kann eine unter freiem Himmel stattfindende Versammlung u.a. dann aufgelöst werden, wenn sie nicht spätestens 48 Stunden vorher angemeldet worden ist.
Die Entscheidung darüber, ob in einem solchen Fall die Auflösung auch tatsächlich angeordnet werden soll, ist in das pflichtgemäße Ermessen des zuständigen Hoheitsträgers gestellt. Die Befugnis zur Auflösung einer Versammlung
wegen fehlender Anmeldung gilt (entgegen einer in der Literatur weit verbreiteten Ansicht) nach der Rechtsprechung uneingeschränkt in den Fällen, in denen die rechtzeitige Anmeldung aus Nachlässigkeit oder gar Böswilligkeit
unterlassen worden ist, obwohl sie ohne Gefährdung des Versammlungszwecks möglich gewesen wäre (BVerwGE 26, 1356 [BVerwGE 138] = NJW 1967, 1191; BayObLG, NJW 1969, 63, 65; OLG Düsseldorf - 3. Senat für
Bußgeldsachen, JMBlNW 1981, 284, 285; a. M. Meyer, in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG, § 15 VersG Anm. 3a bb; Ott, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 4. Aufl., § 15 Rdnr. 14, und Dietel-Gintzel, Demonstrations-
und Versammlungsfreiheit, 7. Aufl., § 15 Rdnr. 20). In einem solchen Fall hält der Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des 3. Senats für Bußgeldsachen des OLG Düsseldorf vom 9. 3. 1977 (3 Ss [Owi] 1407/76) die Auflösung
der Versammlung bereits für zulässig, wenn sie als bloßes Mittel zur Durchsetzung der Einhaltung der Anmeldungsregelung angewandt wird.
bb) Eine Einschränkung der Auflösungsbefugnis wegen fehlender Anmeldung der Versammlung ist lediglich bei Eilversammlungen und bei Spontanversammlungen unter freiem Himmel angezeigt und geboten.
Unter Eilversammlungen sind dabei kurzfristig geplante und durchgeführte Versammlungen aus aktuellem Anlaß zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 390, 391; Ott, aaO, § 14 Anm. 2, und Meyer, aaO, § 1 Anm. 6b), während die
Spontanversammlung sich aus aktuellem Anlaß ohne vorherige Planung, Einladung oder Bekanntmachung oder sonstige Absprache augenblicklich bildet (Ott, aaO, § 1 Rdnr. 2, und Meyer, aaO, Anm. 6b). Bei letzterer läßt bereits das
spontane Entstehen einer solchen Versammlung naturgemäß eine Anmeldung nicht zu, so daß das bloße Fehlen der Anmeldung nicht die Auflösung rechtfertigt. Bei Eilversammlungen hingegen hängt die Frage, ob eine Auflösung
allein wegen fehlender Anmeldung erfolgen kann, davon ab, ob die Versammlung den ihr zugedachten Sinn und Zweck verlieren würde, wenn sie verschoben und erst nach Ablauf der 48stündigen Anmeldungsfrist abgehalten werden
würde (OLG Karlsruhe, aaO). Verträgt die Versammlung keinen Aufschub, rechtfertigt auch hier allein die unterbliebene oder verspätete, Anmeldung die Auflösung nicht.
b) Nach den Urteilsfeststellungen ist vorliegend lediglich auszuschließen, daß es sich um eine Spontanversammlung gehandelt hat ... Nicht zu entnehmen ist jedoch den Urteilsausführungen, ob es sich bei Kundgebung auf der S-Straße
um eine von langer Hand geplante Versammlung, deren Anmeldung unschwer möglich war, oder aber um eine Eilversammlung gehandelt hat, deren Verschiebung nach Sinn und Zweck nicht in Betracht kam. ...
c) Für die neue Verhandlung weist der Senat für den Fall, daß das AG zu der Feststellung gelangt, es habe sich bei der Kundgebung auf der S-Straße um eine nicht aufschiebbare und deshalb zulässigerweise nicht angemeldete
Eilversammlung gehandelt, auf folgendes hin:
Ob eine solche Versammlung aufgelöst werden darf, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Hoheitsträgers. Die Ermessenserwägungen haben sich dabei am Zweck der gesetzlichen Regelung zu orientieren. Während die
Anmeldung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel der Polizei Zeit zur Vorbereitung auf die damit verbundenen besonderen Gefahren durch Bereitstellung von ausreichenden Polizeikräften gibt, ist sie an dieser
Vorbereitung gehindert, wenn die Versammlung nicht angemeldet ist. Deshalb genügt im Gegensatz zur angemeldeten Versammlung, die nach § 15 II VersG (letzte Alternative) i.V. mit § 15 I VersG nur bei unmittelbarer Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgelöst werden kann, für die Auflösung einer solchen Versammlung bereits das Bestehen von Anhaltspunkten für den Eintritt der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, wenn
der Polizei wegen der unterbliebenen Anmeldung ein für das Einschreiten im Falle von Störungen ausreichendes Kräfteaufgebot nicht zur Verfügung steht. Allerdings kommt auch hier angesichts des hohen Ranges des Grundrechtes
der Versammlungsfreiheit die Auflösung nur in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen als nicht ausreichend erscheinen.
Die von dem zuständigen Polizeibeamten getroffene Ermessensentscheidung, die Versammlung aufzulösen, ist nicht schon dann rechtswidrig, wenn sich bei nachträglicher Betrachtung ergibt, daß eine andere Entscheidung möglich
und vertretbar gewesen wäre. Rechtswidrig ist die Ermessensentscheidung und damit die Auflösung der Versammlung nur, wenn der Beamte sein Ermessen mißbraucht, insb. wenn sein Handeln willkürlich, unverhältnismäßig oder
ungeeignet ist. Ermessensfehler beseitigen die Wirksamkeit und damit die Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung nicht (BGHSt 5 245 [250]; BayObLG, NJW 1969, 63, 64; OLG Düsseldorf - 3. Senat für Bußgeldsachen, JMBlNW
1981, 284, 285). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der ergangenen Auflösungsverfügung wird deshalb das AG davon auszugehen haben, wie sich die Situation aus der Sicht des zuständigen Polizeibeamten vor der
Auflösungsverfügung darstellte. Angesichts der bei der Philadelphiade in K. erfolgten Krawalle wird dabei das AG auch prüfen müssen, ob von der hier in Rede stehenden Versammlung, deren Teilnehmer für die Freilassung eines
anläßlich dieser Krawalle Inhaftierten demonstrierten, bei Fortdauer der Versammlung eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohte, der anders als durch die Auflösung nicht hinreichend wirksam begegnet
werden konnte. ..."
§ 29a
(1) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 16 Abs. 1 an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder an einem Aufzug teilnimmt oder zu einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder zu einem Aufzug auffordert.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Deutsche Mark geahndet werden.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 30
Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach § 27 oder § 28 oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a oder 3 bezieht, können eingezogen werden. § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 31
(Aufhebungsvorschriften)
§ 32
Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes auch im Land Berlin. Rechtsverordnungen, die auf Grund der in diesem Gesetz enthaltenen Ermächtigung erlassen werden, gelten im Land Berlin
nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.
Leitsätze/Entscheidungen:
§ 33
(Inkrafttreten)
***
Begriffe des Demonstrationsrechts (Hinweis: Die auf den Text bezogenen Links haben sich leider überwiegend von selbst deaktiviert!)
abschreckende Funktion
Abwehr schwerer Nachteile - einstweilige Anordnung
aggressiv geprägter unfriedlicher Charakter
allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet
Alleineigentum des Staates - unmittelbare Grundrechtsbindung
allgemeines Militanzverbot
Analogieverbot und Gewaltbegriff
Analyse des zeitlichen Ablaufs der Ingewahrsamnahme
Angemessenheit, Eignung, Erforderlichkeit
anlasslose Datenerhebung - Videoaufzeichnungen
anlassloses Zutrittsrecht der Polizei
Anmeldung nicht erforderlich - Schutz ohne Anmeldung
Anmeldung oder Erlaubnis - nicht erforderlich
Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens
Art und Weise der Befassung mit Rechtsschutzbegehren
Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen
Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes
Bayerisches Versammlungsgesetz - teilweise außer Kraft gesetzt
Begrenzung der Teilnehmerzahl
Begriff der Versammlung
Behinderungen Dritter
Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten
Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten - Erweiterung und Formalisierung
Belästigungen Dritter - Gefahrenprognose
Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen
Bereitschaftsdienst - Freiheitsentziehung - Art und Weise des richterlichen Bereitschaftsdienstes
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit
Beschränkungen - dicht bebaute historische Altstadt
Beschränkungen - enge Fußgängerzone
Beschränkungen - Flughafenbenutzungsordnung
Beschränkungen wegen räumlicher Verhältnisse
Bewaffnungs- und Vermummungsverbot
Bindung an das Versammlungsgesetz - versammlungsbeschränkende Entscheidungen
Castor-Transport nach Gorleben
Datenbevorratung - ohne Anlass
Demonstrationsverbot - generelles
Durchführung des richterlichen Bereitschaftsdienstes
effektiver, lückenloser Rechtsschutz
effektiver Rechtsschutzes - Freiheitsentzug
effektiver und möglichst lückenloser richterlichen Rechtsschutz
Effizienzsteigerung durch frühzeitige wie vollständige Vorabinformation
Eigentum - privatautonomes Bestimmungsrecht - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Eignung, Erforderlichkeit, Angemessenheit
Eignung von Umständen für die Annahme einer Gefährdung für die öffentliche Sicherheit
Einschüchterungseffekte
Einschüchterungswirkungen - Übersichtsaufzeichnungen
einstweilige Anordnung - Abwehr schwerer Nachteile
einstweilige Anordnung - Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes
Entschädigungsanspruch - grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte
Erforderlichkeit, Angemessenheit, Eignung
Erlaubnis oder Anmeldung - nicht erforderlich
Erlaubnisvorbehalt - genereller - unzulässig
Ermächtigungsgrundlagen - Befugnis zur Schaffung von Ermächtigungsgrundlagen
Ermächtigungsgrundlage - Versammlungsgesetz des Bundes
Erregung von Aufmerksamkeit
Erreichbarkeit eines zuständigen Richters
Erweiterung und Formalisierung der Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten
Fehlen einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit
formelle Verfassungsmäßigkeit
Formen, Mittel oder Geräuschpegel von Versammlungen
Flughafenverbot
Freiheit der Person - Grundrecht
Freiheit der Person - unverletzlich
Freiheitsentziehung - Art und Weise des richterlichen Bereitschaftsdienstes
Freiheitsentziehung - schwerster Eingriff
Freiheitsentziehung - unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung
Freiheitsentziehung - vorherige richterliche Anordnung
Freiheitsentzug - Gebot des effektiven Rechtsschutzes
friedliche Versammlung
friedliche Versammlung - kollektive Unfriedlichkeit
Folgenabwägung - einstweiliger Rechtsschutz - Blockupy 2012
Gebot des effektiven Rechtsschutzes - Freiheitsentzug
Gebot der Rechtswegerschöpfung - effektiver Rechtsschutz
Geldentschädigung wegen rechtswidriger Freiheitsentziehung
Gefahrenprognose
Gefahrenprognose - bloße Belästigungen Dritter
gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform
gemischtwirtschaftliche Unternehmen - von der öffentlichen Hand beherrscht
genereller Erlaubnisvorbehalt - unzulässig
generelles Demonstrationsverbot
Gesetzesvorbehalt
Gewahrsamsvollzug - Umstände
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Friedlichkeit von Versammlungen
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
Gewaltbegriff - vergeistigter Gewaltbegriff
Gewalt - mittelbare Täterschaft
Gewalt - physische Zwangswirkung
Grundrechtsbetroffenheit - unmittelbare
Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG - effektiver und möglichst lückenloser richterlichen Rechtsschutz
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - legitimer Zweck
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Mittel-Zweck-Relation
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - privatautonomes Bestimmungsrecht
grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte - Entschädigungsanspruch
Guy-Fawkes-Masken
hinreichenden Schwere der Verletzung und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit
Hinterzimmer von Gaststätten
immaterieller Schaden - Ausgleichsanspruch
Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer
individuelle Eingangskontrolle
Kessel wegen Sitzblockade
Kessel wegen Vermummung bei einer Demonstration - Kessel 4
kollektive Unfriedlichkeit
konstituierende Bedeutung der Meinungsfreiheit
legitimer Zweck - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Meinungsfreiheit - Schutzbereich
Militanz- oder Vermummungsverbot
Mitführung von Vermummungsgegenständen
Mittel-Zweck-Relation - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Mitwirkungspflichten und Verbote
nachhaltige Beeinträchtigung - zehnstündige Festsetzung im Gewahrsam
Nötigung durch Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße
öffentlichen Sicherheit - Begriff
Ordnungswidrigkeit - Mitwirkungspflichten und Verbote
Ort - allgemeiner kommunikativer Verkehr
Ort - allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet
Ort - individuelle Eingangskontrolle
Ort - Innenraum eines Flughafens - unter freiem Himmel
Ort - kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten
Ort - öffentlicher Kommunikationsraum
Ort - öffentlicher Straßenraum
Ort - Schutzbereich der Versammlungsfreiheit - Flughafen
Personenvereinigungen
physische Zwangswirkung
polizeilicher Notstand
privatautonomes Bestimmungsrecht - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Rechtsschutz - effektiv und lückenlos
Richtervorbehalt - Erreichbarkeit eines zuständigen Richters
Richtervorbehalt - Freiheitsentzug
Prüfungsmaßstab der Fachgerichte
sachgerechte Auseinandersetzung mit Rechtsschutzbegehren
Sachverhalt - hinreichende Aufklärung und Prüfung
Schrankenvorbehalt - allgemeine Gesetze
Schutzbereich der Versammlungsfreiheit - Ort
Schutz der Meinungsfreiheit
Schutz ohne Anmeldung
Selbstbetroffenheit
selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener konkreter Forderungen
Selbstbestimmungsrecht - Zeit, Ort, Modalitäten
sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts
Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flugbetriebs
Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße - Nötigung
Sitzblockade und Kessel
Störanfälligkeit eines Flughafens
Teilnehmerzahl - Begrenzung
Übersichtsaufnahmen - Kamera-Monitor-Übertragungen
Übersichtsaufzeichnungen - Grundrechtseingriff
Umgang mit Rechtsschutzbegehren
unfriedlicher Charakter - durch Aggressionen geprägt
unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit
unmittelbaren Grundrechtsbindung
unmittelbaren Grundrechtsbindung des Staates
Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit
verdeckter Einsatz von Polizeibeamten
Versammlungsfreiheit
Versammlungsbegriff
Vermummungsgegenständen - Mitführung
Vermummungsverbot - § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG
Vermummungsverbot - Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG
Vermummungsverbot - Ausnahmen
Vermummungsverbot - Guy-Fawkes-Masken
Vermummungsverbot - Recht am eigenen Bild
Vermummungsverbot - Ziel des Gesetzgebers
Vermummungsverbot - Sinn
Vermummungsverbot - Strafbarkeit
Versammlungsverbot - ultima ratio
Versammlungsverbot - unverhältnismäßig
Vermummungsverbot - Zulassung von Ausnahmen
Versammlung unter freiem Himmel - Begriff
Videoaufzeichnungen - anlasslose Datenerhebung
Videoaufzeichnungen - Einschüchterungswirkungen - Übersichtsaufzeichnungen
Videoaufzeichnungen - Übersichtsaufnahmen - Kamera-Monitor-Übertragungen
Videoaufzeichnungen - Übersichtsaufzeichnungen - Grundrechtseingriff
Warnfunktion - Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG
zentrale Grundlagen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Friedlichkeit von Versammlungen
Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG
zivilrechtliches Hausrecht - Grundlage für die Beschränkung der Demonstrationsfreiheit
Zutrittsrecht zu beliebigen Orten besteht nicht
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte
Zweck-Mittel-Relation - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Zweite-Reihe-Rechtsprechung
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Literatur zum Demonstrationsrecht
Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., 2011
Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 3. Aufl. 2007
Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001
Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 <beck-online>
Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Versammlungsgesetz
Wefelmeier/Miller, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2012
Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2011
Wächtler, Heinhold, Merck, Bayerisches Versammlungsgesetz
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Ausland
Am 11.12.2014 verabschiedete das spanische Parlament ein Gesetz „zur Sicherheit der Bürger":
- Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration kann künftig mit einer Geldstrafe von € 1.000,00 bestraft werden.
- Auf Gewaltfreiheit kommt es nicht an.
- Verboten ist das Verbreiten von Informationen zu Übergriffen der Polizei auf Demonstranten.
- Erklettern öffentlicher Gebäude ist künftig eine Straftat (Quelle: jw 12.12.2014 - https://www.jungewelt.de/ansichten/doppelte-standards).